Sherlock Holmes: Das Tal der Angst

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Sherlock Holmes: Das Tal der Angst
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ARTHUR CONAN DOYLE

Das Tal

der Angst

Aus dem Englischen neu übersetzt von Dr. Hannelore Eisenhofer

Mit Illustrationen von Arthur I. Keller


Übersetzung nach der Ausgabe

»The Complete Sherlock Holmes Long Stories«,

erschienen in einem Band 1929

© 2014 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,

Hamburg

Alle Rechte, auch das der fotomechanischen Wiedergabe

(einschließlich Fotokopie) oder der Speicherung auf

elektronischen Systemen, vorbehalten.

All rights reserved.

Titelabbildung: Anja Kaiser – Fotolia.com

Umschlag: Timon Schlichenmaier, Hamburg

E-Book Erstellung: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH

ISBN: 978-3-86820-960-0

www.nikol-verlag.de


TEIL I DIE TRAGÖDIE VON BIRLSTONE
KAPITEL I DIE WARNUNG

„Ich bin geneigt zu denken…“ sagte ich.

„Das wäre auch bitter nötig“, bemerkte Sherlock Holmes ungeduldig.

Ich halte mich für einen außerordentlich friedfertigen Menschen, aber ich gebe zu, dass mich diese gehässige Unterbrechung verärgerte. „Wirklich Holmes“, sagte ich streng, „Sie sind mitunter recht anstrengend.“

Er war zu sehr in seine eigenen Gedanken vertieft, um eine unmittelbare Antwort auf meine Vorhaltung zu erwidern. Den Kopf auf eine Hand gestützt, das unberührte Frühstück vor ihm, starrte er auf ein Blatt Papier, das er gerade aus einem Umschlag gezogen hatte. Dann nahm er den Umschlag auf, hielt ihn gegen das Licht und besah sich sorgfältig die Außenseite als auch die Klappe.

„Es ist Porlocks Handschrift“, sagte er nachdenklich. „Ich kann kaum daran zweifeln, dass es Porlocks Handschrift ist, auch wenn ich sie bis jetzt erst zweimal gesehen habe. Das griechische „e“ mit dem Schnörkel darüber ist charakteristisch. Doch wenn es wirklich Porlock ist, muss es etwas von äußerster Wichtigkeit sein.“

Er sprach mehr zu sich selbst als zu mir; doch mein Verdruss verschwand mit dem Interesse, das seine Worte in mir geweckt hatten.

„Wer ist denn Porlock?“ fragte ich.

„Porlock, mein lieber Watson, ist ein Pseudonym, ein reines Erkennungszeichen; doch dahinter verbirgt sich eine gerissene und wendige Persönlichkeit. In einem früheren Brief teilte er mir offen mit, dass der Name nicht sein eigener sei, und forderte mich heraus, ihn unter dem Menschengewimmel Londons ausfindig zu machen. Porlock ist wichtig, nicht wegen seiner selbst, sondern wegen des bedeutenden Mannes, mit dem er in Kontakt steht. Stellen Sie sich einen Pilotfisch mit einem Hai, einen Schakal mit einem Löwen vor – irgendetwas Unbedeutendes in Begleitung von etwas Furchteinflößendem: nicht furchteinflößend, Watson, sondern finster, in höchstem Grade finster. So würde ich ihn einordnen. Habe ich Ihnen von Professor Moriarty erzählt?“

„Dem berühmten gelehrten Verbrecher, unter den Halunken so berühmt wie…“

„Schämen Sie sich, Watson!“ murmelte Holmes mit tadelnder Stimme.

„Er ist in der Öffentlichkeit unbekannt, wollte ich sagen.“

„Touché! Das war schlagfertig!“ rief Holmes. „Sie entwickeln einen gewissen unerwarteten Anflug von hintergründigem Humor, Watson, gegen den ich mich zu schützen noch lernen muss. Aber Moriarty einen Verbrecher zu nennen ist in den Augen des Gesetzes eine Verleumdung – und genau darin liegt ja gerade das Glorreiche und Wunderbare! Der größte Planer aller Zeiten, der Organisator jeder Teufelei, das steuernde Hirn der Unterwelt, ein Kopf, der das Geschick ganzer Nationen zugrunde richten könnte – das ist der Mann! Doch er ist über jeden Verdacht erhaben, unangreifbar für jede Kritik, so bewundernswert in seiner Führung und Zurückhaltung, dass er Sie für die Worte, die Sie äußerten, vor Gericht bringen kann und mit Ihrer Pension eines ganzen Jahres als Wiedergutmachung dafür, dass Sie seinen guten Ruf besudelten, davongeht. Ist er nicht der gefeierte Autor des Buches, „Dynamik eines Asteroiden“, eines Buches, dass die Höhen reinster Mathematik erklomm, und von dem gesagt wird, dass kein Wissenschaftler in der Lage wäre, daran Kritik zu üben? Kann man einen solchen Mann verleumden? Ein verleumderischer Doktor und ein in falschen Verdacht geratener Professor – das wäre Ihre Rolle. Das ist genial, Watson. Aber wenn ich nicht vorher schon von weniger tüchtigen Männern zur Strecke gebracht wurde, wird unser Tag kommen.“

„Und da möchte ich dabei sein!“ rief ich ergeben. „Aber Sie sprachen von diesem Porlock.“

„Ach ja – der sogenannte Porlock ist ein Glied in der Kette, doch ein eher kleines, weiter entfernt von dem großen Anhänger. Porlock ist vielleicht gar kein richtiges Glied, unter uns gesagt. Er ist, soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, das einzig schwache Glied in dieser Kette.“

„Aber eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“

„Richtig, mein lieber Watson! Und darin liegt die ungeheure Bedeutung von Porlock. Er besitzt noch ein Restgefühl für Recht und Ordnung, was ich gelegentlich mit einer Zehnpfundnote stimuliere, die ich ihm auf listige Weise zukommen lasse, und konnte ihn dazu bringen mir ein oder zweimal Vorabinformationen zu liefern, die wertvoll waren, ja den höchsten Wert hatten, betrachtet man sie als Vorhersage und Verhinderung eines Verbrechens, was besser ist als es zu rächen. Ich zweifle nicht, dass wir, sollten wir dies entziffern könnten, eine Nachricht dieser Art vor uns haben.“

Noch einmal breitete Holmes das Papier auf dem unbenutzten Teller aus. Ich erhob mich, lehnte mich über ihn und starrte auf den seltsamen Schriftzug, der wie folgt lautete:

534 C2 13 127 36 31 4 17 21 41

DOUGLAS 109 293 5 37

BIRLSTONE 26

BIRLSTONE 9 47 171

„Was schließen Sie daraus, Holmes?“

„Es ist offensichtlich der Versuch, eine geheime Botschaft zu vermitteln.“

„Aber was nützt eine verschlüsselte Nachricht ohne den Schlüssel?“

„In diesem Fall gar nichts.“

„Was heißt in diesem Fall?“

„Weil es viele Verschlüsselungen gibt, die ich ohne weiteres lese wie die Apokryphen einer Martersäule: derlei plumpe Chiffrierungen regen den Geist eines intelligenten Menschen an, ohne ihn zu ermüden. Aber hier ist es anders. Es ist der deutliche Hinweis auf die Worte in einem Buch, doch bis ich nicht weiß, um welche Seite und um welches Buch es sich handelt, bin ich machtlos.“

„Aber warum ‚Douglas‘ und ‚Birlstone‘?“

„Sicherlich deshalb, weil diese Worte nicht auf der fraglichen Seite enthalten sind.“

„Aber warum hat er das Buch nicht angegeben?“

„Ihre angeborene Schläue, mein lieber Watson, natürliche Gewitztheit, die eine Freude für all Ihre Freunde ist, würde Sie sicher davon abhalten, Schlüssel und verschlüsselte Nachricht in ein und denselben Umschlag zu stecken. Sollte etwas schiefgehen, wären Sie geliefert. Es müssten schon beide in falsche Hände geraten, bevor etwas Schlimmes passiert. Unsere zweite Post ist überfällig, und es würde mich nicht wundern, wenn sie uns nicht einen weiteren Brief mit einer Erklärung brächte, oder, was noch wahrscheinlicher ist, den Band, auf den sich diese Zahlen beziehen.“

Holmes Überlegungen wurden binnen weniger Minuten durch das Erscheinen von Billy, dem Pagen, bestätigt, der mit genau dem Brief kam, den wir erwartet hatten.

„Die gleiche Schrift“, bemerkte Holmes, als er den Umschlag öffnete, „und tatsächlich unterschrieben“, fügte er aufgeregt hinzu, als er die Epistel öffnete. „Wir kommen voran, Watson.“ Sein Blick verfinsterte sich jedoch, als er den Inhalt überflog.

„Du meine Güte, das ist aber enttäuschend! Ich fürchte, Watson, unsere ganzen Erwartungen haben sich in Luft aufgelöst. Ich hoffe nur, dass Porlock nichts widerfährt.

„LIEBER MR. HOLMES [so schreibt er]:

Ich will in dieser Angelegenheit nicht weiter vorgehen. Sie ist zu gefährlich – er misstraut mir. Ich sehe, dass er mir misstraut. Er kam völlig unerwartet zu mir, nachdem ich gerade diesen Umschlag mit der Absicht adressiert hatte, Ihnen den Schlüssel zur Entzifferung zukommen zu lassen. Ich konnte ihn gerade noch verbergen. Hätte er ihn gesehen, wäre es mir übel ergangen. Aber ich konnte das Misstrauen in seinen Augen sehen. Verbrennen Sie bitte die verschlüsselte Nachricht, die jetzt für Sie keinen Nutzen mehr hat.

FRED PORLOCK“

Holmes blieb eine Weile sitzen, drehte den Brief zwischen seinen Fingern hin und her, und runzelte die Stirn während er ins Feuer starrte.

„Nach all dem“, sagte er schließlich, „mag gar nichts daran sein. Es ist vielleicht nur sein eigenes schlechtes Gewissen. Da er weiß, dass er ein Verräter ist, las er möglicherweise deshalb die Anschuldigung in den Augen des anderen.“

„Der andere, so darf ich annehmen, ist Professor Moriarty.“

„Kein Geringerer! Wenn jemand von IHM spricht, kann nur er gemeint sein. Es gibt für alle ein ganz bestimmtes ER.“

 

„Aber was kann er tun?“

„Hmm! Das ist eine weitreichende Frage. Wenn Sie einen der besten Köpfe Europas vor sich haben, und alle Mächte der Finsternis stehen hinter ihm, sind die Möglichkeiten unbegrenzt. Auf jeden Fall ist unser Freund Porlock außer sich vor Angst. Vergleichen Sie die Schrift auf dem Umschlag mit der Mitteilung, der Umschlag wurde noch vor diesem verhängnisvollen Besuch beschriftet. Diese Schrift ist klar und entschlossen, die andere kaum lesbar.“

„Aber warum schrieb er das alles? Wieso ließ er die Sache nicht einfach fallen?“

„Weil er fürchtete, ich könnte einige Nachforschungen in diesem Fall anstellen und ihn möglicherweise in Schwierigkeiten bringen.“

„Ohne Zweifel“, sagte ich. „Natürlich.“ Ich hatte die ursprünglich verschlüsselte Nachricht aufgehoben und betrachtete sie eingehend. „Es ist zum verrückt werden, wenn man bedenkt, dass hier auf diesem Stück Papier ein wichtiges Geheimnis vor uns liegt, dessen Entschlüsselung menschliche Kräfte übersteigt.“

Sherlock Holmes stieß das unangetastete Frühstück beiseite und zündete seine widerwärtige Pfeife an, die Gefährtin seiner tiefsten Grübeleien. „Das ist die Frage“, sagte er, lehnte sich zurück und starrte zur Decke, „vielleicht gibt es Punkte, die Ihrem machiavellistischen Geist entgangen sind. Lassen Sie uns das Problem im Licht der reinen Vernunft betrachten. Dieser Mann bezieht sich auf ein Buch. Das ist unser Ausgangspunkt.“

„Ein reichlich vager allerdings.“

„Vielleicht können wir ihn etwas eingrenzen. Wenn ich mich darauf konzentriere, erscheint die Sache weniger unergründlich. Welche Hinweise haben wir in Bezug auf dieses Buch?“

„Keinen.“

„Nun, ja, die Sache ist nicht so übel, wie sie aussieht. Die verschlüsselte Nachricht beginnt mit einem großen 534, oder nicht? Nehmen wir an, dass die 534 die spezielle Seite ist, auf die sich die Verschlüsselung bezieht. Auf diese Weise ist unser Buch zu einem dicken Buch geworden, das uns schon ein Stück weiterbringt. Welche weiteren Hinweise haben wir sonst noch auf die Art dieses dicken Buches? Als nächstes Zeichen folgt C2. Was schließen Sie daraus, Watson?“

„Kapitel zwei, zweifellos.“

„Wohl kaum, Watson. Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich behaupte, dass das Kapitel unerheblich ist, wenn bereits die Seitenzahl angegeben wurde. Wenn sich Seite 534 im zweiten Kapitel befindet, müsste das erste von unerträglicher Länge sein.“

„Spalte!“ rief ich.

„Brillant, Watson. Sie sprühen heute Morgen vor Geistesblitzen. Wenn es keine Spalte ist, wäre ich sehr enttäuscht. Nun, Sie sehen, wir lassen vor unserem geistigen Auge ein dickes Buch entstehen, das in zwei Spalten gedruckt wurde, von denen jede eine beträchtliche Länge aufweist, da eines der Worte in dem Schriftstück als das zweihundertdreiundneunzigste beziffert ist. Haben wir damit schon die Grenzen dessen erreicht, was uns eine vernünftige Überlegung liefert?“

„Ich fürchte ja.“

„Sie tun sich Unrecht. Lassen Sie Ihren Geist noch einmal sprühen, mein lieber Watson – noch ein Geistesblitz! Wäre der Band ein ungewöhnlicher, hätte er ihn mir sicher geschickt. Stattdessen hatte er, bevor seine Pläne durchkreuzt wurden, die Absicht, mir den Hinweis in diesem Umschlag zu schicken. So schreibt er zumindest in seinem Brief. Das scheint darauf hinzudeuten, dass das Buch eines ist, von dem er annimmt, dass ich es ohne Schwierigkeiten ausfindig machen werde. Er hatte es – und er dachte, ich würde es auch haben. Kurzum, Watson, es ist ein sehr verbreitetes Buch.“

„Was Sie sagen klingt sehr einleuchtend.“

„Jetzt haben wir die Suche auf ein dickes Buch eingegrenzt, das zweispaltig gedruckt und allgemein verbreitet ist.“

„Die Bibel!“ rief ich triumphierend.

„Gut, Watson, gut! Aber nicht gut genug, wenn ich so sagen darf! Selbst wenn ich das als Kompliment für mich selbst gelten ließe, könnte ich Ihnen kaum einen Band nennen, der mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Griffnähe eines der Helfershelfer von Moriarty läge. Außerdem sind die Ausgaben der Heiligen Schrift so zahlreich, dass er wohl kaum davon ausgehen konnte, dass zwei Exemplare die gleiche Paginierung haben. Es handelt sich eindeutig um ein Standardwerk. Er weiß ganz genau, dass Seite 534 auch bei mir Seite 534 sein wird.“

„Aber nur wenige Bücher würden dem entsprechen.“

„Genau. Das ist unsere Rettung. Unsere Suche hat sich auf Standardwerke eingegrenzt, von denen angenommen wird, dass jeder sie besitzt.“

„Bradshaws Kursbuch!“

„Da gibt es ein paar Schwierigkeiten, Watson. Das Vokabular von Bradshaw ist kräftig und knapp, doch begrenzt. Die Auswahl an Worten würde sich kaum für die Übermittlung einer allgemeinen Nachricht eignen. Lassen wir Bradshaw beiseite. Das Wörterbuch ist, so fürchte ich, aus dem gleichen Grund unbrauchbar. Was bleibt dann übrig?“

„Ein Almanach!“

„Ausgezeichnet, Watson! Wenn ich mich nicht irre, haben Sie es genau auf den Punkt getroffen. Ein Almanach! Mal sehen, ob der Whitaker Almanach unseren Ansprüchen genügt. Er ist allgemein verbreitet. Er hat die erforderliche Seitenzahl. Er ist zweispaltig. Sein Wortschatz ist zwar anfangs etwas zurückhaltend, aber zum Ende doch recht geschwätzig, wenn ich mich recht erinnere.“ Er holte den Band von seinem Schreibtisch. „Hier ist Seite 534, Spalte zwei, ein beträchtlicher Block Gedrucktes, der sich, wie ich sehe, mit dem Handel und Rohstoffen von Britisch Indien beschäftigt. Notieren Sie sich kurz die Wörter, Watson! Nummer dreizehn ist ,Mahratta‘. Ich fürchte der Anfang ist nicht sehr vielversprechend. Nummer einhundertsiebenundzwanzig ist ,Regierung‘, was schließlich Sinn macht, wenngleich es in Bezug auf uns und Professor Moriarty leicht irrelevant ist. Versuchen wir es noch einmal. Was macht die Mahratta Regierung? Ach schade! Das nächste Wort ist ,Schweinsborsten‘. Wir sind erledigt, mein guter Watson, es ist aus!“

Er hatte in scherzhaftem Ton gesprochen, doch das Zucken seiner buschigen Augenbrauen ließ seine Enttäuschung und Verwirrung erkennen. Ich saß hilflos und unglücklich da und starrte in das Kaminfeuer. Das lange Schweigen wurde von einem plötzlichen Ausruf Holmes unterbrochen, der zu einem Schrank stürzte und mit einem gelb eingeschlagenen Band in der Hand zurückkehrte.

„Das haben wir jetzt davon, Watson, dass wir auf dem neuesten Stand sind!“ rief er. „Wir sind unserer Zeit voraus, und müssen dafür wie üblich büßen. Es ist der siebte Januar, weshalb wir uns schon den neuen Almanach zugelegt haben. Aber es ist wahrscheinlicher, dass Porlock seine Nachricht dem alten entnahm. Bestimmt hätte er es uns mitgeteilt, wenn er einen erklärenden Brief geschrieben hätte. Jetzt wollen wir doch einmal nachsehen, was die Seite 534 für uns enthält. Nummer dreizehn ist ,Dort‘, was schon vielversprechender ist. Nummer einhundertsiebenundzwanzig ist ,ist‘ – ‚Dort ist‘“ – Holmes Augen glänzten vor Aufregung und seine dünnen nervösen Finger zuckten, als er die Wörter auszählte. „,Gefahr.‘ Ha! Ha! Großartig! Schreiben Sie das auf, Watson. ,Dort ist Gefahr – kann- sehr- bald – kommen – ein gewisser.’ Dann haben wir den Namen ,Douglas – reich – Land – jetzt in Birlstone – Haus – Birlstone – Überzeugung – ist – dringend.‘ Na also, Watson! Was halten Sie von der reinen Vernunft und ihren Früchte? Wenn der Gemüsehändler so etwas wie einen Lorbeerkranz hätte, würde ich Billy danach schicken.“

Ich starrte auf die seltsame Nachricht, die ich, während er sie entzifferte, auf einen Bogen Kanzleipapier auf meinen Knien gekritzelt hatte.

„Was für eine wunderliche Art sich derart verschlüsselt auszudrücken!“ sagte ich.

„Im Gegenteil, er hat seine Sache bemerkenswert gut gemacht“, sagte Holmes. „Wenn man eine einzelne Spalte nach Wörtern durchsucht, die den Sinn dessen wiedergeben, was man ausdrücken will, kann man kaum erwarten, alles zu bekommen, was man braucht. Man muss dann wohl oder übel einiges der Intelligenz des Empfängers überlassen. Der Sinn ist vollkommen klar. Irgendeine Teufelei ist gegen Douglas im Gange, wer immer er sein mag, der, soweit hier steht, als reicher Gutsherr auf dem Lande lebt. Er ist sicher – ,Überzeugung‘ kommt ,überzeugt‘ recht nahe, dass es dringend ist. Hier haben wir unser Ergebnis – und eine kleine fachmännische Analyse!“

Holmes empfand die unpersönliche Freude eines wahren Künstlers bei seinen Leistungen, und war zutiefst enttäuscht, wenn sie unter dem Niveau lag, das er angestrebt hatte. Er freute sich immer noch über seinen Erfolg, als Billy die Tür mit Schwung öffnete und Inspektor MacDonald von Scotland Yard ins Zimmer geleitete.

In jenen Tagen am Ende der achtziger Jahre hatte Alec MacDonald noch längst nicht den landesweiten Ruf errungen, den er heute genießt. Er war ein junges, aber verlässliches Mitglied der Kriminalpolizei, der sich in verschiedenen Fällen hervorgetan hatte, die ihm anvertraut worden waren. Seine hochgewachsene knochige Gestalt ließ auf außerordentliche physische Kräfte schließen, während sein Cranium und die tiefliegenden, strahlenden Augen nicht weniger deutlich auf einen scharfen Verstand hinwiesen, der unter den buschigen Augenbrauen hervor blitzte. Er war ein schweigsamer, akkurater Mann von mürrischer Natur und mit einem harten Aberdeen-Akzent.

Holmes, der ihm bereits zweimal in seiner Karriere zu Erfolg verholfen hatte, blieb als Lohn nur die intellektuelle Freude am Problem selbst. Aus diesem Grund empfand der Schotte tiefe Zuneigung und Respekt für diesen Laienkollegen und zeigte dies durch die Offenheit, mit der er Holmes bei sämtlichen Problemen um Rat fragte. Mittelmäßigkeit kennt nichts Erhabeneres als sich selbst, doch das wahre Genie erkennt sofort den Genius, und MacDonald besaß genug Gabe für seinen Beruf, so dass er es nicht als Erniedrigung empfand, Beistand bei einem Manne zu suchen, der, was seine Gaben als auch seine Erfahrung anbelangte, einzigartig in Europa dastand. Holmes war an einer Freundschaft nicht gelegen, doch er war gegenüber dem großen Schotten nachsichtig und lächelte bei dessen Anblick.

„Sie sind wohl mit den Hühnern aufgestanden, Mr. Mac“, sagte er. „Ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Wurmsuche. Ich fürchte, das bedeutet, dass uns Unheil bevorsteht.“

„Wenn Sie gesagt hätten ich ,hoffe‘ anstatt ich ,fürchte‘, käme das der Wahrheit näher, denke ich, Mr. Holmes“, erwiderte der Inspektor mit einem wissenden Lächeln. „Nun, ein kleiner Schluck könnte die morgendliche Kälte vertreiben. Nein, ich möchte nicht rauchen, danke. Ich muss mich gleich wieder auf den Weg machen, weil die ersten Stunden eines Falles die kostbarsten sind, was niemand besser weiß als Sie selbst. Aber, aber…“

Der Inspektor hielt plötzlich inne und starrte mit einem Ausdruck höchster Verwunderung auf das auf dem Tisch liegende Papier. Es war das Blatt, auf das ich die rätselhafte Nachricht gekritzelt hatte.

„Douglas!“ stammelte er. „Birlstone!“ Was ist denn das, Mr. Holmes? Menschenskind, das ist ja reinste Hexerei! Wo um alles in der Welt haben Sie diese Namen her?“

„Es ist eine verschlüsselte Botschaft, die Dr. Watson und ich gerade entziffert haben. Aber wieso… was stimmt nicht mit diesen Namen?“

Der Inspektor blickte uns nacheinander benommen vor Erstaunen an.

„Nur so viel“, sagte er, „dieser Mr. Douglas von Birlstone Manor House wurde letzte Nacht grausam ermordet!“