Bis dass der Tod uns scheidet

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Bis dass der Tod uns scheidet
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Bis Daß der Tod uns Scheidet

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1818

»Es - tut mir leid«, sagte Lady Burnham tonlos.

Der Marquis von Stowe antwortete nicht, sondern blickte starr nach vorn, ohne die hohen bunten Glasfenster oder die prachtvollen Altarbilder wahrzunehmen. Er sah nur den Skandal und die Demütigungen, denen sie ausgesetzt sein würden, und ihm graute davor, sich damit auseinandersetzen zu müssen.

Wie hatte er nur so töricht, so verblendet sein können! Er hätte sich doch denken können, daß Lord Burnham, der aus seiner Abneigung gegen ihn nie einen Hehl gemacht hatte, eine solche Gelegenheit zur Rache genüßlich aufgreifen würde.

Sie gehörten beide demselben Klub an und pflegten geistvolle Bosheiten und versteckte Beleidigungen auszutauschen, wann immer sie sich begegneten. Auf dem Rennplatz versuchten sie sich mit ihren Rennpferden gegenseitig auszustechen. Und so hatte es den Marquis kösthch amüsiert, mit Lord Burnhams Gattin eine affaire de coeur zu haben, Seine Lordschaft hingegen hatte damit eine Waffe gegen ihn in der Hand, die er ohne Zögern einsetzen würde.

»Ich - weiß nicht, wie es geschehen konnte, daß er uns beobachten ließ, ohne daß wir etwas bemerkten«, sagte Leone Burnham mit tränenerstickter Stimme.

Sie war so schön und so rührend hilflos in ihrem Kummer. Zu jedem anderen Zeitpunkt und an jedem anderen Ort hätte sie den Beschützerinstinkt ihres Kavaliers geweckt und den Wunsch, sie zu trösten.

Doch die Lippen des Marquis waren fest zusammengepreßt; er starrte weiter mit vorgerecktem Kinn ins Leere und schwieg.

»Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und gegrübelt, wer Georges Informant sein könnte«, fuhr Lady Burnham fort. »Ich habe immer geglaubt, die Dienerschaft sei mir treuer ergeben als ihm.«

Der Marquis sagte noch immer nichts.

»Vermutlich hat er jemand beauftragt, uns zu beschatten, aber das hätten wir doch bemerken müssen! Vielleicht war es auch einer deiner Bediensteten?«

Der Marquis hielt das für eine einleuchtende Erklärung, zumal es selbst in der loyalsten Dienerschaft immer jemand gab, der sich bestechen ließ, wenn die Summe hoch genug war.

»Was will dein Mann unternehmen?« fragte er mit belegter Stimme.

Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er am frühen Morgen die Nachricht erhalten hatte.

»Etwas Entsetzliches ist geschehen. Ich muß Dich sofort sprechen! Komm in einer Stunde in die Grosvenor Kapelle!«

Zunächst hatte er das Ganze für einen Scherz gehalten, doch dann hatte er Leones Handschrift erkannt und von seinem Kammerdiener erfahren, daß der Brief von einer Frau mittleren Alters überbracht worden sei, die schon öfter solche Botengänge erledigt hatte.

Der Marquis wußte sofort, es handelte sich um Lady Burnhams Zofe, die das volle Vertrauen ihrer Herrin besaß und als einzige darüber informiert war, wann und wie oft sie sich zu einem Stelldichein getroffen hatten.

Um rechtzeitig bei der Grosvenor Kapelle zu sein, mußte der Marquis auf seinen morgendlichen Ausritt durch den Park verzichten. Doch er war unverzüglich Lady Burnhams Aufforderung gefolgt und hatte sich ziemlich beunruhigt zur Kapelle begeben. Diese befand sich in der Audley Street in unmittelbarer Nähe des vornehmen Stadthauses, das die Burnhams in der Park Street bewohnten. Dadurch hatte Lady Burnham die Möglichkeit, die kleine Kirche ohne Begleitung eines Dieners zu besuchen.

Der Marquis sah sich in der Kapelle um. Ob nicht doch alles nur ein übler Scherz war? Aber da sah er sie schon in einer dunklen Nische sitzen, unauffällig gekleidet, schemenhaft und unwirklich.

Als er auf sie zuging, erkannte er am Ausdruck ihrer Augen, daß Schreckliches passiert sein mußte. Bevor sie etwas sagte, ahnte er bereits, worum es sich handelte. Da er jedoch das Gefühl hatte, sich an jeden Strohhalm klammern zu müssen, der sie beide vor der Katastrophe bewahren könnte, ließ er sich von ihr den genauen Hergang schildern.

»Ich sah George sofort an, daß er übelgelaunt war«, begann Lady Burnham. »Das ist bei ihm keine Seltenheit, auch nicht, daß er mir keinen Begrüßungskuß gibt. Aber sein Blick verriet mir, daß es diesmal besonders schlimm sein mußte.«

Sie schluchzte unterdrückt und wischte sich eine Träne von der Wange, dann fuhr sie fort: »Er lehnte mit dem Rücken am Kaminsims und sagte: ,Endlich habe ich euch erwischt, und du kannst diesem aufgeblasenen Mistkerl mitteilen, daß ich die Sache vors Parlament bringen werde!‘«

Einen Augenblick trat Stille ein, dann fügte sie verstört hinzu: »Ich glaube, ich habe geschrien. Dann habe ich ihn gefragt, wovon er eigentlich rede.

,Du weißt verdammt genau, worauf ich anspiele‘, hat George erwidert. ,Und wenn du glaubst, mir mit einem Kerl, den ich wie die Pest hasse, Hörner aufsetzen zu können, dann täuschst du dich gewaltig! Ich lasse mich von dir scheiden, Leone, und gebe ihn als Scheidungsgrund an!‘ «

Der Marquis sagte kein Wort. Regungslos, wie versteinert saß er neben ihr.

Als Lady Burnham in ihr Taschentuch schluchzte und offenbar nichts mehr zu sagen hatte, fragte er sie: »Du hast seine Beschuldigungen natürlich zurückgewiesen?«

»Natürlich habe ich das«, entgegnete sie. »Ich habe George für verrückt erklärt, mir so etwas zuzutrauen, aber er hörte gar nicht zu.

,Ich habe unwiderlegbare Beweise‘, behauptete er, ,und es wird weder dir noch Stowe etwas nützen, alles ableugnen zu wollen. ‚«

Wieder trat Stille ein, dann wiederholte sie: »Es tut mir leid, Quintus, es tut mir so schrecklich leid!«

Dem Marquis tat es auch leid um seiner selbst und um Leone Burnhams willen, denn er wußte genau, daß sie nach einer Scheidung von der gesamten vornehmen Gesellschaft des Landes gemieden werden würde. Selbst wenn er sie heiratete, wie es sich für einen Kavalier von Ehre geziemte, würde man ihn vielleicht wieder aufnehmen, sie jedoch unwiderruflich vom gesellschaftlichen Leben ausschließen.

Das war zwar nicht fair, aber die gesellschaftliche Etikette kannte kein Erbarmen, wenn eine Frau sich etwas zuschulden kommen ließ, während einem Mann ein Seitensprung gewöhnlich verziehen wurde.

»Welche Beweise könnte er haben?« fragte er nach einer Weile.

»Er könnte höchstens wissen, wie oft und wo wir uns getroffen haben«, erwiderte Lady Burnham verzweifelt. »Du hast mir nie einen Liebesbrief geschrieben; deine Mitteilungen waren leider immer sehr unpersönlich gehalten. Außerdem habe ich sie sofort nach Erhalt verbrannt.«

»Bist du sicher?«

»Völlig sicher!«

Der Marquis überlegte, daß dies zumindest zu seinen Gunsten sprach; er war nie so töricht gewesen, seine Gefühle schriftlich zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig aber fiel ihm ein, daß er Leone während der Abwesenheit des Grafen des Öfteren spät in der Nacht durch die Gartentür in Stowe House eingelassen hatte.

Er war immer völlig sicher gewesen, daß niemand sie beobachtet hatte, aber offensichtlich hatte er sich geirrt.

Da es ihm zuwider war, im Ehebett eines anderen eine Frau zu lieben, hatte er Leone niemals in Burnham House besucht.

Wenn sie beide bei Hausgesellschaften eingeladen waren, hatten sie es allerdings so eingerichtet, daß ihre Schlafzimmer dicht beieinander lagen, und häufig hatten sie - um nicht zusammen gesehen zu werden - in privaten Klubräumen gemeinsam zu Abend gegessen.

Leone hatte stets einen Schleier getragen, und sie hatten das Haus durch einen Seiteneingang betreten. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, daß Gäste, die diese Restaurants aufsuchten, anonym blieben.

Andererseits konnte man jedoch nie wissen, ob nicht ein Kellner sich mit einer Handvoll Goldmünzen bestechen ließ, eine bestimmte Lady und ihren Kavalier zu beschreiben. Ebenso war auch einem Portier zuzutrauen, daß er einem spendablen Fremden, der ihm nach Feierabend mehrere Drinks ausgegeben hatte, den neuesten Klatsch serviert hatte.

Es war eine Leichtigkeit, die gewünschten Informationen zu erlangen, erkannte der Marquis, und er verfluchte sich, nicht wachsamer gewesen zu sein, zumal es sich um einen Erzrivalen handelte.

»Was - sollen wir tun?« fragte Lady Burnham. »Können wir etwas dagegen unternehmen?«

»Darüber denke ich die ganze Zeit nach«, erwiderte der Marquis.

»Hilf mir! Bitte, hilf mir, Quintus!« flehte sie ihn an. »Du weißt, wie sehr ich dich liebe und daß du der aufregendste Mann bist, der mir je in meinem Leben begegnet ist, aber ich könnte es nicht ertragen, als . . . Ehebrecherin gebrandmarkt zu werden!« Sie stockte bei dem Wort und fügte verzweifelt hinzu: »Niemand würde mich dann mehr zu einem Ball oder einer Gesellschaft einladen und nie mehr dürfte ich bei Hofe erscheinen oder in der Königlichen Loge in Ascot.«

Ihre Stimme sank zu einem Flüstern, als sie fortfuhr: »Und du würdest meiner ebenso rasch überdrüssig werden, wie es bei den anderen der Fall war. Das wäre mein Tod! So könnte ich nicht weiterleben!«

Das klang so verzweifelt, daß der Marquis sich umdrehte und sie anschaute. Trotz ihres tränenüberströmten Gesichts sah sie reizend aus, und er verstand ihre Verzweiflung.

»Hör auf zu weinen, Leone« beruhigte er sie. »Laß uns lieber gemeinsam überlegen, was wir tun können.«

»Glaubst du, es besteht für uns noch Hoffnung, einem Skandal zu entgehen?«

»Vielleicht kann ich einen Ausweg aus dieser Situation finden, in die wir durch unseren Leichtsinn geraten sind.«

 

»Oh Quintus, wenn dir das gelänge, wäre ich dir ewig und von ganzem Herzen dankbar!«

»Was hast du deinem Mann erwidert, als er dir mit Scheidung drohte?« wollte der Marquis wissen.

»Ich beteuerte meine Unschuld und sagte, du wärst nichts weiter als ein guter Freund, und wir hätten nichts Unrechtes getan.«

»Das hat er dir natürlich nicht geglaubt!«

»Er ist so besessen von seiner Rache, daß er sich geschworen hat, dich von deinem hohen Roß herunterzuholen, wie er es ausdrückte. ,Ich werde diesem Stowe mit seinem vornehmen Getue und seiner Arroganz eine Lektion erteilen, die er nie vergessen wird!‘ tobte er.

Ich sagte: ,Wenn es dir nur darum geht, den Marquis zu vernichten, George, warum willst du mich dann mit hineinziehen? Ich habe nichts Unrechtes getan!‘«

»Was hat er darauf geantwortet?«

»Er lachte nur gehässig und ließ mich stehen.«

»Hast du ihn gestern abend noch einmal gesehen?«

Leone Burnham schüttelte den Kopf.

»Er verließ das Haus. Deshalb ging ich zu Bett und weinte mich in den Schlaf.«

Lange schwiegen sie.

Plötzlich rief der Marquis: »Ich habe eine Idee!«

Lady Burnham hob den Kopf und sah ihn an, aber ihre tränenfeuchten Augen verrieten wenig Hoffnung.

Sie galt als eine der Schönheiten Londons und hatte alle anderen Anwärterinnen auf den Titel »Schönheitskönigin« im Triumphzug überflügelt. Aber in diesem Augenblick sah Lady Burnham elend, bekümmert und unscheinbar aus.

Der Marquis saß aufrecht da, das Kinn vorgereckt, als wollte er seinen Gegner zu einem Kampf auf Leben und Tod herausfordem.

»Die einzige Möglichkeit, deinen Mann von seinem Irrtum zu überzeugen, wäre, sofort die Nachricht zu verbreiten, daß ich die Absicht habe, mich zu vermählen.«

Lady Burnham sah ihn entgeistert an und stammelte dann: »Aber Quintus, ich wußte ja gar nicht, daß du dich vermählen willst. Hast du nicht immer gesagt. . .«

»Sei nicht albern, Leone«, unterbrach sie der Marquis, »damit wollte ich doch nur sagen, daß ich meine Verlobung bekanntgeben will, bevor dein Mann die Scheidungsklage einreicht und zu beweisen versucht, daß ich zur gleichen Zeit ein Verhältnis mit dir hatte.«

Lady Burnham brauchte eine Weile, bis sie das begriffen hatte.

Dann zog sie geräuschvoll den Atem ein und stieß erregt hervor: »Natürlich! Ich verstehe. Ich könnte behaupten, wir hätten uns nur deshalb gelegentlich getroffen, weil du meinen Rat einholen wolltest, ob du die richtige Frau gewählt hast.«

»Genau!« entgegnete der Marquis trocken.

»Aber wer sollte es denn sein? Und außerdem wäre doch die Zeit viel zu kurz, um noch um sie zu werben!«

Dessen war sich der Marquis auch bewußt.

Er kannte Lord Burnham seit der gemeinsamen Schulzeit in Eton und wußte, daß er ein impulsiver und jähzorniger Mensch war, der zweifellos seinen Fall vors Parlament bringen würde, sobald er seine Beweise für ausreichend hielt.

Die einzige Hoffnung war, daß man es im Parlament mit der Bearbeitung der Sache nicht so eilig haben würde; zahlreiche Formalitäten mußten erledigt werden, einschließlich der Ernennung von Anwälten und Gerichtsschreibern, und das konnte Tage, wenn nicht gar Wochen dauern.

Mit etwas Glück hoffte der Marquis, Leone und sich aus der unangenehmen Situation retten zu können, in die sie unversehens geraten waren.

Sein scharfer Verstand hatte ihn noch nie im Stich gelassen, wenn es darauf ankam, und im Augenblick ging es darum, um die Erhaltung dessen zu kämpfen, was ihm im Leben wichtig war.

Er war sehr stolz auf seine Herkunft und seine Stellung als Familienoberhaupt, die von allen Mitgliedern seiner Familie respektiert wurde und ihm hohes Ansehen verlieh.

Nichts wäre entwürdigender für einen Mann seines Standes, als in einen Scheidungsprozeß verwickelt zu sein, dessen pikante Details an die Öffentlichkeit gelangten und von der Presse breitgetreten wurden.

Solche Skandalgeschichten hatte der Marquis bisher stets verabscheut, wenn es um jemanden aus seiner Gesellschaftsschicht ging, und für vulgär und unter seiner Würde befunden. Nicht im Traum hätte er für möglich gehalten, daß er jemals in eine solche Situation geraten könnte.

Ihm graute vor dem Gedanken, was ein solcher Skandal auslösen würde. Das Mitleid seiner Freunde würde mindestens ebenso unerträglich sein wie das Hohngelächter und Gespött seiner Gegner.

Wie ein Mensch, der unversehens in eine Falle geraten ist, suchte er fieberhaft nach einem Auswege doch sein Instinkt sagte ihm, daß es nur diese eine Möglichkeit gab, eine Katastrophe zu verhindern.

Er bemerkte den Hoffnungsschimmer in Lady Burnhams Augen; wie ein Kind, das hofft, in letzter Sekunde eine Strafe erlassen zu bekommen, vor der es sich gefürchtet hat, blickte sie zu ihm auf.

»Aber - wer würde denn deinen Antrag annehmen - ohne vorherige Werbung?« fragte sie verzagt.

Der Marquis stellte fest, daß sie verstanden hatte, was er beabsichtigte, und sich die gleiche Frage stellte, die auch ihn beschäftigte.

»Ich ging immer davon aus,« erwiderte er, »daß junge Mädchen sich mit dem Mann vermählen, den ihr Vater für sie ausgesucht hat.«

»In unseren Kreisen ist das üblich«, pflichtete Lady Burnham ihm bei. »Papa war entzückt, als George ihn um Erlaubnis bat, mir den Hof machen zu dürfen. Wir sind uns jedoch mindestens ein halbes Dutzendmal begegnet, und er hat mir deutlich zu verstehen gegeben, welche Absichten er hatte.«

»Das war etwas anderes, weil du schön bist«, sagte der Marquis; es klang nicht wie ein Kompliment, sondern war lediglich eine Feststellung.

»Natürlich bist du ein bedeutender Mann, Quintus, und jeder Vater einer Debütantin wäre glücklich, dich zum Schwiegersohn zu bekommen.«

Der Marquis wußte nur zu gut, wie recht sie hatte. Seit er das College verlassen hatte, war er von allen ehrgeizigen Eltern der Beau Monde, die eine heiratsfähige Tochter hatten, bedrängt worden.

Seine Familie war nicht nur eine der angesehensten des Landes, er selbst galt auch als außerordentlich wohlhabend, sah gut aus, war intelligent und ein talentierter Sportsmann.

Seine Gegner, es waren nicht wenige, bezeichneten ihn als aufgeblasenen Wichtigtuer, als selbstherrlich und als Tyrannen. Sie neideten ihm alles, auch, daß sein Stolz auf seine Stellung und sein Ansehen durchaus gerechtfertigt war.

»Natürlich würde sich jedes Mädchen glücklich schätzen, dich zum Gemahl zu bekommen«, meinte Lady Burnham, als sei ihr plötzlich eingefallen, wieviel der Marquis einer Frau zu bieten hatte. Niemand würde die Aufrichtigkeit seines Antrags anzweifeln, so unerwartet dieser auch sein mochte. »Aber wer käme da in Frage?«

»Ich habe mich bereits entschieden«, erwiderte der Marquis.

»Wer ist sie?« wollte Lady Burnham wissen.

Eigentlich hätte sie eifersüchtig sein müssen, doch selbst nach den zauberhaften Monaten mit ihm, in denen sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte, traten in diesem Augenblick, wo es ums nackte Überleben ging, selbst die zärtlichsten Gefühle in den Hintergrund.

»Ich sollte das besser für mich behalten«, beschloß der Marquis.

Er griff nach Lady Burnhams Hand und sah sie beschwörend an.

»Hör mir jetzt gut zu, Leone«, sagte er, »wenn ich uns beide retten soll, dann müssen wir sehr geschickt vorgehen.«

»Ja - ja, natürlich.«

Ihre Finger umklammerten seine Hand wie eine Rettungsleine, die sie vor dem Ertrinken bewahren würde.

»Ich möchte, daß du nach Hause gehst und auf einer Unterredung mit deinem Mann bestehst«, erklärte der Marquis. »Beklage dich darüber, daß du wegen seiner ungerechtfertigten Anschuldigungen eine schlaflose Nacht verbracht hast.«

»Ich verstehe - und kann nur hoffen, daß er mir überhaupt zuhört.«

»Du mußt ihn dazu zwingen«, mahnte der Marquis mit Nachdruck. »Mach ihm klar, daß wir uns nur deshalb gelegentlich getroffen haben, weil ich dich um Rat gebeten hätte, ob die Frau, mit der ich mich zu vermählen beabsichtige, deiner Meinung nach die richtige für mich sei.«

»George wird mir ganz bestimmt nicht glauben.«

»Macht nichts. Du mußt nur bei deiner Geschichte bleiben«, entgegnete der Marquis. »Erzähle ihm, meine Familie habe mich gedrängt, endlich für einen Stammhalter zu sorgen - was übrigens durchaus der Wahrheit entspricht - und ich hätte schließlich beschlossen, dem Drängen nachzugeben. Die Verlobungsanzeige würde in drei Tagen in der Gazette erscheinen.«

»In drei Tagen!« rief Lady Burnham aus. »Wenn das nun nicht klappt?«

»Das wird es aber«, versicherte ihr der Marquis. »Du mußt nur deinen Mann dazu bringen, drei Tage abzuwarten. Weise ihn darauf hin, daß er mit seiner Scheidungsklage und seinen sogenannten Beweisen zum Gespött der Allgemeinheit würde, wenn meine Verlobung bekanntgegeben wird. Überzeuge ihn, daß man ihm unterstellen würde, mich aus Neid verleumden zu wollen, weil meine Pferde bei den beiden letzten Rennen die seinen geschlagen haben.«

Lady Burnham holte tief Luft und faltete die Hände.

»Das könnte George überzeugen«, sagte sie nachdenklich, »das schon. Weißt du, seine Pferde sind sein ein und alles.«

Das war dem Marquis wohlbekannt, und er wußte auch, daß Lord Burnham so häufig abwesend war, weil er irgendwo im Lande Pferderennen besuchte.

»Überzeuge ihn davon, daß seine Freunde es für sehr unsportlich erachten würden, wenn er das Glück eines jungen Mädchens, das sich gerade mit mir verlobt hat, mit seinen haltlosen Anschuldigungen zerstört.«

»Das werde ich ihm begreiflich machen! Natürlich werde ich das«, ereiferte sich Lady Burnham. »Eine kluge Idee von dir, Quintus! Einem solchen Argument kann George sich nicht verschließen.«

»Das meine ich auch«, erwiderte der Marquis nicht ohne Genugtuung.

Er blickte Lady Burnham lange an und hob dann ihre Hand an seine Lippen.

»Leb wohl, Leone! Ich danke dir für das Glück, das du mir geschenkt hast, und ich bedaure aufrichtig, daß ich dir ungewollt so viel Kummer bereitet habe.«

»Ich liebe dich, Quintus«, sagte Lady Burnham leise, »und ich weiß, daß ich nie wieder einen Mann so lieben werde wir dich!«

Sie unterdrückte ein Schluchzen und fuhr tapfer fort:»Aber wenn Georges Vorhaben Erfolg hätte - und wir gezwungen wären, zu heiraten, würden wir uns eines Tages vielleicht hassen.«

»Beten wir darum, daß dies nie geschehen möge«, erwiderte der Marquis.

Wieder küßte er ihre Hand.

»Geh jetzt bitte und tu genau das, was ich dir gesagt habe. Versuch aber nicht, mit mir Verbindung aufzunehmen!«

»Nein, natürlich nicht«, versprach sie. »Danke, Quintus, - für alles. Aber vor allem dafür, daß es dich gibt.«

Sie erhob sich, hüllte sich in ihr dunkles Cape und blickte dem Marquis lange in die Augen. Dann wandte sie sich wortlos ab und ging davon. Wenig später hörte er die Kirchentür hinter ihr ins Schloß fallen.

Der Marquis blieb regungslos auf der Kirchenbank sitzen. Aus Sicherheitsgründen hielt er es für ratsam, einige Zeit verstreichen zu lassen, bis auch er die Kirche verließ. Außerdem gab es eine Menge, worüber er in Ruhe nachdenken mußte.

Die Zeit war knapp. Drei Tage blieben ihm nur, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Zwei Stunden später verließ der Marquis Stowe House und begab sich mit seinem neuen eleganten Reisephaeton und dem prächtigsten Gespann, das sein Stall aufzuweisen hatte, auf die Reise.

Es war eine der schnellsten Kutschen, die jemals gebaut worden waren, und sie war auf Wunsch des Marquis sowohl hinsichtlich ihrer Schnelligkeit als auch ihres Komforts mit zahlreichen Verbesserungen ausgestattet worden.

Er sah ungemein elegant aus. Mit dem leicht schrägsitzenden Zylinder auf dem dunklen Haar, den wie poliertes Ebenholz glänzenden Schaftstiefeln und der nach der neuesten Mode kunstvoll geschlungenen Krawatte erregte er auf der Park Lane großes Aufsehen.

Während der Marquis das Gespann nach Norden lenkte, rechnete er sich aus, daß sein Reitbursche, den er vor über anderthalb Stunden vorausgeschickt hatte, in vier Stunden Dawlish Castle erreicht haben würde.

Das würde dem Herzog genügend Zeit geben, alles für den Empfang des unerwarteten, aber ganz gewiß hochwillkommenen Gastes vorzubereiten.

In der kleinen Kapelle war dem Marquis ein Gespräch wieder eingefallen, das er vor zwei Monaten mit dem Herzog von Dawlish geführt hatte. Wie ein Blitzstrahl hatte die Erinnerung daran die Düsternis durchdrungen, die ihn seit der Unterredung mit Leone zu umgeben schien.

 

Der Herzog hatte sich nach einem Pferderennen mit ihm unterhalten, und der Marquis fragte beiläufig: »Haben Euer Gnaden in dieser Saison ein neues Pferd erworben?«

»Bedauerlicherweise nicht«, erwiderte der Herzog. »Mein Trainer wollte mich zu einigen Jährlingen überreden, die seiner Meinung nach vielversprechend sind, aber Tatsache ist, Stowe, daß ich es mir im Moment nicht leisten kann, viel Geld für Pferde auszugeben. Eine meiner Töchter wird in dieser Saison als Debütantin bei Hofe eingeführt, das bedeutet, sie wird Bälle in London besuchen und astronomische Summen für Roben, Hüte und weiß der Teufel, was noch alles, ausgeben.«

Und seufzend fuhr er dann fort: »Für mich heißt es entweder Ballkleider oder Pferde. Sie können sich vorstellen, wofür sich ein Familienvater entscheiden muß.«

Der Marquis lachte, und der Herzog, ein humorvoller Mensch, meinte: »Ich rate Ihnen, Junggeselle zu bleiben, Stowe, solange es möglich ist. Irgendwann wird man Sie auch einfangen, aber Sie sollten es den Damen nicht zu leicht machen.«

Wieder mußte der Marquis lachen.

»Das werde ich, Euer Gnaden, darauf können Sie sich verlassen!«

Er wußte, daß der Herzog ihn mit offenen Armen als Schwiegersohn aufnehmen würde, und die Herzogin, die bereits zwei Töchter unter die Haube gebracht hatte, würde nichts gegen die Bedingungen einzuwenden haben, die er an seinen Antrag um die Hand der jüngsten Tochter knüpfte.

Es würde eine einigermaßen erträgliche Verbindung sein, überlegte der Marquis, wenn er schon in den sauren Apfel beißen mußte.

Ihm stand weiß Gott der Sinn nicht nach einer Vermählung. Er hatte sich mindestens noch fünf bis zehn Jahre seines Jungesellendaseins erfreuen wollen, bevor er seßhaft werden und für einen Erben sorgen wollte.

Doch wenn er sich schon »an die Kette legen lassen mußte«, wie es in der Dienerschaft hieß, dann nur von einem Mädchen, das Interesse für Pferde zeigte. Da der Herzog von Dawlish ein in Fachkreisen anerkannter Sportsmann war, der in Rennkreisen mindestens ebenso bekannt war wie der Marquis, konnte man wohl auch bei seinen Töchtern diese Vorliebe für Pferde voraussetzen.

Während der Marquis sein Gespann mit geübter Hand durch den Verkehr lenkte, versuchte er sich an den Namen der dritten Tochter oder an ihr Aussehen zu erinnern. Vermutlich hatte sie schon einmal an einer der Rennveranstaltungen, die ihr Vater regelmäßig besuchte, teilgenommen; aber sie war ihm nie aufgefallen.

Die Herzogin war ihm als sehr standesbewußte Matrone in Erinnerung, und die älteste Tochter Mary war mit dem Vicomte Cannington, einem jungen Aristokraten mit fliehendem Kinn und Erben einer Grafschaft verheiratet, an die anderen Mädchen erinnerte sich der Marquis nicht.

Jedenfalls würde die Tochter eines Herzogs den Vorstellungen seiner Familie von seiner zukünftigen Gemahlin entsprechen und der Aufgabe, als Gastgeberin auf dem Familiensitz der Stowes zu fungieren, gerecht werden können. Bisher hatte der Marquis seine Mutter bitten müssen, bei Einladungen in einem seiner Häuser die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen. Sie hatte das stets mit Charme und Esprit getan, bis sie sich wegen eines schweren Rheumaleidens aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen mußte.

Bei anderen Gelegenheiten bedurfte es keiner Gastgeberin; der Marquis dachte mit leisem Bedauern an die amüsanten Junggesellenparties, die bei ihm stattgefunden hatten und nun leider wegfallen mußten. Er hatte zum Vergnügen und zur Unterhaltung seiner Freunde die hübschesten Damen von St. James oder junge Schauspielerinnen eingeladen, die Nacht für Nacht im Drury Lane oder in der Italienischen Oper ihr überwiegend männliches Publikum zu Begeisterungsstürmen hinrissen.

»Hatten wir einen Spaß mit ihnen!« dachte der Marquis wehmütig.

In diesem Augenblick faßte er den Entschluß, sein Haus in Chelsea auch dann nicht unbewohnt zu lassen, wenn er verheiratet war; natürlich ohne Wissen seiner Gemahlin.

Sobald er die Landstraße erreicht hatte und der Verkehr nachließ, trieb er das Gespann zu einem schärferen Tempo an. Selbst wenn er an der Poststation eine Stunde Rast machte, um zu Mittag zu essen, würde er gegen vier Uhr das Schloß erreichen. Bis dahin würden auch alle auf seinen Besuch vorbereitet sein. Damit blieb ihm bis zum Abend genügend Zeit, sich mit seiner zukünftigen Braut bekannt zu machen und den Herzog von seinen Absichten zu unterrichten.

Am nächsten Morgen würde er in aller Herrgottsfrühe seinen Reitknecht nach London schicken, um seinem Sekretär den Text der Anzeige zu überbringen, die dann rechtzeitig in der Gazette erscheinen und Lord Burnham sofort ins Auge springen würde, wenn er am Mittwoch morgen die Zeitung aufschlug.

Eigentlich konnte sein Plan nicht schiefgehen, vorausgesetzt, Leone gelang es, ihren Gatten zu überreden, drei Tage abzuwarten.

Da der Marquis gern auf unvorhergesehene Zwischenfälle vorbereitet war, tröstete er sich mit der Tatsache, daß er einen ganzen Tag Zeit haben würde, sich anderweitig umzuschauen, falls die dritte Tochter des Herzogs bereits verlobt war.

Er hielt dies zwar für unwahrscheinlich, wollte aber vorsichtshalber alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.

So stand für ihn bereits fest, daß er, wenn es zum Schlimmsten kam und Burnham seine Klage trotzdem einreichte, Leone auf keinen Fall heiraten würde.

Gewiß war sie eine der schönsten Frauen, die ihm je begegnet war, und es hatte ihn nicht sonderlich überrascht, daß sie seinem Werben um ihre Gunst erlegen war, denn er hatte noch nie erlebt, daß ihn eine Schöne, die er begehrte, abgewiesen hätte.

Obwohl er sich eingestand, daß ihre Beziehung zuweilen von stürmischer Leidenschaft und recht reizvoll gewesen war, so war er doch ehrlich genug, zuzugeben, daß er sie niemals bis ans Ende seiner Tage fortführen wollte.

Allein der Gedanke daran entsetzte ihn.

Er fragte sich, warum seine Liebesaffären immer von so kurzer Dauer waren und er jeder Frau, mit der er liiert war, früher oder später überdrüssig wurde, wenn sie auch noch so schön und anmutig war.

Ganz sicher würde er niemals eine reizvollere Frau finden als Leone, die außerdem zärtlich und anschmiegsam war und ihm, wie ihre sämtlichen Vorgängerinnen auch, bedenkenlos ihr Herz geschenkt hatte.

Der Marquis hatte sich immer wieder ein wenig zynisch gefragt, wie das eigentlich bei den anderen Männern war, die nicht fähig zu sein schienen, das Feuer der Liebe in ihren Frauen zu wecken und die Glut der Leidenschaft zu schüren.

Bisher hatte ihm jede Frau schwärmerisch beteuert, noch nie so glücklich gewesen zu sein wie mit ihm, weil es mit dem eigenen Gatten viel weniger aufregend sei.

»Vermutlich bin ich ein recht guter Liebhaber«, dachte er selbstgefällig.

Er war sich seiner Vorzüge durchaus bewußt und hatte schon als kleiner Junge gelernt, auf das, was er besaß und vollbringen konnte, stolz zu sein.

Sein Vater war es gewesen, der ihn vor falscher Bescheidenheit bewahrt hatte.

»Die Welt steht dir offen, du mußt nur kämpfen und sie erobern«, hatte er immer gesagt. »Was du dir wünschst, mußt du dir holen. Vergiß den Unsinn über die Todsünden, den sie dir in der Kirche weismachen!« Lachend hatte der alte Marquis hinzugefügt: »Wenn ich mich nicht den meisten anderen überlegen fühlte, mit denen ich zu tun habe, würde ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen!«.

Sein Sohn hatte damals in sein Lachen eingestimmt und bewundernd zu seinem stattlichen Vater aufgeblickt. Der alte Marquis hatte wie ein König auf seinem Besitz geherrscht und dafür gesorgt, daß seine Ländereien vorbildlich verwaltet wurden und ihr Zustand den Neid der Nachbarn weckte oder ihnen als Vorbild diente.

Der Marquis hatte sich schon als kleiner Junge vorgenommen, seinem Vater nachzueifern, und er war diesem Vorsatz treu geblieben.

Nachdem er sein Erbe angetreten hatte, erfüllte ihn sein Besitz und das, was er erreicht hatte, mit unbändigem Stolz.