Deine Liebe ist ein Juwel

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Deine Liebe ist ein Juwel
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Deine Liebe ist ein Juwell

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~1802

Der Marquis von Fane lenkte sein rassiges Gespann die St. James Street hinunter und spürte, wie ihm neidvolle Blicke seiner Gegner, aber auch vieler seiner Freunde folgten.

Es waren nicht nur die edlen Pferde des Marquis, die bei seinen Mitmenschen Neid, Eifersucht und andere heftige Gefühle der Ablehnung weckten, sondern die Tatsache, daß er auf allen Gebieten ein Sieger war, und das hatte ihn selbst in den Kreisen um den Kronprinzen zu einer umstrittenen Persönlichkeit gemacht und ihm den Ruf eines Lebemannes eingebracht.

Als Sportsmann genoß der Marquis die Achtung der Sportwelt, doch seine häufigen Siege bei Pferderennen brachten seine Konkurrenten in Rage.

Auch in der Sportart, die das schöne Geschlecht betraf, gehörte der Marquis zu den Gewinnertypen. Die schönsten und begehrenswertesten Frauen eroberte er gewöhnlich und zuweilen schnappte er sie seinen Freunden vor der Nase weg. Man sagte ihm nach, er habe mehr gebrochene Herzen hinter sich gelassen als irgendein Beau des vergangenen Jahrhunderts. Seine Liebschaften erregten zuweilen sogar den Unwillen des Kronprinzen.

»Ich kann einfach nicht verstehen, was sie an dir finden, Fane«, hatte dieser noch vor einer Woche mißmutig bemerkt.

Der Anlaß für seine Unmutsäußerung war eine Tänzerin von Covent Garden, auf die er ein Auge geworfen hatte, ohne allerdings bei ihr landen zu können, weil der Marquis ihm zuvorgekommen war.

Seine Königliche Hoheit erwartete keine Antwort auf seine Frage, denn er kannte den Grund für die Erfolge des Marquis nur zu gut. Sein Freund sah nicht nur blendend aus, sondern verfügte auch über ein beträchtliches Vermögen und besaß prächtige Herrenhäuser, die seine Familie seit der Regentschaft von Königin Elizabeth I. mit kostbaren Kunstschätzen ausgeschmückt hatte. Daß er dazu noch selbstherrlich, zynisch und überheblich war und freimütig erklärte, noch nie geliebt zu haben, stellte für die Damenwelt eine unwiderstehliche Herausforderung dar.

»Es gibt kein weibliches Wesen auf dieser Erde, das es nicht reizen würde, einen Weiberhelden zu zähmen«, hatte noch am vergangenen Abend ein älteres Mitglied des White Club gesagt, »aber in Fanes Fall könnten sie genauso gut versuchen, einen Waldbrand mit einem Eimer Wasser zu löschen.«

Diese Bemerkung war durch die Nachricht ausgelöst worden, daß Lady Isabel Chatley überstürzt aus London abgereist sei, um sich, wie die Zeitungen es ausdrückten, »wegen einer Unpäßlichkeit auf dem Lande zu erholen«.

Jedermann wußte jedoch, daß weder die frische Landluft noch sonst etwas der Lady Heilung bringen würden, denn sie litt nach der Trennung vom Marquis von Fane an gebrochenem Herzen.

Er war ihrer überdrüssig geworden, als der Graf Anfang April nach London zurückgekehrt war. Gegen Ende des Monats wußte man allgemein über das Erkalten seiner Gefühle und ihre Verzweiflung Bescheid. Immer wieder hatte sie hysterische Ausbrüche, in denen sie kundtat, sie wünschte tot zu sein. Daß sie schließlich ihre verzweifelten Bemühungen, den Marquis wieder einzufangen, aufgegeben und sich aufs Land zurückgezogen hatte, war von allen, die sich ihr ständiges Gejammer hatten anhören müssen, mit Erleichterung aufgenommen worden.

Er hätte, bevor er einen Flirt oder was es sonst gewesen war, mit ihr anfing, erkennen müssen, daß Lady Isabel zur »anhänglichen Sorte« gehörte.

Ein anderes Clubmitglied meinte: »Daß er so skrupellos mit den Gefühlen anderer Menschen umgeht und sich den Teufel darum schert, wie sehr er ihnen weh tut, das kreide ich ihm an.«

Die jüngeren Clubmitglieder, die der Unterhaltung der beiden alten Gentlemen beiwohnten, wünschten sich insgeheim, beim schönen Geschlecht nur halb so erfolgreich zu sein wie der Marquis.

Der Marquis lenkte geschickt die Pferde am Ende der St. James Street dem Carlton House zu.

Im Grunde langweilte es ihn, der Einladung des Prinzen Folge leisten zu müssen, denn er hatte die Absicht gehabt, sich in sein Stadthaus am Berkeley Square zu begeben, um sich für das Dinner mit Lady Abbott umzukleiden. Sie hatte gestern abend in Devonshire House seine Aufmerksamkeit erregt, weil das Gewand, das sie trug, so durchsichtig war, daß er im ersten Augenblick geglaubt hätte, sie sei nackt. Er war Lady Abbott schon zu verschiedenen anderen Anlässen begegnet, aber erst gestern hatte er ihre makellose Figur bemerkt.

Daraufhin hatte er beschlossen, daß sie mehr als einen flüchtigen Blick wert sei, und er wußte sicher, daß besagte Lady seiner Einladung folgen würde.

Ihr dunkles Haar und die mandelförmigen Augen erinnerten ihn an einen Panther, und die Unterhaltung, die sie während eines Spaziergangs führten, war die reizvolle Mischung aus Flirt und geistreichen Bemerkungen, die ihn amüsierte.

Wie der Prinz, so bevorzugte auch der Marquis Frauen, die sich in der Liebeskunst auskannten und weltgewandt waren.

Besorgte Mütter pflegten daher völlig grundlos ihre Töchter zu verscheuchen, wenn er in ihre Nähe kam.

Wenn seine Verwandten sich gelegentlich erkühnten, ihn daran zu erinnern, daß es Zeit sei, sich zu vermählen und für einen Stammhalter zu sorgen, ließ er sie jedes Mal abfahren.

Insgeheim nahm er sich jedoch vor, daß er, falls er sich jemals vermählen sollte, sich für eine Witwe entscheiden würde. Sie müßte sich in den gesellschaftlichen Kreisen, in denen er sich bewegte, auskennen und seinem Bedürfnis, ständig amüsant unterhalten zu werden und ein abwechslungsreiches Leben zu führen, entgegenkommen. Nichts fürchtete der Marquis mehr als Langeweile.

Wenn er an Pferderennen oder Boxveranstaltungen teilnahm oder sich auf die Jagd begab, dann empfand er die damit verbundene Aktivität als besonders anregend. Zu seinem Leidwesen ließen sich die Frauen immer viel zu schnell erobern und fielen ihm regelrecht um den Hals. Obwohl er dem Abend in Lady Abbotts Gesellschaft mit freudiger Erwartung entgegensah, hatte er das unbehagliche Gefühl, daß dieser Abend genauso enden würde wie alle anderen zuvor, an denen er eine neue Flamme zu sich eingeladen hatte. Er fuhr vor der korinthischen Säulenhalle vor, die der Künstler Henry Holland für Carlton House entworfen hatte.

Der Palast war noch weit von seiner Vollendung entfernt, wurde aber bereits von den Anhängern des Prinzen als triumphaler Erfolg gefeiert, während seine Gegner das kostspielige Bauwerk als die größte Fehlinvestition aller Zeiten kritisierten. Die Schulden des Prinzen näherten sich mittlerweile einer halben Million Pfund und waren zum größten Teil dem kostspieligen Ausbau des pompösen Palastes zuzuschreiben. Der Marquis gestand dem Prinzen jedoch einen ausnehmend guten Geschmack zu und war ganz sicher, daß die Nachwelt die Werke, die der Prinz angeschafft hatte, entsprechend würdigen würden.

Der Marquis betrat die prachtvolle von ionischen Säulen aus braunem Siena-Marmor getragene Halle und begab sich über die geschwungene Doppeltreppe nach oben.

Der Prinz, von seiner Erziehung und Überzeugung her ein Kosmopolit, hatte Freunde und Kunsthändler nach Frankreich geschickt, sobald die Nachwehen der Revolution verebbt waren, um Stilmöbel und Kunstgegenstände aller Art für ihn zu erwerben. So waren Gemälde, Uhren, Bronzestatuen, Sèvres-Porzellan, Seidentapeten und andere erlesene Stücke in seinen Besitz gelangt und hatten einen würdigen Rahmen gefunden.

Der Prinz besaß die bedeutendste Kunstsammlung, die ein Engländer jemals zusammengetragen hatte.

Der Marquis hatte seinerseits die Gemäldesammlung um einen Pater Greuze, einen le Nain und einen Claude bereichert, die der Prinz geschmackvoll und mit Stil in seinen neuen Räumlichkeiten zur Schau stellte.

Es war auffallend, daß unter den adligen Gentlemen, mit denen der Kronprinz sich umgab, zwar intelligente Leute waren, aber kaum einer über so viel Kunstverstand verfügte wie der Marquis. Das lag wohl daran, daß in den Häusern, die er besaß, Gemälde und Kunstschätze von unermeßlichem Wert waren, die einem Vergleich mit der Kunstsammlung des Kronprinzen jederzeit standhalten konnten.

Der Marquis wußte, daß die Königin sich unwillig dazu geäußert hatte: »Der Marquis von Fane verleitet George zur Verschwendung, indem er vor ihm mit seinen eigenen Reichtümern protzt.«

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn schließlich konnte der Marquis nichts dafür, wenn der Kronprinz nach einem Besuch in Fane Park in Hertfordshire oder Fane House am Berkeley Square den Wunsch verspürte, seinen Freund in irgendeiner Weise zu übertrumpfen.

Der Prinz erwartete den Marquis in seinem in chinesischem Stil gehaltenen Lieblingssalon, dessen Ausstattung ihn ein Vermögen gekostet hatte.

An diesem Abend galt das Interesse des Prinzen ausschließlich einem Gemälde, das er nachdenklich betrachtete, als der Marquis ihm gemeldet wurde.

»Da bist du ja, Virgo!« rief er lebhaft aus. »Warum, zum Teufel, hast du so lange gebraucht, um hierher zu kommen?«

»Bitte um Vergebung, Sire«, erwiderte der Marquis gelassen. »Ich war nicht zu Hause, als Eure Nachricht eintraf, bin jedoch sofort nach meiner Rückkehr Eurer Aufforderung nachgekommen.«

»Jedenfalls bist du jetzt hier, und das allein zählt«, sagte der Prinz. »Tritt näher und sieh dir das an!«

Der Marquis trug eine unwillige Miene zur Schau, während er den Raum durchquerte, denn nach der Dringlichkeit der Nachricht des Prinzen zu urteilen, hatte er etwas Interessanteres erwartet, als ein Gemälde begutachten zu müssen.

 

Es schmeichelte ihm zwar, daß der Prinz niemals einen größeren Kunstgegenstand erwarb, ohne vorher sein Urteil eingeholt zu haben, aber im Augenblick bedauerte er, sich nicht vorher die Zeit zu einem Bad und zum Umkleiden genommen zu haben, um sich gleich von Carlton House aus zu Lady Abbott begeben zu können.

Das Gemälde war sehr groß und, wie er mit Kennerblick feststellte, in sehr gutem Zustand. Er betrachtete es eine Weile eingehend und sagte dann in gedehntem Tonfall: »Es scheint sich um einen Van Dyke zu handeln.«

»Schau es dir genauer an, Virgo. Fällt dir nichts auf?«

Die Stimme des Prinzen klang so erregt, daß der Marquis sich bemüßigt fühlte, sich näher mit den Einzelheiten des Gemäldes zu befassen. Er stellte fest, daß das in Rot und Dunkelblau gehaltene Gewand der Madonna deutlich den Stil Van Dykes verriet, ebenso die Schönheit der schlanken Hände. Das Jesuskind war rosig und pausbackig. Wie die meisten seiner Gemälde so verriet auch dieses das bemerkenswerte psychologische Einfühlungsvermögen des Künstlers. Dann betrachtete der Marquis das Gesicht der Muttergottes eingehender, und plötzlich trat ein verblüffter Ausdruck in seine Augen.

Der Prinz, der ihn die ganze Zeit beobachtet hatte, lächelte erfreut.

»Du hast es auch bemerkt, nicht wahr? Ich wußte, daß es dir auffallen würde. Ich bemerkte es schon in dem Moment, als ich das Gemälde zu Gesicht bekam.«

»Die Ähnlichkeit ist verblüffend«, murmelte der Marquis.

»Sie steht außer Frage«, bekräftigte der Prinz. »Überzeuge dich selbst.«

Er förderte ein anderes Gemälde zutage, das er hinter dem Sofa aufbewahrt hatte, und stellte es neben den Van Dyke. Es handelte sich ebenfalls um eine Abbildung der Muttergottes, die er und der Marquis im vorigen Jahr aufgestöbert und für einen einmaligen Fund erachtet hatten.

Stefan Lochners Gemälde waren auf dem Kontinent anzutreffen, aber es war nicht eines davon nach England gelangt. Dem Prinzen war es jedoch gelungen, eines der Madonnenbilder zu erwerben, das die anmutige, träumerische Gestalt der Muttergottes zeigte, die mit ihrer Umgebung zu verschmelzen schien. Es war sehr teuer gewesen, weil die Gemälde dieses Künstlers eine Rarität waren, und der Kunsthändler, der es für den Prinzen erworben hatte, vermochte wenig über die Geschichte des Gemäldes zu ermitteln, außer daß es aus einer privaten Sammlung stammte.

Den Prinzen hatte das Bild in schwärmerische Begeisterung versetzt, und er verehrte es wie ein Heiligtum.

Der Marquis hatte ihm nachfühlen können, weshalb die Madonna von Lochner ihn so bewegte, weil es ihm selbst ähnlich erging. Er war zwar nicht so schwärmerisch veranlagt wie der Prinz, aber der Anblick hatte in ihm das Gefühl erweckt, einer mittelalterlichen Ballade zu lauschen, die von den Klängen eines Spinetts begleitet wurde.

»Verdammt!« hatte er später, als er allein war, ausgerufen. »Ich wünschte, ich hätte das Kleinod für mich entdeckt!«

Jedes Mal, wenn er Carlton House einen Besuch abstattete, lenkte er seine Schritte zum Musikzimmer, um das Gemälde, das sich »Die Heilige Jungfrau im Lilienhain« nannte, zu betrachten. Der Titel war mit zierlicher Handschrift auf der Rückseite des Rahmens vermerkt und offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt nachgetragen worden. Er hatte sich dem Marquis fest eingeprägt und war ihm nicht mehr aus dem Sinn gegangen.

In diesem Augenblick jedoch glaubte er seinen Augen nicht zu trauen, denn das Madonnenantlitz trug die gleichen Züge wie das auf dem Van Dyke-Gemälde.

Die Komposition des Bildes war natürlich völlig anders als bei Van Dyke, dessen Gestalten nicht so ätherisch und zerbrechlich wirkten, aber die Ähnlichkeit der beiden Madonnen war unverkennbar.

»Es ist unfaßbar!« rief der Marquis schließlich aus.

»Wie konnte eine so verblüffende Übereinstimmung entstehen? Sollte Van Dyke Lochner kopiert haben?« überlegte der Prinz.

»Das ist höchst unwahrscheinlich«, entgegnete der Marquis. »Er war viel zu stolz, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, irgendeinen anderen Künstler zu kopieren, und er war bekannt dafür, daß er stets Modelle für seine Gemälde benutzte.«

»Es wäre ihm aber nicht möglich gewesen, dasselbe Modell zu verwenden wie Lochner«, stellte der Prinz fest.

Der Marquis nickte nur und rief sich ins Gedächtnis zurück, daß die Ratsherren in Köln etwa siebzig Jahre nach Lochners Tod den von ihm gemalten »Dreikönigs-Altar« stolz Albrecht Dürer, einem berühmten zeitgenössischen Künstler, anläßlich seines Besuches in Köln gezeigt hatten.

Über den Maler konnten sie ihm nicht mehr sagen, als daß er aus Meersburg am Bodensee stammte und im Armenhaus gestorben war. Man nahm inzwischen allgemein an, daß er zwischen 1451 und 1460 verstorben war.

Als habe er die Gedanken des Marquis erraten, sagte der Prinz: »Van Dyke wurde im Jahre 1599 geboren und starb 1641 in London.«

»Dann muß er das Lochner-Gemälde während eines Auslandsaufenthalts kopiert haben.«

»Das ist anzunehmen«, sagte der Prinz, »aber merkwürdigerweise ist auf keinem seiner anderen Gemälde ein ähnliches Antlitz von so überirdischer Schönheit zu finden.«

»Das ist wahr«, pflichtete der Marquis ihm bei. »An der Echtheit besteht kein Zweifel?«

»Isaacs, der es mir anbot, versicherte mir, es sei eines der vollkommensten Van Dyke-Bilder, das er je gesehen habe.«

»Isaacs wollte es verkaufen, daher die Lobeshymnen«, bemerkte der Marquis spöttisch. »Isaacs war es auch, der Euch den Lochner brachte!«

»Ja, natürlich«, erwiderte der Prinz. »Das ist mir klar.«

»Ich frage mich nun«, sagte der Marquis nachdenklich, »ob wir nicht doch einer Fälschung aufgesessen sind.«

»Wenn das der Fall wäre, dann müßte der Maler auf seine Weise ein Genie sein«, gab der Prinz zu bedenken. »Schau dir den Faltenwurf des Gewandes, den Teint des Jesuskindes an! Das ist genau im Stil Van Dykes gemalt.«

Die Aufmerksamkeit des Marquis galt mehr dem Lochner und er stellte außer der Madonnenfigur weitere Ähnlichkeiten zwischen beiden Bildern fest, die einem weniger kritischen Betrachter entgangen wären. Das Gewand der »Heiligen Jungfrau im Lilienhain« war völlig anders als das der Van Dyke-Madonna, und doch sah der Kennerblick des Marquis gewisse Ähnlichkeiten in der Pinselführung der beiden Bilder. Er betrachtete beide Gemälde noch eine Weile sehr eingehend, und sein Instinkt sagte ihm, daß irgendetwas an den beiden Bildern verdächtig war.

Er spürte, daß der Prinz auf eine Äußerung von ihm wartete, und so bemerkte er schließlich seufzend: »Merkwürdig, höchst merkwürdig, aber im Augenblick kann ich keine Erklärung dafür finden. Ich sage Euch, was ich tun werde, Sire: Ich versuche, von Isaacs mehr über die Herkunft der Bilder zu erfahren.«

»Eine großartige Idee!«

»Habt Ihr ihm schon viel abgekauft?«

»Nur den Lochner«, erwiderte der Prinz. »Er bot mir drei, vier Portraits an, die nichts Besonderes waren, so daß ich es für überflüssig hielt, sie dir zu zeigen. Und dann waren wir beide, wie du dich erinnerst, Feuer und Flamme für den Lochner. Ich habe mehr dafür bezahlt, als ich mir leisten konnte, aber ich behaupte nach wie vor, daß er es wert war.«

»Ich ebenfalls«, pflichtete der Marquis ihm bei.

Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, als er sich daran erinnerte, daß der Prinz zwar den Preis ausgehandelt, er selbst ihn aber bezahlt hatte.

»Laß mich mal überlegen«, sagte der Prinz und legte die Hand an die Stirn. »Im vergangenen Jahr brachte Isaacs mir einen El Greco, der zu verrottet war, um von Interesse für mich zu sein, und außerdem einen anderen Van Dyke, den ich ebenfalls ablehnte.«

»Daran erinnere ich mich. Sonst noch was?«

»Nein, ich glaube, das war alles, bis er heute hier mit seinem Van Dyke erschien.«

»Zweifellos ein wunderschönes Bild«, sagte der Marquis, »doch ich möchte Euch raten, Sire, die Ähnlichkeit mit dem Lochner nicht zu erwähnen, bis ich entsprechende Nachforschungen angestellt habe.«

»Ich überlasse alles dir, Virgo«, sagte der Prinz. »Du weißt, daß ich deinem Urteil blind vertraue.«

»Auf jeden Fall habt Ihr mein Interesse geweckt, Sire, und ich versichere Euch, daß ich sofort herauszufinden versuche, wo Isaacs die beiden Gemälde erworben hat. Im Nachhinein muß ich sagen, daß wir uns nicht mit seinen vagen Angaben über den Lochner hätten zufriedengeben dürfen.«

»Du hast recht! Du hast völlig recht!« pflichtete der Prinz ihm bei. Mit jungenhaftem Lächeln fügte er hinzu: »Wir waren wohl beide so entzückt davon, daß wir es um jeden Preis haben wollten, ohne viele Fragen zu stellen.«

»Mir kam damals der Verdacht, es könnte gestohlen sein«, gestand der Marquis.

»Mir ebenfalls!« rief der Prinz lebhaft aus.

»Nun, wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, Sire . . .«, begann der Marquis, wurde aber von dem Prinzen unterbrochen: »Du darfst mich jetzt nicht verlassen, Virgo. Ich möchte mich noch ausführlich mit dir über die Gemälde und viele andere Dinge unterhalten.«

Er war offensichtlich enttäuscht, weil der Marquis sich so rar bei ihm machte.

»Nichts wäre mir lieber, als Eure Einladung anzunehmen, Sire, wenn ich nur früher davon erfahren hätte. Ihr werdet jedoch verstehen, daß es höchst ungalant wäre, wenn ich meine Verabredung im letzten Moment absagte.«

Der Prinz lächelte.

»Es ist nicht schwer zu erraten, daß du mit einer charmanten Schönheit dinieren willst.« Er zwinkerte vielsagend mit den Augen. »Sei vorsichtig, Virgo! Du weißt, daß du mindestens einen ebenso schlechten Ruf genießt wie ich und wir uns keinen Skandal mehr leisten können.«

Der Marquis winkte lächelnd ab.

»Wir können doch tun, was wir wollen, Sire, es wird immer Leute geben, die über uns tratschen und die notfalls Dinge erfinden, falls die Tatsachen nicht ausreichen.« Er hob mit einer ausdrucksvollen Geste beide Hände und fügte hinzu: »Wenn man mich schon mit Worten an den Galgen bringt, dann möchte ich mir auch das Vergnügen des Verbrechens gönnen, dessen man mich bezichtigt.«

Der Prinz warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

»Das ist gut, Virgo, und sehr beruhigend. Ich empfinde ebenso, also werden wir gemeinsam zum Galgen marschieren. Bleibt nur zu hoffen, daß es sich lohnt.«

»Das. nehme ich stark an, Sire«, erwiderte der Marquis, »aber man ist bekanntlich vor Enttäuschungen nie sicher.«

»Mein lieber Virgo«, sagte der Prinz mit gespieltem Ernst, »werde mir nur nicht zum Zyniker.«

»Bei Gemälden und Pferden gewiß nicht«, entgegnete der Marquis.

»Aber bei Frauen, wie? Gib die Hoffnung nicht auf. Vielleicht finden wir eines Tages die ,Heilige Jungfrau im Lilienhain‘ und stellen fest, daß sie genauso bezaubernd ist, wie Lochner sie gemalt hat.«

»Ich halte das zwar für höchst unwahrscheinlich, aber warum nicht weiter hoffen«, entgegnete der Marquis.

Wieder lachte der Prinz und verabschiedete den Marquis mit einer leutseligen Handbewegung.

Während der Marquis nun durch die St. James Street heimwärts fuhr, beschlich ihn leises Bedauern darüber, daß er die Einladung des Prinzen, mit ihm im Carlton House zu dinieren, abgelehnt hatte. Der Grund seines Bedauerns lag darin, daß ihm die grünen Katzenaugen der Lady Abbott plötzlich gar nicht mehr so verführerisch erschienen wie in den frühen Morgenstunden dieses Tages. Die Erinnerung an das aparte Gesicht der Lady wurde überschattet von der natürlichen Anmut der »Heiligen Jungfrau im Lilienhain«.

Ihre Augen blickten verträumt und versonnen in die Welt, und von ihrer Gestalt ging eine wunderbare Grazie aus. Ihr helles Haar wurde von einer mit Blumen geschmückten Krone gehalten, und in den oberen Ecken des Bildes blickten kleine Engel neugierig auf sie herunter. Das Gesicht der Heiligen Jungfrau ließ den Marquis nicht mehr los. Noch nie hatte auf irgendeinem Gemälde oder gar bei einem lebenden weiblichen Wesen ein rätselhafter Augenausdruck einen solchen Zauber auf ihn ausgeübt.

Ich wünschte, ich wäre ihr begegnet, dachte er versonnen. Doch während er das Gespann vom Piccadilly zum Berkeley Square lenkte, schalt er sich für seine törichten Gedanken.

Lady Abbott würde sich zweifellos als amüsant erweisen, und wenn sie sich zumindest zum Schein ein wenig gegen seine Annäherungsversuche sträubte, dann wäre der Abend gerettet. Er hoffte nur, daß ihm die unvermeidliche Eroberung nicht zu leicht gemacht und nicht zu rasch über die Bühne gehen würde.

 

Cyrilla öffnete die schäbige, ungebeizte Tür des Hauses, trug den Korb in den Flur und setzte ihn vorsichtig auf dem Boden ab, bevor sie die Tür wieder hinter sich schloß.

Dann nahm sie den Korb wieder auf und begab sich in die kleine Küche.

Eine grauhaarige Frau rührte in einem Topf herum, der auf dem Herd stand. Sie drehte sich zu dem Mädchen um und sagte: »Der Doktor hat sich noch nicht blicken lassen.«

»Er hat mir versprochen zu kommen«, erwiderte Cyrilla mit dünner Stimme, die ängstlich klang, »aber er fürchtet wohl, wir können ihn nicht bezahlen.«

»Das wird wohl stimmen«, entgegnete Hannah. »Hast du alles eingekauft, was ich dir aufgetragen habe?«

»Ja, Hannah. Es hat uns den letzten Penny gekostet. Wir haben nichts mehr. Wenn Mr. Isaacs uns heute nicht das Geld für das Bild bringt, dann . . .«

»Er müßte längst hier sein«, sagte Hannah ungehalten. »Ich traue diesem Menschen nicht über den Weg.«

»Aber er ist der einzige Kunsthändler, der nach Papas Erkrankung freundlich zu uns war«, hielt Cyrilla ihr entgegen. »Uns bleibt doch gar nichts anderes übrig, als etwas zu verkaufen, wenn wir nicht verhungern wollen, Hannah.«

»Und wenn es nichts mehr gibt, was wir verkaufen können? Was dann?« fragte Hannah in scharfem Ton.

Cyrilla antwortete nicht. Sie legte den Mantel ab und spürte bleierne Müdigkeit in den Gliedern. In den letzten Wochen hatte sie alles, was sie erübrigen konnten, für die Arznei ausgegeben, die ihr Vater brauchte. Hannah und sie hatten sich nur von Gemüse und Eiern ernährt, weil sie sich nichts anderes leisten konnten.

Vor drei Tagen hatte sie den Van Dyke, das Bild, das Frans Wyntack gemalt hatte, bevor die Krankheit ihn niedergeworfen hatte, Solomon Isaacs zum Verkauf angeboten.

Erschrocken über ihre eigene Kühnheit hatte sie die letzten noch notwendigen Pinselstriche vorgenommen und das Bild nach dem Verfahren, das Frans Wyntack geradezu genial beherrschte, patiniert.

Damals, als ihre Mutter erkrankt war und dringend ärztlicher Hilfe bedurfte, war dem Künstler endgültig klar geworden, daß seine eigenen Bilder sich nicht verkaufen ließen, und er hatte voller Bitterkeit und Haß zu Cyrilla gesagt: »Wenn sie meine Bilder nicht haben wollen, dann werde ich ihnen eine Lektion erteilen, die sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen werden!«

»Was meinst du damit, Papa?« hatte Cyrilla ihn gefragt.

»Damit meine ich«, erwiderte Frans Wyntack, »eine gewisse Technik des Fälschens, die ich während meiner Lehrzeit vor vielen Jahren in Köln erlernt habe.«

Cyrilla blickte ihn erschrocken an, und er fuhr fort: »Ich kannte da einen Mann, der wohl ein bißchen verrückt, aber auf seine Art genial war. Er pflegte den ganzen Tag in der Gemäldegalerie zu verbringen und zu malen. Da ich ihm sehr oft begegnet bin, begann ich mich für seine Bilder zu interessieren.«

»Er kopierte die Gemälde, die in der Galerie ausgestellt waren?« fragte Cyrilla.

»Richtig«, bestätigte Frans Wyntack, »aber er tat das so meisterhaft, und raffiniert, daß er manchmal lachend eines seiner Bilder hochhielt und mich fragte: ,Wenn das gerahmt an der Wand hinge, würdest du dann noch erkennen, welches das Original ist?‘«

»So gut waren seine Fälschungen?«

Cyrilla glaubte nicht recht an das, was Frans Wyntack ihr da erzählte, zumal sie von ihm wußte, daß er Fälschungen ebenso verabscheuungswürdig fand wie die Händler, die ein Bild ,aufbereiteten‘, um einen besseren Preis dafür zu erzielen.

»Was ist aus ihm geworden, Papa?« fragte sie, als er schwieg und mit den Gedanken weit weg zu sein schien.

»Dem Maler?« fragte er dann. »Nun, hin und wieder verkaufte er eines seiner Bilder an Leute, die auf eine gute Kopie scharf waren, doch vermutlich ist er letztendlich elend verhungert wie so viele in unserem Gewerbe.«

»Ich verstehe nicht. . . warum erzählst du mir gerade jetzt von ihm?« wollte Cyrilla wissen.

»Das will ich dir erklären. Kurz vor meiner Abreise aus Köln hat er mich in die Kunst des Fälschens eingeweiht; er hat mich gelehrt, wie man den Stil eines berühmten Künstlers nachahmt, wie man die Leinwand präpariert, bestimmte Farbmischungen benutzt und das Bild nach Fertigstellung mit einer Politur versieht und patiniert, so daß kein Käufer mehr erkennen kann, daß es nicht bereits vor einigen Jahrhunderten gemalt worden ist.«

Cyrilla blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, als er fortfuhr: »Diese Fertigkeit werde ich mir jetzt zunutze machen. Die Kunstwelt hat mich so niederträchtig behandelt, daß ich keine Gewissensbisse habe, mir meine Taschen auf diese Weise zu füllen.«

»Aber . . . Papa, das wäre doch Betrug! Außerdem ist es strafbar!«

»Nur, wenn du dich erwischen läßt!« entgegnete Frans Wyntack.

Obwohl sie mit allen Mitteln versuchte, ihm sein Vorhaben auszureden, suchte er Sir George Beaumont auf, einen bekannten Kunstmäzen, der Künstlern erlaubte, seine private Gemäldesammlung zu besichtigen und berühmte Bilder ausländischer Maler zu kopieren. Frans Wyntack gehörte zu den Malern, die dieses Privileg genossen, und er machte oft Skizzen von Bildern, die ihm gefielen, um zu Hause dann den Stil zu kopieren. Er verkaufte das Bild gewöhnlich an einen Händler und begab sich wieder in Sir Georges Galerie, um sich ein anderes Motiv auszusuchen.

Die fertigen Werke riefen bei Cyrilla helle Begeisterung hervor.

»Sie sind grandios, Papa! Einfach grandios! Aber trotzdem ist es unrecht!«

Sie freute sich jedoch, als Frans Wyntack ihr eine Woche später genügend Geld gab, um nicht nur ihre Schulden zu bezahlen, sondern auch für die kranke Mutter alles Nötige einkaufen zu können.

»Ich muß mir einen anderen Kunsthändler suchen, und das wird ziemlich schwierig werden«, vertraute Frans Wyntack ihr an.

»Was hast du gegen den Mann, der bisher deine Bilder verkauft hat?« fragte Cyrilla verständnislos.

»Es ist viel zu gefährlich, weiter zu ihm zu gehen. Er kennt mich zu gut und war schon in unserem Haus. Er weiß genau, daß ich keine wertvollen Gemälde besitze.«

»Warum hat er dir dann bisher die Bilder abgekauft?«

Ihr Vater lachte bitter.

»Er glaubt, ich hätte sie gestohlen, und hat es deshalb unterlassen, Fragen nach ihrer Herkunft zu stellen.«

»Aber . . . Papa, wie . . . kannst du es zulassen, daß dich jemand für einen gemeinen Dieb hält?«

»Meinetwegen kann er mich für sonst was halten, Hauptsache, er bezahlt gut«, entgegnete Frans Wyntack ungerührt. »Bedauerlicherweise hat sich in diesem Falle das Verbrechen nicht bezahlt gemacht. Er hat mich auf einen viel niedrigeren Preis heruntergehandelt, als ich zu akzeptieren bereit war.«

Er schien verärgert, und Cyrilla versuchte, ihn zu beruhigen: »Immerhin konnten wir alles Nötige für Mama besorgen und die Arztrechnung davon bezahlen.«

»Was hat der Arzt heute gesagt?« erkundigte sich Frans Wyntack.

»Daß sie Ruhe braucht und nahrhafte Speisen. Er hat ihr wieder eine Menge Medikamente verschrieben, aber bisher hat keines davon geholfen.«

Frans Wyntack preßte die Lippen zusammen, und wenig später hörte Cyrilla ihn nach oben zur Schlafkammer ihrer Mutter eilen.

Cyrilla lauschte seinen Schritten nach, und in dem Augenblick, als die Schlafzimmertür hinter ihm ins Schloß fiel, schwor sie sich: »Mama darf niemals erfahren, was Papa tut. Sie wäre entsetzt, wenn sie wüßte, daß er Bilder fälscht und die Käufer bewußt damit betrügt. Es ist unrecht. . . aber ich weiß nicht, wie er uns sonst helfen sollte.«

Doch alle Mühe um die Kranke war vergebens. Der Zustand ihrer Mutter verschlechterte sich von Tag zu Tag. Sie schien ihnen immer mehr zu entgleiten und wurde immer schwächer, und als Frans Wyntack eines Morgens neben ihr aufwachte, war sie tot.

Cyrilla hatte das Gefühl, eine Welt stürze ein. Ihre Mutter war der Mittelpunkt ihres Lebens, ihres Glücks und ihres Zuhauses gewesen. Ohne sie fühlte sie sich verloren.