Jagd nach dem Glück

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Jagd nach dem Glück
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Jagd nach dem Glück

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1979

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1885

Der Herzog betrat das Speisezimmer, und zwei der Damen, die gerade frühstückten, standen hastig auf.

»Guten Morgen, Hermione«, sagte er, und seine Augen ruhten einige Sekunden lang auf der rosigweißen Schönheit seiner Tochter.

»Guten Morgen, Papa«, antwortete Lady Hermione.

Schweigend schaute er zu dem Mädchen hinüber, das sich auf der anderen Seite des Tisches erhoben hatte.

»Guten Morgen, Onkel Lionel«, sagte es rasch.

Ohne etwas zu erwidern, gab er einen Laut von sich, der beinahe wie ein Stöhnen klang, und setzte sich ans Kopfende des Tisches.

Der Butler eilte herbei und stellte einen Silberständer mit der Times vor ihn hin, die im Anrichtezimmer sorgsam geglättet worden war. Ein Lakai brachte eine dampfende Kanne Kaffee und füllte eine Tasse für den Herzog, ein anderer reichte ihm eine mit Wappen verzierte Silberplatte.

»Schon wieder Bries?« fragte der Herzog. »Was gibt es sonst noch?«

»Nieren, Euer Gnaden, Speck mit Eiern und Lachs-Kedgeree.«

Der Herzog überlegte kurz, dann nahm er sich mit einer Miene, die besagte, daß er dies alles widerwärtig fand, etwas von dem zuerst angebotenen Bries.

»Du mußt müde sein, Lionel«, bemerkte die Herzogin in fürsorglichem Ton. »Gestern abend hatte der Zug größere Verspätung denn je.«

»Die Dienstleistungen bei der Eisenbahn werden immer schlechter«, entgegnete er. »Ich hatte gehofft, mit einem früheren Zug zu fahren, wurde aber aufgehalten.«

»Aufgehalten?«

»Davon wollte ich dir erzählen«, erklärte er in bedeutsamem Ton, und die Herzogin nahm an, daß er erst dann sprechen wollte, wenn die Dienstboten den Raum verlassen hatten.

Das Silbergestell mit heißen Toastscheiben und eine goldene Glocke wurden neben seinem Ellbogen platziert. Dann zogen sich der Butler und die Lakaien zurück, und sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, richteten sich drei erwartungsvolle Augenpaare auf das Kopfende der Tafel.

Der Herzog war ein attraktiver Mann. In seiner Jugend hatte er als äußerst hübsch gegolten, doch jetzt färbte sich sein Haar grau, und die tiefen Furchen in seinem Gesicht ließen ihn älter erscheinen, als er war. Trotzdem war er aufgrund seiner würdevollen, gebieterischen Haltung eine herausragende Persönlichkeit, wo immer er in Erscheinung trat. Und wie man wußte, genoß Königin Victoria, die sich gern mit gutaussehenden Männern umgab, seine Gesellschaft. Obwohl ihn dieser Umstand zu häufigen Reisen nach London zwang, fühlte er sich geschmeichelt, weil Ihre Majestät so oft Rat bei ihm suchte und auf seiner Anwesenheit bei zahlreichen offiziellen Veranstaltungen am Hof bestand.

Die Herzogin hatte die Jahre nicht so gut bewältigt wie ihr Mann. Bei der Hochzeit war sie ein hübsches blondes Mädchen gewesen, aber nun wirkte sie ein wenig verwelkt, was ihrer besonderen Ausstrahlung allerdings keinen Abbruch tat. Sie verbreitete eine Aura, die fremde Leute nervös machte und den Partys auf Langstone Castle eine steife Atmosphäre verlieh. Dadurch entwickelten sich diese Feste für jene, die das erste Mal daran teilnahmen, zur Qual.

Lady Hermione war der ganze Stolz ihres Vaters. Die hübsche junge Dame besaß einen makellosen, typisch englischen Teint, goldblondes Haar und Augen, die hellblau schimmerten wie Drosseleier. Vermutlich hätte man ihr nicht so viel Aufmerksamkeit und Bewunderung gezollt, wäre sie als unbedeutendes Mädchen ohne gesellschaftlichen Rang geboren worden. Doch da sie die Tochter eines Herzogs war, fügte der Glanz dieser Position ihrem Aussehen ein gewisses Flair hinzu. Deshalb wirkte sie in den Augen jener, die sie betrachteten oder sich in den Gesellschaftsspalten der Zeitungen über sie informierten, viel schöner, als es den Tatsachen entsprach.

Das zweite Mädchen am Frühstückstisch machte einen ganz anderen Eindruck. Alita Lang, die Nichte des Herzogs, fristete bei Onkel und Tante ein leidvolles Dasein und hielt sich nur dann in den vorderen Räumen des Hauses auf, wenn die Familie unter sich war.

Lady Hermione, stets nach der neuesten Mode gekleidet, trug ein Modell mit kunstvollen Drapierungen und Stickereien an der Vorderseite sowie einer üppigen Turnüre. Damit konnte Alita nicht mithalten. Ihr Kleid in häßlichem Braun - schmucklos und offensichtlich von ungeübter Hand angefertigt - ließ ihre Haut fahl erscheinen. Daran mochte es vielleicht liegen, daß ihr Onkel sie immer nur kurz und angewidert ansah, um sofort wieder wegzuschauen.

Aber Alita hatte sich längst daran gewöhnt, wie sie von ihren Verwandten behandelt wurde, und so fühlte sie sich nicht mehr verletzt. Als wäre sie durch diese Mißachtung ihrem eigenen Aussehen gegenüber völlig gleichgültig geworden, hatte sie ihr Haar zu einem unordentlichen Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt. Sie bemühte sich nicht, einzelne Strähnen zu bändigen, die den Klammern entkommen waren und unkleidsam zu beiden Seiten ihres Gesichts herabhingen. Die Augen, die nun den Herzog betrachteten, waren grau und paßten zu ihrem Haar, dessen ungewöhnliche Farbe irgend jemand einmal als »aschblond« bezeichnet hatte. Aber das war vor langer Zeit gewesen. Damals hatten ihre Eltern und auch sie selbst großen Wert auf ihr Äußeres gelegt.

Jetzt nahm sie sich nur selten die Mühe, in den Spiegel zu schauen, wenn sie morgens aufstand. Und falls sie es manchmal tat, während sie sich für das Dinner umkleidete, dann nur, damit sie nicht ungekämmt aussah und ihre Tante zu einem Tadel veranlaßte.

»Was ich erzählen wollte . . .«, begann der Herzog nun in jenem gemessenen, pompösen Ton, der seine Zeitgenossen oft erzürnte. »Yeovil, der Treuhänder des armen D’Ardy, hielt mich im Club auf und besprach mit mir den Verkauf des Marshfield-Anwesens.«

»Es ist verkauft worden?« rief die Herzogin. »Warum hat mir das niemand mitgeteilt?«

»Soeben hast du es gehört, meine Liebe«, erwiderte er.

»Erst vor einer Woche fragte ich Mr. Bates, ob ein Käufer in Sicht sei«, beschwerte sie sich, »und er versicherte mir, für ein so großes Haus würde sich kaum jemand interessieren. ,Die Treuhänder hoffen, einen Millionär aufzutreiben‘, sagte er wortwörtlich.«

»Genau den haben sie gefunden.«

»Einen Millionär?«

»Einen Multimillionär«, erklärte der Herzog.

»Oh Papa, wie aufregend!« kreischte Hermione.

»Es ist in der Tat aufregend, Hermione«, bestätigte der Herzog. »Vor zwei Tagen machte mich der amerikanische Botschafter mit dem bewußten Gentleman auf Windsor Castle bekannt.«

»Der amerikanische Botschafter?« wiederholte die Herzogin.

»Der Käufer von Marshfield House stammt aus Amerika, meine Liebe.«

Die Herzogin war sichtlich beunruhigt, aber ehe sie ihre Gefühle in Worte fassen konnte, fuhr ihr Mann fort: »Glaub mir, Clint Wilbur ist ein sehr eindrucksvoller junger Mann. Ich habe ihn für heute abend zum Dinner eingeladen.«

»Heute abend?« stieß die Herzogin entsetzt hervor. »Dann bleibt mir viel zu wenig Zeit, um eine Party zu arrangieren.«

»Es muß keine Party sein. Ich glaube, Mr. Wilbur wird sich freuen, unsere Familie kennenzulernen.«

Während er antwortete, musterte er Hermione, und deren Mutter - keineswegs schwer von Begriff - erriet seine Gedanken.

»Aber ... ein Amerikaner!« sagte sie, als hätte er seine Überlegungen ausgesprochen.

»Soviel ich weiß, stehen die Wilburs in hohem Ansehen. Der Botschafter erzählte mir, sie seien mit den Vanderbilts und den Astors verwandt.«

»Ist er wirklich so reich, Papa?« erkundigte sich Hermione.

»Meinen Informationen zufolge gehört er zu den reichsten, begehrenswertesten amerikanischen Junggesellen. Er besitzt eine astronomische Anzahl von Ölfeldern, dazu Eisenbahnlinien, Schiffahrtsgesellschaften und - der Himmel mag wissen, was sonst noch alles.«

Endlich schien die Herzogin verstanden zu haben, worauf ihr Mann hinauswollte.

»Natürlich müssen wir unser Bestes tun und Mr. Wilbur helfen, sich hier einzuleben. Aber warum hat er einen so großen englischen Landsitz gekauft?«

»Das führt mich zu einem weiteren Punkt, den ich in Erfahrung gebracht habe«, entgegnete der Herzog voller Genugtuung. »Wilbur sagte mir, er wolle einige Pferde kaufen, insbesondere Jagdpferde. Er wird an der Quexby-Jagd teilnehmen.«

Nun wandte er sich zu seiner Nichte.

Offenbar vermutete er, sie wäre mit ihren Gedanken anderswo, denn er fragte in scharfem Ton: »Hast du mir zugehört, Alita?«

»Ja, Onkel Lionel.«

»Dann sei so nett und sorge dafür, daß die Pferde, denen du so viel Zeit widmest, möglichst gut aussehen, wenn Mr. Wilbur sie begutachtet.«

»Das werde ich tun, Onkel Lionel.«

»Ich werde mit Bates besprechen, welchen Preis wir verlangen sollen.«

»Ich weiß viel besser als Mr. Bates, was man bei einer Auktion dafür bekommen könnte«, sagte Alita.

Ein kurzes Schweigen trat ein, als würden dem Herzog die Kenntnisse seiner Nichte mißfallen. Doch dann nickte er widerstrebend.

»Also gut, ich werde das mit dir diskutieren. Jetzt erhältst du Gelegenheit, zu beweisen, daß du mir mit Recht eine so große Summe für unsere Stallungen entlockst hast.«

»Sicher wird Mr. Wilbur keine besseren Pferde finden, zumindest nicht in diesem Teil des Landes.«

»Hoffentlich irrst du dich nicht!«

»Verkauf bloß nicht zu viele Pferde, Papa!« bat Hermione schmollend. »Ich möchte mir für die Jagd in diesem Jahr die besten aussuchen. Die Tiere, die ich in der letzten Saison ritt, waren viel zu wild und machten mir richtig Angst.«

 

Alita blickte über den Tisch zu ihrer Kusine hinüber und überlegte nicht zum ersten Mal, welch ein Fehler es war, daß Hermione überhaupt ritt. Die Tochter des Herzogs fürchtete sich vor jedem Pferd, so sanft es auch sein mochte, und wirkte viel attraktiver, wenn sie in einer Kutsche oder einem Ponywagen zu einem Jagdtreffen und dann wieder nach Hause fuhr, ohne sich sportlich zu betätigen.

Doch Hermione wußte sehr wohl, daß ihr eine Jagd die günstigsten Chancen bot, wenn sie fern von der steifen Förmlichkeit ihres Elternhauses einen Gentleman kennenlernen wollte. Deshalb zwang sie sich jeden Winter, mit den Fuchshunden zu jagen, obwohl sie, was ihrer Kusine nicht entging, jede einzelne Sekunde eines solchen Ereignisses haßte.

»Wie viele Pferde möchte Mr. Wilbur kaufen?« fragte die Herzogin.

»Ich hoffe, eine ganze Menge«, entgegnete ihr Mann. »Wir können das Geld weiß Gott brauchen.«

Sie seufzte.

»Über dieses Thema wollte ich mit dir sprechen, Lionel, hatte aber beschlossen, bis nach deiner Rückkehr von Windsor zu warten.«

»Falls du mich um eine Erhöhung des Haushaltsgelds oder um völlig unnötige Dekorationsgegenstände bitten willst, kannst du dir den Atem sparen!« erwiderte er mit scharfer Stimme.

Dann lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Times, schlug sie unter lautem Geraschel auf und faltete sie säuberlich zusammen, um wie immer zuerst den Leitartikel zu lesen.

»Du hast leicht reden, Lionel!« klagte die Herzogin. »Aber die Vorhänge im Salon sind schon furchtbar fadenscheinig, und Hermione braucht ein paar neue Kleider für den Winter. Sie kann doch auf den Bällen nicht dieselben Sachen tragen wie letztes Jahr.«

Alita wußte, daß ein endloser Monolog drohte, sobald ihre Tante beginnen würde, eine Liste der Dinge aufzustellen, die sie für das Schloß und ihre Tochter benötigte. Hastig schob das Mädchen den Stuhl zurück.

»Würdest du mich bitte entschuldigen, Tante Emily? Nach allem, was uns Onkel Lionel erzählt hat, wartet sehr viel Arbeit auf mich.«

»In etwa einer Stunde komme ich in den Stall«, kündigte der Herzog an. »Dann reden wir über die Preise der Tiere, die wir verkaufen werden.«

»Gut, Onkel Lionel.«

In aller Eile verließ Alita das Zimmer, und der Herzog bemerkte: »Sie sieht wie eine Vogelscheuche aus, und das wird jeden Tag schlimmer. Kannst du nicht ein bißchen mehr auf ihre äußere Erscheinung achten?«

»Wozu?« fragte die Herzogin. »Du weißt genauso gut wie ich, daß sie sich nirgends blicken läßt. Aber was ich mit dir erörtern wollte . . .«

Sie befand sich wieder auf altbekanntem Terrain, und Alita, die den Korridor hinabrannte, war froh über ihre Flucht. Sie stürmte in ihr Schlafzimmer, legte das Kleid ab, das sie beim Frühstück angehabt hatte, und schlüpfte in ihr Reitkostüm. Es war alt und abgetragen, stammte aber von einer teuren Schneiderin, und der Schnitt hatte im Lauf der Jahre nichts von seiner Wirkung verloren. Und Alita sah darin ganz anders aus als in dem häßlichen, formlosen braunen Fetzen. Sie nahm sich keine Zeit, um in den Spiegel zu blicken. Stattdessen schlüpfte sie in ihre Reitstiefel, ergriff die dünne Peitsche und lief wieder den Korridor entlang.

Diesmal benutzte sie eine Hintertreppe und erreichte den Teil des Schlosses, der dem Stall am nächsten lag. Es war ein kühler Herbsttag. Die Blätter hingen noch an den Bäumen, und im Garten blühten ein paar letzte Rosen. Doch davon merkte Alita nichts auf ihrem Weg zu den Stallungen. Sie dachte nur an ihre geliebten Pferde. Bei ihnen verbrachte sie jede Minute, wenn die Tante ihr keine langweiligen Hausarbeiten aufbürdete.

»Sam! Sam!« rief sie.

Ein alter Reitknecht trat aus einem der Stalltore, und sie fragte in einem munteren Ton, den sie niemals anschlug, wenn sie mit ihrer Verwandtschaft sprach: »Was glauben Sie, was Seine Gnaden mir soeben erzählt hat, Sam?«

»Keine Ahnung, Miss Alita, aber es scheint Sie zu freuen.«

»Marshfield House ist verkauft worden.«

»Das habe ich schon gehört.«

»Und Sie haben mir nichts gesagt?«

»Ich hab’s erst gestern abend erfahren, Miss, unten im ,Green Duck‘. Angeblich ist der neue Eigentümer ein Amerikaner.«

Sam sprach das Wort so komisch aus, daß Alita lachen mußte.

»Und ein sehr reicher. Seine Gnaden möchte ihm unsere Pferde verkaufen. Wenn wir einen guten Preis dafür kriegen, können wir ein paar Zuchthengste kaufen, vielleicht sogar erstklassige Stuten.«

»Hoffentlich behalten Sie recht, Miss«, erwiderte Sam, der an einem solchen Glücksfall zu zweifeln schien.

»Mr. Wilbur kommt demnächst hierher, also müssen wir alles tun, damit die Tiere möglichst vorteilhaft aussehen.«

Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Ob er was von Pferden versteht, weiß ich nicht. Ich glaube, einige Amerikaner im Westen sind gute Reiter. Aber nach allem, was Seine Gnaden sagte, dürfte Mr. Wilbur eher ein Geschäftsmann aus New York sein.«

»Wahrscheinlich kann er den Kopf eines Pferdes nicht von seinem Schweif unterscheiden«, meinte Sam.

»Also wird er keine Ahnung haben, was unsere Tiere wert sind.«

Mit leuchtenden Augen schaute sie den alten Reitknecht an.

»Kommen Sie, Sam, machen wir uns ans Werk! Wir müssen ihn tief beeindrucken, dann können wir ihm vielleicht eine ganze Menge von seinen Dollars aus der Tasche ziehen, ehe er merkt, wie ihm geschieht.«

Sie wartete keine Antwort ab, sondern eilte durch das offene Tor.

Die Langstone-Stallgebäude waren vom Vater des Herzogs erbaut worden, der einen Großteil des Familienvermögens für seine Pferde ausgegeben hatte.

Der Marquis hielt sich derzeit in Indien auf, und Alita malte sich oft aus, er würde dort wie so viele andere Leute wahre Unsummen anhäufen. Wenn er dann nach Hause käme, könnte er die riesigen Stallungen mit den schönsten Zuchtpferden füllen und zusehen, wie sie bei den klassischen Rennen die Familienfarben trugen. In Geralds Abwesenheit interessierte sich niemand außer ihr selbst für die Tiere. Wenn ihr Onkel schlechtgelaunt war, bedauerte er jeden Penny, den sie brauchte, um die gute Verfassung der Stallbewohner zu gewährleisten.

Während sie das langgestreckte Gebäude betrat, dachte sie zufrieden, daß sie Mr. Wilbur oder anderen Interessenten in der Tat einige wunderbare Tiere vorführen konnte. Natürlich stand dem alten Sam viel zu wenig Personal zur Verfügung. Und hätte Alita nicht so hart wie der tüchtigste Stallbursche gearbeitet - wenn nicht sogar noch härter - , wäre es ihnen unmöglich gewesen, die große Anzahl von Pferden zu halten, die sie nun betreuten.

Die Herzogin fand es selbstverständlich, daß sie stets über ein Gespann verfügen konnte, wenn sie eine Kutschenfahrt antreten wollte. Außerdem brauchte sie einige Pferde für die Saison in London, wo sie mit Hermione zu Ranelagh und Hurlingham fuhr oder grandiose Bälle besuchte.

Der Herzog hatte festgestellt, daß sich sein Rheumatismus verschlimmerte, wann immer er ausritt, und deshalb überließ er die Jagd seiner Tochter und Alita. Letztere wußte nur zu gut, daß man ihr nicht einmal erlauben würde, auf einem Ackergaul zu jagen, hätte sie die Pferde nicht zugeritten, die ihr Onkel mit großem Gewinn verkaufen wollte, sobald sie ihre volle Leistungskraft erreichten. Sie saß perfekt im Sattel und zeigte ein bemerkenswertes Geschick auch im Training mit schwierigen Tieren. Nach der Ansicht ihrer Tante brauchte eine junge Frau keine solchen Talente. Doch der Herzog wußte die Fähigkeiten seiner Nichte zu schätzen, und der Vorschlag seiner Frau, Alita lieber in der Nähstube oder bei anderen Haushaltspflichten einzusetzen, stieß auf taube Ohren.

»In einer Stunde kommt Seine Gnaden zu uns, Sam, dann wollen wir besprechen, was die Pferde kosten sollen. Erst wollte er mit Mr. Bates darüber reden.«

Sam kicherte.

»Das hätte keinen Sinn.«

»Genau das habe ich auch angedeutet«, erwiderte Alita.

Mr. Bates, seit dreißig Jahren Schloßverwalter, hatte es längst aufgegeben, sich in Angelegenheiten einzumischen, die den Reitstall betrafen. Er wußte, daß er den Kürzeren zog, wann immer er mit Alita über Pferde debattierte. Außerdem wurde er allmählich alt und müde und war ihr dafür dankbar, daß sie ihm einen Teil seiner Bürde abnahm.

Als der Herzog im Stall eintraf, striegelte Alita gerade ein Pferd und pfiff dabei vor sich hin. Er schaute ihr eine ganze Weile zu, ehe Alita, die sich voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrierte, den Kopf hob und ihn bemerkte.

»Hallo, Onkel Lionel!« rief sie. »Wirf doch mal einen Blick auf Double Star. Mit ein bißchen Glück müßten wir fast fünfhundert Guineen für ihn bekommen.«

»Sagen wir tausend«, erwiderte der Herzog.

»Tausend?«

Er lächelte.

»Mr. Wilbur kann sich’s leisten.«

»Ja, natürlich«, stimmte sie zu, »aber . . .«

Dann unterbrach sie sich und strahlte ihn an.

»Du meinst, wir sollen alles aus ihm herausholen, was wir nur kriegen können, Onkel Lionel?«

»So würde ich es nicht ausdrücken«, tadelte er. »Was würde deine Tante sagen, wenn sie dich so reden hörte! Aber um es kurz zu machen, die Antwort lautet ,ja‘.«

Alita lachte leise. Wenn sie mit dem Herzog allein war, vergaß er seine pompöse Förmlichkeit, und sie unterhielten sich fast wie alte Freunde.

»Also gut, Onkel Lionel, ich will mein Bestes tun.«

Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich.

»Willst du etwa mit Wilbur verhandeln?«

Obwohl sie immer noch den Striegel in der Hand hielt, machte sie eine ausdrucksvolle Geste.

»Wer sonst? Der alte Sam würde endlos schwatzen und nie zur Sache kommen, und Mr. Bates ist viel zu ehrlich, um mehr zu fordern als den gängigen Preis.«

»Also gut, dann sprich du mit Wilbur.«

»Das wird eine rein geschäftliche Unterredung«, gelobte sie. »Und er wird selbstverständlich nicht erfahren, daß ich deine Nichte bin.«

»Du bist das Kind meines Bruders«, entgegnete er seufzend. »Das steht nun mal fest. Der Mann dürfte sich wohl kaum für deine Person interessieren, aber so sehr ich es auch bedaure - es ist wohl besser, wenn du dich unter einem anderen Namen vorstellst.«

Alita merkte, daß sie einen wunden Punkt des Herzogs berührt hatte - eine schwache Stelle, die ihr bisher verborgen geblieben war.

»Schon gut, Onkel Lionel«, antwortete sie sanft. »Ich werde als Miss Blair auftreten, wie bei einigen anderen Gelegenheiten.«

Dann fuhr sie in verändertem Tonfall fort: »Schau dir auch die anderen Pferde an. Du hast sie schon lange nicht mehr alle zusammen gesehen. Sicher wirst du eine Verbesserung ihres Zustandes feststellen.«

Während er von einer Box zur anderen wanderte, mußte er ihr beipflichten. Er war ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß er ihr zu Unrecht Vorwürfe wegen der großen Ausgaben für den Stall gemacht und mit der kategorischen Weigerung, ihr mehr Geld zur Verfügung zu stellen, einen schweren Fehler begangen hatte.

Sie gingen weiter, und er sah, wie makellos sauber die Boxen waren. Die Pferde fühlten sich sichtlich wohl, wenn sie auch zerrissene oder fadenscheinige Decken trugen. Und die Wände hätten einen neuen Anstrich vertragen.

Als könnte sie seine Gedanken lesen, sagte Alita: »Ich wollte den Stall ein bißchen verschönern, aber dazu fehlt mir einfach die Zeit.«

Er legte eine Hand auf ihre Schulter.

»Du hast mehr getan, als es jemand anderes unter diesen Umständen zuwege brächte, meine Liebe, und ich bin dir sehr dankbar. Wenn du gute Preise erzielst, bekommst du zur Belohnung ein neues Kleid.«

»Und wann soll ich das anziehen?« fragte sie.

Drückendes Schweigen folgte diesen Worten, dann verstärkte sich der Druck der Hand auf ihrer Schulter, und der Herzog wandte sich seufzend ab.

Warum bin ich so albern? überlegte sie, als er ins Haus zurückgekehrt war. Er wollte nur freundlich sein. Ich hätte das Kleid annehmen sollen, selbst wenn ich es nur den Pferden vorführen kann. Bei diesem Gedanken lächelte sie, aber um ihren Mund und im Ausdruck ihrer Augen lag ein bitterer Zug.

Clint Wilbur ritt durch seinen neu erworbenen Park, schätzte das Alter der hohen Eichen ab und beobachtete das Wild. Plötzlich hatte er eine Idee. Heute abend wurde er auf Langstone, dessen Ländereien an die seinen grenzten, zum Dinner erwartet. Der Herzog hatte von seinen Pferden gesprochen, und Clint beschloß, sich die Tiere anzusehen, ehe nach dem Essen eventuelle Verkaufsverhandlungen beginnen würden. Immer wieder begegnete er Leuten, die ihm auf die eine oder andere Weise Geld zu entlocken versuchten. Zu seiner Überraschung mußte er feststellen, welch gute Geschäftsmänner die Engländer waren - zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit, einen Handel abzuschließen. Allein schon der Gedanke an seine Millionen schien sie zu veranlassen, die Hände nach seinen Taschen auszustrecken.

 

Intelligent und scharfsinnig, wie er war, schätzte er es nicht, als Trottel zu gelten. Deshalb tat er alles, um zu verhindern, daß er in einen solchen Ruf kam. Nachdem er bei jenem Gespräch über die herzoglichen Pferde das Glitzern in den Augen des Besitzers gesehen hatte, bezweifelte er nicht, daß das Thema auch abends beim Portwein zur Sprache kommen würde.

Diese Tiere will ich mir ganz genau anschauen, nahm sich Clint vor. Und wenn sie nichts taugen, werde ich behaupten, bereits alle Pferde zu haben, die ich brauche, und mich nicht für weitere zu interessieren.

Das Schloß war leicht zu finden, denn es lag auf einer Anhöhe, und den Turm mit der herzoglichen Flagge konnte man an mehreren Stellen des Marshfield-Anwesens sehen. Clint ritt in der Luftlinie darauf zu. Bald hatte er die Grenze zwischen seinem eigenen und dem Land von Langstone überquert.

Wenig später entdeckte er nichts Geringeres als einen Parcours. Dieser war vom verstorbenen Herzog angelegt worden, und Alita hatte sich viel Zeit genommen, um die Hindernisse mit der Hilfe einiger Dorfburschen zu renovieren. Es handelte sich um eine ziemlich lange Rennstrecke, denn der alte Herzog hatte nichts von Halbheiten gehalten und nicht nur für seine Pferde gewaltige Summen ausgegeben, sondern auch für diesen Parcours, der von Experten entworfen und errichtet worden war.

Clint Wilbur zügelte sein Pferd, musterte die Strecke anerkennend und überlegte, ob er schon jetzt die Gastfreundschaft seines Nachbarn beanspruchen und einige Hindernisse ausprobieren sollte.

Und während er noch darüber nachdachte, sah er, daß jemand genau das tat, was er selbst anstrebte. Roß und Reiter befanden sich am anderen Ende des Parcours, und so merkte Clint erst, als die beiden näherkamen, daß eine Frau im Sattel saß. Sie bewältigte die hohen Sprünge geradezu meisterhaft. Er beobachtete, wie sie den Hengst ermutigte, mit bemerkenswertem Geschick über die Hindernisse lenkte und dabei auf ihn einsprach.

Das Hindernis rechts von Clint ragte besonders hoch empor, und auf der anderen Seite erstreckte sich ein Graben. Dicht davor verweigerte das Pferd, ein noch junges Tier, wie er jetzt feststellte. Daraufhin wurde es keinesfalls grob behandelt. Die Reiterin beugte sich vor, klopfte ihm auf den Hals und redete ihm gut zu. Dann wendete sie es, und es nahm einen neuen Anlauf. Diesmal schien es sich mittels reiner Willenskraft hochzuheben, und nachdem es die Hecke übersprungen hatte, ohne einen Zweig zu streifen, hörte Clint, wie sie rief: »Das war großartig! Braver Junge! Wollen wir’s noch mal versuchen?«

Bevor sie das Pferd herumschwingen konnte, ritt er auf sie zu. Er sah die Verwirrung in ihrer Miene, als sie ihn bemerkte. Sie trug eine verbeulte alte Jockeykappe, tief in die Stirn gezogen, und das weiße Hemd unter dem Reitkostüm stand am Hals offen.

»Guten Morgen«, grüßte er. »Darf ich Ihnen sagen, wie sehr ich Ihre Reitkünste bewundere?«

»Danke«, antwortete Alita.

Bei seinem Anblick hatte sie sofort erraten, daß dies der neue Nachbar sein mußte - nicht zuletzt, weil sie ihn nie zuvor gesehen hatte und weil er mit leichtem Akzent sprach. Diesen Mann hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie immer gedacht, die Amerikaner wären von kleinem Wuchs. Aber Clint Wilbur schien über einen Meter fünfundachtzig zu messen, sah gut aus, wirkte wohlproportioniert und war vermutlich auch sehr sportlich. Das bronzefarbene, sonnengebräunte Gesicht verlieh den blauen Augen ein besonderes Strahlen. Was sie aber viel mehr faszinierte, war die Tatsache, daß er in der Haltung eines ausgezeichneten Reiters im Sattel saß, wo er offenkundig einen Großteil seines Lebens verbrachte.

»Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin?« fragte er nach einem längeren Schweigen.

»Vermutlich sind Sie der neue Besitzer von Marshfield House.«

»Clint Wilbur - zu Ihren Diensten. Und Sie?«

»Mein Name ist Alita . . . Blair.«

»Arbeiten Sie für den Herzog?«

»Ja, ich trainiere seine Pferde.«

»Er hat mir erzählt, daß er einige verkaufen will.«

»Sicher werden Sie feststellen, was für hervorragende Tiere wir haben.«

»Und alle stehen zum Verkauf.«

Sie mußte über seinen trockenen Tonfall lachen.

»Wurden Ihnen schon viele angeboten?«

»Genug, daß ich damit die Mayflower tausendmal füllen könnte.«

Wieder brach Alita in Gelächter aus.

»Nun, ehe Sie eine Entscheidung treffen, sollten Sie sich den Langstone-Reitstall ansehen. Es wird sich lohnen, das verspreche ich Ihnen.«

»Das glaube ich Ihnen gern, Miss Blair. Sie sind eine außergewöhnliche Reiterin.«

»Vielen Dank. Und wenn es auch dreist klingen mag - dieses Kompliment gebe ich Ihnen zurück.«

Zweifellos fügte sie in Gedanken hinzu, wäre es ein Privileg, einen solchen Reiter mit einem geeigneten Tier zu versorgen. Lässig saß er im Sattel, als wäre er dort geboren. Und sie mutmaßte, daß er sich - ebenso wie sie selbst - nirgendwo glücklicher fühlte als auf einem Pferderücken.

»Nun - warum stellen Sie die Frage nicht, die Ihnen auf der Zunge brennt?« erkundigte er sich nach einer kleinen Weile.

Überrascht starrte sie ihn an.

»Und die wäre?«

»Sie wollen herausfinden, aus welchem Teil Amerikas ich stamme, also möchte ich Sie nicht länger auf die Folter spannen - aus Texas.«

»Natürlich!« rief sie. »Das hätte ich mir denken können. Ich habe schon oft gehört, daß es in Texas bessere Reiter und Pferde gibt als anderswo.«

Inzwischen hatten sie die Pferde erreicht, und der Stallbursche, der die Zügel festhielt, starrte Clint mit unverhohlener Neugier an.

»Das ist Double Star.«

Anmutig stieg Alita ab und streichelte den Hals ihres Hengstes.

»Aber Sie sollten es erst einmal mit King Hal versuchen, Mr. Wilbur. Er kann am besten springen.«

Clint wechselte die Pferde und trabte davon. Sie schaute ihm nach, und als sie sah, wie er mit dem Pferd umging, wußte sie, daß es sich von seiner besten Seite zeigen würde. Fehlerlos meisterte er jedes Hindernis, und als er zurückkam, lächelte er. Das Blau seiner Augen erschien ihr intensiver denn je.

. »Was halten Sie von ihm?« fragte sie.

»Bevor ich mein ganzes Lob an diesen Hengst verschwende, möchte ich die anderen ausprobieren.«

Lachend beobachtete sie, wie er sich in Red Trumps Sattel schwang und davonritt.

Während Clint Wilbur in seiner Kutsche zum Schloß fuhr, sagte er sich, daß dieser Abend bestimmt nicht so förmlich und langweilig verlaufen würde wie die meisten Dinnerpartys, die er bisher in England miterlebt hatte. Immerhin gab es ein erfreuliches Gesprächsthema, das den Herzog ebenso interessierte wie ihn selbst - Pferde.

Die Tiere, die Clint an diesem Tag gesehen hatte, waren in der Tat erstklassig, und er beabsichtigte, sie alle zu kaufen, aber nur zu einem vernünftigen Preis.

Marshfield House hatte er nicht nur gekauft, weil ihm das Anwesen gefiel und weil man in diesem Teil Englands besonders gut jagen konnte, sondern auch, weil es eine günstige Gelegenheit gewesen war. Angesichts anderer Liegenschaften, die ihm angeboten worden waren, fand er, daß er hier den Gegenwert seines Geldes erhielt. In diesem Fall hatte man ihn keineswegs übertölpelt, und das verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung.

Das Geld gehörte zu seinem Leben, seit er alt genug gewesen war, um die Existenz seines Vermögens zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb nahm er es wie eine Selbstverständlichkeit hin, aber mit einigem Vorbehalt. Es verhalt ihm zu Macht und Einfluß, doch er wußte auch, daß er die Menschen infolge seines Reichtums manchmal in anderem Licht sah, als es den Tatsachen entsprach.

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