Liebe im Hochland

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Liebe im Hochland
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Liebe im Hochland

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1988

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ Schottland 1885

Isa McNavern wanderte vergnügt am Strand entlang.

Die Sonne schien warm auf ihren Kopf, und der Wind blies ihr die Haare aus der Stirn.

Da es weit und breit niemanden gab, der sie hätte sehen können, trug sie keine Kopfbedeckung. Auch die Schuhe hatte sie ausgezogen und in die Hand genommen.

Sie konnte den nassen Sand fühlen und die Wellen, die leicht und sanft ihre Füße umspülten.

Sie dachte, wie schon so oft vorher, daß es für sie keinen schöneren Platz auf der Welt gab als Schottland.

Doch ganz besonders liebte sie diesen kleinen Teil des Landes, dieses Stück von Schottland. Sie betrachtete es als ihre Heimat, denn hier war sie aufgewachsen.

Wenn sie fern von zu Hause war, wie die letzten beiden Jahre, konnte sie keine Nacht einschlafen, ohne an die purpurfarbene Heide und das Moor zu denken.

Dann träumte sie von den nebelverhangenen Bergen in der Ferne und von der See, die im goldenen Licht der Sonne schimmerte oder im Mondlicht silbern glänzte.

»Ich bin zu Hause! Ich bin zu Hause!«

Sie wollte die Worte laut hinausschreien, zu den jungen Seemöwen, die über sie hinwegflogen, und auch zu den Kormoranen, die auf dem hoch über der See aufragenden Felsklippen hockten.

Sie fühlte einen Stich in ihrem Herzen, wenn sie daran dachte, daß sie zurück in den Süden gehen und irgendetwas anderes finden mußte, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wenn sie nicht bald ihre Stimme wiederfand.

Damals, als sie erst siebzehn gewesen war und noch die Schule in Edinburgh besucht hatte, hatte man festgestellt, daß sie eine ausgezeichnete Sopranstimme besaß. Diese Stimme hatte sie zur Solistin im Kirchenchor gemacht.

Ein Theater-Impresario, der zufällig an einem Sonntagmorgen einem Gottesdienst beiwohnte, hatte ihre Stimme gehört und den Pastor gebeten, ihn doch mit Isa bekannt zu machen.

Und zu ihrem Erstaunen eröffnete er ihr, daß sie eine Stimme habe, die man nur einmal unter Millionen fände.

Er wäre bereit, sie mit nach London zu nehmen und in einem Konzert vorzustellen, welches er gerade vorbereitete und bei dem Ihre Majestät Königin Victoria anwesend sein würde.

Es war wie in einem Märchen!

Isas Eltern schockierte und entsetzte die Vorstellung, daß ihre Tochter auf der Bühne stehen sollte.

Zuerst lehnte Colonel Alister McNavern es rundweg ab, diesen Vorschlag auch nur zu überdenken.

Aber als der Impresario ihm erzählte, welche Gage er Isa zahlen wollte, konnte der Colonel nur noch zustimmen. Er brauchte das Geld dringend.

Isa beendete ihre Schulzeit und bereitete sich dann auf ihre Reise nach London vor.

Es wurde beschlossen, daß sie bei einer der Schwestern ihrer Mutter leben sollte. Diese war nicht minder entsetzt bei dem Gedanken, daß eine ihrer Verwandten mit dem Theater zu tun hatte.

Sie sah jedoch ein, daß Isa nur deshalb vor einem zahlenden Publikum sang, um ihren Vater und ihre Mutter finanziell zu unterstützen.

Sie wurde beschützt von dem Moment an, da sie das Haus verließ, und bis sie es wieder betrat.

Sie ging niemals allein aus, es sei denn, sie wurde von ihrer Tante oder einer ihrer Freundinnen begleitet, die jedoch noch puritanischer als die Tante waren.

Isa war nicht einmal besonders an den zahlreichen Einladungen interessiert, die sie von den Bewunderern erhielt. Aber egal wer sie waren, jung oder alt, reich oder arm, keinem war es erlaubt, näher mit ihr bekannt zu werden.

Die einzigen Leute, die sie in London sehen durfte, waren die Freunde ihrer Tante, und die waren meist alt und langweilig. Und ohne jegliches musikalisches Gehör, wie Isa im geheimen dachte.

Wie auch immer, sie hatte Erfolg!

Während der letzten zwei Jahre konnte sie einen beachtlichen Geldbetrag nach Hause schicken, den sie mit den Konzerten verdiente, die der Impresario veranstaltete.

Bei diesen Konzerten trat sie allerdings nicht allein, sondern immer mit einer Reihe anderer Protegés auf, die ebenfalls sangen, Piano spielten oder als Streichquartett auftraten.

Doch dann geschah das Unglück.

Kurz vor einem Konzert, für das sie schon eine Gage erhalten hatte, zog sie sich eine Kehlkopfentzündung zu.

Sie war erschöpft gewesen und hatte unvernünftigerweise auch noch darauf bestanden, einen Spaziergang durch den Park zu machen, obwohl es ein recht kalter, windiger Tag gewesen war. Dabei hatte sie sich eine Erkältung zugezogen. Unter diesen Umständen war es Isa unmöglich gewesen, in dem geplanten Konzert aufzutreten.

Ihr Impresario hatte sie überredet, Ferien zu machen, ihre ersten, seit sie nach London gekommen war.

Und so kehrte Isa nach Schottland zurück.

Das Fahrgeld für die Bahnfahrt streckte ihr der Impresario vor, weil er sie so schnell wie möglich wieder gesund wissen und singen hören wollte. Und da ihre Tante auf eine Anstandsdame bestand, zahlte er auch noch das Bahnticket für das ältliche Hausmädchen, das sie begleitete.

Isa freute sich sehr, ihre Eltern wiederzusehen, obwohl sie ihr viel älter schienen als damals, als sie von zu Hause fortgegangen war.

Das Haus am Hügel, in dem die Familie ihres Vaters seit Generationen lebte, kam ihr noch schäbiger vor, als sie es in Erinnerung hatte.

Aber wie auch immer, das Essen war bekömmlich, gut und ausreichend, weil sie in der Lage gewesen war, so viel Geld nach Hause zu schicken. Zwei Bedienstete, die es vorher nicht gegeben hatte, kümmerten sich um den alten Colonel und Isas Mutter.

Isa erfuhr das Neueste über die Lämmer und daß die Brutzeit für die Moorhühner gut gewesen, daß kaum noch Rotwild in ihrem kleinen Moor anzutreffen und der Lachs rar geworden sei.

Nur noch selten hatte der Colonel auf ihrem Besitz das Glück, einen Fisch zu fangen.

Alles war für Isa vertraut und zugleich so tröstend, daß sie das Gefühl hatte, nie fortgewesen zu sein.

Und jetzt, da sie wieder zu Hause war, verspürte sie nicht den Wunsch, nach London zurückzugehen.

Doch sie wußte, es war unumgänglich.

Und weil es so war, verbrachte sie jede freie Minute damit, am Strand spazieren zu gehen und über die Moore zu wandern, wo gerade das Heidekraut zu blühen begann.

Als sie an diesem Morgen erwacht war, hatte sie bemerkt, daß ihre Stimme zurückkehrte. Sie war jetzt schon deutlich stärker und klarer als in den vergangenen zwei Wochen.

Während sie eine Melodie vor sich hin summte, wurde ihr jedoch bewußt, daß es ein Fehler wäre, zu früh wieder mit dem Singen zu beginnen.

Es geht mir besser. Viel besser! dachte sie. Auch wenn ich noch vorsichtig sein muß.

Doch in diese Freude mischte sich ein bitterer Tropfen, denn wenn ihre Stimme wiederkam, mußte sie in den Süden zurück.

Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte sie einen weiten Weg zurückgelegt und befand sich jetzt unterhalb der Klippen.

Zu ihrer Linken lag eine große Höhle, und sie erinnerte sich lebhaft daran, wie sie als Kind darin gespielt hatte.

Die Höhlen hatten sie schon immer fasziniert, denn irgendjemand hatte ihr einmal erzählt, sie seien früher von Schmugglern als Unterschlupf genutzt worden. Ihr Vater hatte darüber nur geringschätzig die Nase gerümpft.

»Hier oben in diesem Teil des Nordens wurde nie viel geschmuggelt«, hatte er gesagt. »Wenn die Wikinger kamen, sind sie mit ihren Langbooten in den natürlichen Häfen gelandet und haben alles geplündert, was sie in die Finger bekommen konnten.«

Isa war mit Geschichten über die Wikinger aufgewachsen. Dieses rauhe und wilde Volk hatte nicht nur Schafe und Rinder verschleppt, sondern auch junge Frauen. Und überall, wo diese Männer gehaust hatten, hatten sie viele hellhaarige und blauäugige Babys hinterlassen, die sich sehr von den schmalen und dunklen Kelten und Schotten, die diesen Teil des Landes bewohnten, unterschieden.

»Doch viel wahrscheinlicher als alles andere ist, daß die Höhle von Schotten dazu benutzt wurde, sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen«, hatte der Colonel oft gesagt.

Isa hatte diese Erklärung eingeleuchtet, denn die Höhle erstreckte sich sehr weit in den Felsen hinein.

Außerdem hatte sie entdeckt, daß es eine Art Platte unter einem Felsvorsprung gab, die man leicht erklimmen und auf der man liegen konnte, ohne von jemandem gesehen zu werden.

Sie betrat die Höhle, weil sie so intensiv an ihre Kindheit gedacht hatte, ging zum entfernt gelegenen Ende und kletterte vorsichtig zu dem flachen Versteck hinauf.

Es schien ihr ein bißchen enger, als sie es in Erinnerung gehabt hatte. Aber sie war sicher, daß hier Raum genug war für einen Mann, seine Frau, vielleicht zwei Kinder und einige wenige Habseligkeiten.

Sie erinnerte sich lebhaft an die alten Erzählungen und die darin geschilderten Gefühle der Bewohner, wenn sie von ihrer Burg aus, die weiter im Norden lag, die ersten Schiffe der Wikinger über die Nordsee kommen sahen.

Sie schloß die Augen und stellte sich vor, sie müßte sich vor einem Wikinger verstecken, der bereits die Schafe ihres Vaters gestohlen hatte und jetzt sie verschleppen wollte. Vielleicht würde er noch auf dem Rückzug Haus und Hof niederbrennen. Mit geschlossenen Augen sah sie alles deutlich vor sich.

Dann hörte sie erstaunlicherweise Stimmen, die von unten zu ihr heraufdrangen. Einen Moment glaubte sie, ihre Phantasie spiele ihr einen Streich.

 

Doch als sie sich über die Kante des Felsens beugte, sah sie unten in der Höhle zwei Männer.

»Ich habe Rory gesagt, daß wir uns hier treffen«, sagte einer der Männer mit einer, wie es schien, unnötig leisen Stimme.

»Warum hast du diese Höhle gewählt?« fragte der andere.

Noch während er sprach, erkannte Isa, daß er Engländer war.

Der erste Mann hatte, wenn auch nur schwach, so aber doch unverkennbar, einen schottischen Akzent in seiner Stimme.

»Dies ist der einzige Ort, wo uns die verdammten Jäger, die hier dauernd auf der Pirsch sind, nicht entdecken und in die Quere kommen können«, erwiderte der erste Mann. »Man kann sonst nicht sicher sein, ob nicht jemand mit seinem Fernglas im Moor liegt und man beobachtet wird.«

»Ich verstehe«, sagte der Engländer. »Sind Sie aber auch sicher, daß wir diesem Rory vertrauen können?«

»Wir können ihm nicht nur trauen, sondern er kennt diese Umgebung hier wie seine Westentasche. Und nach all den Jahren wird die Karte kaum noch genau stimmen.«

»Das weiß ich«, antwortete der Engländer barsch. »Aber es gibt keinen Zweifel an ihrer Echtheit.«

»Mein lieber Freund« - das war offensichtlich der Schotte »ich will das ja gar nicht in Frage stellen, aber es wird trotzdem sehr schwierig sein, den Ort zu finden, wo der Schatz versteckt ist.«

Bei dem Wort Schatz horchte Isa auf. Jetzt wußte sie, worüber gesprochen wurde. Seit sie zurückdenken konnte, hatte der Clan der McNavern, dem auch ihr Vater angehörte, über einen Familienschatz gesprochen, der angeblich versteckt worden war, als die Überfälle der Wikinger an dieser Küste überhandnahmen und zur Plage wurden. Und obwohl sie ohne den Schatz abgezogen wären, war er seither nicht wiedergefunden worden.

Ihr war diese Geschichte, wie jedem anderen Kind im Clan, bekannt unter dem Namen RED RIDING HOOD oder CINDERELLA.

Dem damaligen Anführer des Clans, einem sehr vermögenden und einfallsreichen Mann, gehörten viele Morgen Land entlang der schottischen Küste. Er hatte auch die alte Burg gebaut, die hoch über den Klippen aufragte, wo der Fluß in die See mündete.

Er lebte dort, so erzählte die Geschichte, wie ein König.

All die anderen Clans in der Gegend fürchteten die McNavern und hatten es seit langem aufgegeben, gegen sie zu kämpfen, denn sie hatten noch nie ein Gefecht gewonnen.

Die einzigen Feinde der McNavern waren somit die Wikinger, die in den Sommermonaten mit ihren Schiffen kamen und in ihrer Beutegier alles raubten, was sie finden konnten. Das bedeutete, daß, die McNavern ständig nach ihnen Ausschau halten mußten.

Wenn das erste Segel der Wikinger-Langboote am Horizont gesichtet wurde, brachten sie ihre Schafe und Rinder im Moor in Sicherheit, ebenso wie die Frauen und Kinder. Der Rest versteckte sich in Höhlen oder in den Wäldern.

Nach wenigen Scharmützeln mit den Wikingern waren bereits einige der besten Männer des Clans getötet worden, denn die Wikinger hatten die besseren Waffen.

Daraufhin hatte der Chief des Clans die Order erteilt, daß sich mit den Frauen und Kindern auch alle Männer verstecken mußten, nach der Devise: ,Nur ein Krieger, der überlebt, kann auch morgen wieder in die Schlacht ziehen.‘

Er hatte einen guten Plan ausgearbeitet, der sich auch als erfolgreich erwies. Wenn die Wikinger kamen, fanden sie nur leere Siedlungen und Gehöfte vor und eine ebenso verlassene Burg. Und alle wertvollen Gegenstände, Kelche, Pokale und Juwelen waren weggeschafft worden.

Die Plünderer konzentrierten sich künftig stärker auf den Norden oder den Süden in der Hoffnung auf bessere Beute.

Da der Chief des Clans der McNavern seine Leute so weise führte, wuchs ihre Macht zunehmend.

Bis das Schicksal grausam zuschlug.

Als wieder einmal die Segel der Wikinger gesichtet wurden, nahm die ganze Versteck-Aktion wie schon oft zuvor ihren Lauf. Der Chief selbst leitete und überwachte das Zusammentragen der Schätze in der Burg. Diese waren von Jahr zu Jahr umfangreicher und kostbarer geworden, da man Gold in einem der Flüsse entdeckt und in den Bergen Amethyste gefunden hatte.

Diese Reichtümer, von denen man erzählte, daß sie ein enormes Gewicht auf die Waage brachten, wurden hastig zu einem geheimen Versteck transportiert.

Dieses war offenbar noch nie zuvor benutzt worden. Die Angst der Clan-Mitglieder, sie könnten gefangengenommen und gefoltert werden, bis sie das Versteck verrieten, war sehr groß. Deshalb wurde ein Versteck auch selten zweimal benutzt, und nur wenige kannten es überhaupt.

Vielleicht hatten an diesem Tag der Führer und die Ältesten, die mit der Schatz-Aktion betraut waren, mehr zu tragen als normalerweise. Oder aber sie waren langsamer gewesen als üblich.

Wie auch immer: Als sie den geheimen Ort verließen waren die Wikinger schon gelandet.

Und als sie die schottischen Männer auf sich zukommen sahen, töteten sie alle. Alle, die mitgeholfen hatten, die Reichtümer des Clans in Sicherheit zu bringen, kamen ums Leben, auch der Chief des Clans.

Somit gab es auch niemanden mehr, der dem Rest der McNavern etwas über den Verbleib des Schatzes hätte berichten können.

Diese Geschichte beflügelte immer wieder die Phantasie der Jungen und Mädchen aus der McNavern-Sippe.

Isa konnte sich gut daran erinnern, daß sie mit ihren Freunden oft Pläne geschmiedet hatte, ein Picknick zu veranstalten und die ganze Umgebung der Burg nach dem Schatz abzusuchen. Sie waren sicher gewesen, daß sie die Höhle finden würden, in der der Schatz verborgen lag. Sie hatte sich sogar ausgemalt, sie selbst würde den Schatz ganz allein entdecken und dann von ihrem Clan als Heldin gefeiert werden.

Jetzt aber erschien es ihr unglaublich, daß die beiden Männer unter ihr über den Schatz redeten.

Wenige Minuten später erschien ein dritter Mann.

»Guten Tag, Rory!« hörte sie den Schotten sagen.

»Guten Tag!« erwiderte Rory.

Es gab keinen Zweifel, Rory sprach mit einem starken schottischen Akzent, und Isa fragte sich, ob der Engländer in der Lage war, ihn zu verstehen.

»Das ist Rory«, sagte der Schotte.

Worauf der Engländer kurz angebunden sagte: »Schön. Er muß sich die Karte ansehen.«

Ruhe trat ein, und weil Isa so neugierig war, hob sie erneut den Kopf und riskierte einen Blick nach unten.

Die beiden Männer standen nun näher am Eingang der Höhle, den Rücken ihr zugewandt.

Rory, den sie sehen konnte, studierte die Karte. Er trug einen abgetragenen Kilt in den Farben des McNavern- Clans.

Isa war neugierig. Nur zu gern hätte sie einen Blick auf die Karte geworfen.

Sie war sicher, daß Rory Mühe hatte, die Karte richtig zu lesen, denn er sagte: »Es ist schwierig, sehr schwierig!«

»Dieser Punkt hier bezeichnet mit Sicherheit die Burg«, sagte der Schotte und wies mit dem Finger auf eine Stelle der Karte.

»Ja, könnte sein - vielleicht!« stimmte Rory zu. »Aber es ist nicht nahe genug an der Straße.«

»Ich könnte mir denken, daß die früheren Bewohner nicht unbedingt ganz korrekt gezeichnet haben«, bemerkte der Schotte ironisch.

»Wenn Sie mich fragen, muß der Schatz irgendwo auf dem Gelände rund um die Burg zu finden sein«, warf der Engländer ein, »und nicht, wie immer vermutet wurde, im Moor.«

»Vielleicht ist es so«, sagte Rory, »aber ich kann nichts finden, was mit Bestimmtheit darauf hinweist, daß es sich so verhält.«

»Wenn es auf dem Gelände um die Burg ist, wird es schwer sein, dort zu suchen, ohne die Aufmerksamkeit des Herzogs zu erregen«, sinnierte der Engländer.

Nach einer langen Pause erwiderte der Schotte mit gedämpfter Stimme: »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, wir wollen nichts mit dem Herzog zu tun haben, weder vor, während, noch nachdem wir den Schatz gefunden haben.«

»Wollen Sie damit andeuten, daß wir ihn besser vorher erledigen sollten?« fragte der Engländer.

»Es dürfte nicht sehr schwierig sein. Es gäbe da einige Möglichkeiten . . .«, antwortete der Schotte vage.

Isa hielt den Atem an und zog sich mit klopfendem Herzen zurück.

Wenn die Männer herausfanden, daß sie belauscht wurden, wer wußte, ob sie dann nicht auch daran dachten., sie zu beseitigen!

Es war unglaublich und entsetzlich zugleich, daß die Männer, der Engländer einmal ausgenommen, beabsichtigten, den Herzog zu töten. Er war doch ihr Clan-Führer!

Sie war aufgezogen worden in dem Glauben, daß jeder Schotte den Chief seines Clans als eine Vater-Figur verehrte und daher bereit war, ihm zu folgen und für ihn zu kämpfen - wenn es sein mußte bis zum Tode.

Dann sagte Rory: »Ich denke, ich weiß, welche Stelle mit dem Punkt auf der Karte gemeint ist.«

»Kannst du es uns zeigen?« wollte der Engländer aufgeregt wissen.

»Ja, das kann ich, aber wir müssen ins Mondlicht hinausgehen, denn wir können hier kein Licht entzünden.«

»Das ist wahr«, stimmte ihm der Schotte zu. »Ein Licht könnte von der Burg her gesehen werden. Es würde nur den Parkwächter auf uns aufmerksam machen.«

Seine Stimme wurde eindringlicher.

»Du weißt, Rory, daß dir dein Anteil an dem Schatz, den wir finden werden, sicher ist. Wir wünschen aber nicht, daß noch andere außer uns daran teilhaben.«

»Ja, Sir, ich verstehe«, sagte Rory, »ich kann aber erst sicher sein, wenn ich mir den Platz im hellen Tageslicht angesehen habe.«

»Kannst du das bewerkstelligen, ohne Aufmerksamkeit auf dich zu lenken?« fragte der Schotte.

»Das kann ich.«

»Würde es dir etwas ausmachen, Rory, wenn du für einen Moment draußen warten würdest? Ich habe etwas mit meinem Freund zu besprechen.«

»Ja, Sir, ich warte draußen, bis Sie mich wieder rufen«, erklärte Rory sich einverstanden.

Isa lauschte angestrengt und sah vor ihrem geistigen Auge, wie er nun die Höhle verließ. Für einen Moment hörte man nur das sanfte Auslaufen der Wellen auf dem Strand.

Plötzlich hörte sie den Schotten leise flüstern, direkt unter ihrem Versteck.

Sie mußten sich wieder weiter in die Höhle zurückgezogen haben, wohl, damit sie von Rory nicht gehört werden konnten.

»Wir müssen ihn zuerst allein nachschauen lassen«, meinte der Schotte.

»Können wir ihm vertrauen?« wollte der Engländer wissen.

»Ich denke doch. Und selbst wenn er den Schatz finden würde, er könnte ihn kaum allein wegtragen.«

»Ich halte es für ein großes Risiko, wenn wir ihm die Karte überlassen.«

»Keine Angst. Es ist nicht das Original. Ich habe ein Duplikat angefertigt. Das Original liegt gut unter Verschluß«, erwiderte der Schotte.

»Das ist raffiniert von Ihnen!« merkte der Engländer an.

»Ich dachte, es ist sicherer. Ich konnte doch kein Risiko eingehen mit etwas, was Millionen von Pfund wert ist!« erwiderte der Schotte.

»Wenn es so ist, wird der Herzog alles für sich und seinen Clan beanspruchen«, warnte der Engländer.

»Das ist es ja, warum wir nicht zulassen können, daß er uns in die Quere kommt, wenn wir unserem Ziel nahe gekommen sind«, sagte der Schotte.

Es war ein harter Ton in seiner Stimme. Isa lief es kalt über den Rücken.

»Sind Sie bereit, ihn mit Ihren eigenen Händen zu erledigen?« fragte der Engländer.

Der Schotte lachte, doch es klang nicht freundlich.

»So ein Narr bin ich nicht! In dieser Gegend kann einem Mann leicht etwas zustoßen - ein Jagdunfall im Moor etwa. Er kann aber auch auf den Klippen ins Stolpern geraten und ins Meer stürzen oder vom Turm seiner Burg fallen.«

»Ich verstehe«, sagte der Engländer langsam. »Aber es bleibt trotzdem ein Risiko.«

»Alles ist ein Risiko«, hielt der Schotte ihm entgegen. »Doch wenn wir den Schatz finden, hat dann noch irgendetwas anderes Bedeutung?«

»Nein, natürlich nicht«, stimmte der Engländer zu. »Rory muß aber sofort Verbindung mit uns aufnehmen - oder besser mit Ihnen. Sofort. Dann können wir nachsehen, ob die Dinge, die jahrelang versteckt waren, die Zeit auch unbeschadet überstanden haben.«

»Alter kann Gold, Silber und Juwelen nichts anhaben«, meinte der Schotte überzeugt.

»Sagen Sie Rory, er soll es so handhaben, wie wir es besprochen haben. Geben Sie ihm schon etwas Geld, damit er bei Laune bleibt«, sagte der Engländer.

»Ich hatte gehofft, Sie würden das machen«, erwiderte der Schotte.

Der Engländer lachte verhalten, als hätte er nichts anderes erwartet.

 

Isa meinte jetzt, daß sie sich wieder dem Eingang näherten, denn auf ein Pfeifen hin erschien Sekunden später Rory.

»Rory, wir haben entschieden, es so zu machen, wie du es vorgeschlagen hast«, teilte ihm der Schotte mit.

»Hier hast du ein paar Goldmünzen. Möglicherweise wirst du einige Auslagen haben«, fügte der Engländer hinzu.

»Danke schön, Sir, danke Ihnen!« murmelte Rory.

»Wir gehen jetzt, einer nach dem anderen«, sagte der Schotte mit befehlsgewohnter Stimme. »Du gehst zuerst, Rory. Bleib am Ufer und nahe den Klippen. So kann dich keiner vom Moor her sehen.«

Rory hatte sicherlich mit seinem Zeigefinger an die Mütze getippt und war gegangen. Es herrschte Stille, bis der Schotte sagte: »Auf Wiedersehen, Partner! Ich werde mit Ihnen Kontakt aufnehmen, sobald ich von Rory höre. Sind Sie noch immer am selben Ort anzutreffen?«

»Ja, es ist sehr angenehm dort. Ich werde da sein, bis Sie nach mir schicken.«

»Gut! Ich hoffe, das wird in ein, zwei Tagen der Fall sein.«

Isa nahm an, daß sich der Engländer in die entgegengesetzte Richtung entfernte wie Rory. Das war der Weg, den sie gekommen war.

Dann herrschte Stille.

Gerade wollte sie ihren Kopf heben und sich überzeugen, daß sich niemand mehr in der Höhle aufhielt, als sie ein schwaches Geräusch vernahm.

Vielleicht hatte sich der Schotte an einem Felsen gestoßen. Es genügte ihr jedoch, um sich still und steif hinzulegen, den Kopf fest auf den Boden gepreßt.

Zu schrecklich wäre es gewesen, wenn sie sich zu hastig bewegt und er dabei entdeckt hätte, daß Isa das Gespräch belauscht hatte.

Sie war sicher, der Schotte würde sich auch ihrer entledigen, so wie er es offenbar ja auch mit dem Herzog zu tun beabsichtigte.

Wenn er sie hier in der Höhle töten würde, wer würde sie hier schon finden?

Eine andere Möglichkeit, die sich bot, war das Meer. Keiner würde sehen, wie sie ertränkt wurde.

Nach einer ihr endlos erscheinenden Zeit hörte sie erleichtert, wie auch er die Höhle verließ.

Sie konnte nicht widerstehen und hob den Kopf. Für einen kurzen Augenblick sah sie die Silhouette eines durchschnittlich gebauten Mannes, der sich im Sonnenlicht gegen die See abhob und dann in der gleichen Richtung wie Rory verschwand. Aus Angst, er könnte noch einmal zurückkommen, bewegte sie sich lange Zeit nicht vom Fleck.

Dann kletterte sie langsam von dem flachen Felsen wieder hinunter. Ihre nackten Füße schmerzten, und sie war froh, als sie den weichen Sand unter ihren Fußsohlen spürte.

Langsam einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte sie sich auf den Ausgang der Höhle zu.

Sie bemerkte die steigende Flut. Es dauerte jetzt nicht mehr lange, bevor die See die Höhle erreicht haben würde. Sie ging schnell nach Süden und betete im stillen, daß niemand beobachtete, woher sie kam.

Ihre Angst war so groß, daß sie zu laufen begann. In der Ferne sah sie schon, wie sich der Umriß des Daches ihres Elternhauses vor dem Moor abhob.

Ich werde es Papa erzählen, dachte sie.

Als Kind war sie immer mit all ihren Problemen zu ihm gegangen.

Doch dann zögerte sie.

Ihr Vater war jetzt bei weitem nicht mehr so belastbar wie früher. Es wäre nicht richtig von ihr, ihn oder ihre Mutter mit diesem folgenschweren Problem zu belasten. Und im Übrigen, der Gedanke traf sie wie ein Blitz, stand vielleicht ihr Leben auf dem Spiel.

Der Schotte war bereit, den Herzog zu töten, die wichtigste Person hier in der Gegend. Warum sollte er also zögern, sich nicht auch des Colonels, seiner Frau und deren Tochter zu entledigen?

Sie waren völlig ohne Schutz. Die zwei dienstbaren Geister zählten nicht, denn sie waren selbst fast so alt wie Isas Eltern.

Was auch immer geschieht, ich kann Papa nicht mit hineinziehen, nahm Isa sich vor.

Das einzig Richtige, was sie tun konnte, war, den Herzog zu warnen.

Doch der Gedanke an die eigene Vermessenheit ließ sie auflachen. Wie konnte sie, die so unbedeutend und ohne irgendeine Besonderheit war, sich dem Herzog von Strathnavern nähern?

Er war das Oberhaupt des Clans und in diesem Teil der Welt ein König, der tun und lassen konnte, was er wollte.

Das hatte man ihr schon seit ihrer Kindheit immer wieder erklärt.

Sie hatte den Herzog erst einmal bei den alljährlich stattfindenden Burgfestspielen gesehen, kurz bevor sie in den Süden gegangen war.

Die McNavern aus dem ganzen Umkreis kamen zu diesem Anlaß nach Schloß Strathnavern, um an den Hochland-Tänzen teilzunehmen oder dabei zuzuschauen, oder sie nahmen an den Wettbewerben im Baumstammwerfen, Laufen und Ringen teil. Am beliebtesten bei den Männern des Clans war jedoch das Tug-O’-War, das Tauziehen.

Bei diesem Wettbewerb kämpften Ansiedlungen gegen Ansiedlungen, bis der Gewinner des Jahres gefunden war.

Nach den Wettbewerben gab es ein großes Festmahl mit Wild und Fleisch von einem Ochsen, der auf der Burgwiese gegrillt wurde. Die Dudelsackpfeifer spielten ununterbrochen dazu, bis es für die Gäste Zeit war, nach Hause zu gehen.

Vor drei Jahren hatte Isa mit ihrem Vater die Wettkämpfe besucht und gemeinsam mit ihm auf das Erscheinen des Herzogs gewartet. Das Oberhaupt des Clans zeigte sich am späten Nachmittag in der traditionellen Kleidung eines Highland-Oberhauptes.

An der Schottenmütze steckten schwarze Hahnenfedern, und die weiße Felltasche mit den drei Quasten wurde von einer Silberkette gehalten.

Leider konnte Isa ihn nicht allzu deutlich sehen. Als sie ihren Vater fragte, warum er denn nicht mit dem Herzog spreche, konnte dieser nur antworten: »Das ist ziemlich einfach, ich bin nicht bedeutend genug - ich bin nur einer unter vielen im Clan.«

Neugierig geworden, stellte Isa ihrem Vater unzählige Fragen und erfuhr dabei, daß der Herzog anläßlich der Jagd- und Angelsaison zwar große Feste veranstaltete, doch die Einheimischen wurden nie dazu eingeladen.

Dies rief bei den Mitgliedern des Clans einigen Unmut hervor. Sie selbst hatte es nie bedrückt, aber sie fühlte, daß es ihren Vater verletzte, hatte er doch das Kommando über ein ehrenvolles Highland-Regiment geführt und für seinen Einsatz eine Medaille für Tapferkeit erhalten.

Ihre Mutter war über die Linie der Hamiltons sogar mit dem Clanführer verwandt. Darauf war sie ungeheuer stolz, auch wenn sie nur einem Tiefland-Clan entstammte.

»Nun, wenn wir nicht gut genug sind, dann sind wir eben nicht gut genug!« philosophierte Isa.

Doch gleichzeitig hätte sie gerne das Innere der Burg gesehen. Sie sah so beeindruckend aus, wie sie so trotzig hoch über der See emporragte, umgeben von prachtvollen Gärten und durch mächtige Tannen vor Wind und Schnee geschützt.

Während sie weiter dem Haus zustrebte, stellte sie fest, daß sie den Mut, einfach unangemeldet in der Burg zu erscheinen und dem Herzog von dem Vorfall in der Höhle zu berichten, nicht aufbringen würde.

Doch wie würde sie sich fühlen, wenn sie erfahren mußte, daß der Herzog auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen sei?

Wie konnte sie mit dem Gedanken leben, daß sie ihn hätte retten können, wenn sie nur den Mut dazu aufgebracht hätte?

Sie rang mit sich selbst, bis sie die Gartenpforte erreichte. Dann hob sie das Kinn. Was immer sie war eines war sie bestimmt nicht: ein Angsthase.

Vor dem Herzog fürchtete sie sich nicht. Warum auch?

Ich werde bei Mama und Papa nicht ein Wort darüber verlieren, beschloß sie. Ich werde morgen zur Burg hinüberreiten und dem Herzog erzählen, was ich in der Höhle gehört habe. Danach muß er selbst wissen, wie er handelt!

Die Entscheidung war gefallen. Ihr war nicht bewußt, daß sie dabei trotzig den Kopf zurückgeworfen hatte.

Hocherhobenen Hauptes und mit dem ihr angeborenen Stolz ging sie durch den Garten auf das Haus zu.

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