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Loe raamatut: «Der Graf von Bragelonne», lehekülg 112

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»Erschrickt Louise,« fuhr der König fort, »so beruhige sie, sage ihr, die Liebe des Königs sei ein undurchdringlicher Schild. Wenn sie, was ich gern bezweifle, schon Alles wüßte, oder wenn sie ihrerseits einen Angriff erlitten hätte, so sage ihr, Saint-Aignan, fügte der König ganz bebend vor Zorn und Fieber bei, »sage ihr, daß ich sie diesmal, statt sie zu vertheidigen, rächen werde, und zwar mit einer Strenge, daß fortan Niemand die Augen bis zu ihr zu erheben wagen soll.«

»Ist das Alles, Sire?«

»Das ist Alles. Gehe geschwinde und bleibe getreu, Du, der Du inmitten dieser Hölle lebst, ohne, wie ich, die Hoffnung aus das Paradies zu haben.«

Saint-Aignan erschöpfte sich in Ergebenheitsbetheurungen, nahm die Hand des Königs, küßte sie und ging strahlend weg.

Der König faßte sich rasch, um dem Grafen de la Fère ein gutes Gesicht zu machen.

XVII.
König und Adel

Ludwig faßte sich bald, um Herrn de la Fère ein gutes Gesicht zu machen. Er sah vorher, der Graf komme nicht aus Zufall. Er fühlte unbestimmt die Wichtigkeit dieses Besuches, aber einem Mann von dem Verdienste von Athos, einem so ausgezeichneten Geist sollte der erste Anblick nichts Unangenehmes, nichts Ungeordnetes bieten.

Als sich der junge König versichert, daß er dem Anschein nach ruhig, gab er den Huissiers Befehl, den Grafen einzuführen.

Nach einigen Minuten trat Athos, im Galakleid, mit den Orden geschmückt, die er allein am französischen Hofe zu tragen das Recht hatte, mit so ernster, so feierlicher Miene ein, daß der König mit dem ersten Blick beurtheilen konnte, ob er sich in seinen Ahnungen getäuscht oder nicht getäuscht.

Ludwig ging dem Grafen einen Schritt entgegen, und er reichte ihm lächelnd eine Hand, aus die sich Athos voll Ehrfurcht neigte.

»Herr de la Fère.« sprach rasch der König, »Ihr seid so selten bei mir, daß es ein großes Glück ist. Euch hier zu sehen.«

Athos verbeugte sich und erwiederte:

»Gern möchte ich das Glück haben, stets bei Eurer Majestät zu sein.«

Diese Antwort, in diesem Ton gegeben, bedeutete offenbar:

»Ich möchte gerne einer von den Räthen des Königs sein, um ihm Fehler zu ersparen.«

Der König fühlte das und sprach, entschlossen, vor diesem Mann den Vortheil der Ruhe mit dem Vortheil des Rangs zu bewahren:

»Ich sehe, Ihr habt mir etwas zu sagen.«

»Ich hätte mir sonst nicht erlaubt, vor Eurer Majestät zu erscheinen.«

»Sprecht geschwinde, mein Herr, es drängt mich, Euch zu befriedigen.«

Der König setzte sich.

»Ich bin überzeugt, daß mir Eure Majestät jede Befriedigung gewähren wird,« erwiederte Athos mit leicht bewegtem Ton.

»Ah!« sagte der König mit einem gewissen Hochmuth, »es ist eine Klage, was Ihr hier vorbringen wollt.«

»Es wäre nur eine Klage, wenn Eure Majestät . . . doch wollt mich entschuldigen, Sire, ich werde die Angelegenheit bei ihrem Anfang aufnehmen.«

»Ich warte.«

»Der König erinnert sich, daß ich zur Zeit der Abreise von Herrn von Buckingham die Ehre gehabt habe, mit ihm zu sprechen.«

»Ja, ungefähr um diese Zeit . . . Ja, ich erinnere mich . . . Nur habe ich den Gegenstand der Unterredung . . . vergessen.«

Athos bebte.

»Ich werde die Ehre haben, diesen Gegenstand Eurer Majestät ins Gedächtnis, zurückzurufen. Es handelte sich um eine Bitte, die ich Eurer Majestät in Betreff der Heirath vortrug, die Herr von Bragelonne mit Fräulein de la Vallière eingehen wollte.«

»Hier sind wir,« dachte der König. »Ich erinnere mich,« sagte er laut.

»Damals,« fuhr Athos fort, »damals war der König so gut und so großmüthig gegen mich und Herrn von Bragelonne, daß mir keines von den Worten, die Seine Majestät gesprochen, aus dem Gedächtniß gekommen ist.«

»Und . . . versetzte der König.

»Und der König, den ich um Fräulein de la Vallière für Herrn von Bragelonne bat, schlug es mir ab.«

»Das ist wahr,« sprach Ludwig trocken.

»Wobei er anführte, die Braut habe keinen Stand in der Welt,« fügte Athos rasch bei.

Ludwig bezwang sich, um ruhig zu hören.

»Sie habe wenig Vermögen.« sagte Athos.

Der König versenkte sich in seinen Lehnstuhl.

»Wenig Geburt.«

Neue Ungeduld des Königs.

»Und wenig Schönheit,« sprach Athos unbarmherzig.

Dieser letzte Pfeil ins Herz des Liebenden gedrückt machte diesen maßlos aufwallen.

»Mein Herr, Ihr habt ein sehr gutes Gedächtniß,« sagte er.

»Das ist immer bei mir der Fall, wenn mir die so große Ehre einer Unterredung mit dem König zu Theil geworden,« erwiederte der Graf, ohne unruhig zu werden.

»Gut, ich habe dies Alles gesagt.«

»Und ich war Eurer Majestät sehr dankbar, Sire, weil diese Worte eine für Herrn von Bragelonne äußerst ehrenvolle Theilnahme beurkundeten.«

»Ihr erinnert Euch auch, daß Ihr eine große Abneigung gegen diese Heirath hattet,« sprach der König, indem er einen besondern Nachdruck auf seine Worte legte.

»Das ist wahr, Sire.«

»Und daß Ihr die Bitte wider Willen stelltet.«

»Ja, Eure Majestät.«

»Ich erinnere mich auch, denn ich habe ein Gedächtniß, das beinahe eben so gut ist, als das Eurige, ich erinnere mich, sage ich, daß Ihr die Worte gesprochen habt: »»Ich glaube nicht an die Liebe von Fräulein de la Vallière für Herrn von Bragelonne.«« Ist dies wahr?«

Athos fühlte den Streich. Er wich nicht zurück und erwiederte:

»Sire, ich habe Eure Majestät schon um Verzeihung gebeten, aber es gibt gewisse Dinge bei dieser Unterredung, die nur bei der Entwickelung verständlich sein werden.«

»Die Entwickelung also.«

»Eure Majestät sagte damals, sie verschiebe die Heirath zum Besten von Herrn von Bragelonne.«

Der König schwieg.

»Heute ist Herr von Bragelonne so unglücklich, daß er es nicht länger verschieben kann, sich eine Lösung von Eurer Majestät zu erbitten.«

Der König erbleichte. Athos schaute ihn fest an.

»Und was . . . erbittet sich . . . Herr von Bragelonne?« fragte zögernd der König.

»Durchaus das, was ich mir vom König bei der letzten Unterredung erbat, die Einwilligung Eurer Majestät zu seiner Heirath.«

Der König schwieg.

»Die aus die Hindernisse bezüglichen Fragen sind für uns beseitigt,« fuhr Athos fort. »Ohne Vermögen, ohne Geburt, ohne Schönheit, ist Fräulein de la Vallière nichtsdestoweniger die einzige schöne Partie der Welt für Herrn von Bragelonne, da er dieses Mädchen liebt.«

Der König preßte seine Hände aneinander.

»Der König zögert?« fragte der Graf, ohne etwas von seiner Festigkeit oder von seiner Höflichkeit zu verlieren.

»Ich zögere nicht . . . ich schlage es ab,« erwiederte Ludwig.

Athos sammelte sich einen Augenblick, dann sprach er mit sanftem Ton:

»Ich habe die Ehre gehabt, dem König zu bemerken, kein Hinderniß widersetze sich der Neigung von Herrn von Bragelonne, und sein Entschluß scheine unabänderlich.«

»Mein Wille ist dagegen, und das ist, glaube ich, ein Hinderniß.«

»Das bedeutendste von allen,« sprach Athos.

»Ah!«

»Es sei uns nur erlaubt, Eure Majestät in Demuth um den Grund dieser Versagung zu bitten.«

»Der Grund! . . Eine Frage?« rief der König.

»Eine Bitte, Sire.«

Der König stützte sich mit beiden Fäusten aus den Tisch und sprach mit gedrängter Stimme:

»Ihr habt die Gewohnheit des Hofes verloren, Herr Graf de la Fère. Bei Hofe befragt man den König nicht.«

»Das ist wahr, Sire; doch wenn man nicht befragt, so nimmt man an.«

»Man nimmt an? Was will dies besagen?«

»Sire, die Annahme des Unterthanen schließt beinahe immer den Mangel an Offenherzigkeit des Königs in sich . . . «

»Mein Herr!«

»Und den Mangel an Vertrauen des Unterthanen,« fuhr Athos unerschrocken fort.

»Ich glaube, daß Ihr Euch verseht,« entgegnete der König, unwillkührlich zum Zorn hingerissen.

»Sire, ich bin genöthigt, anderswo das zu suchen, was ich in Eurer Majestät zu finden glaubte. Statt eine Antwort von Euch zu bekommen, bin ich genöthigt, mir selbst eine zu machen.«

Der König stand auf und sprach:

»Ich habe Euch die Zeit gegeben, die ich frei hatte.«

Das war ein Abschied.

»Sire,« erwiederte der, »ich hatte nicht die Zeit, dem König zu sagen, was ich ihm sagen wollte, und ich sehe den König so selten, daß ich die Gelegenheit ergreifen muß.«

»Ihr waret bei der Annahme; Ihr werdet zu den Beleidigungen übergehen.«

»Oh! Sire, den König beleidigen! . . . Ich? . . . Nie! . . . Ich habe mein ganzes Leben behauptet, die Könige stehen über den anderen Menschen, nicht nur durch den Rang und die Macht, sondern durch den Adel des Herzens und den Werth des Geistes. Ich werde mir nie den Glauben beibringen, mein König, derjenige, welcher mir ein Wort gesagt, verberge mit diesem Worte einen Hintergedanken.«

»Was wollt Ihr damit sagen? Welchen Hintergedanken?«

»Ich erkläre mich,« erwiederte Athos mit kaltem Tone. »Hatte Eure Majestät, wenn sie Fräulein de la Vallière Herrn von Bragelonne verweigerte, etwas Anderes im Auge, als das Glück und das Vermögen des Vicomte . . . «

»Ihr seht wohl, mein Herr, daß Ihr mich beleidigt.«

»Wollte Eure Majestät, indem sie einen Aufschub vom Vicomte forderte, nur den Bräutigam von Fräulein de la Vallière entfernen . . . «

»Mein Herr! mein Herr!«

»Das habe ich überall sagen hören, Sire. Ueberall spricht man von der Liebe des Königs für Fräulein de la Vallière.«

Der König zerriß seine Handschuhe, in die er, um Fassung zu behaupten, seit einigen Minuten biß.

»Wehe!« rief er, »wehe denen, die sich in meine Angelegenheiten mischen! Ich habe einen Entschluß gefaßt! ich werde alle diese Hindernisse brechen.«

»Welche Hindernisse?« fragte Athos.

Der König hielt kurz inne, wie ein fortstürmendes Pferd, dem das Gebiß, sich in seinem Maule umdrehend, den Gaumen zerreißt.

»Ich liebe Fräulein de la Vallière!« sagte er plötzlich, mit eben so viel Adel, als Heftigkeit.

»Aber das hindert Eure Majestät nicht, Herrn von Bragelonne mit Fräulein de la Vallière zu verheirathen,« sagte Athos. »Das Opfer ist eines Königs würdig; es ist verdient von Herrn von Bragelonne, der schon Dienste geleistet hat und für einen wackeren Mann gelten kann. Auf seine Liebe verzichtend, gibt daher der König einen Beweis zugleich von seiner Großmuth, von seiner Dankbarkeit und von seiner guten Politik.«

»Fräulein de la Vallière liebt Herrn von Bragelonne nicht,« sprach der König mit dumpfem Tone.

»Der König weiß es?« fragte Athos mit einem tiefen Blick.

»Ich weiß es.«

»Seit Kurzem also; denn hätte es der König bei meiner ersten Bitte gewußt, so würde er sich die Mühe genommen haben, es mir zu sagen.«

»Seit Kurzem.«

Athos schwieg einen Augenblick.

»Dann begreife ich nicht, daß der König Herrn von Bragelonne nach London geschickt hat,« sagte er. »Diese Verbannung setzt mit Recht alle diejenigen, welche die Ehre des Königs lieben, in Erstaunen.«

»Wer spricht von der Ehre des Königs, Herr de la Fère?«

»Die Ehre des Königs, Sire, besteht aus der Ehre seines ganzen Adels. Wenn der König einen von seinen Edelleuten beleidigt, das heißt, wenn er ihm ein Stück von seiner Ehre nimmt, so wird ihm selbst, dem König, dieser Theil der Ehre geraubt.«

»Herr de la Fère!«

»Sire, Ihr habt Herrn von Bragelonne nach London geschickt, ehe Ihr der Liebhaber von Fräulein de la Vallière waret, oder seitdem Ihr ihr Liebhaber seid.«

Ausgebracht, besonders weil er sich beherrscht fühlte, wollte es der König versuchen, Athos durch eine Geberde zu entlassen.

»Sire, ich werde Euch Alles sagen,« sprach Athos, »ich werde nur befriedigt durch Eure Majestät oder durch mich selbst von hinnen gehen: befriedigt, wenn Ihr mir bewiesen, daß Ihr Recht habt, befriedigt, wenn ich Euch bewiesen, daß Ihr Unrecht habt. Oh! Ihr werdet mich anhören, Sire. Ich bin alt und halte an Allem dem, was es wahrhaft Großes und wahrhaft Starkes in Eurem Königreiche gibt. Ich bin ein Edelmann, der sein Blut für Euch und Euren Vater vergossen hat, ohne je etwas von Euch oder Eurem Vater zu verlangen. Ich habe Niemand in dieser Welt Unrecht zugefügt, und ich habe Könige verpflichtet! Ihr werdet mich anhören. Ich komme, um von Euch Rechenschaft über die Ehre von einem von Euren Dienern zu fordern, den Ihr durch eine Lüge hintergangen oder durch eine Schwäche verrathen habt. Ich weiß, daß diese Worte Eure Majestät erzürnen, aber die Thatsachen tödten uns Andere. Ich weiß, daß Ihr Euch besinnt, welche Strafe Ihr über meine Offenherzigkeit verhängen sollt, aber ich weiß auch, welche Strafe über Euch zu verhängen ich Gott bitten werde, wenn ich ihm Euren Meineid und das Unglück meines Sohnes erzähle.«

Der König ging, die Hand in der Brust, den Kopf steif, das Auge flammend, mit großen Schritten auf und ab.

»Mein Herr!« rief er plötzlich, »wäre ich für Euch der König, so wäret Ihr schon bestraft; aber ich bin nur ein Mensch, und ich habe das Recht, aus Erden diejenigen zu lieben, welche mich lieben, – ein so seltenes Glück!«

»Ihr habt dieses Glück nicht mehr als König, denn als Mensch, Sire, oder wenn Ihr es redlich nehmen wolltet, mußtet Ihr Herrn von Bragelonne in Kenntniß setzen, statt ihn zu verbannen.«

»Ich glaube wahrhaftig, ich streite!« sprach Ludwig mit jener Majestät, die nur er allein in einem so merkwürdigen Grade im Blick und in der Stimme zu finden wußte.

»Ich hoffte, Ihr würdet mir antworten,« sagte der Graf.

»Ihr werdet meine Antwort bald erfahren, mein Herr!«

»Ihr kennt meinen Gedanken,« erwiederte der Graf.

»Ihr habt vergessen, daß Ihr mit dem König sprachet, mein Herr! Das ist ein Verbrechen!«

»Ihr habt vergessen, daß Ihr das Leben von zwei Menschen brachet. Das ist eine Todsünde, Sire!«

»Entfernt Euch nun!«

»Nicht ehe ich Euch gesagt habe: Sohn von Ludwig XIII., Ihr beginnt Eure Regierung schlecht, denn Ihr beginnt sie mit der Entführung und der Unredlichkeit! Mein Geschlecht und ich, wir sind gegen Euch aller der Zuneigung und aller der Ehrfurcht entbunden, die ich meinen Sohn in der Gruft von Saint-Denis in Gegenwart der Ueberreste Eurer edlen Ahnen habe schwören lassen. Ihr seid unser Feind geworden. Sire, und wir haben es fortan nur noch mit Gott als unserem einzigen Herrn zu thun. Gebt hierauf Obacht.«

»Ihr droht?«

»Oh! nein,« sprach Athos traurig, »ich habe eben so wenig Prahlerei, als Furcht im Herzen. Gott, von dem ich Euch sage, Sire, hört mich reden; er weiß, daß ich für die Unversehrtheit, für die Ehre Eurer Krone noch gegenwärtig Alles vergießen würde, was mir an Blut zwanzig Jahre des Bürgerkriegs und des auswärtigen Kriegs gelassen haben. Ich kann Euch also versichern, daß ich den König eben so wenig bedrohe, als ich den Menschen bedrohe; aber ich sage Euch: Ihr verliert zwei Diener, weil Ihr den Glauben im Herzen des Vaters und die Liebe im Herzen des Sohnes getödtet habt. Der Eine glaubt nicht mehr an das königliche Wort, der Andere glaubt nicht mehr an die Redlichkeit der Männer, an die Reinheit der Frauen. Der Eine ist todt für die Ehrfurcht und der Andere für den Gehorsam! Gott befohlen!«

Nachdem er so gesprochen, zerbrach Athos seinen Degen auf seinem Knie, legte langsam die zwei Stücke davon auf den Boden, verbeugte sich vor dem König, der vor Wuth und Scham erstickte, und verließ das Cabinet.

Auf seinen Tisch niedergesunken, brauchte Ludwig einige Minuten, um Fassung zu erringen, dann erhob er sich plötzlich, läutete heftig und rief den erschrockenen Dienern zu:

»Man hole Herrn d’Artagnan.«

XVIII.
Folge des Sturmes

Ohne Zweifel haben unsere Leser sich schon gefragt, wie sich Athos so zur rechten Zeit beim König eingefunden, er von dem sie seit langer Zeit nicht hatten sprechen hören. Da wir uns als Romandichter hauptsächlich die Ausgabe stellten, die Ereignisse mit einer beinahe unseligen Logik mit einander zu verketten, so hielten wir uns bereit, zu antworten, und wir antworten aus diese Frage.

Getreu seiner Pflicht als Streitordner, war Porthos, nachdem er das Palais-Royal verlassen, Raoul zu den Minimes des Waldes von Vincennes gefolgt und hatte ihm in ihren geringsten Einzelheiten seine Unterredung mit Saint-Aignan erzählt. Er endigte mit der Behauptung, die Sendung des Königs an seinen Günstling würde wahrscheinlich nur eine augenblickliche Verzögerung herbeiführen, und Saint-Aignan würde sich, wenn er vom König wegginge, beeilen, dem Ruf zu folgen, der von Raoul an ihn ergangen.

Aber minder gläubig als sein alter Freund, schloß Raoul aus der Erzählung von Porthos, wenn Saint-Aignan zum König ginge, würde er diesem Alles erzählen, und wenn Saint-Aignan dem König Alles erzählte, würde der König Saint-Aignan verbieten, sich aus den Kampfplatz zu begeben. In Folge dieser Betrachtung ließ er Porthos den Ort in dem sehr unwahrscheinlichen Fall bewachen, daß Saint-Aignan käme; er forderte sogar Porthos aus, nicht mehr, als eine oder anderthalb Stunden aus der Wiese zu bleiben. Dem widersetzte sich Porthos förmlich, er stellte sich im Gegentheil bei den Minimes fest, als wollte er hier Wurzel fassen, ließ Raoul versprechen, von seinem Vater aus in seine, Raouls, Wohnung zurückzukommen, damit der Lackei. von Porthos wüßte, wo er ihn finden könnte, wenn Saint-Aignan beim Rendez-vous erscheinen würde.

Bragelonne verließ Vincennes und begab sich geraden Weges zu Athos, der sich seit zwei Tagen in Paris befand.

Der Graf war schon durch einen Brief von d’Artagnan benachrichtigt.

Raoul kam also im Ueberfluß zu seinem Vater, der ihm, nachdem er ihm die Hand gereicht und, ihn umarmt hatte, durch ein Zeichen bedeutete, er möge sich setzen.

»Ich weiß, daß Ihr zu mir kommt, wie man zu einem Freunde kommt, Vicomte, wenn man weint oder wenn man leidet; sagt mir, welche Ursache Euch hierher führt.«

Der junge Mann, verbeugte sich und begann seine Erzählung. Mehr als einmal im Lause dieser Erzählung hemmten die Thränen seine Stimme und ein in seiner Kehle zusammengepreßtes Schluchzen unterbrach seine Rede. Er vollendete indessen.

Athos wußte ohne Zweifel schon, woran er sich zu halten hatte, da ihm, wie gesagt, d’Artagnan geschrieben, weil ihm aber daran lag, bis zum Ende die Ruhe und die Heiterkeit zu bewahren, welche die beinahe übermenschliche Seite seines Charakters bildeten, so erwiederte er:

»Raoul, ich glaube nichts von dem, was man sagt; ich glaube nichts von dem, was Ihr fürchtet, nicht als ob nicht schon glaubwürdige Personen von diesem Abenteuer mit mir gesprochen hätten, sondern weil ich es in meiner Seele und in meinem Gewissen für unmöglich halte, daß der König einen Edelmann beschimpft hat. Ich verbürge mich also für den König und will Euch den Beweis von dem bringen, was ich sage.«

Wie ein Trunkener zwischen dem, was er mit seinen eigenen Augen gesehen und seinem unstörbaren Glauben an den Mann, der nie gelogen, schwankend, verbeugte sich Raoul und antwortete nur:

»Geht also, Herr Graf, ich werde warten.«

Und er setzte sich und verbarg den Kopf in seinen beiden Händen. Athos kleidete sich an und ging weg. Beim König that er, was wir unseren Lesern erzählt, die ihn haben bei Seiner Majestät eintreten und von dort sich wieder entfernen sehen.

Als er wieder nach Hause kam, hatte Raoul, bleich und düster, seine verzweifelte Stellung noch nicht verlassen. Doch bei dem Geräusch der Thüren, die sich öffneten, bei dem Geräusch der Tritte seines Vaters, die sich ihm näherten, erhob der junge Mann das Haupt.

Athos war bleich, ernst; er übergab seinen Hut und seinen Mantel dem Lackei, schickte ihn mit einer Geberde weg und setzte sich zu Raoul.

»Nun! mein Herr,« fragte der junge Mann, traurig von oben nach unten den Kopf schüttelnd, »seid Ihr nun wohl überzeugt?«

»Ich bin es, Raoul: der König liebt Fräulein de la Vallière.«

»Er gesteht es also?« rief Raoul.

»Ganz und gar.«

»Und sie?«

»Ich habe sie nicht gesehen.«

»Nein, aber der König hat von ihr mit Euch gesprochen, was sagt er von ihr?«

»Er sagt, sie liebe ihn.«

»Oh! Ihr seht! Ihr seht!« rief der junge Mann. Und er machte eine Geberde der Verzweiflung.

»Raoul,« sprach der Graf, »glaubt mir, ich habe dem König Alles gesagt, was Ihr selbst ihm hättet sagen können, und ich meine, ich habe es ihm in anständigen, aber festen Ausdrücken gesagt.«

»Und was habt Ihr ihm gesagt, mein Herr?«

»Ich habe ihm gesagt, Raoul, Alles sei zwischen ihm und uns zu Ende; Ihr würdet nichts mehr für seinen Dienst sein; ich habe gesagt, ich selbst würde entfernt bleiben. Nun brauche ich nur noch Eines zu wissen.«

»Was, mein Herr?«

»Ob Ihr Euren Entschluß gefaßt habt.«

»Meinen Entschluß? In welcher Hinsicht?«

»In Beziehung auf die Liebe und . . . «

»Vollendet, mein Herr.«

»Und die Rache, denn ich befürchte, Ihr gedenkt Euch zu rächen.«

»Oh! mein Herr, die Liebe . . . eines Tages vielleicht, später wird es mir gelingen, sie aus meinem Herzen zu reißen. Ich rechne hieraus mit der Hilfe Gottes und Eurer weisen Ermahnungen. Die Rache, sie war mir nur unter der Herrschaft eines schlimmen Gedanken eingefallen, denn an dem wahren Schuldigen konnte ich mich nicht rächen; ich verzichtete daher aus die Rache.«

»Ihr gedenkt also nicht mehr Streit mit Herrn von Saint-Aignan zu suchen?«

»Nein, mein Herr. Eine Auffordernng ist geschehen: nimmt sie Herr von Saint-Aignan an, so werde ich sie behaupten. Nimmt er sie nicht an, so stehe ich davon ab.«

»Und la Vallière?«

»Der Herr Graf konnte nicht im Ernste denken, ich würde mich an einem Weibe rächen,« erwiederte Raoul mit einem so traurigen Lächeln, daß es eine Thräne an den Rand der Augenlieder dieses Mannes zog, der sich so oft zu seinen Schmerzen und zu denen der Andern herabgeneigt hatte.

Er reichte Raoul die Hand. Raoul ergriff sie rasch und fragte:

»Herr Graf, Ihr seid also fest überzeugt, daß das Uebel unheilbar ist?«

Athos schüttelte den Kopf und murmelte:

»Armes Kind!«

»Ihr denkt, ich hoffe noch, und Ihr beklagt mich,« sagte Raoul. »Oh! seht Ihr, es kostet mich eine unsägliche Anstrengung, diejenige, welche ich so sehr geliebt, zu verachten, wie ich dies soll. Oh! warum habe ich nicht auch irgend ein Unrecht gegen sie, ich, wäre glücklich und würde ihr verzeihen.«

Athos schaute seinen Sohn traurig an. Die paar Worte, welche Raoul gesprochen, schienen aus seinem eigenen Herzen hervorgegangen zu sein.

In diesem Augenblick meldete der Lackei Herrn d’Artagnan.

Dieser Name klang aus eine ganz verschiedene Weise in den Ohren von Athos und in denen von Raoul.

Der Musketier erschien mit einem unbestimmten Lächeln aus den Lippen. Athos trat auf seinen Freund mit einem Gesichtsausdrucke zu, der Bragelonne nicht entging. D’Artagnan antwortete Athos durch ein einfaches Blinzeln mit dem Auge, dann näherte er sich Raoul, nahm ihn bei der Hand und sprach, indem er sich zugleich an den Vater und an den Sohn wandte:

»Nun! wir trösten das Kind, wie es scheint.«

»Und, stets gut, kommt Ihr, um mich bei dieser schwierigen Ausgabe zu unterstützen,« sagte Athos,

Und er drückte zwischen seinen beiden Händen die Hand von d’Artagnan. Raoul glaubte zu bemerken, dieser Druck habe einen besonderen Sinn abgesehen von dem der Worte.

»Ja,« erwiederte der Musketier, indem er sich mit den Hand, die ihm Athos frei ließ, am Schnurrbart kratzte, »ja, ich komme auch.«

»Seid willkommen, Herr Chevalier, nicht wegen des Trostes, den Ihr bringt, sondern um Eurer selbst willen. Ich bin getröstet,« sagte Raoul.

Und er suchte zu lächeln, doch sein Lächeln war trauriger, als irgend eine von den Thränen, welche d’Artagnan je hatte vergießen sehen.

»Dann ist es gut,« versetzte d’Artagnan.

»Nur,« sprach Raoul, »nur seid Ihr gekommen, als mir der Herr Graf die Einzelheiten seiner Unterredung mit dem König mittheilen wollte. Nicht wahr, Ihr erlaubt, daß der Herr Graf fortfährt?«

Und die Augen des jungen Mannes schienen bis im Grunde des Herzens von d’Artagnan lesen zu wollen.

»Seiner Unterredung mit dem König?« versetzte der Musketier mit einem so natürlichen Ton, daß man unmöglich sein Erstaunen bezweifeln konnte.

»Ihr habt also den König gesehen, Athos?«

Lächelnd erwiederte Athos:

»Ja, ich habe ihn gesehen.«

»Ah! wahrhaftig, Ihr wußtet nicht, daß der Graf Seine Majestät gesehen?« fragte Raoul halb beruhigt.

»Meiner Treue, durchaus nicht.«

»Dann bin ich ruhiger,« sagte Raoul.

»Ruhiger, worüber?« fragte Athos.

»Mein Herr,« sprach Raoul, »verzeiht mir, doch da ich die Freundschaft, die Ihr für mich zu hegen mir die Ehre erweist, kenne, so befürchtete ich, Ihr hättet ein wenig lebhaft Seiner Majestät meinen Schmerz und Eure Entrüstung ausgedrückt, und der König . . . «

»Und der König?« wiederholte d’Artagnan; »vollendet, Raoul.«

»Entschuldigt mich, Herr d’Artagnan. Einen Augenblick, ich muß es gestehen, hatte ich bange, Ihr kämet hierher nicht als Herr d’Artagnan, sondern als Kapitän der Musketiere.«

»Ihr seid verrückt, mein armer Raoul.« rief d’Artagnan, in ein Gelächter ausbrechend, bei dem ein scharfer Beobachter vielleicht mehr Offenherzigkeit gewünscht hätte.

»Desto besser,« sagte Raoul.

»Ja, verrückt, und wißt Ihr, was ich Euch rathe?«

»Sprecht, mein Herr, da der Rath von Euch kommt, so muß er gut sein.«

»Nun wohl, ich rathe Euch, nach Eurer Reise, nach Eurem Besuche bei Herrn von Guiche, nach Eurem Besuche bei Madame, nach Eurem Besuche bei Porthos, nach Eurem Ritt nach Vincennes, ich rathe Euch, ein wenig auszuruhen; legt Euch nieder, schlaft zwölf Stunden, und bei Eurem Erwachen reitet mir ein gutes Pferd müde.«

Und er zog ihn zu sich und umarmte ihn, wie er es mit seinem eigenen Kinde gethan hätte. Athos that dasselbe, nur war der Kuß sichtbar zärtlicher und der Druck noch stärker bei dem Vater, als bei dem Freunde.

Der junge Mann schaute noch einmal diese zwei Männer an und suchte sie mit allen Kräften seines Verstandes zu durchdringen. Aber sein Blick stumpfte sich an der lachenden Physiognomie des Musketiers und an dem ruhigen und sanften Gesichte des Grafen de la Fère ab.

»Und wohin geht Ihr?« fragte der Letztere, als er sah, daß sich Raoul wegzugehen anschickte.

»Nach Hause,« antwortete dieser mit seinem milden, traurigen Ton.

»Dort wird man Euch also finden, Vicomte, wenn man Euch etwas zu sagen hat?«

»Ja, mein Herr. Seht Ihr vorher, daß Ihr mir etwas zu sagen habt?«

»Was weiß ich!« erwiederte Athos.

»Ja, tröstliche Nachrichten mitzutheilen,« sprach d’Artagnan, während er Raoul sanft nach der Thüre schob.

Als Raoul diese Heiterkeit in jeder Geberde der beiden Freunde bemerkte, ging er aus der Wohnung des Grafen weg und nahm nichts mit sich, als das einzige Gefühl seines eigenen Schmerzes.

»Gott sei gelobt!« sagte er; »ich darf also nur noch an mich denken.«

Und er hüllte sich so in seinen Mantel, daß er vor den Vorübergehenden sein betrübtes Gesicht verbarg, und trat aus dem Hause, um sich nach seiner eigenen Wohnung zu begeben, wie er es Porthos versprochen hatte.

Die zwei Freunde hatten den jungen Mann mit einem gleichen Gefühle des Mitleids sich entfernen sehen.

Nur drückte es jeder aus eine andere Weise aus.

»Armer Raoul!« sagte Athos, indem er einen Seufzer entströmen ließ.

»Armer Raoul!« sagte d’Artagnan die Achseln juckend.