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Loe raamatut: «Otto der Schütz», lehekülg 3

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Die Bogenschützen verrichteten ihr Gebet an der Felsenkirche, dann kehrten sie nach dem nächsten Dorfe zurück, um dort zu übernachten.

Am folgenden Morgen begaben sie sich wieder auf den Weg; der Tag verfloß ohne andere Vorfälle, als eine allmählige Verstärkung. Die Bogenschützen strömten aus allen Theilen Deutschlands zu diesem jährlichen Feste herbei, dessen Preis für dieses Mal in einem Barett von grünem Sammet mit zwei durch eine Diamantagraffe mit einander verbundenen goldenen Eichenzweigen bestand. Sie sollte von der einzigen Tochter des Markgrafen selbst, der jungen Prinzessin Helene, welche ihr vierzehntes Jahr antrat, gegeben werden. Das Herbeiströmen so vieler geschickter Bogenschützen hatte daher nichts Erstaunenswürdiges.

Der kleine Haufen, der sich jetzt auf vierzig bis fünfzig Mann belief, wollte am folgenden Morgen früh in Cleve ankommen, da das Schießen gleich nach der letzten Messe, das heißt, um elf Uhr beginnen sollte. Die Bogenschützen hatten dem zu Folge beschlossen in Kervenheim zu übernachten. Die Tagereise war stark, man kehrte daher auch kaum ein, um zu frühstücken und zu Mittag zu essen. Wie sehr sich indessen die Reisenden auch beeilten, so erreichten sie diese Stadt doch erst nach dem Thorschlusse. Es handelte sich darum, die Nacht außerhalb, und das so gut als möglich zuzubringen; man erblickte ein verfallenes Schloß auf einem benachbarten Berge, es war das Schloß Windeck.

Jeder war der Meinung, diesen günstigen Umstand zu benutzen, mit Ausnahme des ältesten der Bogenschützen, der sich aus allen seinen Kräften dem widersetzte; da er aber der Einzige seiner Meinung war, so hatte seine Stimme keinen Einfluß, und wenn er nicht allein bleiben wollte, so war er genöthigt, seine jungen Gefährten zu begleiten; er folgte ihnen.

Die Nacht war finster; nicht ein Stern glänzte am Himmel, schwere Regenwolken zogen über den Häuptern unserer Wanderer gleich den Wogen eines Luftmeeres dahin. Ein solches Obdach, so unvollständig es auch sein mogte, war daher eine Wohlthat des Himmels.

Die Bogenschützen erklommen schweigend den Hügel, und dennoch hörten sie bei dem Geräusche ihrer Schritte längs des ganzen mit Gestrüpp bedeckten Fußpfades das Wild entfliehen, dessen zahlreiche Anwesenheit andeutete, daß diese einsamen Ruinen gegen die Anwesenheit der Menschen durch einen abergläubigen Schrecken geschützt wären. Plötzlich sahen die welche vorausgingen, den ersten Thurm gleich einem Gespenste vor ihren Augen sich aufrichten, eine riesenhafte Schildwoche, welche zu andern Zeiten bestimmt war, den Eingang des Schlosses zu vertheidigen. Der alte Bogenschütz schlug vor, in diesem Thurme zu verweilen, und sich mit diesem Obdache zu begnügen. Man machte dem zu Folge Halt; einer der Schützen schlug Feuer, zündete einen Tannenzweig an, und überschritt das Thor.

Nun wurde man gewahr, daß die Dächer eingefallen waren, daß die Mauern allein noch standen, und da die Nacht regnerisch zu werden drohte, so gab es nur eine Stimme, den Weg bis nach den Wohngebäuden fortzusetzen; indessen ließ man von Neuem den alten Schützen die Freiheit, an diesem Orte zurückzubleiben. Aber er schlug es ein zweites Mal aus, indem er vorzog, seinen Gefährten überall hin zu folgen, wohin sie gehen würden, als in einer solchen Nacht und in einer solchen Nachbarschaft allein zu bleiben. Die Truppe begab sich daher wieder auf den Weg; nur hatte während dieses Haltes von einigen Minuten jeder einen Tannenzweig abgebrochen und sich eine Harzfackel gemacht, so daß der Berg, der vorher dunkel, Plötzlich erleuchtet geworden war, und daß man an dem Ende des Lichtkreises die traurige, unbestimmte und dunkle Masse des Schlosses zu unterscheiden begann, das, in dem Maße als man näher kam, auf eine weit deutlichere Weise hervortrat, indem es seine massiven Säulen und seine gedrückten Gewölbe zeigte, deren erste Steine vielleicht von Karl dem Großen selbst gelegt worden waren, als er von den Pyrenäen bis nach den batavischen Morästen diese Linie von Festen erbauen ließ, welche dazu bestimmt war, den Einfall der Männer des Nordens zu brechen.

Bei dem Herannahen der Bogenschützen und bei dem Anblicke der Fackeln entflohen die Gäste des Schlosses nun auch; es waren Eulen und Krähen mit schwerfälligem Fluge, welche, nachdem sie zwei bis drei Kreise über den Häuptern derer beschrieben, welche sie zu stören kamen, sich kläglich schreiend entfernten. Bei diesem Anblicke und bei diesem widrigen Geschrei waren die Herzhaftesten nicht frei von einer Regung des Schreckens, denn sie wußten, daß es gewisse Gefahren gibt, gegen die weder der Muth noch die Zahl Etwas vermögen. Sie drangen nichts desto weniger in den ersten Hof, und befanden sich in dem Mittelpunkte eines großen, von Gebäuden gebildeten Viereckes, von denen die einen in Ruinen zusammenfielen, während die andern sich in einem um so auffallenderen Zustande der Erhaltung befanden, je größer der Kontrast war mit den Trümmern, die ihnen gegenüber den Boden bedeckten.

Die Bogenschützen traten in ein Gebäude, welches ihnen das am meisten bewohnbare schien, und befanden sich bald in einem großen Saale, welcher ehedem der der Knappen gewesen zu sein schien. Trümmern von Läden verschlossen die Fenster so, um die größte Gewalt des Windes zu brechen. Bänke von Eichenholz, welche in dem ganzen Umkreise des Saales an die Wände befestigt waren, konnten noch zu demselben Gebrauche dienen, zu dem sie bestimmt gewesen waren. Endlich bot ihnen ein ungeheures Kamin das Mittel, ihren Schlaf zugleich zu erleuchten und zu erwärmen. Das war Alles, was Männer wünschen konnten, welche, durch die Mühseligkeiten der Jagd und des Krieges abgehärtet, daran gewöhnt waren, Nächte zuzubringen, in denen sie nur die Wurzeln eines Baumes zum Kopfkissen und sein Laub zum Obdache hatten.

Das Schlimmste von alle dem war, Nichts zum Abendessen zu haben. Der Weg war lang gewesen und das Mittagessen längst vergessen; aber das war wieder eine jener Unannehmlichkeiten, an welche Jäger gewöhnt sein müssen. Dem zu Folge schnallte man den Gürtel enger, zündete ein großes Feuer in dem Kamine an, wärmte sich reichlich, da man nichts Besseres thun konnte, und als sich dann der Schlaf der Wanderer zu bemächtigen begann, so richtete sich jeder so bequem ein, als er es vermogte, um die Nacht zuzubringen, nachdem man indessen aus den Rath des alten Schützen die Vorsicht getroffen hatte, vier Personen nach einander wachen zu lassen, damit der Schlaf der übrigen Truppe ruhig wäre. Man zog das Loos, und das Loos traf Otto, Hermann, den alten Bogenschützen und Robert. Die Wachen wurden auf zwei Stunden jede bestimmt; in diesem Augenblicke schlug es halb zehn Uhr auf der Kirche von Kervenheim. Otto begann die seinige, und nach Verlauf eines Augenblickes befand er sich unter seinen neuen Gefährten allein wach.

Das war der erste Moment der Ruhe, den er fand, um mit sich selbst zu sprechen. Drei Tage zuvor, zur selben Stunde, war er glücklich und stolz, indem er der edelsten Ritterschaft der Umgegend die Ehren des Schlosses Godesberg erwies, und jetzt, ohne daß er irgend Etwas zu der entstandenen Veränderung beigetragen, deren Ursache er fast nicht wußte, befand er sich der väterlichen Liebe beraubt, verbannt, ohne das Ziel seiner Verbannung zu wissen, und unter einen Haufen ohne Zweifel wackerer und biederer Männer gemischt, die aber ohne Geburt und ohne Zukunft waren, über deren Schlaf er, der Sohn eines Fürsten, wachte, der daran gewöhnt war zu schlafen, während man über den seinigen wachte! Diese Betrachtungen ließen ihm seine Wache kurz erscheinen. Zehn Uhr, halb elf Uhr und elf Uhr schlugen nach einander, ohne daß er den Gang der Zeit gewahr wurde, und ohne daß irgend Etwas seine Betrachtungen störte. Indessen begann die körperliche Ermüdung gegen die moralische Beschäftigung zu kämpfen, und als es halb zwölf schlug, war es Zeit, daß das Ende seiner Wache herbeikam, denn seine Augen schlossen sich unwillkürlich. Er weckte dem zu Folge Hermann, der ihm folgen sollte, indem er ihm meldete, daß seine Reihe gekommen wäre. Hermann erwachte sehr übler Laune; er träumte, daß er ein Reh braten ließ, das er geschossen hatte, und in dem Augenblicke, wo er zum Mindesten im Traume ein gutes Abendessen halten wollte, befand er sich wieder nüchtern, mit leerem Magen und ohne irgend eine Aussicht, ihn zu füllen. Getreu dem gegebenen Befehle, trat er nichts desto weniger Otto seinen Platz ab, und nahm den seinigen ein. Otto legte sich; seine halb offenen Augen unterschieden noch während einiger Zeit auf eine ungewisse Weise die ihn umgebenden Gegenstände, und unter diesen Gegenständen Hermann, der an eine der massiven Säulen des Kamines gelehnt stand; bald verschmolz Alles in einem grauen Nebel, in welchem jedes Ding seine Gestalt und seine Farbe verlor, endlich schloß er die Augen gänzlich und entschlief.

Wie wir bemerkt, war Hermann an einem der massiven Träger des Kamines stehen geblieben, indem er das Getöse des Windes in den hohen Thürmen behorchte, und bei dem verlöschenden Scheine des Feuers seine Blicke in die dunkelsten Winkel des Gemaches senkte. Seine Augen waren auf eine verschlossene Thüre gerichtet, welche in die inneren Gemächer des Schlosses führen zu müssen schien, als es Mitternacht schlug. So tapfer Hermann auch war, so zählte er doch mit einem gewissen inneren Schauder, und die Augen immer auf denselben Punkt geheftet, die elf Schläge der Glocke, als in dem Augenblicke, wo der zwölfte erschallte, die Thüre aufging, und ein junges, schönes Mädchen, bleich und schweigend auf der, von einem hinter ihr verborgenen Lichte erleuchteten Schwelle erschien. Hermann wollte rufen. aber das junge Mädchen, wie als ob sie seine Absicht errathen hätte, legte einen Finger auf ihren Mund, um ihm Schweigen zu gebieten, und gab ihm mit der andern Hand einen Wink, ihr zu folgen.

IV

Hermann zögerte einen Augenblick lang; aber da er sogleich bedachte, daß es schimpflich für einen Mann wäre, vor einer Frau zu zittern, so that er einige Schritte auf die geheimnißvolle Unbekannte zu, welche, als sie ihn zu sich kommen sah, in das Zimmer zurückkehrte, eine auf einem Tische stehende Lampe nahm, eine andere Thüre öffnete, und von der Schwelle dieser aus sich umwandte, um dem an dem Eingange des zweiten Zimmers stehen gebliebenen Bogenschützen einen neuen Wink zu geben. Der Wink war mit einem so huldvollen Lächeln begleitet, daß die letzten Befürchtungen Hermanns verschwanden. Er eilte hinter dem jungen Mädchen her, welche, als sie seine eiligen Schritte hörte, sich ein letztes Mal umwandte, um ihm ein Zeichen zu machen, hinter ihr zu gehen, indem er einige Schritte der Entfernung beibehielt, Hermann gehorchte.

So schritte sie schweigend durch eine Reibe öder und dunkler Gemächer, bis endlich die geheimnißvolle Führerin die Thüre eines hell erleuchteten Zimmers aufstieß, in welchem ein Tisch mit zwei Gedecken angerichtet war. Das junge Mädchen trat zuerst ein, stellte die Lampe auf das Kamin und setzte sich ohne ein Wort zu sagen auf einen der Stühle, welche die Tischgenossen erwarteten. Als sie hierauf sah, daß Hermann, eingeschüchtert und zögernd, auf der Schwelle der Thüre stehen geblieben war, sagte sie zu ihm:

–– Seid willkommen auf dem Schlosse von Windeck.

–– Aber darf ich die Ehre annehmen, welche Ihr mir anbietet? antwortete Hermann.

–– Habt Ihr nicht Hunger und Durst, Herr Schütz? erwiderte das junge Mädchen; so setzt Euch denn an diesen Tisch und trinkt und eßt, ich lade Euch dazu ein.

–– Ihr seid ohne Zweifel das Burgfräulein? sagte Hermann, indem er sich setzte.

–– Ja, antwortete das junge Mädchen mit einem Zeichen des Kopfes.

–– Und Ihr bewohnt diese Ruinen allein? fuhr der Schütz fort, indem er voll Erstaunen um sich blickte.

–– Ich bin allein.

– Und Eure Eltern?

Das junge Mädchen zeigte ihm mit dem Finger zwei an der Wand hängende Porträts, von denen das eine einen Mann, das andere eine Frau vorstellte, und sagte mit leiser Stimme:

–– Ich bin die letzte der Familie.

Hermann blickte sie an, ohne daß er noch wußte, was er von dem seltsamen Wesen denken sollte, welches er vor sich hatte. In diesem Augenblicke begegneten seine Augen den Augen des jungen Mädchens, welche von Zärtlichkeit feucht waren. Hermann dachte nicht mehr an Hunger noch an Durst; er, ein armer Schütz, sah eine edle Dame vor sich, welche ihre Geburt und ihren Stolz vergaß, um ihn an ihrem Tische zu empfangen; er war jung, er war schön, es fehlte ihm nicht an Selbstvertrauen; er glaubte, daß die Stunde, welche, wie man sagt, sich jedem Menschen zeigt, um ein Mal in seinem Leben Glück zu machen, sich ihm in diesem Augenblick zeigte.

–– So eßt doch, sagte das junge Mädchen zu ihm, indem sie ihm ein Stück von dem Kopfe eines Ebers vorlegte. So trinkt doch, sagte das junge Mädchen, indem sie ihm ein Glas wie Blut hochrothen Wein einschenkte.

–– Wie nennt Ihr Euch, meine schöne Wirthin? sagte Hermann kühn gemacht und indem er sein Glas erhob.

–– Ich nenne mich Bertha.

–– Wohlan! Auf Eure Gesundheit, schöne Bertha! fuhr der Schütz fort. Und er trank den Wein in einem Zuge aus.

Bertha antwortete Nichts, sondern lächelte traurig.

Die Wirkung des Trankes war zauberisch, die Augen Hermanns funkelten nun auch, und indem er die Einladung des Burgfräuleins benutzte, griff er das Abendessen mit einem Eifer an, welcher bewies, daß es keinem Undankbaren angeboten worden war, und, was das Vergessen entschuldigen konnte, in welches er verfallen, indem er das Zeichen des Kreuzes nicht machte, wie er es jedes Mal zu thun gewohnt war, wenn er sich zu Tisch setzte. Bertha sah ihm zu, ohne ihm nachzuahmen.

–– Und Ihr, sagte er zu ihr, eßt Ihr nicht?

Bertha machte ein verneinendes Zeichen, und schenkte ihm ein zweites Mal Wein ein. Es war bereits ein Gebrauch jener Zeit, daß die schönen Damen das Essen und Trinken als eine ihrer unwürdige Sache betrachteten, und Hermann hatte oft bei den Mahlzeiten, denen er als Diener beigewohnt, die Burgfrauen so bleiben sehen, während die Ritter um sie herum aßen, um glauben zu lassen, daß sie gleich den Schmetterlingen und den Blumen, deren Leichtigkeit und Glanz sie hatten, nur von Wohlgerüchen und von Thau lebten. Er glaubte, daß dem so mit Bertha wäre, und er fuhr fort zu essen und zu trinken, als ob sie ihm gänzlich Gesellschaft leistete. Außerdem blieb seine huldvolle Wirthin nicht unthätig, und als sie sah, daß sein Glas leer war, füllte sie es ihm zum dritten Male.

Hermann empfand weder Furcht, noch Verlegenheit mehr, der Wein war köstlich und ächt, denn er brachte auf das Herz des nächtlichen Gastes seine gewohnte Wirkung hervor; Hermann fühlte sich voll Selbstvertrauen, und indem er alle die Verdienste durchging, die er in diesem Augenblicke an sich fand, verwunderte er sich nicht mehr über das Glück, das ihm zustieß, und das Einzige, was ihn verwunderte, war, daß es so lange gezögert hätte. Er befand sich in dieser glücklichen Stimmung, als seine Augen auf eine Laute fielen, welche auf einem Stuhle lag, wie, als ob man sich ihrer an demselben Tage bedient hätte; nun meinte er, daß ein wenig Musik Nichts an dem vortrefflichen Mahle verderben würde, das er so eben gehalten hatte. Er forderte dem zu Folge Bertha artig auf, ihre Laute zu nehmen, und ihm irgend Etwas zu singen.

Bertha streckte die Hand aus, nahm das Instrument und entlockte ihm einen so schwungvollen Accord, daß Hermann die letzten Fiber seines Herzens erbeben fühlte; und er hatte sich kaum von dieser Gemütsbewegung wieder erholt, als das junge Mädchen mit sanfter und zugleich inniger Stimme eine Ballade begann, deren Worte mit der Lage, in welcher er sich befand, eine solche Aehnlichkeit hatten, daß man hätte glauben können, die geheimnißvolle Künstlerin improvisiere.

Sie sang von einem Burgfräulein, das in einen Schützen verliebt war.

Die Anspielung war Hermann nicht entgangen, und wenn ihm einige Zweifel übrig geblieben wären, so hätte die Ballade sie ihm genommen; bei dem letzten Verse stand er daher auch auf, und indem er um den Tisch herum ging, stellte er sich hinter Bertha und zwar so nahe, daß, als ihre Hand von den Saiten des Instrumentes herab glitt, sie zwischen die Hände Hermanns sank. Hermann erbebte, denn diese Hand war eisig; aber er faßte sich sogleich wieder.

–– Leider! Fräulein, sagte er zu ihr, bin ich nur ein armer Schütz ohne Geburt und ohne Vermögen, aber um zu lieben habe ich das Herz eines Königs.

–– Ich verlange nur ein Herz, antwortete Bertha.

–– Ihr seid also frei? wagte Hermann zu sagen.

–– Ich bin frei, erwiderte das junge Mädchen.

– Ich liebe Euch, sagte Hermann.

–– Ich liebe Dich, antwortete das junge Mädchen.

–– Und Ihr willigt ein, mich zu heirathen? rief Hermann aus.

Bertha stand auf ohne zu antworten, ging nach einer Truhe, und indem sie eine Schublade öffnete, nahm sie daraus zwei Ringe, welche sie Hermann überreichte; hierauf kehrte sie zu der Truhe zurück, und nahm aus ihr, immer schweigend, eine Krone von Orangeblüthen und einen Brautschleier. Dann schlug sie den Schleier über ihren Kopf, befestigte ihn darauf mit der Krone, und indem sie sich umwandte, sagte sie:

–– Ich bin bereit.

Hermann schauderte fast wider seinen Willen; er war indessen zu weit gegangen, um nicht bis an das Ende zu gehen. Was wagte außerdem er, der arme Schütz, der keinen Winkel Boden besaß, und für den allein das mit Wappen geschmückte Silbergeschirr, womit der Tisch bedeckt war, ein Vermögen gewesen wäre.

Er reichte daher seiner Braut die Hand, indem er ihr gleichfalls ein Zeichen mit dem Kopfe gab, daß er bereit sei, ihr zu folgen.

Bertha nahm mit ihrer kalten Hand die glühende Hand Hermanns, und indem sie eine Thüre öffnete, trat sie in einen dunklen Gang, der nur noch durch den bleichen Schein erleuchtet war, welchen der hinter den Wolken hervorgetretene Mond durch die schmalen, von Strecke zu Strecke angebrachten Fenster warf. An dem Ende des Ganges fanden sie eine Treppe, welche sie in gänzlicher Finsterniß hin ab schritten, nun, von einem unwillkürlichen Schauder befallen, blieb Hermann stehen und wollte wieder umkehren; aber es schien ihm, als ob die Hand Berthas die seinige mit übernatürlicher Kraft drückte, so daß er, halb aus Scham, halb fortgerissen, fortfuhr, ihr zu folgen.

Indessen gingen sie immer hinab; nach Verlauf eines Augenblickes schien es Hermann nach dem feuchten Eindrucke, den er empfand, daß sie in einer unterirdischen Region wären; bald zweifelte er nicht mehr daran, sie hatten aufgehört abwärts zu gehen, und sie gingen auf einem ebenen Boden, den man leicht als den Boden eines Grabgewölbes erkennen konnte.

Nach Verlauf von zehn Schritten blieb Bertha stehen; und indem sie sich zur Rechten wandte, sagte sie:

–– Kommt, mein Vater.

Und sie begab sich wieder auf den Weg.

Nach Verlauf von zehn andern Minuten blieb sie von Neuem stehen, und indem sie sich zur Linken wandte, sagte sie:

–– Kommt, meine Mutter.

Und sie setzte ihren Weg fort, bis daß sie, nachdem sie noch zehn andere Schritte zurückgelegt hatte, ein drittes Mal sagte:

–—Kommt, meine Schwestern.

Und obgleich Hermann Nichts unterscheiden konnte, so schien es ihm doch, als ob er hinter sich ein Geräusch von Schritten und ein Rauschen von Gewändern hörte. In diesem Augenblicke berührte sein Kopf das Gewölbe; aber Bertha drückte den Stein mit der Spitze des Fingers, und der Stein erhob sich. Er führte in eine glänzend erleuchtete Kirche; sie traten aus einem Grabe, und befanden sich vor einem Altare. Im selben Augenblicke erhoben sich zwei Platten in dem Chore, und Hermann sah den Vater und die Mutter Berthas in demselben Kostüme erscheinen, in welchem sie auf den beiden Gemälden des Zimmers waren, wo er zu Nacht gegessen hatte, und hinter ihnen, in dem Schiffe, auf dieselbe Weise die Nonnen der an das Schloß anstoßenden Abtei hervorkommen, welche seit einem Jahrhunderte in Ruinen zusammenfiel. Alles war daher zu der Trauung versammelt, Brautleute, Eltern und Eingeladene. Nur der Priester fehlte; Bertha machte ein Zeichen, und ein auf seinem Grabe liegender Bischof von Marmor erhob sich langsam und stellte sich vor dem Altar. Nun bereute Hermann seine Unvorsichtigkeit, und hätte gar viele Jahre seines Lebens darum gegeben, in dem Rüstsaale neben seinen Gefährten zu liegen; aber er ward von einer übermenschlichen Gewalt fortgerissen, und gleich einem, von einem gräßlichen Traume befallenen Menschen, vermogte er weder zu rufen noch zu fliehen.

Während dieser Zeit war Otto erwacht, und seine Augen hatten sich natürlicher Weise nach dem Platze gerichtet, an welchem Hermann wachen sollte; Hermann war nicht mehr dort, und Niemand hatte seine Stelle eingenommen; Otto stand auf; eine seiner letzten Erinnerungen in dem Augenblicke, wo er einschlief, war, als ob er dunkel eine Thüre hätte aufgehen und eine Frau erscheinen sehen; er hatte das für den Anfang eines Traumes gehalten, aber die Abwesenheit Hermanns verlieh diesem Traume einen Anschein von Wirklichkeit, seine Augen richteten sich sogleich nach der Thüre, von der er sich vollkommen erinnerte, sie verschlossen gesehen zu haben, während er selbst Schildwache stand, und die er jetzt offen sah.

Indessen konnte Hermann, ermüdet, dem Schlafe nachgegeben haben; Otto nahm einen Tannenzweig, zündete ihn an dem Heerde an, ging von einem Schläfer zu dem andern, und erkannte den nicht, welchen er suchte. Nun erwachte der alte Schütz, an welchem die Reihe war, Schildwache zu stehen; Otto erzählte ihm das, was vorgefallen war, und bat ihn zu wachen, während er seinen verlorenen Gefährten aufsuchen wollte. Der alte Schütz schüttelte den Kopf und sagte:

–– Er wird das Burgfräulein von Windeck gesehen haben; in diesem Falle ist er verloren.

Otto drängte den Greis, sich zu erklären, aber dieser wollte Nichts mehr sagen. Indessen, statt in Otto den Wunsch zu erlöschen, die Aufsuchung seines Gefährten zu unternehmen, verliehen ihm diese wenigen Worte einen neuen Eifer; er sah in diesem ganzen Abenteuer etwas Geheimnißvolles und Uebernatürliches, auf dessen Ergründung sein Muth im voraus stolz war, außerdem liebte er Hermann; die beiden Tage des Marsches, die er mit ihm zurückgelegt, hatten ihm denselben als einen wackeren und lustigen Gesellen kennen gelehrt, den zu verlieren ihm leid war; dann hatte er endlich großes Vertrauen zu einer wunderthätigen Medaille, welche einer seiner Ahnen, der sie das Grab Christi hatte berühren lassen, aus Palästina zurückgebracht; sie war ein Geschenk, welches seine Mutter ihm in seiner Jugend gemacht, und das er immer gewissenhaft auf seiner Brust getragen hatte.

Welche Bemerkungen ihm der alte Schütz auch machen mogte, Otto beharrte nichts desto weniger in dem gefaßten Entschlüsse, und bei dem Scheine seiner natürlichen Fackel trat er in das anstoßende Zimmer, dessen Thüre offen geblieben war; Alles war darin in seinem gewöhnlichen Zustande, nur dachte er, da eine zweite Thüre wie die erste offen stand, daß Hermann, durch die eine eingetreten, durch die andere wieder hinausgegangen wäre; er schlug denselben Weg, wie dieser ein, und, wie er durchschritt er diese lange Reihe von Gemächern, welche Hermann durchschritten hatte. Sie endigte sich mit dem Festsaale.

Als er sich diesem Saale näherte, schien es ihm, als ob er sprechen hörte; er blieb sogleich stehen, spannte das Ohr, und nach einem Augenblicke der Aufmerksamkeit blieb ihm kein Zweifel mehr übrig; nur war es nicht Hermanns Stimme; da er aber dachte, daß die, welche sprächen, ihm Nachrichten über ihn geben könnten, so näherte er sich der Thüre. Auf der Schwelle angelangt, blieb er überrascht über das seltsame Schauspiel stehen, welches sich seinen Augen bot; der Tisch war gedeckt und erleuchtet geblieben, nur die Tischgenossen waren gewechselt, die beiden Porträts hatten sich von der Leinwand losgemacht, waren aus ihren Rahmen herabgestiegen, und, auf jeder Seite des Tisches sitzend, unterhielten sie sich ernst, wie es sich für Personen ihres Alters und ihres Standes geziemt. Otto glaubte, daß sein Gesicht ihn täusche, er hatte Personen vor Augen, welche durch ihre Gebräuche einem, seit mehr als einem Jahrhunderte verschwundenen Geschlechte angehört zu haben schienen, und die das Deutsch der Zeit Karls des Kahlen sprachen. Otto schenkte darum dem, was er sah und was er hörte, nur eine um so größere Aufmerksamkeit.

–– Trotz allen Euren Gründen, mein lieber Graf, sagte die Frau, werde ich nichts desto weniger behaupten, daß die Ehe, welche unsere Tochter Bertha in diesem Augenblicke schließt, eine Mißheirath ist, von der es in unserer Familie noch kein Beispiel gegeben hat, Pfui doch! ein Bogenschütz . . .

–– Edle Frau, antwortete der Gatte, Ihr habt recht, ober seit mehr als zehn Jahren war Niemand in diese Ruinen gekommen, und sie dient einem minder schwer zu befriedigenden Herrn als wir, für den eine Seele eine Seele ist . . . Außerdem kann man das Gewand eines Bogenschützen tragen, und braucht darum kein Unadeliger zu sein. Ein Beweis ist dieser junge Otto, der sich ihrer Verbindung zu widersetzen kommt, der uns auf unverschämte Weise behorcht, und den ich mit meinem Schwerte spalten werde, wenn er nicht auf der Stelle wieder zu seinen Gefährten geht.

Indem er sich bei diesen Worten nach der Thüre wandte, wo der junge Mann stumm und regungslos vor Erstaunen stand, zog er sein Schwert und kam mit langsamen und automatischen Schritten auf ihn zu, wie, als ob er mit Hilfe geschickt berechneter Federn, und nicht durch lebendige Muskeln bewegt ginge.

Otto sah ihn mit einem Entsetzen kommen, das nicht zu beherrschen vermogte. Nichts desto weniger dachte er daran, sich in Vertheidigungsstand zu setzen und einen Kampf zu bestehen, wer sein Gegner auch sein mögte. Da er indessen sah, mit welchem seltsamen Feinde er zu thun hatte, so sah er ein, daß er zu seiner Vertheidigung nicht zu viel geistliche und weltliche Waffen haben würde; bevor er sein Schwert zog, machte er dem zu Folge das Zeichen des Kreuzes.

Im selben Augenblicke erloschen die Kerzen, die Tafel verschwand, und der alte Ritter und seine Gattin vergingen wie Erscheinungen. Otto blieb einen Augenblick lang betäubt, und als er hierauf Nichts mehr sah noch hörte, trat er in diesen jetzt so dunkeln Saal, der so eben noch voll Licht war, und bei dem Scheine seiner Harzfackel sah er, daß die phantastischen Tischgenossen ihren Platz in ihren Rahmen wieder eingenommen hatten; nur die Augen des alten Ritters schienen noch lebendig, und folgten Otto, indem sie ihm drohten.

Otto setzte seinen Weg fort. Nachdem, was er gehört hatte, glaubte er, daß Hermann eine dringende Gefahr drohe, und da er eine Thüre offen sah, so folgte er der gegebenen Andeutung und trat in den Corridor. An das Ende des Ganges gelangt, erreichte er die Treppe, ging die erste, Stufen hinab, und befand sich bald in gleicher Höhe mit dem Kirchhofe der Abtei, jenseits dessen er die erleuchtete Kirche sah; eine in die unterirdischen Gewölbe hinabführende Thüre stand offen, aber Otto zog es vor, über den Kirchhof zu gehen, als unter ihm. Er trat daher in das Kloster und ging auf die Kirche zu; die Thüre derselben war verschlossen, aber er brauchte sie nur zu drücken, und das Schloß löste sich von dem Holze los, so sehr verfiel die Thüre vor Alter.

Nun befand er sich in der Kirche, er sah Alles, die Nonnen, die Brautleute, die Eltern, und bereit an den Finger des bleichen und zitternden Hermanns den Trauring zu stecken, den Bischof von Marmor, welcher sich von dem Grabe erhoben hatte; es unterlag keinem Zweifel, es war die Verheirathung, von welcher der alte Ritter und seine Gattin sprach. Otto streckte die Hand nach einen Weihkessel aus, und indem er hierauf mit seinen feuchten Fingern seine Stirn berührte, machte er das Zeichen des Kreuzes.

Im selben Augenblicke verschwand Alles wie durch Zauber, Bischof, Brautleute, Eltern und Nonnen; die Kerzen erloschen, die Kirche erbebte, wie, als ob im Zurückkehren in ihr Grab die Todten ihre Grundmauern erschütterten; ein Donnerschlag ließ sich hören, ein Blitz fuhr durch das Chor, und wie, als ob er von dem Blitze getroffen wäre, sank Hermann ohne Bewußtsein auf die Platten der heiligen Stätte.

Noch von seiner dem Erlöschen nahen Fackel erleuchtet, ging Otto zu ihm, und indem er ihn auf seine Schulter lud, versuchte er ihn fortzutragen; in diesem Augenblicke war der Tannenzweig abgebrannt; Otto warf ihn von sich, und suchte die Thüre wieder zu erreichen; aber die Dunkelheit war so groß, daß es ihm nicht gelingen wollte, und er länger als eine halbe Stunde ging, indem er sich von Pfeiler zu Pfeiler stieß; seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß und seine Haare sträubten sich bei der Erinnerung an die höllischen Dinge, welche er gesehen hatte. Endlich fand er die so sehr gesuchte Thüre.

In dem Augenblicke, wo er den Fuß in das Kloster setzte, hörte er seinen Namen und den Hermanns von mehren Stimmen wiederholt; dann leuchteten in demselben Augenblicke Fackeln an den Fenstern des Schlosses; endlich erschienen einige unten an der Treppe, und verbreiteten sich unter den Hallen des Klosters, Otto antwortete nun durch einen einzigen Schrei, in welchem der Rest seiner Kräfte erlosch, und sank erschöpft neben dem ohnmächtigen Hermann zu Boden.

Die Bogenschützen trugen die beiden jungen Leute in den Rüstsaal, wo sie bald die Augen wieder aufschlugen. Hermann und Otto erzählten nun jeder nach seiner Reihe das, was ihnen begegnet war; was den alten Schützen anbetrifft, so hatte er, als er diesen Donnerschlag gehört, der ohne Gewitter kam, auf der Stelle alle Schläfer geweckt, und sich zur Aufsuchung der verwegenen jungen Leute auf den Weg gemacht, welche er, wie wir gesehen, in einem wenig von einander verschiedenen Zustande wiedergefunden hatte.

Niemand schlief wieder ein, und bei der ersten Dämmerung des Tages verließ der Haufen schweigend die Ruinen des Schlosses Windeck, und schlug seinen Weg nach Cleve wieder ein, wo er gegen neun Uhr Morgens anlangte.