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Loe raamatut: «Ritter von Harmental», lehekülg 17

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VI.
Der andere Theil

Bathilde hatte ihrerseits, wie man es sich leicht denken kann, nicht eine solche Festigkeit gezeigt, ohne daß ihr Herz dabei geblutet; das arme Mädchen liebte Harmental von ganzer Seele, wie man in seinem siebzehnten Jahre, wie man im Leben nur einmal liebt. Während des ersten Monats seiner Abwesenheit hatte sie die Tage, während der fünften Woche die Stunden, und während der letzten acht Tage, die Minuten gezählt. Da erschien der Abbé de Cheaulieur, um sie zu der Demoiselle Delaunay zu führen, und da er Sorge getragen hatte, zu sagen, wer sie eigentlich war, so ward sie mit der ihrem Stande gebührenden Rücksicht und Aufmerksamkeit empfangen; auch war sie zur Annahme dieser Aufforderung, welche den ehrlichen Buvat so stolz machte, durch den Gedanken bestimmt worden, daß die von ihr verlangte Beschäftigung sie während der letzten Tage der Abwesenheit Harmentals zerstreuen würde.

Als sie aber erfuhr, daß Demoiselle Delaunay sie selbst für den Tag mit in Anspruch nahm, an welchem der Geliebte zurückkehren sollte, verwünschte sie den Augenblick, der sie nach Sceaux geführt hatte; und ohne Zweifel wäre sie nach Paris zurückgekehrt, hätte sich nicht die Herzogin von Maine selbst ins Mittel geschlagen. Bathilde hatte demnach eingewilligt; um aber zu verhindern, daß Raoul, wenn er zurückkehre, die nicht erblicke, hatte sie, wie wir wissen, es zur Bedingung gemacht, daß es ihr gestattet seyn solle, sich nach ihrer Wohnung zu ihrem Pflegevater zu begeben, um dort die Cantate zu studieren.

Man begreift leicht, daß wenn der wackere Buvat schon stolz darauf war, daß Bathilde die Costüme zeichnen solle, sein Stolz noch mehr wuchs, als sie nun gar bei der Festlichkeit eine Rolle spielen sollte. Buvat hatte unablässig rücksichtlich seines theuren Pflegekindes von einer Zukunft geträumt, welche ihm bei der Gesellschaft die Stellung einräumen würde, die der Tochter Alberts und Clarissens gebührte. Er war indeß bei dieser Gelegenheit auf eine harte Probe gestellt worden: die drei Tage der Abwesenheit Bathildens waren ihm wie drei Jahrhunderte erschienen. Während dieser drei Tage war der arme Schreiblehrer ein Körper ohne Seele gewesen; auf einem Bureau da ging es noch, dort hatte er eine fortlaufenden Geschäfte zu verrichten, seine Karten, eine Etiquetten zu schreiben, die Zeit verging; aber daheim zurückgekehrt, zwischen seinen vier Pfählen, da fühlte er sich der qualvollsten Einsamkeit preisgegeben. Den ersten Tag hatte er nicht das Mindeste Essen können, denn an einem kleinen Tische fehlte die anmuthige Bathilde, die ihm an an demselben seit dreizehn Jahren gegenüber gesessen hatte. Am folgenden Tage machte er auf Nanettens Vorstellungen einen Versuch; aber kaum hatte er das Mittagsessen zu sich genommen, als er, der bisher kaum wußte, ob er einen Magen besaß, denselben dergestalt beschwert fühlte, daß es ihm war, als habe er eine Portion Blei verschluckt. Den dritten Tag setzte er sich daher gar nicht zu Tische, und nur mit Mühe konnte ihm die sorgsame Nanette eine Tasse Bouillon hinunterzwingen, in welche sie noch obendrein zwei große Thränen fallen sah. Endlich, am Abend des dritten Tages, war Bathilde zurückgekehrt, und hatte ihrem wackern Pflegevater den gesunden Schlaf und den gleich gesunden Appetit wiedergebracht, denn nunmehr hatte er die Ueberzeugung, daß nur noch eine Nacht vorübergehen würde, und daß er sich alsdann wieder der fortwährenden lieben Gegenwart, derjenigen erfreuen würde, ohne die das Leben keinen Werth für ihn hatte.

Bathilde ihrerseits war gleichfalls in der heitersten glücklichsten Stimmung, weil Raouls Rückkehr so nahe war; er hatte versprochen, nach sechs Wochen wiederzukommen; sie beurtheilte ihn nach sich selbst, und wußte, er würde Wort halten.

Kaum hatte sich Buvat am nächsten Morgen auf sein Bureau begeben, als Bathilde sofort ihr Fenster öffnete und während sie eifrig ihre Cantate studierte, das Fenster ihres Nachbars auch nicht einen Moment lang aus den Augen verlor. In der Rue du Temps perdu zeigte sich nur selten ein Wagen, nun geschah es aber heute gerade zufällig, daß von zehn bis vier Uhr drei vorüber rollten und jedes mal hatte Bathilde mit Herzklopfen dieselben beobachtet; jedes mal aber sank sie getäuscht und schwermüthig auf ihren Stuhl zurück. Endlich schlug es vier Uhr, Buvats Schritte wurden wenige Minuten danach auf der Treppe vernehmbar; die arme Bathilde schloß seufzend ihr Fenster, und diesmal war sie es, die trotz der größten Anstrengung, keinen Bissen zu genießen vermochte.

Die Stunde ihrer Abfahrt nach Sceaux erschien; Bathilde hob noch einmal zitternd den Vorhang, drüben war. Alles fest verschlossen. Der Gedanke, daß Raoul’s Abwesenheit sich verlängern könne, erstieg jetzt bei ihr zum Ersten mal, sie fuhr mit schwerem Herzen ab, und verwünschte das Fest, das sie verhinderte, auch während der Nacht, den zu erwarten, dessen sie schon so lange sehnsüchtig geharrt hatte.

Das Geräusch der Festlichkeit, vor allem aber der Gedanke: zum Ersten mal vor so vielen und vor so hohen Personen zu singen, verscheuchten indeß, in Sceaux angelangt, bei ihr auf Augenblicke die Erinnerung an Raoul. Von Zeit zu Zeit aber umwölkte ein schmerzlicher Trübsinn ihr Gemüth, wenn sie daran dachte, daß jetzt vielleicht ihr junger schöner Nachbar, zurückgekehrt am Fenster fände und voll Sehnsucht ihres Anblicks harrte. Aber sie hatte ja den nächsten Tag vor sich und Demoiselle Delaunay hatte ihr versprechen müssen, die noch vor Anbruch des Tages nach Paris zurückbringen zu lassen; bei dem ersten Strahle der Morgensonne wollte sie ihr Fenster öffnen, und sie sollte dann der erste Gegenstand seyn, auf den der erste Blick des erwachenden Geliebten fiele. Dann wollte sie ihm Alles erzählen, die Ursache ihrer Abwesenheit mittheilen, und ihm merken lassen, wie schmerzlich sie seine Abwesenheit empfunden; nach sich selbst zu schließen, mußte er sich alsdann überglücklich fühlen.

Mit solchen Gedanken war Bathilde beschäftigt, als sie die Herzogin von Maine am Ufer des Bassins erwartete; und grade als sie über die Art und Weise nachsann, wie sie den Heimgekehrten zum erstenmal anreden wollte, legte die Gondel am Ufer an.

Anfangs glaubte Bathilde, beängstigt durch die Idee, jetzt zum erstenmal vor einer so zahlreichen und vornehmen Gesellschaft singen zu sollen, daß sie keinen einzigen Ton würde hervorbringen können, aber sie war allzusehr Künstlerin, um nicht durch die treffliche Instrumental-Begleitung, welche durch die vorzüglichsten Orchestermitglieder der großen Oper exekutiert ward, begeistert zu werden; sie beschloß daher, niemand anzuschauen, um sich nicht einschüchtern zu lassen; und sich ganz und gar ihrem Gefühle überlassend, fang sie in der That so meisterhaft, daß man sie, Dank ihrem Schleier, für diejenige hielt, deren Stelle sie vertrat, obgleich diese zu den ausgezeichnetsten Sängerinnen ihrer Zeit gehörte.

Wer aber beschreibt Bathildens Erstaunen, als sie nach Beendigung des Solos, den Blick senkend, in der Gondel auf der Bank, neben der Herzogin

von Maine, einen jungen Cavalier gewahrte, welcher mit Raoul eine so auffallende Aehnlichkeit hatte, daß ihr, hätte sie ihn während des Gesanges erblickt, unfehlbar die Töne im Halse stecken geblieben wären. Einen Augenblick lang zweifelte sie noch, je näher aber die Gondel dem Ufer kam, je weniger konnte die arme Bathilde in Ungewißheit seyn. Eine solche frappante Aehnlichkeit konnte selbst nicht zwischen zwei Brüdern stattfinden, und es lag nur allzusehr am Tage, daß der junge Cavalier der Herzogin und der junge Mann vom Dachstübchen eine und dieselbe Person wären. Das aber war es nicht was Bathilde so schwer verletzte. Raouls höherer Stand brachte ihn ihr nur noch näher und auf den ersten Blick hatte sie ja ohnehin in einen Zügen den Stempel einer edlen Geburt erkannt. Was ihr so unbeschreiblich

weh that, war der Gedanke, daß Raoul sie getäuscht, ihr nicht Wort gehalten, sondern auf ihren Anblick verzichtend, das kleine Dachstübchen verlassen und sich den Festlichkeiten in Sceaux angeschlossen habe. Er hatte also nichts als eine Caprice für sie gehabt; diese Caprice hatte ihn bewogen, einige Wochen in dem Dachstübchen zu verleben; bald aber war er einer Lebensweise überdrüssig geworden, welche er nicht gewohnt war, er hatte, um sie nicht allzusehr zu kränken, eine Reise vorgeschützt und sich unbeschreiblich unglücklich genannt. Das alles aber war Trug und Heuchelei, Raoul hatte unfehlbar Paris gar nicht verlassen, oder wenn er es auch wirklich verlassen hatte, so galt nach seiner Rückkehr sein erster Weg doch nicht dem Orte, von dem sie geglaubt hatte, daß er ihm über Alles theuer say. Als nun gar die Gondel angelegt hatte und Harmental nur wenige Schritte von ihr entfernt war, da schwand auch der letzte Zweifel, daß der junge Student und der schöne Begleiter der Herzogin von Maine einer und derselbe waren; und als nun dieser der stolzen hohen Frau den Arm reichte, da verlor sie die Herrschaft über sich selbst, ihre Kniee brachen, sie stieß einen Schrei aus, und sank ohnmächtig zusammen.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie neben sich die Demoiselle Delaunay, welche ihr die sorgfältigste Pflege spendete. So wie sie sich nur erholte, beeilte sie sich, einen Palast zu verlassen, in welchem sie so viel gelitten hatte, und wo sie Raoul gesehen hatte, ohne von ihm erblickt zu werden. Sie warf sich in den Wagen, und kehrte, mit welchen Gefühlen kann man sich denken, nach Paris zurück.

Sie fand bei ihrer Ankunft Nanette, ihrer harrend; auch Buvat wollte aufbleiben, um von der großen Festlichkeit genauen Bericht zu erhalten, aber der Schlaf hatte ihn überwältigt und nach Mitternacht sah er sich genöthigt, sein Lager zu suchen.

Bathilde war froh, Nanette allein zu finden; sie war kaum in ihrem Zimmer angelangt, als sie in Thränen ausbrach. Nanette war sehr überrascht, denn sie hatte gehofft, ihre junge Gebieterin werde überglücklich über den gehabten Triumph zurückkehren; auch bestürmte sie dieselbe mit Fragen was ihr fehle. Bathilde aber antwortete nur, indem sie traurig den Kopf schüttelte, daß ihr nicht das mindeste fehle. Die treue Dienerin begriff, daß es unschicklich say, ferner in sie zu dringen, sie ließ daher die Betrübte allein und zog sich auf ihr Zimmer zurück, welches sich dicht neben dem Bathildens befand.

Von ängstlicher Besorgniß aber gefoltert, konnte die arme Nanette dem Verlangen nicht widerstehen, zu beobachten, was ihre junge Gebieterin ferner beginnen würde. Sie lugte demnach durch das Schlüsselloch und gewahrte, wie Bathilde sich weinend vor ihrem Crucifix niederwarf; dann erhob sie sich, wie von einem unwillkürlichen Instinkt geleitet, öffnete ihr Fenster und blickte mit dem schmerzlichsten Gefühl, nach dem Fenster gegenüber. Von nun an schwand bei der treuen Nanette jeder Zweifel, der Gram ihrer jungen Herrin war ein Liebesgram, und der junge hübsche Nachbar drüben war die Ursache desselben.

Jetzt war die gute Nanette etwas beruhigt, denn die Frauen wissen aus eigener Erfahrung, daß der Liebesschmerz sich oft in Freude verwandelt.

Bathilde schlief nur wenig und schlief sehr schlecht; die ersten Freuden und die ersten Schmerzen der Liebe haben dasselbe Resultat. Sie erwachte unausgeruht und mit trüben Augen. Sie hätte gern für jetzt noch den Anblick Buvats vermieden. dieser aber hatte schon zweimal bei Nanetten nach ihr gefragt. Bathilde nahm also ihren ganzen Muth zusammen, versuchte zu lächeln, und bot ihre Stirn dem Kusse ihres Pflegevaters dar.

Buvat aber besaß zu sehr den Instinkt des Herzens, um sich täuschen zu lassen; er sah die verweinten Augen und die bleiche Wange und diese Zeugen des Schmerzes verriethen ihm ihren Kummer. Bathilde leugnete natürlich, daß ihr etwas fehle, und der ehrliche Copist begab sich demnach nur höchst besorgt in sein Bureau.

So wie ihr Pflegevater fort war, warf sich Bathilde höchst erschöpft auf einen Stuhl und stützte ihr kummerschweres Haupt in die Hand, während die kleine Mirza, die nicht wußte, was der Gebieterin fehle, die mit fragenden Augen anblickte. Die ehrliche Dienerin betrachtete Bathilde einige Augenblicke lang mit mütterlicher Zärtlichkeit, endlich aber machte sie ihrem Herzen Luft und fragte: »Leiden Sie noch immer Mademoiselle?«

»Ja, meine gute Nanette, noch immer!«

»Wenn Sie das Fenster ein wenig öffnen wollten, das würde Ihnen vielleicht gut thun.«

»O nein, nein Nanette, das Fenster dort muß geschlossen bleiben.«

»Aber vielleicht wissen Mademoiselle nicht – –«

»Doch, doch, ich weiß es, Nanette.«

»Daß unser junger Nachbar drüben auch seit diesem Morgen zurückgekehrt ist.«

»Was hat der mit mir zu schaffen, Nanette? fragte Bathilde, indem sie einen etwas strengen Blick auf ihre Dienerin richtete.

»Verzeihen Sie, Mademoiselle – ich glaubte – ich dachte – –«

»Was dachtest Du – was glaubtest Du?«

»Daß Sie seine Abwesenheit beklagten, und daß Sie sich über eine Rückkehr freuen würden.«

»Da hattest Du unrecht.«

»Verzeihen Sie, Mademoiselle, aber er scheint mir ein so ausgezeichneter junger Mann.«

»Viel zu ausgezeichnet, Nanette, viel zu ausgezeichnet für die arme Bathilde.«

»Für Sie, Mademoiselle, zu ausgezeichnet für Sie?« Sie sind des vornehmsten Herrn würdig, und überdem, sind Sie nicht von edler Geburt?«

»Ich bin, was ich scheine, Nanette, das heißt: ein armes Mädchen, mit dessen Seelenfrieden, Ehre und Liebe jeder vornehme Herr glaubt ungestraft sein Spiel treiben zu dürfen; Du siehst, Nanette, daß jenes Fenster dort verschlossen bleiben muß, und daß ich jenen jungen Mann nicht wiedersehen darf.«

»Wollen Sie ihn denn vor Schmerz sterben lassen, den armen jungen Mann? Seit diesem Morgen weicht er nicht von seinem Fenster, und dabei sieht er so tief bekümmert aus, daß einem das Herz brechen möchte.«

»Was kümmert mich ein trauriges Aussehen, erwiderte Bathilde, »was kümmert mich überhaupt der junge Mann?« ich kenne ihn ja nicht, ich weiß nicht einmal seinen Namen. Es ist ohne Zweifel ein Fremder, der sich nur auf einige Zeit hier einlogiert hat; der morgen Mittag vielleicht schon wieder fortreist, wie er schon einmal abgereist ist. Wenn ich darauf geachtet hätte, würde ich Unrecht gehabt haben, Nanette, und wenn eine Liebe wirklich bestände, so würdest Du, statt mich zu derselben zu ermuthigen, besser thun, mir die Thorheit, und die Gefahren derselben vor Augen zu führen.«

»Aber warum das, Mademoiselle. Einmal, früh oder spät, müssen Sie ja doch lieben, weshalb also nicht den jungen hübschen Mann drüben, der vornehm und reich dazu scheint, weil er gar nichts thut?«

»Nun Nanette, was würdest Du denn sagen, wenn dieser junge Mann, der so einfach, aber dabei so edel erscheint, nichts als ein Lügner und ein Verräther wäre?«

»Ich würde sagen, daß ich das für ganz unmöglich halte, Mademoiselle.«

»Wenn ich Dir nun aber sage, daß dieser junge anspruchslose Mann, der das Dachstübchen drüben bewohnt, und sich immer in so einfacher Kleidung zeigt, in dieser Nacht bei der Festlichkeit in Sceaux, der Cavalier der Herzogin von Maine war, und die Uniform eines Obristen trug?«

»Was ich sagen würde, Mademoiselle? Ich würde sagen, daß der Himmel endlich gerecht ist, weil er Ihnen einen Mann zuführt, der Ihrer würdig ist, ein Obrister, ein Freund der Herzogin von Maine! Ja, ja, Mademoiselle Bathilde, Sie werden eine Gräfin werden, ich bin es, die es Ihnen prophezeiht; und das ist wahrlich nicht zu viel für Sie, denn Sie verdienen es. Denn wenn die Vorsehung gerecht gegen Sie seyn will, so muß die Sie nicht bloß zur Gräfin, zur Herzogin, Prinzessin, ja zur Königin machen. – Aber kommen Sie, liebe Demoiselle, Sie sehen bleich und krank aus, die frische Luft wird ihnen gut thun. Lassen Sie mich das Fenster öffnen.«

»Nanette, ich verbiete es Dir. Geh an Deine Arbeit und laß mich allein.«

»Ich gehe Mademoiselle, ich gehe, weil Sie mich fortjagen,« sprach Nanette, indem sie sich mit ihrer Schürze die Augen trocknete, »wenn ich aber der junge Herr da drüben wäre, ich wüßte schon was ich thäte.«

»Und was thätest Du?«

»Ich käme selbst hierher und entschuldigte mich, – Sie würden ihn entschuldigen, selbst wenn er im Unrechte wäre, ich bin davon überzeugt.«

»Nanette,« rief Bathilde zitternd, »sollte er etwa kommen, so verbiete ich Dir, ihn zu empfangen, verstehst Du mich?«

»Ja, ja, ich verstehe Mademoiselle, er soll auf keinen Fall herein – ist es gleich recht unhöflich, den Leuten die Thür zu zeigen.«

»Höflich oder nicht, thue was ich Dir befohlen, sprach Bathilde, »jetzt geh, ich will allein seyn.«

Nanette entfernte sich. Als die arme Bathilde sich allein befand, brach sie in Thränen aus. Ihr Muth war nur Stolz – ihr Herz aber war zu schwer verletzt, und das Fenster blieb geschlossen.

Wir wollen diesem armen Herzen nicht durch alle Nuancen seiner Qualen folgen. Bathilde hielt sich für das unglücklichste Mädchen in der ganzen Welt, gleichwie sich Harmental als das unglückseligste Wesen derselben betrachtete.

Gleich nach vier Uhr kehrte Buvat mit besorgtem Antlitz heim und Bathilde that was in ihren Kräften stand, um ihn zu beruhigen; sie lächelte, sie scherzte, sie leistete ihm bei Tische Gesellschaft, das alles aber beschwichtigte die Besorgnisse des wackeren Mannes nicht. Nachmittags bat er sie, ihn hinauf auf die Terrasse zu begleiten, um dort frische Luft zu schöpfen; sie stellte sich als wolle sie sein Verlangen erfüllen, stieg auch mit ihm bis in ein Stübchen hinauf; bemerkte aber alsdann, wie es ihr einfalle, daß sie sogleich einen Danksagungsbrief an den Abbé de Cheaulieur schreiben müsse, und kehrte in ihr Zimmer zurück.

Ungefähr zehn Minuten darauf hörte sie wie Mirza an die Thür kratzte, und sie erhob sich um zu öffnen. Das Hündchen sprang so freudig auf sie zu, daß Bathilde sofort sah, es müsse ihm etwas Außerordentliches begegnet seyn. Sie betrachtete das Thier jetzt mit größerer Aufmerksamkeit, und bemerkte das an das Halsband befestigte Briefchen. Bathilde brauchte nicht lange nachzugrübeln, von woher Mirza kam, und von wem der Brief say. – Die Versuchung war allzutark, als daß Bathilde derselben hätte widerstehen können. Bei dem Anblick dieses Papiers, das, wie sie glaubte, ihr Schicksal feststellen würde, sank das arme Mädchen fast ohnmächtig zusammen. Sie löste das Blättchen zitternd mit der einen Hand, während sie mit der andern Mirza liebkoste, die, wie es schien, hocherfreut, eine solche Rolle zu spielen, auf den Hinterpfötchen tanzte.

Bathilde öffnete das Briefchen und überflog es mehrere Augenblicke, ohne auch nur ein Wort davon lesen zu können – es schwamm ihr wie ein Nebel vor den Augen. Das Briefchen sagte freilich viel, aber nicht genug; es sprach von Schuldlosigkeit und bat um Verzeihung, von seltsamen Verhältnissen, welche Verschwiegenheit bedingten. Was aber die Hauptsache war, das Briefchen that ihr kund, daß der Schreiber sie unaussprechlich liebe, und das that Bathilden wohl.

Aus einem Ueberreste von weiblichem Stolze aber, beschloß sie das Fenster bis zum folgenden Morgen geschlossen zu halten. Da er sich selbst strafbar nannte, mußte er auch bestraft werden. Die arme Bathilde bedachte nicht, daß von der Strafe, welche sie ihrem Nachbar auferlegte, die Hälfte auf sie selbst zurückfiel. Nichts desto weniger hatte das Briefchen schon so sehr seine Wirkung geäußert, daß Buvat, als er von seiner Terrasse wieder herabstieg, Bathilde weit ruhiger fand, und er ging demnach, da er mehrere Abschriften zu fertigen hatte, schon um acht Uhr Abends zu seinem Stübchen hinauf, und ließ Bathilde allein, damit sie sich nach den Anstrengungen der vergangenen Nacht, frühzeitig zur Ruhe legen könne.

Bathilde aber wachte; denn trotz der letzten schlaflosen Nacht fühlte sie auch nicht das mindeste Verlangen sich dem Schlummer hinzugeben. Bathilde wachte, aber ruhig, zufrieden, glücklich, denn sie wußte, daß das Fenster des Geliebten offen stand, und seine Standhaftigkeit verkündete ihr seinen Liebesschmerz. Zwei- oder dreimal war sie im Begriff seine Leiden zu enden, und dem Reuigen die Versicherung zu geben, daß nach einer genügenden Erklärung seinerseits, die Verzeihung nicht ausbleiben solle; aber bald darauf schien es ihr, daß jedes Entgegenkommen ihrerseits, für ein junges Mädchen in ihrer Lage ungeziemend say, und sie verschob also die Sache bis auf den folgenden Morgen. Sie betete wie jeden Abend, und wie jeden Abend ward Raoul mit in ihre Gebete einbegriffen. Gegen Morgen schlummerte sie endlich ein, und als sie erwachte, machte sie sich Vorwürfe, viel zu strenge gewesen zu seyn, und konnte nicht begreifen, wie sie dem armen Raoul so vielen Kummer verursachen könne. Es entstand aus diesen Betrachtungen, daß sie sogleich zum Fenster eilte, um es zu öffnen; da gewahrte sie plötzlich durch eine kleine Oeffnung in dem Vorhange, wie der junge Mann bereits in dem seinigen stand. Dieser Anblick ließ sie augenblicklich zurücktreten. War das nicht geradezu ein Zugeständniß, wenn sie selbst das Fenster öffnete? Es war besser, Nanettens Erscheinen abzuwarten. Daß diese das Fenster öffnete, war ganz in der Ordnung.

Nanette erschien. Aber sie war am gestrigen Tage rücksichtlich des verhängnißvollen Fensters allzusehr gescholten worden, als daß sie jetzt noch einmal den Vorschlag hätte wagen sollen, es zu öffnen. Sie wagte es kaum, sich demselben zu nähern, und räumte schweigend im Zimmer auf. Nach einer kleinen Stunde verließ sie das Zimmer ohne ein Wort gesprochen, oder den Vorhang auch nur berührt zu haben. Bathilde war nahe daran, zu weinen.

Buvat kam zu ihr ins Zimmer, um wie gewöhnlich mit ihr einen Kaffee zu trinken; sie hoffte, er werde sie fragen, warum sie sich so eingeschlossen halte, und dann ward ihr die Gelegenheit ihn zu ersuchen, das Fenster zu öffnen; Buvat dachte in diesem Augenblick aber nur an seine heutige Arbeit auf der Bibliothek, freute sich über Bathildens besseres Aussehen, trank einen Kaffee und begab sich wieder hinweg, ohne über das so traurig geschlossene Fenster auch nur ein einziges Wörtchen fallen zu lassen. Zum erstenmal in ihrem Leben war Bathilde über ihren wackeren Pflegevater gewissermaßen ein wenig aufgebracht, denn sie meinte: es zeige doch gar zu wenig Theilnahme für ihre Gesundheit, daß er sie ohne irgend eine besorgte Aeußerung in so eingeschlossener Luft zurücklasse.

Bathilde sank auf einen Stuhl, sie hatte sich selbst in die qualvollste Lage versetzt. Sie konnte Nanette rufen, das Fenster zu öffnen, das wollte sie nicht; sie konnte es selbst öffnen, das vermochte sie nicht. – Sie mußte also warten; aber wie lange? bis Morgen vielleicht, oder übermorgen? Und was sollte unterdessen Raoul von ihr denken? Hätte er nicht recht, wenn ihn diese übertriebene Strenge beleidigte? Wenn er nun seine Wohnung neuerdings auf sechs Wochen – oder gar auf immer wieder verlassen sollte – es wäre ihr Tod. Bathilde konnte nicht mehr ohne Raoul leben.

So vergingen zwei Stunden – für sie zwei Jahrhunderte. Bathilde versuchte Alles; sie trat ans Clavier, an ihren Stickrahmen, sie nahm ihren Griffel, sie konnte nichts beginnen. Nanette erschien wieder, sie schöpfte neue Hoffnung. Jene aber öffnete nur die Thür, um anzuzeigen, daß sie einen nothwendigen Gang zu machen habe; Bathilde winkte schweigend, daß sie nur gehen möge.

Nanette hatte in der Vorstadt St. Antoine zu schaffen, und konnte also unter zwei Stunden nicht zurückkehren; was sollte sie während dieser zwei Stunden beginnen? Es wäre so bezaubernd gewesen, die am Fenster zuzubringen; die Sonne schien draußen so klar und so hell. Bathilde zog das Briefchen wieder hervor, das bisher auf ihrem Herzen ruhte, sie wußte es zwar auswendig, aber gleichviel, sie las es dennoch immer wieder und wie der. – Da kam ihr ein freudiger Gedanke – ihre Blicke fielen auf die kleine niedliche Mirza, die liebliche Botin – vielleicht konnte sie ihr ein zweites Schreiben bringen! – Sie nahm das liebe Thierchen in ihre Arme, sie liebkoste es und öffnete ihm dann die Thür, die auf den Flur führte. O, Himmel, vor derselben stand ein junger Mann, welcher so eben die Klingel anziehen wollte. Bathilde stieß einen Freudenruf, der junge Mann einen Ruf der Zärtlichkeit aus – es war Raoul.