Loe raamatut: «Handbuch Ius Publicum Europaeum», lehekülg 17

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V. Schlussbemerkung

135

Es mag paradox anmuten, dass das historische Erbe in den post-jugoslawischen Ländern besonders schwer zu wiegen scheint. Paradox, denn hier war der Sozialismus weniger totalitär als anderswo – oder ist es gerade deswegen schwieriger, die Vergangenheit sowohl zu bewältigen als auch zu überwinden? Die rechtliche Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit und die Rolle der Verfassungsgerichte zeigen ein gemischtes Bild, in dem der Wille, aus den traditionellen Bahnen auszubrechen, mit dem Anreiz, auf vergangene Schablonen und Rezepte zurückzugreifen, manchmal zusammentrifft und oft kontrastiert.

136

Auf dem Weg zur Annäherung an und der Zugehörigkeit zum europäischen Rechtsraum treffen die post-jugoslawischen Staaten noch immer auf zahlreiche Hindernisse. Zum ersten die inneren Zustände: Korruption der politischen Eliten, Populismus, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Euroskepsis. Kein Wunder, dass die Beitrittskandidatur nicht mehr dieselbe Dynamik wie 2004 entfaltet. Allerdings hatten die früheren Abkommen mit der EU in ihren Europa-Klauseln die Mitgliedschaft versprochen, während die heutigen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen dies vorsichtig vermeiden. Vorsicht und Skepsis sind also beiderseits gewachsen. Dies gilt selbst für die beiden EU-Mitgliedstaaten Slowenien und Kroatien.

137

Abgesehen von diesem Stimmungswandel, der jedoch nicht zu unterschätzen ist, zeigen sich auch in den post-jugoslawischen Ländern die Nachteile der einheitlichen Methoden und des schnellen Rhythmus des Beitrittsprozesses deutlich. All diese Länder sind mehr oder weniger multiethnisch; die Verfassungen räumen entweder den nationalen Minderheiten besondere Rechte ein oder behandeln sie gar nicht als Minderheiten, sondern als konstitutive Elemente der Staatlichkeit. Der „Nationalstaat“ in ex-Jugoslawien entspricht also demjenigen westlicher Prägung nur sehr bedingt. Das wurde seitens der EU und in der juristischen Dogmatik und Theorie wenig erörtert.[239] Dies ist umso verständlicher als es den größeren post-jugoslawischen Ländern – Serbien, Kroatien und Slowenien – gelungen ist, sich als ethnisch relativ homogen darzustellen, während sich dies offensichtlich in den kleinen Staaten – Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo – als unmöglich erwiesen hat. So verwundert es auch kaum, dass die geplante „Vereinigung der Verfassungsgerichte des Balkans“ Slowenien, Serbien und Kroatien nicht einschließt. Es scheint gleichwohl ebenso offensichtlich, dass die Konsensdemokratie effizientes und demokratisches staatliches Handeln verhindert, sofern sie nicht durch wirksame checks and balances so eingegrenzt oder ausgeglichen wird, dass auch politische Meinungsbildung und individuelle Freiheitsrechte jenseits der ethnischen Zugehörigkeit einen angemessenen Platz finden können. Es bleibt also, ein Modell des zugleich multiethnischen als auch pluralistischen Staats zu entwickeln und sich zu fragen, ob und wie sich dies auf die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit auswirkt. Eine Überlegung dieser Art wäre auch als Bestandteil einer erneuten kritischen Bilanz der Wechselbeziehungen zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und dem EuGH willkommen.[240]

138

Ein drittes Hindernis, vielleicht zum Teil eine Resultante der vorhergehenden, ist der nur langsam fortschreitende Wandel der Rechtskultur. Selbst die Verfassungsgerichte, von denen man sich eine Vorreiterrolle hätte erhoffen können, erliegen teils den Erwartungen der politischen Elite, teils wollen sie ihre Unabhängigkeit durch Indifferenz gegenüber politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen beweisen. Es ist auch wahr, dass es schwer für sie ist, in ihrer Umwelt eine sowohl kluge als auch erfolgreiche Rechtspolitik zu betreiben. Manchmal ist es ihnen dennoch gelungen, wichtige Weichen für die Zukunft der Demokratie und des Rechtsstaats zu stellen und oft war dafür das Ziel der Integration in den europäischen Rechtsraum ausschlaggebend. Die Frage stellt sich dann jedoch, ob es Europa gelingen wird, ein attraktives Ziel zu bleiben.

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Christoph Grabenwarter

§ 112 Die Bestellung der Richter in vergleichender Perspektive

I. Einleitung1, 2

II. Ausgestaltung des Bestellungsverfahrens3 – 34

1. Die Zuständigkeit zur Bestellung3 – 15

a) Der Kreis der zuständigen Organe3, 4

b) Verteilung der Zuständigkeit zur Wahl auf mehrere Organe5 – 11

c) Im Besonderen: Die Bestellung des Präsidenten12 – 15

2. Die Mitwirkung von Ausschüssen16 – 20

3. Anhörungen21 – 25

4. Öffentlichkeit des Bestellungsvorgangs26, 27

5. Mehrheitserfordernisse28

6. Sonderformen der Bestellung (Kooptierung, ex lege-Mitgliedschaften)29, 30

7. Faktische Entscheidungsmacht jenseits der Organzuständigkeiten31 – 33

8. Regelungen im Fall von Konflikten und Verzögerungen34

III. Materielle Voraussetzungen für das Amt35 – 52

1. Staatsangehörigkeit35 – 39

2. Mindestalter40, 41

3. Juristische Qualifikation42 – 44

4. Mindestdauer richterlicher oder rechtsberuflicher Tätigkeit vor der Ernennung45 – 50

5. Ethisch-moralische Standards51, 52

IV. Rückwirkungen der Ausgestaltung des Amtes auf die Bestellung der Richter53 – 62

1. Attraktivität des Amtes als Folge von Prestige und materieller Ausstattung53 – 55

2. Unvereinbarkeit mit anderen Ämtern oder politischer Tätigkeit56 – 59

3. Kultur der Bestellung und Distanz zur Politik60 – 62

V. Die Zusammensetzung des Gerichts63 – 67

VI. Europarechtliche Anforderungen und Rahmenbedingungen68 – 76

1. Europäische Menschenrechtskonvention EMRK (Art. 6 EMRK, Art. 34 EMRK)68 – 71

2. Unionsrecht (Art. 267 AEUV, Art. 47 GRC)72 – 74

3. Soft law aus der Praxis der Venedig-Kommission75, 76

VII. Auswahl und Bestellung der Richter des EuGH und des EGMR als Spiegel nationaler Anforderungen77 – 80

1. Auswahl der Richter des EuGH77

2. Auswahl der Richter des EGMR78, 79

3. Schlussfolgerungen für die Betrachtung der nationalen Gerichte80

VIII. Ziele und Prinzipien in der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Richterbestellung81 – 101

1. Konkrete Ziele82 – 88

a) Erfahrung der Richter82, 83

b) Rechtlicher Sachverstand84, 85

c) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit86

d) Pluralismus87

e) Distanz zu politischen Entscheidungsträgern88

2. Allgemeine Verfassungsprinzipien89 – 101

a) Rechtsstaatlichkeit90 – 94

b) Demokratische Legitimation95 – 98

c) Gewaltenteilung99 – 101

IX. Der Fall Polen: Missachtung von Bestellungsregeln als erster Schritt der Demontage eines Gerichts102 – 109

1. Der verfassungsrechtliche Rahmen103

2. Die Vorgeschichte104

3. Die Richterwahlen im Jahr 2015105

4. Die Gesetzesänderungen im Dezember 2015 und ihre Auswirkungen106 – 109

X. Schluss110 – 116

Bibliographie

Allgemeine Hinweise


Abkürzungen:
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
BGG Bundesgesetz über das Bundesgericht
BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz
B-VG Bundes-Verfassungsgesetz
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
EuGH Gerichtshof der Europäischen Union
EUV Vertrag über die Europäische Union
GG Grundgesetz
GO-BR Geschäftsordnung des österreichischen Bundesrates
GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union
VfGG Verfassungsgerichtshofsgesetz
VfGH Verfassungsgerichtshof

I. Einleitung

1

Für die Effektivität und Legitimität einer unabhängigen Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen Rechtsstaat ist die Auswahl der Richter entscheidend. Dieser Beitrag ist der Wahl der Richter gewidmet, wobei im Titel und im Folgenden überwiegend von der „Bestellung“ der Richter die Rede ist, weil es erstens jenseits der Wahl in einigen Staaten noch andere Verfahren gibt, mit denen Richter in das Amt kommen, und weil das Verfahren vielfach aus Akten mehrerer verschiedener Organe zusammengesetzt ist.

2

Für die rechtsvergleichende Untersuchung der Bestellung von Verfassungsrichtern ist zwischen dem Verfahren der Bestellung von Verfassungsrichtern (II.) und den materiellen Voraussetzungen für das Amt des Verfassungsrichters (III.) zu unterscheiden. Gesondert ist nach den Rückwirkungen der Ausgestaltung des Amtes auf die Richterbestellung (IV.) und auf die tatsächliche Zusammensetzung der Verfassungsgerichte (V.) zu fragen. Einflüsse und Wechselwirkungen im europäischen Verfassungsgerichtsverbund sind weitere Bestimmungsgründe für die Bestellung der Verfassungsrichter (VI., VII.). Auf dieser Basis sollen Aussagen zu gemeinsamen Zielen und Prinzipien der Ausgestaltung der Richterbestellung gewonnen werden (VIII.). Die jüngere Entwicklung zeigt in besonderem Maße Anfechtungen und Krisen der Verfassungsgerichtsbarkeit; auf sie ist am Beispiel Polens einzugehen (IX.).

II. Ausgestaltung des Bestellungsverfahrens
1. Die Zuständigkeit zur Bestellung

a) Der Kreis der zuständigen Organe

3

Die Zuständigkeit zur Bestellung liegt in aller Regel bei folgenden Verfassungsorganen: Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament. In einigen Staaten wirken Organe der Gerichtsbarkeit mit. Ein gemeinsames Merkmal fast aller Verfassungen ist es, dass die Zuständigkeit nicht alleine bei einem Organ liegt, sondern dass im Laufe eines Bestellungsverfahrens verschiedene Organe zusammenwirken, wobei der faktische Einfluss auf die Richterauswahl von den formalen Befugnissen abweichen kann. In einzelnen Fällen gibt es auch mehr oder weniger stark ausgebildete Mitwirkungsbefugnisse des Verfassungsgerichts selbst.

4

In einer Reihe von Staaten gelten besondere Vorschriften für die Bestellung des Präsidenten bzw. des Vizepräsidenten. Hier gibt es abweichende Vorschriften, die häufig einen stärkeren oder gar den ausschließlichen Einfluss des Gerichts selbst vorsehen.

b) Verteilung der Zuständigkeit zur Wahl auf mehrere Organe

5

In zahlreichen Verfassungen sind die Bestellungsrechte auf verschiedene Organe aufgeteilt. Den größten Einfluss auf die Wahl von Verfassungsrichtern haben im Rechtsvergleich die Parlamente; lediglich im Vereinigten Königreich spielt das Parlament bei der Bestellung der Richter keine Rolle.

6

In einigen Staaten werden alle Verfassungsrichter vom Parlament gewählt. Dies ist namentlich in Ungarn,[1] in Belgien[2], in der Schweiz,[3] in Polen[4] und auch in Portugal (mit Ausnahme der drei kooptierten Mitglieder)[5] der Fall. In manchen Staaten sind Ausschüsse des Parlaments entweder zur Vorbereitung der Wahl oder zu Wahl selbst eingesetzt.[6] In den meisten anderen Staaten kommt dem Parlament die Wahl wenigstens eines – zumeist überwiegenden[7] – Teiles der Verfassungsrichter zu. Sofern Parlamente mehrere Kammern haben, ist es verbreitet, jeder Kammer einen Teil der Richter zur Wahl zuzuweisen. In aller Regel entscheidet jede Kammer über die gleiche Zahl an Richtern.[8] In manchen Fällen treten zur Wahl der Verfassungsrichter auch beide Kammern zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen.[9]

7

Einige Staaten behalten der Exekutive (meist der Regierung oder dem Staatsoberhaupt) das Vorschlags- oder Nominierungsrecht für eine bestimmte Zahl von Verfassungsrichtern vor. Am größten ist der Regierungseinfluss in Österreich, wo acht Verfassungsrichter (einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten) von insgesamt 14 Richtern auf Vorschlag der Regierung ernannt werden.[10] In Spanien werden zwei der zwölf Richter von der Regierung vorgeschlagen,[11] in Frankreich nominiert der Präsident der Republik drei der neun ernannten Mitglieder,[12] in Italien bestellt der Präsident der Republik fünf von 15 Verfassungsrichtern.[13] Es ist darauf hinzuweisen, dass Staatsoberhäuptern oftmals die formelle Ernennung oder Vereidigung der Verfassungsrichter obliegt, ihnen jedoch keine eigene Kompetenz zur Auswahl zukommt.[14]

8

In Deutschland wird die Hälfte der Richter vom Parlament (Bundestag), die andere Hälfte vom Bundesrat gewählt, der zwar auch Gesetzgebungsorgan, aber keine zweite Kammer des Parlaments ist. Im Hinblick auf die Zusammensetzung des Bundesrates aus Mitgliedern der Landesregierungen liegt in der Zuständigkeit des Bundesrates eine Beteiligung der Regierungsgewalt und gleichzeitig eine föderalistische Komponente.[15]

9

Einen Sonderfall bildet Großbritannien, wo alle zwölf Richter formell von der Königin ernannt werden,[16] das Vorschlagsrecht jedoch beim Premierminister liegt,[17] der selbst an den Vorschlag des Lord Chancellor gebunden ist.[18] Zusätzlich ist zu bedenken, dass hier eine starke Bindung an den Vorschlag eines Fachgremiums besteht.[19]

10

In einigen Staaten haben andere Gerichte bzw. Organe der Justiz einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts. In Italien sind fünf der 15 Richter von den obersten Gerichten zu bestellen, und zwar drei Richter vom Kassationshof und je ein Richter vom Staatsrat und vom Rechnungshof.[20] In Spanien werden zwei der zwölf Richter vom Allgemeinen Rat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial) vorgeschlagen.[21]

11

Im Einzelfall hat das Verfassungsgericht sogar ein (eingeschränktes) Selbstergänzungsrecht: in Portugal haben jene zehn Richter, die vom Parlament gewählt werden, die übrigen drei Richter im Wege einer Kooptierung zu nominieren.[22]

c) Im Besonderen: Die Bestellung des Präsidenten

12

Für die Bestellung des Präsidenten (und häufig auch des oder der Vizepräsidenten) des Gerichts sind zwei verschiedene Systeme anzutreffen. Im einen System ist die Wahl des Präsidenten in die Hand des Richterkollegiums gegeben, im anderen System werden auch der Präsident und der Vizepräsident von jenen Organen bestellt, die auch die übrigen Richter wählen, wenn auch mitunter mit geringfügigen Abweichungen.

13

In der Mehrheit der Staaten Mittel-, und Osteuropas erfolgt eine Wahl des Präsidenten durch die Richter des Verfassungsgerichts; in westeuropäischen Staaten findet eine Wahl durch die Richter in Belgien,[23] in Italien[24] und in Portugal[25] statt. In der Schweiz[26] und in Ungarn[27] wird der Präsident durch das Parlament gewählt. In Deutschland wählen Bundestag und Bundesrat im Wechsel den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und den Vizepräsidenten.[28] Der Vizepräsident kann auch dann durch den Bundesrat gewählt werden, wenn die gewählte Person kurz zuvor als neuer Richter eines Senats vom Bundestag gewählt wurde, weil es ausschließlich darauf ankommt, welches Organ im konkreten Fall zur Wahl des Vizepräsidenten zuständig ist. Zum Präsidenten wird nach der jahrzehntelangen Praxis der amtierende Vizepräsident gewählt, wodurch es zu einem Wechsel des Präsidentenamtes zwischen den Vorsitzenden der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts kommt. In Frankreich bestellt der Präsident der Republik den Präsidenten des Gerichts,[29] in Österreich schlägt die Bundesregierung den Präsidenten zur Ernennung vor[30] und auch für den Präsidenten des Supreme Court in Großbritannien ist dasselbe Wahlverfahren wie für die übrigen Mitglieder durchzuführen.[31]

14

Eine Mittellösung wurde in Spanien und in Polen gewählt. Hier ernennt jeweils das Staatsoberhaupt (also der König bzw. der Staatspräsident) den Präsidenten des Gerichts auf Vorschlag der Richter des Verfassungsgerichts aus dem Kreis der Verfassungsrichter.[32] Wie labil hier die Gewaltenteilung ist, zeigen die Unterschiede zwischen Spanien und Polen und insbesondere die Rechtsentwicklung in Polen. Während in Spanien die Entscheidung letztlich bei den Richtern liegt, war für Polen bis zum Jahr 2016 ein Zweier-Vorschlag vorgesehen, der im Vorjahr durch einen Dreiervorschlag ersetzt wurde,[33] womit die Ingerenzmöglichkeiten des Präsidenten erheblich erweitert wurden.

15

In jenen Fällen, in denen der Präsident durch die Richter gewählt wird, sind im Regelfall von der Mitgliedschaft zum Gericht abgekoppelte Amtszeiten als Präsident vorgesehen, die zum Teil wesentlich kürzer sind als die Amtszeit des Richters;[34] zum Teil wird auch die Wiederwahl begrenzt.[35] In den Fällen der Bestellung des Präsidenten „von außen“ endet das Amt im Regelfall mit dem Ende der Amtszeit als Richter.