Loe raamatut: «Sieben Tage bis zur Hochzeit», lehekülg 2

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„Ich liebe thailändisches Essen.“ Heidi griff zur Serviette und wischte sich über die fettigen Hände. Die zahlreichen Goldringe glänzten. Zwei Tische hinter ihr war die Bar, die von drei Männern belagert wurde, denen Reisha Roggenwhiskey nachschenkte. Die vierzigjährige Kellnerin hätte dem Äußeren nach ein weiteres Kulturerbe der Stadt sein können. Aber es war kein Wunder, dass sie so abgerissen aussah. Immerhin hatte sie täglich ein ziemliches Pensum zu bewältigen. Dennoch war Reisha immer gut drauf und die Gutmütigkeit in Person.

„Du hast drei Burger gegessen.“ Elisha stopfte sich eine Tomate in den Mund. „Wie kommst du auf Thai?“

„Weil ich Lust auf eine Nachspeise habe.“ Schon griff Heidi zur Karte und studierte sie eingehend.

„Eigentlich müsstest du sie auswendig können.“

„Essen ist wie guter Sex“, wurde Elisha prompt angepflaumt, „auf dieselbe Weise muss man sich der Speisenkarte hingeben. Sich öffnen wie ein gutes Buch, das man nicht weglegen möchte. Und wenn man am Ende angelangt ist, möchte man am liebsten von vorne beginnen. Carpe diem, meine Liebe.“

„Amen.“ Elisha schob den leeren Salatteller von sich und legte die Gabel darauf. „Ich bin am Ende angelangt und habe keine Lust, von vorne anzufangen.“

Heidi tat die Karte weg und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. Mitleid stand in ihren Augen, über die künstliche Wimpern fächerten. Das Lockenhaar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, an Ohren und Hals baumelte Goldschmuck. Ihre Wangen waren gerötet, der rote Kussmund zog sich nach unten. „Die Scheidung?“

„Bis heute Morgen bin ich eine verheiratete Frau gewesen.“

„Glaub mir, Elisha, das Single-Leben hat viele Vorteile.“

„Ach ja? Deswegen stehst du regelmäßig kurz vor einer Depression, suchst einen Seelenklempner auf und besäufst dich bei jeder Familienfeier.“ Es war ungerecht, Heidi anzugreifen, doch Elisha hatte eine Stinkwut im Bauch. Auf ihren Ex-Mann Stew, auf sich selbst, auf die ganze Welt da draußen.

„Du hast dich während deiner Ehe ebenfalls oft besoffen.“ Jetzt grinste Heidi.

Sie hatte ja recht. Hals über Kopf war sie mit Stew vor den Traualtar getreten. Ein Holzfäller, der sogar bei -37 Grad ohne Flanellhemd Holz hackte, um die Menschheit an seinem Muskelspiel teilhaben zu lassen.

Bei ihrem Kennenlernen war sein Balzverhalten imponierend gewesen, bis sie drei Monate nach der Heirat einsehen musste, dass sie eine Ehe zu sechst führte. Stew, sie, der Spiegel im Bad, der Spiegel im Gang, über dem Bett und an der Wohnungstür. Ständig warf er sich verliebte Blicke zu - ihr galten die genervten. Anfangs hatte sie versucht, diese Erkenntnis zu ignorieren. Um nichts in der Welt wollte sie zu der Masse geschiedener Frauen gehören. Deshalb hatte sie sich noch mehr ins Zeug gelegt als ohnehin - und hatte wie Stews Mutter gekocht, ihm zugehört wie eine Freundin und sich im Bett wie eine Prostituierte verhalten. Es war ein Wunder, dass sie vom Sex-Shop im Internet nicht geehrt worden war. Aber nichts hatte geholfen, im Gegenteil. Stew stellte sich sogar als notorischer Fremdgeher heraus. Die Spatzen hatten es bereits nach einem Jahr Ehe von den Dächern gepfiffen.

Langsam füllte sich das Wood & Steel. Der Stimmungspegel stieg. Besteck klirrte, Reisha behielt wie üblich stoische Ruhe. Selbst als zwei Kinder lautstark stritten und ihre Mahlzeiten auf den Tellern zu Brei zermalmten. Ermahnt von den Eltern, die schließlich die Achseln zuckten und eine Flasche Tequila bestellten.

Elisha blickte zum Eingang. Take care, but sod off, stand auf einem abgewetterten Schild neben der Tür. „Pass auf dich auf, aber verpiss dich“, las sie laut. Heidi war ihrem Blick gefolgt, tätschelte dann ihre Hand und griff erneut zur Karte. „Morgen muss ich übrigens zu Stew.“

„Soll ich mitkommen?“ Heidi musterte sie über den Rand der Karte hinweg.

„Nicht nötig.“ Elisha trank ein paar Schlucke Eiswein, den Reisha empfohlen hatte. Im Wissen, dass sie Weine aus der Niagara-Region besonders mochte. Aber heute hätte es auch billiger Fusel getan. „Er will mich wegen irgendetwas sprechen. Ich schenke ihm exakt zehn Sekunden. Es lohnt sich also nicht.“ Mit Nachdruck stellte sie das Glas ab und schielte zur Tequila-Flasche am Nebentisch. „Manchmal frage ich mich, warum ich aus unserem gemeinsamen Haus ausgezogen bin. Obwohl es ziemlich desolat ist, hat es einen gewissen Charme. Aber wenn ich daran denke, wie oft sich Stew in unserem Ehebett mit anderen vergnügt hat, während ich für den Lebensunterhalt geschuftet habe … nein, meine Entscheidung war im Nachhinein betrachtet goldrichtig.“

Reisha kam an ihren Tisch. „Na, Mädels, darf’s noch was sein?“ Sie zückte den Block und zog den Stift aus dem schwarzen Haar, den sie sich stets hinter das Ohr klemmte. Reisha entstammte den Inuiten, hatte sich als Künstlerin für Wandbehänge sowie Skulpturen in Yellowknife einen Namen gemacht, war mit einem Fischer verheiratet, Mutter von sechs Kindern und jobbte nebenbei als Kellnerin. Eine Powerfrau, die sicherlich gutes Geld mit der Kunst verdiente. Sie betonte jedoch oft, etwas Bodenständiges zu brauchen um nicht abzuheben, keines ihrer pubertierenden Kinder zu verschenken oder mit ihrem Mann Fische zählen zu müssen.

„Ich habe Lust auf Poutine“, verkündete Heidi und legte die Karte auf den Tisch. „Einen kleinen Lückenfüller könnte ich nämlich noch vertragen.“

„Klein?“ Reisha hob die Augenbrauen. „Möchtest du die Kinderportion?“

„Wo denkst du hin? Ich will schließlich satt werden.“

Reishas zweifelnder Blick streifte sie, bevor sie grinste. Dann stapelte sie das Geschirr aufeinander und schritt gemächlich davon.

„Wo waren wir stehengeblieben?“ Heidi kramte in ihrer goldenen Handtasche und zog den Non-Stopp-Lippenstift heraus.

„Dass ich im Gegensatz zu Stew wie ein Tier geschuftet habe.“ Selbst nach einem Jahr Trennung war Elishas Hass auf ihn nicht weniger geworden. Zumal sie ihm die Hälfte überlassen hatte müssen. Die Hälfte dessen, was sie im Laufe ihrer Ehe angeschafft hatte. Mitsamt dem gemieteten Haus in der Range Lake Road.

„Müssen wir unbedingt über die Arbeit reden?“ Gekonnt zog sich Heidi die vollen Lippen nach. „Ich habe keine Lust dazu. Wir haben Urlaub und sollten ihn genießen.“

Zwei Wochen Freizeit lagen vor ihnen und Elisha hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Untätigkeit würde zu noch mehr Frustration führen. Außerdem war sie zu ihren Eltern zurückgezogen. Es war erdrückend dort, genauso fühlte sich die Stadt an. Natürlich, sie mochte Yellowknife mit seinem bunten freundlichen Völkchen und einigen Events, aber derzeit schnürte ihr die Enge schier die Kehle zu. Abgesehen von einigen Aufenthalten in Mexiko und einer Viertagesreise nach New York, war sie ohnehin nie aus der Stadt hinausgekommen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob es das gewesen war. Mit der Liebe, ihrem Leben, einfach mit allem.

„Dein Vater würde Luftsprünge machen, wenn ich den Urlaub nicht antrete“, murmelte Elisha „Die Firma platzt vor Aufträgen.“

„Das tut sie seit Jahren.“ Heidi zog einen Schmollmund. „Wir haben uns immer zur selben Zeit eine Auszeit genommen, um gemeinsam einiges zu unternehmen. Davon abgesehen rackern wir uns das ganze Jahr über ab und haben etwas Abwechslung verdient.“

„Sicher“, lenkte Elisha ein. „Doch im Augenblick denkt dein Vater über Mathews Nachfolge nach.“ Ihr Vorgesetzter wollte am Ende des Jahres in den Ruhestand gehen.

„Deine Chancen stehen nicht schlecht.“ Der Lippenstift glitt in die Tasche. „Immerhin habe ich ein gutes Wort für dich eingelegt. Vater wird dich befördern.“

„Wie oft hast du das schon gesagt? Aber wo bin ich? Nach wie vor im Vorzimmer.“

„Als Assistentin des Abteilungsleiters. Immerhin etwas.“

„Für mich zu wenig. Ich trete auf der Stelle. Außerdem will ich aufgrund meiner Leistung befördert werden, nicht weil du mich protegierst.“ Nach dem Schulabschluss hatten sie beide eine Stelle in der Burg Corporation angetreten. Heidis Vater Heinrich betrieb einen regen Abbau verschiedener Rohstoffe, besaß eine lukrative Goldmine sowie Erdölfelder und gehörte mit dreitausend Beschäftigten zu den größten Firmen im Umkreis.

„Du bist ein Marketing-Genie, das weiß Dad. Leider gehört er zu einer Generation, die Männern mehr zutraut als uns Frauen. Früher oder später wird er aber einsehen, dass sein Denken nicht zeitgemäß ist. Also hör auf zu jammern und warte ab. Immerhin sitze ich seit meinem Einstieg auch noch im selben Stuhl.“

„Weil du deinen Stuhl ins neue Büro hinübergeschoben hast. Du bist Chefbuchhalterin!“

Heidi wirkte zerknirscht. „Wenigstens einen Vorteil sollte man als einziges Kind schon haben, findest du nicht? Aber wirf die Flinte nicht ins Korn. Eines Tages wird mir Vater die Zügel in die Hand geben. Spätestens dann bist du die längste Zeit Assistentin gewesen.“

„Hörst du mir eigentlich zu? Ich möchte keine Almosen“, regte sich Elisha auf.

„Meine Güte, hast du eine Laune.“ In der nächsten Sekunde gab Heidi einen entzückten Ausruf von sich, weil Reisha den dampfenden Teller vor ihrer Nase abstellte. Pommes, Cheddar und Bratensauce wohin das Auge reichte. „Ich liebe Poutine, vor allem wenn der Käse zwischen den Zähnen quietscht“, hauchte sie, bevor sie abrupt den Kopf hob. „Der Käse quietscht doch, Reisha, oder?“

„Er ist keinen Tag älter als vierundzwanzig Stunden“, bestätigte Reisha, zwinkerte ihnen zu und nahm an den anderen Tischen Bestellungen auf, sowie die leere Flasche Tequila mit. Die abgefüllten Eltern lächelten sich über das Massaker auf dem Tisch hinweg an, flirteten mit ihren glasigen Augen und wiegten sich hin und her, als wäre das anhaltende Gezanke der Kinder Musik in ihren Ohren. An den anderen Tischen verteilten sich Wanderer, eine Gruppe Senioren und Tänzer aus dem örtlichen Tanzstudio. Durchtrainierte Menschen mit athletischen Körpern.

Elisha konzentrierte sich wieder auf Heidi, die mit halbgeschlossenen Augen quietschte. Erfahrungsgemäß würde sie die nächsten zehn Minuten in diesem komatösen Zustand bleiben. Genervt griff sie zum Weinglas und nippte daran. Einer der drei Männer an der Bar fing ihren Blick auf und lächelte. Ein weißblonder Hüne mit Koteletten, einem Vollbart und einer Gestalt wie ein Schrank. Der Typ erinnerte sie stark an Stew, weil sein Blick ständig zum Spiegel neben dem Notausgang glitt. Flugs hatte Elisha das Glas geleert und hob es in Richtung Reisha hoch, die ihr zunickte.

Wie schnell die letzten siebzehn Jahre vergangen waren. Während ihrer Schulzeit hatten Heidi und sie ständig zusammengesteckt und waren im wahrsten Sinne des Wortes dicke Freundinnen geworden. Der erste Kuss, der erste Sex, alles hatten sie geteilt und keine Geheimnisse voreinander gehabt. Die jeweilige Periode und den Brustwuchs hatten sie gebührend mit Zigaretten und Whiskey gefeiert. Meistens im Haus von Heidis Vater, der sich in den Weiten der Villa kaum blicken ließ und wo ihr Erbrochenes nicht weiter aufgefallen war.

Schöne Abende, vollgepackt mit Quatschen, dem gemeinsamen Weinen bei romantischen Filmen und dem Ausmalen einer schillernden Zukunft. Oft hatten sie sich vorgestellt, Kanada zu verlassen und die übrige Welt zu erobern. Doch im Gegensatz zu Heidi stammte sie aus der Mittelschicht und war schließlich dank Stew Decker in der untersten gelandet.

„Habe ich dir eigentlich schon erzählt“, erwachte Heidi mit vollem Mund zum Leben, „dass ich gerade eine Diät mache?“

„Aha.“ Seit Jahren kämpfte Heidi gegen die Pfunde an, doch die Lust am Essen war stärker. Manchmal haderte sie mit ihrem inneren Schweinehund, manchmal killte sie ihn. Vielleicht hätte sie mehr Ehrgeiz an den Tag gelegt, wäre sie bei der Männerwelt abgeblitzt. Heidi hatte jedoch einen enormen Verschleiß an One-Night-Stands oder Affären, je nachdem. Aber kein Mann hatte bisher sieben Dates überdauert, was sie damit erklärte, dass dieser Zeitraum genügen würde um herauszufinden, ob der jeweilige Lover zum Ehemann tauge.

„Vierzehn Tage Urlaub“, ließ sich Heidi die Worte auf dem Mund förmlich zergehen, bevor sie schluckte. „Das sind zweimal sieben.“

„Wow, dein Vater hat dich wirklich auf den richtigen Posten gesetzt“, mokierte sich Elisha lächelnd. „Du und deine Sieben.“

„Ist eben meine Glückszahl. So hat es auch bei uns begonnen, erinnerst du dich?“

„Natürlich.“

Reisha brachte das Glas Wein. „Der ist schon bezahlt“, flüsterte sie und deutete mit dem Kopf zum Blondschopf, der von einem Ohr zum anderen grinste.

„Sag ihm, dass er nicht mein Typ ist.“ Elisha schaute genervt zu Reisha hoch.

„Hach, Kleine“, raunte die Kellnerin, „pack die Gelegenheiten des Lebens beim Schopf statt sie mit Füßen zu treten. Bald bist du alt, runzlig, verbraucht und siehst abgerissen aus wie …“, sie dachte kurz nach, „mir fällt jetzt niemand spezielles ein … aber wenn du erst einmal älter bist, dann beachtet dich kein Typ mehr.“

Elisha winkte ab. „Von Männern habe ich die Schnauze voll. Sag ihm also bitte, dass ich absolut nicht interessiert bin.“

Reisha richtete sich auf. „Rugby wird enttäuscht sein.“ Wenige Sekunden später froren seine Züge ein, bevor er Elisha den Rücken zudrehte.

Heidi tauchte eine Pommes in die Sauce. „Das alte Rom wurde auf sieben Hügeln erbaut, die sieben Farben Newtons, die sieben Hauptchakren, sieben Wochentage, auf Wolke Sieben - du hast es selbst erlebt. Diese Zahl hat etwas Magisches und steht für Veränderung.“

Es dauerte, bis Elisha Heidis Aussage wieder einordnen konnte. „Du weißt, dass ich nicht an diesen Esoterik-Scheiß glaube.“

„Das wirst du. Eines Tages“, orakelte Heidi und schaute auf das Pommes, als halte sie einen teuren Rosenstrauß in den Händen. „Irgendwann … ach du liebe Zeit …“ Sie starrte an Elisha vorbei, die sich umdrehte. Freddy und sein Busenfreund Brandon betraten das Cafe. Beide inzwischen verheiratet und Väter. Während es viele ehemalige Mitschüler nach Europa gezogen hatte, blieben ausgerechnet sie der Heimat treu.

„Die kommen geradewegs auf unseren Tisch zu“, wisperte Heidi.

„Na, du Hübsche.“ Freddy baute sich breitbeinig vor Elisha auf. Brandon zupfte sich die Haartolle zurecht. Es gab Dinge, die würden sich nie ändern. „Feierst du deine Scheidung?“

„Wie du siehst, Freddy. Und du? Hat dich deine Frau endlich hinausgeschmissen?“

Sein Gesicht verfinsterte sich. „Dora und ich führen eine Ehe, von der du nur träumen kannst - und du erst recht, Walfisch.“ Er lachte dreckig auf Heidi herab.

„Das mache ich laufend“, konterte Elishas Freundin, „vor allem wenn ich Dünnpfiff habe. Sonst noch was?“

„Du bist fetter geworden.“

„Spar dir das Gesülze für Dora auf.“

„Komm schon, seit wann so biestig? Es gab Zeiten, da sind dir regelrecht die Augen herausgefallen wenn du mich gesehen hast.“ Selbstgefällig fuhr er sich ans schmale Kinn. An den Schläfen ergraute er bereits, tiefe Falten hatten sich in die schweißnasse Stirn gegraben. „Du warst total verknallt in mich, wie jedes Mädchen in der Schule.“ Er zwinkerte Elisha zu.

Die Gespräche verstummten allmählich.

„Was sich schlagartig geändert hat, als ich Spiegeleier aus denen gemacht habe.“ Heidi deutete grinsend auf seinen Hosenstall. „Tut es noch weh?“

„Ich habe drei Kinder gezeugt, was soll die dämliche Frage?“, verteidigte Freddy seine Männlichkeit.

„Hast du zufällig eine Karte von der Samenbank?“

„Sicher, ich gebe sie dir gerne. Wie soll eine Frau wie du sonst zu einem Kind kommen?“

Heidi zuckte unmerklich zusammen. Er hatte ihren wunden Punkt getroffen. „Nicht jede Frau will Mutter werden.“

„Da hat mir Stew aber etwas anderes erzählt. Spätestens mit dreißig möchtest du verheiratet sein und ein Jahr später Kinder haben. Wenn mich nicht alles täuscht, hast du in sieben Tagen runden Geburtstag.“ Heidi warf Elisha einen bissigen Blick zu. Dieser verdammte Trottel Stew! „Aber sag mal, da du hier bist, hat die Küche noch Fleisch übrig oder müssen wir woanders hin?“

„Es reicht!“, rief Elisha aus. „Lass sie endlich in Ruhe.“

„Nichts lieber als das.“ Die beiden gingen an die Bar. Freddy und Rugby begrüßten sich lautstark. Die Kinder starrten mit offenen Mündern zu ihrem Tisch herüber. Der Vater schlief mit zurückgelegtem Kopf, die Mutter sprach mit der halbvollen Whiskeyflasche. Die Senioren spielten Karten und die Tänzer diskutierten darüber, ob sie ins Black Knight Pub gehen sollten.

„Ich möchte nach Hause.“ Heidi legte das Besteck auf den Teller. Zwei einsame Pommes lagen aufgeweicht in der Sauce. „Mir ist der Hunger vergangen.“

„Du darfst dich von Freddy nicht runterziehen lassen.“

Ein verletzter Blick traf sie. „Musstest du ausgerechnet Stew von meinem Wunsch erzählen?“

„Tut mir leid. Am Beginn unserer Ehe gab es noch so etwas wie ein Vertrauensverhältnis. Ich habe mir nichts dabei gedacht.“

„Schon gut.“ Heidi seufzte. „Ich bin es leid, mich wegen meiner Figur verteidigen zu müssen. Leid, ständig auf meinen Mr. Big zu warten. Alles was ich will ist heiraten, Kinder und ein eigenes Heim. Ist das zu viel verlangt?“

„Natürlich nicht. Aber ich dachte, du hättest dich damit abgefunden.“

„Womit? Damit, ewiger Single zu sein? Ach, Elisha, ich rede mir mein Dicksein schön und behaupte glücklich zu sein. Mit meiner Lebensplanung verhält es sich genauso.“

„Und ich dumme Kuh denke nur an meine eigenen Probleme.“

„Das hat mich wenigstens von meinen abgelenkt.“ Heidi warf einen kurzen Seitenblick zu den Kindern, die mit dem Handy ihrer Mutter spielten.

Der Internetdienst Google leuchtete auf.

„Allerdings“, Heidis Grinsen kehrte zurück, „wenn das Glück nicht zu mir kommt, muss ich eben nachhelfen.“

2. Kapitel

„Du weißt schon, dass du nackt bist, Stew?“

„Stört es dich?“ Elishas Ex machte eine einladende Geste. Schnell stakste sie an ihm vorbei. Nicht auszudenken, wenn Nachbarn auf diesen Empfang aufmerksam wurden. Im Nu würden sich Gerüchte in der ganzen Stadt verbreiten. „Ich dachte, wir kommen gleich zur Sache“, rief er ihr hinterher, als sie fast in der Wohnküche war. Die Tür fiel ins Schloss.

„Bist du deshalb nackt?“, machte sie sich lustig über ihn und fragte sich gleichzeitig, ob er meinte was sie dachte. „Also, weshalb bin ich hier?“ In der Abspüle stapelte sich Geschirr. Zwei dreckige Pfannen schmückten den Gasherd. Fliegen machten sich über die schimmeligen Reste her. Der Aschenbecher auf dem Wandtisch quoll über. Ein pinkfarbener BH lag über der Sessellehne, zwei Sektgläser standen auf dem Fenstersims. Eines mit pinkem Lippenstift am Rand. Stew schien sein Single-Dasein zu genießen.

„Kann ich dir etwas anbieten?“ Ihr Ex stemmte die Hände in die Hüften, nachdem er sich an den Brusthaaren gekrault hatte. Elisha lehnte sich gegen den Tisch.

„Danke, nein. Ich hänge an meinem Leben.“

„Echt? Seit wann?“ Mit anzüglichem Grinsen kam er näher. „Du siehst toll aus. Neue Frisur?“ Ehe sie reagieren konnte, umfasste er eine ihrer Haarsträhnen und ließ sie durch die Finger gleiten. Elishas Atem beschleunigte sich. Trotz ihrer Wut, eines musste man Stew lassen: Er war ein guter Liebhaber gewesen.

„Ich habe meine Haare wachsen lassen, das ist alles.“

„Überall?“

„Sicher, das magst du doch so gerne.“

Kurz zog er die Stirn kraus, dann musterte er ihr Gesicht. „Wenn du nackt wärst, würden deine Haare die vollen Brüste bedecken“, raunte er und fuhr mit seinem Finger sacht über ihren Hals. „Was für ein Kontrast. Dunkelbraunes Haar auf blasser Haut. Warum hast du während unserer Ehe auf dem Kopf ausgesehen wie ein Soldat?“

„Weil du mich herumkommandiert hast?“

„Komm schon, so schlimm war ich auch wieder nicht. Aber du weißt ja, das Auge isst mit. Manchmal habe ich gedacht, ein Mann liegt neben mir.“

„Wie nett!“, erwiderte sie kurz vor einer Schnappatmung, weil sein Finger über ihre erhärteten Warzen glitt. Es war zu lange her, seitdem sie mit einem Mann geschlafen hatte. Genau genommen war die zweite Betthälfte seit der Trennung vor einem Jahr leer geblieben.

Als sein Mund ihre Wange berührte, stöhnte sie leise auf. Verdammt, sie würde sich doch nicht auf ihren Ex einlassen? Nicht nach allem, was ihr dieser Vollidiot angetan hatte. Das konnte sie unmöglich zulassen - Stews Zunge spielte mit ihrem Ohrläppchen - andererseits …

„Ich habe mich damals auf den ersten Blick in dich verliebt“, schmeichelte er ihr. „In diese geheimnisvollen grünen Augen. Den vollen Mund, den ich auch jetzt unbedingt küssen will. In deine sinnliche Ausstrahlung, diesen Sexappeal. Wenn du gehst“, seine Hände umschlangen ihre Hüften, „bewegst du dich wie eine geschmeidige Katze. Du machst mich scharf, Elisha.“ Geschirr klirrte, als er sie auf die Arbeitsplatte hob. „Ich will dich.“ Fordernd küsste er sie auf den Mund und schob gleichzeitig ihren Jeansrock höher. Zum Teufel mit dem Hass, im Augenblick wollte sie ein Abenteuer. Sehnte sich nach Sex, purem Sex. Ohne jegliche Verpflichtung. Die Leviten konnte sie ihm später lesen.

Darling? Wo bleibst du denn so lange?“, ertönte es plötzlich aus dem Schlafzimmer.

Elisha erstarrte.

„Aua!“, rief Stew im selben Moment aus und fuhr sich mit vorwurfsvollem Blick an die blutende Unterlippe. „Du hast mich gebissen.“

„Sei froh, dass ich nicht dein Ding zwischen den Zähnen hatte“, keifte Elisha, hüpfte herunter und richtete sich den Rock. „Du Arschloch machst mich an, während eine deiner Tussis in unserem Ehebett liegt. Was soll das?“

„Ich bin auch nur ein Mann. Du siehst zu umwerfend aus, als dass du mich kalt gelassen hättest. Außerdem warst du ein Vulkan im Bett. Fantasievoll und unersättlich.“ Er räusperte sich. „Eine Ménage-à-drois, wie lange habe ich davon geträumt. Celine wäre sicher einverstanden.“

„Bist du verrückt?“, brüllte Elisha und tippte sich an die Stirn. „Hast du mich deswegen her zitiert?“ Sie gab ihm einen Schubs, als sie an ihm vorbeistapfte.

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mir Geld leihen könntest.“

„Vergiss es.“ Elisha riss die Haustür auf. „Und vergiss am besten meinen Namen, meine Handy-Nummer und unsere Ehe. Tu einfach so, als wären wir uns nie begegnet.“ Sie eilte die drei Stufen hinunter und öffnete die Autotür. Wie üblich hatte sie den Schlüssel stecken lassen.

„Ich kann dich nicht vergessen, Elisha.“ Er fasste nach ihrem Arm und drehte sie zu sich herum.

„Erspar uns das. Du willst nur Geld und hast versucht, es dir auf schäbige Art zu besorgen. Im doppelten Sinn.“

„Du irrst dich! Ich habe nie aufgehört dich zu lieben.“

Trocken lachte Elisha auf. Dabei bemerkte sie, wie sich der Vorhang hinter Mrs. Grannigens Fenster bewegte. Die Neunzigjährige sorgte gern für allerhand Klatsch. Aber ihren kugelrunden Augen nach zu urteilen, konzentrierte sie sich eher auf Stews bestes Stück.

„Lass mich gefälligst los, du Mistkerl!“

„Erst wenn du mir zuhörst.“

„Das habe ich lange genug getan.“ Ihr Zorn verrauchte plötzlich. Alles was blieb, war, dass sie sich unheimlich schwach und verletzt fühlte. „Aber wann hast du mir je zugehört?“

Verdutzt zog er die Hand zurück und raufte sich das Haar. „Nie“, stellte er beinahe tonlos fest. In diesem Moment schien Stew ehrlicher zu sein als er es ihre gesamte Ehe über gewesen war. „Sorry, Baby, ich bin tatsächlich ein Mistkerl gewesen. Dennoch bitte ich dich um eine zweite Chance.“

„Ist deine Geliebte arbeitslos?“

„Darum geht es nicht, obwohl ich dein Misstrauen verstehe.“

„Eine späte Einsicht.“

„Zu spät?“

„Ist das eine rhetorische Frage?“ Elisha stieg ein. „Das war’s, Stew. Lass mich einfach in Ruhe.“ Sie ließ den Wagen an. Der Kies knirschte unter ihrem roten Toyota, als sie Gas gab. Stew lief hinter ihr her, bis er irgendwann stehenblieb und im Rückspiegel immer kleiner wurde. Ohne Ziel lenkte sie den Wagen durch die Stadt. Jegliches Zeitgefühl kam ihr abhanden, bis sie sich irgendwann am Ufer des Long Lake befand. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Nur Einsamkeit um sie herum, Wind und Kälte. Trotz Sommer, der Nachmittag brachte kaum mehr als 21 Grad zustande.

Mit Tränen in den Augen sank sie in das weiche Gras und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Dann zog sie die Beine an, umspannte die Knie mit den Armen und beweinte ihr Leben. Ihre Ehe. Stew, das Scheitern. Ihr Versagen, den Falschen gewählt zu haben im Glauben, er wäre ihre große Liebe. Doch wie unzählige Male zuvor, hatte sie direkt in die Jauche gegriffen und einen weiteren Freddy herausgezogen. Ihm waren einige Jungs derselben Sorte gefolgt, mit denen sie erste Küsse austauschte. Michael Longlay hatte sie schließlich zur Frau gemacht. Rugby-Spieler und Mädchenschwarm. Weshalb fiel sie ständig auf solche Typen herein?

Verschwommen lag der Lake vor ihr. Eigentlich war Yellowknife mit seinen knapp neunzehntausenddreihundert Einwohnern nicht zu klein, um stets die stumpfesten Nadeln im Heuhaufen zu finden. Zumal man Yellowknife auch als ´Stadt der Polarlichterˋ bezeichnete. Ein Naturschauspiel, das jährlich viele Touristen anlockte. Aber selbst unter denen hatte sich bisher jeder Mann als Fehlgriff herausgestellt. Nach Michael war Hansi gekommen - im wahrsten Sinne des Wortes. Ein österreichischer Skilehrer, der jedoch mehrere Pisten gleichzeitig befahren hatte. Giovanni mit seinen glutvollen Augen hatte ebenfalls zu viel ´Amoreˋ im Blut gehabt und sogar in ihrem Beisein mit einer anderen Frau geknutscht. Vasili war ihr dann über den Weg gelaufen, als sie weinend das Lokal verlassen hatte. Sie waren im Bett gelandet, aber leider kam es nicht zum Höhepunkt. Dabei hatte sie ihn ständig darauf hingewiesen, dass er zu schnell oder zu langsam sei, was sie mochte und was weniger und sie hatte von einer gemeinsamen Zukunft inklusive Kindern gesprochen. Hochzeit, miteinander alt werden, Enkelkinder. Eigentlich Themen, womit man jedem Mann zeigte, dass man ihn und diese frische neue Beziehung ernst nahm. Aber wie auch immer, Vasili war am nächsten Tag spurlos verschwunden.

Elisha straffte die Schultern. Zum Teufel mit den Männern! Ab jetzt würde sie eher ins Kloster gehen, als sich noch einmal auf einen Typen einzulassen.

„Da bist du ja endlich, Puschel.“ Ihr Vater erhob sich vom Sofa, als Elisha drei Stunden später den Wohnraum betrat. Mit schlurfenden Schritten kam er ihr entgegen. Er trug seinen senffarbenen Lieblingspullover, die braunen Hosenträger und eine ausgeleierte Jeans, über deren Bund sein Bauch hing. Wieder einmal stellte Elisha fest, wie sehr er im Gesicht dem Schauspieler Danny de Vito glich. Nur der graue Schnauzer störte den Vergleich.

„Dad, ich bin keine fünfzehn mehr. Du musst nicht auf mich warten.“ Sein vertrauter Geruch nach Zigaretten war einem strengen Duft gewichen. Seitdem er das Rauchen aufgegeben hatte, sprühte er sich ständig damit ein. Elisha hatte ihn zwar schon ein paar Mal darauf hingewiesen, dass es sich bei seinem Parfüm um einen Toiletten-Spray handelte, aber da die Flasche günstig und ziemlich ergiebig war, blieb er bei dieser Marke.

„Doch, ich musste.“ Er grinste, bevor er sich auf Zehenspitzen stellte und ihr einen feuchten Kuss auf die Wange drückte. Dann wedelte er mit einem Brief vor ihrem Gesicht herum. „Du hast Post bekommen.“

„Von wem?“ Elisha schlüpfte aus ihren beigen Ballerinas und schob sie mit dem Fuß unter die Kommode. Staubflocken wirbelten federartig heraus.

„Von deinem Verlag. Sieht offiziell aus. Vermutlich die erste Abrechnung.“

Vor einem halben Jahr hatte sie unter dem Pseudonym John Doe einen Liebesroman veröffentlicht: ´Der Geliebte ohne Gesichtˋ. Mit den Absagen zuvor hätte sie das ganze Haus tapezieren können, doch schließlich hatte sich ein Verlag erbarmt. Der Chef hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass sich das Buch gut verkaufen würde.

„Mal sehen, wieviel es ist“, sagte Elisha mit mehr Hoffnung in sich, als sie nach außen hin zeigen wollte. Ob im Brief die Antwort auf all ihre Probleme stand? Wie oft hörte man von Autoren, die praktisch über Nacht reich wurden. Lizenzen ins Ausland verkauften und auf großem Fuß leben konnten. Ihr Buch war gut, sehr gut sogar. Warum sollte es bei ihr anders sein? Fieberhaft überlegte sie, was sie mit so viel Geld tun könnte und starrte dann auf die Zahl unter dem Strich.

„Was ist, Puschel?“, stieß ihr Dad atemlos aus. „So viel?“

„In der Tat“, stotterte sie und ließ sich auf die Couch fallen.

„Du liebe Zeit, wie hoch ist die Summe?“

„Ein Dollar sechzig.“

Kurzes Schweigen.

„Hauptsache, du hast etwas verdient.“ Ihr Vater trat neben sie und legte ihr unbeholfen die Hand auf die Schulter. „Ich bin stolz auf dich, Puschelchen.“

Verstimmt schaute sie zu ihm hoch. „Dad, das ist nicht komisch.“

Ächzend setzte er sich neben Elisha, legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. „Es ist mein voller Ernst. Ich bin unheimlich stolz auf dich.“

„Worauf? Dass ich fünf fertige Manuskripte im Schreibtisch liegen habe, die keiner will?“

„Immerhin hast du ein Buch veröffentlicht.“

„Eins, das im letzten Halbjahr zwei Menschen gelesen haben. Womöglich Freddy und Brandon, um es eines Tages gegen mich zu verwenden. Oder um eine vernichtende Rezension zu schreiben.“ Zornig legte sie den Brief auf den Wohnzimmertisch, in dessen Mitte ein kitschiger Kerzenständer aus Porzellan stand. „Was habe ich mir nur dabei gedacht, einen Liebesroman zu schreiben? Ausgerechnet ich?“

„Du hast es wenigstens probiert. Ich bewundere dich dafür, dass du nie aufgegeben hast, obwohl du einige Absagen bekommen hast.“

„Einige?“, würdigte sie sich selbst herab. „Ach, Dad, mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen.“

„Na, na, na, wer wird denn gleich weinen.“ Sein von dicken Schwielen gezeichneter Zeigefinger schob sich unter ihr Kinn, und hob es sanft an. Wie oft hatte er sie getröstet. War neben ihr hergelaufen, um ihr das Radfahren beizubringen. Hatte sie am ersten Schultag fotografiert, und zu Mittag vergessen abzuholen. Besonders die Campingausflüge würden ihr stets in Erinnerung bleiben. Nur ihr Bruder Tylor, ihr Dad und sie in der Wildnis Kanadas. Die Mutter war zuhause geblieben, da sie solche Unternehmungen nicht ausstehen konnte. „Ich bin keineswegs stolz darauf, dass ich es im Leben nicht weit gebracht habe. Wie gern hätte ich euch viel mehr ermöglicht, Elisha.“