Loe raamatut: «Joe Cocker - Die Biografie»
Widmung
Woman to Woman
– A Truly Joe Cocker Song –
Meiner Tochter Victoria und meiner Frau Isabella, die sie mir geschenkt hat
Impressum
Der Autor: Christof Graf
Deutsche Erstausgabe 2014
Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2015
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Coverabbildung: © Christof Graf
© by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-476-2
Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-475-5
Hinweis für den Leser:
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Inhalt
Vorwort
Intro
„Cry Me A River“
The one and only Joe Cocker
Die 40er-Jahre
– Jahre der frühen Kindheit –
Sheffield 1944 / A Singer is born: 20. Mai 1944 / Marjorie und Harold Cocker ziehen zwei Söhne groß / Kindheit im Umfeld der Tasker Road 38
Die 50er-Jahre
– Jugendjahre –
Sheffield in den 50ern / Aus John Robert wird Joe (1951) / Skiffeln auf dem Waschbrett (1955) / Joe gründet mit elf die erste Skiffle-Band namens „The Headlanders“ (1956) / Die Schule verliert an Reiz (1957) / Bilder von Ray Charles in Joes Schulheften und was daraus wurde (1959)
Die 60er-Jahre
– Jahre des Aufbruchs und des Durchbruchs –
Joes erste Band „The Cavalliers“ (1960) / Joe verlässt die Schule und beginnt eine Lehre als Klempner (1960) / „Vance Arnold & The Avengers“ (1961) / Als Lokalmatador in Sheffield (1962) / Die erste große Liebe (1963) / Der erste Plattenvertrag mit der Single „I’ll Cry Instead“ von den Beatles (1964) / Joe schmeißt die Ausbildung zum Gasinstallateur (1964) / Mit Chris Stainton Gründung von „The Grease Band“ (1966) / Rückkehr in die Musikszene und so manches Mysteriöse im Esquire Club (1967) / Joe erstmals in Amerika (1968) / Studio-Album Nr. 1: „With A Little Help From My Friends“ (1969) / Legendenbildung im August 1969 mit Love, Peace & Music in Woodstock (1969) / Studio-Album Nr. 2: „Joe Cocker“ (1969) / Erster Kontakt mit Leon Russell (1969)
Die 70er-Jahre
– Jahre des Einbruchs –
Hippies, freie Liebe und Drogenexperimente – Die 70er als eine Epoche voller Widersprüche (1970) / Tage voller Mad Dogs & Englishmen – Der Film und die Tournee (1970) / Joes erstes Live-Album „Mad Dogs and Englishmen“ (1970) / „Like A Bird On A Wire“ und die Kunst, Coverversionen von Leonard Cohen, Bob Dylan und den Beatles zu singen (1970) / Trost bei Rita Coolidge (1971) / Hilfe vom Bruder und Rückzug nach Sheffield (1971) / Album Nr. 3: Das „Joe Cocker“-Album alias „Something To Say“ (1972) / Beim fränkischen Woodstock in Würzburg (1972) / Unter Drogen, in Haft und ausgewiesen in Australien (1972) / Kalter Entzug in Cornwall (1973) / Erstmals wieder im Studio (1973) / Album Nr. 4: „I Can Stand A Little Rain“ (1974) / Haft in Wien (1974) / Zusammenbrüche und Rückzüge (1974) / Mehrere Managerwechsel und mit John Belushi bei „Saturday Night Live“ (1975) / Album Nr. 5: „Jamaica Say You Will“ (1975) / Live in L.A. (1976) / Psychosen und Album Nr. 6: „Stingray“ (1976) / Das Ende der A & M-Jahre, neue Plattenverträge und neue Abstürze (1976) / 7: „Luxury You Can Afford“ (1978) / Die Trennung von Freundin Eileen (1978) / Woodstock-Revival (1979)
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Die 80er-Jahre
– Jahre des Umbruchs und der Läuterung –
In kleinen amerikanischen Clubs vor 200 Leuten und vor 20.000 im New Yorker Central Park, ein inoffizielles Live-Album und beim Rockpalast in Berlin (1980) / Album Nr. 8: Sheffield Steel (1982) / Oscar für „Up Where We Belong“ zusammen mit Jennifer Warnes (1983) / Mit Supertramp auf Tournee (1983) / Album Nr. 9: Civilized Man (1984) / Der Tod seiner Mutter (1984) / Live beim ersten Rock am Ring-Festival (1985) / Mit Ray Charles auf der Bühne (1985) / Album Nr. 10: Cocker (1986) / Live in Montreux, die Erste (1987) / 9 ½ Wochen und Album Nr. 11: Unchain My Heart (1987) / Heirat mit Pam (1987) / Die Cocker-Wiese in der DDR (1988) / Das Nelson Mandela 70th Birthday Tribute Concert in London (1988) / Bei Prince Charles & Lady Diana bei der Prince’s Trust-Gala (1988) / Album Nr. 12: One Night Of Sin (1989) / Ständchen für den Präsidenten der USA (1989) / St. Wendel (1989) / Mit BAP und Suzanne Vega auf Open-Air-Tournee (1989) / Der Niedergang des Kommunismus: für ein paar Stunden im alten West-Berlin (1989)
Die 90er-Jahre
– Jahre der Konsolidierung –
Joe, der Fireworker (1990) – Ein Jahr ohne Europa (1990) / Nach 20 Jahren das zweite offizielle Live-Album nach „Mad Dogs & Englishmen“: „Joe Cocker Live“ (1990) / Goodbye, Woodstock I, Goodbye, Michael Lang (1991) / Album Nr. 13: „Night Calls“ (1991) / Opfer des Erfolgs (1992) / In Diensten Eric Claptons (1993) / Dr. Joe Cocker – Ehrendoktorwürde der Sheffield Hallam University in England (1994) / Die längste Tour seiner Karriere (1994) / Album Nr. 14: „Have A Little Faith“ (1994) / Welcome, Woodstock II (1994) / Album Nr. 15: „The Long Voyage Home“ (1995) / Album Nr. 16: „Organic“ (1996) / Ohne Filter Extra (1996) / Mit der Kelly-Family im irischen Pub (1996) / Album Nr. 17: „Across From Midnight“ (1997) / Im Duett mit Eros Ramazotti (1998) / Mit Pavarotti & Friends in Modena (1999) / Album Nr. 18: „No Ordinary World“ (1999) / Zweimal in Saarbrücken: Goldene Europa & Live in Concert (1999)
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Die 2000er-Jahre
– Jahre des anhaltenden Erfolgs –
Kein Duett mit Tina Turner (2000) / Der letzte Drink in Colorado (2001) / Der Tod des Vaters (2001) / Gesang für die Königin und eine Party im Buckingham-Palast (2002) / Album Nr. 19: „Respect Yourself“ (2002) / Mit James Brown in Antwerpen bei der Nokia Night Of The Proms (2004) / Album Nr. 20: „Heart And Soul“ (2004) / Ein Leben mit Pam Cocker, Home Tours & Yard Sales – Joe Cockers Kid’s Foundation (2004 bis heute) / Album Nr. 21: „Hymn For My Soul“ (2007) / Schlaganfall im Auge (2007) / Cocker wird in London zum Ritter geschlagen (2007)
Die 2010er-Jahre
– Jahre der Ehrung –
Album Nr. 22: „Hard Knocks“ (2010) / Album Nr. 23: „Fire It Up“ (2012) / Eine „Goldene Kamera“ für das Lebenswerk (2013) / „Fire It Up – Live“, das dritte offizielle und das erste Live-Album seit 20 Jahren (2013) / 68 Shows mit 69 Jahren (2013) / Wiedersehen beim Montreux-Jazz-Festival (2013) / Living in America (2014) / Joe Cocker wird 70 (2014)
Outro
Diskografie
Danksagung
Zum Autor
Fotonachweis
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Joe Cocker war ein echtes Phänomen. Er hatte schon immer älter ausgesehen, als er in Wahrheit war, er konnte nicht tanzen, komponierte selbst keine Hits und war auch nicht sonderlich eloquent. Dennoch galt er gemeinhin als Superstar, was schon alleine daran deutlich wird, dass in meiner über dreißigjährigen journalistischen Arbeit Joe Cocker – neben Bob Dylan und Leonard Cohen – derjenige Künstler war, den ich am meisten fotografiert, live gesehen oder gar im Gespräch erlebt habe.
Zum Beispiel in Berlin am 12. Februar 1997, Gendarmenmarkt, genauer gesagt, Mohrenstraße 30, mittags, gegen 12 Uhr. High Noon. Joe Cocker betritt mit seinem Manager Roger Davies die kleine Bühne in einem der Konferenzräume des Berliner Hilton-Hotels. Joe nimmt am Tisch Platz. Rechts neben ihm Davies und links der Marketing-Chef von Beck’s Bier. Der Anlass dieser Pressekonferenz wird in der Pressemappe erläutert: „Der Markenauftritt von Beck’s in der Werbung besetzt seit vielen Jahren die Felder Männlichkeit, Freiheit und Abenteuer. Die wahrscheinlich männlichste Stimme im Rockgeschäft löst genau diese Emotionen in hohem Maße aus“, ist darin zu lesen. Aber nicht nur die Bekanntgabe dieser Werbe-Kooperation sowie der Tourneedaten der damals im Spätsommer 1997 startenden Deutschlandtournee sind Anlass für diese Pressekonferenz. Joe Cocker würde am selben Tag auch noch im Rahmen einer Fernsehgala die „Goldene Kamera“ erhalten.
Gründe genug also, um Texte und Fotos für diverse Printmedien zu produzieren. Pressearbeit in der analogen Welt sah noch ein wenig anders aus als in der heutigen digitalen Welt.
Es ist zwar nun schon 18 Jahre her, aber ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Mittwochmorgen, an dem ich etwa um drei Uhr in der Früh mit dem Wagen die 754-Kilometer-Reise von Saarbrücken nach Berlin antrat. Mit im Gepäck zwei Kameras, natürlich analog, sowie ein Aufnahmegerät, welches das gesagte Wort noch auf einer Tonbandkassette aufnahm.
Dieser 12. Februar 1997 in Berlin war zwar bei weitem nicht das erste Mal, dass ich im Verlauf meiner publizistischen Tätigkeiten mit Joe Cocker zusammentraf. Aber es war mit das schönste Erlebnis mit ihm, weil es in einem jener Hotels stattfand, über die Leonard Cohen einmal Worte verlor, die ich seither nie wieder vergessen habe, wenn ich solche Hotels betrat. Er meinte: „Ich liebe Hotels, in denen ich ohne Aufsehen morgens um vier einen Zwerg, einen Bären und vier Frauen aufs Zimmer mitnehmen kann, ohne dass der Concierge dem Ganzen auch nur einen Hauch von Aufmerksamkeit zukommen lässt.“
Und ein solches Hotel war eben das Hilton Berlin, zumindest damals.
All dies und vieles mehr rekapitulierte ich, als ich 2013 damit begann, Material für mein Buch über Joe Cocker zusammenzusuchen. Cocker erlebte ich „on stage“, „front of stage“, backstage, bei Pressekonferenzen und in Gesprächen. Das letzte Mal 2013 in Montreux, davor 2012 in Köln und in Mannheim, 2010 in Saarbrücken, 2004 in Rotterdam und Antwerpen, 2000 in Pirmasens, 1999 in Saarbrücken, 1997, wie gesagt, in Berlin, 1996 im saarländischen Sulzbach und in Baden-Baden, 1995 in Schwalmstadt, 1994 in Luxemburg, 1992 in Homburg an der Saar und in Antwerpen, 1989 in St. Wendel, 1985 bei Rock am Ring, 1983 auf der Loreley und in Karlsruhe mit Supertramp und 1980 in Berlin.
Zu einer weiteren Begegnung kam es am 14. November 1999 ebenfalls in Saarbrücken, als Joe Cocker die „Goldene Europa“ für sein Lebenswerk erhielt. Bei der Auszeichnung im Rahmen einer Fernsehgala der ARD waren 3.000 Besucher in der Saarlandhalle, und Cocker war trotz seines wahrscheinlich zigtausendsten Auftritts vor Publikum nervös. Gegen 17 Uhr gab es eine Generalprobe. In der Zwischenzeit durften akkreditierte Journalisten fotografieren oder auch Interviews machen. Cocker saß in seiner Garderobe, trank Wasser und wirkte keineswegs wie ein „Lebenswerk“. Er wirkte auch nicht wie ein Künstler, der für ein Lebenswerk ausgezeichnet wird. Er wirkte so, wie ich ihn oft erlebt habe: zurückhaltend, dezent, leicht unsicher und ohne Entourage geradezu verletzlich, aber immer freundlich. Würde man ihn nicht kennen, wäre er einfach nur ein untersetzter kleiner Mann. Er war jovial, bot Getränk und Sitzgelegenheit an und beantwortete routiniert meine wenigen Fragen, die in dem kurzen Interview möglich waren.
Ich stellte dann bei meinen Recherchen schnell fest, dass es trotz des weltweit über Jahrzehnte anhaltenden Erfolges von Joe Cocker keine zuverlässigen Quellen über sein Leben und Werk gab. Es existierte keine komplette Diskografie, und selbst die eigene Website von Joe Cocker (www.cocker.com) offerierte nicht das komplette Lebenswerk. Bücher über Joe Cocker lagen aktuell gar keine vor. Die letzten, und es gab wahrlich nur zwei, wurden Anfang der 90er-Jahre veröffentlicht, eines davon wurde zwar zu Beginn der 2000er-Jahre aktualisiert, aber nur in englischer Sprache veröffentlicht.
Also kramte ich weiter und weiter in meinen Schätzen und fand überraschenderweise enorm viele Memorabilia zu Joe Cocker von den 80er-Jahren bis heute: Foto- und Backstage-Pässe, Konzertplakate, Aufnahmen von Interviews und Pressekonferenzen wie etwa die von Berlin 1997, Presseinfos von Plattenfirmen und Konzertveranstaltern sowie unzählige Negativ-Streifen von Konzertfotos und dann auch Digital-Fotos, da ich in den 2000ern angefangen hatte, digital zu fotografieren.
Der Ansporn, dieses Buch zu schreiben, bestand dann letztlich auch darin, etwas zu recherchieren, was es an Informationen über Cocker bis dato so noch nicht gab. Der Entdeckergeist hatte mich gepackt.
Joe Cocker war, wie gesagt, kein begnadeter Komponist und Texter. Er war lediglich mit der Gabe gesegnet, Geschichten erzählen zu können und diesen Geschichten eine unvergleichliche Stimme verleihen zu können. Es waren nicht immer seine Geschichten, die er erzählte, aber er tat es mit seiner geradezu magischen Stimme, was ihn wiederum auf seine Art einzigartig machte und mich seit seinem Album „Luxury You Can Afford“, meinem ersten Cocker-Album, fasziniert hat. Was mich ebenso an ihm fesselt, ist die Tatsache, dass er wie kein anderer selbst zur Geschichte im großen Buch der populären Musik geworden ist.
45 Jahre nach seinem legendären Auftritt 1969 in Woodstock bezeichnete sich Joe Cocker – 70 Jahre alt geworden – als „Dinosaurier der Rockgeschichte“. Getreu der „Live Fast, Die Young“-Philosophie hatte „The Voice“ Joe Cocker nichts ausgelassen, was ihn, seine Karriere, seine Musik, seine Stimme und sein gesamtes Leben hätte gefährden können. Vor allem waren es bekanntermaßen Alkohol und harte Drogen, die ihm körperlich zusetzten. Nicht aber seiner Stimme, die blieb, die gefiel und nach der wurde wieder und immer wieder gefragt. Und so rappelte sich Joe Cocker, trotz unentwegter Rückschläge Mal um Mal auf und wusste mit gewohnter Professionalität klassische Soul-Songs, große Power-Balladen und energiegeladene Up-Tempo-Hits erfolgreich zu präsentieren. Meine Favoriten sind übrigens bis heute Randy Newmans „You Can Leave Your Hat On“, das in Cockers Version 1986 als Teil des Soundtracks zu dem Soft-SM-Film „9 ½ Wochen“ schließlich weltberühmt wurde, „Night Calls“ und „Hard Knocks“.
Cockers Kunst war die Songveredelung dank seiner an Reife und Klasse noch immer hinzugewinnenden Stimme. Ich liebe es, wenn sich seine Stimme dem expressiven Höhepunkt eines Songs näherte, etwa in „Shelter Me“, oder sich sein Rückgrat bei „Unchain My Heart“ manchmal weit zurückbog bzw. er mit den Armen bei „You Are So Beautiful“ langsam nach hinten ruderte, als suchten sie dort im Ungefähren für den ganzen Körper Halt. Das waren keine theatralischen Gesten. Die röhrende, mitunter sich markerschütternd aufbäumende Stimme bemächtigte sich dann dieses Körpers, und Joe Cocker wirkte für einen Augenblick so ergriffen und zugleich so hilflos, als packte ihn noch einmal das Verhängnis höchstselbst am Kragen.
Beschreibungen dieser Art spiegeln eigentlich das gesamte Leben Joe Cockers wider. Er war kein Intellektueller, der sich der Macht der Worte bediente, um sich zu wehren. Cocker schrie. Auf der Bühne. Im Gespräch hingegen war er ruhig. In den frühen 80ern war er noch ruhiger gewesen als später. Zwischenzeitlich wirkte er geläutert, routiniert im Umgang mit den Worten, die er sich auf immer wiederkehrende Fragen von Journalisten, gut vorbereitet, zurechtlegte. Cocker war auch kein Frauenheld. Cockers Laster trugen keine Frauennamen, sondern hießen LSD, Marihuana, Heroin und Alkohol. Und er war es leid, darauf angesprochen zu werden, nachdem er vor Jahren schon all diesen abgeschworen hatte. Seine Aussprache war seither um ein Vielfaches deutlicher gewesen.
Man merkte Joe Cocker, wenn man ehrlich ist, seine kleinbürgerliche Herkunft aus der nordenglischen Stahlmetropole Sheffield bis zuletzt noch ein wenig an. Aber Joe Cocker war ein Überlebender seiner eigenen Geschichte geworden – und er war sich dessen bewusst. Wenn irgendetwas zählt, dann ist es das Überleben, auch wenn man schwach ist, in einer der härtesten Branchen unserer Zeit. Joe Cocker war, seitdem er mit 16 die Schule verlassen hatte, genau das gelungen: zu überleben! Den weltweiten Erfolg überlebt zu haben, das war Joe Cockers Geschichte.
Am 22. Dezember 2014 ist Joe Cocker an den Folgen eines kleinzelligen Lungenkrebses auf seiner Farm in Crawford/Colorado, USA im Familienkreise gestorben. Damit verlor die Welt einen Ausnahmekünstler, den sie genauso wie seine von ihm veredelten Lieder nie vergessen wird.
Joe Cocker wurde einmal gefragt, wo seine Seele nach seinem Tod ruhen solle. Er sagte „überall“ und erinnerte an eine Geschichte, die ihm einmal ein Mann aus Australien erzählt hatte: „Eine Seele ruht überall, weil sie ja aus allem besteht, was in einem Leben geschehen ist.“ Außerdem hatte er gesagt: „Joe, Du hattest kein gutes oder schlechtes Leben. Du hattest ein Leben!“
Prof. Dr. Christof Graf
Zweibrücken, im Januar 2015
Joe Cocker wusste, was es heißt, wie ein Phönix aus der Asche aufzuerstehen. Schon in den 70ern galt er als „der neue Star“ im Rockbusiness. Janis Joplin, Jimi Hendrix und Jim Morrison waren bald tot, Joe Cocker jedoch lebte. Aber ebenso wie die Mitglieder des berühmten „Club 27“ war auch er in Gefahr, zur tragischen Figur zu werden und zu sterben. Nach seiner durch den Woodstock-Auftritt steil aufsteigenden Karriere und einigen Hits, auf welche er mit einem ausschweifenden Leben ganz im Sinne der vielzitierten Mentalität „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ reagierte, beschrieben ihn die Medien schnell als hochgradig Gefährdeten. Sie machten ihn damit aber zu früh zum ausgebrannten Star, brachen zu früh den Stab über ihn. Denn es folgten Jahre voller Höhen und Tiefen, es gab Triumphe, aber auch Misserfolge. Und nach über fünf Jahrzehnten im Musikgeschäft war Joe Cocker immer noch einer der erfolgreichsten und bekanntesten Sänger weltweit. Viele seiner insgesamt nunmehr offiziell 22 Studio- und drei Live-Alben erreichten Platin-Status, und er wurde mit zahllosen Awards wie dem Grammy, dem Golden Globe und dem Academy Award ausgezeichnet und erhielt zudem von der Queen den Order of the British Empire. Kurzum: John Robert „Joe“ Cocker, der am 20. Mai 1944 in der einstigen englischen Stahlmetropole Sheffield geboren wurde, galt 70 Jahre später als ein „Elder statesman des Rock’n’Roll“, als der weiße Soul-, Blues- und Rocksänger mit der schwärzesten Stimme, vor allem aber galt er als „Überlebender“. Was ihn zu all dem machte? Seine Stimme!
Seit Mitte der 90er-Jahre war Joe „the real voice“ Cocker von den großen Veranstaltungsorten dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Für eine „Stimme“ ist die Bühne der beste Ort, um sich auszuleben. Live zu spielen ist wahrscheinlich auch das, was Cocker am meisten genoss und auch immer schon genossen hatte. Auf seiner letzten Welttournee 2013 etwa spielte er vor ausverkauften Häusern rund um den Globus, sogar in Südamerika.
Eine ganze Generation wollte in Woodstock die Utopie von Liebe und Frieden in schiere Realität überführen, und mit der seelenvollen Interpretation des Beatles-Klassikers „With A Little Help From My Friends“ unterstrich Cocker, dass diese Vision von Liebe ohne brüderliche Solidarität nur unvollständig wäre.
Aber schon mit Beginn der siebziger Jahre war der Traum ausgeträumt. Trotz Hendrix’ symbolischer Intervention „Star Spangled Banner“ wurden in Vietnam weiterhin Menschen getötet, und am 18. September 1970 starb Hendrix schließlich. Janis Joplin und Jim Morrison folgten ihm am 4. Oktober 1970 bzw. am 3. Juli 1971 nach. Joe Cocker wurde währenddessen und im Rahmen seiner berühmt-berüchtigten „Mad Dogs & Englishmen“-Tournee in 56 Tagen durch 48 amerikanische Städte gescheucht; er kam von dieser Tour mit ganzen 862 Dollar und einem Nervenzusammenbruch zurück. Es grenzt fast an ein Wunder, dass der „Underdog“ damals nicht auch starb. Das verdankte er neben seinen Eltern (bei denen er – immer wieder einmal – kurzfristig untertauchen konnte) wohl auch seiner nie gebrochenen Liebe zum Leben und zur Musik.
Joe Cocker kehrte nach der „Mad Dogs“-Odyssee 1972 ins Showbusiness zurück, lernte aber die ganzen siebziger Jahre hindurch weiterhin vor allem die Tiefen dieses Geschäfts kennen. Erst im Laufe der nächsten Dekade und eben „with a little help from my friends“ reifte er schließlich zur Persönlichkeit, die einen hochexpressiven Artisten und einen endlich ausgeglichenen und befriedeten Privatmenschen in sich vereinte. In den letzten Jahren lebte er zurückgezogen mit seiner Frau Pamela in seiner Wahlheimat Kalifornien oder fand auf seiner Farm in Colorado seine innere Harmonie.
Zur kreativen Blütezeit der Rockmusik oft abgeschrieben oder gar totgesagt, war dieser immer wieder auferstandene Selfmademan vom Dienst also auch im neuen Jahrtausend weitaus lebendiger (und authentischer) als die zeitgenössische Rockmusik selbst.
Die Zeit der großen klassischen Komponisten und Rock-Autoren scheint im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu Ende zu gehen. Kollaborateure und Weggefährten sterben. Johnny Cash am 12. September 2003 und Lou Reed am 27. Oktober 2013. John Lennon, dem Joe Cocker seine größten Coverversionen verdankte, verstarb schon am 8. Dezember 1980. Cockers größtes musikalisches Vorbild Ray Charles am 10. Juni 2004. Andere „friends along his way“ begleiteten Cocker hingegen in den Olymp der sogenannten „Elder statesmen“ des Rock. Eric Clapton wurde am 30. März 2014 69 Jahre alt, Mick Jagger am 26. Juli 71, Paul McCartney am 18. Juni 72, Bob Dylan am 24. Mai schon 73. Noch ehrwürdigere Ikonen wie Leonard Cohen, der Singer-Songwriter, aus dessen Repertoire Cocker gleich drei Songs veredelte und zu Hits machte, wurden 2014 gar 80 Jahre alt.
Joe Cocker indes durfte sich mehr denn je als ein Überlebender fühlen, der getreu der Maßgabe vorging: „It’s the singer, not the song.“ Und er war in der Tat einer der Größten unter den Interpreten. Der Grund dafür lag eben sicherlich in seiner einzigartigen Stimme. Selbst Cockers großes Vorbild Ray Charles zollte ihm dafür Bewunderung. Cocker galt als berühmteste weiße Bluesstimme, und die NEW YORK TIMES wählte ihn sogar einmal zum „besten männlichen Rocksänger“. Aber da war noch etwas, denn Joe Cocker war einer der ganz wenigen Popkünstler, die trotz ihres Erfolgs quer durch alle Generationen dezidiert nicht die Rolle des Seelentrösters ausfüllten. „Dafür liefert Cocker seinen Fans eine Ahnung von emotionalen Exzessen, die ihnen ihr eigenes Leben vorenthält“, analysierte Wolfgang Hobel schon Anfang 1990 treffend in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Wer Joe Cocker hört, weiß im Nachhinein zwar auch nicht ganz genau, wie es nun um die geheimnisvollen Mächte bestellt ist, die unser Leben lenken. Aber dass diese existentiellen Fügungen existieren, davon legten Cockers Stimme und Werk ein glaubwürdiges Zeugnis ab.
In seiner langen Laufbahn hatte Joe Cocker immer wieder bewiesen, dass er es wie kaum ein anderer Musiker verstanden hatte, Songs namhafter Komponisten zu seinen eigenen zu machen. Er hatte über die Jahre zahlreiche Fremdtitel in sein Repertoire aufgenommen und diese so überzeugend in seinem absolut individuellen Stil interpretiert, dass man glauben konnte, sie seien extra für ihn verfasst worden. Viele Nummern, die ursprünglich für andere Sänger geschrieben worden waren, erlangten in seiner Bearbeitung den Status von Klassikern. So manches Lied wurde erst in seiner Fassung weltberühmt, bestes Beispiel wiederum Randy Newmans „You Can Leave Your Hat On“. Weltweit kommt wohl kaum ein Striptease ohne diese Musik im Hintergrund aus.
Über ihn hieß es: „Wenn er singt, zerreißt Cocker sein eigenes Herz und seine Seele mit der Dringlichkeit und Intensität eines van Gogh des Rock ’n’ Roll … Ein Song, der einmal von ihm gesungen worden ist, ist damit für immer gesungen worden.“ Über Jahrzehnte hinweg genoss die musikalische Legende aus Sheffield weltweit den Ruf eines hervorragenden Sängers, extravaganten Interpreten und passionierten Bühnenmusikers. Der englische Soulsänger eroberte die verschiedensten Genres, schuf eine große Anzahl von Klassikern, hielt aber an einer bestimmten Stilrichtung stets besonders fest: „Ich scheine mich nie sehr weit vom Blues zu entfernen“, verriet der Künstler. „Ich habe es versucht, aber wenn ich dem zuhöre, was andere Leute so singen … in meinem ganzen Leben könnte ich so was nicht singen. Ich denke, wenn du mal so um die Mitte dreißig bist, hast du deinen grundsätzlichen Stil festgelegt. Ich könnte einfach keine anderen Platten machen.“
Glücklicherweise war das genau der richtige Stil für den raspelnden, knurrenden Sänger, der immer aufs Neue in der Lage war, das noch zu übertreffen, wofür sein Publikum ihn so sehr schätzte.
Der in unvergesslichen Liveauftritten und Studioaufnahmen immer vorhandene Zauber war erstaunlich, aber nicht unerklärlich. „Songs wie ‚You Are So Beautiful‘ oder ‚With A Little Help From My Friends‘ könnte ich ewig singen“, bemerkte Cocker zu zwei Songs, die in jedes seiner Konzerte hineingehörten, und zu seiner Hingabe an den Gesang. „Gott weiß, wie oft ich sie schon gesungen habe. Es ist, als ob ich tausendmal das gleiche Bild malte. Man fragt sich immer: ‚Wie bekomme ich es diesmal richtig hin?‘ Und ich bekomme es jedes Mal richtig hin.“ Vielleicht weil er einfach etwas hatte, was andere nicht haben: eine Ausnahmestimme.
Aber was machte denn nun Cockers Stimme zur Ausnahme? Ihr Klang? Ihre Klangfarbe? Ihre Geschichte? Die Geschichten, die sie erzählte? In all dem liegt natürlich ein Körnchen Wahrheit. Klar ist jedenfalls: Was bleibt im Musikbusiness, sind die Ausnahmestimmen. Eine Stimme, die einem das Gefühl gibt, sich ihr nicht entziehen zu können, als hätte sie etwas Magisches. Aber vielleicht ist es auch nur das tragische Moment in ihr, das den Geschichten etwas gibt, was sie zu dem macht, was Menschen immer suchen: Authentizität.
Es geht also nicht nur um eine Stimme, die wie Joe Cocker klingt. Es geht um die, die Joe Cocker war und die nur deswegen seine war, weil sie seine Geschichten erklingen ließ. Eine Stimme, kalt und warm zugleich, eine Stimme voller Kraft und Emotionalität, eine Stimme, die weit über das hinausging, was die Tonleiter ausmacht, die hell und klar ebenso wie dunkel und weich war. Eine Stimme, die einen Sänger zum Shouter, zum Schreienden macht, der damit Klänge erzeugt, wie sie kein anderer nach ihm erklingen lassen kann.
Ja, es gibt sie natürlich, die faszinierenden Stimmen Elton Johns, Freddie Mercurys und auch die von Vertretern der jüngeren Generation wie Lady Gaga, Katie Perry, Leslie Clio oder Birdy. Aber es sind keine, die Geschichten wie die von Joe Cocker erklingen lassen. Und dabei waren es noch nicht einmal immer seine eigenen Lieder, die er da auf seine ureigene Art und Weise zu Gehör brachte. Oft waren es jene von Kollegen, von denen er meinte, sie würden gut zu seiner Stimme passen. Oft machte er solche Lieder von den Beatles, Bob Marley, Randy Newman, Leonard Cohen oder Bob Dylan in einem unnachahmlichen Veredelungsprozess zu noch größeren Hits, als sie das ohnehin schon waren.
Peter Maffay spricht in seinen „Gedanken eines Getriebenen“ den „9. Ton“ an. Ein solcher durchdrang auch Joe Cockers Tonleiter. Eine Tonleiter oder Skala ist in der Musik eine Reihe von der Tonhöhe nach geordneten Tönen, die durch Rahmentöne begrenzt wird, jenseits derer die Tonreihe in der Regel wiederholbar ist. Meistens hat eine Tonleiter den Umfang einer Oktave und folgt dabei in vielen Fällen einem heptatonischen Tonskalenaufbau. Wie eine Tonleiter aufgebaut ist, wird im Tonsystem festgelegt. Die gebräuchlichsten europäischen und außereuropäischen Tonleitern basieren auf fünf oder sieben Tönen innerhalb der Oktave, welche Tonstufen genannt werden. Weit verbreitet sind diatonische Tonleitern in Dur und Moll oder die Kirchenleitern. Tonleitern sind durch Tonabstände definiert. Die in der konkreten Tonleiter enthaltenen Töne bezeichnet man als leitereigen. In außereuropäischer Musik wie der klassischen arabischen oder indischen gibt es Tonsysteme und Tonleitern, die den Tonraum anders aufteilen. So bestehen Tonleitern, die mehr als sieben festgelegte Tonstufen enthalten, wie zum Beispiel Mugam, Maqam oder Raga. Ein Beispiel für eine der heute in Mitteleuropa am gebräuchlichsten Tonleitern: die Dur-Tonleiter. Sie besteht aus Tönen im Abstand: Ganzton – Ganzton – Halbton – Ganzton – Ganzton – Ganzton – Halbton. Man kann eine so definierte Tonleiter auf jedem beliebigen Ton beginnen. Durch Angabe eines konkreten Anfangstons (Grundtons) wird daraus eine Tonart wie C-Dur, D-Dur usw. Die leitereigenen Töne von C-Dur heißen auch Stammtöne und entsprechen den weißen Tasten auf einer Klaviatur. Paul McCartney, der mit Joe Cocker 2002 zusammen „All You Need Is Love“ für das 50. Thronjubiläum der Queen im Buckingham Palace-Garden sang, schrieb über das Zusammenspiel der Klaviertasten den Song „Ebony & Ivory“ aus dem Jahr 1982, den er damals zusammen mit Stevie Wonder intonierte.
Manche interpretieren den Song als gelebtes Ideal zwischen den Gegensätzen. In der Musik ist es Dur und Moll. Dur und Moll verdrängten im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Bezeichnungen Modus major und Modus minor (cantus durus und cantus mollis) für die Tongeschlechter der Kirchentonarten. Seitdem spricht man auch vom dur-moll-tonalen Tonsystem, kurz Dur-Moll-System. Der Höreindruck von Dur wird oft als „hell, klar“ (vgl. lat. durus = hart) beschrieben, wogegen Moll oft als „dunkel, weich“ (vgl. lat. mollis = weich) bezeichnet wird. Diese Charakterisierungen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere weitergehende Assoziationen wie z. B. Dur mit fröhlich oder Moll mit traurig können zwar im Einzelfall zutreffen, dürfen aber auf gar keinen Fall verallgemeinert werden, weil der musikalische Gesamteindruck noch von vielen anderen Komponenten abhängt.