Loe raamatut: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», lehekülg 21

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Der Nothschrei

Des nächs­ten Ta­ges sass Za­ra­thustra wie­der auf sei­nem Stei­ne vor der Höh­le, wäh­rend die Thie­re draus­sen in der Welt her­um­schweif­ten, dass sie neue Nah­rung heim­bräch­ten, – auch neu­en Ho­nig: denn Za­ra­thustra hat­te den al­ten Ho­nig bis auf das letz­te Korn verthan und ver­schwen­det. Als er aber der­maas­sen da­sass, mit ei­nem Ste­cken in der Hand, und den Schat­ten sei­ner Ge­stalt auf der Erde ab­zeich­ne­te, nach­den­kend und, wahr­lich! nicht über sich und sei­nen Schat­ten – da er­schrak er mit Ei­nem Male und fuhr zu­sam­men: denn er sahe ne­ben sei­nem Schat­ten noch einen an­dern Schat­ten. Und wie er schnell um sich blick­te und auf­stand, sie­he, da stand der Wahr­sa­ger ne­ben ihm, der sel­be, den er einst­mals an sei­nem Ti­sche ge­speist und ge­tränkt hat­te, der Ver­kün­di­ger der gros­sen Mü­dig­keit, wel­cher lehr­te: »Al­les ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wis­sen würgt.« Aber sein Ant­litz hat­te sich in­zwi­schen ver­wan­delt; und als ihm Za­ra­thustra in die Au­gen blick­te, wur­de sein Herz aber­mals er­schreckt: so viel schlim­me Ver­kün­di­gun­gen und asch­graue Blit­ze lie­fen über diess Ge­sicht.

Der Wahr­sa­ger, der es wahr­ge­nom­men, was sich in Za­ra­thustra’s See­le zu­trug, wisch­te mit der Hand über sein Ant­litz hin, wie als ob er das­sel­be weg­wi­schen woll­te; des­glei­chen that auch Za­ra­thustra. Und als Bei­de der­ge­stalt sich schwei­gend ge­fasst und ge­kräf­tigt hat­ten, ga­ben sie sich die Hän­de, zum Zei­chen, dass sie sich wie­der­er­ken­nen woll­ten.

»Sei mir will­kom­men, sag­te Za­ra­thustra, du Wahr­sa­ger der gros­sen Mü­dig­keit, du sollst nicht um­sonst einst­mals mein Tisch- und Gast­freund ge­we­sen sein. Iss und trink auch heu­te bei mir und ver­gieb es, dass ein ver­gnüg­ter al­ter Mann mit dir zu Ti­sche sitzt!« – »Ein ver­gnüg­ter al­ter Mann? ant­wor­te­te der Wahr­sa­ger, den Kopf schüt­telnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Za­ra­thustra, du bist es zum Längs­ten hier Oben ge­we­sen, – dein Na­chen soll über Kur­zem nicht mehr im Trock­nen sit­zen!« – »Sit­ze ich denn im Trock­nen?« frag­te Za­ra­thustra la­chend. – »Die Wel­len um dei­nen Berg, ant­wor­te­te der Wahr­sa­ger, stei­gen und stei­gen, die Wel­len gros­ser Noth und Trüb­sal: die wer­den bald auch dei­nen Na­chen he­ben und dich da­von­tra­gen.« – Za­ra­thustra schwieg hier­auf und wun­der­te sich. – »Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahr­sa­ger fort: rauscht und braust es nicht her­auf aus der Tie­fe?« – Za­ra­thustra schwieg aber­mals und horch­te: da hör­te er einen lan­gen, lan­gen Schrei, wel­chen die Ab­grün­de sich zu­war­fen und wei­ter­ga­ben, denn kei­ner woll­te ihn be­hal­ten: so böse klang er.

»Du schlim­mer Ver­kün­di­ger, sprach end­lich Za­ra­thustra, das ist ein Noth­schrei und der Schrei ei­nes Men­schen, der mag wohl aus ei­nem schwar­zen Mee­re kom­men. Aber was geht mich Men­schen-Noth an! Mei­ne letz­te Sün­de, die mir auf­ge­spart blieb, – weisst du wohl, wie sie heisst?«

– »Mit­lei­den! ant­wor­te­te der Wahr­sa­ger aus ei­nem über­strö­men­den Her­zen und hob bei­de Hän­de em­por – oh Za­ra­thustra, ich kom­me, dass ich dich zu dei­ner letz­ten Sün­de ver­füh­re!« –

Und kaum wa­ren die­se Wor­te ge­spro­chen, da er­scholl der Schrei aber­mals, und län­ger und ängst­li­cher als vor­her, auch schon viel nä­her. »Hörst du? Hörst du, oh Za­ra­thustra? rief der Wahr­sa­ger, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist höchs­te Zeit!« –

Za­ra­thustra schwieg hier­auf, ver­wirrt und er­schüt­tert; end­lich frag­te er, wie Ei­ner, der bei sich sel­ber zö­gert: »Und wer ist das, der dort mich ruft?«

»Aber du weisst es ja, ant­wor­te­te der Wahr­sa­ger hef­tig, was ver­birgst du dich? Der hö­he­re Men­sch ist es, der nach dir schreit!«

»Der hö­he­re Mensch? schrie Za­ra­thustra von Grau­sen er­fasst: was will der? Was will der? Der hö­he­re Mensch! Was will der hier?« – und sei­ne Haut be­deck­te sich mit Sch­weiss.

Der Wahr­sa­ger aber ant­wor­te­te nicht auf die Angst Za­ra­thustra’s, son­dern horch­te und horch­te nach der Tie­fe zu. Als es je­doch lan­ge Zeit dort stil­le blieb, wand­te er sei­nen Blick zu­rück und sahe Za­ra­thustra stehn und zit­tern.

»Oh Za­ra­thustra, hob er mit trau­ri­ger Stim­me an, du stehst nicht da wie Ei­ner, den sein Glück dre­hend macht: du wirst tan­zen müs­sen, dass du mir nicht um­fällst!

Aber wenn du auch vor mir tan­zen woll­test und alle dei­ne Sei­ten­sprün­ge sprin­gen: Nie­mand soll mir doch sa­gen dür­fen: »Sie­he, hier tanzt der letz­te fro­he Mensch!«

Um­sonst käme Ei­ner auf die­se Höhe, der den hier such­te: Höh­len fän­de er wohl und Hin­ter-Höh­len, Ver­ste­cke für Ver­steck­te, aber nicht Glücks-Schach­te und Schatz­kam­mern und neue Glücks-Golda­dern.

Glück – wie fän­de man wohl das Glück bei sol­chen Ver­gra­be­nen und Ein­sied­lern! Muss ich das letz­te Glück noch auf glück­se­li­gen In­seln su­chen und fer­ne zwi­schen ver­ges­se­nen Mee­ren?

Aber Al­les ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Su­chen, es giebt auch kei­ne glück­se­li­gen In­seln mehr!« – –

Also seufz­te der Wahr­sa­ger; bei sei­nem letz­ten Seuf­zer aber wur­de Za­ra­thustra wie­der hell und si­cher, gleich Ei­nem, der aus ei­nem tie­fen Sch­lun­de an’s Licht kommt. »Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit star­ker Stim­me und strich sich den Bart – Das weiss ich bes­ser! Es giebt noch glück­se­li­ge In­seln! Stil­le da­von, du seuf­zen­der Trau­er­sack!

Höre da­von auf zu plät­schern, du Re­gen­wol­ke am Vor­mit­tag! Ste­he ich denn nicht schon da, nass von dei­ner Trüb­sal und be­gos­sen wie ein Hund?

Nun schütt­le ich mich und lau­fe dir da­von, dass ich wie­der tro­cken wer­de: dess darfst du nicht Wun­der ha­ben! Dün­ke ich dir un­höf­lich? Aber hier ist mein Hof.

Was aber dei­nen hö­he­ren Men­schen an­geht: wohl­an! ich su­che ihn flugs in je­nen Wäl­dern: da­her kam sein Schrei. Vi­el­leicht be­drängt ihn da ein bö­ses Thier.

Er ist in mei­nem Be­rei­che: dar­in soll er mir nicht zu Scha­den kom­men! Und wahr­lich, es giebt vie­le böse Thie­re bei mir.« –

Mit die­sen Wor­ten wand­te sich Za­ra­thustra zum Ge­hen. Da sprach der Wahr­sa­ger: »Oh Za­ra­thustra, du bist ein Schelm!

Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lie­ber noch läufst du in die Wäl­der und stellst bö­sen Thie­ren nach!

Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wie­der­ha­ben, in dei­ner eig­nen Höh­le wer­de ich da­sit­zen, ge­dul­dig und schwer wie ein Klotz – und auf dich war­ten!«

»So sei’s! rief Za­ra­thustra zu­rück im Fort­gehn: und was mein ist in mei­ner Höh­le, ge­hört auch dir, mei­nem Gast­freun­de!

Soll­test du aber drin noch Ho­nig fin­den, wohl­an! so le­cke ihn nur auf, du Brumm­bär, und ver­süs­se dei­ne See­le! Am Aben­de näm­lich wol­len wir Bei­de gu­ter Din­ge sein,

– gu­ter Din­ge und froh darob, dass die­ser Tag zu Ende gieng! Und du sel­ber sollst zu mei­nen Lie­dern als mein Tanz­bär tan­zen.

Du glaubst nicht dar­an? Du schüt­telst den Kopf? Wohl­an! Wohl­auf! Al­ter Bär! Aber auch ich – bin ein Wahr­sa­ger.«

Also sprach Za­ra­thustra.

Gespräch mit den Königen
1

Za­ra­thustra war noch kei­ne Stun­de in sei­nen Ber­gen und Wäl­dern un­ter­wegs, da sahe er mit Ei­nem Male einen selt­sa­men Auf­zug. Gera­de auf dem Wege, den er hin­ab­woll­te, ka­men zwei Kö­ni­ge ge­gan­gen, mit Kro­nen und Pur­pur­gür­teln ge­schmückt und bunt wie Fla­min­go-Vö­gel: die trie­ben einen be­la­de­nen Esel vor sich her. »Was wol­len die­se Kö­ni­ge in mei­nem Rei­che?« sprach Za­ra­thustra er­staunt zu sei­nem Her­zen und ver­steck­te Sich ge­schwind hin­ter ei­nem Bu­sche. Als aber die Kö­ni­ge bis zu ihm her­an­ka­men, sag­te er, halb­laut, wie Ei­ner, der zu sich al­lein re­det: »Selt­sam! Selt­sam! Wie reimt sich Das zu­sam­men? Zwei Kö­ni­ge sehe ich – und nur Ei­nen Esel!«

Da mach­ten die bei­den Kö­ni­ge Halt, lä­chel­ten, sa­hen nach der Stel­le hin, wo­her die Stim­me kam, und sa­hen sich nach­her sel­ber in’s Ge­sicht. »Sol­cher­lei denkt man wohl auch un­ter uns, sag­te der Kö­nig zur Rech­ten, aber man spricht es nicht aus.«

Der Kö­nig zur Lin­ken aber zuck­te mit den Ach­seln und ant­wor­te­te: »Das mag wohl ein Zie­gen­hirt sein. Oder ein Ein­sied­ler, der zu lan­ge un­ter Fel­sen und Bäu­men leb­te. Gar kei­ne Ge­sell­schaft näm­lich verdirbt auch die gu­ten Sit­ten.«

»Die gu­ten Sit­ten? ent­geg­ne­te un­wil­lig und bit­ter der and­re Kö­nig: wem lau­fen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den »gu­ten Sit­ten«? Uns­rer »gu­ten Ge­sell­schaft«?

Lie­ber, wahr­lich, un­ter Ein­sied­lern und Zie­gen­hir­ten als mit un­serm ver­gol­de­ten falschen über­schmink­ten Pö­bel le­ben, – ob er sich schon »gute Ge­sell­schaft« heisst,

– ob er sich schon »Adel« heisst. Aber da ist Al­les falsch und faul, vor­an das Blut, Dank al­ten schlech­ten Krank­hei­ten und schlech­teren Heil-Künst­lern.

Der Bes­te und Liebs­te ist mir heu­te noch ein ge­sun­der Bau­er, grob, lis­tig, hart­nä­ckig, lang­hal­tig: das ist heu­te die vor­nehms­te Art.

Der Bau­er ist heu­te der Bes­te; und Bau­ern-Art soll­te Herr sein! Aber es ist das Reich des Pö­bels, – ich las­se mir Nichts mehr vor­ma­chen. Pö­bel aber, das heisst: Misch­masch.

Pö­bel-Misch­masch: dar­in ist Al­les in Al­lem durch­ein­an­der, Hei­li­ger und Hal­lun­ke und Jun­ker und Jude und jeg­lich Vieh aus der Ar­che Noäh.

Gute Sit­ten! Al­les ist bei uns falsch und faul. Nie­mand weiss mehr zu ver­eh­ren: dem ge­ra­de lau­fen wir da­von. Es sind süss­li­che zu­dring­li­che Hun­de, sie ver­gol­den Pal­men­blät­ter.

Die­ser Ekel würgt mich, dass wir Kö­ni­ge sel­ber falsch wur­den, über­hängt und ver­klei­det durch al­ten ver­gilb­ten Gross­vä­ter-Prunk, Schau­mün­zen für die Dümms­ten und die Schlaues­ten, und wer heu­te Al­les mit der Macht Scha­cher treibt!

Wir sin­d nicht die Ers­ten – und müs­sen es doch be­deu­ten: die­ser Be­trü­ge­rei sind wir end­lich satt und ekel ge­wor­den.

Dem Ge­sin­del gien­gen wir aus dem Wege, al­len die­sen Schreihälsen und Schreib-Schmeiss­flie­gen, dem Krä­mer-Ge­stank, dem Ehr­geiz-Ge­zap­pel, dem üb­len Athem –: pfui, un­ter dem Ge­sin­del le­ben,

– pfui, un­ter dem Ge­sin­del die Ers­ten zu be­deu­ten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Kö­ni­gen!« –

»Dei­ne alte Krank­heit fällt dich an, sag­te hier der Kö­nig zur Lin­ken, der Ekel fällt dich an, mein ar­mer Bru­der. Aber du weisst es doch, es hört uns Ei­ner zu.«

So­fort er­hob sich Za­ra­thustra, der zu die­sen Re­den Ohren und Au­gen auf­ge­sperrt hat­te, aus sei­nem Schlupf­win­kel, trat auf die Kö­ni­ge zu und be­gann:

»Der Euch zu­hört, der Euch ger­ne zu­hört, ihr Kö­ni­ge, der heisst Za­ra­thustra.

Ich bin Za­ra­thustra, der einst sprach: »Was liegt noch an Kö­ni­gen!« Ver­gebt mir, ich freu­te mich, als Ihr zu ein­an­der sag­tet: »Was liegt an uns Kö­ni­gen!«

Hier aber ist mein Reich und mei­ne Herr­schaft: was mögt Ihr wohl in mei­nem Rei­che su­chen? Vi­el­leicht aber fan­det Ihr un­ter­wegs, was ich su­che: näm­lich den hö­he­ren Men­schen.«

Als Diess die Kö­ni­ge hör­ten, schlu­gen sie sich an die Brust und spra­chen mit Ei­nem Mun­de: »Wir sind er­kannt!

Mit dem Schwer­te die­ses Wor­tes zer­haust du uns­res Her­zens dicks­te Fins­ter­niss. Du ent­deck­test uns­re Noth, denn sie­he! Wir sind un­ter­wegs, dass wir den hö­he­ren Men­schen fän­den –

– den Men­schen, der hö­her ist als wir: ob wir gleich Kö­ni­ge sind. Ihm füh­ren wir die­sen Esel zu. Der höchs­te Mensch näm­lich soll auf Er­den auch der höchs­te Herr sein.

Es giebt kein här­te­res Un­glück in al­lem Men­schen-Schick­sa­le, als wenn die Mäch­ti­gen der Erde nicht auch die ers­ten Men­schen sind. Da wird Al­les falsch und schief und un­ge­heu­er.

Und wenn sie gar die letz­ten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt der Pö­bel im Prei­se, und end­lich spricht gar die Pö­bel-Tu­gend: »sie­he, ich al­lein bin Tu­gend!« –

Was hör­te ich eben? ant­wor­te­te Za­ra­thustra; wel­che Weis­heit bei Kö­ni­gen! Ich bin ent­zückt, und, wahr­lich, schon ge­lüs­tet’s mich, einen Reim dar­auf zu ma­chen: –

– mag es auch ein Reim wer­den, der nicht für Je­der­manns Ohren taugt. Ich ver­lern­te seit lan­gem schon die Rück­sicht auf lan­ge Ohren. Wohl­an! Wohl­auf!

(Hier aber ge­sch­ah es, dass auch der Esel zu Wor­te kam: er sag­te aber deut­lich und mit bö­sem Wil­len I-A.)

Einst­mals – ich glaub’, im Jahr des Hei­les Eins –

Sprach die Si­byl­le, trun­ken son­der Weins:

»Weh, nun geht’s schief!

»Ver­fall! Ver­fall! Nie sank die Welt so tief!

»Rom sank zur Hure und zur Hu­ren-Bude,

»Rom’s Cae­sar sank zum Vieh, Gott selbst – ward Jude!«

2

An die­sen Rei­men Za­ra­thustra’s wei­de­ten sich die Kö­ni­ge; der Kö­nig zur Rech­ten aber sprach: »oh Za­ra­thustra, wie gut tha­ten wir, dass wir aus­zo­gen, dich zu sehn!

Dei­ne Fein­de näm­lich zeig­ten uns dein Bild in ih­rem Spie­gel: da blick­test du mit der Frat­ze ei­nes Teu­fels und hohn­la­chend: also dass wir uns vor dir fürch­te­ten.

Aber was hal­f’s! Im­mer wie­der stachst du uns in Ohr und Herz mit dei­nen Sprü­chen. Da spra­chen wir end­lich: was liegt dar­an, wie er aus­sieht!

Wir müs­sen ihn hö­ren, ihn, der lehrt »ihr sollt den Frie­den lie­ben als Mit­tel zu neu­en Krie­gen, und den kur­z­en Frie­den mehr als den lan­gen!«

Nie­mand sprach je so krie­ge­ri­sche Wor­te: »Was ist gut? Tap­fer sein ist gut. Der gute Krieg ist’s, der jede Sa­che hei­ligt.«

Oh Za­ra­thustra, uns­rer Vä­ter Blut rühr­te sich bei sol­chen Wor­ten in un­serm Lei­be: das war wie die Rede des Früh­lings zu al­ten Wein­fäs­sern.

Wenn die Schwer­ter durch­ein­an­der lie­fen gleich ro­th­ge­fleck­ten Schlan­gen, da wur­den uns­re Vä­ter dem Le­ben gut; al­les Frie­dens Son­ne dünk­te sie flau und lau, der lan­ge Frie­den aber mach­te Scham.

Wie sie seufz­ten, uns­re Vä­ter, wenn sie an der Wand blitz­blan­ke aus­ge­dorr­te Schwer­ter sa­hen! De­nen gleich dürs­te­ten sie nach Krieg. Ein Schwert näm­lich will Blut trin­ken und fun­kelt vor Be­gier­de.« – –

– Als die Kö­ni­ge der­ge­stalt mit Ei­fer von dem Glück ih­rer Vä­ter re­de­ten und schwätz­ten, über­kam Za­ra­thustra kei­ne klei­ne Lust, ih­res Ei­fers zu spot­ten: denn er­sicht­lich wa­ren es sehr fried­fer­ti­ge Kö­ni­ge, wel­che er vor sich sah, sol­che mit al­ten und fei­nen Ge­sich­tern. Aber er be­zwang sich. »Wohl­an! sprach er, dort­hin führt der Weg, da liegt die Höh­le Za­ra­thustra’s; und die­ser Tag soll einen lan­gen Abend ha­ben! Jetzt aber ruft mich ei­lig ein Noth­schrei fort von Euch.

Es ehrt mei­ne Höh­le, wenn Kö­ni­ge in ihr sit­zen und war­ten wol­len: aber, frei­lich, Ihr wer­det lan­ge war­ten müs­sen!

Je nun! Was thut’s! Wo lernt man heu­te bes­ser war­ten als an Hö­fen? Und der Kö­ni­ge gan­ze Tu­gend, die ih­nen üb­rig blieb, – heisst sie heu­te nicht: War­ten- kön­nen

Also sprach Za­ra­thustra.

Der Blutegel

Und Za­ra­thustra gieng nach­denk­lich wei­ter und tiefer, durch Wäl­der und vor­bei an moo­ri­gen Grün­den; wie es aber Je­dem er­geht, der über schwe­re Din­ge nach­denkt, so trat er un­ver­se­hens da­bei auf einen Men­schen. Und sie­he, da sprütz­ten ihm mit Ei­nem Male ein We­he­schrei und zwei Flü­che und zwan­zig schlim­me Schimpf­wor­te in’s Ge­sicht: also dass er in sei­nem Schre­cken den Stock er­hob und auch auf den Ge­tre­te­nen noch zu­schlug. Gleich dar­auf aber kam ihm die Be­sin­nung; und sein Herz lach­te über die Thor­heit, die er eben gethan hat­te.

»Ver­gieb, sag­te er zu dem Ge­tre­te­nen, der sich grim­mig er­ho­ben und ge­setzt hat­te, ver­gieb und ver­nimm vor Al­lem erst ein Gleich­niss.

Wie ein Wan­de­rer, der von fer­nen Din­gen träumt, un­ver­se­hens auf ein­sa­mer Stras­se einen schla­fen­den Hund an­stösst, einen Hund, der in der Son­ne liegt:

– wie da Bei­de auf­fah­ren, sich an­fah­ren, Tod­fein­den gleich, die­se zwei zu Tod Er­schro­cke­nen: also er­gieng es uns.

Und doch! Und doch – wie we­nig hat ge­fehlt, dass sie ein­an­der lieb­kos­ten, die­ser Hund und die­ser Ein­sa­me! Sind sie doch Bei­de – Ein­sa­me!«

– »Wer du auch sein magst, sag­te im­mer noch grim­mig der Ge­tre­te­ne, du trittst mir auch mit dei­nem Gleich­niss zu nahe, und nicht nur mit dei­nem Fus­se!

Sie­he doch, bin ich denn ein Hund?« – und da­bei er­hob sich der Sit­zen­de und zog sei­nen nack­ten Arm aus dem Sump­fe. Zu­erst näm­lich hat­te er aus­ge­streckt am Bo­den ge­le­gen, ver­bor­gen und un­kennt­lich gleich Sol­chen, die ei­nem Sumpf-Wil­de auf­lau­ern.

»Aber was treibst du doch!« rief Za­ra­thustra er­schreckt, denn er sahe, dass über den nack­ten Arm weg viel Blut floss, – was ist dir zu­ge­stos­sen? Biss dich, du Un­se­li­ger, ein schlim­mes Thier?

Der Blu­ten­de lach­te, im­mer noch er­zürnt. »Was geht’s dich an! sag­te er und woll­te wei­ter­gehn. Hier bin ich heim und in mei­nem Be­rei­che. Mag mich fra­gen, wer da will: ei­nem Töl­pel aber wer­de ich schwer­lich ant­wor­ten.«

»Du irrst, sag­te Za­ra­thustra mit­lei­dig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, son­dern in mei­nem Rei­che, und dar­in soll mir Kei­ner zu Scha­den kom­men.

Nen­ne mich aber im­mer­hin, wie du willst, – ich bin, der ich sein muss. Ich sel­ber heis­se mich Za­ra­thustra.

Wohl­an! Dort hin­auf geht der Weg zu Za­ra­thustra’s Höh­le: die ist nicht fern, – willst du nicht bei mir dei­ner Wun­den war­ten?

Es gieng dir schlimm, du Un­se­li­ger, in die­sem Le­ben: erst biss dich das Thier, und dann – trat dich der Mensch!« – –

Als aber der Ge­tre­te­ne den Na­men Za­ra­thustra’s hör­te, ver­wan­del­te er sich. »Was ge­schieht mir doch! rief er aus, wer küm­mert mich denn noch in die­sem Le­ben, als die­ser Eine Mensch, näm­lich Za­ra­thustra, und je­nes Eine Thier, das vom Blu­te lebt, der Blut­egel?

Des Blut­egels hal­ber lag ich hier an die­sem Sump­fe wie ein Fi­scher, und schon war mein aus­ge­häng­ter Arm zehn Mal an­ge­bis­sen, da bei­sst noch ein schö­ne­rer Igel nach mei­nem Blu­te, Za­ra­thustra sel­ber!

Oh Glück! Oh Wun­der! Ge­lobt sei die­ser Tag, der mich in die­sen Sumpf lock­te! Ge­lobt sei der bes­te le­ben­digs­te Schröpf­kopf, der heut lebt, ge­lobt sei der gros­se Ge­wis­sens-Blut­egel Za­ra­thustra!« –

Also sprach der Ge­tre­te­ne; und Za­ra­thustra freu­te sich über sei­ne Wor­te und ihre fei­ne ehr­fürch­ti­ge Art. »Wer bist du? frag­te er und reich­te ihm die Hand, zwi­schen uns bleibt Viel auf­zu­klä­ren und auf­zu­hei­tern: aber schon, dünkt mich, wird es rei­ner hel­ler Tag.«

»Ich bin der Ge­wis­sen­haf­te des Geis­tes, ant­wor­te­te der Ge­frag­te, und in Din­gen des Geis­tes nimmt es nicht leicht Ei­ner stren­ger, en­ger und här­ter als ich, aus­ge­nom­men der, von dem ich’s lern­te, Za­ra­thustra sel­ber.

Lie­ber Nichts wis­sen, als Vie­les halb wis­sen! Lie­ber ein Narr sein auf eig­ne Faust, als ein Wei­ser nach frem­dem Gut­dün­ken! Ich – gehe auf den Grund:

– was liegt dar­an, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Him­mel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir ge­nung: wenn er nur wirk­lich Grund und Bo­den ist!

– eine Hand breit Grund: dar­auf kann man stehn. In der rech­ten Wis­sen-Ge­wis­sen­schaft giebt es nichts Gros­ses und nichts Klei­nes.«

»So bist du viel­leicht der Er­ken­ner des Blut­egels? frag­te Za­ra­thustra; und du gehst dem Blut­egel nach bis auf die letz­ten Grün­de, du Ge­wis­sen­haf­ter?«

»Oh Za­ra­thustra, ant­wor­te­te der Ge­tre­te­ne, das wäre ein Un­ge­heu­res, wie dürf­te ich mich des­sen un­ter­fan­gen!

Wess ich aber Meis­ter und Ken­ner bin, das ist des Blut­egels Hirn: – das ist mei­ne Welt!

Und es ist auch eine Welt! Ver­gieb aber, dass hier mein Stolz zu Wor­te kommt, denn ich habe hier nicht mei­nes Glei­chen. Da­rum sprach ich »hier bin ich heim.«

Wie lan­ge gehe ich schon die­sem Ei­nen nach, dem Hirn des Blut­egels, dass die schlüpf­ri­ge Wahr­heit mir hier nicht mehr ent­schlüp­fe! Hier ist mein Reich!

– darob warf ich al­les An­de­re fort, darob wur­de mir al­les. And­re gleich; und dicht ne­ben mei­nem Wis­sen la­gert mein schwar­zes Un­wis­sen.

Mein Ge­wis­sen des Geis­tes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Al­les nicht weiss: es ekelt mich al­ler Hal­ben des Geis­tes, al­ler Duns­ti­gen, Schwe­ben­den, Schwär­me­ri­schen.

Wo mei­ne Red­lich­keit auf­hört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wis­sen will, will ich auch red­lich sein, näm­lich hart, streng, eng, grau­sam, un­er­bitt­lich.

Dass du einst sprachst, oh Za­ra­thustra: »Geist ist das Le­ben, das sel­ber in’s Le­ben schnei­det,« das führ­te und ver­führ­te mich zu dei­ner Leh­re. Und, wahr­lich, mit eig­nem Blu­te mehr­te ich mir das eig­ne Wis­sen!«

– Wie der Au­gen­schein lehrt,« fiel Za­ra­thustra ein; denn im­mer noch floss das Blut an dem nack­ten Arme des Ge­wis­sen­haf­ten her­ab. Es hat­ten näm­lich zehn Blut­egel sich in den­sel­ben ein­ge­bis­sen.

»Oh du wun­der­li­cher Ge­sell, wie Viel lehrt mich die­ser Au­gen­schein da, näm­lich du sel­ber! Und nicht Al­les dürf­te ich viel­leicht in dei­ne stren­gen Ohren gies­sen!

Wohl­an! So schei­den wir hier! Doch möch­te ich ger­ne dich wie­der­fin­den. Dort hin­auf führt der Weg zu mei­ner Höh­le: heu­te Nacht sollst du dort mein lie­ber Gast sein!

Ger­ne möch­te ich’s auch an dei­nem Lei­be wie­der gut ma­chen, dass Za­ra­thustra dich mit Füs­sen trat: dar­über den­ke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Noth­schrei ei­lig fort von dir.«

Also sprach Za­ra­thustra.

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