Loe raamatut: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», lehekülg 53

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Der Fall Wagner

Vorwort.

Ich ma­che mir eine klei­ne Er­leich­te­rung. Es ist nicht nur die rei­ne Bos­heit, wenn ich in die­ser Schrift Bi­zet auf Kos­ten Wa­gner’s lobe. Ich brin­ge un­ter vie­len Späs­sen eine Sa­che vor, mit der nicht zu spas­sen ist. Wa­gnern den Rücken zu keh­ren war für mich ein Schick­sal; ir­gend Et­was nach­her wie­der gern zu ha­ben ein Sieg. Nie­mand war viel­leicht ge­fähr­li­cher mit der Wa­gne­rei ver­wach­sen, Nie­mand hat sich här­ter ge­gen sie ge­wehrt, Nie­mand sich mehr ge­freut, von ihr los zu sein. Eine lan­ge Ge­schich­te! – Will man ein Wort da­für? – Wenn ich Mora­list wäre, wer weiss, wie ich’s nen­nen wür­de! Vi­el­leicht Selb­st­über­win­dung. – Aber der Phi­lo­soph liebt die Mora­lis­ten nicht … er liebt auch die schö­nen Wor­te nicht….

Was ver­langt ein Phi­lo­soph am ers­ten und letz­ten von sich? Sei­ne Zeit in sich zu über­win­den, "zeit­los" zu wer­den. Wo­mit also hat er sei­nen här­tes­ten Strauss zu be­stehn? Mit dem, worin ge­ra­de er das Kind sei­ner Zeit ist. Wohl­an! Ich bin so gut wie Wa­gner das Kind die­ser Zeit, will sa­gen ein dé­ca­dent: nur dass ich das be­griff, nur dass ich mich da­ge­gen wehr­te. Der Phi­lo­soph in mir wehr­te sich da­ge­gen.

Was mich am tiefs­ten be­schäf­tigt hat, das ist in der That das Pro­blem der dé­ca­dence, – ich habe Grün­de dazu ge­habt. "Gut und Böse" ist nur eine Spiel­art je­nes Pro­blems. Hat man sich für die Ab­zei­chen des Nie­der­gangs ein Auge ge­macht, so ver­steht man auch die Moral, – man ver­steht, was sich un­ter ih­ren hei­ligs­ten Na­men und Wert­h­for­meln ver­steckt: das ver­arm­te Le­ben, der Wil­le zum Ende, die gros­se Mü­dig­keit. Moral ver­neint das Le­ben … Zu ei­ner sol­chen Auf­ga­be war mir eine Selbst­dis­ci­plin von Nö­then: – Par­tei zu neh­men ge­gen al­les Kran­ke an mir, ein­ge­rech­net Wa­gner, ein­ge­rech­net Scho­pen­hau­er, ein­ge­rech­net die gan­ze mo­der­ne "Men­sch­lich­keit". – Eine tie­fe Ent­frem­dung, Er­käl­tung, Er­nüch­te­rung ge­gen al­les Zeit­li­che, Zeit­ge­mäs­se: und als höchs­ten Wunsch das Auge Za­ra­thustra’s, ein Auge, das die gan­ze That­sa­che Mensch aus un­ge­heu­rer Fer­ne über­sieht, – un­ter sich sieht … Ei­nem sol­chen Zie­le – wel­ches Op­fer wäre ihm nicht ge­mä­ss? wel­che "Selbst-Über­win­dung"! wel­che "Selbst-Ver­leug­nung"!

Mein gröss­tes Er­leb­niss war eine Ge­ne­sung. Wa­gner ge­hört bloss zu mei­nen Krank­hei­ten.

Nicht dass ich ge­gen die­se Krank­heit un­dank­bar sein möch­te. Wenn ich mit die­ser Schrift den Satz auf­recht hal­te, dass Wa­gner schäd­lich ist, so will ich nicht we­ni­ger auf­recht hal­ten, wem er trotz­dem un­ent­behr­lich ist – dem Phi­lo­so­phen. Sonst kann man viel­leicht ohne Wa­gner aus­kom­men: dem Phi­lo­so­phen aber steht es nicht frei, Wa­gner’s zu ent­rat­hen. Er hat das schlech­te Ge­wis­sen sei­ner Zeit zu sein, – dazu muss er de­ren bes­tes Wis­sen ha­ben. Aber wo fän­de er für das La­by­rinth der mo­der­nen See­le einen ein­ge­weih­teren Füh­rer, einen be­red­te­ren See­len­kün­di­ger als Wa­gner? Durch Wa­gner re­det die Mo­der­ni­tät ihre in­tims­te Spra­che: sie ver­birgt we­der ihr Gu­tes, noch ihr Bö­ses, sie hat alle Scham vor sich ver­lernt. Und um­ge­kehrt: man hat bei­na­he eine Abrech­nung über den Werth des Mo­der­nen ge­macht, wenn man über Gut und Böse bei Wa­gner mit sich im Kla­ren ist. – Ich ver­ste­he es voll­kom­men, wenn heut ein Mu­si­ker sagt "ich has­se Wa­gner, aber ich hal­te kei­ne and­re Mu­sik mehr aus". Ich wür­de aber auch einen Phi­lo­so­phen ver­stehn, der er­klär­te: "Wa­gner re­sü­mirt die Mo­der­ni­tät. Es hilft nichts, man muss erst Wa­gne­ria­ner sein … "

Der Fall Wagner.

Tu­ri­ner Brief vom Mai 1888.

Ri­den­do di­ce­re se­ver­um…

1.

Ich hör­te ges­tern – wer­den Sie es glau­ben? – zum zwan­zigs­ten Male Bi­zet’s Meis­ter­stück. Ich harr­te wie­der mit ei­ner sanf­ten An­dacht aus, ich lief wie­der nicht da­von. Die­ser Sieg über mei­ne Un­ge­duld über­rascht mich. Wie ein sol­ches Werk ver­voll­komm­net! Man wird selbst da­bei zum "Meis­ter­stück". – Und wirk­lich schi­en ich mir je­des Mal, dass ich Car­men hör­te, mehr Phi­lo­soph, ein bes­se­rer Phi­lo­soph, als ich sonst mir schei­ne: so lang­müthig ge­wor­den, so glück­lich, so in­disch, so sess­haft … Fünf Stun­den Sit­zen: ers­te Etap­pe der Hei­lig­keit! – Darf ich sa­gen, dass Bi­zet’s Or­che­s­ter­klang fast der ein­zi­ge ist, den ich noch aus­hal­te? Je­ner an­de­re Or­che­s­ter­klang, der jetzt oben­auf ist, der Wa­gne­ri­sche, bru­tal, künst­lich und "un­schul­dig" zu­gleich und da­mit zu den drei Sin­nen der mo­der­nen See­le auf Ein­mal re­dend, – wie nacht­hei­lig ist mir die­ser Wa­gne­ri­sche Or­che­s­ter­klang! Ich heis­se ihn Sci­roc­co. Ein ver­driess­li­cher Sch­weiss bricht an mir aus. Mit mei­nem gu­ten Wet­ter ist es vor­bei.

Die­se Mu­sik scheint mir voll­kom­men. Sie kommt leicht, bieg­sam, mit Höf­lich­keit da­her. Sie ist lie­bens­wür­dig, sie schwitzt nicht. "Das Gute ist leicht, al­les Gött­li­che läuft auf zar­ten Füs­sen": ers­ter Satz mei­ner Aes­the­tik. Die­se Mu­sik ist böse, raf­fi­nirt, fa­ta­lis­tisch: sie bleibt da­bei po­pu­lär – sie hat das Raf­fi­ne­ment ei­ner Ras­se, nicht ei­nes Ein­zel­nen. Sie ist reich. Sie ist prä­cis. Sie baut, or­ga­ni­sirt, wird fer­tig: da­mit macht sie den Ge­gen­satz zum Po­ly­pen in der Mu­sik, zur "un­end­li­chen Me­lo­die". Hat man je schmerz­haf­te­re tra­gi­sche Ac­cen­te auf der Büh­ne ge­hört? Und wie wer­den die­sel­ben er­reicht! Ohne Gri­mas­se! Ohne Falsch­mün­ze­rei! Ohne die Lüge des gros­sen Stils! – End­lich: die­se Mu­sik nimmt den Zu­hö­rer als in­tel­li­gent, selbst als Mu­si­ker, – sie ist auch da­mit das Ge­gen­stück zu Wa­gner, der, was im­mer sonst, je­den­falls das un­höf­lichs­te Ge­nie der Welt war (Wa­gner nimmt uns gleich­sam als ob – –, er sagt Ein Ding so oft, bis man ver­zwei­felt, – bis man’s glaubt).

Und noch­mals: ich wer­de ein bes­se­rer Mensch, wenn mir die­ser Bi­zet zu­re­det. Auch ein bes­se­rer Mu­si­kant, ein bes­se­rer Zu­hö­rer. Kann man über­haupt noch bes­ser zu­hö­ren? – Ich ver­gra­be mei­ne Ohren noch un­ter die­se Mu­sik, ich höre de­ren Ur­sa­che. Es scheint mir, dass ich ihre Ent­ste­hung er­le­be – ich zit­te­re vor Ge­fah­ren, die ir­gend ein Wa­g­niss be­glei­ten, ich bin ent­zückt über Glücks­fäl­le, an de­nen Bi­zet un­schul­dig ist. – Und selt­sam! im Grun­de den­ke ich nicht dar­an, oder weiss es nicht, wie sehr ich dar­an den­ke. Denn ganz an­de­re Ge­dan­ken lau­fen mir wäh­rend dem durch den Kopf … Hat man be­merkt, dass die Mu­sik den Geist frei macht? dem Ge­dan­ken Flü­gel giebt? dass man um so mehr Phi­lo­soph wird, je mehr man Mu­si­ker wird? – Der graue Him­mel der Abstrak­ti­on wie von Blit­zen durch­zuckt; das Licht stark ge­nug für al­les Fi­li­gran der Din­ge; die gros­sen Pro­ble­me nahe zum Grei­fen; die Welt wie von ei­nem Ber­ge aus über­blickt. – Ich de­fi­nir­te eben das phi­lo­so­phi­sche Pa­thos. – Und un­ver­se­hens fal­len mir Ant­wor­ten in den Schooss, ein klei­ner Ha­gel von Eis und Weis­heit, von ge­lös­ten Pro­ble­men … Wo bin ich? – Bi­zet macht mich frucht­bar. Al­les Gute macht mich frucht­bar. Ich habe kei­ne and­re Dank­bar­keit, ich habe auch kei­nen an­dern Be­weis da­für, was gut ist. –

2.

Auch dies Werk er­löst; nicht Wa­gner al­lein ist ein "Er­lö­ser". Mit ihm nimmt man Ab­schied vom feuch­ten Nor­den, von al­lem Was­ser­dampf des Wa­gne­ri­schen Ideals. Schon die Hand­lung er­löst da­von. Sie hat von Mérimée noch die Lo­gik in der Pas­si­on, die kür­zes­te Li­nie, die har­te No­thwen­dig­keit; sie hat vor Al­lem, was zur heis­sen Zone ge­hört, die Tro­cken­heit der Luft, die lim­pi­dez­za in der Luft, Hier ist in je­dem Be­tracht das Kli­ma ver­än­dert. Hier re­det eine and­re Sinn­lich­keit, eine and­re Sen­si­bi­li­tät, eine and­re Hei­ter­keit. Die­se Mu­sik ist hei­ter; aber nicht von ei­ner fran­zö­si­schen oder deut­schen Hei­ter­keit. Ihre Hei­ter­keit ist afri­ka­nisch; sie hat das Ver­häng­niss über sich, ihr Glück ist kurz, Plötz­lich, ohne Par­don. Ich be­nei­de Bi­zet dar­um, dass er den Muth zu die­ser Sen­si­bi­li­tät ge­habt hat, die in der ge­bil­de­ten Mu­sik Eu­ro­pa’s bis­her noch kei­ne Spra­che hat­te, – zu die­ser süd­li­che­ren, bräu­ne­ren, ver­brann­te­ren Sen­si­bi­li­tät … Wie die gel­ben Nach­mit­tage ih­res Glücks uns wohl­thun! Wir bli­cken da­bei hin­aus: sa­hen wir je das Meer glät­ter? – Und wie uns der mau­ri­sche Tanz be­ru­hi­gend zu­re­det! Wie in sei­ner la­s­ci­ven Schwer­muth selbst uns­re Uner­sätt­lich­keit ein­mal Satt­heit lernt! – End­lich die Lie­be, die in die Na­tur zu­rück­über­setz­te Lie­be! Nicht die Lie­be ei­ner "hö­he­ren Jung­frau"! Kei­ne Sen­ta-Sen­ti­men­ta­li­tät! Son­dern die Lie­be als Fa­tum, als Fa­ta­li­tät, cy­nisch, un­schul­dig, grau­sam – und eben dar­in Na­tur! Die Lie­be, die in ih­ren Mit­teln der Krieg, in ih­rem Grun­de der Tod­hass der Ge­schlech­ter ist! – Ich weiss kei­nen Fall, wo der tra­gi­sche Witz, der das We­sen der Lie­be macht, so streng sich aus­drück­te, so schreck­lich zur For­mel wür­de, wie im letz­ten Schrei Don José’s, mit dem das Werk schliesst:

"Ja! Ich habe sie ge­töd­tet,

ich – mei­ne an­ge­be­te­te Car­men!"

– Eine sol­che Auf­fas­sung der Lie­be (die ein­zi­ge, die des Phi­lo­so­phen wür­dig ist –) ist sel­ten: sie hebt ein Kunst­werk un­ter Tau­sen­den her­aus. Denn im Durch­schnitt ma­chen es die Künst­ler wie alle Welt, so­gar schlim­mer – sie miss­ver­ste­hen die Lie­be. Auch Wa­gner hat sie miss­ver­stan­den. Sie glau­ben in ihr selbst­los zu sein, weil sie den Vort­heil ei­nes and­ren We­sens wol­len, oft wi­der ih­ren ei­ge­nen Vort­heil. Aber da­für wol­len sie je­nes and­re We­sen be­sit­zen … So­gar Gott macht hier kei­ne Aus­nah­me. Er ist fer­ne da­von zu den­ken "was geht dich’s an, wenn ich dich lie­be?" – er wird schreck­lich, wenn man ihn nicht wie­der liebt. L’a­mour – mit die­sem Spruch be­hält man un­ter Göt­tern und Men­schen Recht – est de tous les sen­ti­ments le plus égoïs­te, et, par conséquent, lor­s­qu’il est blessé, le moins généreux. (B. Con­stant.)

3.

Sie se­hen be­reits, wie sehr mich die­se Mu­sik ver­bes­sert? – Il faut mé­di­ter­ra­ni­ser la mu­si­que: ich habe Grün­de zu die­ser For­mel (jen­seits von Gut und Böse, S. 220). Die Rück­kehr zur Na­tur, Ge­sund­heit, Hei­ter­keit, Ju­gend, Tu­gend! – Und doch war ich Ei­ner der cor­rup­tes­ten Wa­gne­ria­ner … Ich war im Stan­de, Wa­gnern ernst zu neh­men … Ah die­ser alte Zau­be­rer! was hat er uns Al­les vor­ge­macht! Das Ers­te, was sei­ne Kunst uns an­bie­tet, ist ein Ver­grös­se­rungs­glas: man sieht hin­ein, man traut sei­nen Au­gen nicht – Al­les wird gross, selbst Wa­gner wird gross … Was für eine klu­ge Klap­per­schlan­ge! Das gan­ze Le­ben hat sie uns von "Hin­ge­bung", von "Treue", von "Rein­heit" vor­ge­klap­pert, mit ei­nem Lobe auf die Keusch­heit zog sie sich aus der ver­derb­ten Welt zu­rück! – Und wir ha­ben’s ihr ge­glaubt …

– Aber Sie hö­ren mich nicht? Sie zie­hen selbst das Pro­blem Wa­gner’s dem Bi­zet’s vor? Auch ich un­ter­schät­ze es nicht, es hat sei­nen Zau­ber. Das Pro­blem der Er­lö­sung ist selbst ein ehr­wür­di­ges Pro­blem. Wa­gner hat über Nichts so tief wie über die Er­lö­sung nach­ge­dacht: sei­ne Oper ist die Oper der Er­lö­sung. Ir­gend wer will bei ihm im­mer er­löst sein: bald ein Männ­lein, bald ein Fräu­lein – dies ist sein Pro­blem. – Und wie reich er sein Leit­mo­tiv va­ri­irt! Wel­che sel­te­nen, wel­che tief­sin­ni­gen Aus­wei­chun­gen! Wer lehr­te es uns, wenn nicht Wa­gner, dass die Un­schuld mit Vor­lie­be in­ter­essan­te Sün­der er­löst? (der Fall im Tann­häu­ser) Oder dass selbst der ewi­ge Jude er­löst wird, sess­haft wird, wenn er sich ver­hei­rat­het? (der Fall im Flie­gen­den Hol­län­der) Oder dass alte ver­dor­be­ne Frau­en­zim­mer es vor­ziehn, von keu­schen Jüng­lin­gen er­löst zu wer­den? (der Fall Kun­dry) Oder dass schö­ne Mäd­chen am liebs­ten durch einen Rit­ter er­löst wer­den, der Wa­gne­ria­ner ist? (der Fall in den Meis­ter­sin­gern) Oder dass auch ver­hei­rat­he­te Frau­en ger­ne durch einen Rit­ter er­löst wer­den? (der Fall Isol­dens) Oder dass "der alte Gott", nach­dem er sich mo­ra­lisch in je­dem Be­tracht com­pro­mit­tirt hat, end­lich durch einen Frei­geist und Im­mo­ra­lis­ten er­löst wird? (der Fall im "Ring") Be­wun­dern Sie in Son­der­heit die­sen letz­ten Tief­sinn! Ver­stehn Sie ihn? Ich – hüte mich, ihn zu ver­stehn … Dass man noch and­re Leh­ren aus den ge­nann­ten Wer­ken ziehn kann, möch­te ich eher be­wei­sen als be­strei­ten. Dass man durch ein Wa­gne­ri­sches Bal­let zur Verzweif­lung ge­bracht wer­den kann – und zur Tu­gend! (noch­mals der Fall Tann­häu­sers) Dass es von den schlimms­ten Fol­gen sein kann, wenn man nicht zur rech­ten Zeit zu Bett geht (noch­mals der Fall Lo­hen­grins). Dass man nie zu ge­nau wis­sen soll, mit wem man sich ei­gent­lich ver­hei­ra­tet (zum drit­ten Mal der Fall Lo­hen­grins) Tris­tan und Isol­de ver­herr­li­chen den voll­komm­nen Ehe­gat­ten, der, in ei­nem ge­wis­sen Fal­le, nur Eine Fra­ge hat: "aber warum habt ihr mir das nicht eher ge­sagt? Nichts ein­fa­cher als das!" Ant­wort:

"Das kann ich dir nicht sa­gen;

und was du frägst,

das kannst du nie er­fah­ren."

Der Lo­hen­grin ent­hält eine fei­er­li­che In-Acht-Er­klä­rung des For­schens und Fra­gens. Wa­gner ver­tritt da­mit den christ­li­chen Be­griff "du sollst und musst glau­ben". Es ist ein Ver­bre­chen am Höchs­ten, am Hei­ligs­ten, wis­sen­schaft­lich zu sein … Der flie­gen­de Hol­län­der pre­digt die er­hab­ne Leh­re, dass das Weib auch den Un­stä­tes­ten fest­macht, Wa­gne­risch ge­re­det, "er­löst". Hier ge­stat­ten wir uns eine Fra­ge. Ge­setzt näm­lich, dies wäre wahr, wäre es da­mit auch schon wün­schens­werth? – Was wird aus dem "ewi­gen Ju­den", den ein Weib an­be­tet und fest­macht? Er hört bloss auf, ewig zu sein; er ver­hei­rat­het sich, er geht uns Nichts mehr an. – In’s Wirk­li­che über­setzt: die Ge­fahr der Künst­ler, der Ge­nie’s – und das sind ja die "ewi­gen Ju­den" liegt im Wei­be: die an­be­ten­den Wei­ber sind ihr Ver­derb. Fast Kei­ner hat Cha­rak­ter ge­nug, um nicht ver­dor­ben – "er­löst" zu wer­den, wenn er sich als Gott be­han­delt fühlt: – er con­de­scen­dirt als­bald zum Wei­be. – Der Mann ist fei­ge vor al­lem Ewig-Weib­li­chen: das wis­sen die Weib­lein. – In vie­len Fäl­len der weib­li­chen Lie­be, und viel­leicht ge­ra­de in den be­rühm­tes­ten, ist Lie­be nur ein fei­ne­rer Pa­ra­si­tis­mus , ein Sich-Ein­nis­ten in eine frem­de See­le, mit­un­ter selbst in ein frem­des Fleisch – ach! wie sehr im­mer auf "des Wir­thes" Un­kos­ten! –

Man kennt das Schick­sal Goethe’s im mo­ralin­sau­ren alt­jung­fern­haf­ten Deutsch­land. Er war den Deut­schen im­mer an­stös­sig, er hat ehr­li­che Be­wun­de­rer nur un­ter Jü­din­nen ge­habt. Schil­ler, der "edle" Schil­ler, der ih­nen mit gros­sen Wor­ten um die Ohren schlug, – der war nach ih­rem Her­zen. Was war­fen sie Goethen vor? Den "Berg der Ve­nus"; und dass er ve­ne­tia­ni­sche Epi­gram­me ge­dich­tet habe. Schon Klop­stock hielt ihm eine Sit­ten­pre­digt; es gab eine Zeit, wo Her­der, wenn er von Goe­the sprach, mit Vor­lie­be das Wort "Priap" ge­brauch­te. Selbst der Wil­helm Meis­ter galt nur als Sym­ptom des Nie­der­gangs, als mo­ra­li­sches "Auf-den-Hund-Kom­men". Die "Me­na­ge­rie von zah­mem Vieh", die "Nichts­wür­dig­keit" des Hel­den dar­in er­zürn­te zum Bei­spiel Nie­buhrn: der end­lich in eine Kla­ge aus­bricht, wel­che Bi­te­rolf hät­te ab­sin­gen kön­nen: "Nichts macht leicht einen schmerz­li­che­ren Ein­druck, als wenn ein gros­ser Geist sich sei­ner Flü­gel be­raubt und sei­ne Vir­tuo­si­tät in et­was weit Ge­rin­ge­rem sucht, in­dem er dem Hö­he­ren ent­sagt" … Vor Al­lem aber war die hö­he­re Jung­frau em­pört: alle klei­nen Höfe, alle Art "Wart­burg" in Deutsch­land be­kreuz­te sich vor Goe­the, vor dem "un­sau­be­ren Geist" in Goe­the. – Die­se Ge­schich­te hat Wa­gner in Mu­sik ge­setzt. Er er­löst Goe­the, das ver­steht sich von selbst; aber so, dass er, mit Klug­heit, zu­gleich die Par­tei der hö­he­ren Jung­frau nimmt. Goe­the wird ge­ret­tet: – ein Ge­bet ret­tet ihn, eine hö­he­re Jung­frau zieht ihn hin­an …

Was Goe­the über Wa­gner ge­dacht ha­ben wür­de? Goe­the hat sich ein­mal die Fra­ge vor­ge­legt, was die Ge­fahr sei, die über al­len Ro­man­ti­kern schwe­be: das Ro­man­ti­ker-Ver­häng­niss. Sei­ne Ant­wort ist: "am Wie­der­käu­en sitt­li­cher und re­li­gi­öser Ab­sur­di­tä­ten zu er­sti­cken." Kür­zer. Par­si­fal – Der Phi­lo­soph macht dazu noch einen Epi­log. Hei­lig­keit – das Letz­te viel­leicht, was Volk und Weib von hö­he­ren Wert­hen noch zu Ge­sicht be­kommt, der Ho­ri­zont des Ideals für Al­les, was von Na­tur my­ops ist. Un­ter Phi­lo­so­phen aber, wie je­der Ho­ri­zont, ein blos­ses Nicht­ver­ständ­niss, eine Art Tor­schluss vor dem, wo ihre Welt erst be­ginnt – ihre Ge­fahr, ihr Ide­al, ihre Wünsch­bar­keit … Höf­li­cher ge­sagt: la phi­lo­so­phie ne suf­fit pas au grand nom­bre. Il lui faut la sain­teté.

4.

Ich er­zäh­le noch die Ge­schich­te des "Rings". Sie ge­hört hier­her. Auch sie ist eine Er­lö­sungs­ge­schich­te: nur dass dies Mal Wa­gner es ist, der er­löst wird. – Wa­gner hat, sein hal­b­es Le­ben lang, an die Re­vo­lu­ti­on ge­glaubt, wie nur ir­gend ein Fran­zo­se an sie ge­glaubt hat. Er such­te nach ihr in der Ru­nen­schrift des My­thus, er glaub­te in Sieg­fried den ty­pi­schen Re­vo­lu­tio­när zu fin­den. – "Wo­her stammt al­les Un­heil in der Welt?" frag­te sich Wa­gner. Von "al­ten Ver­trä­gen": ant­wor­te­te er, gleich al­len Re­vo­lu­ti­ons-Ideo­lo­gen. Auf deutsch: von Sit­ten, Ge­set­zen, Mora­len, In­sti­tu­tio­nen, von Al­le­dem, wor­auf die alte Welt, die alte Ge­sell­schaft ruht. "Wie schafft man das Un­heil aus der Welt? Wie schafft man die alte Ge­sell­schaft ab?" Nur da­durch, dass man den "Ver­trä­gen" (dem Her­kom­men, der Moral) den Krieg er­klärt. Das thut Sieg­fried. Er be­ginnt früh da­mit, sehr früh: sei­ne Ent­ste­hung ist be­reits eine Kriegs­er­klä­rung an die Moral – er kommt aus Ehe­bruch, aus Blutschan­de zur Welt … Nicht die Sage, son­dern Wa­gner ist der Er­fin­der die­ses ra­di­ka­len Zugs; an die­sem Punk­te hat er die Sage cor­ri­girt … Sieg­fried fährt fort, wie er be­gon­nen hat: er folgt nur dem ers­ten Im­pul­se, er wirft al­les Ue­ber­lie­fer­te, alle Ehr­furcht, alle Furcht über den Hau­fen. Was ihm miss­fällt, sticht er nie­der. Er rennt al­ten Gott­hei­ten un­ehr­er­bie­tig wi­der den Leib. Sei­ne Haupt­un­ter­neh­mung aber geht da­hin, das Weib zu eman­ci­pi­ren – "Brünn­hil­de zu er­lö­sen" … Sieg­fried und Brünn­hil­de; das Sa­kra­ment der frei­en Lie­be; der Auf­gang des gold­nen Zeit­al­ters; die Göt­ter­däm­me­rung der al­ten Moral – das Ue­bel ist ab­ge­schafft … Wa­gner’s Schiff lief lan­ge Zeit lus­tig auf die­ser Bahn. Kein Zwei­fel, Wa­gner such­te auf ihr sein höchs­tes Ziel. – Was ge­sch­ah? Ein Un­glück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wa­gner sass fest. Das Riff war die Scho­pen­haue­ri­sche Phi­lo­so­phie; Wa­gner sass auf ei­ner con­trä­ren Wel­t­an­sicht fest. Was hat­te er in Mu­sik ge­setzt? Den Op­ti­mis­mus. Wa­gner schäm­te sich. Noch dazu einen Op­ti­mis­mus, für den Scho­pen­hau­er ein bö­ses Bei­wort ge­schaf­fen hat­te – den ruch­lo­sen Op­ti­mis­mus. Er schäm­te sich noch ein­mal. Er be­sann sich lan­ge, sei­ne Lage schi­en ver­zwei­felt … End­lich däm­mer­te ihm ein Aus­weg: das Riff, an dem er schei­ter­te, wie? wenn er es als Ziel, als Hin­ter­ab­sicht, als ei­gent­li­chen Sinn sei­ner Rei­se in­ter­pre­tir­te? Hier zu schei­tern – das war auch ein Ziel. Bene na­vi­ga­vi, cum nauf­ra­gi­um feci … Und er über­setz­te den "Ring" in’s Scho­pen­haue­ri­sche. Al­les läuft schief, Al­les geht zu Grun­de, die neue Welt ist so schlimm, wie die alte: – das Nichts, die in­di­sche Cir­ce winkt … Brünn­hil­de, die nach der äl­tern Ab­sicht sich mit ei­nem Lie­de zu Ehren der frei­en Lie­be zu ver­ab­schie­den hat­te, die Welt auf eine so­cia­lis­ti­sche Uto­pie ver­trös­tend, mit der "Al­les gut wird", be­kommt jetzt et­was An­de­res zu thun. Sie muss erst Scho­pen­hau­er stu­di­ren; sie muss das vier­te Buch der "Welt als Wil­le und Vor­stel­lung" in Ver­se brin­gen. Wa­gner war er­löst … Al­len Erns­tes, dies war eine Er­lö­sung. Die Wohl­that, die Wa­gner Scho­pen­hau­ern ver­dankt, ist un­er­mess­lich. Erst der Phi­lo­soph der dé­ca­dence gab dem Künst­ler der dé­ca­dence sich selbst – –

Vanusepiirang:
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5253 lk 6 illustratsiooni
ISBN:
9783962815295
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