Loe raamatut: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», lehekülg 9

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Von den Tugendhaften

Mit Don­nern und himm­li­schen Feu­er­wer­ken muss man zu schlaf­fen und schla­fen­den Sin­nen re­den.

Aber der Schön­heit Stim­me re­det lei­se: sie schleicht sich nur in die auf­ge­weck­tes­ten See­len.

Lei­se er­beb­te und lach­te mir heut mein Schild; das ist der Schön­heit hei­li­ges La­chen und Be­ben.

Über euch, ihr Tu­gend­haf­ten, lach­te heut mei­ne Schön­heit. Und also kam ihre Stim­me zu mir: »sie wol­len noch – be­zahlt sein!«

Ihr wollt noch be­zahlt sein, ihr Tu­gend­haf­ten! Wollt Lohn für Tu­gend und Him­mel für Er­den und Ewi­ges für euer Heu­te ha­ben?

Und nun zürnt ihr mir, dass ich leh­re, es giebt kei­nen Lohn- und Zahl­meis­ter? Und wahr­lich, ich leh­re nicht ein­mal, dass Tu­gend ihr ei­ge­ner Lohn ist.

Ach, das ist mei­ne Trau­er: in den Grund der Din­ge hat man Lohn und Stra­fe hin­ein­ge­lo­gen – und nun auch noch in den Grund eu­rer See­len, ihr Tu­gend­haf­ten!

Aber dem Rüs­sel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eu­rer See­len auf­reis­sen; Pflug­schar will ich euch heis­sen.

Alle Heim­lich­kei­ten eu­res Grun­des sol­len an’s Licht; und wenn ihr auf­ge­wühlt und zer­bro­chen in der Son­ne liegt, wird auch eure Lüge von eu­rer Wahr­heit aus­ge­schie­den sein.

Denn diess ist eure Wahr­heit: ihr seid zu rein­lich für den Schmutz der Wor­te: Ra­che, Stra­fe, Lohn, Ver­gel­tung.

Ihr liebt eure Tu­gend, wie die Mut­ter ihr Kind; aber wann hör­te man, dass eine Mut­ter be­zahlt sein woll­te für ihre Lie­be?

Es ist euer liebs­tes Selbst, eure Tu­gend. Des Rin­ges Durst ist in euch: sich sel­ber wie­der zu er­rei­chen, dazu ringt und dreht sich je­der Ring.

Und dem Ster­ne gleich, der er­lischt, ist je­des Werk eu­rer Tu­gend: im­mer ist sein Licht noch un­ter­wegs und wan­dert – und wann wird es nicht mehr un­ter­wegs sein?

Also ist das Licht eu­rer Tu­gend noch un­ter­wegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun ver­ges­sen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wan­dert.

Dass eure Tu­gend euer Selbst sei und nicht ein Frem­des, eine Haut, eine Be­män­te­lung: das ist die Wahr­heit aus dem Grun­de eu­rer See­le, ihr Tu­gend­haf­ten! –

Aber wohl giebt es Sol­che, de­nen Tu­gend der Krampf un­ter ei­ner Peit­sche heisst: und ihr habt mir zu­viel auf de­ren Ge­schrei ge­hört!

Und And­re giebt es, die heis­sen Tu­gend das Faul­wer­den ih­rer Las­ter; und wenn ihr Hass und ihre Ei­fer­sucht ein­mal die Glie­der stre­cken, wird ihre »Ge­rech­tig­keit« mun­ter und reibt sich die ver­schla­fe­nen Au­gen.

Und And­re giebt es, die wer­den ab­wärts ge­zo­gen: ihre Teu­fel ziehn sie. Aber je mehr sie sin­ken, um so glü­hen­der leuch­tet ihr Auge und die Be­gier­de nach ih­rem Got­te.

Ach, auch de­ren Ge­schrei drang zu eu­ren Ohren, ihr Tu­gend­haf­ten: was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tu­gend!’

Und And­re giebt es, die kom­men schwer und knar­rend da­her, gleich Wä­gen, die Stei­ne ab­wärts fah­ren: die re­den viel von Wür­de und Tu­gend, – ih­ren Hemm­schuh heis­sen sie Tu­gend!

Und And­re giebt es, die sind gleich All­tags-Uhren, die auf­ge­zo­gen wur­den; sie ma­chen ihr Tik­tak und wol­len, dass man Tik­tak – Tu­gend heis­se.

Wahr­lich, an Die­sen habe ich mei­ne Lust: wo ich sol­che Uhren fin­de, wer­de ich sie mit mei­nem Spot­te auf­ziehn; und sie sol­len mir da­bei noch schnur­ren!

Und And­re sind stolz über ihre Hand­voll Ge­rech­tig­keit und be­ge­hen um ih­rer­wil­len Fre­vel an al­len Din­gen: also dass die Welt in ih­rer Un­ge­rech­tig­keit er­tränkt wird.

Ach, wie übel ih­nen das Wort »Tu­gend« aus dem Mun­de läuft! Und wenn sie sa­gen: »ich bin ge­recht,« so klingt es im­mer gleich wie: »ich bin ge­rächt!«

Mit ih­rer Tu­gend wol­len sie ih­ren Fein­den die Au­gen aus­krat­zen; und sie er­he­ben sich nur, um And­re zu er­nied­ri­gen.

Und wie­der­um giebt es Sol­che, die sit­zen in ih­rem Sump­fe und re­den also her­aus aus dem Schilf­rohr: »Tu­gend – das ist still im Sump­fe sit­zen.

Wir beis­sen Nie­man­den und ge­hen Dem aus dem Wege, der beis­sen will; und in Al­lem ha­ben wir die Mei­nung, die man uns giebt.«

Und wie­der­um giebt es Sol­che, die lie­ben Ge­bär­den und den­ken: Tu­gend ist eine Art Ge­bär­de.

Ihre Kniee be­ten im­mer an, und ihre Hän­de sind Lob­prei­sun­gen der Tu­gend, aber ihr Herz weiss Nichts da­von.

Und wie­der­um giebt es Sol­che, die hal­ten es für Tu­gend, zu sa­gen: »Tu­gend ist nothwen­dig«; aber sie glau­ben im Grun­de nur dar­an, dass Po­li­zei nothwen­dig ist.

Und Man­cher, der das Hohe an den Men­schen nicht se­hen kann, nennt es Tu­gend, dass er ihr Nied­ri­ges all­zu­na­he sieht: also heisst er sei­nen bö­sen Blick Tu­gend.

Und Ei­ni­ge wol­len er­baut und auf­ge­rich­tet sein und heis­sen es Tu­gend; und And­re wol­len um­ge­wor­fen sein – und heis­sen es auch Tu­gend.

Und der­art glau­ben fast Alle dar­an, Ant­heil zu ha­ben an der Tu­gend; und zum Min­des­ten will ein je­der Ken­ner sein über »gut« und »böse«.

Aber nicht dazu kam Za­ra­thustra, al­len die­sen Lüg­nern und Nar­ren zu sa­gen: »was wisst ih­r von Tu­gend! Was könn­tet ihr von Tu­gend wis­sen!« –

Son­dern, dass ihr, mei­ne Freun­de, der al­ten Wor­te müde wür­det, wel­che ihr von den Nar­ren und Lüg­nern ge­lernt habt:

Müde wür­det der Wor­te »Lohn,« »Ver­gel­tung,« »Stra­fe,« »Ra­che in der Ge­rech­tig­keit« –

Müde wür­det zu sa­gen: »dass eine Hand­lung gut ist, das macht, sie ist selbst­los.«

Ach, mei­ne Freun­de! Dass eu­er Selbst in der Hand­lung sei, wie die Mut­ter im Kin­de ist: das sei mir eu­er Wort von Tu­gend!

Wahr­lich, ich nahm euch wohl hun­dert Wor­te und eu­rer Tu­gend liebs­te Spiel­wer­ke; und nun zürnt ihr mir, wie Kin­der zür­nen.

Sie spiel­ten am Mee­re, – da kam die Wel­le und riss ih­nen ihr Spiel­werk in die Tie­fe: nun wei­nen sie.

Aber die sel­be Wel­le soll ih­nen neue Spiel­wer­ke brin­gen und neue bun­te Mu­scheln vor sie hin aus­schüt­ten!

So wer­den sie ge­trös­tet sein; und gleich ih­nen sollt auch ihr, mei­ne Freun­de, eure Trös­tun­gen ha­ben – und neue bun­te Mu­scheln! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Vom Gesindel

Das Le­ben ist ein Born der Lust; aber wo das Ge­sin­del mit trinkt, da sind alle Brun­nen ver­gif­tet.

Al­lem Rein­li­chen bin ich hold; aber ich mag die grin­sen­den Mäu­ler nicht sehn und den Durst der Un­rei­nen.

Sie war­fen ihr Auge hin­ab in den Brun­nen: nun glänzt mir ihr wid­ri­ges Lä­cheln her­auf aus dem Brun­nen.

Das hei­li­ge Was­ser ha­ben sie ver­gif­tet mit ih­rer Lüs­tern­heit; und als sie ihre schmut­zi­gen Träu­me Lust nann­ten, ver­gif­te­ten sie auch noch die Wor­te.

Un­wil­lig wird die Flam­me, wenn sie ihre feuch­ten Her­zen an’s Feu­er le­gen; der Geist sel­ber bro­delt und raucht, wo das Ge­sin­del an’s Feu­er tritt.

Süss­lich und über­mür­be wird in ih­rer Hand die Frucht: wind­fäl­lig und wip­fel­dürr macht ihr Blick den Frucht­baum.

Und Man­cher, der sich vom Le­ben ab­kehr­te, kehr­te sich nur vom Ge­sin­del ab: er woll­te nicht Brun­nen und Flam­me und Frucht mit dem Ge­sin­del thei­len.

Und Man­cher, der in die Wüs­te gieng und mit Raubt­hie­ren Durst litt, woll­te nur nicht mit schmut­zi­gen Ka­meel­trei­bern um die Cis­ter­ne sit­zen.

Und Man­cher, der wie ein Ver­nich­ter da­her kam und wie ein Ha­gel­schlag al­len Frucht­fel­dern, woll­te nur sei­nen Fuss dem Ge­sin­del in den Ra­chen set­zen und also sei­nen Sch­lund stop­fen.

Und nicht das ist der Bis­sen, an dem ich am meis­ten würg­te, zu wis­sen, dass das Le­ben sel­ber Feind­schaft nö­thig hat und Ster­ben und Mar­ter­kreu­ze: –

Son­dern ich frag­te einst und er­stick­te fast an mei­ner Fra­ge: wie? hat das Le­ben auch das Ge­sin­del nö­thig?

Sind ver­gif­te­te Brun­nen nö­thig und stin­ken­de Feu­er und be­schmutz­te Träu­me und Ma­den im Le­bens­bro­de?

Nicht mein Hass, son­dern mein Ekel frass mir hung­rig am Le­ben! Ach, des Geis­tes wur­de ich oft müde, als ich auch das Ge­sin­del geist­reich fand!

Und den Herr­schen­den wandt’ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt Herr­schen nen­nen: scha­chern und mark­ten um Macht – mit dem Ge­sin­del!

Un­ter Völ­kern wohn­te ich frem­der Zun­ge, mit ver­schlos­se­nen Ohren: dass mir ih­res Scha­cherns Zun­ge fremd blie­be und ihr Mark­ten um Macht.

Und die Nase mir hal­tend, gieng ich un­muthig durch al­les Ges­tern und Heu­te: wahr­lich, übel riecht al­les Ges­tern und Heu­te nach dem schrei­ben­den Ge­sin­del!

Ei­nem Krüp­pel gleich, der taub und blind und stumm wur­de: also leb­te ich lan­ge, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Ge­sin­del leb­te.

Müh­sam stieg mein Geist Trep­pen, und vor­sich­tig; Al­mo­sen der Lust wa­ren sein Lab­sal; am Sta­be schlich dem Blin­den das Le­ben.

Was ge­sch­ah mir doch? Wie er­lös­te ich mich vom Ekel? Wer ver­jüng­te mein Auge? Wie er­flog ich die Höhe, wo kein Ge­sin­del mehr am Brun­nen sitzt?

Schuf mein Ekel sel­ber mir Flü­gel und quel­le­nah­nen­de Kräf­te? Wahr­lich, in’s Höchs­te muss­te ich flie­gen, dass ich den Born der Lust wie­der­fän­de!

Oh, ich fand ihn, mei­ne Brü­der! Hier im Höchs­ten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Le­ben, an dem kein Ge­sin­del mit trinkt!

Fast zu hef­tig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Be­cher wie­der, da­durch dass du ihn fül­len willst!

Und noch muss ich ler­nen, be­schei­de­ner dir zu na­hen: all­zu­hef­tig strömt dir noch mein Herz ent­ge­gen: –

Mein Herz, auf dem mein Som­mer brennt, der kur­ze, heis­se, schwer­müthi­ge, über­se­li­ge: wie ver­langt mein Som­mer-Herz nach dei­ner Küh­le!

Vor­bei die zö­gern­de Trüb­sal mei­nes Früh­lings! Vor­über die Bos­heit mei­ner Schnee­flo­cken im Juni! Som­mer wur­de ich ganz und Som­mer-Mit­tag!

Ein Som­mer im Höchs­ten mit kal­ten Quel­len und se­li­ger Stil­le: oh kommt, mei­ne Freun­de, dass die Stil­le noch se­li­ger wer­de! Denn diess ist uns­re Höhe und uns­re Hei­mat: zu hoch und steil woh­nen wir hier al­len Un­rei­nen und ih­rem Durs­te. Werft nur eure rei­nen Au­gen in den Born mei­ner Lust, ihr Freun­de! Wie soll­te er darob trü­be wer­den! Ent­ge­gen­la­chen soll er euch mit sei­ner Rein­heit.

Auf dem Bau­me Zu­kunft bau­en wir un­ser Nest; Ad­ler sol­len uns Ein­sa­men Spei­se brin­gen in ih­ren Schnä­beln!

Wahr­lich, kei­ne Spei­se, an der Unsau­be­re mit­es­sen dürf­ten! Feu­er wür­den sie zu fres­sen wäh­nen und sich die Mäu­ler ver­bren­nen!

Wahr­lich, kei­ne Heim­stät­ten hal­ten wir hier be­reit für Unsau­be­re! Eis­höh­le wür­de ih­ren Lei­bern un­ser Glück heis­sen und ih­ren Geis­tern!

Und wie star­ke Win­de wol­len wir über ih­nen le­ben, Nach­barn den Ad­lern, Nach­barn dem Schnee, Nach­barn der Son­ne: also le­ben star­ke Win­de.

Und ei­nem Win­de gleich will ich einst noch zwi­schen sie bla­sen und mit mei­nem Geis­te ih­rem Geis­te den Athem neh­men: so will es mei­ne Zu­kunft.

Wahr­lich, ein star­ker Wind ist Za­ra­thustra al­len Nie­de­run­gen; und sol­chen Rath räth er sei­nen Fein­den und Al­lem, was spuckt und speit: hü­tet euch ge­gen den Wind zu spei­en!"

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den Taranteln

Sie­he, das ist der Ta­ran­tel Höh­le! Willst du sie sel­ber sehn? Hier hängt ihr Netz: rüh­re dar­an, dass es er­zit­tert.

Da kommt sie wil­lig: will­kom­men, Ta­ran­tel! Schwarz sitzt auf dei­nem Rücken dein Drei­eck und Wahr­zei­chen; und ich weiss auch, was in dei­ner See­le sitzt.

Ra­che sitzt in dei­ner See­le: wo­hin du beis­sest, da wächst schwar­zer Schorf; mit Ra­che macht dein Gift die See­le dre­hend!

Also rede ich zu euch im Gleich­niss, die ihr die See­len dre­hend macht, ihr Pre­di­ger der Gleich­heit! Ta­ran­teln seid ihr mir und ver­steck­te Rach­süch­ti­ge!

Aber ich will eure Ver­ste­cke schon an’s Licht brin­gen: dar­um la­che ich euch in’s Ant­litz mein Ge­läch­ter der Höhe.

Da­rum reis­se ich an eu­rem Net­ze, dass eure Wuth euch aus eu­rer Lü­gen-Höh­le lo­cke, und eure Ra­che her­vor­sprin­ge hin­ter eu­rem Wort »Ge­rech­tig­keit.«

Denn dass der Mensch er­löst wer­de von der Ra­che: das ist mir die Brücke zur höchs­ten Hoff­nung und ein Re­gen­bo­gen nach lan­gen Un­wet­tern.

Aber an­ders wol­len es frei­lich die Ta­ran­teln. »Das ge­ra­de heis­se uns Ge­rech­tig­keit, dass die Welt voll wer­de von den Un­wet­tern uns­rer Ra­che« – also re­den sie mit ein­an­der.

»Ra­che wol­len wir üben und Be­schimp­fung an Al­len, die uns nicht gleich sind« – so ge­lo­ben sich die Ta­ran­tel-Her­zen.

Und »Wil­le zur Gleich­heit« – das sel­ber soll für­der­hin der Name für Tu­gend wer­den; und ge­gen Al­les, was Macht hat, wol­len wir un­ser Ge­schrei er­he­ben!«

Ihr Pre­di­ger der Gleich­heit, der Ty­ran­nen-Wahn­sinn der Ohn­macht schreit also aus euch nach »Gleich­heit«: eure heim­lichs­ten Ty­ran­nen-Ge­lüs­te ver­mum­men sich also in Tu­gend-Wor­te!

Ver­gräm­ter Dün­kel, ver­hal­te­ner Neid, viel­leicht eu­rer Vä­ter Dün­kel und Neid: aus euch bricht’s als Flam­me her­aus und Wahn­sinn der Ra­che.

Was der Va­ter schwieg, das kommt im Soh­ne zum Re­den; und oft fand ich den Sohn als des Va­ters ent­blöss­tes Ge­heim­niss.

Den Be­geis­ter­ten glei­chen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie be­geis­tert, – son­dern die Ra­che. Und wenn sie fein und kalt wer­den, ist’s nicht der Geist, son­dern der Neid, der sie fein und kalt macht.

Ihre Ei­fer­sucht führt sie auch auf der Den­ker Pfa­de; und diess ist das Merk­mal ih­rer Ei­fer­sucht – im­mer gehn sie zu weit: dass ihre Mü­dig­keit sich zu­letzt noch auf Schnee schla­fen le­gen muss.

Aus je­der ih­rer Kla­gen tönt Ra­che, in je­dem ih­rer Lob­sprü­che ist ein We­he­thun; und Rich­ter-sein scheint ih­nen Se­lig­keit.

Also aber rat­he ich euch, mei­ne Freun­de: miss­traut Al­len, in wel­chen der Trieb, zu stra­fen, mäch­tig ist!

Das ist Volk schlech­ter Art und Ab­kunft; aus ih­ren Ge­sich­tern blickt der Hen­ker und der Spür­hund.

Miss­traut al­len De­nen, die viel von ih­rer Ge­rech­tig­keit re­den! Wahr­lich, ih­ren See­len fehlt es nicht nur an Ho­nig.

Und wenn sie sich sel­ber »die Gu­ten und Ge­rech­ten« nen­nen, so ver­ge­sst nicht, dass ih­nen zum Pha­ri­sä­er Nichts fehlt als – Macht!

Mei­ne Freun­de, ich will nicht ver­mischt und ver­wech­selt wer­den.

Es giebt Sol­che, die pre­di­gen mei­ne Leh­re vom Le­ben: und zu­gleich sind sie Pre­di­ger der Gleich­heit und Ta­ran­teln.

Dass sie dem Le­ben zu Wil­len re­den, ob sie gleich in ih­rer Höh­le sit­zen, die­se Gift-Spin­nen, und ab­ge­kehrt vom Le­ben: das macht, sie wol­len da­mit we­he­thun.

Sol­chen wol­len sie da­mit we­he­thun, die jetzt die Macht ha­ben: denn bei die­sen ist noch die Pre­digt vom Tode am bes­ten zu Hau­se.

Wäre es an­ders, so wür­den die Ta­ran­teln an­ders leh­ren: und ge­ra­de sie wa­ren ehe­mals die bes­ten Welt-Ver­leum­der und Ket­zer-Bren­ner.

Mit die­sen Pre­di­gern der Gleich­heit will ich nicht ver­mischt und ver­wech­selt sein. Denn so re­det mir die Ge­rech­tig­keit: »die Men­schen sind nicht gleich.«

Und sie sol­len es auch nicht wer­den! Was wäre denn mei­ne Lie­be zum Über­menschen, wenn ich an­ders sprä­che?

Auf tau­send Brücken und Ste­gen sol­len sie sich drän­gen zur Zu­kunft, und im­mer mehr Krieg und Un­gleich­heit soll zwi­schen sie ge­setzt sein: so lässt mich mei­ne gros­se Lie­be re­den!

Er­fin­der von Bil­dern und Ge­s­pens­tern sol­len sie wer­den in ih­ren Feind­schaf­ten, und mit ih­ren Bil­dern und Ge­s­pens­tern sol­len sie noch ge­gen­ein­an­der den höchs­ten Kampf kämp­fen!

Gut und Böse, und Reich und Arm, und Hoch und Ge­ring, und alle Na­men der Wert­he: Waf­fen sol­len es sein und klir­ren­de Merk­ma­le da­von, dass das Le­ben sich im­mer wie­der sel­ber über­win­den muss!

In die Höhe will es sich bau­en mit Pfei­lern und Stu­fen, das Le­ben sel­ber: in wei­te Fer­nen will es bli­cken und hin­aus nach se­li­gen Schön­hei­ten, – da­rum braucht es Höhe!

Und weil es Höhe braucht, braucht es Stu­fen und Wi­der­spruch der Stu­fen und Stei­gen­den! Stei­gen will das Le­ben und stei­gend sich über­win­den.

Und seht mir doch, mei­ne Freun­de! Hier, wo der Ta­ran­tel Höh­le ist, he­ben sich ei­nes al­ten Tem­pels Trüm­mer auf­wärts, – seht mir doch mit er­leuch­te­ten Au­gen hin!

Wahr­lich, wer hier einst sei­ne Ge­dan­ken in Stein nach Oben thürm­te, um das Ge­heim­niss al­les Le­bens wuss­te er gleich dem Wei­ses­ten!

Dass Kampf und Un­glei­ches auch noch in der Schön­heit sei und Krieg um Macht und Über­macht: das lehrt er uns hier im deut­lichs­ten Gleich­niss.

Wie sich gött­lich hier Ge­wöl­be und Bo­gen bre­chen, im Ring­kamp­fe: wie mit Licht und Schat­ten sie wi­der ein­an­der stre­ben, die gött­lich-Stre­ben­den –

Also si­cher und schön lasst uns auch Fein­de sein, mei­ne Freun­de! Gött­lich wol­len wir wi­der ein­an­der stre­ben! –

Wehe! Da biss mich sel­ber die Ta­ran­tel, mei­ne alte Fein­din! Gött­lich si­cher und schön biss sie mich in den Fin­ger!

»Stra­fe muss sein und Ge­rech­tig­keit – so denkt sie: nicht um­sonst soll er hier der Feind­schaft zu Ehren Lie­der sin­gen!«

Ja, sie hat sich ge­rächt! Und wehe! nun wird sie mit Ra­che auch noch mei­ne See­le dre­hend ma­chen!

Dass ich mich aber nicht dre­he, mei­ne Freun­de, bin­det mich fest hier an die­se Säu­le! Lie­ber noch Säu­len-Hei­li­ger will ich sein, als Wir­bel der Rach­sucht!

Wahr­lich, kein Dreh- und Wir­bel­wind ist Za­ra­thustra; und wenn er ein Tän­zer ist, nim­mer­mehr doch ein Ta­ran­tel-Tän­zer! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Von den berühmten Weisen

Dem Vol­ke habt ihr ge­dient und des Vol­kes Aber­glau­ben, ihr be­rühm­ten Wei­sen alle! – und nicht der Wahr­heit! Und ge­ra­de dar­um zoll­te man euch Ehr­furcht.

Und dar­um auch er­trug man eu­ren Un­glau­ben, weil er ein Witz und Um­weg war zum Vol­ke. So lässt der Herr sei­ne Scla­ven ge­wäh­ren und er­götzt sich noch an ih­rem Über­mu­the.

Aber wer dem Vol­ke ver­hasst ist wie ein Wolf den Hun­den: das ist der freie Geist, der Fes­sel-Feind, der Nicht-An­be­ter, der in Wäl­dern Hau­sen­de.

Ihn zu ja­gen aus sei­nem Schlup­fe – das hiess im­mer dem Vol­ke »Sinn für das Rech­te«: ge­gen ihn hetzt es noch im­mer sei­ne scharf­zah­nigs­ten Hun­de.

»Denn die Wahr­heit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den Su­chen­den!« – also scholl es von je­her.

Eu­rem Vol­ke woll­tet ihr Recht schaf­fen in sei­ner Ver­eh­rung: das hies­set ihr »Wil­le zur Wahr­heit,« ihr be­rühm­ten Wei­sen!

Und euer Herz sprach im­mer zu sich: »vom Vol­ke kam ich: von dort her kam mir auch Got­tes Stim­me.«

Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr im­mer als des Vol­kes Für­spre­cher.

Und man­cher Mäch­ti­ge, der gut fah­ren woll­te mit dem Vol­ke, spann­te vor sei­ne Ros­se noch – ein Ese­lein, einen be­rühm­ten Wei­sen.

Und nun woll­te ich, ihr be­rühm­ten Wei­sen, ihr wür­fet end­lich das Fell des Lö­wen ganz von euch!

Das Fell des Raubt­hiers, das bunt­ge­fleck­te, und die Zot­ten des For­schen­den, Su­chen­den, Erobern­den!

Ach, dass ich an eure »Wahr­haf­tig­keit« glau­ben ler­ne, dazu müss­tet ihr mir erst eu­ren ver­eh­ren­den Wil­len zer­bre­chen.

Wahr­haf­tig – so heis­se ich Den, der in göt­ter­lo­se Wüs­ten geht und sein ver­eh­ren­des Herz zer­bro­chen hat.

Im gel­ben San­de und ver­brannt von der Son­ne schielt er wohl durs­tig nach den quel­len­rei­chen Ei­lan­den, wo Le­ben­di­ges un­ter dun­keln Bäu­men ruht.

Aber sein Durst über­re­det ihn nicht, die­sen Be­hag­li­chen gleich zu wer­den: denn wo Oa­sen sind, da sind auch Göt­zen­bil­der.

Hun­gernd, ge­waltt­hä­tig, ein­sam, gott­los: so will sich sel­ber der Lö­wen-Wil­le.

Frei von dem Glück der Knech­te, er­löst von Göt­tern und An­be­tun­gen, furcht­los und fürch­ter­lich, gross und ein­sam: so ist der Wil­le des Wahr­haf­ti­gen.

In der Wüs­te wohn­ten von je die Wahr­haf­ti­gen, die frei­en Geis­ter, als der Wüs­te Her­ren; aber in den Städ­ten woh­nen die gut­ge­füt­ter­ten, be­rühm­ten Wei­sen, – die Zugt­hie­re.

Im­mer näm­lich zie­hen sie, als Esel – des Vol­kes Kar­ren!

Nicht dass ich ih­nen darob zür­ne: aber Die­nen­de blei­ben sie mir und An­ge­schirr­te, auch wenn sie von gold­nem Ge­schir­re glän­zen.

Und oft wa­ren sie gute Die­ner und preis­wür­di­ge. Denn so spricht die Tu­gend: musst du Die­ner sein, so su­che Den, wel­chem dein Dienst am bes­ten nützt!

»Der Geist und die Tu­gend dei­nes Herrn sol­len wach­sen, da­durch dass du sein Die­ner bist: so wäch­sest du sel­ber mit sei­nem Geis­te und sei­ner Tu­gend!«

Und wahr­lich, ihr be­rühm­ten Wei­sen, ihr Die­ner des Vol­kes! Ihr sel­ber wuch­set mit des Vol­kes Geist und Tu­gend – und das Volk durch euch! Zu eu­ren Ehren sage ich das!

Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in eu­ren Tu­gen­den, Volk mit blö­den Au­gen, – Volk, das nicht weiss, was Geist ist!

Geist ist das Le­ben, das sel­ber in’s Le­ben schnei­det: an der eig­nen Qual mehrt es sich das eig­ne Wis­sen, – wuss­tet ihr das schon?

Und des Geis­tes Glück ist diess: ge­salbt zu sein und durch Thrä­nen ge­weiht zum Op­fert­hier, – wuss­tet ihr das schon?

Und die Blind­heit des Blin­den und sein Su­chen und Tap­pen soll noch von der Macht der Son­ne zeu­gen, in die er schau­te, – wuss­tet ihr das schon?

Und mit Ber­gen soll der Er­ken­nen­de bau­en ler­nen! We­nig ist es, dass der Geist Ber­ge ver­setzt, – wuss­tet ihr das schon?

Ihr kennt nur des Geis­tes Fun­ken: aber ihr seht den Am­bos nicht, der er ist, und nicht die Grau­sam­keit sei­nes Ham­mers!

Wahr­lich, ihr kennt des Geis­tes Stolz nicht! Aber noch we­ni­ger wür­det ihr des Geis­tes Be­schei­den­heit er­tra­gen, wenn sie ein­mal re­den woll­te!

Und nie­mals noch durf­tet ihr eu­ren Geist in eine Gru­be von Schnee wer­fen: ihr seid nicht heiss ge­nug dazu! So kennt ihr auch die Ent­zückun­gen sei­ner Käl­te nicht.

In Al­lem aber thut ihr mir zu ver­trau­lich mit dem Geis­te; und aus der Weis­heit mach­tet ihr oft ein Ar­men- und Kran­ken­haus für schlech­te Dich­ter.

Ihr seid kei­ne Ad­ler: so er­fuhrt ihr auch das Glück im Schrek­ken des Geis­tes nicht. Und wer kein Vo­gel ist, soll sich nicht über Ab­grün­den la­gern.

Ihr seid mir Laue: aber kalt strömt jede tie­fe Er­kennt­niss. Eis­kalt sind die in­ners­ten Brun­nen des Geis­tes: ein Lab­sal heis­sen Hän­den und Han­deln­den.

Ehr­bar steht ihr mir da und steif und mit ge­ra­dem Rücken, ihr be­rühm­ten Wei­sen! – euch treibt kein star­ker Wind und Wil­le.

Saht ihr nie ein Se­gel über das Meer gehn, ge­rün­det und ge­bläht und zit­ternd vor dem Un­ge­stüm des Win­des?

Dem Se­gel gleich, zit­ternd vor dem Un­ge­stüm des Geis­tes, geht mei­ne Weis­heit über das Meer – mei­ne wil­de Weis­heit!

Aber ihr Die­ner des Vol­kes, ihr be­rühm­ten Wei­sen, – wie könn­tet ihr mit mir gehn! –

Also sprach Za­ra­thustra.

Vanusepiirang:
18+
Objętość:
5253 lk 6 illustratsiooni
ISBN:
9783962815295
Õiguste omanik:
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