Loe raamatut: «Bright Horizon», lehekülg 4

Font:

Kapitel 4

Elias

Wie schlimm war diese verrückte Idee wirklich – auf einer Skala von eins bis zehn?

»Was meinst du, Kumpel?«, fragte er den treuen Irish Setter, der vor ihm auf dem Boden saß. Rosie ließ die Zunge heraushängen und wedelte mit dem Schwanz. »Ja, ja, du bist nicht objektiv«, sagte Elias lachend. »Du denkst, ich könnte gar keine schlechten Ideen haben. Besonders, wenn du hoffst, dass für dich dabei ein Häppchen abfällt.«

Rosie rannte bellend im Kreis, um ihren Schwanz zu jagen. Dann lief sie in den Flur, um die Leine zu holen.

Nein, dumm war sie nicht. Sie wusste genau, was vor sich ging.

»Soll das etwa heißen, ich lebe nicht genug? Oder dass ich endlich aus dem verdammten Haus raus soll, weil ich schon seit Jahren nichts mehr unternommen habe?«

Rosie bellte wieder. Dann kam sie mit der Leine angesprungen und ließ sie vor seinen Füßen auf den Boden fallen.

»Okay, schon gut«, grummelte Elias. »Du musst mich nicht mit der Nase darauf stoßen.«

Es war sowieso zu spät. Die Flüge waren gebucht, sein Koffer gepackt. Er hatte ab heute offiziell zwei Wochen Urlaub. Jetzt musste er nur noch Rosie unterbringen.

Und das war die wirkliche Herausforderung.

Als seine Freundin Darcy Lott (frühere Decker) ihm die Tür öffnete, verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah ihn aus ihrem Rollstuhl mit zusammengekniffenen Augen an. »Was war deine Kombination für den Spind in der Schule? Wer ist der aktuelle Präsident? In welchem Jahr leben wir?«

Ihr Mann Leon, der ebenfalls zur Tür gekommen war, lachte. »Du willst keine Amnesie identifizieren, sondern einen Doppelgänger.«

»Es könnte beides sein«, meinte Darcy, lehnte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. »Oder eine dieser Gummimasken, die sie sich in Spionagethrillern immer überziehen.«

Elias winkte ihnen zu und Rosie bellte zur Begrüßung. »Ja, ja. Ich bin von Aliens entführt und ausgetauscht worden. Der wirkliche Elias würde so etwas niemals tun. Darf ich jetzt reinkommen? Es ist nämlich ziemlich kalt hier draußen.«

Darcy zog eine Augenbraue hoch und rollte zur Seite. »Ich lasse dich nicht aus den Augen, Mister«, sagte sie amüsiert.

Leon schüttelte den Kopf und Elias' Hand, während Elias sich die Füße abputzte. »Seid ihr sicher, dass es euch nichts ausmacht, zwei Wochen auf Rosie aufzupassen?«, fragte er, als Leon die Haustür schloss. Im Flur hingen noch Dekorationen von Halloween und aus dem oberen Stockwerk waren Kinderstimmen zu hören.

Leon schnaubte und schaute ihn über den Rand seiner goldgerahmten Brille an. »Machst du Witze? Pepper und Charles freuen sich schon. Sie reden seit zwei Tagen von nichts anderem. Wir geben dir die Schuld, wenn wir vor Weihnachten einen Besuch im Tierheim machen müssen.«

»Die beiden sind jetzt alt genug für einen Hund, Babe«, sagte Darcy tröstend und rollte in die Küche des großen Hauses. »Elias, ich hoffe, es stört dich nicht, dass wir einige Leute eingeladen haben.«

»Swift! Micha!«, rief Elias erfreut, als er in die Küche kam und das Pärchen erkannte, die vor ihrer Cola am Tisch saßen und sich unterhielten. Er hätte nichts dagegen, wenn in ihrer Gruppe öfter mal ein Bier getrunken würde, war aber doch erleichtert, dass weder Swift noch Micha oft Alkohol tranken. Es machte ihm das Leben leichter.

Außerdem waren sie liebe Kerle. Elias war froh, dass sie ihre Probleme gelöst und sich zusammengefunden hatten. Micha war Darcys jüngerer Bruder und sie hatte erwähnt, dass sie sich oft trafen seit er wieder in die Stadt zurückgekehrt war.

Swift war Elias' Trainer im Fitnessstudio. Ohne ihn hätte Elias es nie geschafft, mit beinahe vierzig Jahren seinen Sixpack zurückzubekommen. Er war noch nie so gut in Form gewesen, selbst in den Zwanzigern, als er sehr auf seine Fitness geachtet hatte.

Vielleicht konnte er ja Swift die Schuld für seine plötzliche Abenteuerlust in die Schuhe schieben?

Aber das war natürlich Unsinn und Elias wusste es auch. Es hatte sich seit Jahren angekündigt und er bedauerte nicht, die Gelegenheit beim Schopf gepackt zu haben. Aber er wollte alles richtig machen und nicht riskieren, dass Ben verletzt wurde.

Doch… warum sollte Ben verletzt werden? Elias begleitete ihn nur als Freund. Als Freund und als juristischer Berater. Es gab keinen Grund, sich deswegen Sorgen zu machen.

Oder doch?

»Elias!«, rief Swift erfreut und stand auf, um ihm die Hand zu geben. »Wie geht's dir?«

»Wir haben gerade überlegt, ob wir ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen sollen«, antwortete Leon für ihn augenzwinkernd.

»Also bitte«, sagte Darcy schnaubend und rollte an den Tisch. »Ich bin die Einzige, die ihn so auf den Arm nehmen darf.«

»Aber Leon hat recht«, erwiderte Elias seufzend und nahm ebenfalls Platz. Er fuhr mit den Fingern über die verzierte Kante des Holztisches. Rosie legte sich an seiner Seite auf den Boden und sah ihn mit ihren großen, braunen Augen an. »Es ist das Verrückteste, was ich jemals getan habe.«

»Ich finde es romantisch«, meinte Swift und warf dann hastig die Hände in die Luft. »So war das nicht gemeint«, stammelte er. »Äh… Darcy hat uns erklärt, dass ihr kein Paar seid oder so. Ich meinte nur die Situation, ganz allgemein. Alles stehen und liegen zu lassen, um nach London zu fliegen und einem Freund zu helfen. Eine Geschichte wie aus einem Abenteuerbuch.«

»Mir kommt es auch ein bisschen romantisch vor«, grummelte Leon, der an der Anrichte stand und Fleisch klopfte.

»Ben ist ein netter Kerl«, sagte Elias und wiederholte damit, was er sich selbst schon seit Tagen sagte. »Wir kennen uns schon seit anderthalb Jahren.«

Darcy zog eine Augenbraue hoch. »Vom Hallo sagen und Wechselgeld rausgeben. Das zählt nicht als kennen. Das ist noch nicht einmal ein Gespräch. Komm schon, Elias! Mit uns warst du noch nie in Urlaub. Gib schon zu, dass es außergewöhnlich ist.«

Sie wollte Elias damit nur necken, traf aber einen Nerv. Er gab sich Mühe, die Sache auf einer professionellen Ebene zu behandeln und zu vergessen, wie liebenswert er Ben insgeheim fand. Es war dumm. »Ich weiß«, antwortete er geduldig. »Aber ihr erinnert mich doch ständig daran, wie kurz das Leben ist und dass ich mich nicht von meinen Ängsten beherrschen und mehr wagen sollte. Das ist ein Abenteuer! Ich bin spontan!«

Swift drückte ihn am Arm. »Und das ist gut so, Kumpel.«

»Du hast ja recht«, gab Darcy zu und winkte ab. »Ich dachte nur eher an Grindr oder einen Salsa-Kurs, nicht an die verrückte Idee, mit einem viel jüngeren Mann über den Atlantik zu fliegen.«

»Ben ist… anders«, sagte Elias. Er wollte sich seine Verliebtheit nicht anmerken lassen. »Viel reifer, als ich erwartet hatte. Ich glaube wirklich, wir könnten Freunde werden.« Er trank einen Schluck von der Cherry Cola, die Micha ihm eingeschenkt hatte. »Aber das ist nicht der Punkt. Ich mache mir wirklich Sorgen, dass diese Leute ihn übers Ohr hauen wollen. Warum sollte ich also nicht meine Flugmeilen nutzen und ihm helfen?«

»Was können sie denn tun, um ihn übers Ohr zu hauen?«, fragte Leon, der immer noch mit ihrem Abendessen beschäftigt war. »Ich dachte, Ben hätte das Geld schon geerbt?«

»Nachdem sie diesen Mann geschickt haben, um Ben aus England fernzuhalten, befürchte ich, dass sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um es ihm wieder abzunehmen.« Elias schüttelte entschlossen den Kopf. »Und das werde ich auf keinen Fall zulassen.«

Alle Augen waren jetzt auf ihn gerichtet und er musste sich Mühe geben, um nicht nervös auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.

»Ja, du hast recht«, sagte Darcy schließlich. Leon legte das Fleisch in die Pfanne und die Küche füllte sich mit köstlichem Bratenduft. »Es ist nur vernünftig.«

»Aber?« Elias ahnte schon, dass noch ein Aber kommen musste.

Darcy warf die Hände in die Luft. »Ich denke, dass… nun, ein kleines bisschen Romantik kann jedenfalls nicht schaden.«

Elias schnaubte. »Darcy, ich…«

»Elias.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hältst dich vielleicht für subtil, aber du erwähnst diesen Ben nicht zum ersten Mal.«

Elias spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er versuchte verzweifelt, es zu verhindern. Es wäre so verdammt peinlich, wenn man ihm seine dumme Verliebtheit anmerken würde.

»Weil er ein netter Kerl ist und ich gerne in der Bäckerei kaufe«, sagte er und hoffte, sich nicht allzu defensiv anzuhören.

»Oh ja, Rise and Shine ist prima!«, stimmte Swift ihm zu und warf Darcy und Leon Hilfe suchende Blicke zu.

Leon schnaubte. »Ja. Aber wir kaufen dort nur unsere Cupcakes.«

Darcy tätschelte Elias' Hand. »Du hast vielleicht das eine oder andere Mal auch erwähnt, wie… süß und nett Ben ist. Und wie hübsch seine Locken sind.«

»Und seine braunen Augen«, murmelte Leon grinsend, während er das Fleisch wendete.

Elias sah hilflos zwischen ihnen hin und her. Während Darcy und Leon entschlossene Gesichter machten, wirkten Swift und Micha eher hoffnungsvoll und begeistert. Rosie wedelte mit dem Schwanz über den Fußboden. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, ob sie Elias beistehen oder zum Herd gehen sollte, wo Leons Steaks appetitlich in der Pfanne brutzelten.

»Leute«, sagte Elias. »Er ist dreiundzwanzig. Macht die Sache nicht peinlich.«

Swift biss sich verlegen auf die Lippen, aber Darcy beugte sich in ihrem Rollstuhl vor. »Süßer, niemand will dich in Verlegenheit bringen. Aber ich kenne dich schon sehr lange und wir sind gute Freunde. Also sage ich dir jetzt, dass der Altersunterschied keine große Sache ist. Ich weiß, ich habe gerade darüber gescherzt, wie jung er noch ist. Aber das liegt daran, dass ich manchmal ein Depp bin.«

»Das ist sie«, stimmte Leon seiner Frau zu und nickte ernst. Darcy zeigte ihm den Vogel.

Swift hob Michas Hand. Ihre Finger waren verschränkt. »Hey, Darcy hat recht. Ich bin auch sieben Jahre älter als Micha und wir passen perfekt zusammen.«

Micha lächelte verlegen über so viel Enthusiasmus. Die beiden beteten sich an. Leon machte ein Geräusch, als müsste er sich übergeben, dann zwinkerte er ihnen zu.

Was sollte Elias jetzt tun? Zugeben, dass sie recht hatten? Die Katze war sowieso aus dem Sack. Er seufzte. »Sieben Jahre und sechzehn Jahre sind ein gewaltiger Unterschied. Ich mag ihn einfach, aber mehr wird es nie werden. Ich will ihn nicht ausnutzen.«

»Hey… nein.« Leon ließ seinen Holzlöffel in die Pfanne fallen und sah ihn ernst an. »Ben ist ein erwachsener Mann. Er kann seine eigenen Entscheidungen fällen. Wenn er an dir interessiert ist, dann ist das in Ordnung und du nutzt ihn nicht aus.«

Micha nickte. »Ihr seid schwul«, sagte er und schaute sich am Tisch um, als wäre er unsicher, ob er seine Meinung äußern sollte. Aber Swift drückte ihm die Hand und er fuhr fort. »Ich kenne viele schwule Paare mit mehreren Jahren Altersunterschied. Wenn man weniger potenzielle Partner zur Auswahl hat, sollte man sich darüber nicht so viele Gedanken machen. Besonders, weil eine ganze Generation schwuler Männer… na ja, ihr wisst schon…«

Er biss sich auf die Lippen, aber Elias war ihm nicht böse, es angesprochen zu haben. Die schwule Gemeinschaft hatte während der AIDS-Krise so viele Verluste erlitten. Da war es nur natürlich, dass sie mit den Vorurteilen über Altersunterschiede, die in anderen Bereichen der Gesellschaft noch existierten, in stärkerem Maß Schluss gemacht hatte.

»Du hast recht«, sagte er zu Micha, weil er ihm nicht das Gefühl geben wollte, sich den Mund verbrannt zu haben. Aber seine Befürchtungen waren damit noch nicht zerstreut. Er hatte erwartet, dass seine Freunde ihn wegen seiner spontanen Reisepläne kritisieren würden. Er war aber nicht darauf vorbereitet gewesen, sich wegen seiner dummen Verliebtheit verteidigen zu müssen. »Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Ben Gefühle für mich hegt. Und ich kann euch versprechen, dass mein Angebot, ihn nach England zu begleiten, nichts damit zu tun hat.«

»Guter Gott, nein«, rief Darcy alarmiert. »Das wäre auch unheimlich gewesen!«

»Aber…«, fügte Swift hinzu. »Wenn sich etwas zwischen euch anbahnt, während ihr im idyllischen England euren Abenteuern nachjagt, wäre das trotzdem verdammt romantisch.«

»Und wir würden euch unterstützen«, bestätigte Leon.

Darcy lächelte freundlich. »Du hättest es verdient, mein Liebster.«

»Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du mir selbst gesagt, das Leben wäre zu kurz, um nicht jede Chance zu ergreifen«, sagte Swift mit einem liebevollen Blick auf Micha.

»Das war etwas ganz anderes«, grummelte Elias.

Zu seiner Überraschung zog Swift eine Augenbraue hoch und grinste ihn an. »Mag sein. Aber jetzt bist du an der Reihe.«

Elias schnaubte frustriert. Er hatte es ernst gemeint, als er zu Swift sagte, das Leben wäre zu kurz. Er versuchte selbst, mehr und mehr nach dieser Philosophie zu leben. Es war so einfach, eine gute Chance ungenutzt vorüberziehen zu lassen.

Sollte er sich also jetzt an seinen eigenen Rat halten?

»Soll das heißen, ihr habt kein Problem damit, wenn ich einfach ins Flugzeug steige und abwarte, was passiert?« Kopfnicken rundum. Er biss sich auf die Lippen. »Na gut. Und… falls Ben wirklich… also ich meine, falls er interessiert sein sollte… Ihr meint wirklich, es würde keinen Skandal auslösen?«

»Definitiv nicht«, erwiderte Swift ernst.

»Süßer«, sagte Darcy. »Ich würde einen Festumzug für dich organisieren. Wir sagen dir schon seit Jahren, dass es an der Zeit ist, wieder aufs Pferd zu steigen. Du bist ein echter Fang! Jeder Mann kann sich glücklich schätzen, wenn er dich bekommt. Solange er nett ist und dich gut behandelt, werden wir ihn auch lieben.«

Elias rieb mit dem Daumen über den Rand seines Glases.

Die Vorstellung war aufregend, aber… »Meine oberste Priorität ist es, Ben zu seinem Erbe zu verhelfen«, sagte er entschlossen. »Aber es stimmt, er ist ein wunderbarer Mann.«

Darcy stieß einen Jubelschrei aus. »Auf ihn mit Gebrüll!«

Elias war davon überzeugt, dass Ben nicht an ihm interessiert sein könnte und nichts passieren würde. Er wollte auch nicht, dass Ben sich ihm gegenüber verpflichtet fühlte. Da er gewissermaßen als Bens Rechtsbeistand mit nach London kam, würde zwischen ihnen ein Machtgefälle bestehen, das er nicht ausnutzen wollte.

Aber es war schon eine Premiere, seinen Freunden einzugestehen, dass er an einem Mann interessiert war. Nach so vielen Jahren war es ein befreiendes Gefühl für ihn.

Doch dann holte ihn die Realität wieder ein. Elias war also an einem liebenswerten jungen Mann interessiert, aber er war alt genug, um Bens Vater zu sein. Warum sollte Ben sein Interesse erwidern? Was würde er in Elias sehen? Einen traurigen alten Kerl, der alte Musicals und alte Bücher liebte. Der in den letzten zehn Jahren nichts Aufregenderes unternommen hatte, als sich einen Hund zuzulegen.

Also ließ er seinen Freunden den Spaß, die ihm scherzhafte Tipps gaben, wie man einem jüngeren Mann den Hof machte. Er selbst war weniger optimistisch und konnte sich nicht vorstellen, bei Ben eine Chance zu haben. Er wünschte sogar, er hätte ihnen seine Gefühle für Ben nicht eingestanden, weil sie ihm zu unwahrscheinlich vorkamen. Konnte man sich wirklich in jemanden verlieben, den man erst so kurze Zeit kannte?

Glücklicherweise schallten in diesem Moment polternde Schritte durchs Haus und setzten dem Verhör ein Ende. Die Kinder kamen die Treppe herabgerannt. Noch bevor sie die Küche erreichten, kam eine rote Katze durch die Tür geschossen. Die Menschen sprangen zurück und schoben ihre Stühle aus dem Weg. Die Katze schlug mit dem Schwanz und sah sich in der Küche um.

»Nicht bewegen«, flüsterte Darcy und ließ die Katze nicht aus den Augen.

Swift lachte nervös und hielt den Arm schützend vor Micha. »Oh, er ist in letzter Zeit vergleichsweise harmlos«, sagte er und schluckte. »Meistens.«

Elias hatte bereits einige Zusammenstöße mit dieser Katze erlebt und hielt sich sicherheitshalber im Hintergrund. Selbst Rosie wimmerte und rutschte rückwärts, bis sie halb unter Darcys Rollstuhl lag.

»Butter!«, rief Imogen, Swifts Tochter, die der Katze in die Küche gefolgt war. »Machst du wieder Dummheiten?«

Leon schaute auf die Katze hinab und hob abwehrend den Kochlöffel für den Fall, dass die Katze ihn attackieren wollte. »Dummheiten, ja«, murmelte er.

Imogen hob das Fellknäuel hoch. Ein kollektiver Seufzer der Erleichterung war zu hören – ganz so, als hätte sie gerade eine Bombe entschärft. Elias mochte das kleine Mädchen sehr gern, aber ihr Kater war ein Teufelsbraten. »Hey, Kleine. Wie geht's?«

Imogen zuckte mit den Schultern und schaute ins Wohnzimmer, wo Darcys und Leons Kinder ein Videospiel angeworfen hatten. »Gut. Oh! Daddy sagt, du verreist nach England. Stimmt das?«

»Es stimmt.« Wieder ergriff die Aufregung von ihm Besitz und verdrängte seine Befürchtungen über die Reise. Er würde endlich in das Land reisen, das er schon so lange kennenlernen wollte.

»Wow«, sagte Imogen und zog das Wort in die Länge, während sie sich die Glitzerbrille hochschob. »Triffst du auch die Königin?«, fragte sie und wiegte das schnurrende Monster in ihren Armen hin und her.

Elias lächelte sie an. »Wahrscheinlich nicht, mein Schatz. Aber vielleicht besuche ich den Buckingham Palast.«

Sie nickte nachdenklich. »Und die Piraten? In England gibt es doch Piraten, nicht wahr?«

Elias und die anderen Erwachsenen lachten. »Aber sicher«, sagte Elias. »Ich wette, die lauern dort immer noch.«

Die Antwort schien sie zufriedenzustellen. »Wenn du sie findest, richte ihnen einen schönen Gruß aus von Imogen Dillard, fünfeinviertel Jahre alt. Ich muss jetzt gehen, weil ich mit Pepper und Charles spielen will. Tschüss, Daddy! Tschüss, ihr anderen!« Und damit marschierte sie davon in Richtung Wohnzimmer.

Nachdem die Spekulationen über Elias' Liebesleben endlich zum Erliegen gekommen waren, wandte sich die Unterhaltung anderen Themen zu. Sie sprachen über ihre Arbeit und über die bevorstehenden Feiertage. Dann wurde das Abendessen serviert und Elias gab seinen Freunden noch einige letzte Hinweise zu Rosies Pflege, bevor er sich verabschiedete.

Seine Freunde lächelten ihm aufmunternd zu, aber Elias nahm sich trotzdem vor, sich während der Reise wie ein Gentleman zu verhalten. Er wollte sein Bestes geben, um Ben vor den Angriffen seiner entfremdeten Familie zu schützen.

Er wünschte, er hätte in Bens Alter auch einen Menschen gehabt, der auf seiner Seite stand und ihn beschützte. Jetzt wollte er wenigstens verhindern, dass wieder ein junger Mann verletzt wurde.

Also ging er auf die scherzhaft gemeinten Plänkeleien seiner Freunde ein. Außerdem war es ein gutes Gefühl, für kurze Zeit so zu tun, als könnte er wirklich in Ben verliebt sein. Er hatte sich viel zu lange vor solchen Gefühlen gefürchtet. Eines Tages würde er vielleicht Grindr beitreten und einen Mann in seinem Alter kennenlernen, bei dem der Funke übersprang. Und in der Zwischenzeit wollte er seine Rolle als Bens Beschützer ernst nehmen.

Doch als er an diesem Abend ins Bett ging und über die Reise nachdachte, die er morgen antreten würde, überkam ihn die Einsamkeit. Er war viele Jahre allein gewesen und hatte – aus Angst vor Intimitäten – alle Annäherungsversuche zurückgewiesen. Elias wusste, dass er nicht mehr in Gefahr war, aber es fiel ihm schwer, sein Herz davon zu überzeugen. Es war zu gründlich gebrochen worden.

Und er selbst war es gewesen, der es gebrochen hatte.

Er dachte kurz darüber nach, wie es wohl sein mochte, Ben in den Armen zu halten. Ihn zärtlich auf die Lippen zu küssen. Sein strahlendes Lächeln ganz auf sich gerichtet zu sehen. Aber dann wurde seine Fantasie wieder von Schuldgefühlen verdrängt. Er gab auf und fühlte sich noch leerer als zuvor.

Es dauerte lange, bis er in dieser Nacht endlich Schlaf fand.

Kapitel 5

Ben

»Nach London also, hä?«

Ben saß auf dem Rücksitz des blauen Ford Mustang und schaute den Fahrer durch den Rückspiegel an. Sie hatten einen Mietwagen genommen, um zum SeaTac Flughafen zu fahren, und Ben wollte während der Fahrt seine Social-Media-Accounts aktualisieren, doch der Fahrer, den Emery ihnen empfohlen hatte, schwatzte offensichtlich gerne.

»Ist euch schon aufgefallen, dass London die Stadt ist, die in den neueren Filmen am häufigsten vernichtet wird?«, fragte der Fahrer – ein Typ namens Kamran – kopfschüttelnd. »Es ist fast, als hätte Hollywood keine Lust mehr, ständig nur das Weiße Haus oder das Empire State Building in die Luft fliegen zu lassen. Jetzt sind es der Big Ben und die Tower Bridge. So wird die London Bridge nämlich oft genannt, wisst ihr? Aber es ist gar nicht die Tower Bridge. Die richtige Tower Bridge ist die, die sich für die Boote teilt, die durchfahren wollen.« Er salutierte zwinkernd und Ben wusste nicht, was er darauf erwidern sollte.

»Ja, die London Bridge ist nur eine ganz normale alte Brücke«, sagte Elias und rettete Ben damit aus seiner Verlegenheit.

Kamran zog die Augenbrauen hoch. Er hatte kupferfarbene Haut, einen kurzen Bart und eine Hipster-Brille auf der Nase. Obwohl er ein attraktiver Mann war, kam er Ben anstrengend vor. Er wusste nicht genau, wie Kamran und Emery sich kennengelernt hatten, aber Emery hatte ihm schon vor Monaten Kamrans Visitenkarte gegeben und ihm das Versprechen abgenommen, immer zuerst bei Kamran anzurufen, wenn er ein Uber brauchte.

»Oh, du warst schon in London?«, fragte Kamran aufgeregt.

Ein Anflug von Traurigkeit legte sich über Elias' Gesicht. Er saß hinten im Wagen neben Ben und wenn Ben gewollt hätte, er hätte ihm die Hand drücken können. Aber natürlich machte er das nicht.

»Nein«, sagte Elias. »Ich wollte die Stadt schon immer besuchen, aber ich bezweifle, dass wir die Zeit dazu finden. Wir fahren nach unserer Ankunft direkt nach Wiltshire und haben kaum Gelegenheit zum Sightseeing.«

»Ah«, sagte Kamran und winkte ab, während er die Spur wechselte. Sein Fahrstil war ziemlich gewagt, aber er schien ein sehr guter Fahrer zu sein, der das Auto jederzeit unter Kontrolle hatte. Ben hielt sich trotzdem am Griff fest. »Ich wette, ihr findet etwas Zeit. Ihr könnt doch nicht den ganzen Weg über den Atlantik fliegen, ohne London zu besuchen! Ich wollte schon immer den London Dungeon sehen. Er ist eine Mischung aus Museum und Gruselkabinett. Sie zeigen lauter verrückte Methoden, Menschen umzubringen. Total schräg, ja?«

Kamran kicherte und Ben drehte sich der Magen um, wenn er nur daran dachte. Er atmete tief durch, um das Schwindelgefühl zu bekämpfen, das ihn überkam.

Zu seinem Schock griff Elias nach seiner Hand und drückte sie – so, wie Ben es sich bei ihm nicht getraut hatte. Es dauerte nur eine Sekunde, aber Bens Herz schlug einen Purzelbaum. Elias wollte ihn vermutlich nur beruhigen, damit er sich nicht übergeben musste. Trotzdem – Ben war ihm dankbar dafür.

Elias lächelte ihm verlegen zu und wandte sich dann an Kamran. »Es ist mehr eine Geschäftsreise. Aber wenn wir doch noch etwas Zeit finden, machen wir einen kurzen Besuch in der Stadt.«

»Schön«, sagte Kamran nickend und drehte an der Musikanlage. Ben zuckte zusammen, als das Auto vor ihnen plötzlich abbremste, aber Kamran wich geschickt aus, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Emery meinte, du besuchst deine Familie.« Er wackelte ihnen durch den Rückspiegel mit den Augenbrauen zu. »Wer wird welchen Eltern vorgestellt?«

»Was?«, stammelte Ben erschrocken. Hatte Emery ihn verraten? Ben hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

»Oh nein«, sagte Elias hastig und schüttelte den Kopf. »Wir sind nur Freunde. Ich reise gewissermaßen als Bens Rechtsberater mit nach England.«

»Ja. Es ist eine recht bizarre Aneinanderreihung von Ereignissen«, fügte Ben hinzu und wurde rot. »Ich… ich weiß nicht, wie Emery auf die Idee kommt, äh…«

Kamran zog eine Augenbraue hoch. »Mein Fehler«, sagte er und seine Mundwinkel zuckten. »Ich muss ihn missverstanden haben.«

Benn brummte und schaute einige Minuten stur aus dem Fenster, bis er sich nicht mehr wie ein menschlicher Lampion fühlte. Verdammter Emery. Ben hatte nicht über seine dumme Schwärmerei reden wollen, aber der Absinth hatte seinen guten Vorsatz boykottiert.

Nein, Emery würde ihn niemals so hintergehen. Kamran hatte wahrscheinlich zwischen den Zeilen gelesen und seine eigenen Schlussfolgerungen gezogen. Und dass diese Schlussfolgerungen irgendwie wahr waren, musste nichts bedeuten.

Als er einen Seitenblick auf Elias riskierte, war der mit seinem Handy beschäftigt, schaute aber lächelnd auf, bevor Ben den Blick wieder abwenden konnte. Bens Verlegenheit ließ sofort nach. Nicht viel, aber etwas. Mist. Er musste diese verqueren Gedanken abschütteln. Er hatte sich vor dieser Reise fest vorgenommen, dass nichts passieren würde. Es war also nur logisch, dass er auch seine Gefühle für Elias unter der Decke halten musste.

Elias erleichterte es ihm insofern, als er während der restlichen Fahrt nicht mehr nach Bens Hand griff. Sie kribbelte immer noch leicht, wo Elias sie berührt hatte. Was würde er nur darum geben, hier zu sitzen und Elias' Hand halten zu können wie ein richtiges Paar. Aber das war dumm. Dumm und kindisch. Elias war ein gebildeter Mann und nicht an Ben interessiert. Schön war es trotzdem gewesen – wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.

Die Situation war so fremd und neu für Ben, dass er sich nur noch unerfahrener vorkam als sonst. Es war Nachmittag und der Flughafen war voller Menschen. Überall herrschte hektische Betriebsamkeit. Ben stand auf dem Bürgersteig und drehte sich langsam um. Der Gestank der Abgase lag schwer in der kühlen Luft. Er achtete nicht auf Kamran, der ihr Gepäck aus dem Kofferraum holte und die Klappe zuschlug. Erst der laute Knall brachte Ben wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Also dann…«, sagte Kamran, während Elias ihm einige Geldscheine reichte. »Viel Glück und gute Reise, ihr beiden Spinner. Ich hole euch hier in zwei Wochen wieder ab. Schickt mir eine kurze SMS, falls sich eure Ankunftszeit ändert.«

Er salutierte, sprang wieder in seinen Wagen und der Motor jaulte so laut auf, dass einige Passanten erschrocken stehen blieben und ihm nachsahen, als er davonbrauste.

Jetzt waren Ben und Elias allein.

Natürlich waren noch Hunderte anderer Menschen hier, aber Ben wurde sich zum ersten Mal der Tatsache bewusst, dass sie die nächsten beiden Wochen ständig aneinanderkleben würden. Hoffentlich hatten sie mit dieser Reise nicht einen riesigen Fehler gemacht. Als er mit Emery gereist war, hatte er sich darüber keine Sorgen machen müssen. Emery war ein glitzerndes Energiebündel, immer beschäftigt und ruhelos. Aber Ben und Elias… sie waren beide sehr ruhige Menschen. Ben hoffte, dass sie die Unbeholfenheit bald abschütteln konnten, die während der Fahrt zwischen ihnen geherrscht hatte.

Er musste nicht lange warten, bis etwas passierte und ihn ablenkte.

»Oh, Mist«, murmelte er, als er am Check-in nach seinem Pass gefragt wurde. Er bückte sich, um sein Handgepäck zu durchwühlen. Ben wusste noch genau, dass er ihn beinahe vergessen hätte. Seine Mom hatte ihm den Pass nachgereicht, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wohin er das verdammte Ding gesteckt hatte.

Sein Gesicht brannte feuerrot. Elias beobachtete ihn. Nein, er würde nicht weinen. Nein! Wo konnte dieser dämliche Pass nur stecken?

»Hey«, sagte Elias und berührte ihn an der Schulter. Ben schaute auf. Elias hatte die Augenbrauen hochgezogen, schien aber nicht böse zu sen. »Hast du schon in deiner Jackentasche nachgesehen?«

Elias hatte recht. Er hatte es kaum gesagt, da fiel Ben ein, dass er den Pass in die Brusttasche seiner Jacke gesteckt hatte. Gott sei Dank. »Sorry, Sir«, sagte er verlegen und reichte ihn dem Mann hinterm Schalter. Dann packte er sein Handgepäck wieder ein.

Ben erwartete, dass Elias sich über ihn ärgern würde, aber als er sich vom Boden aufrappelte, gab Elias ihm nur ein Daumen hoch. Die Anspannung in Bens Brust löste sich wieder.

»Danke«, sagte er.

»Kein Problem«, sagte Elias schulterzuckend. »Ich bin schließlich hier, um mich um dich zu kümmern.«

Ben wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Er kam sich bemuttert vor und seufzte innerlich, weil er es lieber in einem anderen Kontext gehört hätte. Als Freund und Partner. Aber das war lächerlich.

Sie kamen relativ problemlos durch den Sicherheitscheck. Ben hatte vergessen, eine Wasserflasche aus der Tasche zu nehmen. Die Flasche fiel erst auf, als die Tasche durchleuchtet wurde, wurde ausgekippt und ihm leer zurückgegeben.

»Mann, die Fliegerei ist anscheinend wirklich nicht mein Ding«, sagte er lachend. Elias zuckte nur wieder mit den Schultern und grinste ihn an.

»Du hast Glück«, meinte er. »Je öfter man fliegt, umso langweiliger wird es. Ich bin froh, dass ich mit dir fliege. Es ist eine schöne Abwechslung, nicht allein unterwegs zu sein.«

Wahrscheinlich war es nur Einbildung, aber es kam Ben so vor, als wäre er nicht der Einzige, dem ein Schauer über den Rücken lief. Elias meinte vermutlich nur, dass es weniger langweilig war als seine normalen Geschäftsreisen. Das war alles. Es musste nichts mit Ben zu tun haben.

Oder?

Ben schüttelte den Gedanken ab. Hier herrschte so viel Betrieb, dass es leicht war, andere Dinge zu finden, mit denen er sich beschäftigen konnte.

Sie hatten schon sehr früh einchecken müssen, wie es für Transatlantikflüge vorgeschrieben war. Dadurch hatten sie jetzt noch viel Zeit totzuschlagen, bevor sie an Bord gehen konnten. Elias hatte das Laptop aufgeklappt und ging seine letzte Geschäftspost durch. Ben wollte nicht an ihm kleben wie ein liebeskrankes Hündchen. Also machte er sich zu einem Schaufensterbummel auf und besorgte ihnen zwei Becher Kaffee, den sie mit an Bord nehmen konnten. Er gab sich zwar Mühe, Elias nicht allzu offensichtlich anzuhimmeln, fühlte sich aber trotzdem geschmeichelt, als Elias sich so offensichtlich darüber freute, dass Ben sich noch daran erinnern konnte, wie er seinen Kaffee trank.

5,99 €