Mein zweiter Schlafgenosse war der Kalfaktor Herbst, mein Nachfolger im Namen, ich habe ihn früher schon kurz erwähnt. Mit ihm schloss ich zuerst im Bau eine Art Freundschaft, die aber bald deswegen in die Brüche ging, weil bei mir nicht das Geringste zu holen war. Herbst, ein junger Bursche von fünfundzwanzig Jahren, der aber schon über fünf Jahre in unserem Bau war und vorher schon eine zweijährige Gefängnisstrafe in einem Jugendgefängnis abgerissen hatte, war eigentlich von Beruf Schlächter und nicht frei von jener unbedenklichen Brutalität, die man manchen Männern dieses Berufes nachsagen zu können glaubt.
Er war ein großer, stämmiger Bursche, mit einem langen, fetten Gesicht, fast toten, starrenden Augen und rotblondem Haar, an dem er jeden Morgen mindestens eine Viertelstunde herum kämmte und bürstete, zum lebhaften, aber aus weiser Vorsicht stumm ertragenen Ärger von uns anderen, denen er dabei in der engen Zelle ewig im Wege stand.
Herbstens Bart aber, ehe er am Sonnabend unter dem »Clipper« fiel, einer Rasiermaschine, die statt der verbotenen Klingen eingeführt war, war brennend rot. Das gab Anlass zu mancher niederträchtigen Anmerkung über den Charakter unseres Essenkalfaktors, Anmerkungen, die leider nur zu viel Berechtigung hatten.
Mit einer schamlosen Unbedenklichkeit ließ sich Herbst von allen Seiten Tabak und Lebensmittel zustecken, Seife, Obst – ohne je an eine Gegenleistung zu denken. Dem, der ihm am Tage vorher eine ganze Handvoll Tabak geschenkt hatte, verweigerte er grob am nächsten Tag ein paar Krümel, auf denen der Rauchhungrige ein bisschen kauen wollte.
Seine Stellung als Kalfaktor gab ihm dieses Übergewicht. Ich lernte bald, mit scharfen Augen zu beobachten, bei wem der Kalfaktor die Essenskelle stärker füllte. In einem Haus, in dem der Hunger ein unbarmherziges Regiment führt, hat der Essenverteiler leicht regieren. An sich war es natürlich verboten, dass der Kalfaktor selbst das Essen ausgab, das gehörte zu den Pflichten der Beamten. Aber die Beamten hatten oft zu viel Rennerei, oder sie waren auch gleichgültig. In diesem Hause hätte ein Engel vom Himmel herabsteigen und das Essen austeilen können, es wäre doch gemurrt worden. So ging alles seinen alten Lauf, und der Kalfaktor Herbst wurde stets fetter dabei.
Die besten Geschäfte machte er aber beim Brotschneiden und -schmieren. Ich habe es schon gesagt, auch dabei sollte ein Beamter anwesend sein, aber Herbst nutzte jede kurze Abwesenheit des Oberwachtmeisters skrupellos aus und stahl Brot, Margarine, Marmelade. Da diese Lebensmittel ihm genau auf den Kopf zugewogen waren, musste er aus unseren Rationen entsprechend kürzen. Aber wenn er jedem Manne unter sechsundfünfzig auch nur zehn Gramm abzog, hatte er schon über ein Pfund Brot verdient, und an einem Pfund Brot kann man sich schon satt essen!
Das so gewonnene Brot fraß der Fette selbst, tauschte es auch, wenn er sehr in Not war, gegen Tabak, in der Hauptsache wanderte es aber zu jenem »Freunde« Kolzer, den ich schon einmal kurz erwähnt habe, als einen der beiden jungen Burschen, die unter uns ältere Männer einen Duft verderbter Liebe trugen. Kolzer war keine »Hure« wie etwa der junge Schmeidler, der sich an jeden verkaufte, er war seinem Freunde Herbst treu. Herbst führte freilich auch ein gestrenges Regiment über ihn, schlug ihn sogar manchmal, sobald er nach Herbstens Ansicht eine Dummheit begangen hatte, fütterte ihn aber auch bis zum Mästen und hielt ein wachsames Auge über ihn.
Kolzer, ein großer, kräftiger Junge mit dunkelblondem Haar, hatte ein nicht unschönes Gesicht, das aber stumpf und ohne Leben wirkte. Er war stark schwachsinnig, konnte weder lesen noch schreiben, hatte aber durch das unermüdliche Bemühen seines Freundes wenigstens »Mensch ärgere dich nicht« spielen gelernt. Aber so unentwickelt Kolzers Geist auch war, so gut verstand es der Junge, sich auf der Station durchzusetzen, und vor allem, sich dauernd von der Arbeit zu drücken. Immer hatte er kleine, nicht schmerzhafte Verletzungen oder geringe Fieberanfälle, die ihm das Arbeiten ganz unmöglich machten.
Unter den Kranken herrschte deswegen eine ständige Missstimmung, bei Schmeidler war es ja ganz ähnlich. »Die jungen starken Bengel sitzen im Bau, und die alten abgemergelten Männer müssen die Arbeit tun!«
Das war wohl wahr, aber Kolzer besaß auch einen mächtigen Fürsprecher in der Person seines Freundes Herbst, der ständig im Glaskasten aus und ein ging und der bevorzugte Nachrichtenträger des Oberpflegers war.
Kolzer also wurde mit Margarine- und Marmeladenschnitten gefüttert, und da man sich im Bau nie isolieren konnte, blieb es nicht aus, dass er von anderen Kranken oft beim Verzehr des Diebesgutes erwischt wurde.
»Heute hat der Kolzer wieder auf dem Klosett Brot gefressen, da war so dick Butter drauf!« (Die Margarine hieß im Haus nur »Butter«.) Dann tobte Herbst über die Lampenmacher.
Zur Rede gestellt vom Oberpfleger, erklärte er, dass er dem Kolzer nur die beim Brotschneiden abgefallenen Krumen gegeben habe, vielleicht sei eine abgebrochene Brotecke dabei gewesen, und die Margarine habe sich Kolzer vom Einwickelpapier abgekratzt … Im Übrigen, wenn es so weitergehe mit den Stänkereien, schmeiße er die Arbeit hin und gehe wieder in die Fabrik. Mochten die anderen doch sehen, ob sie seinen Posten besser versehen könnten. Er sei – hier nahm seine Stimme einen klagenden, weinerlichen Ton an – er sei immer ehrlich und anständig gewesen, aber das dürfe man eben in diesem Haus voller Banditen nicht sein! Nein, jetzt habe er es endgültig über, jetzt gehe er wieder in die Fabrik … Dann redeten ihm die Wachtmeister gut zu, und er blieb gnädig. Er hatte ja auch seine Vorteile: Er hielt auf sich, war sauber und trug unbedenklich den Beamten alles zu.
Zu seinen Gefährten aber war Herbst nach einer solchen Anzeige nicht weinerlich. In seiner Wut über die Denunziation verlor er jede Selbstbeherrschung; schneeweiß im Gesicht schrie er den anderen an und vergaß eine solche Beleidigung seiner »Ehrlichkeit« nie. Vor dem Schlagen nahm er sich höllisch in acht. Früher war er als gefürchteter Schläger öfter in Arrest gewandert, aber der Medizinalrat hatte ihm klargemacht, dass er nie auf eine Entlassung würde rechnen können, wenn er sich nicht zu beherrschen lerne. Und entlassen wollte Herbst unter allen Umständen werden. Die Entlassung war die eine große Hoffnung dieses fünfundzwanzigjährigen Menschen, der die entscheidenden sieben Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Für diese Entlassung hatte er das größte Opfer gebracht: Er hatte sich freiwillig entmannen lassen.
Er hatte seine Gefängnisstrafe wegen Sittlichkeitsvergehen mit jungen Burschen bekommen, und man hatte Herbst begreiflich gemacht, dass er nie auf die Freiheit würde rechnen können, wenn er nicht in diese Entmannung willige. Anderthalb Jahre hatte der junge Mensch mit sich gekämpft, dann hatte er eingewilligt. Zu der Zeit, da ich eingeliefert wurde, lag die Entmannung erst ein halbes oder gar nur ein Vierteljahr hinter ihm. Schon wurde er fett, sein Gesicht sah schwammig aus und war ungesund bleich. Die Augen blickten trostlos.
Aber er hoffte von Tag zu Tag auf die Entlassung, der Medizinalrat hatte sein Gesuch befürwortet, alle hatten es ihm gesagt. Da hatte er sich nun zu dieser schrecklichen Sache, der Entmannung, entschlossen, und noch immer war er nicht frei. Er wartete von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, aber der ersehnte Bescheid vom Generalstaatsanwalt kam nicht. Manchmal tobte Herbst: Man habe ihn richtig reingelegt, der Medizinalrat, der Oberpfleger, alle hätten sie ihn übers Ohr gehauen! Da sei er nun seine – Hoden los, und für was?! Für nichts, bloß damit die hohen Herren ihn auslachten!
Mittlerweile war es sonderbar, dass diese Entmannung nichts an seinen Gefühlen für Kolzer geändert hatte. Er war wie vorher sein Freund, sein einziger Umgang, sein Päppelbaby. Für ihn lebte er, nur an ihn dachte er. Hatte der Junge am Abend ein bisschen Fieber, redete Herbst bei unseren Einschlafgesprächen kein Wort mit; er hatte die Decke über den Kopf gezogen, aber er schlief nicht. Nein, vielleicht merkte Kolzer etwas davon, dass die Gefühle Herbstens für ihn sich jetzt verändert hatten, wir sahen nichts davon.
Am meisten von allen im Bau hasste Herbst den Schuster Buck, jenen eitlen, dummen und intriganten Menschen, der, wie ich im Falle Schmeidler erlebt hatte, die gleichen Neigungen wie Herbst hatte. Als an einem Abend der Schuster den Jungen Kolzer wegen heimlichen Brotessens im Glaskasten denunziert hatte, fiel Herbst, wohl ganz kopflos durch das lange, vergebliche Warten auf seine Entlassung geworden, über Buck her und schlug ihn windelweich.
Bei der nächsten Arztvisite wurde er vor den Medizinalrat gerufen und ihm eröffnet, seine bereits vom Generalstaatsanwalt verfügte Entlassung könne nun doch nicht erfolgen, da er durch diese Schlägerei völligen Mangel an Hemmungen, an Selbstbeherrschung bewiesen habe. Ich lasse es – einig diesmal mit dem ganzen Bau – dahingestellt, ob Herbst wirklich entlassen werden sollte, oder ob dies nur ein Vorgeben des Arztes war, um sich von einem Versprechen zu lösen, dessen Erfüllung sich durch die Haltung des Generalstaatsanwaltes nachträglich als sehr schwierig herausgestellt hatte. Jedenfalls wanderte Herbst statt in die ersehnte Freiheit erst einmal für vierzehn Tage in den Arrest und trat dann wieder seinen alten Posten als Kalfaktor an. Er war ein sehr schlechter Charakter, und doch musste ich die Haltung bewundern, mit der er diese fürchterliche Enttäuschung aufnahm. Er sprach nie wieder ein Wort von seiner Entlassung, er tat seine Arbeit fleißig, sauber und unredlich wie bisher, er lebte nur noch für den Bau.
Von meinem dritten Schlafgenossen, Holz mit Namen, weiß ich wenig genug zu berichten. Er war ein kräftiger junger Mann von etwa dreißig Jahren – jünger als seine Jahre aussehend, und man hätte den kleinen blonden Schnurrbart unter seiner Nase kokett nennen können, wenn sein maßlos trauriges Gesicht nicht jeden Gedanken an Koketterie verboten hätte. Er war erst ein gutes halbes Jahr in der Anstalt, kam aber direkt aus dem Zuchthaus, wo er sechs Jahre hatte verbringen müssen.
Da Qual entweder schwieg oder Unsinn redete, und da Herbst nur über sich, seinen Freund und die gehässigen Mitgefangenen reden konnte, wurde Holz mein Plaudergenosse für die zwei Stunden von halb acht bis halb zehn Uhr, die wir uns meist wachhielten, um morgens nicht gar zu früh aufzuwachen. Meist erzählte ich, oft von meinem früheren Leben, denn es war mir ein Bedürfnis, wenigstens einen Menschen davon zu überzeugen, dass ich einst in meinem Kreise ein wichtiger und angesehener Mann gewesen war. Oder aber ich erzählte ihm von den Nöten und Ängsten, in denen ich jetzt steckte, und es wäre wohl gut gewesen, ich hätte mehr auf Holzens einfache Ratschläge gehört.
»Kriech zu Kreuze vor deiner Frau, Sommer!« mahnte mich Holz oft. »Verlass dich nicht auf deinen Verstand und die juristischen Kniffe, darin sind dir die anderen doch über. Ich weiß, wie sie einem einfachen Menschen mitspielen können; du bist auch ein einfacher Mensch, Sommer. Der Medizinalrat wird dich immer wieder einpacken – und nun erst der Staatsanwalt! Geh auf alle Bedingungen ein, die dir deine Frau macht, verzichte selbst auf dein Eigentum, alles egal, nur sieh, dass du aus diesem Bunker rauskommst! Du ahnst noch nicht, was das heißt, lange zu sitzen. Schreib ihr, Sommer, schreibe ihr gleich morgen Mittag!« So sprach Holz mit seiner gleichmäßig ruhigen Stimme, die ohne jede Betonung war. Er als Einziger beharrte darauf, mich mit »du« anzureden und mit meinem Vornamen »Erwin«; mein »Sie«, bei dem ich mich freilich ihm gegenüber oft genug versprach, blieb ohne jeden Eindruck auf ihn.
Manchmal erzählte auch er. Aber nie von seiner Vergangenheit in der Freiheit, über sie erfuhr ich nur, dass er in Hamburg geboren und aufgewachsen war. Sonst nichts. Ich weiß nicht, was seine Eltern waren, was er gelernt hat, welche Straftaten (und es müssen schon schwere Straftaten gewesen sein!) ihn so lange ins Zuchthaus brachten.
Ich glaube, mir erzählte mal ein Beamter, dass Holz einmal ein berühmter Einbrecher war. Ich kann es kaum glauben. Er war so still, so einfach, ohne jede Initiative und Protest, ich traue ihm einfach nicht die Energie für diesen gefährlichen, Geistesgegenwart und rasche Entschlusskraft bedingenden Verbrecherberuf zu. Aber es ist ja immerhin möglich, dass die lange Zuchthauszeit ihn völlig verändert hat.
»Ich habe sechs Jahre Zuchthaus ohne eine Strafe, ohne eine Stunde Arrest abgerissen!«, sagte er mir einmal. So einfach er es sagte, es klang doch Stolz daraus. Am liebsten erzählte er von dieser Zuchthauszeit. Er berichtete mir von seinen Arbeiten, erzählte mir in aller Ausführlichkeit, wie er mit dem Weben von Matratzenstoff angefangen habe, dann zum Hemdenstoff übergegangen sei. Darauf sei er mit Strümpfestricken an der »Flachmaschine« beschäftigt worden – wobei ich mir unter einer Flachmaschine auch dann nur wenig denken konnte, als ich erfuhr, es gäbe auch eine »Rundmaschine«, auf der Strümpfe gestrickt wurden.
Nun kam eine der besten Zeiten Holzens im Zuchthaus: Er kam als Aufwäscher in die Küche. Dort hatte er zu essen, soviel er wollte, war mit Kameraden zusammen und bekam sogar alle Tage Weiber wenigstens zu sehen. Diese Weiber kamen aus dem nahe gelegenen Weiberzuchthaus, um das Essen zu holen. Trotz aller Aufsicht wurden Blicke und Briefe gewechselt, ja es gelang sogar, den Weibern Brot und Wurst und Margarine zuzustecken. Holz versicherte mir, dass er nur tat, was all’ seine Küchenkameraden taten, aber als diese Schiebungen herauskamen, luden die anderen alle Schuld auf ihn ab, und er wurde aus der Küche abgelöst.
Nur seine gute Führung rettete ihn vor einer Arreststrafe. Es folgte ein schreckliches Jahr: Holz musste in einer Einzelzelle alte Taue zu Werg zerrupfen – wie sehr ich bei der Erwähnung dieser Arbeit an Magdas rettenden Abschluss mit der Gefängnisverwaltung und an meine Hamburger Reise dachte! Schließlich kam Holz als nicht fluchtverdächtig auf Außenarbeit, die Zuchthauszelle sah ihn nur noch zum Schlafen, den ganzen Tag über wirkte er draußen im Freien auf den Feldern oder winters in einer Sägemühle. Von all diesen ganz einfachen Dingen erzählte Holz gern. Er wusste noch jedes Pensum, das ihm auferlegt worden war; Garne, die ihm bei der Verarbeitung Schwierigkeiten gemacht hatten, konnte er mir mit dem gleichen frischen Ärger schildern, den er vor Jahren wohl in seiner Einzelzelle empfunden.
Holzens Spezialität aber waren seine Berichte vom Essen. Da alle stets hungrig waren, redeten alle im Bau ständig vom Essen, dachten eigentlich nur daran. (Auch auf diese Seiten hat das abgefärbt!) Dieses Gerede vom Essen war wie eine Manie, es machte unsere Hungerqual nur noch größer, aber wir konnten es nie lassen. Holz war darin nun einfach Meister. Nicht, dass er sich etwa raffinierte Mahlzeiten ausgedacht hätte, bei denen einem das Wasser im Munde zusammenlief, nein, seine Schilderungen waren von biblischer Schlichtheit. Die Mahlzeiten, die er schilderte, waren einfacher selbst als das, was ein einfacher Arbeiter isst, es waren die Mahlzeiten, die er im Zuchthaus bekommen hatte.
Sein Kopf, den nie starke Gedankenarbeit beansprucht hatte, war ausgeruht genug, um mir jede Veränderung des im Allgemeinen gleichbleibenden Küchenzettels im Zuchthaus mitzuteilen; er wusste noch das Auf und Ab der Brotrationen; die Zahl der Pellkartoffeln, die ein Arrestgefangener mittags statt Brot bekam (acht bis vierzehn), und die Sonderzulagen in Brot, Wurst und Käse für Über- und Landarbeit. Er wusste alle Weihnachtsgeschenke noch. Und am beredtesten wurde er, wenn er mir schilderte, wie ein Bauer, zufrieden mit guter Mäharbeit, der Zuchthauskolonne dick mit »guter Butter« oder Schmalz bestrichene Stullen geschenkt hatte, dazu pro Mann fünf Zigaretten. Jedes derartige Erlebnis hatte sich tief in sein Gedächtnis eingegraben, und noch heute zitterte beim Bericht seine Stimme, als er mir erzählte, wie sein Magen einmal das ungewohnt fette Essen nicht vertragen, sondern wieder ausgebrochen habe.
So einfach waren Holzens Essenberichte, und doch lauschte ich ihnen immer wieder gerne, sie waren so rührend! Und es hungerte sich gut bei ihnen, weil sie so einfach waren. Wir aber konnten dabei immer wieder feststellen, dass ein Zuchthäusler ungefähr doppelt so viel Essen wie der Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt bekommt.
»Da siehst du es«, sagte dann Holz wohl, »wie sie uns beklauen! Aber was willst du machen? Ein Esel ist da zum Lastentragen und Prügeln, und wir sind noch schlimmer dran als ein Esel, der doch noch ein paar Mark wert ist. Bei uns sind sie nur froh, wenn wir tot sind.« Solche Worte sagte Holz ohne Anklage, ja, auch ohne Bitterkeit. Das waren für ihn selbstverständliche Feststellungen über den unabänderlichen Lauf der Welt.
Im Bau genoss der stille Holz einen guten Ruf, sowohl bei den Beamten wie bei den Gefangenen. Er war auch hier sofort »ohne Bewährungsfrist« auf Außenarbeit gekommen, er arbeitete für einen Bauunternehmer in einer Kiesgrube. Dabei kam er wohl viel mit »Zivilisten« zusammen und bekam mancherlei geschenkt. Immer hatte er für einen Kameraden zwei Streichhölzer oder ein Zwiebelchen übrig, und er war der vielbeneidete Besitzer eines Glases mit Salz, auch Muskat und Pfeffer besaß er. Damit verschönte er seine Wassersuppen.
Aus einer gefundenen alten Sardinenbüchse hatte er sich eine Reibe gemacht, indem er in ihren Boden mit einem Nagel Löcher geschlagen hatte, und auf dieser Reibe rieb er Petersilienwurzeln, Sellerieknollen, Mohrrüben, ja, wenn der Hunger sehr arg war, sogar rohe Kartoffeln. Mit all diesen Kleinigkeiten, die einem Menschen »draußen« ganz selbstverständlich erscheinen, verschönte er sich sein stilles, schlichtes Leben, brachte ein wenig Freude hinein, wusste immer etwas, auf das er sich freuen konnte. Er spielte nie bei einem Spiel mit, entweder, weil er es nicht konnte, oder nicht wollte, las nie eine Zeitung, hörte beim Radio nur die leichteste Tanzmusik an. »Das macht mir Laune!«, sagte er dann, in seinen Augen war ein wenig Licht, und er lächelte ein seltenes, rührendes Lächeln.
Alles in allem ein bescheidener, ruhiger Mensch – ich bin froh, dass ich mich nie ernstlich nach seiner Straftat erkundigt habe, ich möchte mir dieses Bild nicht schwärzen.