Loe raamatut: «Zehn Jahre später», lehekülg 7

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11. Kapitel. Karl II. in London

Monks Rückkehr ins Lager war für das ganze Heer ein freudiges Ereignis, denn man hatte ihn schon tot geglaubt. Die Stabsoffiziere umringten ihn, er aber schien sich zu ärgern über die große Freude, die ringsum herrschte. – »Wozu diese Aufregung?« rief er. »Habe ich denn von Schritt und Tritt Rechenschaft abzulegen?« – »Aber, Herr General,« antwortete ein Oberst, »die Herde kann in Schrecken geraten, wenn der Hirt fehlt.« – »Hol euch alle der Teufel,« versetzte Monk. »wenn ihr in Angst und Schrecken verfallt, sobald ich mal nicht da bin.« – Darauf zog er sich in sein Zelt zurück und kam erst nach ein paar Stunden wieder zum Vorschein, um einen Rundgang durch das Lager zu machen und seine und des Feindes Lage zu rekognoszieren. D'Artagnan begleitete ihn, und der General fand großes Gefallen an der Art und Weise, wie der kriegskundige Franzose die Mängel der feindlichen Stellung erörterte und den in Monks Schar herrschenden Geist pries.

Am folgenden Tage wurde zwischen Monk und Lambert ein Waffenstillstand vereinbart, der aber dem letzteren fast noch verhängnisvoller wurde, als eine offene Schlacht hätte werden können. Täglich liefen ganze Scharen von seinen Soldaten zu Monk über. Die Desertion griff in riesigem Maße um sich, und Lambert, der mit der Zuversicht ausgerückt war, Monks ganzes Heer zu verschlingen, sah seine Armee von Tag zu Tag in erschreckender Weise zusammenschrumpfen. Ehe der Waffenstillstand abgelaufen war, mußte er seine Sache verloren geben. Monk hatte einen Sieg errungen, der ebenso vollständig wie unblutig war. Das Lager wurde abgebrochen, der Marsch nach London angetreten. Mehr als je war nun Monk der Liebling des Parlaments, mehr als je war die große Menge des Volkes bereit, allen Entschließungen dieses erfolgreichen Verteidigers zuzustimmen. Und nun tat Monk jenen großen Wurf, der ihn für alle Zeiten in die glorreiche Reihe der Helden der Weltgeschichte stellt. Er vertrieb den Rest der Lambertschen Partei aus London und schlug sein Hauptquartier mitten in der Stadt auf. In einer Sitzung des Parlaments erklärte er, diese Regierungsform genüge nicht mehr den Bedürfnissen der Zeit und gebe keine Gewähr für eine gedeihliche Entwicklung des Staates. Diese Erklärung gab er unter dem Schutze von 50 000 Soldaten ab, und die Mehrzahl der Bevölkerung, 500 000 Bürger, stimmten ihm ohne weiteres bei. Umringt von einer jubelnden Menge, hielt er auf offener Straße hoch zu Roß.

»Bürger und Brüder!« rief er aus. »Karl II. betritt eben den Boden seines Landes. Ich ziehe ihm mit meinen Soldaten entgegen, um ihn zu empfangen und nach London zu geleiten. Wer mir ergeben ist, der folge mir!« – Und sie folgten ihm alle. – »Potzblitz!« murmelte d'Artagnan, der an seiner Seite hielt, »das war ein kühnes Wagestück.« – »Und auf solche verstehen Sie sich ja gut,« antwortete Monk und spielte damit zum erstenmal auf den Handstreich des Chevaliers an. – »Darf ich wissen, welche schriftliche Botschaft Sie dem Grafen de la Fère nach Holland mitgegeben haben?« fragte d'Artagnan. – »Ich habe kein Geheimnis vor Ihnen, lieber Chevalier,« sagte Monk. »Ich schrieb nur die Zeilen: In sechs Wochen erwarte ich Eure Majestät in Dover.«

*

König Karl hielt mit großem Pomp seinen Einzug in London. Er hatte seine Brüder zu sich gerufen und brachte Mutter und Schwester mit. Die Wiedereinsetzung des angestammten Herrscherhauses war ein Fest für alle drei Königreiche, obgleich das Volk Karl II. nur als den Sohn eines vom Volk gemordeten Mannes kannte. Der Zug war überaus prächtig, und schönstes Wetter begünstigte die Feier. Unter den englischen Trachten und Uniformen fiel die eines französischen Leutnants auf, der mit unverhohlener Ironie in das Treiben blickte und oftmals mit einem fast spöttischen Lächeln nach dem König selbst hinblickte.

»Fürwahr,« dachte d'Artagnan bei sich – denn er war dieser Franzose, »sie überschütten ihn mit Blumen. Wäre er zwei Monate eher gekommen, hätten sie ihn mit Bleikugeln überschüttet. Mich halten die Leute entschieden für etwas ganz Geringes. Für etwas Hohes halten sie nur den König, obwohl er zwölf Jahre verbannt war und fast das Leben eines Bettlers führen mußte. Allenfalls auch noch den General Monk, obgleich er die Reise nach dem Kontinent in einer Kiste gemacht hat.«

Während er solchen Gedanken nachhing, faßte ihn jemand von hinten am Arm. »Athos!« rief er aus. »Sie hier! Warum sind Sie nicht beim Gefolge? Warum reiten Sie nicht an der linken Seite des Königs wie General Monk an der rechten. Sie haben ihm doch ebenso große Dienste geleistet.« – »Ich gehöre nicht zum Gefolge und stehe nicht im Dienste des Königs,« antwortete Athos. »Als Repräsentant Frankreichs aber mich neben ihm zu zeigen, bin ich nicht befugt. Doch mir scheint gar, die glückliche Rückkehr Karls II. stimmt Sie traurig, statt Sie zu erfreuen. Dabei haben Sie in dieser Sache doch ebensoviel getan wie ich.« – »Wahrhaftig?« versetzte d'Artagnan. »Nun, soviel ich sehe, denkt kein Mensch mehr daran. Sie haben vollständig recht, obwohl ich mich nicht gern selbst lobe. Aber wenn alle andern meine Verdienste immer wieder vergessen, so kann ich selbst sie schon einmal ins rechte Licht rücken. Wenn ich General Monk nicht nach Holland geschleppt hätte, würde der König keine Gelegenheit gehabt haben, sich großmütig gegen ihn zu zeigen, und durch diese Großmut allein hat er Monk bewogen, für ihn einzutreten. Das ist sonnenklar, aber ebenso klar ist es, daß ich nun wieder abreise und daß der arme Planchet mir fluchen wird, weil ich ihn um einen Teil seines Vermögens gebracht habe.«

»Ei, was hat denn Planchet damit zu tun?« fragte Athos erstaunt. – »Lieber Freund, Monk bildet sich ein, den König zurückgerufen zu haben, Sie bilden sich ein, ihm die größte Hilfe geleistet zu haben, ich bilde mir ein, ebensosehr daran beteiligt gewesen zu sein, und er selbst bildet sich ein, durch geschickte Unterhandlung wieder auf den Thron gelangt zu sein – aber das alles ist nicht wahr. Die Wahrheit ist, der stolze König Karl II. ist durch einen ganz simpeln Tütchenkrämer namens Planchet wieder zu Ehren und Würden gelangt, denn wenn dieser Tütchenkrämer mir nicht 40 000 Livres zur Verfügung gestellt hätte, würde ich nie imstande gewesen sein, auf die Jagd nach dem General Monk zu ziehen.«

»Lieber Freund, sind Sie denn nicht mehr Philosoph?« entgegnete Athos. »Freut es Sie denn nicht, mir das Leben gerettet zu haben, als die verteufelten Parlamentssoldaten mich bei lebendigem Leibe braten wollten?« – »Gestehen Sie nur, es wäre Ihnen nicht so unrecht geschehen,« antwortete der Chevalier. – »Wie? wo ich doch dem König die Million gerettet habe!« – »Was für eine Million?« – »Nun, das letzte Geld Karls I., das er mir in seiner Todesstunde anvertraute.« – »So hat Karl II. eine Million? Dann sind Sie wohl Schatzmeister des Königs?« – »Meiner Treu, nein! Uebrigens ist die Million schon längst alle, sie hat sich in Samt und Seide und allerlei andere schöne Sachen aufgelöst.« – »Nicht Schatzmeister?« fragte d'Artagnan, »und auch überhaupt nicht bei Hofe? Dann hat der König gewiß auch Sie schon wieder vergessen. Mich sollte es nicht wundern. Man ist's allmählich gewöhnt geworden.«

»Er hat uns beide nicht vergessen, lieber Freund!« antwortete der Graf. »Und damit Sie über Ihre traurige Stimmung hinwegkommen, so begleiten Sie mich in mein Gasthaus. Wir trinken zusammen eine Flasche, gedenken der vergangenen Tage und richten einen heiteren Blick auf die Zukunft, die Ihnen wahrlich zu Unrecht so düster erscheint.« – D'Artagnan folgte ihm, und als er in Athos' Zimmer stand und sich umsah, rief er plötzlich: »Potzblitz! Das ist ja das Gasthaus ›Zum Hirschgeweih! ‹ Das ist ja dieselbe Stube –« – »Ja,« antwortete der Graf lächelnd, »das ist dieselbe Stelle, wo ich todmüde und verzweifelnd niedersank, als Sie am 31. Januar abends zurückkamen.« – »Nachdem ich die Wohnung des maskierten Henkers ausgekundschaftet hatte. Ja, das war ein entsetzlicher Tag!« Und der alte Haudegen sah sich mit Rührung in dem Gemach um, aber es hatte sich sehr verändert. Denn der ehemalige Wirt war reich geworden und hatte sich zur Ruhe gesetzt; der neue Besitzer hatte das Haus den Ansprüchen der Gegenwart entsprechend umgestalten lassen. Nur die alte Landkarte, die Porthos in seinen Mußestunden so gern studiert hatte, hing noch an der Wand. – »Elf Jahre sind seitdem verflossen!« murmelte d'Artagnan. »Mir ist's, als wäre es eine Ewigkeit!« – »Und mir ist's, als sei alles erst gestern gewesen,« antwortete Athos lachend. »Wie freue ich mich, daß Sie bei mir sind, und daß wir mal eine Flasche Sherry leeren können, ohne wie die Windhunde auf der Lauer liegen zu müssen. Ach, säße doch auch Rudolf, mein geliebter Rudolf, jetzt bei uns!«

Während sie beim Glase saßen, trat der Wirt heran und überreichte Athos einen Brief. – »Von Parry!« sagte dieser. »Sehen Sie, d'Artagnan, der König denkt an uns.« – »Das würde höchstens beweisen, daß er an Sie denkt,« versetzte der Chevalier mißmutig. »Lesen Sie!« Athos öffnete das Schreiben; es lautete: »Herr Graf! – Der König hat es tief bedauert, daß Sie heute beim Einzuge nicht an seiner Seite waren. Er erwartet Sie heute abend zwischen neun und elf im Saint-James-Palast.« – »Sie haben schon immer mehr Glück gehabt als ich,« sagte d'Artagnan bitter. – »Aber, lieber Freund, ich nehme Sie selbstverständlich mit,« rief Athos. Ich werde dem König sagen –« – »Nein, nein,« unterbrach ihn der andere mit Stolz, »wenn es etwas Schlimmeres gibt, als selbst betteln, so ist es, durch andere betteln lassen.«

In diesem Augenblick trat der Wirt abermals ein und überreichte einen zweiten Brief, der an d'Artagnan adressiert war und die Worte enthielt: »Herr Chevalier! Der König hat Sie heute in seinem Gefolge vermißt. Und ich ebenfalls. Majestät erwartet mich heute abend um neun im Saint-James-Palast. Ich fordere Sie auf, mich zu begleiten. Die Audienz ist bewilligt. Monk.«

*

Die beiden Freunde gingen zusammen zum Palast. Die Korridore waren von Höflingen und Bittstellern angefüllt. Alle Anwesenden musterten mit Erstaunen die fremden Gewänder der unbekannten Männer, deren edle, ausdrucksvolle Züge allgemein auffielen. Am Ende des Korridors entstand eine Bewegung. General Monk erschien in Begleitung von zwanzig Offizieren. Sofort war er von einer Schar von Höflingen umringt, die sich durch ihn den Weg zur königlichen Gunst zu bahnen gedachten.

»Sie vergessen, meine Herren,« sagte er in der ihm eignen Derbheit, »ich bin nichts mehr. Vor kurzem noch befehligte ich die Armee der Republik, jetzt aber habe ich den Oberbefehl an den König abgetreten.«

Nach einem Weilchen öffnete sich die Tür der Innengemächer, und Karl II. erschien auf der Schwelle und fragte nach dem General. Als er ihn erblickte, eilte er auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »General,« rief er laut, »ich habe eben das Diplom unterzeichnet, das Sie zum Herzog von Albemarle ernennt. Es ist mein Wille, daß in meinem Reiche keiner Ihnen an Macht und Reichtum gleichkomme; denn keiner, den edlen Montrose ausgenommen, ist Ihnen an Redlichkeit, Mut und Begabung gleich. Meine Herren, der Herzog von Albemarle ist Oberbefehlshaber unserer Land- und Seemacht. Sie haben ihm, meine Herren, Folge zu leisten.« – Während die Anwesenden sich tief verneigten, raunte d'Artagnan dem Grafen zu: »Sollte man es glauben, daß dieses Herzogtum und dieser Oberbefehl zu Wasser und zu Lande in einer sechs Fuß langen und drei Fuß breiten Kiste Platz gehabt hat?« – »Freund, es haben noch weit imposantere Größen in noch weit kleineren Kisten – und zwar für immer – Platz,« murmelte Athos.

Der König schritt weiter, und Monk trat zu den beiden Franzosen. »Sie haben ja Audienz,« sagte er. »Treten Sie in dieses Kabinett.« – In diesem Augenblick sah der König sie und eilte herbei. »O, meine Franzosen!« rief er. »Nein, Monk, gleich in mein Arbeitszimmer! Ich habe jetzt Zeit für diese Herren.« – Er entließ sein Gefolge und trat mit den beiden Freunden ein. – »Herr Chevalier d'Artagnan,« begann er, »es freut mich, Sie wiederzusehen. Sie haben mir einen sehr wichtigen Dienst geleistet, und ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Wenn ich nicht fürchtete, die Befugnisse meines Oberbefehlshabers zu beeinträchtigen, so würde ich Ihnen in meiner Umgebung einen Ihrer würdigen Posten verleihen.« – »Majestät,« antwortete d'Artagnan, »als ich aus französischen Diensten schied, habe ich gelobt, nie einem andern König zu dienen.« – »Schade,« sagte der König. »Ich hätte gern viel für Sie getan. Sie gefallen mir. Sehr schade – doch ist dann ja wohl nicht weiter darüber zu reden,« und er überließ d'Artagnan einer schmerzlichen Enttäuschung. – »Worte! Worte! Hofweihwasser, ich wußte es wohl!« murmelte dieser. »Könige haben ein großes Talent, Anerbietungen zu machen, von denen sie im voraus wissen, daß man sie ablehnen muß. Das ist eine billige Weise, sich großmütig zu zeigen. O, wie dumm von mir, auch nur aus einen Augenblick Hoffnung zu hegen.«

Der König hatte sich inzwischen an Athos gewendet. »Graf, Sie waren mir ein zweiter Vater und haben mir einen unbezahlbaren Dienst geleistet. Mein Vater hat Sie schon zum Ritter des Hosenbandordens ernannt; das ist eine Ehre, deren sich nicht einmal alle Könige Europas rühmen können. Desgleichen tragen Sie den Orden vom heiligen Geiste; ich füge nun noch den des Goldenen Vlieses hinzu.« Mit diesen Worten nahm er den Orden von seinem eignen Halse und hängte ihn dem knieenden Athos um. »Herr Herzog,« wendete der König sich abermals an Monk, »ich vergaß noch eins: Sie sind zum Vizekönig von Irland und Schottland ernannt.« – Der Herzog ergriff des Königs Hand, tiefbewegt durch diese Gunstbezeugung, die alle seine Erwartungen, wenn er überhaupt solche gehegt hatte, weit übertraf. »Und nun wäre nur noch eins zu erledigen. Sie wohnen mit dem Chevalier d'Artagnan zusammen, nicht wahr?« – »Ja, ich bot ihm ein Zimmer in meinem Hause an,« sagte Monk. – »Und das ist auch in der Ordnung,« meinte der König lächelnd. »Sie sind ja noch immer der Gefangene des Chevaliers. Aber seien Sie ohne Sorge, ich werde Ihr Lösegeld bezahlen.« – D'Artagnan spitzte die Ohren, seine Augen leuchteten wieder. – »Der General,« fuhr Karl II. fort, »ist nicht reich und könnte nicht soviel zahlen, wie er wert ist. Jetzt, wo er Vizekönig ist, ist sein Wert aber so sehr gestiegen, daß auch ich nur das zahlen möchte, was er als General wert war. Also haben Sie Nachsicht mit mir, d'Artagnan. Wieviel bin ich Ihnen schuldig?«

»Als ich ihn gefangennahm,« antwortete d'Artagnan, »hatte ich es ja auch nur mit dem General Monk zu tun, also steht mir auch nur das für einen General übliche Lösegeld zu. Der General möge mir seinen Degen geben, und ich bin befriedigt; denn nur sein Degen ist soviel wert wie er selbst.« – »Ein wackres Wort,« rief der greise Feldherr, den Degen ziehend. »Hier ist er, Chevalier. Sie sind der erste, dem er überliefert wird.« – »Ei, ei!« rief Karl II. »Ein Degen, der einem König auf den Thron geholfen hat, muß unter den Kronjuwelen glänzen. Chevalier, verkaufen Sie mir diesen Degen für 200 000 Livres. Wenn das zu wenig ist, so sagen Sie es.« – »Es ist zu wenig,« sagte d'Artagnan ernst. »Der Degen ist mir nicht feil, und nur weil Eure Majestät ihn durchaus haben wollen, lasse ich mich auf ein Gebot ein. Die Achtung vor dem berühmten Krieger, dem die Waffe gehört, verlangt es, eine höhere Summe zu fordern. Zahlen Sie 300 000 Livres – oder nehmen Sie ihn geschenkt.« – Er reichte den Degen dem König. Karl II. lachte und schrieb eine Anweisung auf 300 000 Livres. D'Artagnan wendete sich, das Papier in der Hand, zu Monk. »Ich weiß, ich habe es billig gemacht,« sagte er, »aber ich kann nun einmal nicht habgierig sein.« – Der König lachte so herzlich, wie der zufriedenste Bürger seines Reiches. – »Meine Herren,« sagte er, »ehe Sie heimreisen, kommen Sie noch einmal her. Ihnen, Herr Graf, habe ich noch eine wichtige Botschaft zu übertragen. Und nun leben Sie wohl!«

»Sind Sie jetzt zufrieden?« fragte Athos draußen seinen Freund. – »Es ist noch nicht aller Tage Abend,« antwortete dieser. »Noch war ich nicht beim Schatzmeister. Das hier ist vorderhand bloß ein Stückchen Papier.«

12. Kapitel. D'Artagnan als reicher Mann

Der Chevalier bekam sein Geld in klingender Münze ausgezahlt, und so gut er sich sonst zu beherrschen wußte, ging diesmal doch die Freude, plötzlich ein reicher Mann geworden zu sein, mit ihm durch, hatte er doch noch nie so viele Rollen Münzen auf einmal gesehen! In seiner Wohnung schloß er sich ein und vergaß über der Betrachtung seines Reichtums das Zubettgehen. Alsbald stellten sich die Schattenseiten so großen Besitzes bei ihm ein, denn er schwebte in beständiger Furcht vor Dieben und zerbrach sich den Kopf darüber, wie und wo er sein Geld am sichersten verwahren könne. Er getraute sich nicht mehr aus dem Zimmer heraus und bat schließlich Athos, ihm Grimaud zu leihen, der nun als Wächter bei dem Schatze zurückgelassen wurde.

Die beiden Freunde begaben sich zum Saint-James-Palast, um von König Karl II. Abschied zu nehmen. – »Sie haben keine Ursache, mir zu danken, Chevalier,« sagte der König. »Die Geschichte von der Kiste, in die Sie den General gepackt haben, ist viermal so viel wert, wie Sie bekommen haben. Uebrigens, hat Monk Ihnen wirklich schon verziehen? Es war ein Teufelsstreich, den ersten Mann der englischen Revolution einzupacken wie einen Hering. Ich würde an Ihrer Stelle, Herr Chevalier, auf meiner Hut sein. Monk nennt Sie ja seinen Freund, aber seine tiefen Augen deuten auf ein gutes Gedächtnis und seine hochgeschwungenen Brauen auf einen stolzen Charakter. Nun, ich werde versuchen, Sie vollends auszusöhnen.«

»Sie jagen mir einen großen Schreck ein, Majestät,« antwortete d'Artagnan ernsthaft bestürzt. »Tun Sie lieber nichts in der Sache; denn wenn Sie es in der Tonart anfangen, wie jetzt eben, dann läßt mich der Herzog ermorden. Ich möchte diese Unterhandlung schon persönlich führen. Das beste wäre freilich, ich nähme meinen Abschied, und wenn Eure Majestät mir nichts weiter zu befehlen haben –« – »Ich wünsche nur noch, daß Sie zu meiner Schwester, Lady Henriette, gehen. Sie muß Sie kennen lernen – sie muß im Notfall auf Sie zählen können. Parry!« rief er hinaus, und der alte Diener erschien. »Was macht Rochester?« – »Er macht mit den Damen eine Spazierfahrt auf dem Kanal,« antwortete Parry. – »Und Buckingham?« – »Ist mit dabei.« – »Schön. Führe den Chevalier zu Villiers und ersuche den Herzog von Buckingham, ihn meiner Schwester vorzustellen. Und danach, Chevalier, können Sie abreisen, sobald es Ihnen beliebt. Eins meiner Kriegsschiffe steht Ihnen zur Ueberfahrt zur Verfügung. Graf de la Fère wird mit Ihnen fahren. Und nun leben Sie wohl! Behalten Sie mich lieb, wie auch ich Ihnen stets von Herzen gut sein werde.«

*

Auf dem dunkeln Wasser des Kanals glitt majestätisch eine lange, flache Barke dahin, über der die englische Flagge wehte. Ueber der Mitte des Fahrzeugs erhob sich ein Baldachin, das Innere war mit Damast ausgeschlagen, dessen Fransen im Wasser schleppten. Acht Ruderer bewegten das glänzende Prunkschiff, das eine zahlreiche, lustige Gesellschaft trug. Den Ehrenplatz unter dem Thronhimmel hatte Lady Henriette Stuart, die Enkelin Heinrichs IV., die Tochter Karls I., die Schwester Karls II., inne. Um sie herum saß eine Schar von Hofherren und Damen. Vier Lautenschläger und zwei Sänger erfreuten das Ohr der Herrschaften. – Die Prinzessin, die mit ihrer Mutter zusammen im Louvre zu Paris lange Zeit hatte darben müssen, war aus dem schrecklichen Traum dieses Elends erwacht und zu Macht und Reichtum zurückgekehrt. Keine Spur der Not, die sie kennen gelernt hatte, war auf dem schönen Antlitz zu erkennen, und die stolze, edle Gestalt schien nie das Joch der Armut kennen gelernt zu haben.

Zwei Herren standen in ihrer unmittelbaren Nähe: Lord Villiers von Buckingham, der Sohn des berühmten Herzogs gleichen Namens, des Günstlings der Anna von Oesterreich, und Vilmot von Rochester. Beide bemühten sich um die Wette, die Prinzessin zu unterhalten, die ebenso kokett wie schön war und, noch frei von aller Liebe, mit den Kavalieren ihrer Umgebung ein grausames Spiel zu treiben pflegte. – »Lassen Sie umkehren, Mylords,« rief sie. »Meine Mutter erwartet mich, und es wird mir nun auch langweilig.« – Das war ein hartes Wort. Buckingham biß sich auf die Lippen; denn er liebte Lady Henriette in allem Ernst und nahm sich daher alles zu Herzen, was sie sagte; Rochester biß sich ebenfalls auf die Lippe, aber da bei ihm die Vernunft stets die Oberhand hielt, so geschah es nur, um sich ein spöttisches Lachen zu verbeißen. Die Prinzessin ließ den Blick über den Rasen des Ufers schweifen und erblickte die Gestalten Parrys und d'Artagnans. – »Wer kommt dort?« fragte sie. – »Es ist nur Parry,« wurde ihr geantwortet. – »Nur Parry?« erwiderte sie. »Will man damit sagen, er sei keine wichtige Person? Er hat sich's in unserm Dienst sauer werden lassen, und ich sehe ihn jederzeit gern. Aber von den hohen Herren werden treue Diener gern rücksichtslos behandelt. Es scheint, er will mich sprechen. Lassen Sie landen, Mylords.«

Eine Minute später legte die Barke an. Lady Henriette nahm Lord Rochesters Arm, obwohl Buckingham ihr den seinen bot, und eilte über die Brücke ans Ufer. »Parry,« rief sie, »guter Parry, ich sehe, du suchst mich. Komm hierher. Seine Augen sind schwach geworden,« setzte sie zu Lord Rochester hinzu. – »O, dafür hat der Mann, der bei ihm ist, umso schärfere. Sie funkeln ja wie das Feuer eines Leuchtturms.« – »Ein imposantes, martialisches Gesicht,« sagte die Prinzessin, »wie man sie nur in Frankreich sieht.« – Rochester und Buckingham bissen sich abermals auf die Lippe.

Parry näherte sich langsam mit der Schwerfälligkeit des Alters der Prinzessin, d'Artagnan schritt würdevoll und selbstbewußt daher, wie es dem Besitzer von 300 000 Livres geziemt. Buckingham schritt ihnen entgegen, und an ihn richtete der alte Diener das Wort. »Wollen Eure Herrlichkeit dem Wunsche des Königs gemäß diesen Herrn der Lady Henriette Stuart vorstellen?« – »Wen habe ich vorzustellen?« fragte der junge Lord in hochfahrendem Tone. – D'Artagnan, leicht erregbar, wie er war, nahm an diesem Ton Anstoß. Mit flammensprühenden Augen sah er den Höfling an. »Den Chevalier d'Artagnan,« antwortete er kurz. – »Ist das alles?« versetzte der Engländer. – »Sie kennen mich nicht?« fragte der Franzose. »Nun, ich habe Ihren Vater sehr gut gekannt.« – Der junge Lord schwieg betroffen, dann sagte er: »Ach, ich glaube mich zu erinnern. Sie sind einer der Franzosen, die mit meinem Vater in geheimer Verbindung standen, nicht wahr? Sie sind es, der meinen Vater kurz vor seinem Tode warnte, und den er so lange vergebens gesucht hat, obwohl Sie doch so viel von uns zu erwarten hatten.« – »O, das Erwarten habe ich in meinem Leben gründlich gelernt, Mylord,« antwortete der Chevalier spöttisch, »ich habe gar vieles erwartet, das nie eingetroffen ist. Doch ich bitte, mich der Prinzessin vorzustellen – sie wundert sich über unser langes Zwiegespräch.«

Buckingham führte ihn zu Lady Henriette. »Majestät haben befohlen, Sie mit dem Chevalier d'Artagnan bekannt zu machen.« – »Damit Königliche Hoheit im Fall der Not einen zuverlässigen Freund und eine feste Stütze haben,« setzte Parry hinzu. »Majestät wünschen, Sie möchten sich nicht nur des Namens, sondern auch der Verdienste dieses Herrn erinnern; Majestät verdanken ihm den Thron.« – Lord Buckingham, Lord Rochester und die Prinzessin sahen sich erstaunt an. – Buckingham half über das peinliche Schweigen hinweg. – »Auch ein alter Bekannter meines Vaters,« sagte er, »und ich hoffe, er wird sich auch mir, dem Sohne, wenn ich einmal nach Frankreich komme, gewogen zeigen.« – »Und nach Frankreich werden Sie kommen, ich stehe Ihnen dafür.« sagte D'Artagnan lächelnd. – »Wieso?« – »O, ich besitze in solchen Dingen eine gewisse Sehergabe, und was ich prophezeie, trifft fast immer ein. Wenn Sie in Frankreich sind, werde ich es mir zur Ehre anrechnen, Ihnen meine Dienste anbieten zu dürfen. Mylady,« wendete er sich zur Prinzessin, »Sie sind eine Tochter Frankreichs, und ich hoffe, auch Eure Hoheit in Paris wiederzusehen. Es soll mich glücklich machen, dann mit einem Auftrag beehrt zu sein, der mir beweist, daß Seine Majestät mich nicht umsonst seiner erlauchten Schwester empfohlen hat.« – Er verneigte sich vor der schönen Prinzessin, die ihm die Hand zum Kusse reichte. – Buckingham seufzte, als er dies sah. – »O, Mylady,« sagte er, »was muß ich tun, um von Eurer Hoheit die gleiche Gunst zu erlangen?« – »Fragen Sie Chevalier d'Artagnan,« antwortete sie. »Er wird es Ihnen sagen können.«

Als d'Artagnan an diesem Tage heimkehrte, machten ihm die Worte, die der König über den General Monk gesprochen hatte, viel zu schaffen. Wenn Monk wirklich nach Rache trachtete, was ja bei der Unberechenbarkeit dieses Charakters immer möglich war, so würde gewiß Karl II. nicht zaudern, den ihm verhältnismäßig fernstehenden Chevalier dem Zorn seines ersten Staatsmannes zum Opfer fallen zu lassen, und nichts zur Rettung des Franzosen oder gar zur Sühne seines Mordes unternehmen. Monk konnte ganz ungestraft den Mann beseitigen, der ihn wie einen Hering in eine Kiste gepackt hatte, das wußte d'Artagnan recht wohl. – »Ich muß mich mit ihm aussöhnen,« dachte er, »und mich davon überzeugen, ob er sich über das Geschehene schon völlig hinweggesetzt hat.«

Er begab sich sogleich in Monks Wohnung und traf ihn in seinem Arbeitszimmer. – »Mylord,« begann er das Gespräch, »ich möchte Sie um einen guten Rat bitten.«

»Lassen Sie hören, Chevalier,« antwortete Monk. – »Seine Majestät der König beliebt manchmal zu scherzen, und Sie wissen, Kriegsleute wie wir können das in gewissen Fällen schlecht vertragen.« – Monk erriet, worauf sich diese Worte bezogen. Eine leichte Röte seiner Wangen verriet dies. Er antwortete jedoch so unbefangen wie möglich: »Ich selbst bin ein Freund der Scherze. Mir hat es seinerzeit sogar Spaß gemacht, die Spottlieder anzuhören, die in Lamberts Lager auf mich gesungen wurden.« – »Ich weiß, Mylord, Sie sind über Kleinlichkeiten erhaben, aber mich berühren Scherze, die sich gegen meine Freunde richten, doch immer schmerzlich. In diesem Falle handelte es sich um Sie, Mylord. Wie kann der König über Sie, der Sie ihm so große Dienste leisten, solche Scherze machen? Wie kann es ihm Vergnügen bereiten, einen Löwen wie Sie mit einer Mücke, wie ich bin, zu ärgern. Wenn nun auch andere von diesem Geheimnis erführen –«

»Von der Geschichte meiner Gefangennahme,« rief Monk. »Das war gut gemacht und damit basta! Sie sind ein Kriegsmann und haben bewiesen, daß Sie ebensoviel Schlauheit wie Tapferkeit besitzen. Es war meine Sache, auf der Hut zu sein – weiter ist darüber nichts zu sagen.« – »Sehr wohl, Mylord,« antwortete d'Artagnan; »wenn es nur nicht gerade eine Kiste gewesen wäre, mit Luftlöchern für Nase und Mund. Wahrlich, Mylord, wenn der König redete, es wäre furchtbar. In eine Kiste gesperrt zu werden, das ist keine Sache für einen Mann, der mit Krone und Szepter spielt wie ein Zigeuner mit bunten Kugeln. Sie begreifen, Ihre Feinde würden sich weidlich daran ergötzen.« – »Beruhigen Sie sich,« versetzte Monk, sichtlich aus der Fassung gebracht, »der König wird nicht darüber sprechen und keinen Scherz mit meiner Person treiben, ich bürge Ihnen dafür. Auch hat er ein zu gutes Herz, um so zu handeln. In Ihre Verschwiegenheit, Chevalier, setze ich fast noch weniger Zweifel.«

»Was meine Person anbetrifft, Mylord, so können Sie ruhig sein, aber leider war ich bei dem Unternehmen nicht allein,« sagte d'Artagnan, »und meine Begleiter wußten auch, wen ich gefangen hatte. Ich fürchte nun, daß sie in meiner Abwesenheit – ja, wenn ich selbst dort wäre, so könnte ich dafür sorgen, daß – kurz und gut, Mylord, wäre es nicht geraten, daß ich so bald wie möglich zurückkehrte?« – »Gewiß, wenn Sie meinen, daß Sie persönlich diese Schnapphähne im Zaume halten können. Gehen Sie nach Frankreich zurück, Chevalier, und da Sie ein liebenswürdiger Kavalier von Geist und Mut sind, so nehmen Sie von mir ein Andenken an, durch das England Ihnen ans Herz wachsen soll, durch das Sie sich bewogen fühlen sollen, bald einmal wiederzukommen. Ich besitze am Clyde-Flusse ein kleines Landhaus mit hundert Morgen Landes. Nehmen Sie es zum Geschenk an.« – »O Mylord –« – »Sie werden dann dort eine Ihnen allzeit offene Zufluchtsstätte haben –« – »Ich sollte Eurer Herrlichkeit so sehr verpflichtet sein, Sie beschämen mich, Mylord.« – »Im Gegenteil, Chevalier,« antwortete Monk, »ich bin Ihnen großen Dank schuldig. Ich setze sogleich die Schenkungsurkunde auf,« und er drückte ihm die Hand und verließ mit ihm das Zimmer.

»Ein wackrer Mann!« murmelte d'Artagnan. »Nur schade, daß er das nur aus Furcht vor mir, nicht aus wahrer Zuneigung tut. Nun, die Zuneigung werde ich mir auch noch erwerben. Doch wozu?« beruhigte er sich, »er ist ja ein Engländer! –Da wäre ich denn nun Grundbesitzer,« setzte er sein Selbstgespräch fort. »Das ist ein Gewinst, den ich nicht mit Planchet, dem Krämer, zu teilen habe. Das hat mir ganz allein mein Genie eingebracht.« – Er kehrte zu Athos zurück, und beide Freunde speisten in guter Laune zusammen. Noch am Abend traf vom König die Erlaubnis zur Abreise ein, und gleichzeitig schickte Monk dem Chevalier die Schenkungsurkunde, die der vorsichtige und großmütige Mann in der Form einer Verkaufsakte, mit einer Quittung über gezahlte 15 000 Livres, abgefaßt hatte. Athos erhielt mehrere Dokumente, die den geheimen Auftrag betrafen, welchen König Karl II. ihm erteilt hatte. – »Ich darf also nicht wissen, was Sie da erhalten haben, Athos?« fragte d'Artagnan. »Es gab eine Zeit, wo Sie derlei Papiere offen auf den Tisch gelegt und zu mir gesagt hätten: d'Artagnan, lesen Sie das Geschreibsel Porthos und Aramis vor.« – »Das stimmt, Freund,« antwortete Athos, »aber das war die Zeit des jugendlichen Vertrauens. Hier liegt die Sache ein wenig anders, und ich kann, ich darf nicht –« – »O, beruhigen Sie sich,« lachte d'Artagnan, »mir sind von jetzt ab auch alle geheimen Sendungen der Welt höchst gleichgültig.« – – – –

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