Loe raamatut: «k-punk», lehekülg 30

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Teil 5

Ein Jahr später 331

K-PUNK IST EIN JAHR ALT!

Im Gegensatz zur Plage des Miserabilismus, die über die Blogosphäre hernieder ging (wie man an Robin sieht), weiß ich GENAU, warum ich blogge …

Fast das ganze letzte Jahr, vor allem als es WIRKLICH SCHLECHT lief, war das Blog meine einzige Verbindung zur Außenwelt, mein einziger Kommunikationskanal …

Es hat meinen Enthusiasmus für so viele Dinge wiederhergestellt und Begeisterung für Sachen geweckt, über die ich vorher noch gar nicht nachgedacht habe … (das sage ich vor allem in Richtung des gerade desillusionierten Marcello, der an beidem beteiligt war; ich erinnere mich daran, wie ich aus einer katatonische Depressionen letztes Jahr herauskam, als ich das ganze Archiv von Church of Me gelesen habe.)

Ich habe sehr viele wertvolle Freundschaften geschlossen, sowohl online als auch (dank der wunderbaren Spaziergänge mit Luke) offline … Außerdem habe ich die Verbindung zu Freuden wieder aufgenommen, mit denen ich den Kontakt verloren hatte. (Klar, es gibt den gelegentlichen Wichser, aber ich kann ehrlich sagen, dass es sehr wenige sind, fast niemand eigentlich, auf jeden Fall sehr viel weniger als die vielen ausgezeichneten, hochqualitativen Korrespondenzen, die ich hatte.)

Kurz und ohne Übertreibung gesagt, es hat das Leben lebenswert gemacht …

Ich weiß, dass es ein schreckliches Klischee ist, aber es stimmt, ein Blog ist, was man draus macht …

Deswegen danke ich von Herzen all denen, die daran beteiligt waren, in dem sie es verlinkten, kommentierten, lasen oder inspirierten …

Chronische Demotivierung 332

Was soll das Gute am Kiffen sein? Das Problem sind nicht nur die dadurch verursachten Psychosen, sondern der ZUSTAND, in den es die Leute versetzt – chronisch demotiviert, lethargisch, immer voll von jener idiotisch-schweinischen Selbstzufriedenheit, die das dialektische Gegenteil der Paranoia ist. »Lieber unzufrieden wie Sokrates als zufrieden wie ein Schwein …«: Nicht so bei Kiffern, die sich einzig dem Lustprinzip verschrieben haben, dem kürzesten Weg zur totalen Entspannung. Denken, Denken ist anstrengend, Alter, hör auf, mich zu unterdrücken, lass mich einfach hier sitzen und dumm rumlabern, denn das ist kreativ, okay, mach mir die Stimmung nicht kaputt, sondern kauf mir ein paar Kekse, wenn du in die Stadt gehst, ja?

Was könnte ein besserer Beweis für Lacans These sein, dass das Nirvanaprinzip – der Drang nach der Auflösung aller Spannung – kein Ausdruck des Todestriebes ist, sondern die höchste Form des Lustprinzips? Der Kifferrausch möchte die Spannung vermeiden, möchte ein Zom­biekonsument werden, zum Kühlschrank oder zum Spätverkauf stolpern, um den konstanten Hunger des Wolframkarbidmagens des Kapitals333 zu stillen, den das Kiffen in dir geweckt hat.

Das Fleisch und alles, was es möchte …

Das Denken jedoch beginnt jenseits des Lustprinzips. Wie Houellebecq mit Bezug auf Lovecraft schreibt, sind nur diejenigen mit dem Leben unzufrieden, die lesen und denken möchten. Was für die Sklaven des Lustprinzips wie die Einführung eines dissonanten, dysfunktionalen Elements wirkt (Hey, unendliches Denken, warum gehst du in die Bibliothek? Warum hängst du nicht mit uns hier rum? Komm, spiel mit uns, Nina, und zwar FÜR IMMER … «) ist aus der Sicht des antinaturalistischen, kommunistischen Konstruktivismus der positive libidinöse Motor einer verkomplizierenden Produktion von Intelligenz.

Ich kenne jemanden, wahrscheinlich Gleebot, der sich sofort auf das stürzen wird, was ich als nächstes sage und mir Gegenbeispiele präsentieren, die meine These vermeintlich widerlegen, aber die meisten Kiffer sind männlich, oder? Mehr noch, und deswegen zieht der empirische Gegenbeweis nicht, Kiffen macht dich männlich. Selbstzufrieden, nur mit sich selbst beschäftigt, unfähig, sich um andere zu kümmern, selbst wenn man es möchte.

Einer der vielen Mythen über Kiffer ist, dass sie nicht aggressiv sind. Es stimmt, dass sie sich nicht als aggressiv EMPFINDEN. Ihr traumseliger, idiotischer Zustand der hyperentspannten Gammeligkeit löscht jedes Gefühl aus, das der Kommunion mit dem eigenen Organismus im Weg stehen würde. Doch wenn diese onanistische Selbstbezogenheit bedroht wird, nun, dann sieht man, wie jähzornig, wie gereizt und wie launisch Kiffer sein können. Kiffer verlangen für sich das Recht auf ihre eigene (passive) Aggression, aber hassen jedes Zeichen der Aggression von anderen, gerade weil jeder Antagonismus ihr »Recht« auf Genuss gefährdet – vor allem ein politischer Antagonismus, mein Gott, Antagonismen und Rationalität, was könnten größere DOWNER sein? Schlechte Stimmung, Alter.

Ich muss wohl kaum betonen, dass die Tatsache, dass sich junge Menschen freiwillig diesem Pazifizierungsprogramm unterziehen, politisch alles andere als förderlich ist. Dass die Regierung dafür ist, die Strafen für den Konsum dieser vermeintlich harmlosen Droge zu reduzieren hat nicht nur damit zu tun, dass sie alle selbst gekifft haben, als sie auf einem vollen Stipendium dahindämmerten oder weil ihre Kinder alle Kiffer sind. Es ist politisch zweckdienlich. Was könnte den Kommissaren des Kapitals334 mehr nützen, als wenn die Hälfte der Bevölkerung ihre Freizeit (also die Zeit der Genesung von der Reproduktion des Kapitals) mit Kiffen verbringt, wäh­rend die andere auf Selektiven Serotonin-Wiederauf­nahmehemmern ist?

Fukuyamas durch Schöne neue Welt inspiriertes Argument gegen diese Antidepressiva bestand darin, dass das Gefühl des Wohlbefindens den psychologischen Drang zum Handeln und sich zu Beweisen hemmt. Obwohl Fu­kuyama natürlich im Interesse des Kapitals* spricht, kann diese Logik auch von Kommunisten verwendet werden. Man wird nicht gegen das Kapital* kämpfen – man wird gegen gar nichts kämpfen – wenn man von Drogen eingelullt ist.

Natürlich ist das offensichtlichste Gegenbeispiel, dass die Leute anbringen, die Rastakultur und Dub. Aber das Verhältnis der Rastas zum Haschisch war ein anderes als das der meisten weißen Arbeiter, die es in ihrer Freizeit konsumierten oder als das der Studenten, die den ganzen Tag in einem Zustand verbrachten, den The Fall wunderbar als »staatlich finanzierter Cannabis-Schleier« bezeichneten. Nicht nur war das Level, von dem sich die Rastas herunterkifften nicht die »harte Woche« der weißen Arbeiter, der Drogenkonsum der Rastafari war zudem Teil eines disziplinierten religiösen und politischen Rituals. Es war genau das Gegenteil des Konsum derer, die kiffen, um sich aus der Welt auszuklinken.

Wir Dogmatiker 335

Nein, ich bin nicht tolerant.

Nein, ich möchte nicht mit Liberaldemokraten, Pomo-Sophisten, Meinungsbildnern, Sklaven des Fleisches, He­do­nisten, Menschewisten und Individualisten »diskutieren« oder »in einen Dialog treten« …

Nein, ich respektiere dich nicht, noch verlange ich von dir, dass du mich respektierst.

Die Verteidiger von Toleranz, Debatte, Dialog und Res­pekt bekunden ihre bürgerliche Tugend mit großer Emphase. Es tut mir leid, ihr Apologeten der Ausbeutung der Arbeit, aber nein, ich sehe es nicht als meine Pflicht an, dem Feind einen Raum zu geben, in dem er sich ausdrücken kann. Ihr habt schon das globale Videodrome, die Judikative, die Polizei, das psychiatrische Establishment und die mächtigsten Armeen auf eurer Seite. Und wenn das nicht reicht, dann könnt ihr euch immer noch anstrengen, an eurem Profil und eurem Publikum zu arbeiten, damit ihr noch mehr Zuspruch für das Satanisch-Weltliche aufbringen könnt. (Zuviel Arbeit? Dachte ich mir.)

Macht euch keine Illusionen: Differenzen, Inkommensurabilität, Sprachspiele und Lebensformen sind weit da­von entfernt, das herrschende Betriebssystem zu untergraben, sondern sie sind selbst Teil dieses Systems. Žižek hat Recht, wenn er schreibt, dass Rorty recht hat: Trotz all der philosophischen Reibereien ist der politische Gehalt der Theorien von Derrida und Habermas (und wahrscheinlich kann man hier auch noch Lyotard dazuzählen) exakt der gleiche: die Verteidigung des liberalen Respekts für Andersheit, etc. pp..

Ja, ich will das alles hinter mir lassen. Ein Aspekt des Skandalons von Badious Philosophie ist, das vollkom­men Offensichtliche zu benennen: Differenz wird von der herrschenden Ordnung nicht unterdrückt, sondern sie ist seine banale Währung. Fragmentierung, Dekonstruktion, Cut-ups, das sind die Zutaten, aus denen Mittelmäßigkeit entsteht.

Also ja, halt dich fest und spuck mich an, denn ich bin ein Dogmatiker.

Aber was bedeutet es, ein Dogmatiker zu sein?

Kurz gesagt, es ist die Überzeugung, dass es Wahrheiten gibt. Und man kann noch hinzufügen, dass es auch ein Gutes gibt.

Es ist kein Zufall, dass seit Kant336 der Rationalismus als Synonym für Dogmatismus gilt. Nach Kant haben wir uns daran gewöhnt, dass Kritik statt Dogmatismus die einzig akzeptable ethische und philosophische Position ist, weswegen »rationaler Dogmatismus« wie der schlimms­te Vorwurf von allen klingt.

Doch woher kommt dieser Vorwurf? Im Grunde hat er mit vier miteinander verbundenen Positionen zu tun: Auto­ritarismus, Mystizismus, Egotismus und Relativismus.

Weit davon entfernt, das Gleiche zu sein wie Autoritarismus, wie es die postmoderne, liberale Doxa verkündet, ist Dogmatismus die einzig effektive Alternative zum Autoritarismus. Die bekannte pomo-relativistische Insis­tenz darauf, dass es weder möglich noch wünschbar ist, zwischen den verschiedenen ethischen ontologischen Be­hauptungen »inkommensurabler« »Sprachspiele« zu entschei­den, überantwortet sich selbst dem Mystizismus. Anders als rationalistische Systeme, die von sagbaren Axiomen oder Prinzipien ausgehen, können diese »Lebensformen« keine Begründungen angeben, die ihr Fundament bilden.

Die schiere Existenz dieser »diskursiven Gemeinschaften« wird als die Rechtfertigung für jegliche Traditionen oder Überzeugungen ausgegeben, die es in diesen Gemeinschaft gibt. Es sollte nicht überraschen, dass Spinoza von den Autoritären aller etablierten Religionen gefürchtet wurde, da Spinoza allein mithilfe der Vernunft bewies, dass die Grundthese, auf der der traditionelle Theismus beruht – dass es einen personalen, trans­­zen­denten Gott gibt, der Wunder vollbringt und einen freien Willen hat – irrationalistischer Unsinn ist. Mit anderen Worten, es war Spinozas Dogmatismus, der ihm erlaubte, die »Autorität« der Thora zu stürzen.

In Begriffen der zeitgenössischen, akademischen Philosophie wird der Rationalismus nicht nur von Nietzsche, Wittgenstein und Lyotard oder Heideggers Nazi-Poeto-Mystizismus verfolgt, sondern auch von dem Qualiakult des Bewusstseins. Diese »Philosophie« ersetzt das unerkennbare Mysterium Gottes mit dem unerkennbaren Mys­terium des Bewusstseins. Sie besteht einzig in der negativen Behauptung, dass das Bewusstsein weder von der Wissenschaft noch von der Philosophie bewiesen werden kann. Das ist Religion im schlechtesten Sinne.

Doch Dogmatismus ist Religion im besten Sinne. Lediglich durch Dogmatismus – die gnadenlose Subordination deines Selbst unter ein unpersönliches System – kann seine Majestät, das Ich, zerstört werden. Darin lag durch alle Zeit hindurch die Attraktivität der nicht-theistischen Religion. Das Ich ist einfach die Autorität im Kleinen (genauso wie politischer Autoritarismus Egotismus, Ich-Denken, im Großen ist), ein Mikrodespot, der nur durch die Verpflichtung auf nüchterne Systematik von seinem Thron gestoßen werden kann.

Zum Abschluss ist zu betonen, dass es ein Fehler ist, den Dogmatismus dem Pragmatismus gegenüberzustellen. Das postmoderne Denken propagiert Pragmatismus auf allen Ebenen: nicht nur bezüglich der Frage, wie Dinge gestaltet werden sollen (auf der Ebene der Praxis), sondern auch hinsichtlich dessen, was getan werden muss. Dogmatismus hingegen kann unterscheiden, was getan werden muss – was das Ziel ist – und wie es erreicht werden kann.

No Future 2012
(für Nick Kilroy)337

Es gab keine Zukunft, aber nicht so wie erwartet.

2003. Wir laufen durch die industrielle Gespensterwelt und den überbordenden Verfall entlang des River Lea. Hier, im Lea Valley, sieht es aus als habe die Welt geendet. Tatsächlich ist hier eine Welt zu Ende gegangen. Doch jetzt wimmeln und gedeihen hier nicht-menschliche Welten zwischen den verlassenen Fabriken und Müllschichten. Wilde Pflanzen, Algen so dick und künstlich, dass man denkt, man könnte auf ihnen über den ganzen Kanal laufen. Das ist kein Raum, in dem noch Menschen leben. Aber es ist ein Raum, den sie erkunden. Die meis­ten von uns, die an dem Tag dabei waren, hatten Pseudo­nyme. Namen aus dem K-Space. Nick K, Woebot, Heronbone.

Heronbone zeigt uns eine soziale Geschichte in der Form von weggeworfenen Verpackungen dysfunktionaler Waren. Man nennt Heronbone den Barden von Stratford – das ist sein Gebiet, sein wüstes Land und viele seiner Worte sind aus Resten zusammengesetzt, Fragmenten von Grime-Texten der Piraten, Beobachtungen von Insektenkolonien, Höhenflüge, zu denen dieser verlassene Ort angeregt hat. Nick K ist voller Projekte und Ideen, sein Fotografenauge entdeckt jede Minute neue Bilder. Fotografie ist eine dunklere Kunst als viele denken. Der visionäre Fotograf kann das Bild finden, aber er sieht nicht notwendigerweise, was alles in das Bild eingelassen ist. Die meisten Fotografien funktionieren wie Spiegel, sie spiegeln einer gefrorenen Gegenwart die Vergangenheit zurück. Doch manche treten mit den geheimnisvollen Dimensionen der Zeit in Kontakt. Die »Spuren und Hinweise auf das Kommende«. Blutende Zukünfte. Omen, die nur retrospektiv gelesen werden können.

Manchmal gibt es Zeichen, aber niemanden, der sie lesen kann.

2007. Andere Gestalten staksen durch den geschundenen Raum, den wir vor vier Jahren durchquert haben.

Wiederholung, aber mit einem Unterschied:

»Richtig«, sagt Sinclair und richtet sich auf. »Bist du bereit für die Zone? Ab hier ist es Tarkowski pur.« Und das war es. Leichtindustrie, Schrottplätze, Ateliers mit quadratischen Fenstern, Speditionslager. Und dann, gut anderthalb Kilometer weiter, kommen wir an den Zaun.

Das Gelände für die Olympischen Spiele ist inzwischen von einem drei Meter hohen Sperrholzzaun umgrenzt, er erstreckt sich über sechseinhalb Kilometer, strahlend blau und blickdicht. Manchmal ist der Zaun doppelt verstärkt, an anderen Stellen gibt es verschiedenartigen Stacheldraht. Das Ministerium hat letzten Frühling mit dem Bau begonnen und die letzten Teile wurden im Juli installiert.

Der Zaun ist eine Barriere, die nicht nur den Zugang versperren soll, sondern auch den Blick. Es gibt keine eingebaute Fenster, keine Gucklöcher für neugierige In­ves­toren. Um in die Zone schauen zu können, muss man ein Hochhaus in Stratford erklimmen oder einen Helikop­ter mieten, oder – so wird es sich gewünscht – man besucht die Website der Behörde, wo Bilder des Baufortschritts und gefälschte Futuramen des Parks zu sehen sind (hell glitzernde Gebäude, sprudelnde Brunnen, glück­liche Minimenschen).338

Nichts und wieder nichts

Die »gefälschten Futuramen des Parks« überantworten den East London dem ereignislosen Horizont des Endes der Geschichte, wo für immer nichts geschieht. Nichts ge­schieht, immer und immer wieder. Nichts passiert. Und immer wenn nichts passiert, wird es mit einer Presseerklärung verkündet.

Zwischen unseren Besuchen im Lea Valley 2003 und Iain Sinclairs und Robert Macfarlanes Expedition in die Gelände 2007 liegt natürlich die Vergabe der Olympischen Spiele an London. In dieser Zeit ist Nick K gestorben und das Foto, das er an dem Tag 2003 gemacht hat, gleicht nun noch mehr einem gespenstischen Vor-Echo seines eigenen Schicksals und des Schicksals der ganzen Region, die inzwischen von den CGI-Schatten von 2012 verschlungen wurde.

Das erste Zeichen eines kommenden Nicht-Ereignisses ist immer das CGI.

Geistermarketing

Die CGI-Simulationen, die das Lea Valley abschirmen zeigen uns eine gefälschte Zukunft, die niemals ankommen wird, aber die sofort effektiv ist und bereits East London umstrukturiert, wo schon jetzt Mittel von der öffentlichen in die private Hand überführt werden. Das verursacht eine Art negative Hauntology, die nach der be­kannten Hype-Dynamik des Unternehmerkapitals funktioniert. (Das Cyberkapital verlässt sich natürlich auf seine eigenen ätherischen Entitäten.) Wir haben es nicht mit den Gespenstern verlorener Möglichkeiten zu tun, den Geistern der Dinge, die niemals geschehen sind oder den Spuren von vergessenen Ereignissen, die aus dem Ende der Geschichte herausgeschnitten wurden. Was uns stattdessen gegenübersteht, sind die CGI-Zeichen eines massiven Pseudoereignisses. Eine vorgefertigte PR-Ini­tia­tive, die sich als authentisches Ereignis verkleidet.

Laut einigen Stimmen ist 2012 das Jahr der Maya-Apokalypse. (Keine Sorge, das Ende der Welt ist für De­zember angekündigt, es sollte die Olympischen Spiele also nicht stören). Olympia hängt nun noch auf ganz andere Weise mit dem Ende der Zeit zusammen.

Die Ankunft der Spiele in China ist nicht nur eine Ratifizierung des chinesischen Regimes, sondern es handelt sich noch um einen weiteren Moment im Ende der Geschichte. 2008 ist eine symbolische Schwelle, so wie 1989. Antimodernistische Proteste gegen China verde­cken die Tatsache, dass Olympia, wie die Volksrepublik China, inzwischen unauflöslich mit dem globalen Kapital verbunden ist. Das Jahr 2008 wird diese Verbindung feiern und möglicherweise einen neuen Modus des Kapitalismus vorwegnehmen, in dem autoritäre Staatskontrolle mit dem sich wie eine Krankheit ausbreitenden, räuberischen Kapital eine Koexistenz eingeht. Viktorianischer Vampirismus, reformatiert für den Cyberspace. Das Gespenst des Ultrapostmodernismus, in dem alles massenhaft reproduziert werden kann, aber nichts Neues entsteht.

Erinnerungsstörungen

Sowohl in Derridas ursprünglichem Konzept als auch in seiner derzeitigen Fassung, fünfzehn Jahre nach Marx’ Gespenster, steht die »Hauntology« im Zusammenhang mit der Postmoderne. Die Postmoderne wiederum, muss, wie Jameson gezeigt hat, als die »Logik des Spätkapitalismus« begriffen werden. Postmoderne Temporalität kommt in Fukuyamas Ausspruch zum Ausdruck – den man überall verleugnet, sogar Fukuyama selbst, auch wenn er allgemein akzeptiert ist und als eine Art Voreinstellung des zeitgenössischen kulturellen Unbewussten funktioniert –, dass wir das Ende der Geschichte erreicht haben. Dabei handelt es sich nicht nur um das Ende einer Entwicklung, sondern – angemessen hegelianisch – auch um das teleologische Ziel und den Zweck, auf das alles zulief.

Die Logik des Spätkapitalismus wartet auf den Zerfall des alten Ostblocks, um sich vollständig entfalten zu können. Jamesons herausragender Beitrag bestand darin, auf den Begriff gebracht zu haben, wie die nie dagewesene Herrschaft des Kapitalismus auf der ganzen Welt und im gesamten Unbewussten statt zu einem Aufblühen kultureller Produktion zu einer kulturellen Situation der unvorstellbaren Stagnation und des Stillstands geführt hat. Frei von der Überzeugung, dass ein elitärer Modernismus eine revolutionäre Alternative zur befriedenden Unterhaltung sein könnte und unfähig daran zu glauben, dass es irgendeine Form des Detournements gibt, das nicht integriert und kommodifiziert werden kann, ist Jameson der Nachfolger der Frankfurter Schule und der Situationisten.

Jamesons Marxismus, mit anderen Worten, hat Baudrillards Kritik zur Kenntnis genommen. Denn es war Baudrillard, der die Verschmelzung von Meinungsumfrage und Reality-TV vorausgesehen hat, verbunden in einem nahtlosen System der kulturellen »Interaktivität«, die jedes Moment des Widerstandes entwaffnet, indem sie den Konsumenten nicht nur in Gewahrsam nimmt, sondern in den Kreislauf einbaut. Du entscheidest. Texte deine Antwort. Wähle online. Diskutiere mit. Immer wei­ter, bloß keine Langeweile.

Jameson und Baudrillard haben verstanden, dass dieser von den Nutzern selbst generierte Content, im Verbund mit dem gleichzeitigen Rückzug der kulturellen Elite, die ihn ermöglicht hat, nicht zu einer neuen Kreativität führt, sondern zum Pastiche und zur Retrospektion. Genauso wie die kapitalistische Sprache der »Diversität« eine Ver­kleidung neuer Formen der Homogenität ist. Diese Dopp­lung ist eher ein merkwürdiger, kultureller Effekt als ein absichtlicher Versuch der Mystifizierung, schreibt Jameson.

Was Jameson den »nostalgischen Modus« nennt, ist ein Ausdruck dieser Homogenität. Es bleibt eine der genials­ten Formulierung Jamesons – denn die Nostalgie, die er meint, ist kein psychischer Zustand, sondern eine Art uneingestandene, formale Wiederholung.

Hauntology ist das Gegenstück zum nostalgischen Modus. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit in hauntologischer Musik könnte man leicht als »nostalgisch« missverstehen. Aber gerade, indem die Temporalität in den Vordergrund gerückt wird, unterscheidet sich die Hauntology von den üblichen Produkten des nostalgischen Modus, in denen die Geschichte vollkommen ausgeschlossen wird, um sich selbst als neu darzustellen. Post-Post-Punk, das Indie-Äquivalent zu einer falschen Tudor-Rolex.

Der große klanglich-theoretische Beitrag von The Caretaker zum Diskurs über die Hauntology bestand darin, dass er verstand, dass der nostalgische Modus nicht mit Erinnerungen zu tun hat, sondern mit Erinnerungsstörungen. Seine frühen Veröffentlichungen schienen von der honigsüßen Verführung durch eine verlorene Vergangenheit zu handeln: Al Bowllys schmerzlicher Gesang, in einem Ballsaal auf der Strand im London der Vorkriegszeit und der Teezimmer, begraben unter dem Klängen, die so etwas wie das Audiokorrelat zur Hauntology selbst darstellen: Knistern. Indem es die Vergangenheit verkleidet, macht das Geknister die Dimension der Zeit hörbar. Durch das Zerkratzen der Scannerlinse hören wir die Zeitwunde, die chronologische Fraktur, den Ausdruck des Gefühls, das für die Hauntology zentral ist, nämlich dass die »Zeit aus den Fugen« ist. Dyschronie.

Je mehr sich The Caretaker als Projekt entwickelte, umso mehr ging es um Amnesie statt um Erinnerung. Theoretisch rein nach vorne gerichtete Amnesie handelt nicht von der Unfähigkeit, sich erinnern zu können, sondern von der Unfähigkeit neue Erinnerungen zu haben. Es geht um die Unfähigkeit, die Gegenwart von der Vergangenheit zu unterscheiden. Es ist die kulturelle Pathologie einer aus endlosen, sich auf ewig wiederholenden Clips bestehenden Kultur.

Es ist, als ob The Caretaker uns aus einem Overlook Hotel/Dennis Potter-Vergnügungspark in die Simulation einer neuronalen Störung geführt hat. Klangfragmente leisten minimale Orientierung in einem Labyrinth des abstrakten Sounds. Hast du so etwas schon mal gehört? Man kann nie wissen.

Nostalgische Sehnsucht nach dem Modernismus

Doch wenn es einen Künstler gibt, der die Relevanz des Konzepts der Hauntology für die Musik bezeugt, dann ist es Burial. Gerade weil Burial sich mit nostalgischer Sehnsucht beschäftigt, gehört seine Musik nicht zum nostalgischen Modus. Was man auf den zwei Platten hört, ist das Verlangen nach einer Vergangenheit, die trotzdem unwiederbringlich verloren scheint, verhüllt in einen unbarmherzigen Nieselregen des Knisterns. Jenseits der Sehnsucht nach einem bestimmten Moment oder einem bestimmten Genre gibt es die Sehnsucht nach einer endlosen Vorwärtsbewegung einer Kultur, die einst so schien, als könnte sie sich immer wieder erneuern, doch die nun verbraucht und in sich zusammengesunken ist. Die nostalgische Sehnsucht nach dem Modernismus widersteht dem postmodernen nostalgischen Modus.

Die Musik von Burial besitzt einen außerordentlichen Sinn für Raum. Das hat nicht nur mit der Produktion zu tun, die zugleich an Martin Hannett wie an King Tubby oder Basic Channel erinnert. Es geht auch darum, was für Bilder die Musik hervorruft – lebendige Audiovignetten von South London aus dieser Dekade. Edward-Hopper-Klanggemälde von London nach dem Rave. Eine Stadt bevölkert von Ex-Ravern, ausgesät wie Nigel Cookes trauriges Gemüse. Das lange Herunterkommen nach den ganzen Highs. Ein Serotonincrash und Antidepressiva. Die Räume, die das Gegenstück zu solchen gefühllosen Zuständen sind. 24-Stunden-Cafés und Nachtbusse, die glühen wie Taucherglocken in der Dunkelheit der frühen Tagesstunden. Was uns hier verfolgt, ist nicht nur die Vergangenheit, sondern mögliche Zukünfte. Eine versunkene Weltkatastrophe, die in der Zeit zurücktropft.

Die Hauntology handelt vom Raum und der Zeit – es geht um Räume, wo der Bruch in der Zeit wahrnehmbar wird und vor allem bei Burials Debüt-LP hatte man das Gefühl, als ob man doppelt hört: Man hörte sowohl den gegenwärtigen Verfall und die frühere kollektive Ekstase. Erinnerungsblitze in der Finsternis. Was einem vermittelt wird, ist das Gefühl für einen besonderen Raum – nicht einfach den »dritten Raum« –, jenem Raum, der weder Arbeit noch dein Zuhause ist, sondern beides verbindet. Räume, die überall sein können, in denen sich die Konsumenten erholen. Burials »In McDonalds« verortet die räumlich-indifferente, multinationale Kapsel der Fast­food-Kette in einer spezifischen Stadt: London, wieder einmal die Hauptstadt des Kapitals. Einst das verrußte, verdreckte Zentrum des Industriekapitals und nun das Herz des Cyberkapitals. Offen für alle Geschäfte. Geschlossen für fast alles andere.

Is this Burning an Eternal Flame?

Die Ankunft der Olympischen Fackel in London vor einigen Wochen war ein überdimensioniertes Pseudoer­eignis, das Inhalt nur durch seine Subversion erhält.

Die CGI-Schatten von 2012 kommen näher. Die Zeit der Gegenwart wird für immer in Darstellung vorgefertigter PR-Gelegenheiten verpackt. Doch 2012 ist auch eine Gelegenheit für Widerstand. Ein Orientierungspunkt für Unzufriedenheit. Burials zweite LP enthält ein Sample von Lynchs Inland Empire: »Ich sah dein Licht, es brennt für immer.«

Man kann das als den geheimen Schlüssel für Burials gesamte Sensibilität sehen. Wie Lynch, reagiert Burial auf die dumpfen, fahlen Lichtblitze des Numinosen, die für einen Augenblick im Alltäglichen zu sehen sind. Ein fernes Leuchten oder ein Leuchten, das nur aus der Ferne gesehen werden kann.

Können wir uns durch dieses Licht leiten lassen, statt durch die Olympische Fackel, einem Symbol des Kapitals, das noch mehr auf der ganzen Welt herrscht als jemals zuvor, die gleißend hellen Leuchtbänder, die ein planetarisches Schicksal in eine ewige, von einem Sweatshop umgebene Shopping Mall ziehen?