Die Kleinen sind die Feinen

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Die Kleinen sind die Feinen
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Für Elisa


Otfried Schröck

DIE KLEINEN SIND DIE FEINEN

Jagen mit dem Teckel

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2018

Bibliografische Information durch die Deutsche

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek

verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Biene

Strolch

Schnepfen und Enten

Als hätte er nie etwas anderes getan

Utz vom Eichhof

Wir kommen auf den Hund

Das Revier

Bauhund wider meinen Willen

Kein Hase, keine Sau, kein Hund

Die erste Schweißarbeit

„Schweiß Natur“ unter Vorbehalt

Keiler ist nicht gleich Keiler

Unsere letzte Hasenjagd

Pieri vom Holzmühlental

Die ersten Würfe

Ein schlauer Basse

Nicht jede Röhre ist ein Bau

Citty und Cessy vom Rohrhorst

Erle vom Rohrhorst

Drei auf einen Streich

Fritzi vom Rohrhorst

Eine „sichere Totsuche“ vor der Prüfung

Die Sau vom Klauksgrund

Ina vom Rohrhorst

Prüfungsvorbereitung

Paulchen aus den Torfstichen

Beeinträchtigtes Mutterglück

Weihnachten ohne Ina

Quecke vom Rohrhorst

Kleines Einmaleins

Zum zweiten Mal: Drei auf einen Streich

Carline vom Rohrhorst

Carline und Quecke – Fuchs Natur?

Dachsel vom Rohrhorst

Die Feuertaufe

Ein Keiler auf dem Rückwechsel

Die verpasste Nachsuche

Wer ist hier der Chef?

Totverweiser?

Mein Lebenshirsch

Sau weg – und doch bekommen

Ohne den Teckel geht es nicht

Faszination Rauhaar

Das ist noch einmal gut gegangen

Abschied

Bommel

Eine unverhoffte Nachsuche

Bommels Sau in der Kleinen Heide

Die Sau mit dem alten Schuss

Eine vergebene Chance

Verlierer und Gewinner

Jagdjahresabschluss

Schneesauen

Silvesterjagden

Frischlinge, Schwäne und Waschbären

Bommel ist weg

Das ist meine Sau!

Tauchende Sauen?

Gemeinschaftsarbeit

Kein Rotwild, keine Sauen, aber wieder mal ein Waschbär

Reisen mit dem Teckel

Auf Rügen

An der Müritz

In Norwegen

In Masuren

Verhaltensweisen

Die Hündin des Nachbarn ist heiß

Welpenerziehung

Eintopf und Schnauzenstoß

Das machst Du nicht noch mal mit mir!

Der Klügere gibt nach

Ersatzmutter

Luftballonspiele

Pieri erzwingt unsere Aufmerksamkeit

Allez hopp

Das Kissen ist zu klein

Frühstücksrituale

Dachsel und Bommel

Rückblick

VORWORT

Seit ich denken kann, haben Tiere meinen Lebensweg begleitet. Sehr verschiedene Wildtiere kamen und gingen in meiner Kindheit, die Teckel aber waren immer dabei. Als erster Jagdhund kam ein solcher mit unklarer Herkunft, aber trotzdem passioniert und manchmal auch mit guten Leistungen. Später dann, als ich selbst zur Jagd ging und Rauhaarteckel aus jagdlicher Leistungszucht mit bester Veranlagung führte und dann, für lange und schöne Jahre, als ich mit Hunden aus der eigenen Zucht jagte.

 

Mein Großvater, der mehr als 20 Jahre Oberförster in einem Gutsforst in der Märkischen Schweiz war, schrieb mir 1957 in mein erstes jagdliches Buch die Worte: „Des Weidmanns Leben ist voll Lust und alle Tage neu.“ Was er nicht hineinschrieb und mir auch nicht sagte, war, dass das Leben eines Weidmannes nicht nur aus Lust, sondern oft auch aus Frust besteht. Frust über einen schlechten Schuss, der das Wild nicht sofort an den Platz bannt und daher leiden lässt. Auch bei bester Absicht gelingt es nicht immer, den Schuss so sicher anzubringen, dass das Wild keine Schmerzen durch das Töten erleidet.

Denn bleibt das Wild, wie der Jäger sagt, nicht im Feuer, sind Nachsuchen, in jedem Fall aber Kontrollsuchen erforderlich, um die Leidenszeit des Wildes zu verkürzen und den Jäger doch noch in den Besitz des Stückes zu bringen.

In diesem Buch wird vor allem über Nachsuchen mit dem Teckel berichtet. Und das heißt, es ist leider wieder einmal etwas schief gegangen. In nunmehr 58 Jägerjahren stand mir für Nachsuchen fast immer ein für die Schweißarbeit brauchbarer Teckel zur Verfügung. Ich sage mit Absicht „brauchbar“ und nicht „firm“, weil schwierige Nachsuchen den Spezialisten auf der Wundfährte vorbehalten sein sollten. Damit hatte ich auch kein Problem. Wenn meine Teckel wirklich nicht mehr weiter wussten, habe ich auch für einen Frischling ein bewährtes Nachsuchen-Gespann angefordert.

Von vielen jagdlichen Begebenheiten, bei denen meine Teckel ihre Eignung für ihren ureigensten Zweck, die Baujagd sowie das Stöbern, das spurlaute Jagen und vor allem für die Schweißarbeit mit großem Erfolg unter Beweis stellten, soll in diesem Buch die Rede sein.

Doch Jagen mit dem Teckel bedeutet nicht nur Schweißarbeit und Stöbern. Jagen mit dem Teckel heißt auch ungezählte Jagdgänge mit meinem besten Freund, ungezählte Ansitze, bei denen meine Hunde meistens mit mir zusammen auf der Kanzel saßen. Die geringe Größe des Teckels erlaubt es auch dem älteren Hundeführer, ihn mit auf die Kanzel zu nehmen. Oft machten mich meine Hunde rechtzeitig auf anwechselndes Wild aufmerksam und ich kam so zum Erfolg. Auch möchte ich die Ereignisse nicht missen, bei denen meine Teckel mehr leisteten, als ihnen das vorgegebene Zuchtziel vorschrieb. Fast alle waren außerordentlich wasserfreudig und ersparten mir so manches Mal den unbekleideten Weg in ein Enten- oder Gänsegewässer.

Und es soll die Rede von unserer Teckel-Zucht sein, die für meine Frau und mich über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren die schönste Nebensache der Welt und sinnvolle Beschäftigung war. In unserem Rauhaarteckel-Zwinger „vom Rohrhorst“ haben wir 140 Welpen für die Jagd zur Verfügung gestellt. Daher sollen in dieses Buch auch die Erlebnisse und Erfahrungen mit unseren Hündinnen und Rüden eingehen.

Jeder Hund ist ein Individuum für sich, jeder hat, wie wir Menschen, seine Eigenschaften und seinen unverwechselbaren Charakter. Auch davon will ich hier berichten.

Otfried Schröck

Waldsieversdorf, im Frühjahr 2018

BIENE

Es war die schwere Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mein Vater konnte mit Unterstützung des sowjetischen Stadtkommandanten und des Bürgermeisters bereits am 1. Oktober 1945 die Zentralforschungsanstalt für Pflanzenzüchtung in Müncheberg wiedereröffnen. Die Gebäude des Institutes hatten zwar ohne größere Beschädigungen die schweren Kampfhandlungen in der Region überstanden, aber der größte Teil der Forschungseinrichtungen und des Zuchtmaterials waren mit einem Institutstreck schon im Januar 1945 in Richtung Westen abgegangen. Aus den wenigen verbliebenen Beständen mussten nun neue Zuchtstämme der wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen wieder aufgebaut werden. Es blühte ein reger Tauschhandel in der Region, aber auch mit anderen, bereits schon wieder arbeitenden Instituten. Dabei wurde oft Ware gegen Ware getauscht und es blieb sicher nicht aus, dass mancher Handel nicht mit Geld abgegolten wurde, sondern mit Dingen, die der eine hatte und der andere haben wollte. Der Leiter eines Institutes, in dem auch Kartoffeln gezüchtet wurden, konnte vielleicht auch mal einen Sack dieser Tauschwährung für derartige Geschäfte abzweigen. Wie dem auch sei, eines Tages brachte mein Vater eine braune Kurzhaar-Dackelhündin mit nach Hause, die wir auf den Namen „Biene“ tauften. Sie war unser „Kartoffelhund“, weil mein Vater sie gegen einen Sack Kartoffeln eintauschte. Natürlich hatte sie keine adligen Vorfahren und auch keine Ahnentafel; wer hätte eine solche in dieser Zeit auch ausstellen sollen.

Sehr schnell wurde Biene der Liebling der Familie, vor allem von uns vier Kindern. Sie führte ein noch freieres und ungebundeneres Leben als wir, die ja die lästige Schule zumindest zeitweise an völliger Freiheit hinderte. Den Tag verbrachte sie meist bei meinem Vater im Forstinstitut, das inzwischen von Müncheberg nach Waldsieversdorf umgezogen war. Dort schlief sie in einer Schublade des Schreibtisches der Sekretärin meines Vaters.

An Jagd war in dieser Zeit nicht zu denken. Es dachte auch kaum jemand daran, denn man hatte ganz andere Sorgen. Meine Mutter stammte aus einer Försterfamilie und mein Vater machte sicher auf Anregung seines Schwiegervaters hin in den späten 1930-er Jahren den Jagdschein. Ein jagdlicher Einsatz von Biene kam, bedingt durch die alliierten Bestimmungen in dieser Zeit, ohnehin nicht infrage.

Biene dachte darüber jedoch anders. Sie hatte von ihren Vorfahren eine gehörige Portion jagdlicher Passion geerbt. Wann immer es ihr gelang, sich aus Herrchens Nähe zu entfernen, inspizierte sie einen nahegelegenen Fuchsbau. Durch das Gelände des Institutes schlängelt sich ein kleiner Bach, der Stöbber, der nur wenige Kilometer entfernt in einem Niedermoorgebiet entspringt. Dieser Bach, der im Quellgebiet nur wenige Dezimeter tief ist, schnitt sich während seines Laufes immer tiefer in die Landschaft ein. Im Gelände des Institutes lag er bereits rund 10 Meter tiefer als die Umgebung. Am Hang hatten sich seit langer Zeit wohl Füchse einen Bau, eigentlich nur eine Röhre, gegraben. Biene fand diesen Bau irgendwann und suchte ihn regelmäßig auf. Hier lag sie dann stundenlang vor, verbellte anhaltend und kam selten aus eigenem Antrieb nach Hause. Ob sich ein Fuchs oder irgendein anderes Getier darin befand, konnte ich nie ergründen. Einmal gelang es mir, sie zu verfolgen. Sie näherte sich sehr zielstrebig diesem Bau, tat aber so, als ob der sie gar nicht interessieren würde. Dort angekommen, schliefte1 sie sofort ein und war verschwunden. Nun wusste ich zwar, wo sie war, aber damit hatte ich sie noch lange nicht. Alles Rufen und Schimpfen half nicht, sie kam einfach nicht heraus. Also wartete ich ab und hoffte darauf, dass sie sich beim Herauskommen aufnehmen lassen würde. Wenn draußen alles ruhig war, kam sie nach einiger Zeit rückwärts aus dem Bau heraus, um Luft zu schnappen. Sobald sie mich aber bemerkte, verschwand sie blitzschnell wieder und ich hatte das Nachsehen. Es gab nur eine Lösung: ich setzte mich über der Einfahrt auf den Boden, hielt völlige Ruhe und wartete, bis ihre Rute in der Röhre erschien. Die packte ich dann und wollte die Hündin anleinen. Aber ich hatte die Rechnung ohne sie gemacht. Sie biss so wütend um sich, dass ich sofort wieder loslassen musste. Jetzt hieß es wieder warten. Als sie das nächste Mal Luft schnappen wollte, ergriff ich die Rute, so fest ich nur konnte und warf die Hündin weit von der Einfahrt weg und setzte mich blitzschnell mit meinem rückwärtigen Körperteil in die Röhre. Jetzt ließ sie sich problemlos anleinen und nach Hause bringen. Ich weiß heute nicht mehr, wie oft wir beide dieses Spiel gespielt haben. Ich glaube aber, wir ließen sie später gewähren.

Biene wurde zwölf Jahre alt. Damals war man noch der Auffassung, dass Hündinnen mindestens einmal werfen sollten, um keinen Mammatumor zu bekommen. Deshalb wurde sie auch einmal mit einem dorfbekannten dackelähnlichen „Deckrüden“ verehelicht und warf zwei Welpen, die auch wie Kurzhaar-Teckel aussahen. Sicher waren ihre Ahnen ja irgendwann einmal reinrassig.


STROLCH

Mit vierzehn Jahren erwachte in mir die Jagdpassion, die vor allem durch meine Mutter gefördert wurde. Hin und wieder setzte sie sich mit mir in dem Revierteil an, in welchem ich später meine ersten jagdlichen Schritte gehen sollte. In unmittelbarer Nähe zu einem Wildacker, den noch mein Großvater als Oberförster des Gutsforstes angelegt hatte, befanden sich mehrere meist immer wasserführende Tümpel, an denen wir einmal mitten im Sommer Enten beobachten wollten. Es war auch am Abend noch sommerlich heiß, die Mücken flogen Angriff auf Angriff und dann kamen die Enten. Schon von weitem war das typische Klingeln zu hören, das die Enten beim Fliegen hervorbringen. Wer schon einmal gesehen hat, wie sich Enten zwischen hohen, dichtstehenden Bäumen auf eine kleine Wasserfläche stürzen, weiß, wie schwierig es ist, diese noch im Flug zu treffen. Meine Mutter hatte zu dieser Zeit noch keine Jagderlaubnis, wie der Jagdschein damals hieß und wir wollten ohnehin die scheuen Breitschnäbel nur beobachten. Drei Stockenten gingen auf dem kleinen Gewässer nieder und hatten uns im selben Moment weg. Ein kurzes Flügelschlagen und Wasserspritzen, danach war die Gesellschaft wieder verschwunden. Den späteren Erzählungen meiner Mutter nach soll ich enttäuscht gesagt haben: „Ich glaube, ich werde nie ein Jäger werden.“ Es sollte anders kommen.

Den größten Anteil an meiner Jägerwerdung hatte aber Wilhelm König, der Oberförster des forstlichen Versuchsreviers in Waldsieversdorf. Er führte mich in die großen und kleinen Geheimnisse der Jagd ein und lehrte mich ganz nebenbei das weidgerechte Jagen. Er stammte aus Ostpreußen und weckte in mir die Liebe für diese Landschaft, ohne mir gegenüber je ein böses Wort über den Verlust seiner Heimat zu verlieren. Mehrfach habe ich in den letzten Jahren die Begeisterung für diese Landschaft bei Reisen nach Masuren gemeinsam mit meiner Frau geteilt.

„Opa König“, wie er allgemein genannt wurde, prägte mich für mein Jägerleben. Mein Vater und meine Mutter gingen zu der Zeit noch nicht zur Jagd und so wurde er mein Lehrprinz in allen jagdlichen Fragen. Auch als ich den Jagdschein schon in der Tasche hatte, begleitete er mich auf meinen ersten Jagdgängen. So erinnere ich mich an eine Gelegenheit Ende September, als wir an einem Hang in einem lückigen Jungwuchsbestand ein Stück Rehwild vor uns hatten, das augenscheinlich ein Schmalreh war. Da wir es nicht sicher als ein solches ansprechen konnten, sich aber auch kein zweites Stück zeigte, empfahl er mir, nicht zu schießen. Es hätte ja eine Ricke sein können, deren Kitz nicht zu sehen war.

Opa König hatte einen kleinen Weiher im Wald gepachtet, der eigentlich außer Karauschen und einigen Karpfen, die er eingesetzt hatte, kaum Fischwild bot. Dennoch saßen wir oft frühmorgens im Kahn auf dem Krummen Pfuhl und angelten in der aufgehenden Morgensonne, um danach den spärlichen Fang aus den beiden Reusen zu bergen. Sicher hat er mir mit diesen Erlebnissen meine Vorliebe für den Morgenansitz ins Herz gepflanzt, denn noch heute gehe ich lieber morgens als abends zur Jagd – wenn nur das frühe Aufstehen nicht wäre!

Wilhelm König weihte mich auch in die Kunst des Knüpfens von Fischernetzen und in die Geheimnisse der Fangjagd ein. So unterhielten wir im Revier mehrere Fangsteige mit den verschiedensten Fallenarten, die wir gemeinsam gebaut und auch regelmäßig kontrolliert haben. Das waren vor allem Knüppelfallen, die zu ebener Erde errichtet, aber auch als Schlagbäume in Augenhöhe an Bäumen angebracht wurden. Diese Fangeinrichtungen brachte das Raubwild selbst zum Zuschlagen, indem es Stellungen berührte, wenn es an den Köder wollte. Eine dieser Vorrichtungen, die von uns selbst aus Holz angefertigt wurden, besitze ich heute noch. Opa König zeigte mir auch den Fang von Krammetsvögeln (Wacholderdrosseln) in einem „Dohnenstieg“, was er aus seiner ostpreußischen Heimat mitgebracht hatte. Dazu wurden Weidenruten zu einem Bügel gebogen, mit einer Schlinge aus Pferdehaar versehen und dahinter Ebereschenbeeren angebracht. Mehrere dieser Dohnen wurden dann meist an Waldrändern an Bäume genagelt. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir damit jemals Drosseln gefangen haben. Gegessen habe ich jedenfalls keine und aus heutiger Sicht ist das Fangen von Singvögeln mehr als verwerflich und auch verboten. Für die arme Bevölkerung in Ostpreußen und anderswo, wo man auch Krähen fing und aß, trug das aber zum Nahrungserwerb bei. In Deutschland ist die Jagd mit Dohnen seit 1908 durch das damalige „Reichsvogelschutzgesetz“ verboten, wurde aber im I. Weltkrieg aufgrund der Ernährungslage zwischenzeitlich wieder erlaubt. Die Jagd mit Dohnenstiegen wurde früher wohl auch in unserer Gegend häufig ausgeübt, denn in der Umgebung findet sich eine große Anzahl von Straßen mit dem Namen „Dohnenstieg“ bzw. – steig“. Ich hoffe, dass unsere damalige Wilderei inzwischen verjährt ist.

 

Der Verfasser mit seiner Mutter und Opa König

Das Foto erschien auf dem Titelblatt der Märzausgabe 1964 der Zeitschrift „unsere jagd“ 2

Mit achtzehn Jahren bestand ich dann endlich die Jagdeignungsprüfung. Früher ging es nicht, denn damals war es nicht möglich, einen Jugendjagdschein mit 16 Jahren zu erwerben. Die Zeit zwischen meinem heftig erwachenden Interesse für Wald und Wild überbrückte ich unter der Anleitung von Opa König zunächst mit vogelkundlichen Studien. Oft war ich in Wald, Feld und am Wasser unterwegs, um Vögel und ihre Verhaltensweisen zu beobachten. Geschadet hat mir diese jagdliche Enthaltsamkeit nicht, denn ich freue mich noch heute darüber, dass es eigentlich kaum einen hier vorkommenden Vogel gibt, den ich nicht am Flugbild oder an der Stimme erkenne. In meinem Streifgebiet kamen damals noch interessante Vogelarten, wie Großtrappe, Blauracke, Uferschwalbe, und Beutelmeise vor. Der Wiedehopf war in dem erwähnten Niedermoorgebiet geradezu häufig. Das lag sicher daran, dass er in seiner Lebensweise auch an weidende Kühe gebunden ist. Als gegen Ende der 1960-er Jahre die Weideviehhaltung der industriemäßigen Landwirtschaft zum Opfer fiel, bedeutete das für den Wiedehopf auch im Roten Luch das Aus. Sein charakteristisches „Huup, huup“ ist schon lange nicht mehr zu hören und auch der Kiebitz macht nur hin und wieder auf dem Zug im Moor Rast.

Dafür haben andere Vogelarten das Revier erobert. Der Kolkrabe siedelte sich Anfang der 1970-er Jahre an und ist heute für das Niederwild, aber auch für die frisch geborenen Lämmer der Schäfer zur Plage geworden. Fast jedes Feuchtbiotop wird inzwischen von Kranichen bezogen, die mir eine große Freude bereiten, wenn sie unterhalb meiner Jagdhütte meist mit zwei Jungvögeln ohne große Scheu durch die Wiese ziehen.

Nach dem Abitur nahm ich 1960 ein Studium der Landwirtschaft auf. Eigentlich wollte ich wie mein Vater Forstmann werden. Da ich aber als zweiten Studienwunsch Landwirtschaft angegeben hatte und zu dieser Zeit der „sozialistische Frühling“3 in der Landwirtschaft der DDR vehement vorangetrieben wurde, brauchte man dringend Diplomlandwirte. Alle Studenten ohne eine landwirtschaftliche Vorbildung absolvierten im Rahmen des Studiums ein Grundpraktikum, an dessen Abschluss der Facharbeiterbrief Landwirtschaft stand. Dieses Praktikum führte mich in die LPG Gussow in der Nähe von König-Wusterhausen. Am Freitagmittag ging es nach Hause, zunächst per Bus bis Königs-Wusterhausen und dann mit dreimaligem Umsteigen per S-Bahn und Dampfbahn bis zu einem Haltepunkt der Deutschen Reichsbahn im Roten Luch. Dann musste ich noch drei Kilometer bis nach Hause laufen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals vom Haltepunkt Rotes Luch abgeholt wurde, weil es zu dieser Zeit in unserer Familie noch kein geeignetes Fortbewegungsmittel gab, mit dem man mich hätte abholen können. Auch war eine solch mütterliche Fürsorge damals nicht üblich.

Sehr genau erinnere mich aber daran, dass mir einmal auf dem Heimweg eine menschliche Gestalt entgegenkam. Bald erkannte ich meine Mutter an ihrer Körpergröße und an ihrer Art, zu gehen. Dann fiel mir ein weißes Wollknäuel auf, das neben ihr lief. Dieses Wollknäuel war für meine Mutter der Grund, mich entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit von der Bahn abzuholen. Den Welpen, für den sich augenscheinlich seiner Farbe wegen noch kein Interessent gefunden hatte, erwarben meine Eltern von einem in der Nähe wohnenden Jäger, der zwei hervorragend auf Sauen arbeitende Rauhaarteckel hatte. Er nutzte jede freie Minute, die ihm die Arbeit ließ, um mit ihnen zu jagen. Ein Reviergang mit der Mutter und dem Vater unseres Welpen war selten erfolglos. Die Hündin war auf Sauen so sicher, dass sie Einstände, in denen kein Schwarzwild steckte, nur widerwillig, wenn überhaupt annahm. Am Anschuss wusste man schon nach wenigen Metern, ob das Stück einen tödlichen Schuss hatte oder gefehlt worden war, weil die Hündin gesunde Fährten überhaupt nicht arbeitete.

In der „Zuchtlinie“ hat sich wohl einmal ein Foxterrier verewigt, denn der ansonsten schneeweiße Welpe hatte auch einige braune Abzeichen. Wie dem auch sei, er gehörte von nun an zur Familie, in der zwei, später drei Familienmitglieder Jäger waren. Obwohl schon seit Dezember 1957 die staatliche Vorgabe bestand, auf 500 ha Jagdgebietsfläche einen geeigneten, geprüften Jagdhund zu halten, brauchte es noch Jahre, bis diese Forderung verwirklicht wurde. So standen einerseits in dieser Zeit kaum leistungsgeprüfte Jagdhunde zur Verfügung, andererseits war es auch kein Problem, einen geeigneten Hund ohne Papiere zur Jagd einzusetzen.

Schnepfen und Enten

Der Welpe, den wir „Strolch“ nannten, entwickelte sich gut und wir freuten uns sehr über den neuen Hausgenossen. An eine jagdliche Ausbildung dachte niemand und Strolch hat in seinem Leben weder ein Kommando befolgen müssen, noch eine künstliche Schweißfährte gearbeitet. Die Aufgaben, für die wir ihn hin und wieder brauchten, erledigte er zu unserer vollsten Zufriedenheit. Wir hatten kaum Gelegenheit, ihn an Sauen arbeiten zu lassen und haben auch keine gesucht. Er sollte nur hin und wieder eine der Katzen auf den Baum jagen, zu deren Erlegung wir damals außerhalb einer 200-Meter-Zone über den befriedeten Bereich hinaus verpflichtet waren. Das tat er mehrmals mit Erfolg. Wichtiger für uns war die Schweißarbeit, für die er durch seine Mutter hinreichend vorbelastet war. Aber auch für die Suche von erlegtem Federwild war er gut zu gebrauchen.

Damals durften wir bis zum 15. April noch Schnepfen schießen. Wir jagten in dieser Zeit anders als heute, wo wir durch die hohen Schalenwildbestände ganz anderen Zwängen unterliegen. Die Bestände an Schwarz – und Rotwild waren noch auf einem erträglichen Niveau und es musste nicht jede Gelegenheit genutzt werden, die Sauen kurz zu halten. Vielleicht haben wir es damals schon versäumt, in die sich ständig erhöhenden Schalenwildbestände rechtzeitig einzugreifen. So herrschte in der Regel ab Ende Januar weitgehend Jagdruhe und man ging nur zu einigen Kontrollgängen im Februar und März ins Revier. Ab Ende März/ Anfang April warteten wir sehnlichst auf das Erscheinen der Frühjahrsschnepfen. Getreu den Sinnsprüchen „Reminiscere – putzt die Gewehre“ und „Okuli – da kommen sie“ bereitete man sich auf den ersten Höhepunkt des Jagdjahres vor. Die Stimmung, die an so einem Vorfrühlingsabend den Jäger ergreift, ist schwer zu beschreiben und heute kaum noch nachzuvollziehen, da die wenigsten Jäger nur wegen des Erlebnisses ins Revier gehen. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob man an der Kirre auf Sauen passt und dabei den Balzlaut der Schnepfe vernimmt, oder ob man an einem Waldrand steht und sehnsüchtig auf die erste Schnepfe wartet. Langsam kommt die Dämmerung und mit den letzten verklingenden Gesangsübungen einer Amsel auf dem höchsten Baum der Umgebung beginnt der Schnepfenstern am Abendhimmel zu leuchten. Angestrengt lauscht man auf die Laute der balzenden Schnepfen. Mit „Puiz, Puiz“ und „Quorr, Quorr“ nähert sich dann ein suchender Schnepf und manchmal auch eine Hochzeitsgesellschaft. Nicht langsam und bedächtig, sondern im schnellen, oft im Zickzack ausgeführten Flug. Wie schwer eine Schnepfe im Fluge zu treffen ist, macht der Spruch: „Schießt Du auf Zick, ist sie auf Zack und schießt Du auf Zack, ist sie auf Zick“ deutlich.

Am Rande des schon erwähnten Wildackers habe ich mir einen günstigen Stand ausgesucht. Dieser befindet sich zwischen zwei Brüchern, die „Feld- und Heide-Kranichsluch“ genannt werden. Die Schnepfen streichen gewöhnlich genau an der Waldkante entlang. Schon von weitem vernehme ich die vertrauten Laute und da kommen sie mir auch schon entgegen. Ich reiße die Flinte hoch und werde erst im letzten Moment fertig, als sie schon fast über mich hinweg sind. Der Schuss ist raus und eine Schnepfe fällt hinter mir in einen mehrere Meter breiten Schilfgürtel. Wie soll ich die nur bei dieser Dunkelheit finden? Eine Taschenlampe habe ich zwar dabei, aber groß sind meine Hoffnungen nicht. Da fällt mir der Hund ein, aber Strolch hat eine solche Arbeit noch nie gemacht. Im Vertrauen auf seine Nase und die Leistungen seiner Vorfahren weise ich ihn in Richtung auf den vermeintlichen Fundort ein und er nimmt das Schilf auch sofort an. Eine ganze Weile knistert es im Schilf, es geht hin und her, mal näher, mal weiter, aber immer nicht sehr weit von mir entfernt. Er sucht also konzentriert und lässt nicht nach. Dann kommt er auf mich zu und hat zu meiner großen Freude die Schnepfe im Fang. Natürlich gibt er sie mir nicht vorschriftsmäßig aus und möchte seine Beute gern behalten. Das ist mir aber gleichgültig, ich freue mich unbändig, liebele ihn ab und nehme ihm die Schnepfe aus dem Fang. Es ist übrigens die einzige ihrer Art in meinem Jägerleben geblieben. Jedenfalls finde ich in meinem Jagdtagebuch, das ich in den ersten Jahren meiner Jägerlaufbahn akribisch geführt habe, keinen weiteren Eintrag über eine Schnepfe. Als die Jagdzeit dieser interessanten Vogelart immer mehr eingeschränkt wurde, so dass es sinnlos war, auf den Vogel mit dem langen Gesicht zu warten, bin ich noch oft ins Revier gegangen, nur um den Zauber des Schnepfenstriches zu erleben. Für Strolch war dieses Erlebnis so prägend, dass er Zeit seines Lebens das „Puiz, Puiz“ und „Quorr, Quorr“ der balzenden Schnepfen mit einem ruckartigen Aufwerfen seines Kopfes markierte.

Unweit von diesem Wildacker befinden sich die „Giebelkuten“, zwei giebelartig zueinander angeordnete Tümpel. Ihren Namen haben sie aber sicher von dem Fisch namens Giebel, der eine interessante Fortpflanzungsbiologie hat und deshalb auch in solchen Gewässern überleben kann. Hier lebten neben vielen an das Wasser gebundenen Tieren damals auch mehrere Sumpf-Schildkröten. Eine davon, die Waldarbeiter aufgesammelt und mir gebracht hatten, schmückte zeitweilig mein Terrarium, bis ich sie wieder in der Nähe ihres Fundortes aussetzte. An einem der größeren Tümpel sitze ich heute auf Enten an. Hier ist das Schießen auf die anfliegenden Enten nicht ganz so schwierig, wie in dem Wasserloch, an dem ich mein erstes jagdliches Erlebnis hatte. Es gelingt mir auch, zwei Enten zu erlegen und nun habe ich das Problem, sie zu bergen. Sie liegen ungefähr 20 Meter von mir entfernt zwischen Krautinseln und Entengrütze. Strolch sitzt neben mir und hat das Geschehen aufmerksam verfolgt. Zunächst versuche ich, ihn wie bei der Schnepfe zum Suchen zu animieren. Aber er ist nicht übermäßig wasserfreudig und so habe ich mit meinen Bemühungen keinen Erfolg. Es bleibt mir also nur übrig, im Adamskostüm in dem bauchtiefen Wasser und knietiefen Morast in den Teich zu waten und die Enten selbst zu holen. Die erste Ente apportiere ich ohne Probleme bis ans Ufer, wo sie von Strolch intensiv in Augen - und Nasenschein genommen wird. Er kennt ja noch keine Ente, ist aber sehr interessiert und nun nehme ich ihn an die Leine und lasse ihn neben mir herschwimmen, was er auch bereitwillig tut. Bei der Ente angekommen, nimmt er diese, ohne zu zögern, in den Fang und kehrt mit meiner Unterstützung schwimmend wieder ans Ufer zurück. Nun habe ich also einen Dackel, der zwar ein weißes Fell mit braunen Abzeichen hat, der mir aber unter nicht allzu schwierigen Bedingungen auch einmal eine Ente aus dem Wasser holt. Bei einer späteren Übung mit Hunden unserer Jagdgesellschaft stellt er diese Fähigkeit zum Erstaunen der Vorstehhundeführer im freien Wasser auch unter Beweis.

Auch dieses Erlebnis prägt Strolch für sein ganzes Leben. Ich erinnere mich dabei an einen morgendlichen Gang zum mehr als eine halbe Stunde entfernten Ansitz. Gleich hinter dem Ort unterquert der schon erwähnte Stöbber die Landstraße und verläuft danach ein Stück neben ihr. Wenn Seen und Teiche bereits zugefroren sind, liegen hier über Nacht oft Enten auf dem fließenden Wasser. Es ist noch völlig dunkel und plötzlich kommt es von unten „Paak, Paak, Paak“. Ich achte nicht darauf, denn ich habe ja noch mindestens einen Kilometer Wegstrecke vor mir. Strolch, der bisher neben oder hinter mir hergetrottet ist, stößt mich erst am Hacken an, dann läuft er vor und stellt sich vor mich hin, so als ob er mich fragen will: „Hast Du das nicht gehört?“