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Große und kleine Welt

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Große und kleine Welt
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PIERRE GRASSOU

Wer als ernsthafter Betrachter die Kunstausstellungen, die nach der Revolution von 1830 stattfanden, besucht hat, wird sich beim Anschauen der endlosen, überhäuften Galerien kaum eines Gefühls des Unbehagens und der Langeweile, vielleicht sogar der Trauer haben erwehren können. Seit 1830 gibt es keinen "Salon" mehr. Der Louvre ist ein zweites Mal erstürmt worden durch die Künstler; und sie haben es verstanden, sich dort zu behaupten. Die Zulassung zum "Salon" bedeutete ehemals für den kleinen Kreis, der in Frage kam, bereits eine hohe Auszeichnung, und über die bedeutendsten der etwa zweihundert Bilder, die ausgewählt worden, entspann sich beim Publikum und bei der Kritik ein leidenschaftlicher Widerstreit der Meinungen. Die Überfülle der Gemälde, vor die sich heute der Besucher gestellt sieht, erschöpft seine Aufmerksamkeit, und die Ausstellung wird geschlossen, bevor er aus der Menge das wenige Gute ausfindig gemacht hat. Statt eines Ritterspiels haben wir einen Volksjahrmarkt, statt eines künstlerischen Ereignisses ein lautes Warenhaus, statt sorgfältiger Auslese – alles. Was ist die Folge? In der Menge verliert sich das Genie. Der Katalog ist zu einem dicken Buch angewachsen, in dem mancher Name auch dadurch nicht bekannter wird, daß zehn oder zwölf ausgestellte Bilder dahinter aufgeführt sind. Unter allen aber am unbekanntesten ist vielleicht derjenige des Malers Pierre Grassou aus Fougčres, den man in der Künstlerwelt einfach Fougčres nennt.

Fougčres wohnte 1832 im vierten Stockwerk eines jener hohen, schmalen Häuser der Rue de Navarin, die aussehen wie der Obelisk von Luxor. Sie besitzen einen Hausflur, eine enge, düstere, halsbrecherische Wendeltreppe, in jedem Stock nicht mehr als drei Fenster und einen Hof, der nicht mehr als ein viereckiger Schacht ist.

Über den drei oder vier Räumen, die Grassou von Fougčres bewohnte, lag ein Atelier, dessen Fenster auf Montmartre hinausgingen. Die Wände waren rot gestrichen, der Boden braun gewächst, auf jedem Stuhl lag ein gesticktes Deckchen, das altmodische Sofa war sauber wie das im Schlafzimmer einer Krämerin. Alles ließ auf das wohlgeordnete Dasein eines gesetzten Bürgers von engem Horizont schließen. Das Atelier enthielt außerdem eine Kommode zum Aufbewahren der Malgeräte, einen Frühstückstisch, einen Schreibtisch und einen großen Ofen, ferner die zum Malen erforderlichen Gegenstände. Alles dies war sauber und in guter Ordnung.

Eines Tages zu Anfang Dezember, dieses für den Porträtisten besonders günstigen Monats, war Pierre Grassou frühzeitig aufgestanden, hatte den Ofen angezündet, die Palette hergerichtet, und wartete nun, daß die Scheiben des Atelierfensters auftauen würden, um das Tageslicht ungehindert einzulassen. Unterdessen verzehrte er gedankenlos sein Frühstück, ein in Milch getunktes Hörnchen.

Da klang von der Treppe her ein wohlbekannter Schritt. Als der Maler eben mit der Arbeit beginnen wollte, überraschte ihn Elias Magus, Bilderhändler und Leinwandwucherer.

"Wie gehts, alter Halunke?" begrüßte ihn Grassou. Elias nahm ihm seine Gemälde ab, das Stück für zweibis dreihundert Francs. Sie liebten es, im Verkehr mit einander sich des sogenannten Künstlertons zu bedienen.

"Schlechte Geschäfte," sagte Elias. "Ihr Künstler stellt unverschämte Forderungen. Wenn Ihr für sechs Sous Farbe auf die Leinwand klext, verlangt Ihr gleich zweihundert Francs dafür. Aber Sie, Fougčres, sind ein anständiger Kerl. Darum lasse ich Ihnen auch etwas Gutes zukommen."

"Timeo Danaos et dona ferentes," sagte Fougčres; "verstehen Sie lateinisch?"

"Nein."

"Nun, das heißt soviel, als daß die Griechen den Trojanern nichts anboten, ohne selbst einen Profit dabei zu haben. Und so wirds wohl auch heute noch sein, Herr Odysseus-Magus!" Diese Worte waren eine Musterwendung des unter den Malern gebräuchlichen Atelierstils, den Fougčres, wie man sieht, vollkommen beherrschte.

"Ich verlange doch nicht, daß Sie mir Ihre Bilder umsonst geben sollen!

Sie sind ein ehrenwerter Künstler."

"Nun – und?"

"Also kurzum: Ich bringe Ihnen einen Vater, eine Mutter und eine Tochter."

"Alle drei auf einen Schlag?"

"Meiner Treu, ja! Sie wollen sich porträtieren lassen. Diese Spießbürger, die sich für Kunst begeistern, haben es noch nie gewagt, ein Atelier zu betreten. Übrigens hat die Tochter eine Mitgift von hunderttausend Francs zu erwarten. Malen Sie die Leute nur ruhig. Vielleicht werden es einmal Ihre Familienbilder." Dieser alte Klotz von Mensch, Elias Magus genannt, unterbrach sich hier mit einem so heiseren Lachen, daß der Maler erschrak. Es war ihm, als hätte der Teufel selbst diese Worte vom Heiraten gesprochen. "Fünfhundert Francs sind für jedes Porträt gezahlt. Sie können also drei Bilder machen."

"Natürlich, mit Freuden!" rief Fougčres.

"Und sollten Sie die Tochter heiraten, so erinnern Sie sich hoffentlich meiner."

"Ich heiraten!?" rief Pierre Grassou. "Wo ich gewohnt bin, ganz allein schlafen zu gehen und mit der Morgensonne aufzustehen? Ich, der sein Leben geregelt hat…"

"Hunderttausend Francs," sagte Magus, "und ein entzückendes Mädchen, mit Goldton wie ein echter Tizian."

"Was für Leute sind es?"

"Der Alte war Kaufmann. Jetzt ist er Kunstliebhaber und Besitzer eines Landhauses in Ville d'Avray mit zehn – bis zwölftausend Pfund Rente."

"Und worin bestand sein Handel?"

"In Flaschen."

"Beim Himmel, hören Sie auf! Mir ist, als hörte ich schon Pfropfen knallen…"

"Darf ich die Leute herbringen?"

"Drei Porträts… Ich werde sie in den 'Salon' schicken… Ich werde ins Fach des Porträtisten übergehen. Nun denn, in Gottes Namen!"

Der alte Elias entfernte sich, um die Familie Vervelle zu verständigen. Werfen wir inzwischen einen Blick auf die Vergangenheit Pierre Grassous de Fougčres, um ermessen zu können, von welcher Bedeutung ein solcher Auftrag für ihn sein konnte und welchen Eindruck das Ehepaar Vervelle mit seiner einzigen Tochter auf ihn machen mußte.

Bei Servin, der in der Künstlerwelt den Ruf als Meister des Stiftes genoß, hatte Fougčres zeichnen gelernt und war dann als Schüler zu Schinner gegangen, um von ihm in das Geheimnis seiner wunderbaren Farben eingeweiht zu werden. Aber der Meister gab seinem Schüler nichts von diesem Geheimnis preis – Pierre entlockte ihm nichts. Hierauf besuchte er das Atelier Sommervieux, um die Gesetze der Komposition zu studieren, aber sie blieben ihm ein versiegeltes Buch. Er ging zu Granet und Drolling, um ihnen die Technik ihrer effektvollen Interieurs abzusehen, doch vergebens, auch ihnen war nichts zu entreissen. Endlich beschloß Fougčres seine Studienzeit bei Duval-Lecamus. Sein stilles, gemässigtes Wesen wurde in den Ateliers zur Zielscheibe des Spottes, doch entwaffnete seine Bescheidenheit und rührende Geduld bald die Kameraden. Bei den Lehrern fand er wenig Sympathie; sie bevorzugten das exzentrische, übermütige, sprühende Temperament, oder aber den ernsten, grüblerischen Charakter, der das Zeichen des Genies ist; bei Fougčres fanden sie nichts als Mittelmäßigkeit.

Sein Äußeres entsprach seinem Namen, er war fett und plump, mittelgroß von Gestalt und von blasser Gesichtsfarbe. Er hatte schwarze Haare, braune Augen, lange Ohren, eine aufwärts gebogene Nase und einen breiten Mund. Keinem dieser Merkmale seines gesunden aber ausdruckslosen Gesichtes verlieh sein mildes, leidendes, resigniertes Wesen irgendwie eine besondere Bedeutung. Ihn beunruhigte weder das leidenschaftliche Drängen des Blutes, noch die Übermacht der Gedanken, noch die mächtige Begeisterung, die das Zeichen der genialen Künstler sind.

Geboren, ein ehrenwerter Bürger zu sein, war dieser junge Mann nach Paris gekommen, um hier bei einem Farbenhändler Gehilfe zu werden; aber in seiner bretonischen Hartnäckigkeit hatte er es sich in den Kopf gesetzt, Maler zu werden, Gott mag wissen, was er aushielt, wie er es zuwege brachte, sich durch seine Studienjahre durchzudarben. Er durchlitt die Entbehrungen der Großen, die das Unglück verfolgt und die wie wilde Tiere von der Meute der Mittelmäßigkeit und der Neider verfolgt werden. Kaum meinte er auf eigenen Füßen stehen zu können, so nahm er ein Atelier in der Rue des Martyrs und fing an, zu arbeiten. Im Jahre 1819 trat er mit seinem ersten Werk an die Öffentlichkeit. Das der Jury zur Ausstellung im Louvre eingereichte Gemälde stellte eine Bauernhochzeit dar und war eine wohlgelungene Nachahmung des bekannten Bildes von Greuze. Es wurde zurückgewiesen. Fougčres, als er diese enttäuschende Mitteilung erhielt, tobte nicht, wie es die Großen tun, verfiel auch nicht einer jener epileptischen Anwandlungen, die so häufig mit einer Herausforderung des Direktors oder des Sekretärs der Ausstellung oder mit blutdürstigen Drohungen enden. Nichts von alledem geschah, sondern Fougčres nahm seelenruhig seine Leinwand zurück, bedeckte sie mit seinem Taschentuch und trug sie wieder in sein Atelier zurück. Aber er schwur es sich zu, ein großer Künstler zu werden. Das Bild stellte er auf eine Staffelei und begab sich zu seinem früheren Lehrer Schinner, einem Maler von außerordentlichem Talent, einem weichen und geduldigen Menschen, dem die letzte Ausstellung des "Salons" seinen Erfolg garantiert hatte. Grassou bat ihn, er möge das zurückgewiesene Werk seiner Kritik unterziehen. Der große Maler kam sofort von seiner Arbeit weg. Kaum hatte er das Bild mit einem Blick gestreift, drückte er dem armen Fougčres die Hand: "Guter Junge, du hast ein Herz von Gold, man darf dich nicht hintergehen. Also höre: du hast alles gehalten, was du als Schüler versprachst. Mein lieber Fougčres, statt daß man etwas Derartiges zusammenpinselt, tut man besser, den andern nicht Farbe und Leinwand zu stehlen. Sattle um, solange es noch Zeit ist! Zieh dir eine Schlafmütze über und kriech um neun Uhr ins Bett. Morgen aber, gegen zehn, gehst du zu irgend einem Bureau und suchst dir einen Posten. Von der Kunst aber laß die Finger!"

 

"Mein Freund," sagte Fougčres, "mein Werk ist bereits verurteilt worden, und ich bat dich nicht, es zu tadeln, sondern mir die Gründe für seine Ablehnung auseinanderzusetzen."

"Nun also: du hast keine Farbe, du malst alles grau und tot, du siehst die Natur durch einen Schleier. In der Zeichnung bist du grob und ungeschickt, in der Komposition kopierst du Greuze, den zu verbessern du nicht berufen bist." Als Schinner die Fehler des Bildes aufzählte, bemerkte er in den Zügen des jungen Malers den Ausdruck einer so tiefen Traurigkeit, daß er ihn zum Mittagessen einlud und ihn zu trösten suchte.

Am nächsten Tage saß Fougčres schon um sieben in der Frühe vor der Staffelei und pinselte an seinem verworfenen Bilde herum. Er vertiefte die Farben, beseitigte die von Schinner gerügten Mängel und arbeitete die Köpfe besser heraus. Als ihn die Korrekturarbeit anwiderte, trug er das Bild zu Elias Magus. Dieser Herr Magus war ein holländisch- belgischer Flame, und in dieser Mischung lag wohl die dreifache Vorbedingung für das, was er geworden war: geizig und reich. Von Bordeaux nach Paris gekommen, eröffnete er auf dem Boulevard Bonne- Nouvelle eine Gemäldehandlung. Das erste Bild, das Pierre ihm brachte, betrachtete er sehr genau; dann zahlte er ihm fünfzehn Francs dafür.

Fougčres, der von der Palette leben mußte, und, wie es die Jahreszeit brachte, Brot und Nüsse oder Brot und Milch oder Brot und Kirschen oder Brot und Käse verzehrte, lächelte und meinte: "Fünfzehn Francs verdienen und tausend Francs verbrauchen, damit kann man es weit bringen."

Elias Magus zuckte die Achseln. Er nagte an den Fingernägeln und dachte, daß er das Bild auch schon für hundert Sous hätte erhandeln können.

Jeden Morgen spazierte Fougčres nun von der Rue des Martyrs nach dem Boulevard Bonnes-Nouvelle hinab und mischte sich der Gemäldehandlung gegenüber unter die Passanten. Seine Augen hingen an dem Bilde, das aber selten einmal die Aufmerksamkeit eines Vorübergehenden auf sich lenkte. Aber eines Morgens, gegen Ende der Woche, war das Bild verschwunden. Fougčres schlenderte die Straße zurück, ging auf die andere Seite hinüber und schritt gerade auf den Laden zu, indem er tat, als führe ein Zufall ihn des Weges. Der Händler stand auf der Schwelle.

"Nun, haben Sie mein Bild verkauft?"

"Nein," sagte Magus, "ich lasse einen Rahmen darum machen, damit ich es einem anbieten kann, der glaubt, er verstehe etwas von Bildern."

Fougčres wagte nicht mehr, sich auf dem Boulevard zu zeigen. Er arbeitete an einem neuen Gemälde. Mit der Unermüdlichkeit eines Mannes plagte er sich zwei Monate lang wie ein Galeerensklave. Eines Tages ging er, fast ohne es zu wollen, wieder zum Laden des Magus. Das Bild war nicht mehr da.

"Ich habe Ihr Bild verkauft," sagte der Händler.

"Zu welchem Preise?"

"Ich habe meine Unkosten eingebracht und noch eine Kleinigkeit daran verdient. Malen Sie mir flämische Interieurs, eine Anatomiestudie, eine Landschaft. Ich werde sie Ihnen abkaufen," sagte Magus.

Fougčres wäre dem Alten am liebsten um den Hals gefallen. Er blickte zu ihm wie zu einem Vater auf. Freude im Herzen, kehrte er heim. Also hatte der große Schinner sich doch in ihm getäuscht. Noch gab es in dieser Riesenstadt Herzen, die in gleichem Takt mit seinem eigenen schlugen. Man erkannte und schätzte seine Begabung. Dieser arme Bursche von siebenundzwanzig Jahren besaß die Einfalt eines sechzehnjährigen Jünglings. Jedem andern würde die diabolische Miene des Elias Magus aufgefallen sein. Das Beben der Bartspitzen, die Haltung des Kopfes wären ihm nicht entgangen.

Wie ein Schüler, der eine Dame begleiten darf, stolzierte Fougčres mit freudestrahlendem Gesicht durch die Straßen. Er begegnete seinem ehemaligen Mitschüler Josef Bridau, einem vom Unglück verfolgten, vielversprechenden Talente. Da Bridau, wie er erklärte, noch ein paar Sous in der Tasche hatte, nahm er Fougčres mit in die Oper. Aber Fougčres sah nichts von dem Ballet, hörte nichts von der Musik; er entwarf Bilder, er malte. Noch während der Vorstellung verabschiedete er sich von seinem Freunde und eilte nach Hause. Er fing an, beim Schein der Lampe zu skizzieren, erfand dreißig Bilder voll von Reminiszenzen und hielt sich für ein Genie.

Gleich am andern Morgen kaufte er Farben und Leinwand in allen Größen. Brot und Käse stellte er auf den Tisch, füllte den Krug mit frischem Wasser und häufte Brennholz auf. Dann ging er an die Arbeit. Er hatte einige Modelle, und Magus lieh ihm ein paar Gewänder. Nach zwei Monaten vollkommener Zurückgezogenheit hatte der Bretone vier Gemälde vollendet. Wieder bat er Schinner um sein Urteil und lud auch Josef Bridau dazu ein. Die beiden Maler bezeichneten die Bilder als treue Kopien der Holländischen Landschaften und der Interieurs von Metsu, während das vierte eine mißratene Nachbildung von Rembrandts Anatomie sei.

"Nichts als Nachahmungen," sagte Schinner; "Fougčres wird es schwerlich dazu bringen, etwas Eigenes zu geben."

"Du solltest etwas anderes tun als Bilder malen," sagte Bridau.

"Was denn?" fragte Fougčres.

"Wirf Dich auf die Literatur," sagte Bridau.

Fougčres ließ den Kopf hängen wie ein Schaf im Regen. Dennoch ließ er sich einige technische Winke geben und arbeitete danach noch an seinen Bildern, bevor er sie zu Elias brachte. Dieser zahlte ihm fünfundzwanzig Francs für das Stück. Fougčres verdiente dabei nichts, verlor aber auch nichts, denn er lebte sehr anspruchslos.

Wieder nahm er nun seine Spaziergänge auf, um das Schicksal seiner Bilder zu verfolgen. Da hatte er eine merkwürdige Halluzination: seine so klar und genau gemalten Bilder, die von der Haltbarkeit des Eisenblechs und glänzend wie Porzellan waren, schienen wie von einem grauen Nebel überzogen; sie glichen alten Gemälden. Elias war ausgegangen, und so konnte sich Fougčres keine Erklärung dieses Phänomens einholen. Er dachte, es müsse eine Täuschung sein. Er kehrte heim und fing von neuem an, alte Bilder zu malen.

Nach sieben Jahren unermüdlicher, eifriger Arbeit brachte Fougčres es so weit, daß er erträgliche Bilder komponieren und ausführen konnte. Er leistete etwas Mittelmäßiges, wie viele andere Maler auch. Elias kaufte und verkaufte alle diese Bilder des armen Bretonen, der jährlich mühsam hundert Louis verdiente, während er kaum zwölfhundert Francs verbrauchte. Bei der Ausstellung des Jahres 1829 wurden Leon de Lora, Schinner und Bridau, die von großem Einfluß waren und an der Spitze der künstlerischen Bewegung standen, so ergriffen von der Beharrlichkeit und der Armut ihres einstigen Kameraden, daß sie eines seiner Bilder zum großen Salon der Ausstellung zuließen. Dies Gemälde zeigte einen jungen Sträfling, dem die Haare geschoren wurden. Er saß zwischen einem Priester und einem jungen und einem alten Weibe, die weinten, während ein Schreiber ein gestempeltes Schriftstück las. Unberührt standen auf einem schmutzigen Tische Speisen; zwischen den Gitterstäben eines hochgelegenen Fensters fiel das erste Tageslicht herein. Ein Etwas in diesem Bilde mußte die Bürger erschauern lassen – und sie erschauerten. Unverkennbar war Fougčres von Gérard Dous bekanntem Meisterwerk beeinflußt worden; er hatte die Gruppe im Gemälde "Die wassersüchtige Frau" zum Fenster gedreht, statt sie von vorne zu zeigen und die Sterbende durch den Verurteilten ersetzt; es war dasselbe fahle Gesicht, derselbe Blick, derselbe Aufschrei zu Gott. Statt des flämischen Arztes hatte er den schwarzgekleideten Schreiber mit seiner kalten Amtsmiene hingemalt, und dem Mädchen auf dem Bilde Gérard Dous ein greises Weib zugesellt. Beherrscht wurde die Gruppe von dem brutal gleichgültigen Gesicht des Henkers. Das Plagiat war raffiniert ausgeführt, und niemand erkannte es als solches. Der Katalog vermerkte: "No. 510. Grassou de Fougčres, Pierre, 2 Rue de Navarin. Toilette eines im Jahre 1809 zum Tode verurteilten Verbrechers".

Trotz seiner Talentlosigkeit wurde dem Bilde ein beispielloser Erfolg zuteil; erinnerte es doch an den Fall der Heizer von Mortagne. Das Publikum sammelte sich. Tag für Tag vor dem Bilde, das die Sensation von Paris bildete. Auch Karl X. blieb davor stehen. Madame, der man von dem kümmerlichen Dasein des Bretonen erzählt hatte, begeisterte sich für ihn. Der Herzog von Orleans bemühte sich um das Gemälde. Von Prälaten hörte Madame la Dauphine, daß das Bild eine gute Moral enthalte, und es war in der Tat von sympathischen religiösen Gedanken erfüllt. Monseigneur le Dauphin bewunderte, wie der Staub auf den Mauersteinen gemalt sei, worin er übrigens irrte, denn Fougčres hatte durch grünliche Reflexe die schimmlige Feuchtigkeit der Wände andeuten wollen. Madame erwarb das Bild für tausend Francs, und der Dauphin erteilte dem Künstler den Auftrag auf ein zweites, ähnliches. Fougčres, dessen Vater 1799 für die Sache des Königs gefochten hatte, wurde von Karl X. durch Verleihung des Ehrenkreuzes ausgezeichnet, während Josef Bridau, der große Künstler, leer ausging. Der Minister des Innern übertrug Fougčres die Ausführung zweier Kirchengemälde. Somit bedeutete diese Ausstellung des Salon für Pierre Grassou Reichtum, Ruhm und Zukunft. Schöpfer sein, heißt am langsamen Feuer schmoren; nachahmen, das heißt leben!

Eine Goldquelle hatte sich Grassou eröffnet. In seinem skrupellosen Mißbrauch der Kunst war er wieder einmal ein Beispiel dafür, daß die überwältigende Mehrheit der Unfähigen in unseren Tagen überall das Aufkommen der wahrhaft Begabten erschwert und einen erbarmungslosen Kampf gegen das wirkliche Talent führt. Fougčres wunderte sich selbst über seinen Erfolg, und seine Bescheidenheit und Schlichtheit ließen Neid und Mißgunst verstummen. Außerdem hatte er alle Grassous, die schon ihr Glück gemacht hatten, auf seiner Seite, mehr aber noch jene, die darauf hofften. Einige waren von der Willenskraft dieses Mannes, den nichts hatte niederwerfen können, begeistert und sagten: "Man muß seinen Willen zur Kunst anerkennen! Grassou hat sein Glück nicht gestohlen; der arme Kerl hat sich zehn Jahre lang hart darum geschunden!" Alle Glückwünsche, die dem Maler dargebracht wurden, klangen aus in diesem Ausruf: "Der arme Kerl!" Vom Mitleid wird ja ebensoviel Mittelmäßigkeit erhoben, als vom Neid Größe und Bedeutung gestürzt. Die Zeitungen hatten in ihren Kritiken nicht mit bitterer Schärfe gespart, aber Fougčres schluckte sie, ebenso wie die verbessernden Ratschläge seiner Kameraden, mit Engelsgeduld hinunter.

Nachdem er sich nun im Besitz von fünfzehntausend Francs sah, die sauer genug verdient worden waren, richtete er sich in der Rue de Navarin seine Wohnung und sein Atelier ein und gab sich an das vom Dauphin in Auftrag gegebene Gemälde. Auch die vom Ministerium bestellten beiden Kirchenbilder lieferte er so genau am festgesetzten Termin ab, daß der Minister ebenso wie seine Kasse von der unerwarteten Pünktlichkeit des Künstlers aufs höchste überrascht und in Verlegenheit gebracht wurde. Allein den ordnungsliebenden Leuten ist das Glück wohlgesonnen. Hätte Grassou mit der Ablieferung gesäumt, so wäre er wohl infolge der Julirevolution niemals bezahlt worden. Mit siebenunddreißig Jahren hatte Fougčres für Elias Magus nahezu zweihundert Bilder fabriziert. Sie blieben zwar gänzlich unbekannt, aber er war zufrieden damit, und diese Arbeit hatte sein Schaffen so zum Handwerk gemacht, daß die Künstler die Achseln zuckten. Die Bürger liebten ihn. Die Freunde schätzten Fougčres wegen seines biederen und mitfühlenden Wesens, wegen seiner Freundlichkeit und Anhänglichkeit. Während sie seine Palette mißachteten, achteten sie doch den Mann, der sie hielt. "Ein Jammer, daß Fougčres dem Laster des Malens verfallen ist," sagten die Freunde untereinander.

Trotz seiner Talentlosigkeit war Grassou ein schätzenswerter Berater, wie es auch in der Literatur Leute gibt, die selbst kein brauchbares Buch zustandebringen, aber einen guten Blick für die Fehler anderer Werke haben. Dennoch war zwischen dieser Art literarischer Kritik und der Fougčres ein Unterschied; Grassou war im höchsten Grade empfänglich für das Schöne, er war dankbar dafür, und so kamen seine Ratschläge aus einem aufrichtigen Empfinden, dem man wirklich vertrauen durfte.

Seit der Julirevolution schickte Fougčres zu jeder Ausstellung ein Dutzend Bilder, von denen vier oder fünf durch die Jury zugelassen wurden. Der Maler lebte äußerst bescheiden und hielt sich zur Bedienung nur eine Haushälterin. Seine einzige Unterhaltung fand er in Besuchen bei seinen Freunden, im Anschauen von Kunstsammlungen und hin und wieder in einer kleinen Reise, die ihn aber nie über die Grenzen Frankreichs hinausführte. Er beabsichtigte aber, sich demnächst in der Schweiz neue Anregung zu holen. Unser Künstler war ein durchaus einwandfreier Staatsbürger, der seiner Wehrpflicht genügte, sich zu den Musterungen einstellte und seine Steuern ebenso wie seine Miete mit peinlicher Pünktlichkeit entrichtete.

 

Da sein Leben in Arbeit und Sorgen aufgegangen war, hatte er keine Zeit gefunden, an die Liebe zu denken. Dem armen Junggesellen kam es auch garnicht in den Sinn, sein einsames Leben aufzugeben, und da er nicht wußte, wie er sein Geld nutzbringend anlegen könne, brachte er jeweils die Ersparnisse des Quartals zu seinem Notar Cardot. Als die Summe auf tausend Taler angewachsen war, legte dieser sie als erste Hypothek an. Der Maler wartete auf den glücklichen Augenblick, wo seine Papiere die imposante Summe von zweitausend Francs Rente abwerfen würden, um sich das otium cum dignitate des Künstlers zu geben und Bilder zu malen, oh, wirkliche, vollendete Kunstwerke. Seine Zukunft, seinen Traum von Glück, seiner Hoffnungen Superlativ – wollt ihr ihn hören? Mitglied des Instituts werden und die Rosette der Offiziere der Ehrenlegion erwerben. Seite an Seite mit Schinner und Leon de Lora sitzen, früher als Bridau. Eine Rosette im Knopfloch tragen! Welcher Traum! – Welch kleiner Geist, der nur an diese Dinge denkt!..

Als Fougčres Schritte aus der Treppe vernahm, fuhr er sich durch das Haar, knöpfte seine flaschengrüne Sammetweste zu und war nicht wenig entsetzt, als er gleich darauf ein Gesicht vor sich sah, das man in der Sprache der Ateliers treffend "Melone" nennt. Diese Frucht saß auf einem mit blauem Tuch bekleideten und mit einem Gehänge klingender Berlocks geschmückten Kürbis, dem zwei Steckrüben, die man nur irrtümlicherweise als Beine bezeichnen konnte, zum Gehen dienten. Die Melone schnaufte wie ein Walroß. Ein echter Künstler hätte den hiermit charakterisierten kleinen Flaschenhändler unverzüglich vor die Tür gesetzt, mit dem Bedauern, daß er leider kein Gemüse male. Fougčres aber sah sich seine Kundschaft erst, ohne eine Miene zu verziehen, an, denn im Vorhemd des Herrn Vervelle prangte ein Diamant von tausend Talern Wert. Der Blick, den hierauf Fougčres dem Magus zuwarf, bedeutete etwa: "Ein feister Brocken!", während Herr Vervelle die Stirn runzelte. Der Ehrenmann führte noch zwei andere Gemüsesorten in Gestalt seiner Frau und seiner Tochter mit sich. Die Gattin glich mit ihrem mahagonifarbenen Gesicht einer auf unförmlichen Füßen stehenden Kokosnuß, die nur mit einem Kopf gekrönt und von einem Gürtel eingeschnürt war. Sie trug ein gelbes Kleid mit schwarzen Streifen. Ihre geschwollenen Hände staken kokett in unvorstellbaren Fausthandschuhen, die einem Korporal hätten gehören können. Ihren riesigen Hut überfluteten mächtige Straußenfedern, und ihre runden massigen Schultern waren mit Spitzen geschmückt. Dergestalt war die elfenhafte Erscheinung der Kokosnuß. Die Füße, die man treffender als Wurzelklötze bezeichnen würde, quollen in sechs Wülsten über die Lackschuhe hervor. Wie waren sie nur in die Schuhe hineingekommen?! Man weiß es nicht.

Ihr folgte ein junger, grün-gelber Spargel, dessen kleinen Kopf eine von Schleifchen gehaltene, rüben-rote Lockenfrisur zierte. Sie hatte spindeldürre Arme, einen leidlich weißen Teint, der mit Sommersproßen übersät war, große Unschuldsaugen mit fahlen Wimpern, fast gar keine Augenbrauen, einen Florentiner Strohhut, den züchtig zwei von weißen Satinlitzen eingefaßte Rosetten garnierten, die roten Hände der Tugend und die Füße der Mutter.

Aus der beglückten Miene, mit der diese drei Wesen in dem Atelier des Malers Umschau hielten, verriet sich ihre ehrfürchtige Begeisterung für die Kunst.

"Sie also werden uns malen, mein Herr?" fragte der würdige Vater.

"Ja, mein Herr!" anwortete Grassou.

"Vervelle, er hat das Ehrenkreuz!" flüsterte die Frau ihrem Manne zu, als der Maler ihnen den Rücken zuwandte.

"Glaubst du, ich würde unsere Bilder von einem Maler ohne Auszeichnung malen lassen?" sagte der gewesene Flaschenhändler.

Elias Magus verabschiedete sich von der Familie Vervelle und ging.

Grassou begleitete ihn zur Treppe.

"Das war auch nur Ihnen möglich, solche Kugeln aufzufangen," sagte er.

"Hunderttausend Francs Mitgift!" sagte Magus.

"Ja, aber was für eine Familie!"

"Dreihunderttausend Francs späteres Erbteil, ein Haus in der Rue Boucherat und ein Landhaus in Ville d'Avray. Sie wären für Lebenszeit versorgt," sagte Elias.

Dieser Gedanke durchzuckte Grassous Gehirn wie die Morgensonne seine Mansarde.

Während er dem Vater des jungen Mädchens behilflich war, die richtige Stellung zum Porträtieren einzunehmen, erfreute er sich an dem gutmütigen Ausdruck dieses Mannes und bewunderte die violetten Farbtöne dieses Gesichts. Mutter und Tochter flatterten um den Maler herum und beobachteten voller Entzücken seine Vorbereitungen; er erschien ihnen wie ein Gott. Fougčres gefiel sich in dieser Bewunderung. Das goldne Kalb strahlte sein phantastisches Licht über diese Familie.

"Sie müssen unheimliche Summen verdienen, nicht wahr?" sagte die Mutter. "Aber Sie geben das Geld wahrscheinlich ebenso schnell, wie Sie es verdienen, wieder aus."

"Nein, gnädige Frau," erwiderte der Maler, "ich gebe es nicht aus, denn ich wüßte nicht, wozu. Mein Notar arbeitet mit dem Gelde und führt Buch darüber; und sobald ich es ihm gegeben habe, denke ich nicht mehr daran."

"Ich habe mir sagen lassen," rief Papa Vervelle, "Ihr Künstler wäret wie die Siebe."

"Wer ist Ihr Notar, wenn es erlaubt ist?" fragte Frau Vervelle.

"Oh, ein guter Kerl, der runde Cardot."

"Aber nein, wie komisch!" lachte Vervelle. "Cardot ist auch unser Notar."

"Sie dürfen sich nicht bewegen," sagte der Maler.

"Aber so bleibe doch ruhig," rief die Gattin. "Du wirst schuld sein, wenn der Herr einen Fehler macht. Du solltest ihn nur bei der Arbeit sehen, so würdest Du verstehen…" "Ach Gott! Warum habt Ihr mich nicht im Malen unterrichten lassen!" sagte Fräulein Vervelle zu den Eltern.

"Virginie," rief die Mutter, "es gibt gewisse Dinge, die ein junges Mädchen nicht kennen darf. Bist Du erst einmal verheiratet – gut! Aber bis dahin gib Dich zufrieden."

Diese erste Sitzung genügte, um den ehrenwerten Künstler mit der Familie Vervelle schon recht befreundet werden zu lassen. In zwei Tagen sollten die Vervelles wiederkommen. Vater und Mutter ließen Virginie auf dem Heimweg ein wenig vorausgehen, aber trotz der Entfernung erlauschte sie folgende Worte, die ihre Neugier erweckten: "Ein dekorierter Mann … siebenunddreißig Jahre … ein Künstler mit Aufträgen, dessen Geld von unserm Notar verwaltet wird … wie wäre es, wenn wir Cardot zu Rate zögen? Ha! Madame de Fougčres wäre nicht übel!.. Er sieht nicht aus wie ein übler Mensch… Du meinst, besser ein Großhändler? Aber bei einem Kaufmann kannst Du, wenn er sich nicht bereits vom Geschäft zurückgezogen hat, nie wissen, wie es Deiner Tochter ergehen wird. Ein sparsamer Künstler dagegen … außerdem lieben wir die Kunst … kurz und gut…"

Während die Familie Vervelle ihre Eindrücke über den Maler austauschte, bildete sich auch Fougčres seinerseits sein Urteil über die drei. Aber das Atelier war ihm zu eng und still dazu. Er begab sich auf die Straße und musterte die rothaarigen Frauen unter den Vorübergehenden, wobei er die seltsamsten Schlußfolgerungen zog: Gold sei das schönste der Metalle, und die gelbe Farbe kennzeichne das Gold, die Römer liebten Frauen mit goldrotem Haar und er fühle wie ein Römer … und dergleichen mehr. Welcher Mann kümmert sich, nach zwei Jahren der Ehe noch um die Haarfarbe seiner Frau? Schönheit vergeht, aber die Häßlichkeit besteht. Geld ist der halbe Weg zum Glück.