Abende auf dem Gut Dikanka

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Abende auf dem Gut Dikanka
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

LUNATA

Abende auf dem Gut Dikanka

Abende auf dem Gut Dikanka

Phantastische Novellen

© 1832 by Nikolai Wassiljewitsch Gogol

Originaltitel Večera na chutorě bliz Dikańki

Aus dem Russischen von Ludwig Rubiner

und Frida Ichak

Umschlagbild: Carl Spitzweg

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Erster Teil

Vorrede

Der Jahrmarkt in Sorotschintzy

Die Johannisnacht

Mainacht oder Die Ertrunkene

Der verschwundene Brief

Zweiter Teil

Vorrede

Schreckliche Rache

Die Nacht vor Weihnachten

Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante

Der verhexte Ort

Über den Autor

Erster Teil

Vorrede

Was ist denn das wieder für ein Ding: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka? Was für »Abende« sind denn das? Und die dazu gar noch ein Bienenzüchter in die Welt gesetzt hat! Gott bewahr’ uns! Hat man etwa noch zu wenig Gänsefedern gerupft und allzu wenig Lumpen zu Papier verarbeitet! Hat etwa noch zu wenig Pack, haben etwa noch zu wenig Leute von jeglichem Stand ihre Finger mit Tinte bekleckst! Da muß der Teufel nach all dem anderen Volk auch noch einen Bienenzüchter reiten, es den andern nachzumachen! Wahrhaftig! Es gibt doch schon so viel bedrucktes Papier, daß man bald nicht mehr recht weiß, was alles man hineinwickeln soll!

All diese Reden hat meine Prophetie schon gehört, schon vor einem Monat gehört! Ich will nämlich sagen, daß es für unsereins, daß es für uns Vorwerksbesitzer genau dasselbe ist, wenn man — o du grundgütiger Himmel —, die Nase aus seinem Loch in die große Welt steckt, als wenn man in die Gemächer eines feinen Herrn tritt: alle bilden einen Kreis um einen, und der Schabernack geht los; derartiges könnte man sich am Ende noch von besseren Lakaien gefallen lassen, — aber nein, irgend so ein zerlumpter Junge, irgendein Lümmel, der sich im Hinterhof herumdrückt, auch so einer traut sich heran. Da stampfen sie mit den Füßen und rufen einem von allen Seiten zu: »Wohin willst du? Zu wem? Pack dich du Bauernkerl! Scher dich zum Teufel!« ... Ich kann euch sagen ... Aber was sollen alle Worte! Mir fällt’s wahrhaftig leichter, zweimal im Jahr nach Mirgorod zu reisen, wo mich schon seit fünf Jahren weder der Schreiber vom Landgericht noch seine Hochwürden zu Gesicht bekommen haben, als zu den großen Leuten zu steigen; tu ich’s aber mal, dann heißt’s, ob’s dir nun paßt oder nicht, Rede und Antwort stehen.

Nichts für ungut, meine lieben Leser (und ihr nehmt’s vielleicht übel, daß ein einfacher Bienenzüchter zu euch redet wie zu seinem Gevatter oder Ehestifter), wir Vorwerksleute haben von jeher solche Bräuche: sowie die Feldarbeiten zu Ende sind, der Bauer übern Winter zur Ruh’ hintern Ofen kriecht und unsereins seine Bienen in den dunklen Keller steckt; sowie es keinen Kranich mehr am Himmel und auf dem Baum keine Birne mehr gibt, da kann man, wenn es Abend wird, sicherlich irgendwo am Ende der Dorfstraße ein Licht blinken sehen; von ferne hört man lachen und singen, die Balalaika klimpert, oft auch vernimmt man Geigenklänge, lauten Schwatz und Lärmen ... Das sind die Unterhaltungen unserer Abende! Sie ähneln sozusagen euren Bällen, aber doch nicht ganz. Wenn ihr auf einen Ball fahrt, so geschieht’s doch nur, um herumzuspringen und in die hohle Hand zu gähnen. Bei uns dagegen, wenn da in einer Stube ein Haufen Mädchen mit Spinnrocken und Spindelkamm zusammenkommt, so ist das durchaus kein Ball. O nein! — Zuerst sieht’s aus, als ob sie ernstlich an die Arbeit gehen wollten. Die Spindeln surren, die Lieder schwirren, und keine wagt es, zur Seite zu blicken. Kaum aber kommen die Burschen mit dem Fiedelmann in die Stube, da beginnt ein Toben und Schreien, es wird getanzt, und solche Streiche geschehen da oft, daß man’s gar nicht erzählen kann.

Aber am schönsten ist’s doch, wenn alle sich zu einem Haufen zusammentun, und man beginnt, Rätsel zu raten, oder ganz einfach — zu schwatzen. O mein Gott! Was wird da nicht alles erzählt! Was wird da nicht für alter Kram ausgegraben! Was für Gruselzeug wird da nicht herangeschleppt! Aber nirgends ward wohl soviel Wunderliches erzählt wie an den Abenden beim Rotfuchs Panjko, dem Bienenzüchter. Warum mich die Leute den »Rotfuchs Panjko« nennen, das vermag ich, weiß Gott, nicht zu sagen. Auch ist ja mein Haar, sollt’ ich wohl glauben, eher grau als rot. Aber das ist bei uns nun eben, mit Verlaub zu sagen, so Sitte: haben die Leute einem mal 'nen Spitznamen gegeben, so behält er ihn in alle Ewigkeit. Oft kamen am Vorabend hoher Feiertage allerlei brave Leute in die Hütte des Bienenzüchters zu Gaste, und wenn die sich erst an den Tisch gesetzt hatten, da gab’s dann was zu hören. Das waren nicht etwa Leute aus den einfachen Ständen, nicht etwa Bauern aus einem Vorwerk; manch einem, der mehr als Bienenzüchter ist, würde ihr Besuch Ehre machen. Kennt ihr zum Beispiel Foma Grigorjewitsch, den Küster an der Kirche zu Dikanka? Das ist ein Kopf, sag’ ich euch! Was konnte der nicht für Geschichten erzählen! Zwei davon sollt ihr in diesem Büchlein finden. Nie hat der einen Kittel aus Bast getragen, wie ihr ihn bei so vielen Küstern auf dem Lande findet; ja, kamt ihr selbst an Werkeltagen zu ihm, so empfing er euch immer in einer Joppe aus feinem Tuch von einer Farbe wie die von kaltem Kartoffelbrei, für das er in Poltawa fast sechs Rubel die Elle bezahlt hat. Von seinen Stiefeln wird niemand auf dem ganzen Weiler behaupten können, sie hätten nach Teer gerochen; jeder weiß, daß er sie mit dem allerfeinsten Schmalz geschmiert hat, das, glaub’ ich, mancher Bauer sich wohl mit Freuden in den Brei getan hätte. Auch wird niemand zu sagen wagen, daß er sich je die Nase mit dem Rockschoß gewischt hat, wie es manche Leute seines Standes zu tun pflegen; nein, er zog ein weißes, säuberlich gefaltetes Tüchlein aus dem Busen, dessen Bänder mit rotem Zwirn bestickt waren, verrichtete sein Bedürfnis, faltete es nach seiner Gewohnheit zwölffach zusammen und barg es wieder im Busen. Und ein anderer Gast ... je nun, das war solch ein feines Herrchen, daß man ihn stracks zum Präsidenten oder Exekutor hätte machen können. Er pflanzte seinen Finger vor der Nase auf, und dann blickte er die Spitze an und erzählte so spitzfindig durch die Blume, akkurat wie es in den gedruckten Büchern steht! Wenn ihn unsereiner manchmal so hörte, da mußte man ja ganz nachdenklich werden. Kein Sterbenswörtchen war zu verstehen. Wo hat der bloß solche Worte hergenommen? Diesbezüglich hat Foma Grigorjewitsch einmal eine treffliche Schnurre erdacht: er erzählte ihm eine Geschichte von einem Schüler, der einst bei einem Küster zur Schule ging; als der wieder zu seinem Vater kam, da war er ein solcher Lateiner geworden, daß er sogar unsere rechtgläubige Sprache vergessen hatte — alle Worte ließ er auf »us« endigen: statt Schaufel sagte er »Schaufelus«, statt Weib »Weibus« usw. Einmal ging er mit seinem Vater über Feld. Der Lateiner erblickt eine Harke und fragt: »Wie nennt man das bei euch, Vater?« und dabei sperrte er das Maul weit auf und trat der Hacke auf die Zähne. Der Vater hatte kaum antworten können, da flog der Griff der Harke dem Sohne mit einem Schwung gegen die Stirn. »Die verdammte Harke!« schrie der Schuljunge, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sprang eine Elle hoch in die Luft. »Der Satan soll den Mann holen, der das Harkenzeug gemacht hat! Sie tut so weh!« »So, bist du endlich auf den Namen gekommen, mein Täubchen?« — Dieses Märchen wollte dem verblümten Erzähler nicht besonders gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er von seinem Platze auf, stellte sich breitbeinig mitten im Zimmer hin, neigte den Kopf etwas vor, schob die Hand in die Seitentasche seines erbsengrauen Rockes, holte seine runde lackierte Tabakdose hervor, schnippte mit dem Finger über das draufgemalte Gesicht eines ausländischen Generals, nahm eine ziemlich große Prise seines mit Asche und Liebstöckelblättern vermischten Tabaks, führte sie weit ausholend an die Nase und sog im Nu das ganze Häufchen ein, ohne auch nur den Daumen zu streifen, und dabei sprach er keine Silbe. Erst als er in die andere Tasche griff und ein blaukariertes Baumwolltuch hervorholte, da murmelte er etwas vor sich hin, wie: »Man darf seine Perlen nicht vor die Säue werfen!« ... »Da gibt’s einen Krach,« dachte ich, als ich sah, wie Foma Grigorjewitschs Finger sich zu einer Ohrfeige zusammenballten; zum Glück hatte meine Alte die gute Idee gehabt, gebackenes Weißbrot mit Butter auf den Tisch zu stellen. So machten sich denn alle daran; auch Foma Grigorjewitschs Hand griff, statt dem andern eine Nase zu drehen, danach, und alle begannen, wie üblich, die tüchtige Hausfrau zu loben. Dann gab’s bei uns noch einen, der zu erzählen verstand; aber der (nie zur Nacht sei dran gedacht!) der erzählte so gruselige Geschichten, daß einem die Haare zu Berge standen. Ich habe sie absichtlich nicht hier hereingebracht: die guten Leute könnten gar noch solche Angst vor dem Bienenzüchter bekommen, wie — Gott bewahre mich — vor dem Teufel. Lieber will ich, wenn’s Gott gefällt, bis Neujahr warten, und gebe dann noch ein Büchlein heraus. Da sollen uns meinetwegen Gestalten aus jener anderen Welt entsetzen, und Mirakel, die sich in alten Zeiten in unserem rechtgläubigen Lande zugetragen haben. Ihr werdet darunter vielleicht auch einige Parabeln vom Bienenzüchter selbst finden, wie er sie seinen Enkeln erzählt hat. Ihr braucht nur die Ohren zu spitzen. Ich hab’ nur keine Lust herumzukramen, sonst könnte ich wohl noch zehn solche Büchlein zusammenbringen.

 

Doch halt — ich habe ja die Hauptsache vergessen: Wenn Ihr, lieben Herren, zu mir fahrt, dann schlagt die gerade Poststraße nach Dikanka ein. Ich hab’ mit Fleiß den Ort an die erste Seite gestellt, damit Ihr den Weiler schneller zu erreichen wißt. Doch Ihr habt wohl schon zur Genüge von Dikanka gehört. Wahrlich, dort sind die Häuser stattlicher als die Strohbude eines bescheidenen Bienenzüchters. Ganz zu schweigen vom Garten: dergleichen findet ihr wohl nur noch in eurem Petersburg. Wenn ihr nach Dikanka kommt, so fragt bloß den ersten besten Jungen, der im schmierigen Hemd seine Gänse hütet: »Wo wohnt hier der Bienenzüchter Panjko?« — »Da hier,« wird er sagen, und zeigt’s euch mit dem Finger, und wenn ihr wollt, so bringt er euch sogar bis vors Haus. Doch bitte ich euch, legt nur nicht zu gemächlich die Hände auf den Rücken und springt mir nicht zu unbedacht herum, denn unsere Landstraßen sind nicht so glatt wie die vor euren feinen Häusern. Als Foma Grigorjewitsch vor zwei Jahren aus Dikanka hinausfuhr, geriet er mit seinem Wägelchen mitsamt dem vorgespannten Braunen in den Graben, obwohl er selbst die Zügel führte und sich zu seinen eignen Augen noch manchmal gekaufte aufsetzte.

Wenn ihr nun aber doch zu Gaste kommt, so sollt ihr solche Melonen kriegen, wie ihr sie euer Lebtag noch nicht gegessen habt; und besseren Honig, das schwör’ ich euch, werdet ihr auf keinem Vorwerk finden: stellt euch vor, wenn man so eine Wabe hereinbringt, da strömt euch ein Geruch durchs ganze Zimmer — es läßt sich gar nicht ausdenken, was für ein Geruch! Klar wie eine Träne oder wie teures Kristall, das man in den Ohrringen trägt! Und was für Pasteten euch meine Alte vorsetzt! Was für Pasteten! Wenn ihr das wüßtet: Zucker, der reine Zucker! Und die Butter läuft einem beim Essen nur so über die Lippen. Es ist nicht zu glauben, was diese Weiber alles können! Habt ihr schon je Birnenmost mit Schlehdornbeeren gekostet, meine Herren? Oder Bier mit Rosinen und Pflaumen? Oder Gekröse in Milch? O Gott, was es alles für Gerichte in der Welt gibt! Man kann kaum genug bekommen. O, es ist ein Genuss: zum Fingerablecken! Im vergangenen Jahr ... Aber was schwatz’ ich da zusammen ... kommt nur, kommt recht bald; ihr sollt so bewirtet werden, daß ihr’s ganz sicher weit und breit erzählen werdet.

Rotfuchs Panjko

Bienenzüchter

Der Jahrmarkt in Sorotschintzy

1

Trüb wird mir in dieser Hütte,

O so führ mich aus dem Haus!

Führ mich hin zu Lärm und Braus,

Dorthin, wo die Mädel springen

Und die Burschen Gläser schwingen!

Aus einer alten Legende

Wie köstlich und erquickend ist doch ein Sommertag in Kleinrussland! Wie schmachtend heiß sind jene Stunden, da der Mittag in Stille und Glut erstrahlt, der unermeßliche blaue Ozean wie eine Kuppel der Wollust über der Erde hängt und wie ein Schlafender, ganz versunken in Wonne, seine luftigen Arme um die Schöne schlingt! Keine Wolke steht am Himmel, kein Laut ist im Felde zu hören. Alles liegt da wie tot; nur oben in der Tiefe des Himmels schwirrt eine Lerche, silberne Lieder fliegen die luftigen Stufen herab zur verliebten Erde, und ab und zu hallt der Schrei einer Möwe oder der gellende Ruf einer Wachtel durch die Steppe. Träg und allen Denkens bar, wie Lustwandelnde ohne Ziel, stehen bis zu den Wolken ragend die Eichen, und die blendende Glut der Sonnenstrahlen entzündet ganze Haufen von Laub, die malerisch daliegen, während sie andere in nachtschwarze Schatten hüllt, die nur bei starkem Winde wie Gold aufleuchten. Smaragde, Topase und Saphire ätherischer Insekten regnen auf die bunten Farben der Gärten herab, die von steilen Sonnenblumen geschirmt werden. Graue Heuschober und goldene Garben malen ein Kriegslager auf das Feld und wandern weit hinaus über den unermeßlichen Raum. Breite Zweige, die unter der Schwere der Früchte herabsinken, Kirschbäume, Pflaumen, Äpfel, Birnbäume; der klare Himmel und sein heller Spiegel, der Fluß in grünem, stolz erhöhten Rahmen ... wie voll Wonne und Lust ist doch der kleinrussische Sommer!

In solcher Pracht erglänzte einer der heißen Augusttage des Jahres achtzehnhundert ... achtzehnhundert ... es werden wohl etwa dreißig Jahre her sein, — da die Straße schon zehn Werst vorm Städtchen Sorotschintzy ganz schwarz von wimmelndem Volke war, das von allen nahen und fernen Vorwerken der Umgebung auf den Jahrmarkt eilte. Seit dem frühen Morgen zog sich eine endlose Reihe Wagen mit Salz und Fisch dahin. Ganze Berge von Töpfen, die in Stroh gewickelt waren, schwankten langsam hin und her und schienen sich höchlich zu langweilen über das Dunkel ihrer Verkerkerung; nur stellenweise guckte eine buntbemalte Schüssel oder ein tönerner Mörser prahlerisch unter dem hoch überm Wagen aufgespannten Schutznetz hervor und lenkte die entzückten Blicke aller Verehrer von Prunk und Luxus auf sich. Viele von den Vorübergehenden blickten neidisch auf den hochgewachsenen Töpfer, den Besitzer dieser Kostbarkeiten, der langsamen Schrittes hinter seiner Ware einherging, und seine tönernen Gecken und Koketten sorgfältig in das ihnen so verhaßte Stroh einwickelte.

Ein einsamer Wagen schleppte sich abseits hinter müden Ochsen einher. Er war mit Säcken, Hanf, Flachs und allerhand Häuslichkeit beladen, und hinter ihm trollte sich der Besitzer in reinem Leinwandhemd und schmutzigen Hosen einher. Mit träger Hand wischte er den herabrieselnden Schweiß vom braunen Gesicht und dem langen Schnurrbart, der von jenem unerbittlichen Barbier gepudert war, der ebenso ungerufen, zum schönsten Mädchen wie zum Krüppel kommt und seit Tausenden von Jahren das ganze menschliche Geschlecht wider seinen Willen mit Puder bestreut. An der Seite des Mannes trottete eine an den Wagen gebundene Stute, deren demütiges Äußere ihr hohes Alter bezeugte. Viele Fußgänger, besonders die jungen Burschen, griffen an ihre Mütze, wenn sie den Bauer einholten. Allein es war weder sein Schnurrbart, noch sein stolzer Gang, was sie zu diesem Gruß veranlaßte; man brauchte nur die Augen etwas zu heben, um den Grund dieser Hochachtung wahrzunehmen: Oben auf dem Wagen saß sein hübsches Töchterlein mit rundem Gesichtchen, schwarzen Augenbrauen, die sich wie steil geschwungene Bögen über den hellgrauen Augen abzeichneten, und sorglos lächelnden rosigen Lippchen; sie hatte den Kopf mit roten und blauen Bändern umwunden, die zusammen mit den langen Zöpfen und einem Strauß aus Feldblumen wie eine prächtige Krone auf ihrem entzückenden Köpfchen ruhten. Alles schien sie zu locken; alles war ihr so seltsam neu ... Und die hübschen Äuglein sprangen unablässig von einem Ding zum anderen hinüber. Wie sollten sie auch nicht! War sie doch zum ersten Male auf dem Jahrmarkt! Ein Mädchen von achtzehn Jahren und das erste Mal auf dem Jahrmarkt! ... Aber keiner der Vorbeiziehenden und Vorüberwandernden konnte wissen, wieviel Mühe es sie gekostet hatte, ihren Vater zu erweichen, der es ja von Herzen gern getan hätte, wäre nicht die böse Stiefmutter dagewesen. Die verstand’s nämlich, ihn ebenso geschickt zu lenken, wie er seine alte Stute, die er jetzt am Zügel hielt und nach langem Dienste zum Verkauf mit sich führte. Diese ruhelose Ehegattin ... Aber wir haben ganz vergessen, daß sie ja auch da oben auf dem Wagen dasaß in einer schmucken, grünen Wolljacke, auf die, wie beim Hermelin, kleine Schwänzchen aufgenäht waren; allerdings waren es nur solche von roter Farbe. Das reiche Tuch sah fast so bunt aus wie ein Schachbrett, und das bunte baumwollene Häubchen verlieh ihrem hübschen runden Gesicht eine ganz besondere Würde. Aber ihre Züge hatten etwas so Unangenehmes und Wüstes an sich, daß jeder sich sofort beeilte, seinen erschreckten Blick dem heiteren Gesichtchen der Tochter zuzuwenden.

Doch jetzt leuchtete vor den Augen unserer Reisenden bereits der Psjoll-Fluss auf; schon wehte aus der Ferne eine frische Kühle herüber, die nach der ermattenden, zehrenden Hitze um so deutlicher spürbar war. Durch das Dunkel und Hellgrün des Laubs schwarzer und schlanker Pappeln und Birken, die hie und da auf der Wiese verstreut waren, leuchteten feurige in schattige Kühle gehüllte Funken auf, und der Strom entblößte blitzend, wie ein schönes Weib, seine silberne Brust, auf die die dichten grünen Locken der Bäume üppig herabsanken.

In jenen köstlichen Stunden, wo der treue und beneidenswerte Spiegel den stolzen und blendenden Glanz von des Flusses Stirn, seine lilienweißen Schultern und seinen Marmorhals, der von einer dunkel vom blonden Haupte fallenden Flut überschattet ist, in sich aufnimmt, wo der Strom verächtlich den einen Schmuck von sich streift, um ihn durch einen anderen zu ersetzen, und seine Launen kein Ende finden wollen, — in diesen Stunden wechselt er mutwillig, wie er ist, fast jedes Jahr seine Umgebung, wählt sich einen neuen Weg und umgibt sich mit neuen, mannigfaltigen Landschaften. Die langen Reihen der Mühlen hoben die breiten Wellen auf ihre schweren Räder und warfen sie mächtig zurück, zerstäubten sie, ließen sie über die ganze Umgebung herabsprühen und erfüllten ringsherum alles mit Lärm. Um diese Zeit fuhr der Wagen mit den uns schon bekannten Passagieren über die Brücke, und nun streckte sich vor ihnen der Strom in seiner ganzen Pracht und Schönheit hin, wie eine riesige Fläche von Glas. Der Himmel, die grünen und blauen Wälder, die Menschen, die Wagen mit den Töpfen, die Mühlen — alles schien umgestürzt, zog vorüber und stand auf dem Kopfe, ohne doch in den schönen, blauen Abgrund herabzufallen. Das schöne Mädchen wurde bei der Herrlichkeit der Aussicht ganz nachdenklich und vergaß sogar, an ihren Sonnenblumenkernen zu knabbern, was sie während des ganzen Weges getan hatte, als ihr auf einmal die Worte: »Ei was für ein Mädel!« ans Ohr drangen. Sie schaute sich um und sah auf der Brücke einen Haufen Burschen stehen, deren einer etwas feiner gekleidet war als die anderen; er hatte eine weiße Bluse an und eine graue Lammfellmütze auf dem Kopf, stützte die Hände auf die Hüften und sah sich keck die Vorüberfahrenden an. Die Schöne konnte ihn unmöglich nicht bemerken, ihr Blick streifte sein braungebranntes, doch angenehmes Gesicht und seine feurigen Augen, die sie gleichsam durchbohren wollten, aber sie senkte ihn wieder bei dem Gedanken, das Wort, das sie vernommen hatte, sei von ihm gekommen. »Ein prächtiges Mädel!« fuhr der Bursch in der weißen Bluse fort, ohne seine Augen von ihr abzuwenden. »Ich würde mein ganzes Hab und Gut darum geben, wenn ich sie einmal küssen könnte. Aber da vorne sitzt der Teufel!« Von allen Seiten erhob sich Gelächter, allein der geputzten Gefährtin des langsam voranschreitenden Gemahls war diese Begrüßung doch zu stark: ihre roten Backen wandelten sich in lauter Feuer, und eine Salve ausgesuchter Flüche regnete auf den Kopf des ausgelassenen Jungen herab:

»Daß du erstickst, nichtsnutziger Kerl! Ein Topf möge deinem Vater den Schädel einschlagen! Er soll sich auf dem Eise die Beine brechen, der verdammte Antichrist! Möge ihm doch der Teufel in jener Welt den Bart verbrennen!«

»Was die nur schimpfen kann,« sagte der Bursche die Frau anstarrend und gleichsam verblüfft durch dies Geknatter unerwarteter Begrüßungen: »Daß der hundertjährigen Hexe bei solchen Worten nicht die Zunge weh tut!«

»Hundertjährig! ...« fiel die alte Schöne ein. »Du Heidendreck, geh, wasch dich mal zuerst! So ein unnützer Tunichtgut! Ich habe deine Mutter nie gesehen, aber das weiß ich, daß sie nichts taugt! Auch dein Vater ist ein Nichtsnutz, und deine Muhme ist es auch! ... Hundertjährig! ... Der ist ja noch grün hinter den Ohren ...«

Hier begann der Wagen von der Brücke herunterzufahren, und man konnte die letzten Worte nicht mehr hören; aber der Bursche wollte offenbar noch nicht Schluß machen: ohne sich lange zu besinnen, packte er einen Haufen Schmutz und warf ihn hinter ihr her. Der Wurf war geschickter, als man erwarten konnte: das ganze neue baumwollene Häubchen wurde mit Dreck bespritzt, und so das Gelächter der ausgelassenen Windbeutel nur noch doppelt angefacht. Die wohlbeleibte Kokette entbrannte vor Zorn; aber der Wagen war schon ziemlich weit davongefahren, und ihre Rache sprang auf die unschuldige Stieftochter und den langsamen Ehemann über, der, schon lange an solche Vorkommnisse gewöhnt, hartnäckig Schweigen bewahrte und die tobenden Reden der erzürnten Gemahlin kaltblütig aufnahm. Trotzdem knarrte und zappelte ihre unermüdliche Zunge so lange im Munde herum, bis sie endlich in der Vorstadt, bei ihrem alten Bekannten und Gevatter, dem Kosaken Zybulja, dem »Zwiebelmann«, anlangten. Die Begegnung mit den Gevattersleuten, die sie lange nicht mehr gesehen hatten, verscheuchte für eine Zeitlang die Erinnerung an diese unangenehme Begebenheit aus ihrem Kopfe. Sie sprachen erst ein wenig über den Jahrmarkt und ruhten sich dann von der langen Reise aus.