Der Mantel

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Der Mantel
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LUNATA

Der Mantel

Der Mantel

© 1842 by Nikolai Wassiljewitsch Gogol

Originaltitel Šinel'

Aus dem Russischen von Alexander Eliasberg

Umschlagbild: Hans von Marées

Selbstbildnis im japanischen Mantel

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Der Mantel

Über den Autor

In einer Amtskanzlei des Ministeriums für . . . ach nein, verschweigen wir das Ministerium lieber! Nichts ist so leicht gekränkt wie unsere Zivil- und Militärbehörden, kurz, die Beamten jeder Art. Und heutzutage fühlt ja schon der einfache Privatmann in seiner eigenen Person gleich immer »die Gesellschaft« angegriffen. Vor kurzem soll – ich weiß nicht mehr, in welcher Stadt es war – ein Ordnungsrichter seiner vorgesetzten Stelle eine Beschwerde unterbreitet haben, in der er klipp und klar bewies, daß man die staatlichen Verfügungen für gar nichts achte und daß selbst sein heiliger Name unnütz geführt werde; als Material lag der Beschwerde ein riesendicker Wälzer von Roman bei, in dem beinah auf jeder zehnten Seite ein Ordnungsrichter in Erscheinung trat, und noch dazu des öfteren mit einem Bombenrausch behaftet. Um alle diese Schwierigkeiten zu vermeiden, bezeichnen wir das Amt, das hier in Frage kommt, ganz einfach als »ein« Amt. Also: in »einem« Amte diente einstmals »ein« Beamter. Es läßt sich nicht behaupten, daß der würdige Beamte durch irgendwas bemerkenswert gewesen wäre. Er war von niedriger Statur und etwas pockennarbig, hatte ziemlich rote Haare und, wenn der Schein nicht trog, recht schwache Augen, des ferneren eine mittelgroße Glatze, verrunzelte und eingefallne Wangen und die Gesichtsfarbe der Leute, die an Hämorrhoiden leiden. Das ist nun einmal nicht zu ändern! Das Petersburger Klima trägt die Schuld. Was nun den Rang betrifft – denn danach fragt man ja bei uns zuerst –, so war er, was man einen »ewigen« Titularrat nennt. Diese Beamtenklasse ist im übrigen genügend oft und witzig von gar manchen unsrer Schriftsteller verspottet worden, die die verständliche und edelmütige Gewohnheit haben, sich über Leute herzumachen, die ihnen nicht so leicht die Zähne weisen können. Der Zuname des Beamten war Baschmatschkin. Schon aus diesem Zunamen ergibt sich die Herkunft von dem Wort »Baschmak«; doch wann, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise der Name aus dem Worte Baschmak entstanden ist, darüber ist nichts bekannt. Sowohl der Vater als auch der Großvater und sogar auch ein Schwager und alle echten Baschmatschkins gingen in Stiefeln und erneuerten nur dreimal im Jahre die Sohlen. Sein Vorname lautete Akakij Akakijewitsch. Nun, dieser Vor- und Vatersname mag dem lieben Leser wohl ein wenig seltsam und gesucht erscheinen, doch darf er ruhig glauben, daß von Suchen dabei keine Rede war und daß das Schicksal selber es so fügte – man konnte ihm ganz einfach keinen andern Namen geben. Wie das sich zutrug, will ich gleich erzählen. Akakij Akakijewitsch wurde, wenn mir recht ist, in der Nacht zum Dreiundzwanzigsten des Monats März geboren. Seine Mutter, habe Gott sie selig, eine Beamtenwitwe und kreuzbrave Frau, tat ungesäumt nach gutem altem Brauch das Nötige zur Taufe ihres Sohnes. Die Mutter lag im Wochenbett, der Tür gegenüber; zu ihrer Rechten stand der Pate, Herr Jeroschkin, Kanzleivorsteher im Senat und überhaupt ein Mann von Ansehn und Bedeutung, und neben ihm die Patin, Arina Semjonowna Belobrjuschkowa, Gemahlin eines Leutnants von der Polizei, aufs vorteilhafteste bekannt für ihre exemplarisch reinen Sitten. Der Mutter wurden nun zunächst drei Namen vorgelegt, damit sie selber ihre Auswahl treffe: Mokkij, Sossij sowie der Name des Märtyrers Chosdasat. ›Nein‹, dachte die Mama, Gott hab sie selig – ›nein, das sind doch gar so sonderbare Namen.‹ Ihr zu Gefallen wurde der Kalender noch an einer andern Stelle aufgeschlagen, und die drei Namen, die da standen, lauteten: Trifilij, Dula, Warachassij. »Das ist ja eine Strafe Gottes!« rief die Wöchnerin. »Was das für Namen sind! Die hab ich ja in meinem Leben nicht gehört. Wenn es noch Warach oder Waradat gewesen wäre, aber Trifilij, Dula, Warachassij . . .!« Man blätterte noch einmal um, und da stand: Pawsikachij und Wachtissij. »Nein, nein, ich seh schon«, rief die gute Frau, »das Schicksal will es nicht. So mag er lieber noch nach seinem Vater heißen. Sein Vater hieß Akakij; wollen wir den Sohn in Gottes Namen auch Akakij nennen.« Auf die Art kam unser Held zu seinem Namen: Akakij Akakijewitsch. Beim Taufakt weinte er und zog ein so bekümmertes Gesicht, als sähe er sich schon als künftigen Titularrat. Das war der Hergang der Geschichte. Und wir haben das so eingehend berichtet, damit der Leser selber sieht, daß alles kommen mußte, wie es kam, und daß ein andrer Name völlig ausgeschlossen schien. Seit wann Akakij Akakijewitsch seines Amtes waltete und wer ihm diesen Posten zugewiesen hatte, wußte niemand mehr. So viele Vorsteher und Direktoren auch gekommen und gegangen waren – sie alle hatten ihn am gleichen Platze sitzen sehen, in ewig gleicher Haltung, an der gleichen Arbeit: beim Abschreiben von amtlichen Papieren. Drum glaubte man beinah, er wäre einst schon fix und fertig, wie er dasaß, auf die Welt gekommen, in der Beamtenuniform und mit der Glatze. Respekt bezeigte ihm kein Mensch im ganzen Amt. Nicht nur, daß der Portier gleichgültig sitzen blieb, wenn er zur Tür hereintrat – er schien ihn überhaupt nicht zu bemerken und tat, als surre dort bloß eine Fliege durch das Vestibül. Die Vorgesetzten zeigten ihm die kälteste Despotenmiene. Irgendein Direktionsvertreter warf nachlässig einen Akt auf seinen Schreibtisch und sagte dazu nicht einmal: »Ach, schreiben Sie das ab« oder: »Das ist ein netter, interessanter kleiner Schriftsatz« oder sonst etwas Verbindliches, wie's unter wohlerzogenen Beamten Brauch und Sitte ist. Akakij nahm die Arbeit still entgegen, sah nur auf das Papier und nahm sich nicht einmal die Mühe, festzustellen, wer es ihm zugeschoben hätte und ob denn der Betreffende auch überhaupt ein Recht dazu besäße; er nahm die Arbeit still entgegen und ging sofort ans Abschreiben. Die jüngeren Beamten trieben ihren Spott mit ihm und machten ihn zum Opfer ihres Witzes, soweit von Witz in solchen Amtskanzleien überhaupt gesprochen werden kann. Sie liebten es, in seiner Gegenwart erfundene »Schwänke aus Akakijs Leben« zu erzählen, behaupteten zum Beispiel, daß ihn seine Zimmerwirtin, eine alte Frau von siebzig Jahren, jeden Tag verprügele, erkundigten sich, wann die beiden Hochzeit machen würden, und schütteten auch etwa mit dem Ruf: »Es schneit!« Papierschnitzel auf seinen würdigen Glatzkopf. Akakij aber sagte zu alldem kein Wort – es war, als ob er seine Gegner überhaupt nicht sehe und bemerke. Nicht einmal im Kopieren störte ihn das alles, trotz dieser ewigen Neckereien verschrieb er sich kein einziges Mal. Nur wenn die Späße gar zu unerträglich wurden, wenn man ihn an den Ellenbogen stieß, so daß er seine Arbeit unterbrechen mußte, dann sagte er zum Schluß: »Ach, lassen Sie mich doch! Was quälen Sie mich denn?« Und etwas Sonderbares lag in diesen Worten und in seinem Tonfall – es klang da etwas durch, was unwillkürlich Mitleid weckte. Das mußte beispielsweise einst ein junger Mann erleben, der erst seit kurzem in dem Amte angestellt war. Auch er trieb seine Possen mit Akakij, wie er es von den andern sah. Da trafen jene leisen Worte ihn ins Herz, und er hielt mit Beschämung inne. Von dieser Stunde an erschien ihm alles wie verwandelt und in neuem Licht. Ein dunkler Widerwille stieß ihn fortan von den Kollegen ab, die er, da er sie kennenlernte, doch für ehrenwerte, wohlerzogene junge Leute angesehen hatte. Noch viele Jahre später trat, und oft sogar in seinen frohesten Minuten, plötzlich das Bild des kleinen Subalternbeamten mit der Glatze vor sein inneres Auge, der so beweglich hatte sagen können: »Ach, lassen Sie mich doch! Was quälen Sie mich denn?« Und dabei klangen wie ein starker Unterton noch andere Worte mit – die schlichte Frage: »Bin ich nicht dein Bruder?« Dann schlug der arme junge Mann die Hände vors Gesicht; gar manches Mal in seinem Leben faßte ihn seit jenem Augenblick ein Zittern, wenn es ihm wieder einmal aufstieß, wieviel Unmenschlichkeit im Menschenherzen lebt, wieviel gemeine Rohheit sich hinter abgeschliffener Weitläufigkeit verbirgt – du lieber Gott, und das sogar bei Leuten, die jedermann für tadellose Ehrenmänner hält . . .

Man konnte schwerlich einen zweiten finden, der so in seiner Arbeit aufgegangen wäre wie Akakij. Daß er sie eifrig tat, sagt lange nicht genug, er tat sie außerdem mit Liebe. In dieser ewigen Kopistenarbeit lag ihm die Welt, und eine mannigfaltige und schöne Welt dazu. Er strahlte einfach vor Befriedigung bei der Tätigkeit und hatte ganz besondere Lieblinge im Alphabet; kam er an diese Buchstaben, so kannte er sich selbst nicht mehr vor Wonne: er schmunzelte, er blinzelte, und seine Lippen schrieben förmlich mit, so daß man es ihm vom Gesicht ablesen konnte, an welchem Buchstaben die Feder unten auf dem Bogen malte. Wenn die Beförderung von seinem Eifer abgehangen hätte, so wäre er bestimmt, zu seiner eigenen Verblüffung, eines schönen Morgens als Staatsrat aufgewacht. Doch er blieb ewig, was er war, und seine witzigen Kollegen erfanden ihm zum Trost den Reim: »Ist auch kein Orden dir beschieden – eins kriegst du sicher: Hämorrhoiden.« Doch wäre es zu viel gesagt, daß niemals jemand seine Leistungen beachtet hätte. Einer von seinen Direktoren, der ein gutes Herz besaß und ihn für lang bewährten treuen Fleiß belohnen wollte, gab ihm einmal etwas zu erledigen, was mehr Selbständigkeit erforderte als die gewöhnliche Abschreiberei. Er sollte einen fertigen Akt zur Einreichung an eine andere Behörde umarbeiten. Die ganze Kunst dabei war die, die Anrede zu ändern und hier und da ein Zeitwort in der dritten Person statt in der ersten einzusetzen. Das aber machte ihm solch eine Arbeit, daß er in kalten Schweiß geriet, sich jeden Augenblick die Stirne trocknen mußte und endlich bat: »Nein, geben Sie mir lieber wieder etwas abzuschreiben!« Von da an blieb er der Kopist für alle Zeit. Und außer dieser Tätigkeit schien nichts in dieser Welt ihm etwas zu bedeuten. Auf seine Kleidung hielt er weniger als nichts, sein Uniformrock war nicht etwa grün, oh, weit gefehlt: er zeigte eine fuchsige Farbe, darüber es gleich einem Hauch von Mehlstaub lag. Sein enger Kragen war so niedrig, daß der an sich durchaus nicht lange Hals unendlich lang erschien und an die weißen Katzen mit dem Wackelkopfe denken ließ, die unsre russischen Ausländer gleich dutzendweise auf dem Kopf spazierentragen. Zu jeder Zeit hing etwas, was nicht hingehörte, an seiner Uniform, sei es ein Strohhalm, sei's ein Endchen Zwirn; er zeigte auf der Straße außerdem ein ganz besonderes Geschick darin, sich immer in dem Augenblicke unter einem Fenster zu befinden, wo irgendwelcher Dreck herausgeworfen wurde; und darum trug er meist Melonenschalen und dergleichen Abfall auf dem Hut. Nie schenkte er den Dingen, die das Straßenleben täglich mit sich bringt, auch nur die leiseste Beachtung – ganz anders darin, als es seine jüngeren Kollegen in der Übung haben; denn deren scharfem und geschwindem Blick entgeht es nicht einmal, wenn irgendeinem Fremden auf dem andern Trottoir der Hosensteg gerissen ist, o nein, er sieht es gleich und muß ironisch drüber lächeln.

 

Akakij Akakijewitsch aber konnte hinsehen, wo er wollte, er sah nur immer seine sauberen, gleichmäßig und gerade hingemalten Zeilen vor sich. Es mußte sich ihm schon, weiß Gott woher, ein Pferdemaul auf seine Schulter legen und ihm durch die geblähten Nüstern einen wahren Sturmwind um die Ohren blasen, wenn er merken sollte, daß er sich nicht inmitten einer Zeile, sondern statt dessen mitten auf dem Straßendamm befand. Und kam er heim, so setzte er sich gleich zu Tisch, verzehrte hastig seine Weißkohlsuppe und das Stückchen Ochsenfleisch mit Zwiebeln und hatte nicht die Spur von einem Eindruck, wie das Essen schmeckte. Er aß auch ruhig alle Fliegen und das sonstige mit, was Gott je nach der Jahreszeit als Beilage bescherte. War dann sein Magen halbwegs voll, so stand er auf, holte das Tintenfass herbei und machte sich ans Abschreiben von Akten, die er mit heimgenommen hatte. Und gab es solche Arbeit nicht, nun, dann kopierte er für sich und zum Privatvergnügen amtliche Schriftstücke, die ihm durch irgend etwas interessant erschienen – nicht etwa durch die Schönheit ihres Stils, sondern dadurch, daß sie an einen ihm bisher noch unbekannten oder auch ganz besonders hochgestellten Adressaten gingen.

Um jene Stunde, da der graue Himmel Petersburgs sich langsam ganz umnachtet, da das Beamtenvölkchen seine je nach der Höhe des Gehaltes und der Ansprüche mehr oder weniger üppige Mahlzeit eingenommen und sich ein bißchen ausgeruht hat vom Gekreisch der Federn in den Ämtern, vom Hinundhergelaufe, von notgedrungener Pflichtarbeit für sich und andere und dem, was strebsame Naturen über das Maß hinaus noch ohne Not freiwillig auf sich nehmen – um diese Zeit beeilen die Beamten sich, den Rest des Tages dem Genuss zu widmen. Wer es besonders üppig gibt, fährt ins Theater; ein anderer lustwandelt auf den Boulevards und schaut den zweifelhaften Dämchen unter ihre Hüte; ein dritter geht zu einem Kränzchen und verbringt die Mußestunden mit Scharwenzeln um ein hübsches Mädel, das eines kleinen Subalternenkreises Mittelpunkt und Sonne ist; ein vierter – und das ist das übliche – besucht ganz einfach einen Amtskollegen, der irgendwo im dritten oder vierten Stockwerk eine Wohnung von zwei Zimmern hat, mit Vorzimmer und Küche, sowie der oder jener modischen Errungenschaft, zum Beispiel einer Lampe oder einem sonstigen »schönen Stück«, mit dessen Anschaffung so manches Opfer, manch ein Verzicht auf Mahlzeiten und Landpartien verknüpft gewesen ist.

So sitzen um die Zeit all die Beamten hier und dort in den bescheidnen Heimen ihrer Freunde, sie spielen Whist, sie trinken Tee und knabbern Groschenzwiebacke dazu, sie blasen Rauch aus ihren langen Pfeifen, erzählen sich beim Kartengeben irgendeinen Klatsch aus hohen Kreisen, was für den echten Russen immerdar den allergrößten Hochgenuss bedeutet, oder ergötzen sich, wenn sonst gar kein Gesprächsstoff da ist, an jener altbewährten Anekdote von dem Kommandanten, dem gemeldet wurde, am Reiterstandbild Zar Peters sei dem Pferd der Schweif von frevelhafter Hand abgeschnitten worden. Doch selbst um diese Zeit, wo jeder andre sein Vergnügen suchte, erlaubte sich Akakij nicht die leiseste Zerstreuung. Nie hatte irgendwer gehört, daß er am Abend ausgegangen wäre. Wenn er sich satt geschrieben hatte, kroch er in sein Bett und lächelte im vorhinein schon beim Gedanken an den nächsten Tag: was ihm der liebe Gott wohl da zum Abschreiben bescheren würde? So floß das friedlich stille Leben dieses Menschen hin, der, bei vierhundert Rubeln Jahresgage, zufrieden mit dem ihm gefallenen Lose war und es auf diese Art zu hohen Jahren hätte bringen können, wenn es im Leben keine Widrigkeiten gäbe Ach, Widrigkeiten streut das Schicksal, wie wir alle wissen nicht bloß den Titularräten auf ihren Weg, auch Wirklichen Geheimen Hofräten kann das passieren, ja sogar Räten, die noch niemals irgendeinem Rat erteilt und auch nie Rat von jemand angenommen haben.

Es lebt in Petersburg ein grimmer Feind der armen Teufel, die vierhundert Rubel Jahresgage oder ähnliche Gehälter haben. Und dieser Feind ist niemand andres als die Winterkälte, wenn kluge Leute auch behaupten wollen, daß sie ungemein gesund und sehr bekömmlich sei. Um neun Uhr früh, da alle Straßen von den zur Arbeit gehenden Beamten wimmeln, beginnt der Frost ganz ohne Wahl und Gnade jedermann so rücksichtslose Nasenstüber zu versetzen, daß die Bedauernswürdigen nicht wissen, wo sie ihre Riechorgane lassen sollen. Und wenn selbst höheren Beamten vor Frost die Stirne weh tut und die Augen tränen, wie muß es erst den armen Titularräten ergehen, die dieser Unbill schutzlos preisgegeben sind! Ihr Heil liegt nur in der Geschwindigkeit – gehüllt ins fadenscheinige Winterröcklein, heißt es im Laufschritt fünf, sechs Straßen zu passieren und dann im Vestibül sich erst mal tüchtig warm zu stampfen, um auf die Art die draußen eingefrorenen Talente für den Staatsdienst wieder aufzutauen. Akakij Akakijewitsch hatte schon seit einiger Zeit verspürt, daß ihm die Kälte empfindlicher als sonst in seine Schultern und den Rücken biß, trotzdem er lief, was er nur irgend konnte, um den gewohnten gottgewollten Weg recht schnell zurückzulegen. Und schließlich fiel ihm ein, das könnte seine Ursache in irgendwelchen Schäden seines Mantels haben. So breitete er diesen denn zu Hause vor sich aus und untersuchte ihn genau. Ganz richtig: an zwei, drei verschiedenen Stellen, und zwar gerade auf den Schultern und im Rücken, war dieses Kleidungsstück beinah zu Musselin geworden – das Tuch war so verschlissen, daß die Sonne durchschien, und statt des Futters gab es da nur Löcher. Nun muß man wissen, daß Akakijs Mantel seinen freundlichen Kollegen längst als Zielscheibe des Witzes diente, sie gönnten ihm den ehrenwerten Namen »Mantel« keineswegs und nannten ihn ironisch die »Kapuze«. In der Tat war dieses Kleidungsstück ein bißchen sonderbar gebaut: die Pelerine wurde jährlich kürzer, weil sie Flickmaterial für andere Gegenden des Mantels liefern mußte. Und diese Flicken zeugten keineswegs von Schneiderkünsten, sondern waren primitiv und ohne Sorge um gefälligen Eindruck aufgesetzt. Akakij Akakijewitsch sah wohl, wie die Sache stand, und kam zu der Erkenntnis, daß er seinen Mantel zu Petrowitsch bringen müsse. Das war ein Flickschneider, der irgendwo vier Treppen hoch im Hinterhause wohnte und dort, obgleich er auf dem einzigen Auge, dessen er sich rühmen durfte, heftig schielte und das Angesicht voll Pockennarben hatte, ziemlich erfolgreich der Ausbesserung von Pantalons und Fräcken für Beamte und andre Zeitgenossen oblag, vorausgesetzt natürlich, daß er gerade nüchtern war und keine andern Unternehmungen in seinem Kopfe wälzte. Es hat ja wenig Wert, auf diesen Schneider viele Worte zu verwenden; weil es nun aber einmal guter Novellistenbrauch ist, jeden Charakter scharf umrissen hinzustellen, so hilft das alles nichts – her denn in Gottes Namen mit Petrowitsch! Ursprünglich hatte er sich nur Grigorij nennen dürfen und war Leibeigner irgendeines reichen Herrn gewesen; Petrowitsch hieß er erst, seitdem er freigelassen war und angefangen hatte, sich an Feiertagen heftig zu besaufen, zuerst nur bei besonders hohen Festen, im weiteren Verlaufe aber ohne langes Federlesen an allen kirchlichen Gedenktagen, die durch ein Kreuzchen im Kalender ausgezeichnet waren. In dieser Hinsicht hielt er treu auf guten alten Brauch und väterliche Sitte und nannte seine Frau bei Streitigkeiten gern eine Ketzerin und eine gottverfluchte Deutsche. Da wir die Frau doch schon erwähnen mußten, wird es wohl nötig sein, auch sie in kurzen Worten näher zu beschreiben; nur ist mir leider nicht gerade viel von ihr bekannt, ich weiß nur, daß Petrowitsch eine Frau besaß und daß sie eine Haube und kein Kopftuch trug; besondrer Schönheit konnte sie sich, wie ich glaube, auch nicht rühmen – auf der Straße schauten ihr, mit unternehmendem Geschmunzel und aufmunterndem Gebrumm, im besten Fall Soldaten von der Garde unter die bereits erwähnte Haube.

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