Extra Krimi Paket Sommer 2021

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»Hat Benno denn für die Nacht ein Alibi?«

»Nein. Er behauptet, eigentlich sei er mit Andrea Wirksen verabredet gewesen, die habe auch auf ihn in seiner Hütte gewartet, aber weil er was getrunken hatte, gab’s Streit und sie rauschte beleidigt wieder ab.«

»Und der Anwalt hat Ihnen daraufhin auseinander gesetzt, dass Benno geständig sei und einen festen Wohnsitz habe, geregelter Arbeit nachgehe und wahrscheinlich auch nicht vorbestraft sei ... Ach, verdammt, Herr Wibbeke, das kotzt mich alles an.«

»Ich tanze auch gerade vor Begeisterung auf dem Tisch«, erwiderte Wibbeke kleinlaut. »Bericht folgt. Tut mir Leid, Herr Rogge, mehr war nicht drin.«

Gegen neun Uhr rief Rogge noch einmal Schönborn an, der ihn bestürmte, alles zu erzählen; Rogge vertröstete und überredete ihn, nicht aus dem Haus zu gehen; vielleicht meldete sich Inge ja noch bei ihm.

Kili warnte: »Lass das lieber sein, Chef.«

»Was habe ich denn vor?«

»Du willst dich in der Wohnung dieser Weber oder Zinneck umsehen und Schönborn soll dir nicht in die Quere kommen.«

»Und genau davon wirst auch du mich nicht abhalten.«

»Dann vergiss das kleine Erste-Hilfe-Päckchen nicht!«

In dem scheußlichen Hochhaus Wilhelmstraße 37 wohnten einundsiebzig Parteien, wahrscheinlich alles Zwerge, nach der Größe der Wohnungen zu schließen. Auf dem nackten Beton hatten sich rostbraune Streifen gebildet, die Platten des Gehwegs waren eingesunken, Rogge balancierte und sprang über große Pfützen. Ein älterer Mann schlurfte von den Müllcontainern heran und hielt ihm die Haustür auf, hier kannte kein Mieter alle anderen.

»Danke«, brummte Rogge. »Läuft wenigstens die Heizung?«

»Nee, woher denn! Erst ab 1. Oktober, keinen Tag früher, diesen Hausmeister könnte ich in die Mülltonne stopfen.«

Mit dem Aufzug fuhr Rogge in den achten Stock und ging leise eine Treppe hinunter. Dank der dünnen Wände bekam er mit, dass die meisten Mieter in ihren Wohnungen waren. Inge Webers Wohnung lag am Ende des Flures, im Vorbeigehen studierte Rogge die Türschlösser, nicht schlecht, aber auch nicht wirklich schwierig. Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand und schob den Stahlstreifen mit dem Haken in das Sicherheitsschloss, ganz durch, eine halbe Drehung, zurückgezogen, Widerstand auf Marke zwei, noch mal das Ganze, auch Marke drei besaß eine Zylinderkerbung, zwei rechts, drei rechts, fünf links. Sechs eine Hohlkehle. Auf dem Dietrich stellte Rogge die Zacken ein, bis jetzt war noch kein Mieter auf dem Flur erschienen, jawohl, das gute Stück passte, Rogge drehte vorsichtig, das Schloss knackte, die Tür war offen. Wenn die Leute wüssten, wie leicht man Türen aufschließen konnte ...

Drinnen verschnaufte Rogge erst einmal in der dunklen Diele, für einen erfolgreichen Einbrecher besaß er einfach nicht die nötigen Nerven. Oder nicht genügend Übung. Er tastete nach dem Lichtschalter, drückte und taumelte vor Schreck, die berühmten Sterne funkelten und wirbelten vor seinen Augen.

Die beiden Männer standen regungslos vor ihm, hatten höfliche, glatte, nichts sagende Gesichter aufgesetzt und richteten ihre Pistolenläufe auf seinen Bauch. Als Rogge wieder nach Luft schnappen konnte, pochte sein Herz schmerzhaft gegen die Rippen. Zwei Profis. Sie trugen Plastikhandschuhe und hatten eng schließende Kappen über die Haare gestülpt, wie die Chirurgen im Fernsehen. Denn aus Haaren ließ sich in der Tat viel rekonstruieren. Dann senkte der Hauptkommissar den Blick auf die Waffen und spürte noch einmal, wie ihn der Schwindel erfassen wollte. Zwei Heckler & Koch, mit hülsenloser Munition, Rogge kannte die Pistolen bisher nur von Bildern.

»Umdrehen!«, befahl der eine. Er hatte eine hohe Stimme. Der andere trat neben den Beamten und filzte Rogge gekonnt, Dienstwaffe, Ausweise, Dietriche. Derweil war der erste zur Seite getreten, keine Chance zu einem Überraschungsangriff und seine zitternden Knie warnten Rogge auch, dass er dazu keine Energie mehr besaß.

»Sie können sich wieder umdrehen.«

Wenn sie von dem Dienstausweis eines Hauptkommissars überrascht waren, ließen sie sich das jedenfalls nicht anmerken. Zwei ordentlich gekleidete Männer, Mitte bis Ende dreißig, beide groß und sportlich, eiskalt und geübt.

»Wir gehen ins Wohnzimmer«, entschied der andere. Er hatte eine tiefe Stimme und sprach mit einem Hauch von Dialekt.

Als Rogge sie mit seiner Manipulation am Türschloss aufgescheucht hatte, hatten sie schon zur Hälfte erledigt, weshalb Rogge gekommen war, doch sie verstanden ihr Handwerk und wussten, wie man eine Wohnung systematisch und gründlich durchsuchte, ohne ein Chaos zu hinterlassen.

»Ziehen Sie bitte Ihre Jacke und Ihre Hose aus, auch die Krawatte.«

Das Bitte entmutigte ihn regelrecht und deshalb gehorchte er, ohne zu fragen, was sie mit ihm vorhatten.

»Ins Schlafzimmer.«

Verdammt, sie waren noch kaltblütiger, als Rogge befürchtet hatte. Der eine kramte schon in dem Pilotenkoffer, sie hatten an alles gedacht und waren auf alles vorbereitet, und ob sie nun Inge Weber oder ihn ins Reich der Träume beförderten, bereitete ihnen kein Kopfzerbrechen.

»Leiden Sie an Bluthochdruck? - Diabetes? - Nehmen Sie kreislaufstärkende Mittel oder etwas zur Blutverdünnung?«

»Nein«, sagte er erschöpft, und das war tatsächlich das erste Wort, das er herausbrachte. »Sie können mich unbesorgt schlafen schicken.«

»Etwa acht Stunden«, nickte der mit der tiefen Stimme.

Rogge rollte den Hemdsärmel hoch und der Knabe setzte die Spritze sehr geschickt, er hatte Übung, hielt sogar Tupfer und Pflaster bereit. Der andere beobachtete Rogge unverwandt, jede Sekunde auf einen Täuschungs- und Ablenkungsversuch vorbereitet. So, wie er sich benahm, würde er erst schießen und sich dann nach der vermeintlichen Gefahr umdrehen. Deshalb legte Rogge sich ohne Sträuben ins Bett und deckte sich zu, der Spritzenmensch öffnete sogar das Fenster einen Spalt weit. Was für nette, fürsorgliche Zeitgenossen! Rogge hätte schon gerne gefragt, für wen sie arbeiteten, aber er wusste, dass sie nicht antworten, nicht einmal über ihn lachen würden. Sehr schnell wurde sein Arm etwas taub, eine seltsame Schwäche wallte durch seinen Körper, erreichte seinen Kopf, löschte alles aus,

XII.

»Sie haben was getan?« Jockel Pertz brüllte, dass die Scheiben zitterten, aber die beiden Männer zuckten nicht zusammen, schauten allerdings starr an Pertz’ Kopf vorbei. Dass sie sich in ihrer Haut nicht wohl fühlten, war ihnen anzusehen, doch in ihren Augen spiegelte sich Trotz wider. Den Anpfiff mussten sie ertragen, er war der Chef.

»Sind Sie vom Affen gebissen?«

»Wir hatten keine andere Wahl. Der Befehl lautete, die Frau nicht aus den Augen zu verlieren. Dass die lauen Brüder vom Verfassungsschutz sich am Bahnhof abhängen ließen, geht nicht auf unser Konto. Wir haben nur versucht, einen Fehler auszubügeln.«

Pertz setzte sich wieder. Vier Sätze und jeder korrekt. Nicht zu bestreiten. Eine Panne, diesmal durch einen unglücklichen Zufall bewirkt und nicht durch offenkundiges Versagen, wie es Weinert eingestanden hatte. Es wurde Zeit, die Aktion abzubrechen. Pannen hatten die dumme Angewohnheit, sich zu Katastrophen zu verdichten. Und wenn ihn nicht alles täuschte, bereitete auch dieses Trio Gönter, Ellwein, Weinert schon den Rückzug nach dem Motto vor: Rette sich, wer kann.

»Gut. Den Anschnauzer haben Sie nicht verdient. Ich bekomme bis heute Abend einen vollständigen Bericht.«

Die Männer nickten mit unbewegtem Gesicht.

»Gibt es denn eine Spur?«

»Nein.«

Dienstag, 26. September

Bis auf einen leicht metallischen Geschmack auf der Zunge fühlte er sich ausgeschlafen und topfit. Charlotte Zinneck alias Inge Weber hatte nicht einmal ihre Zahnbürste eingepackt, Handtücher und Seife gab es auch, er vermisste nur einen Rasierapparat, aber Gunda behauptete ohnehin, mit einem Dreitagebart wirke er männlicher und Dörte von Sandau schwärmte sogar für Rauschebärte. Im Kühlschrank fand er alles für ein ordentliches Frühstück. Neun Uhr, Kili würde anfangen, sich Sorgen zu machen, und deshalb rief Rogge ihn auf dem Handy an: »Ich habe die Nacht in einem fremden Bett verbracht.«

»Das freut mich für dich!«

»Leider allein. In Inge Webers Wohnung. Dummerweise sind zwei Herren schneller gewesen als ich und haben mich schlafen geschickt.«

»Wer? Wie? Warum?«

Ja, das hätte Rogge auch gern erfahren, aber dazu war es nun zu spät. Kili schwieg bedrückt, der Chef war unberechtigt in eine fremde Wohnung eingedrungen, was sich bei einem Kriminalbeamten besonders schlecht anhörte, und was immer sich an Hinweisen in den Räumen befunden hatte, war den beiden Profis bestimmt nicht entgangen.

»Also fangen wir wieder von vorne an!«, seufzte sein Adlatus und Rogge kicherte bösartig: »Ja, und ich weiß auch schon, wo und wie.«

»Mach keine Dummheiten!«

»Das wird sich später heraussteilen. Wenn Simon nach mir fragt - ich bin gestern nach Hause gegangen und du weißt nicht, wo ich abgeblieben bin.«

»Sei bloß vorsichtig!«

Auf dem Wohnzimmertisch fand Rogge sein Eigentum unversehrt wieder, Brieftasche und Portemonnaie, Waffe, Schlüssel, Ausweise, sogar das kleine Einbruchbesteck. Als er seine Sachen auf die Taschen verteilte, irritierte ihn ein kaum vernehmbares Schnarren: Besorgt um seinen Schlaf hatten sie sogar das Telefon leise gestellt. Inge Weber würde kaum in ihrer eigenen Wohnung anrufen und Schönborn wollte er nichts erklären. Nur aus Neugier sah er sich in den beiden Zimmern um. Was immer die beiden Typen hier gewollt oder gesucht hatten - ihre Mütter hatten sie zu Ordnung erzogen. Nichts deutete darauf hin, dass diese Räume stundenlang durchsucht worden waren; Rogge überlegte daher sogar einen Moment, ob er das Bett machen sollte. Wenig Möbel, alles sehr unpersönlich, sehr sachlich und funktional, aber hier hatte ja eine Frau sozusagen auf Abruf gelebt. Oder auf Wiederkehr ihres Gedächtnisses gewartet, obwohl er an dieser Version mittlerweile zweifelte. Zehn zu eins, dass die beiden Männer gekommen waren, um Inge Weber oder Charlotte Zinneck zu entführen. Kein normaler Einbrecher schleppte Spritze, Schlafmittel und Pflaster mit sich herum.

 

Unbemerkt verließ Rogge das Hochhaus. Die Weberin war abgetaucht, als ihr ein schusseliger, leicht dämlicher Kriminalbeamter in aller Harmlosigkeit eröffnete, dass ihre Tarnung geplatzt war. Am frühen Nachmittag, nachdem sie ihren normalen Dienst absolviert hatte und aus der Bäckerei fortgegangen war. Was wiederum ein gehöriges Maß an Selbstbeherrschung und Kaltblütigkeit verriet. Und schon Stunden später hatte sie zwei Profis an den Hacken, die sie kidnappen wollten.

Eine ganze Weile stand Rogge vor seinem Auto und starrte Löcher in die Luft. Wie konnten die eigentlich so schnell erfahren haben, dass die Kripo Inge Webers richtigen Namen herausgefunden hatte?

Auf der Fahrt nach Stockau tröstete Rogge sich mit der Überlegung, eine Frau, die so viele Psychiater und Psychologen an der Nase herumgeführt hatte, sei eben auch fähig, einen naiven Hauptkommissar zu täuschen. Doch der niedrige, graue Himmel trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben und den Selbstbetrug zu erleichtern.

Hier draußen hatte es stärker geregnet als in der Stadt, einige Felder standen regelrecht unter Wasser, und als Rogge über die Kuppe der Anhöhe fuhr, fröstelte er. Die Schäferhütte rechts voraus schien mitten in einer Wasserfläche zu liegen, das Holz der beiden großen Gebäude hatte sich voll Feuchtigkeit gesogen. Ein Tor stand weit offen, Benno war wohl fortgefahren. Rogges Auto schwankte, es rauschte wie bei einer Bootsfahrt, als er den Wagen durch die tiefe Pfütze in den Stall lenkte. Kein zufällig Vorbeikommender sollte ein fremdes Auto vor dem Haus bemerken. Rogge zog das Tor zu.

Das Türschloss der Hütte stellte sich als besserer Witz heraus, er öffnete es mit einem einfachen Haken. Im Haus war es kühl, es roch nach schimmeliger Nässe. Seit sie Benno hier einkassiert hatten, war nicht aufgeräumt worden, Rogge zählte noch mehr eingedellte Bierdosen auf dem Tisch. Leise ächzend stieg er die schmale, steile Treppe hinauf und begann unter dem Dach mit der Suche.

Nach drei Stunden verließ er das Haus. Wenn Benno irgendwo Beute versteckt hatte, dann nicht in seinem Häuschen. Und wahrscheinlich auch nicht in dem Stall, den er als Garage benutzte, sonst hätte er wohl das Tor geschlossen.

Elektrisches Licht gab es in dem langen Gebäude nicht, Rogge musste sich mit der Helligkeit begnügen, die durch die kleinen, verdreckten Fenster fiel. Entweder besaß Benno eine Vorliebe für nutzloses Gerümpel oder er war zu faul, etwas wegzuwerfen; Rogge stöhnte laut auf, als er den Haufen von alten Landmaschinen, Brettern, Steinen, Kisten und Säcken sah. An den Längsseiten waren Holzverschläge eingerichtet, ebenfalls bis obenhin voll gemüllt. Herkules würde hier kapituliert haben, deswegen holte Rogge die Taschenlampe aus dem Auto und ging anders vor. Fingerdicker Staub überzog alle Gegenstände und er suchte nach den Stellen, an denen der Staub dünner war oder fehlte oder durch Spuren anzeigte, dass hier vor kurzer Zeit etwas bewegt, in seiner Lage verändert worden war. Neben dem Tor fand er Schnur, die er mit dem Taschenmesser zerschnitt und dort zu Schleifen band, wo er solche Störungen entdeckte oder zerrissene Spinnweben im Licht glitzerten. Nach einer Stunde schienen ihm zwei Stellen besonders viel versprechend, ein Verschlag, gefüllt mit alten Kartons und Kisten, und an der hinteren Schmalseite eine Art Wandschrank, ohne Dach, aber mit einer festen Tür, in dem Hacken, Spaten und Schaufeln herumflogen. Er musste sich beeilen, denn ohne Tageslicht, nur mit einer Lampe, konnte er in diesem düsteren Bau nicht arbeiten.

Der Wandschrank war kein schlechtes Versteck. Als er mit Hilfe einer Latte Innen- und Außenmaße verglich, fand Rogge heraus, dass es eine doppelte Hinterwand geben musste, und nach langem Probieren entdeckte er, dass man die eine Wand einfach aus drei Nuten herausheben konnte.

Die Ausbeute war mager. Zwei Damenhandtaschen, leer, ein schon zerschrammter Aktenkoffer, zwei Lederjacken, mehrere Wolldecken, Autoatlanten, ein wertloser Fotoapparat mit zersprungenem Gehäuse, nichts, was einen Hehler begeisterte. Enttäuscht belud Rogge sich mit der Beute und ging ins Haus zurück. In den Taschen der Lederjacken steckte nichts, was auf die früheren Besitzer hinwies. Auch kein Namensschildchen oder ein Etikett des Fabrikanten. In der billigeren Handtasche fand er einen Lippenstift, der schon zerbröselte, als er ihn aufdrehte. Die andere Tasche, aus schwarzem Lackleder, war wohl teuer gewesen. Der Fotoapparat tat es nicht mehr. In einem Autoatlas lag ein Zettel: Christine anrufen! Das große Los zog Rogge mit dem Aktenkoffer. In einem der vier Deckelfächer entdeckte er eine Diskette und einen zerknüllten Briefumschlag, adressiert an Hans Zinneck, Beelestraße 11, 34131 Kassel. Jemand hätte den Umschlag hastig aufgerissen, um an das Schreiben zu kommen, und nachher den Brief tief in das enge Fach gestoßen, sodass Benno ihn nicht entdeckt hatte ...

Ein Maklerbüro aus Dresden. Abgeschickt am 10. September des vorigen Jahres.

Sehr geehrter Herr Zinneck,

zu meinem großen Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass Herr Leuthäuser seine Zusage zurückgenommen hat. Er will den Mietvertrag nicht unterschreiben, weil er zwischenzeitlich einen Käufer für das Haus gefunden hat. Es, tut mir außerordentlich Leid, dass es so gekommen ist. Wenn Sie weiter daran interessiert sein sollten, ein Haus in Dresden oder Umgebung zu mieten, stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen Ingo Wehrholz RDM.

Bis auf Brief und Diskette ließ Rogge alles liegen. Benno sollte sich ruhig etwas sorgen, wenn er die Sachen fand. Mit der Diskette durfte sich Kili beschäftigen. Wenn sie beschrieben war, würde Computerfreak Kili den Inhalt hervorkitzeln. Wofür stellte ihm denn der reiche Onkel pausenlos neue Geräte hin?

Mittwoch, 27. September

Simon knurrte: »Sie tun was?«

»Ich melde mich für drei Tage krank.«

»Aha. Drei Tage! Krank! Dafür hören Sie sich sehr unternehmungslustig an.«

»Sollte mein Hausarzt derselben Meinung sein, werde ich die Tage nachträglich als Urlaub beantragen.«

Darauf schwieg der Kriminalrat eine ganze Weile, schnalzte nur regelmäßig mit der Zunge. »Was haben Sie vor?«

»Nichts. Im Bett bleiben. Mich auskurieren.«

»Schlafen können Sie auch im Büro.«

»Ich schnarche und möchte den Dienstbetrieb nicht stören.«

»Ach, machen Sie doch, was Sie wollen«, verlor Simon die Geduld und knallte den Hörer hin.

Rogge grinste hässlich. Der Gedanke, wie die Organisation, die zwei Entführer in Charlotte Zinnecks Wohnung geschickt hatte, so schnell von der Enttarnung erfahren haben konnte, plagte ihn immer noch. Sollte es im Polizeiapparat eine undichte Stelle geben, und danach sah es aus, bestand Gefahr, in Kassel einem Empfangskomitee in die Arme zu laufen.

Deshalb verschwieg Rogge auch gegenüber Kili, was er plante: »Ich bin drei Tage krank, mein Handy funktioniert, ich bin aber nicht zu sprechen - Nein, auch für dich nicht.«

An seiner Wohnungstür kehrte Rogge doch noch einmal um und schrieb einige Zeilen:

Liebe Dörte,

sollte ich mich bis Sonntag um Mitternacht nicht bei dir gemeldet habens rufe doch bitte Kilian Haindl an und sage ihm, ich sei am Mittwoch nach Kassel, Beelestraße 11 gefahren. Bis dahin bitte kein Wort an irgendjemanden und erst recht nicht an den von dir so geliebten Kriminalrat Simon.

Gruß & Danke, Jens.

Das Briefchen schob er unter ihrer Tür durch.

In Kassel suchte Rogge sich ein Hotel, kaufte einen Stadtplan und kutschierte dann zur Wilhelmshöhe. Die Beelestraße stellte sich als eine ruhige, menschenleere Sackgasse heraus, in der früher einmal betuchte Menschen auf großen Grundstücken gebaut hatten, weil sie gern zu ihren Nachbarn Abstand halten wollten. Das Haus Nummer 11 war eine bescheidene Villa, die dringend gestrichen werden musste. Auch der riesige Garten wies Anzeichen von Verwilderung auf. Für Kinder ein kleines Paradies, viel Platz, viel Grün, kein Verkehr. Trotzdem schwebte ein Hauch von Verfall über allen Häusern, so als seien die ursprünglichen Eigentümer weggezogen und hätten die anstehenden Renovierungen den neuen Eigentümern überlassen, die sich aber für die Hypotheken krumm legen mussten,

Im Vorgarten jätete eine junge Frau Unkraut und richtete sich halb erleichtert, halb misstrauisch auf, als er sie ansprach.

»Ja, guten Tag.«

»Guten Tag, mein Name ist Jens Rogge, ich suche Herrn Zinneck.«

»Kaiser«, stellte sie sich vor und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Wer ist Herr Zinneck?«

»Er hat im vorigen Jahr hier gewohnt.«

»Ja? Den Namen habe ich nie gehört.«

»Doch, doch. Wir haben häufig miteinander telefoniert.«

»Tut mir Leid, aber da kann ich Ihnen nicht helfen. Wir wohnen erst seit Januar hier.«

»Verflixt!« Rogge zeigte seine Enttäuschung so gekonnt, dass ihre Abwehr schmolz.

»Das Haus stand einige Monate leer, das hat uns der Makler erzählt.«

»Der Makler! Das ist eine Idee! Würden es Ihnen was ausmachen, mir seinen Namen und seine Anschrift zu geben?« Weil die Frau einen Moment die Stirn krauste, fügte er drängend hinzu: »Ich muss Herrn Zinneck wirklich unbedingt finden.«

»Warum nicht«, zögerte sie. »Pelzer & Strobel, in der Artilleriestraße.«

»Vielen Dank, Frau Kaiser.«

Doch in dem Maklerbüro biss Rogge auf Granit. Die mittelalterliche Bürochefin ließ sich zwar noch dazu herab, in die Akten zu steigen, aber anschließend wimmelte sie ihn ab: »Herr Pelzer ist mit einem Kunden unterwegs. - Ja, den ganzen Tag noch. Sie müssen morgen wiederkommen. - Nein, ausgeschlossen, ich gebe keine Auskünfte. Das müssen Sie mit Herrn Pelzer bereden.«

»Würden Sie ihm bitte eine Nachricht auf den Schreibtisch legen, dass ich ihn gleich morgen früh sprechen muss?«

»Meinetwegen«, gab sie nach und es hörte sich an, als erweise sie einem notorischen Sünder eine unverdiente Gnade.

Auf der Post wälzte er alte Telefonbücher. Der Name Zinneck war nicht eingetragen, vorsichtshalber notierte sich Rogge die Nummer von Kaiser, Gerhard, Beelestraße - für den Fall, dass Kaiser die alte Nummer von Zinneck übernommen haben sollte. Bei der Auskunft zog er eine Niete: Nein, weder ein Hans noch eine Charlotte Zinneck waren eingetragen, auch nicht angemeldet. Für weitere Auskünfte müsse er einen Antrag stellen, und zwar bei ...

»Nein, vielen Dank«, resignierte er.

Nachdem Rogge kiloweise Süßholz geraspelt und eine halbe Telefonkarte für ein Gespräch mit dem Makler in Dresden verbraucht hatte, taute der Makler etwas auf. Nein, Herr Zinneck hatte sich nicht wieder bei ihm gemeldet. Schade, er hatte extra was ganz Exquisites an Land gezogen, in Radebeul, einmalig am Fuß von Weinbergen ...

»Das wird ihn ärgern«, unterbrach Rogge das im Maschinengewehrstakkato vorgetragene Eigenlob. »Danke für Ihre Hilfe.«

Aus purer Langeweile verirrte Rogge sich in ein Geschäft. Sehr kleine, sehr diskrete Schilder im Schaufenster verkündeten, dass die Preise für Sommeranzüge, -hosen und -jacken herabgesetzt worden waren. Ein älterer Verkäufer steuerte auf ihn zu, er hatte Zeit, weil wenig zu tun war, und er brachte Verständnis für Rogges Einleitung auf: »Ich hasse Einkäufe und Anproben.«

»Aber jetzt muss es sein, ich verstehe.« Das ergebene Lächeln des Verkäufers machte es schwer, ihn unfreundlich zu behandeln. »Was brauchen Sie denn?«

Eine Stunde später verließ Rogge voll bepackt und noch immer halbwegs gut gelaunt den Laden. Es ging also doch! Und den Abend würde er auch noch herumkriegen, ohne sich zu langweilen. Der famose Stadtplan empfahl genug Sehenswürdigkeiten.