Extra Krimi Paket Sommer 2021

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31

In den nächsten Tagen kamen weitere Einzelheiten ans Licht. Die Verhafteten belasteten sich gegenseitig und so ergab sich recht schnell ein umfassendes Bild. Der Mann, der sich "Bruder Maleficius" nannte, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Sein wahrer Name lautete George Ventor. Als Dolores Montalban unter den Einfluss der Satanisten geriet, erkannte Ventor sehr schnell, welche Möglichkeiten darin für ihn steckten. Dolores erwies als leicht beeinflussbar. Und Ventor träumte davon, endlich mit seiner Sekte in den Drogenhandel einsteigen zu können, um ihre Finanzierungsgrundlage zu verbreitern. Dolores hingegen hasste die finanzielle Abhängigkeit von ihrem Vater. So entstand der Gedanke, eine Entführung zu inszenieren. Dolores sollte einen Teil des Lösegeldes abbekommen. Sie weihte ihren Bruder in die Pläne ein, der ihr entgegen den Aussagen, die wir bisher hatten, sehr nahe stand.

"Sie sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen, wenn sie für ein paar Tage einfach verschwinden würde", berichtete uns José später zu diesem Punkt bei einer der zahlreichen Vernehmungen, die wir mit ihm durchführten. "Ich weihte auch Benny Dominguez und Fat Paco ein. Sie waren begeistert von dem Plan. Dominguez stöberte diesen Maleficius auf und machte ihm in meinem Auftrag einen lukrativen Vorschlag. Der Zeitpunkt der vorgetäuschten Entführung musste etwas verschoben werden. Für mich war diese Aktion ein ideales Ablenkungsmanöver, das meinen Vater für eine Weile außer Gefecht setzten sollte. Er konnte sich nicht um die Organisation kümmern und die vermeintlichen Entführer jagen. Wenn alles glatt gegangen wäre, hätte er im Handumdrehen die Macht verloren."

"Irgendwann hätte Ihr Vater doch erfahren, wer seinem Stuhl gesägt hat", gab ich zu bedenken.

José zuckte die Achseln. "Er hätte sich irgendwann damit abgefunden, da bin ich mir sicher. Zumindest dann, wenn ich Erfolg gehabt hätte." Er machte eine Pause und fuhr in gedämpftem Tonfall fort: "Ich glaubte, dass diese Satanisten leicht zu lenken wären und bot ihnen über Dominguez einen Anteil am Drogengeschäft an, wenn das Syndikat neu geordnet würde." José heiser. "Diese Rechnung ging leider nicht auf..."

Es gab noch einen anderen Punkt, den wir zu besprechen hatten.

"Wie starb Dolores?", fragte ich.

"Hat Maleficius dazu schon etwas gesagt?"

"Er schweigt. Seine Anwälte haben ihm geraten auf geistige Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren."

José lächelte matt. "Jemand, der Schlangen und Spinnen Gift abzapft, um damit irgendwelche Tinkturen herzustellen, hat so vielleicht auch die besten Chancen... Ich hoffe nicht, dass er damit durchkommt." José Montalban atmete tief durch. Sein Blick schien durch mich hindurchzusehen. "Alles andere als ein Unfall macht keinen Sinn. Diese Satansjünger haben vom Tod meiner Schwester schließlich nur Nachteile gehabt!" José ballte die Hände zu Fäusten. "Ich habe nicht gewollt, dass es so endet", murmelte er.

Eine Erkenntnis, die recht spät kam.

Was geschehen war, ließ sich nicht mehr rückgängig machen.

José Montalban würde noch lange Zeit haben, um in einer Zelle auf Riker's Island darüber nachzudenken.

ENDE

Alfred Bekker: Tod eines Schnüfflers

1

New York 1991

Steve Tierney nahm das Diktiergerät zur Hand und versuchte zum letzten Mal, endlich seinen Bericht abzuschließen. Aber im Grunde wusste er, dass es auch diesmal nichts werden würde. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Als sein Blick seitwärts ging, sah er seine eigene Hand ein wenig zittern.

Ich bin schon weit gekommen!, durchfuhr es ihn. Er atmete tief durch, erhob sich von seinem unbequemen Bürostuhl und legte das Diktiergerät auf den unaufgeräumten Schreibtisch. Tierneys Büro lag in der Lower East Side, weil er sich nichts Teureres leisten konnte. Doch jetzt hatte er vielleicht die Chance, den Aufstieg vom Schmalspur-Schnüffler zum Gentleman-Ermittler zu schaffen. Aber die Sache war noch nicht sicher. Sie stand auf Messers Schneide und wenn er Pech hatte, schnitt ihm dieses Messer am Ende die Kehle durch. Tierney musste höllisch aufpassen und wusste das auch. Aber die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Eine solche Chance gab es nicht zweimal...

Tierney trat ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit. Es war schon spät. Eigentlich hatte er längst zu Hause sein wollen, aber in seinem Job durfte man nicht auf die Uhr schauen.

Er dachte plötzlich an seine Frau Karen und an Michael, seinen Sohn, der in ein paar Wochen zehn Jahre alt wurde. Um ihretwillen hätte ich mich nie auf diese verdammte Geschichte einlassen sollen!, ging es ihm schmerzhaft durch den Kopf. Aber jetzt war es zu spät dafür, irgendetwas zu bereuen. Jetzt musste er die Sache durchstehen und hoffen, dass alles gut ging. Wenn die Sache ausgestanden war, würden sie alle drei davon profitieren und eine bessere Zukunft haben. Keine nächtlichen Observationen von untreuen Ehemännern mehr, kein stundenlanges Herumlungern in der Nähe von Geldautomaten mehr, um irgendwelchen Scheckkartenbetrügern auf die Spur zu kommen...

Security Consulting für große Unternehmen - etwas in der Art schwebte Tierney für die Zukunft vor. Mit festen Bürostunden nach Möglichkeit. Und natürlich mit mehr Zeit für seine Familie.

In diesem Moment zuckte Tierney unwillkürlich zusammen. Das passierte ihm jetzt öfter. Seine Nerven hatten ziemlich gelitten, seit er in dieser Sache drin hing. Er hatte ein Geräusch an der Tür gehört. Jemand drückte auf die Klingel, aber die funktionierte schon seit langem nicht mehr. Also klopfte es eine Sekunde später.

Tierney hatte sein Schulterholster abgeschnallt und auf den Schreibtisch gelegt. Jetzt ging sein Griff dorthin, um die Waffe in die Hand zu bekommen. Es war eine Beretta und er fühlte sich schon wesentlich besser, als er den Pistolengriff in seiner Rechten spürte.

Mit der Waffe im Anschlag ging er in Richtung Tür, an der es zum zweitenmal klopfte, diesmal schon etwas ungeduldiger.

Tierney warf einen Blick durch den Spion. Im Flur stand ein Mann, den er nicht kannte.

"Was wollen Sie?", rief Tierney.

"Machen Sie auf, ich muss mit Ihnen sprechen!", kam es durch die Tür. "Aber nicht so, dass alle Welt das mitbekommt! Oder nehmen Sie keine Klienten mehr an?"

Tierney überlegte kurz. In seinem Hirn arbeitet es fieberhaft. Der Kerl da draußen war vermutlich kein Klient - obwohl Tierney dafür bekannt war, dass man ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen konnte. Aber in seiner jetzigen Lage glaubte er einfach nicht daran. Viel näherliegender war eine andere Möglichkeit. Jemand hatte vermutlich eine Art bezahlten Todesengel vorbeigeschickt, um Steve Tierney loszuwerden.

"Einen Moment!", rief Tierney, ohne die Absicht zu haben, dem Fremden wirklich zu öffnen. Er wollte nur Zeit gewinnen. Tierney schlich rückwärts und blickte sich in seinem schäbigen Büro um, in dem er jetzt wie in einer Mausefalle saß. Er hatte keine Chance hinauszukommen. Es gab keinen Balkon, keine Feuerleiter, nicht einmal die Möglichkeit zu einen Sprung aus dem Fenster, dessen Rahmen sich so verzogen hatte, dass er es im Winter hatte festnageln müssen, um nicht bei der Erledigung des leidigen Bürokrams zu erfrieren.

In Tierneys Büro gab es kaum Deckung. Es war kein Ort, um sich dort zu verstecken. Die Einrichtung war karg. Außer dem Schreibtisch befanden sich da nur ein paar selbsttragende Regale an den Wänden, in denen er die Akten mit seinen Ermittlungsunterlagen aufbewahrte.

Tierney war gerade bis zum Schreibtisch gekommen, da gab es ein hässliches Geräusch. Es klang fast so, als hätte jemand kräftig geniest, aber Tierney wusste, dass es etwas anderes war.

Eine Pistole mit Schalldämpfer! Der Kerl hatte kurzerhand das Schloss zerschossen. Die Tür öffnete sich einen Spalt.

Tierney machte das Licht aus und ging hinter dem Schreibtisch in Deckung. Dann entsicherte er seine eigene Waffe. Er packte die Beretta mit beiden Händen und wartete einfach die nächsten Sekunden ab, die endlos langsam voranzuschreiten schienen. Das erste, was er durch die Tür kommen sah, war der langgezogene Schalldämpfer.

Einen Augenblick noch wartete er. So lange, bis der Kerl zur Hälfte hereingekommen war. Tierney sah von dem Eindringling nicht viel mehr als einen schattenhaften Umriss. Aber als Ziel reichte das völlig aus. Steve Tierney dachte gar nicht daran, zu warten, bis der Killer versuchte, ihn zu töten. Seine einzige Chance war, ihm zuvor zu kommen. Und so tauchte er aus seiner Deckung hervor, legte die Beretta an und feuerte.

Der Eindringling reagierte allerdings blitzschnell. Er ließ sich zur Seite fallen und dann machte es 'Plop!'. Dreimal schnell hintereinander feuerte der Killer und traf. Ein Ruck ging durch Tierneys Körper. Er taumelte nach hinten und riss seine Beretta noch einmal hoch, um zu feuern. Doch bevor er dazu Gelegenheit bekam, hatte der Killer noch einmal abgedrückt. Der Schuss traf Tierney direkt in der Brust. Die Kugel trat auf der anderen Seite wieder aus und ließ die Fensterscheibe zu Bruch gehen. Tierney wurde nach hinten gerissen, so dass er dann aus dem Fenster kippte. Sieben Stockwerke, das war schon ein ganz ordentlicher Sturz. Der Killer machte indessen das Licht wieder an.

Der Fenstersturz war eigentlich nicht geplant gewesen. Letztlich bedeutete er für den Killer aber nur, dass er jetzt schneller arbeiten musste. Eine Viertelstunde, so schätzte er, hatte er mindestens. Er warf einen kurzen Blick hinaus aus dem Fenster. Ein hässlicher Anblick.

 

Es war schon jemand bei dem Toten und hatte sich über ihn gebeugt, ein anderer kam herbei. Aber es würde niemand hinauf ins Büro kommen, solange nicht die Polizei eingetroffen war. Das wusste der Killer aus Erfahrung. So waren die Leute nun einmal. Sie wollten etwas sehen, aber sich in nichts hineinziehen lassen.

Der Killer steckte seine Pistole ein und wandte sich dann den Akten zu, mit denen Steve Tierney seine Regale vollgestellt hatte. Eine nach der anderen wurde herausgerissen, durchgeblättert und dann auf den Boden geworfen.

2

Captain Toby Rogers vom Morddezernat Manhattan C/II war ein korpulenter Koloss. Er kam schnaufend aus seinem Dienstwagen heraus und bewegte sich auf den Tatort zu. Mantel und Jackett waren offen, seine Hemdknöpfe bis zum Zerreißen gespannt.

Die zahlreich postierten Uniformierten konnten das Heer der Schaulustigen kaum ausreichend abdrängen und auch Rogers hatte einige Mühe, sich durch den Pulk hindurchzudrängeln.

Schließlich hatte er sich bis zu Lieutenant Browne vorgearbeitet, der neben einer männlichen Leiche stand.

"Mehrere Schüsse", erklärte der lockenköpfige Browne, als er den Captain neben sich auftauchen sah. "Zwei davon waren tödlich. Da ist jemand sehr gründlich gewesen!"

"Sieht aus, als wäre er da oben aus dem Fenster gesprungen!", vermutete Rogers.

Browne zuckte die Achseln. "War sicher kein freiwilliger Sprung!"

"Warst du schon oben?"

"Ja. Jetzt ist die Spurensicherung gerade dort!"

"Wo ist denn der verdammte Arzt?"

"Schon wieder weg, Captain."

"Und die Todeszeit?"

"23 Uhr 47."

Rogers zog die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn. Er sah Lieutenant Browne an, als wollte dieser ihn auf den Arm nehmen. "So genau, Lieutenant?"

"Wir haben die Aussage einer Frau, die einen Schuss hörte, nachdem sie kurz vorher auf die Uhr geschaut hatte!"

"Einen Schuss?"

Browne nickte. "Ja, und den muss der arme Kerl hier selbst abgegeben haben. Er besaß eine Beretta. Sein Mörder hat wohl mit Schalldämpfer gearbeitet!"

Rogers verzog das Gesicht. Das klang nicht gut.

Er zwang sich dazu, den Toten anzuschauen, aber die Mühe hätte er sich sparen können. Der Schädel war ziemlich zerstört und obendrein blutbeschmiert. Vom Gesicht war nicht viel zu sehen. "Er heißt Steve Tierney und unterhielt hier ein Büro als Privatdetektiv", hörte der Captain die sonore Stimme von Browne.

Rogers nickte. "Haben wir zufällig mal mit ihm zusammengearbeitet?"

"Glaube ich nicht", meinte Browne. "Jedenfalls ist er mir nicht in Erinnerung geblieben."

Zwei Männer kamen jetzt herbei, um den Toten in einen Zinksarg zu legen. Rogers wandte sich ab. Er war verdammt froh darüber, dass das nicht sein Job war.

"Gehen wir hinauf in das Büro", meinte er zu Browne.

"Es war durchwühlt", sagte Browne. "Vielleicht ist Tierney auf irgendetwas gestoßen, das so brisant war, dass man ihm gleich einen Killer auf den Hals gehetzt hat!"

Rogers zuckte mit den Schultern.

"Schon möglich", meinte der Captain und fuhr fort: "Kann aber genauso gut sein, dass er sich als Erpresser versuchte. Reich ist er mit seinem Job ja wohl nicht geworden - wenn er hier residierte!"

Rogers war schon ein paar Schritte gegangen, da ließ ihn Brownes Stimme abrupt stoppen.

"Ach, Captain... Da ist noch etwas..."

Browne druckste ein wenig herum, während Rogers ihn anfuhr: "Na los, raus damit!"

"Tierney hatte Frau und Kinder."

"Ich hoffe, es hat sie jemand benachrichtigt. Und zwar mit Einfühlungsvermögen!"

"Das ist es ja eben. Ich hatte gehofft, dass Sie..."

3

"Guten Tag, Mister Reiniger!"

Die Gesichtsfarbe des Mannes war so grau wie sein Anzug. Sein Lächeln schien nichts weiter als eine gefühllose Maske zu sein. Eine geschäftsmäßige Maske.

Sein Name war Norman Reynolds, und er war seines Zeichens Notar und Rechtsanwalt, im übrigen einer mit ziemlich gutem Ruf.

Bount Reiniger, der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches, hatte ebenfalls in seiner Branche einiges an Renommee. Er bot seinem Gast einen Sessel an.

"Es freut mich, Sie endlich einmal kennenzulernen, Mister Reiniger."

"Ganz meinerseits."

"Ich habe schon einiges von Ihnen gehört. Man sagt, Sie wären New Yorks bester Privatdetektiv!"

Bount lächelte ironisch. "Die Leute sagen viel, Mister Reynolds. Das wissen Sie sicher auch..."

Aber diese Art von Humor kam bei dem grauen Mann offensichtlich nicht so recht an. Er blieb knochentrocken, sein Gesicht fast reglos. Er wandte den Kopf kurz zu der dritten Person, die sich im Raum befand. Es war eine äußerst attraktive Blondine, deren enganliegendes Strickkleid wenig von dem verbarg, was sich darunter befand. Norman Reynolds beeindruckte das jedoch augenscheinlich nicht im Geringsten.

Er wandte sich an Bount.

"Ich hätte Sie gerne unter vier Augen gesprochen, wenn es Ihnen nichts ausmacht."

"Es macht mir nichts aus, aber dies ist Miss June March, meine Mitarbeiterin. Sie wird ohnehin erfahren, worum es geht. Da kann sie auch gleich dabei sein, finden Sie nicht?"

Norman Reynolds fand das nicht.

Aber er setzte sich trotzdem.

"Was ist Ihr Anliegen, Mister Reynolds?", erkundigte sich Bount, während er sich eine Zigarette anzündete.

"Ich bin hier, weil ich die traurige Pflicht habe, den letzten Willen eines Verstorbenen zu erfüllen. Vor zwei Tagen wurde ein Privatdetektiv namens Steve Tierney in seinem Büro erschossen. Es ist kein Fall, von dem Sie gehört haben müssten, Mister Reiniger. Vielleicht gab es eine kleine Randnotiz in der Zeitung, vielleicht noch nicht einmal das." Reynolds erzählte dies mit fast emotionsloser Stimme. Er zuckte einmal zwischendurch kurz mit den Schultern und fuhr dann fort: "Mister Tierney hat mich zu Lebzeiten beauftragt, Ihnen das hier auszuhändigen."

Er überreichte Bount ein Kuvert und dieser öffnete es. Darin befand sich ein Brief, in dem der Ermordete Bount Reiniger den Auftrag gab, seinen Tod aufzuklären. Außerdem ein Scheck, sowie ein Schlüssel. Dazu eine von Tierney unterzeichnete Vollmacht, die Bount Reiniger ermächtigte, den Inhalt eines Bankschließfachs abzuholen. Laut Brief befanden sich dort die Ermittlungsunterlagen zu Tierneys letztem Fall.

Bount gab den Brief an June weiter, die ihn kurz überflog.

"Heißt das, dass dieser Tierney von seiner bevorstehenden Ermordung wusste - oder zumindest ahnte?", fragte Bount stirnrunzelnd.

Reynolds zuckte mit den Achseln.

"Ich weiß es nicht, Mister Reiniger", bekannte er. "Ich möchte nur wissen, ob Sie den Fall annehmen! Anderenfalls muss ich mich auf die Suche nach jemandem anderem machen. Mister Tierney hatte offenbar - rein professionell gesehen - eine hohe Meinung von Ihnen. Deshalb sind Sie seine erste Wahl gewesen."

Bount überlegte kurz. Dann nickte er. Er hatte eine Entscheidung getroffen. "Ich werde mich um die Sache kümmern", kündigte er an. "Schließlich war Tierney gewissermaßen ein Kollege..."

"Es freut mich, dass Sie die Sache so sehen, Mister Reiniger!", erwiderte Reynolds kühl und erhob sich dann. "Sie ersparen mir damit einiges an Aufwand. Es ist schließlich nicht so einfach, einen guten Privatermittler zu finden!" Er blickte dann auf seine Rolex, um zu unterstreichen, dass er jetzt schleunigst gehen musste.

"Miss March wird Sie hinausbegleiten", sagte Bount.

Aber Reynolds winkte ab. "Danke sehr, aber ich finde den Weg sehr gut allein!" Einen Augenblick später war er verschwunden.

"Das ist doch wohl die merkwürdigste Art und Weise, auf die du je an einen Fall geraten bist, Bount! Die ganzen Jahre über, die wir schon zusammenarbeiten, habe ich so etwas noch nicht erlebt!"

Bount grinste. "Das ist eben eine der positiven Seiten dieses Jobs: Es gibt jede Menge Abwechslung!"

Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

"Trotzdem! Dass du dich gleich so hast breitschlagen lassen, wundert mich! Ich frage mich, warum eigentlich!"

Bount hob den Scheck und hielt ihn mit Zeige- und Mittelfinger.

"Ein Argument ist natürlich das hier!"

"Ach, komm schon!" Sie nahm ihm das Papier aus der Hand und warf einen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. "Du könntest dir leicht dickere Fische an Land ziehen, Bount!"

"Sicher", murmelte er und zuckte die Achseln. "Aber ich mag es eben nicht, wenn man einen aus unserer Zunft umbringt. Irgendwie muss man da doch zusammenhalten, findest du nicht?"

4

"Tut mir aufrichtig leid, Sir, aber ich fürchte, ich kann nichts für Sie tun!" Es war der mandeläugigen Bankangestellten nicht anzusehen, ob es ihr wirklich so leid tat oder nicht viel mehr eher peinlich war. Aber im Grunde war das auch gleichgültig.

Bount Reiniger sah noch einmal kurz in das Bankschließfach und seufzte dann. Das Fach war leer. Nicht einmal ein Staubkorn war darin zu sehen - aber es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, hier alle Beweise wohlgeordnet auf einem Haufen zu finden.

"Was heißt das - Sie können nichts für mich tun?", fragte Bount stirnrunzelnd. "Ich habe den Schlüssel und eine Vollmacht des Verstorbenen, in dem er ausdrücklich mich dazu ermächtigt, den Inhalt des Faches abzuholen!"

"Das mag schon sein, Mister..."

"Reiniger."

"Unsere Bank verbürgt sich dafür, dass kein Unbefugter an das Fach herankommen kann!"

"Mister Tierney hat eine Menge Geld dafür hingeblättert, dass ich den Inhalt dieses Faches abhole. Das hätte er nicht, wenn es leer gewesen wäre!"

"Ich kann ja mal in den Unterlagen nachschauen, Mister Reiniger. Wenn wirklich jemand Zugang zu dem Fach gehabt hat, müsste eine Unterschriftsprobe vorhanden sein, die wir obligatorisch verlangen."

Bount lächelte dünn.

"Dann seien Sie bitte so freundlich und schauen Sie nach!"

Sie verließen den Raum mit den Schließfächern. Und dann sah Bount es eine Minute später schwarz auf weiß: Der Inhalt des Fachs war abgeholt worden. Und zwar von Karen Tierney, der Witwe des Ermordeten.

"Nach den Unterlagen hatten wir keinen Grund, ihr den Zugang zu verwehren!", meinte die Mandeläugige. "Sie war ja schließlich seine Witwe!"

"Hatte sie einen Schlüssel?"

"Den brauchte sie nicht unbedingt. Es kommt immer mal wieder vor, dass Hinterbliebene nicht wissen, wo der Verstorbene den Schlüssel aufbewahrt hat. In solchen Fällen verlangen wir Schadensersatz, weil wir ein neues Schloss einsetzen müssen..."

"Und Mrs. Tierney hat bezahlt?"

"So ist es."