Loe raamatut: «Essentielle Verwirklichung», lehekülg 4
Wir sehen also wieder, daß nur sehr wenige Menschen in der Lage waren, die innere Arbeit zu tun, Essenz zu erkennen, und um die Fülle dessen zu wissen, was es bedeutet, wahrhaft ein Mensch, ein Erwachsener der Spezies und nicht ein Baby zu sein. Die meisten Menschen sind im Hinblick auf ihre essentielle Entwicklung nur ein paar Jahre alt. Es gibt sehr wenige Erwachsene. Die Entwicklungen der Psychologie, vor allem in diesem Jahrhundert, zeigen uns, wie Menschen in ihrer Konditionierung aus der Kindheit feststecken und davon kontrolliert werden. Der im Westen entstandene Ansatz von Psychologie und Psychotherapie, ist eine neue Weise an das Problem des emotionalen Leidens der Menschheit heranzugehen. Seit Freud ist viel Wissen über das Unbewußte und über die Persönlichkeit dazugekommen. Psychologie, die Wissenschaft von der Psyche und vom Bewußtsein, liefert viel Wissen, das in der inneren Arbeit bisher gefehlt hat. Aber die, die das Wissen und die praktischen Anwendungen der Psychologie entwickelt haben, sind im allgemeinen nicht die, die an der inneren Arbeit teilnehmen. Sie erkennen das Leiden in der menschlichen Natur und arbeiten daran, dieses Leiden zu erleichtern, indem sie versuchen, die Konflikte in einem Menschen auf einer emotionalen Ebene zu lösen.
Essenz jedoch wird in der Psychologie und Psychotherapie in der Regel nicht in Betracht gezogen. Die Entfremdung von Essenz wird nicht gesehen. Man sieht, daß Menschen nicht mit ihren Emotionen und ihren Wahrnehmungen in Kontakt sind. Es wird gesehen, daß Menschen von komplexen Strukturen unbewußter Überzeugungen, Annahmen, Ängste und Abwehrmechanismen kontrolliert werden. Aber diese zusätzliche Dimension, die Existenz wahren Seins, wird in der psychologischen Theorie im allgemeinen nicht gesehen und so auch nicht berücksichtigt.
Als ein Ergebnis der Entwicklung psychologischen Wissens und therapeutischer Techniken haben viele Individuen äußerst wirksame Arbeit daran geleistet, sich selbst zu verstehen und das Leiden in ihrem Leben vermindert. Dieses psychologische Wissen ist auch für die Kultur im ganzen von Nutzen.
Psychologische Theorien und therapeutische Ansätze vermehren sich heutzutage, aber keiner dieser Ansätze scheint vollständig zu sein, und sie haben nur in verschiedenen Graden Erfolg. Aus der Perspektive der inneren Arbeit ist klar, daß diese Ansätze nicht vollkommen erfolgreich darin sein können, das Leiden zu beseitigen, wenn sie nicht die Tatsache der Essenz und unserer Entfremdung von ihr berücksichtigen. Die fundamentale Ursache unseres Leidens ist nicht emotionaler Konflikt. Wir haben emotionale Konflikte, weil uns die Kenntnis unserer wahren Natur fehlt.
In der Psychologie jedoch werden emotionale Konflikte als die Ursache von Leiden gesehen: Probleme mit der Umwelt in der Kindheit schaffen Konflikte in unserem Unbewußten, die ihrerseits Schwierigkeiten in unserem alltäglichen Leben verursachen. Aber was allgemein nicht gesehen wird ist, daß diese Konflikte in der Kindheit die Wirkung haben bzw. die Form annehmen, daß wir uns von den essentiellen Teilen unserer selbst entfremden, die die Quelle von Glück, Freude und Erfüllung sind.
Nehmen wir als ein einfaches Beispiel einen Mann, dessen Mutter ihn als Kind, wann immer er Wut ausdrückte, zurückwies, sich zurückzog oder erschreckt reagierte. Da in früher Kindheit die Mutter mit Liebe und Verschmelzen identifiziert ist, wird dieser Mann, wenn er jetzt Wut empfindet, tief den Verlust dieser Liebe und des Verschmelzens fürchten. In seiner Vergangenheit waren Eigenschaften von Liebe und Verschmelzen mit Wut nicht vereinbar; die Mutter entzog dem kleinen Jungen die Liebe, wenn er Wut ausdrückte. Stärke und Sexualität sind Wut nahe verwandt – zu beiden gehört die Energie von Trennung oder Aggression. Wenn dieser Mann also Liebe und Verschmelzen mit einem anderen Menschen oder mit einer Situation empfindet, wird er eine Bedrohung seiner Stärke und Sexualität fühlen. Das ist das Gewebe aus Schmerz und Verwirrung, das wir in unserem täglichen Leben empfinden. Den essentiellen Zuständen, die zum Beispiel mit Liebe, Wut oder Sexualität verbunden sind, können wir uns nicht nähern ohne Angst, Furcht oder sogar Panik zu erfahren, wie viele von euch hier in ihrer Arbeit gesehen haben.
Was bedeutet das nun? Unsere Kindheitserfahrungen von Frustration, Konflikt und Zurückweisung resultieren in dem Verlust essentieller Zustände. Da es gerade diese Qualitäten sind, nach denen wir uns sehnen, müssen die Verwirrung und die Unzufriedenheit in unserem Leben als Erwachsene gerade in diesem Verlust begründet sein. Der Verlust wird als ein Gefühl von Leere, Bedeutungslosigkeit, Totheit und Mangel, an der Stelle essentieller Zustände erfahren.
Wenn wir das bisher Gesagte zusammenfassen, sehen wir, daß die Effektivität der Schulen der inneren Arbeit durch einen Mangel an Wissen von spezifischen unbewußten Barrieren begrenzt war, die uns daran hindern, die entsprechenden essentiellen Zustände zu erfahren, aus denen unsere wahre Natur besteht. Die Effektivität von Psychotherapie war und ist durch ihre Unwissenheit von essentiellen Zuständen begrenzt, so daß Lösungen auf der Ebene des Ego und der Emotionen gesucht werden, also nicht auf den Ebenen, auf denen wir letztlich Befriedigung finden können.
In den letzten zehn Jahren haben manche Menschen begonnen, diese beiden Ansätze zu integrieren. Sie haben, je nach ihrer Erfahrung und ihrem Wissen, einen gewissen Erfolg gehabt. Aber das ist noch nicht der Diamantene Weg der inneren Arbeit. Bisher waren die Versuche, innere Arbeit mit dem Wissen von Konditionierung und der Struktur des Unbewußten zu integrieren, sehr allgemein. Für manche waren sie effektiv, sie halten aber immer noch eine unnötige Spaltung zwischen dem Schüler, der noch zum großen Teil mit seiner falschen Persönlichkeit identifiziert ist, und seiner Erfahrung von Essenz aufrecht. Bisher sieht das Konzept vor, daß die psychologische Arbeit die Schüler von A nach B bringen soll. Dann bringt innere Arbeit sie von B nach
C. Psychologische Arbeit wird unternommen, um die falsche Persönlichkeit aufzulösen, und nur dann existiert die Möglichkeit für essentielle Entwicklung.
Der Diamantene Weg unterscheidet sich von diesen Ansätzen insofern, als er an der Wahrnehmung und Auflösung der falschen Persönlichkeit zugleich mit der Wahrnehmung und Entwicklung essentieller Zustände arbeitet. Um zu erklären, wie diese Methode wirkt, werde ich die „Theorie der Mängel“, die wir aus Gründen, die wir später sehen werden, auch „Theorie der Löcher“ nennen, zusammenfassen.
In der ganzen Geschichte und Literatur der inneren Arbeit sehen wir, daß Wissen von dem, was wir hier „Essenz“ nennen, das Ziel der inneren Arbeit genannt werden könnte. In der westlichen Philosophie finden wir Plato, der über reine Ideen, oder die Platonischen Formen sprach. Plato, ein Schüler von Sokrates (der auch die innere Arbeit machte), schrieb über die Gespräche des Sokrates mit seinen Schülern über die sogenannten „ewigen Wahrheiten“ – die wir hier die Qualitäten von Essenz nennen, wie Mut, Wahrheit, Demut, Liebe – und wollte zeigen, wie Menschen etwas über diese Dinge erfahren. Sokrates bewies schließlich, daß wir diese Dinge nicht von jemand anders lernen können. Niemand kann euch zum Beispiel die Eigenschaft Mut lehren, oder Liebe. Er zeigte in seinen letzten Argumenten, daß wir diese Dinge nur wissen können, indem wir uns an sie erinnern. Jeder besitzt eine gewisse Erinnerung an diese essentiellen Formen. Wir haben in unserer Arbeit hier gesehen, daß ein beständiges Charakteristikum der Erfahrung von essentiellen Zuständen das Gefühl ist, daß ihr sie schon kennt, daß ihr schon früher hier gewesen seid, daß ihr euch an eine irgendwie grundlegendere Realität erinnert, die ihr im Prozeß des alltäglichen Lebens vergessen habt. Wir wissen also, daß diese Erinnerung an Essenz existiert, obwohl wir uns im allgemeinen ihrer nicht bewußt sind, und wir wissen, daß der Prozeß der Erinnerung an unsere Essenz der Prozeß der Erinnerung an uns selbst, der Rückkehr zu unserer wahren Natur ist.
Etwas anderes, was wir wissen müssen, um zu verstehen, wie unsere Methode funktioniert, ist die Tatsache, daß Essenz nicht ein großes Etwas ist, nicht ein Zustand oder eine Erfahrung, eine einzige Seinsweise. Es ist nicht ESSENZ, ein großes Ding. Essenz hat oder ist viele Zustände, viele Qualitäten. Es gibt Wahrheit; es gibt Liebe; es gibt Mitgefühl; es gibt objektives Bewußtsein; es gibt Wert; es gibt Willen; es gibt Stärke; und es gibt Freude. All das ist Essenz; es sind verschiedene Qualitäten von Essenz. Sie sind verschiedene Facetten des Diamanten und reflektieren verschiedene Farben.
Obwohl man in der inneren Arbeit immer gewußt hat, daß Essenz viele Facetten hat, haben die meisten Schulen eine Qualität oder eine Gruppe von Qualitäten mehr als andere betont. Manche Schulen stellen zum Beispiel Liebe in den Mittelpunkt. Sie wenden dann bestimmte Techniken an, um Liebe zu entwikkeln. Sie sprechen über Liebe. Sie beten. Sie singen. Sie verehren den Guru. Sie beten Gott an. Sie „geben sich der Liebe hin“.
Andere Ansätze betonen Dienst, Arbeit. Sie gehen mehr vom Bauchzentrum aus. Andere betonen Wahrheit oder die Suche nach Wahrheit. Wieder andere, zum Beispiel Gurdjieff, betonen den Willen – den äußersten Einsatz aller Kräfte, die man hat.
Welche Aspekte von Essenz bei einer bestimmten Methode besonders betont werden, hängt von der Erfahrung und dem Charakter des Lehrers oder dem Begründer der Methode ab. Oft hat zum Beispiel ein Lehrer einen bestimmten Teil von sich tiefer durcharbeiten müssen als andere Teile. Dann ist bei ihm die Qualität von Essenz, die mit diesem Teil assoziiert ist, vielleicht sehr stark entwickelt; und da der Lehrer durch diese Qualität das Verständnis und die Verkörperung seiner Essenz erreicht hat, entwickelt er seine Lehrmethode um diese Qualität herum.
Es hat nur sehr wenige Schulen gegeben, die mit der Totalität der Essenz arbeiteten. Es gibt also eine deutliche Uneinheit zwischen den verschiedenen Lehren: Mohammed spricht sehr anders als Jesus, und der Buddha sagt es auf seine Weise. Gegenwärtige Lehrer sagen verschiedenes – manche sagen, man solle sich Gott hingeben, manche man solle nach der „blauen Perle“ suchen; manche sagen, man soll eine bewußte Anstrengung machen, um nach dem eigenen Willen zu suchen; manche sagen, die Antwort sei die Leere. Und da die meisten dieser Leute nicht wissen, daß Essenz viele Qualitäten hat, denkt jeder, die anderen hätten unrecht. Wenn ihr wißt oder fühlt, daß große Anstrengungen des Willens euch zur Essenz führen, dann erscheint es euch als deutlich, daß es nicht mit Liebe geht. Liebe kann für euch dann eher Schwachheit oder Sentimentalität bedeuten. Wir sehen, daß in manchen Gruppen, wenigstens für eine bestimmte Zeit, Willen also wirklich auf Kosten der Qualität der Liebe entwickelt wird, weil sie irgendwie unvereinbar erscheinen.
Wir wissen, daß wir etwas über Essenz lernen, indem wir uns an sie erinnern, und daß sie viele verschiedene Qualitäten hat. Ihr habt alle eine unmittelbare Erfahrung dieser Dinge gehabt. Wann und warum haben wir dann das vergessen, woran wir uns jetzt zu erinnern versuchen? Jeder wird mit Essenz geboren, und wenn ihr wachst, entwickelt sich euer physischer Körper, und auch eure Essenz entwickelt sich, einem bestimmten Muster entsprechend.
Das neugeborene Baby ist vor allem in dem Zustand, den wir die Essenz der Essenz nennen, einem nichtdifferenzierten Zustand von Einheit. Mit etwa drei Monaten ist das Baby in einem Zustand der „Verschmelzung“, der für die Entwicklung der Beziehung mit der Mutter nötig ist. Nach diesem Zustand der Verschmelzung entwickelt sich Stärke, dann Wert, Freude, die persönliche Essenz, und so weiter. Aber aufgrund von Einmischung durch und Konflikt mit der Umwelt gelingt diese Entwicklung natürlich nur zum Teil. Jedesmal wenn es zu Schmerz oder einem Trauma kommt, nimmt eine bestimmte Qualität von Essenz ein wenig ab. Welche Qualität davon betroffen ist, hängt von der Art oder dem Zeitpunkt des Traumas ab. Manchmal wird unsere Stärke, manchmal unsere Liebe, unser Selbstwertgefühl oder unser Mitgefühl, Freude oder Intuition verletzt und dann schließlich blockiert.
Wenn eine Qualität von Essenz schließlich blockiert ist, bleibt an Stelle dieser Qualität ein Gefühl von Leere, eines Mangels, ein Loch zurück, wie wir in unserer Diskussion der Theorie der Löcher gesehen haben. Ihr habt in eurer Arbeit hier erfahren, wie ihr diese Leere in eurem Körper wirklich als ein Loch wahrnehmen könnt, wo eine Qualität von Essenz abgeschnitten ist. Es entsteht in einem Menschen also das Gefühl, daß etwas fehlt, und deshalb stimmt etwas nicht. Wenn wir solchen Mangel erleben, versuchen wir das Loch, das wir in uns spüren, zu füllen. Weil Essenz an dieser Stelle abgeschnitten ist, können wir das Loch nicht mit Essenz füllen. Wir versuchen also, es mit ähnlichen, falschen Qualitäten zu füllen, oder wir versuchen, es von außen zu füllen.
Angenommen unsere Liebe für unser Mutter wurde zurückgewiesen und nicht wertgeschätzt. Dann ist diese Liebe in uns verletzt. Um die Erfahrung dieser Verletzung zu vermeiden, machen wir einen bestimmten Teil unseres Körpers taub oder wie tot, und so sind wir dann von dieser süßen Eigenschaft der Liebe in uns selbst abgeschnitten. Wo diese Liebe sein sollte, haben wir eine Leere, ein Loch. Wir versuchen dann die Liebe, von der wir das Gefühl haben, daß sie uns fehlt, außerhalb von uns selbst zu bekommen. Wir möchten jemanden haben, der uns liebt, so daß das Loch innen mit Liebe gefüllt wird. Wir wissen genau, was wir wollen, aber wir vergessen, daß es unsere Liebe war, die verloren wurde; wir denken, daß wir etwas außerhalb von uns verloren haben, deshalb versuchen wir, es von außen wieder zurückzubekommen.
Mit dem „Loch“ sind Erinnerungen an die Situationen verbunden, die zu der Verletzung geführt haben, sowie an jene Qualität, die verloren ging. Es ist alles da, aber verdrängt. Wir erinnern uns nicht an das, was geschehen ist und was wir verloren haben; uns bleibt nur ein Gefühl von Leere und das falsche Gefühl oder die falsche Vorstellung, mit der wir versuchen, die Leere zu füllen. Mit der Zeit sammeln sich diese Löcher an und während sie von verschiedenen Emotionen und Überzeugungen gefüllt werden, wird das Material, das sie füllt, zum Inhalt unserer Identität, zu unserer Persönlichkeit. Wir glauben, daß wir diese Dinge sind. Die Persönlichkeit wird um die deutlichsten Mängel herum strukturiert. Manchen Menschen bleibt hier und da ein Stück Essenz. Bei einigen, deren Probleme in der Kindheit sehr schlimm waren, ist alles verdrängt. Das führt zu einem subjektiven Gefühl von Stumpfheit, beinahe Totsein und zu ebensolchem Aussehen.
Dieses Wissen macht die innere Arbeit, die wir hier tun, den Diamantenen Weg, möglich. Jetzt sind wir in der Lage, sehr klar und präzise zu sein. Wir haben einen klar erkennbaren Weg vor uns, auf dem wir Menschen zurück zu sich selbst führen können. Erst lernt ihr, euch selbst zu spüren, aufmerksam auf euch zu sein, damit euch die nötigen Informationen zu Verfügung stehen. Die meisten Menschen gehen ohne dieses Selbstgewahrsein durch das Leben, weil sie versuchen, die Gefühle der Leere und der Falschheit und das Gefühl, daß in ihrem Leben etwas nicht stimmt, zu vermeiden. Ihr lernt also, eurer selbst gewahr zu sein, und ihr beginnt, eure Persönlichkeit anzuschauen.
Was ermöglicht es euch, das zu tun? Was eurer Arbeit Kraft geben kann ist alles, was ihr an Willen habt und was ihr an Liebe und Verstehen für euch selbst habt. Ihr müßt eine gewisse Offenheit, bewußt oder nicht, für eure Sehnsucht haben, zu eurer wahren Natur zurückzukehren. Außerdem müßt ihr ein gewisses Verständnis davon haben, daß Schwierigkeiten aus eurem Inneren stammen, aus euren eigenen Konflikten. Wenn ihr im Grunde glaubt, daß eure Probleme dadurch gelöst werden können, daß ihr mehr Geld verdient, schöner werdet, Kinder habt, ein besseres Auto bekommt und so weiter, könnt ihr die innere Arbeit nicht tun. Die Arbeit beginnt damit, zu sehen, daß die Schwierigkeiten aus unserem Inneren kommen, und zu spüren, daß die Erfüllung, die wir suchen, auch von innen kommen wird. Dann benutzen wir verschiedene Formen der alten Techniken, wie Meditation, um verschiedene Teile der Essenz zu stärken. Wir benutzen auch verschiedene psychologische Techniken, um die Blocks gegen die Themen um die verschiedenen Aspekte von Essenz zu verstehen. Wir sehen hier in unserer Arbeit, daß jeder Mensch zu jedem beliebigen Zeitpunkt seines Lebens in sich selbst bestimmte Verhaltensweisen um ein bestimmtes Thema beobachten kann. Wenn ihr weiter an diesen Dingen arbeitet, dann werdet ihr beobachten, daß ihr euch so verhaltet, um eine bestimmte Mangelstelle oder ein bestimmtes „Loch“ zu füllen. Mittlerweile können wir sehen, welche Qualitäten von Essenz mit welchen Arten von Themen aus der Vergangenheit in Beziehung stehen. Diese Beziehungen zwischen dem essentiellen Zustand, dem „Loch“ bzw. dem Gefühl von Leere, das aus dem Verlust dieses Zustandes folgt, und den Emotionen und Überzeugungen, die wir erzeugen, um diese Löcher zu füllen, und schließlich die Konflikte in unserem Leben, die aus der resultierenden falschen Persönlichkeit entstehen, diese sind alle verstanden. Diese Beziehungen und Muster sind bei allen Menschen die gleichen. Wenn also ein Mensch hier in der Gruppe arbeitet, kann ich an seinem Thema, erkennen, um welchen essentiellen Zustand und um welchen Mangel es geht.
Zum Beispiel steht der Verlust des Willens meist in Beziehung zu Ängsten um Kastration, wie wir früher diskutiert haben. Der Verlust von Stärke steht in Beziehung zur Unterdrükkung von Wut und auch Angst vor Trennung von der Mutter. Der Verlust von Mitgefühl geht immer auf auf eine Unterdrükkung von Schmerz oder Verletztheit zurück. Jedes „Loch“ wird im allgemeinen von derselben Sache gefüllt, mit Variationen, die durch die Kindheitsgeschichte sowie durch den kulturellen und sozialen Hintergrund eines Menschen bedingt sind. Mitgefühl kann zum Beispiel von Sentimentalität und der Überzeugung ersetzt werden, man sei ein liebevoller Mensch; Intuition kann durch exzessive Tätigkeit der Phantasie und Stärke durch zur Schau gestellte Härte ersetzt werden.
Wenn man gründlich mit der Gruppe von Themen arbeitet, die zu einem bestimmten Zustand in Beziehung stehen und wenn man einen Aspekt der falschen Persönlichkeit als Versuch aufdeckt, ein Loch zu füllen, wenn man ganz in dieses Gefühl von Leere geht, auch durch die Angst, sie zu fühlen, hindurch – ganz und gar, den ganzen Weg – dann wird man zu dieser Qualität gelangen, die man verloren hat. Das haben wir hier in unserer Arbeit immer wieder gesehen.
Psychotherapeuten arbeiten mit diesen Themen, aber im allgemeinen gehen sie nur bis zum Mangel zurück, indem sie die ursprünglichen Themen erkennen und verstehen oder sogar lösen. Sie sehen nicht, daß die Leere da ist, weil Essenz fehlt. Sie sehen nur das Gefühl von Leere und die Konflikte, die das Ergebnis der Geschichte der Kindheit sind.
Ich bin sicher, daß Klienten in der Therapie manchmal zu essentiellen Zuständen gelangen. Der normale Therapeut erkennt sie aber nicht, und die Klientin selbst wird sie nicht als bedeutsam wahrnehmen. Sie wird nur wissen, daß sie sich wunderbar und erleichtert fühlt; sie wird manchmal sogar ein intensives Gefühl haben, daß sie „zu sich nachhause gekommen“ ist. Aber der essentielle Zustand wird nicht als das erkannt, was er ist; die Erfahrung wird vom Therapeuten übersehen und vom Klienten wieder verloren, und niemals weiter verfolgt oder entwickelt.
Wenn ihr aber mit einem Lehrer arbeitet, der weiß, daß es möglich ist, durch die Erfahrung von Verlust hindurchzugehen, ganz zurück bis zu dem, was verloren wurde, und der diese essentiellen Qualitäten erkennt, dann ist es möglich, eure wahre Natur zu erkennen und zu entwickeln. Wir sind hier nicht daran interessiert, einfach nur in eure Kindheit zurückzugehen um eure Konditionierung und eure Konflikte zu verstehen. Wir sind daran interessiert, zu dem ursprünglichen „Loch“ zurückzugehen und es einfach zu erfahren, ohne zu versuchen, es zu füllen. Wenn ihr in der Therapie an dem Konflikt arbeitet, daß ihr euren Vater wolltet und euer Vater für euch emotional nicht erreichbar war, dann empfindet ihr tiefen Schmerz und ihr fühlt euch kastriert. Ihr seht, daß ihr in der Gegenwart euren Vater nicht bekommen könnt; also besteht die Lösung darin, daß ihr eine Beziehung zu einem anderen Mann aufbaut (manchmal dem Therapeuten selbst), um diese „Löcher“ zu füllen, und das ist dann die therapeutische Lösung.
So geht es aber nicht. Man kann versuchen, den Mangel des Verlustes von Liebe mit der Liebe eines anderen Menschen zu ersetzen. Aber da es eure eigene Liebe ist, euer eigener Wille, nach dem ihr euch letztlich sehnt, werdet ihr euch von der Liebe und der Unterstützung durch den Vaterersatz unbefriedigt fühlen, wen auch immer ihr benutzt, um den Mangel zu füllen.
Ihr wißt jetzt, daß ihr eure eigene Liebe oder euren eigenen Willen nur erfahren könnt, wenn ihr die Erfahrung der „Löcher“ und Mängel, die mit ihnen assoziiert sind, zulaßt, anstatt zu versuchen, sie zu füllen. Das ist sehr schwierig und macht Angst. Viele spirituelle Disziplinen benutzen bestimmte Techniken, damit Schüler mit diesen Dingen in Kontakt bleiben können. Wenn ihr es aber schließlich könnt, stellt sich die wirkliche Lösung ein, und zwar nicht dadurch, daß nur der emotionale Konflikt gelöst, sondern daß die verlorene Qualität wiedergewonnen wird. Die Präsenz der Qualität von Liebe in euch wird schließlich das Problem der Liebe für euch beseitigen. Die Präsenz von Willen ist das, was das Gefühl von Kastration, Kraftlosigkeit oder Ohnmacht beseitigen wird. Nichts anderes kann das. Und ihr habt gesehen, daß man an allen Emotionen, Gedanken, Schwierigkeiten mit dieser Arbeit beginnen und sie durcharbeiten kann, bis zurück zum ursprünglichen Mangel. Dadurch daß ihr bei diesem Prozeß bleibt und jedem Thema ganz folgt, werdet ihr schließlich die Erinnerung an das haben, was ihr verloren habt. Dadurch daß ihr euch erinnert, werdet ihr es haben, wie Sokrates sagte. Alles was ihr verloren habt, könnt ihr wiedergewinnen, wenn ihr auf diese Weise arbeitet. Alles.
Es gibt keine Trennung zwischen psychologischen Themen und Essenz. Sie sind miteinander verflochten und verwoben. Das ist der Grund, weshalb ihr nicht einfach damit anfangen könnt, die falsche Persönlichkeit zu beseitigen, und wenn das getan ist, Essenz erfahren und sie entwickeln. Ohne die Wiedererlangung dessen, zu dessen Ersatz Persönlichkeit geschaffen wurde, kann die Persönlichkeit einfach nicht aufgelöst werden.
Der Diamantene Weg kann präzise sein, weil wir wissen, daß jeder Aspekt von Essenz mit bestimmten psychologischen emotionalen Konflikten verbunden ist. Wir können also die mächtigen psychologischen Techniken benutzen, die uns dahin führen, daß wir unsere Konflikte, Verdrängungen, Widerstände und Widerstandsmuster wahrnehmen, verstehen und uns dieser Dinge einfach nur bewußt werden. Wir brauchen nicht gegen die Widerstände, die dunklen Stellen, anzugehen, wir setzen sie einfach dem Licht aus. Dann ist das Weitergehen leicht. Wir können durch diese Stellen hindurchgehen, statt sie umgehen zu müssen. Sie zu umgehen oder durch sie hindurchzustoßen ist der schwere, der lange Weg. Unser Weg hat mehr mit Verstehen, mit der präzisen diamantenen Klarheit zu tun.
Wir können dieses Verstehen in Beziehung zu anderen psychologischen Ansätzen oder Schulen innerer Arbeit betrachten. Wir haben gesehen, daß andere Schulen andere Aspekte von Essenz betonen. Wir können uns jetzt anschauen, wie verschiedene psychologische Ansätze verschiedene Mängel oder „Löcher“ betonen. Jede psychologische Schule wurde im Grunde von ihren Gründern entwickelt, indem sie an den vorherrschenden Mängeln arbeitete, die sie wahrnahm, und ein gewisses psychologisches Wissen entwickelte, das mit den Themen um diese Mängel her-
um zu tun hatte.
Zum Beispiel Freud. Was betonte er? Zuerst natürlich erkannte er die Existenz des Unbewußten, und er sah, daß das verdrängte Material des Unbewußten vor allem aus der Aggression und der sexuellen Libido besteht. Die aggressive Kraft nennen wir hier die Stärke, und Libido ist eine Kombination zweier „lataif“ (feinstofflicher Aspekte von Essenz) auf der linken und der rechten Seite des Körpers. Freud beschäftigte sich also mit Themen um den Mangel dieser Qualitäten. Außerdem erkannte er die Kastrationsangst, die zu einem Verlust des Willens führt, wie hier besprochen. Der Psychologie Freuds geht es also im wesentlichen um diese drei Mängel, und sie ist in dieser Hinsicht durchaus effektiv. Sie kann wirklich bis zu essentiellen Qualitäten führen, die mit ihnen assoziiert sind.
Reich beschäftigte sich hauptsächlich mit der Qualität Lust, d. h. dem Mangel, der mit dem Verlust von Lust zu tun hat, besonders sexueller Lust. Reichianische Techniken zielen darauf, einem Menschen zu zeigen, wo er mit seinem Körper nicht in Kontakt ist, und ihm zu zeigen, wo er Lust nicht ertragen kann. Reichianische Arbeit ist darauf angelegt, in und durch die Barrieren hindurch zur Lust zu gelangen.
Worum ging es Fritz Perls? Das Hier und Jetzt; zu lernen im Hier und jetzt zu sein, ohne Erklärung, ohne Vergangenheit. Daß Perls nach Japan ging, um bei einem Zenmeister zu lernen, ist ein Hinweis darauf, um welches Loch es bei Perls’ Ansatz ging. Warum hat er sich für einen Zenmeister interessiert? Die Qualität, um die es den Zenbuddhisten geht, ist die Essenz von Ganzheit – ganz hier und jetzt zu sein heißt, die wahre Natur der Dinge sehen, was wir den Aspekt von Brillanz und was Schüler des Zen die Buddhanatur nennen. Zenbuddhisten halten sich nicht damit auf, an irgendeiner der besonderen Qualitäten zu arbeiten; sie wollen direkt zum Ziel gelangen. Perls wußte das intuitiv, obwohl ihm nicht wirklich klar war, wonach er suchte. Er muß etwas von dieser Qualität besessen haben, die man Brillanz nennt, die ihn zum Zen hinzog und schließlich zu seiner Entwicklung der Gestalttherapie führte, die im Grunde genommen dasselbe Ziel hat. Ich glaube, er hatte das Gefühl, daß sie von dieser Qualität etwas wußten, was ja auch wahr ist, also ging er zum Zen, um dort zu lernen. Ihm war es aber zu schwer und zu langsam. Kaum einer von zehntausend Schülern schafft es mit dem Ansatz des Zen, und auch das nur nach Jahren von zehn Stunden Sitzen am Tag und die Wand Anstarren. Keine Ablenkung, nichts. Wenn ihr es aushaltet vielleicht zwanzig Jahre lang zu sitzen, alle Widerstände kommen und durch euch hindurchgehen zu lassen, seht ihr schließlich vielleicht die Natur der Wand. Das ist dann „die vollkommene Natur“.
Weil diese Qualität die stärkste in Perls war, entwickelte er den Ansatz des Kontinuums von Gewahrsein („awareness continuum“) und die verschiedenen Techniken, die sich als so hilfreich dabei erwiesen haben, falsche Persönlichkeit und ihre Funktionsmuster zu erkennen.
Die Neofreudianer, die Ich-Psychologen beschäftigen sich vor allem mit dem Mangel an Wert, Selbstwertgefühl, dem Mangel an Liebe, der mit Objektbeziehungen zu tun hat, und dem Mangel von persönlicher Essenz, die die wahre Individualität ist. Ihr genaues Wissen davon, wie diese „Löcher“ entstehen, ist erstaunlich spezifisch. Sie wissen nicht, daß alle diese Qualitäten existieren, weil Neofreudianer hauptsächlich auf einer Ichebene arbeiten. Ihr Wissen ist jedoch sehr nützlich; wir benutzen es hier mit großem Gewinn, wenn Menschen daran arbeiten, etwas über ihre persönliche Essenz, ihren Wert und ihre Fähigkeit, wirkliche Liebe für einen anderen Menschen zu erfahren, zu lernen.
Wenn wir mit dem Diamantenen Weg arbeiten, können wir mit solchenTechniken genau herausfinden, welche emotionalen Konflikte zu dem Verlust einer bestimmten Qualität von Essenz beigetragen haben. Wir können damit direkt in die Leere selbst hineingehen und uns an den Aspekt erinnern, der verloren wurde. Dieser Ansatz versagt nie.
Um ein Beispiel zu geben, das wir hier in unserer Arbeit immer wieder gesehen haben: wer mit seiner Bindung an seine Mutter zu tun hat und ganz in die Gefühle von Bedürfnis, von Sehnsucht, von Schmerz über nie von der Mutter gestillte Bedürfnisse hineingeht, wird am Ende in einen Zustand gelangen, den wir die verschmelzende Qualität von Essenz nennen. Es ist eine wunderbare verschmelzende Art von Liebe; ihr verliert eure Grenzen und verschmelzt mit allem.
Ihr seht also: obwohl wir im Verlauf dieser inneren Arbeit mit dem Diamantenen Weg Aufgaben der Psychotherapie erfüllen, gilt mein Interesse hier nicht der Psychotherapie. Mein Interesse richtet sich auf die innere Arbeit. Ohne wirkliche Arbeit an der Essenz, gibt es keine Lösung unseres Leidens und keine Chance, unsere wahre Natur zu verwirklichen.
Es besteht keine Notwendigkeit für uns, hier nur an Problemen und Symptomen zu arbeiten, und es besteht auch keine Notwendigkeit, uns von der Welt in einem Kloster zu isolieren, um an Essenz zu arbeiten. Es ist sogar so, daß wir diese Arbeit tun müssen, während wir in der Welt sind. Gerade während wir in Beziehungen leben oder im Beruf, oder Ärger mit unserem Auto haben oder finanzielle Probleme haben, haben wir genau das Material, das wir für die innere Arbeit brauchen. Wie wir sehen, erlaubt uns der Gebrauch psychologischer Techniken zusammen mit den Methoden innerer Arbeit, das Ziel der inneren Arbeit auf eine leichtere, effektivere Weise zu erreichen, als dies in der Vergangenheit meist möglich war. Es ist notwendig, daß unsere Suche nach Verstehen und Wahrheit hier die wichtigsten Dinge sind, denn sie werden uns schließlich zu der Möglichkeit führen, alle Aspekte unserer Essenz zu erfahren und zu entwikkeln.
Wir lernen, daß es nicht funktioniert, wenn wir versuchen, einen Aspekt von Essenz ohne die anderen zu entwickeln. Wir versuchen zum Beispiel nicht, allein Liebe zu entwickeln. Liebe ist nur ein Aspekt von Essenz. Wir wollen nicht, daß ihr nur liebevoll seid. Wenn ihr Liebe, aber keinen Willen habt, wird eure Liebe nicht einmal wirklich sein. Oder wenn ihr Willen, aber keine Liebe habt, werdet ihr mächtig und stark sein, aber ohne eine Vorstellung von wirklicher Menschlichkeit, Freude oder Liebe. Wenn ihr Liebe und Willen, aber kein objektives Bewußtsein habt, dann sind eure Liebe und euer Wille vielleicht auf die falschen Dinge gerichtet. Eure Handlungen werden nicht genau oder angemessen sein. Nur die Entwicklung aller Qualitäten wird uns befähigen, volle, wirkliche, wahre Menschen zu werden.
Tasuta katkend on lõppenud.