Loe raamatut: «Der Wünscheerfüller»
Über dieses Buch
Der Wünscheerfüller ist ein ambitionierter junger Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hat, sein Leben zu einem großen Erfolg zu machen. Dafür sind die Rahmenbedingungen eher schlecht.
Er lebt bei seiner Mutter, die den Familienunterhalt aus häufig wechselnden Männerbekanntschaften speist und versucht sich an diversen Geschäftsmodellen, die ausnahmslos in einer juristischen Grauzone beginnen und in desaströsen Fehlschlägen enden. Alles wäre noch erträglich, wenn der junge Mann nicht zusätzlich darauf achten müsste, den Einfluss auf seine Mutter nicht zu verlieren. Einfallsreich und höchst kreativ beseitigt er ‚en passant‘ die störenden Partner an der Seite seiner Mutter, während er weiter an seinen Erfolgsideen arbeitet. Er hat alle Hände voll zu tun.
Seine wahre Passion findet er als ‚Wünscheerfüller‘, einem außergewöhnlichen Geschäftsmodell, das darauf beruht, die Herzenswünsche anderer Wirklichkeit werden zu lassen. Er belauscht vertrauliche Gespräche und zieht seine Schlüsse. Er arbeitet ohne Auftrag, aber mit großer Akribie und ist sich sicher, dass seine Mühen eine großzügige Belohnung wert sind, wenn er erst den Nutznießern seiner Arbeit seine Erfolge vorstellt. Entführung, Erpressung, Mord – all das sind unschöne Begriffe, die in die Welt des ‚Wünscheerfüllers‘ nicht hineinpassen. Er hat eine andere Sicht der Dinge.
Dies gilt umso mehr, nachdem er Milena begegnet, einem Straßenmädchen, das ihn fasziniert. Mit ihr beginnt sich sein Leben zu ändern. Mit ihr lassen sich Ideen umsetzen. Mit ihr beginnt ein neuer Reigen, der aus dem Jäger eine Beute macht. ‚Der Wünscheerfüller‘ reagiert in gewohnter Weise auf die Bedrohung. Er weiß Milena an seiner Seite. Doch dann kommt alles ganz anders.
„Der Wünscheerfüller“ ist die atemlose Geschichte des Scheiterns der großen Ambitionen eines jungen Mannes, der kriminelle Geschäftsmodelle und ein ungewöhnliches Familienleben erfolglos zu koppeln versucht.
Geschrieben auf eine lakonische Weise, erzählt mit schwarzem Humor, erdacht aus vielen Strafakten, die in dem Roman zu einer neuen Komposition wurden.
Achim Albrecht
Der Wünscheerfüller
© 2014
Die handelnden Personen und ihre Schicksale sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Ereignissen sind nicht beabsichtigt.
1. Auflage Oktober 2013
©2014 OCM GmbH, Dortmund
Gestaltung, Satz und Herstellung:
OCM GmbH, Dortmund
Verlag:
OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de
Printed in Germany
ISBN 978-3-942672-22-1
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Inhaltsverzeichnis
Zitat
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
XXIX.
XXX.
XXXI.
XXXII.
XXXIII.
XXXIV.
XXXV.
XXXVI.
Über den Autor
Als ich meine Seele fragte,
was die Ewigkeit mit den Wünschen macht,
die wir sammelten, da erwiderte sie:
‚Ich bin die Ewigkeit‘.
Khalil Gibran
I.
Mein Leben als Arschloch begann mit ungefähr achtzehn Jahren.
Ich sage „ungefähr“, weil ich korrekt sein will. Es kommt darauf an, immer korrekt zu sein. Unkorrektheiten wirken sich langfristig negativ aus und im Nu ist man in eine Falle geraten, aus der man sich nicht mehr befreien kann. Ich bin der Typ, der sich stets befreien kann.
Damals war ich noch siebzehn, wenn man meinen Ausweis zurate zog, und ein zarter Bub ungewissen Alters, wenn man meine Mutter befragen würde. Meine Vorstellungswelt war allerdings schon weit vorher in die Erwachsenenwelt hinüber geeilt und hatte sich mit einem ungesunden Erwerbssinn angereichert, sodass ich mit Recht behaupten kann, ungefähr achtzehn Jahre alt gewesen zu sein, wenn man aus den maßgeblichen Faktoren den Durchschnitt zieht.
Zugegeben, die Selbstbezichtigung als „Arschloch“ mag plakativ und profan klingen, aber glauben Sie mir, ich habe es mir nicht leicht gemacht. Natürlich bin ich nicht vollkommen zufrieden mit dem Ausdruck und seiner Aussagekraft, doch irgendwo sind dem Drang nach Korrektheit Grenzen gesetzt. Eine gewisse Zeit schwankte ich zwischen der Verwendung von „mein Leben als Stück Scheiße“, um die abwertende Verächtlichkeit der einer Fäkalie für meinen damaligen Zustand fruchtbar zu machen und dem weitaus eleganteren Zwillingsbruder des Arschlochs, dem Anus, mit dem eine beinahe aristokratische Selbstbeschimpfung möglich geworden wäre. Letztlich habe ich mich dann aber dem allgemein verständlichen, derben Brauchtum gebeugt, wohl weil es mit dem Gebrauch des Wortes auch eine gewisse Bauernschläue und Schlitzohrigkeit des so Titulierten verbindet. Ich denke, in einem solchen Fall kann man darüber hinwegsehen, dass der After an sich ein ganz und gar nützliches Werkzeug ist, dessen zwei Schließmuskeln, von denen nur der äußere dem Willen des Menschen unterworfen ist, nichts Anrüchiges oder sogar Verwerfliches an sich haben.
Sie mögen an dieser Stelle meinen, dass ich ein komplizierter oder sogar verschrobener Mensch bin, aber da liegen Sie falsch. Ich war überraschend direkt, als ich meiner Mutter das Kissen auf das Gesicht drückte. Es war eines jener riesigen Daunenkissen, in die man einsank wie in einen duftzarten Albtraum, der sich mit frisch gestärkten Leinenzipfeln über die Ohren stülpt. Ich hatte eine veritable Abneigung gegen solche Kissen, die jede Hoffnung auf einen geruhsamen Schlaf in sich begruben wie pausbackige Totenwächter. An jenem Tag aber entdeckte ich in ihnen eine erfrischend neue Funktionsweise und tatsächlich harmonierte der kalkig weiße Blähbauch des Kissens auf das Beste mit dem mütterlichen Torso im hellblauen Seidenschlafanzug, der in einer ersten Abwehrreaktion auf das Ersticken in eine unerquickliche Unordnung geraten war.
Meine Mutter war beileibe nicht alt oder schwach. Ihr unkoordiniertes Fuchteln und Schütteln verriet allerdings, dass sie in Kämpfen existenzieller Art ungeübt war. Die gedehnten Laute, die aus der Umarmung des Kissens herausdrangen, beunruhigten mich nicht weiter. Ich hatte sie erwartet und war sogar ein wenig enttäuscht, weil ich mir in Gedanken ein dramatischeres Szenario ausgemalt hatte. Einzig die Vorstellung, dass sich ihr fröhliches Make-Up auf dem Kissenbezug in rutschigen Schlieren abbilden und mich vor dem notwendigen Waschgang als karikierte Totenmaske anstarren würde, hatte etwas ganz und gar Unappetitliches und mit meinem Appetit ist es ohnehin nicht zum Besten bestellt.
Wahrscheinlich haben Sie mich an dieser Stelle bereits missverstanden. Es war keineswegs der Mord an meiner Mutter, der mich zum Arschloch machte. Um genau zu sein, war es ohnehin kein Mord, sondern eine Tötung, der jede Verwerflichkeit abging. Auch beim Erzählen ist es schwierig ganz korrekt zu sein, denn ganz korrekt handelte es sich bei der Episode mit meiner Mutter um einen Versuch der Tötung auf Verlangen. So stand es jedenfalls in dem Strafrechtslehrbuch, bei dessen Kapitel über Gewaltdelikte ich Aufschluss suchte. Und weil es so war, musste ich mich auch über den unfairen Gebrauch emotionaler Abwehrmittel durch meine liebe Mutter aufregen.
Ich hatte bei Gott andere Dinge zu tun, als Kissen auf ein gealtertes Gesicht zu drücken, ein Gesicht, das in den letzten Monaten in Tränenfalten zerfloss und aus einem makellosen Porzellangebiss flehte, man möge es doch von den elenden Schmerzen befreien, die das Alter und das Rheuma mit sich brächten. Nur wenn Zigaretten, Gin und eine erkleckliche Anzahl der verschiedensten Schmerzmittel ihre betäubenden und vergiftenden Sendboten schickten, wurde die weinerliche Litanei unterbrochen und wich einem Rausch, der für eine vorübergehende Entspannung sorgte.
Schon frühzeitig hatte ich den Verdacht, dass das Verhalten meiner Mutter eine Masche sein könnte. Sie hatte ein Faible dafür entwickelt, sterben zu wollen, wenn etwas nicht nach ihren Wünschen lief. Begonnen hatte es wohl mit dem Verschwinden meines Erzeugers, der sich absetzte, als er von meiner embryonalen Existenz erfuhr. Als Strafe servierte mir meine Mutter die endlose Klage von der Undankbarkeit meines Vaters, der doch wohl unwidersprochen zuerst ihr intimer Freund gewesen sein musste, bevor er zu meiner Zeugung schritt. So erfuhr ich in jungen Jahren, dass ich mit einer Art Erbschuld auf die Welt gekommen war, die es bis zum seligen Ende meiner Mutter abzutragen galt.
Mit etwas gutem Willen drängt sich der Schluss auf, dass ich mit der Kissenaktion lediglich einen Herzenswunsch meiner Mutter erfüllte, einen Wunsch, mit dessen Ausführung sie ihren hingebungsvollen Sohn beauftragte, weil sie selbst zu einem Selbstmord nicht in der Lage war. Ja, Sie lesen richtig. „Hingebungsvoll“ ist der Ausdruck, der das Verhältnis zu meiner Mutter am besten charakterisiert. Selbst bei den gemeinsamen Wannenbädern war sie die Fürsorge selbst. Wie eine aus Schaum geborene Fee achtete sie darauf, dass ich nicht nur oberflächlich eintauchte, sondern mich gründlich wusch und reinigte. Oft ging sie mir zur Hand und es ist für mich schlicht unvorstellbar, dass einmal die Zeit kommen muss, wo ich mit einer langstieligen Bürste meinen Rücken selbst zu schrubben habe. Fast kommen mir bei dem Gedanken an dieses Bild vollkommener Verlassenheit die Tränen und ich vergehe in einem Anflug berechtigten Selbstmitleids.
Es ist natürlich nicht so, wie Sie denken mögen. Das enge Band zwischen Mutter und mir ist keineswegs sexueller Natur. Sie ist eine robuste Frau mit einer ausgeprägten Körperlichkeit und einem lebhaften Gesicht. Was sie so anziehend macht, ist ihre grenzenlose Bereitschaft zu großen Emotionen. Wie die Zelebrierung ihres Leides vollbringt sie auch Großtaten auf dem Hochaltar der Leidenschaft. Das ist es, was sie für andere Männer so anziehend macht. Ich weiß es, denn sie hat es mir selbst aus einem ihrer Heftchenromane vorgelesen. „Hochaltar der Leidenschaft“ hatte mir schon gut gefallen, als ich noch nicht verstand, um was es ging. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich jetzt verstehe, um was es geht.
Wenn sie romantisch gestimmt war, vollzog sich mit ihrem Körper eine Metamorphose. Er behängte sich mit einem schreiend orangefarbenen Babydoll, das bis knapp zur Gesäßfalte reichte, schlüpfte in hochhackige Pumps und bestrich sich mit ausdrucksvollen Farben, die aus einer unscheinbaren, bäuerlichen Erscheinung eine Venusfliegenfalle machten.
Und dann kamen die Onkel mit ihrer Geilheit und ihrem Geld. Ich hatte viele Onkel. Manche waren polternd und jovial, andere warfen scheue Blicke um sich, als seien sie in eine Räuberhöhle geraten, und nicht wenige flößten mir Unbehagen ein, wenn sie abwesend meinen Kopf tätschelten und dabei meine Mutter witternd im Auge behielten wie Raubtiere vor dem Sprung. Alle ohne Ausnahme taten mit ihrem Geld Buße für das, was mein Vater uns angetan hatte und alle ohne Ausnahme fielen der Rache meiner Mutter zum Opfer, die sie ausplünderte und mit Verachtung im Herzen ihre Körpersäfte aufnahm, bis ihre Verehrer winselnd und friedlich ihre hochmütige Absolution empfingen und davonschlichen.
So jedenfalls hat es meine Mutter erzählt und ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Sie waren ihr nicht gewachsen, die fremden Männer, die für meinen Vater büßten und unser Leben finanzierten, aber immer, wenn meine Mutter über meinen Hals strich und mit einem schiefen Lächeln bemerkte, mein Adamsapfel springe genauso auffällig vor wie der meines Vaters, merkte ich, dass ihr etwas Wesentliches fehlte.
Der Alkohol und die Tabletten gesellten sich zu den Zigaretten, als ich auf das Gymnasium wechselte und meine Mutter nach eigener Einschätzung welk und unattraktiv zu werden begann. Oft zog sie meine Hände zwischen ihre Brüste und forderte mich auf ihr zu sagen, wie sie aussehe. Dann straffte sie sich und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Ich antwortete ehrlich, dass sie noch immer die Schönste sei, denn das Schneewittchen hinter den Sieben Bergen, das schöner war als sie, war mir noch nicht begegnet. Meist nickte sie in solchen Augenblicken heftig mit dem Kopf und seufzte, als habe ich meinen Text zufriedenstellend gelernt. „Du bist ein guter Junge“, sagte sie dann mit belegter Stimme. „Ich werde schon dafür sorgen, dass du nicht wirst wie dein Vater“.
Ihre eingebildeten Krankheiten und die zunehmende Hinwendung zu ihrem neuesten Liebhaber, einem penetrant riechenden holländischen Genever, verkürzten unsere gemeinsamen Sitzungen und verdrängten sie bald fast vollständig. Die Männer kamen weiterhin, aber sie tröpfelten nur noch herein, wo sie vor Jahren noch geströmt waren. Die Verkleidungen meiner Mutter wurden umso papageienhafter je renovierungsbedürftiger ihr Erscheinungsbild wurde. Peitschen und Dornenkronen ersetzten bunte Kissen. Harte Sitzungen blutig erkämpfter Lust trieben das Geld in die Kasse und die neue Sorte Männer war ebenso wenig zum Kopftätscheln aufgelegt wie ich.
Genau genommen hatte ich die Geldgeschäfte allmählich zu meiner Aufgabe gemacht und achtete darauf, dass die Einnahmen stimmten. Ich hielt mich weitgehend im Hintergrund und sicherte unsere Interessen ab, indem ich von den Besuchern heimlich Aufnahmen machte und ihre Taschen von überflüssigen Barmitteln befreite, wenn mein Bauchgefühl mir sagte, dass der eine oder andere winselnde Idiot den Aderlass verkraften werde, ohne Schwierigkeiten zu machen. Ein kleines Arsenal Waffen garantierte unseren Schutz und ich ließ es nicht zu, dass die sadomasochistischen Fantasien unserer Kunden meiner Mutter mehr Schaden zufügten, als die im Geschäft üblichen kleineren Verletzungen, die ihre Erwerbsfähigkeit nicht minderten und zur Steigerung ihrer Authentizität beitrugen.
Zuletzt wurde es aus wohlverstandenen ökonomischen Interessen unerlässlich, dass ich der Motivation meiner Mutter mit einem Leder überzogenen Paddel auf die Sprünge half. Man mag es meinem Ungeübtsein mit derlei Gerätschaften zugutehalten, dass die Schläge so schlecht abgewogen waren, dass meine Mutter im Ergebnis eine Zahnprothese benötigte. Ich sorgte dafür, dass sie das beste Modell bekam.
Es war die gleiche Prothese, die wie ein wütender Terrier in das Kissen biss.
Wie gesagt, ich hatte instinktiven Widerstand erwartet, vielleicht sogar heftige Gegenwehr, das Zerkratzen meiner Arme, wild um sich tretende Beine. Mir war in Bezug auf die Reinheit meiner Absichten nicht ganz wohl. Ich schwitzte in mein bestes Jackett und spürte, dass ich mir einen Fingernagel eingerissen hatte. Das waren Dinge, die nicht sein mussten. Ich war mir überhaupt nicht mehr sicher, dass es die Erfüllung des sehnlichen Wunsches meiner geliebten Mutter war, die mich zu dieser Anstrengung trieb oder doch die Tatsache, dass die peinliche Alte mir langsam dermaßen auf die Nerven ging, dass ich Schluss mit ihr machen sollte.
Seien wir ehrlich. Sie war ausgelutscht und ausgeleiert, ein ewig zugedröhntes Wrack, das nach einer kleinen Kosten-Nutzen-Analyse schlecht dastand. Sie war ein Auslaufmodell ohne Performance. Das musste man sich bei aller Zuneigung eingestehen. Sie hatte ihre Macker auf der Überholspur bedient und sich ihre Psychosen abgeholt, bis sie mit fast fünfzig in mein Kissen biss wie ein undankbares Tier, dem man Respekt einbläuen musste.
Sei es, wie es sei. Ich ziehe es vor, uns alle als Opfer widriger Umstände zu sehen. Der schlanke Junge mit dem prominenten Adamsapfel, der seinen Vater niemals kennenlernen durfte. Der zarte Junge, der in einen Ödipuskomplex hineingeboren wurde, was ihn für alle Zeiten brandmarkte und schuldunfähig machte. Der naive Junge, der nie verstehen wollte, dass seine verehrte Mutter eine Nutte auf dem absteigenden Ast war. Der hilfebedürftige Junge, der in seinem besten Anzug ein Monsterkissen auf das Gesicht seiner Mutter drückte, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse so beschaffen waren, dass die Ersparnisse nur einem von ihnen beiden ein angenehmes Auskommen für die Zukunft sicherte. Mutterherzen waren bekannt dafür, dass sie sich gerne aufopferten. Die guten Sitten forderten es geradezu.
Und dann kam das, was ich wirklich als unfair empfand. Eine Hand der Erstickenden fand meinen Arm und versuchte flatternd und krampfend mich an sich zu ziehen. Der Stoff des Ärmels knitterte und ich gab nach. Ihre Finger fanden meinen Hals und verharrten auf meinem Adamsapfel. Ich musste unwillkürlich den Druck auf das Kissen vermindert haben, denn ihr Körper hörte auf sich aufzubäumen. Eine Welle von Rührung übermannte mich und ich musste mir eingestehen, dass mir ihre simple Geste der Zuneigung jede weitere Hilfeleistung zu ihrer Selbsttötung unmöglich gemacht hatte.
Das war mehr als ärgerlich. Ich würde den Anzug reinigen lassen müssen und der eingerissene Fingernagel schrie nach einer zeitintensiven Maniküre. Ich war Geschäftsmann und erstickte nicht aus Spaß in der Gegend herum. Mit Tränen in den Augen riss ich das Kissen von ihrem Gesicht. Sie hatte damit aufgehört hineinzubeißen. Ihre Züge waren nicht wesentlich geschwollener als nach dem Konsum einer Flasche Genever. Sie rang kollernd nach Luft und fixierte mich mit ihren dunklen Augen.
Man mag es sich nicht vorstellen, aber das undankbare Stück wandte sich hustend und japsend von mir ab. Angewidert schleuderte ich das Kissen von mir. In Gedanken ging ich den Terminkalender durch. Wenn sie sich schon nicht für eine faire Gangart entscheiden konnte, sollte sie wenigstens den nächsten Freier bedienen. Resigniert machte ich mich daran, die Wohnung und die Alte wieder auf Hochform zu trimmen. Bei der Arbeit hatte ich eine Idee für ein neues Geschäftsmodell.
Das war es, was mich zum Arschloch machte.
II.
Ich weiß noch genau, wie es damit anfing.
Die Formulierung ist absolut korrekt gewählt, denn eine Idee hatte mich gepackt und rüttelte an den Fensterläden meiner Fantasie. Gerne würde ich behaupten können, dass ich mir die geniale Eingebung erarbeitet hatte und die Neuronen in meinem Hirn schneller feuerten als bei anderen Menschen. Das ist aber nicht der Fall. Ich bin ein ganz normaler Typ. Vielleicht etwas entschlossener, etwas weniger träge und selbstgefälliger als die anderen, aber eben nichts wirklich Besonderes.
Daraus können Sie schließen, dass ich ein Pragmatiker bin. Ich tue das, was notwendig ist und ich tue es gleich. An der Schule hielt man mich für verkniffen, weil ich für die Männlichkeitsrituale pubertierender Heranwachsender keinen Sinn hatte und konsequent mein Ding verfolgte. Mein Ding war die Geschäftswelt. Im Inneren war ich immer ein Geschäftsmann. Ich tat alles, was notwendig war, um mit den bestmöglichen Voraussetzungen meine ersten Erfahrungen als Unternehmer zu sammeln. Dazu gehörte auch, dass ich den Erwerb von Bildung ernst nahm. Selbst die öden Stunden mit einem ehemaligen Militärpfarrer, der in akkurat gebügelten Hemden und Knobelbechern an den Füßen vor uns saß und über eine Ethik referierte, an die er selbst nicht glaubte, presste ich nach Erkenntnissen aus, die ich auf meinem Weg gebrauchen konnte. Bücher verschlang ich in einem Schnellleseverfahren, das es mir ermöglichte, Schlüsselsätze und interessant erscheinende Passagen in mich hineinzufressen und wiederkäuend zu verdauen. Eigentlich konnte ich zu allem etwas sagen und belebte die notenrelevanten Diskussionen der Oberstufe mit lakonisch dahingeworfenen Wissensperlen, wenn sich der Rest der Klasse in dumpfen Deutungsversuchen erschöpft hatte.
Kurz, ich war ein Klugscheißer, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte und ein Opportunist aus Überzeugung. Glauben Sie mir, diesen Weg zu gehen erfordert Mut und Selbstbewusstsein und auf beides konnte ich jederzeit zurückgreifen.
Das Lesen war es auch, was die Geschäftsidee in mir zündete. Wie Sie bereits wissen, war es ein mühsames Unterfangen, die Talente meiner Mutter zum Erwerb des Lebensunterhaltes so zu koordinieren, dass die Renditeerwartungen nicht hinter der Anstrengung zurückblieben, die ich zu investieren hatte. Ständig war es notwendig, die Anreize zu erhöhen, um zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen und ich kam mir manchmal eher vor wie ein Dompteur, der die niederen Instinkte einer Kreatur nutzte, um einen Wall von Gleichgültigkeit und Verweigerung zu durchbrechen.
Ich wusste, dass ich mir ein weiteres Standbein besorgen musste und schickte meine kreativen Geister auf die Reise durch die Gazetten. Die meisten Kleinanzeigen versprachen viel und hielten wenig. Todsichere Investments lockten mit abenteuerlichen Gewinnen, Franchisekonzepte versprachen goldene Berge und leicht auszuführende Nebentätigkeiten im Verkaufsbereich beweihräucherten sich mit unverschämten Zusicherungen. In all das und noch viel mehr schnupperte ich hinein und konnte förmlich spüren, wie andere clevere Geschäftsleute sich die Hände rieben, während ihre Angelhaken als fett gedruckte Köder auf Zeitungspapier auf großen Fischzug gingen. Ich kenne meinesgleichen und bin kein Beutefisch.
Was mich zum Raubfisch machte, waren Todesanzeigen. Todesanzeigen werden als Quelle zum Broterwerb zu Unrecht unterschätzt. Es gibt Menschen, die mit Lust die vor Pietät triefenden, einfallslosen Texte studieren, die ihre schwarz umrandeten Rechtecke in einer stolzen Schar anderer schwarz umrandeter Rechtecke präsentieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie immer aufs Neue von „dem langen, still ertragenen Leiden“ berührt sind oder sich von dem knappen „nach kurzer, schwerer Krankheit“ in die Gefilde der Trauer wegführen lassen. Auch die Aufzählung der kleinen Schar von Hinterbliebenen, die wie auf eine geheime Verabredung hin „in Stille trauern“ und den Verstorbenen „in ihrem Angedenken behalten“ sorgt höchst selten für das Ausmaß der Faszination, die Todesanzeigen verbreiten.
Eher ist es die voyeuristische Neugier, auf einen bekannten Namen zu stoßen oder die klammheimliche Freude, diese auffällig plakatierte Sippschaft um eine weitere Woche überlebt zu haben. Machen wir uns nichts vor. Leichen sind Verlierer. Sie sind die sympathischsten Verlierer, die man sich wünschen kann, denn sie haben nichts dagegen und ihre Lobby verwandelt sich nach dem Leichenschmaus in einen Haufen habgieriger Neider, die sich wie Leichenfledderer um das Erbe bekriegen. All das natürlich im Rahmen der üblichen Umgangsformen, versteht sich.
Genau an dieser Stelle begannen die Anzeigen für mich nach Geld zu riechen. Nach leicht verdientem Geld. Und sie rochen kräftig. Zunächst begann ich damit, die Unfalltode und in jungem Alter Verstorbenen auszusortieren. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Raubtier die starken, wehrhaften Beutetiere einer Herde aussondert? Die Frage war natürlich rhetorischer Natur. Es liegt mir fern, Ihre Intelligenz zu beleidigen. Was ich brauchte, waren die in hohem Alter Dahingeschiedenen, die eine überschaubare Trauergemeinde in ähnlich hohem Alter und eine Handvoll abgestumpfter Kinder und Enkel hinterließen. Und ich brauchte Männer. Alte, tote Männer. Ein Glück für mich, dass die alten Frauen zähe Vögel waren, die sich unnachgiebig an ihr bisschen Leben krallten und wunderbar desorientierte Witwen abgaben. An brauchbarem Material bestand wahrlich kein Mangel.
Schade nur, dass ich bei der Durchführung meiner kleinen Idee nicht ausreichend mobil war. Wenn es meine Geschäftsinteressen nicht unmittelbar berührte, hielt ich mich streng an die Regeln. Ich glaube an Ordnung und Sicherheit und so wäre ich nie auf die Idee gekommen, ohne Führerschein mit dem Auto zu fahren. Ich war ein Jungunternehmer auf dem Mountainbike und betrieb heimatnahen Leichentourismus.
Glauben Sie nicht, dass ich mich von unausgegorenen Vorstellungen leiten ließ und einfach losschlug. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin ein großer Verfechter guter Vorbereitung. Und so kam es, dass ich im Verlaufe mehrerer Probeläufe meine Stadt auf eine Art und Weise erkundete, wie ich es vorher nie getan hatte. Die von mir sorgfältig ausgewählten Anzeigen führten mich zunächst auf die Friedhöfe. Zu meinem Erstaunen gab es davon mehrere. Friedhöfe schienen sich besonders gerne in Außenbezirken anzusiedeln. Es waren angenehme Orte, sanft zum Auge und gepflastert mit altem Baumbestand, der einen Hauch von Ewigkeit vermittelte. Kiesbestreute Wege zogen geharkte Muster um die streng geometrisch angelegten Gräberfelder. Ich bin mir nicht sicher, ob es den Beruf des Friedhofsarchitekten gibt. Falls ja, möchte ich diesem Berufsstand mein ausdrückliches Lob aussprechen. In das Lob einschließen möchte ich die Friedhofssatzungen, die ein Reglement ins Leben riefen, das die Höhe und Breite von Grabsteinen so festlegte, dass sich ein ambitionierter, schlanker Mann dahinter verbergen konnte, ohne von den um das benachbarte Grab Versammelten wahrgenommen zu werden.
Der immer gleiche Ablauf der Abschiedszeremonie erlaubte es mir, mich ganz auf die Personen zu konzentrieren, die ganz in Schwarz in kleinen Gruppen beisammenstanden und ihrer Trauerpflicht nachkamen. Die meisten trugen eingefrorene Gesichtszüge zur Schau, als ob jede Regung ihr künstliches Gehabe zerstören könne und sie sich damit eines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig machen würden. Selbst Tiere und Kinder hatten Spieltrieb und Bewegungsdrang abgelegt und folgten der Zeremonie mit unbewegten Mienen. Erlaubt und möglicherweise erwünscht waren einzelne Schluchzer, das Stabilisieren kollabierender weiblicher Körper und die eigenartig hölzerne Kondolenzumarmung der Witwe. So sehr ich auch spähte und nach eindeutigen Zeichen Ausschau hielt, viel Erkenntnis konnte man aus diesen öffentlichen Trauerakten nicht ziehen.
Ich hatte mich eigens für das Kauern hinter Grabsteinen in meinen dunklen Konfirmationsanzug gezwängt, der mir nur ein wenig zu eng und zu klein war, ansonsten aber ein respektables Flair vermittelte. Statt einer schwarzen Krawatte griff ich auf eine großohrige Schleife zurück, die mir als Sonderangebot in die Hände gefallen war. Sicher gibt es elegantere Wege als einem Autokorso mit Trauergästen auf dem Fahrrad zu folgen und dabei so angestrengt zu strampeln, dass man bei Passanten Kopfschütteln und Mitleid erntete. Jeder Unternehmer ist einmal durch solche Phasen gegangen und wenige Sekunden der Lächerlichkeit wogen nichts im Vergleich zu der Ernte, die man als Lohn für seinen Einsatz einfahren konnte.
Und tatsächlich spuckten die Bungalows und Etagenwohnungen mehr aus als die Friedhöfe. Sie verbrüderten sich mit rasch angemieteten Sälen in gutbürgerlichen Lokalen, wo man in gelöster Atmosphäre das bedrückende Erlebnis des Begräbnisses abschüttelte. Man verzehrte Kuchen und Schnittchen, erinnerte sich mit Wehmut an die eigene Sterblichkeit und fand mit den ersten Schnäpsen zu einer neuen Leichtigkeit des Seins.
Einige Male mischte ich mich unter die Anwesenden und überwand skeptische Blicke mit gezielt abgefeuerten Sätzen, wie: „Ich habe viel von ihm gelernt“ oder auch „Er war sicher kein einfacher Mensch, aber er hatte ein goldenes Herz“. Nach solchen Äußerungen wagte niemand mehr zu fragen, wer ich eigentlich sei und ein leutseliger Koloss von Mann erkannte eines Tages in mir sogar den Sohn eines Verwandten. Wir führten ein angeregtes Gespräch, bei dem ich Fragen stellte und er die Antworten gab, die mir verrieten, wie die nächste Frage auszusehen hatte. Im Verlaufe weniger Minuten erfand ich mühelos eine ganze Biografie samt Beiwerk und staunte selbst über den Fundus an Vorstellungskraft, der in mir schlummerte.
Am interessantesten war der Zustand der Witwen und ihrer Entourage. Unabhängig davon, ob die Exemplare zu der stämmig forschen Sorte oder der gebrechlich zittrigen Spezies gehörten, war ihnen ein Merkmal eigen. Sie waren von den Ereignissen überwältigt. Einige irrten umher wie ferngesteuerte Satelliten, andere brüteten stumm vor sich hin. Alle hatten leere Augen und wächserne Wangen. Der Schock hatte die Lebenskraft aus ihnen herausgesaugt und sie vorübergehend in Marionetten verwandelt, an denen die engsten Angehörigen zogen und zupften, auf die man einredete wie auf einen störrischen Esel und die mechanisch alles mit sich geschehen ließen, was an sie herangetragen wurde.
Als es mir gelungen war, dieses Verhaltensmuster zu identifizieren, machte ich mich unverzüglich an die Arbeit. Ich vergrub mich hinter meinem Schreibtisch und schrieb Rechnungen. Geld anzumahnen ist zu einer Art Lieblingsbeschäftigung geworden. Im Bereich der käuflichen Liebe erfordert das Forderungsmanagement eine robuste körperliche Verfassung und ist durch keinerlei Raffinesse getrübt. Im Geschäft mit Hinterbliebenen ist Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen vonnöten. Diese Prädikate sind ein natürlicher Bestandteil meines Wesens.
Bereits mein erster Versuch war ein voller Erfolg. Ich hatte meine Rolle genau einstudiert, aber genügend Spielraum für Improvisation gelassen. Den Briefkopf der Rechnungen hatte ich aus dem Internet kopiert. Sie glauben gar nicht, wie viele spezialisierte Versandhandelshäuser im Netz zu finden sind. Die meisten davon vertreiben Pornografie. Seien wir aufrichtig – wer bin ich, dass ich mich einem solchen Trend widersetzen sollte? Abgeschmackte Pornoartikel und alte Männer. Das passte. Auch alte Männer hatten ihre Geheimnisse. Die meisten von ihnen hatten keine Prostata mehr und auch sonst fehlte ihnen so einiges, was ihre besten Jahre lebenswert gemacht hatte. Was blieb, war der Nachhall guter Erinnerungen und die Begierde. Ja, die Begierde blieb. Dessen war ich mir sicher. Für diese Erkenntnis brauchte ich nicht in wissenschaftlichen Journalen der Geriatrie-Forschung nachzuschlagen. Die Grauen waren auch die Geilen. Sie benötigten lediglich ein wenig mehr an Stimulanz und Nachhilfe.