Loe raamatut: «Handbuch Ius Publicum Europaeum», lehekülg 23
4. Die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 und ihre Folgen
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Die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 (Reform der Beziehungen zwischen Staat und Regionen) hat zum ersten Mal das Phänomen der europäischen Integration in der italienischen Verfassung ausdrücklich in zahlreichen Vorschriften berücksichtigt. Der neu gefasste Art. 117 Abs. 1 Cost. legt die Grenzen für die staatliche und die regionale Gesetzgebung nieder und erwähnt ausdrücklich neben der nationalen Verfassung und den sich aus internationalen Verpflichtungen ergebenden Grenzen auch die aus der Gemeinschaftsordnung folgenden Schranken („vincoli derivanti dall’ordinamento comunitario“).
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Daraus ergibt sich zunächst folgende Frage: Kann der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. als „Europa-Artikel“ verstanden werden? Anders gewendet: Ist er eine Norm, die – wie z.B. Art. 23 GG in Deutschland – die Grundlage für weitere Übertragungen von Hoheitsrechten auf die europäische Ebene (mit den damit verbundenen Verfahren und Grenzen) schafft? Die Frage ist mit einem klaren „Nein“ zu beantworten.[44] Die Vorschrift regelt die nationale Gesetzgebung und ihre Grenzen. Weitere Übertragungen von Hoheitsrechten werden durch Art. 117 Abs. 1 Cost. nicht ermöglicht. Deshalb können weitere Schritte der europäischen Integration auch zukünftig nur auf der Grundlage von Art. 11 Cost. erfolgen.[45]
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Dies wirft die Frage nach der spezifischen Funktion des neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. auf. Diese Frage ist nach der Verfassungsreform des Jahres 2001 von der Rechtslehre intensiv – obwohl nicht immer mit klaren Ergebnissen – diskutiert worden. Nach h.L. hat die erwähnte Verfassungsnovelle die bisherige Gesamtordnung des Verhältnisses zwischen Europarecht und nationalem Recht grundsätzlich nicht geändert, sondern nur die bisherige Rechtsprechung – d.h. den oben dargestellten „cammino comunitario“ der Corte costituzionale – bestätigt und kodifiziert.[46] Dieser Meinung kann man jedoch nicht völlig zustimmen. Wie schon oben erwähnt wurde, regelt der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. nur die Grenzen der nationalen Gesetzgebung. Deshalb kann Art. 117 Abs. 1 Cost. den gesamten „cammino comunitario“ in Fragen des Verhältnisses von Europarecht zu nationalem Recht – einschließlich des Verhältnisses von Europarecht zu nationalem Verfassungsrecht – nicht bestätigt und kodifiziert haben. Art. 117 Abs. 1 Cost. kann also nur die vom Verfassungsgericht in seinem „cammino comunitario“ erreichten Ergebnisse über das Verhältnis von Europarecht zu nationalen einfachen Gesetzen bestätigt und kodifiziert haben.[47] Der Vorrang des Europarechts vor dem Verfassungsrecht (mit der Grenze der so genannten „controlimiti“) findet deshalb immer noch seine Grundlage allein in Art. 11 Satz 2 Cost.
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Weiterhin wird vertreten, dass die verfassungsrechtlichen Wurzeln der italienischen Mitgliedschaft in der EU infolge der Verfassungsnovelle solider geworden seien. Jetzt sei die Erforderlichkeit eines verfassungsändernden Gesetzes für den (allerdings höchst unwahrscheinlichen) Austritt Italiens aus der EU unbestreitbar.[48] Die Verpflichtung des nationalen einfachen Gesetzgebers, die sich aus dem Europarecht ergebenden Bindungen zu beachten, ist jedoch schon durch den „cammino comunitario“ des Verfassungsgerichts vor der Verfassungsnovelle erreicht worden (siehe die Urteile Frontini und Granital). Es scheint daher zutreffend, dass ein eventueller Austritt Italiens aus der EU (d.h. die Auflösung der europäischen Bindungen) schon vor der Verfassungsnovelle nicht durch ein einfaches Gesetz hätte erfolgen können, umso mehr, als Gesetze, „die darauf abzielen, die dauerhafte Beachtung der Verträge mit Bezug auf das System oder den wesentlichen Kern seiner Prinzipien zu verhindern“, zu den Gesetzen zählen, die das Verfassungsgericht, wie es festgestellt hat, selbst noch für verfassungswidrig erklären kann.[49] Es ist nicht ersichtlich, wie ein einfaches Gesetz, das auf den Austritt Italiens aus der Gemeinschaft zielte, diesem Schicksal entgehen könnte. Die Änderung von Art. 117 Abs. 1 Cost. hat also in diesem Punkt nur Klarheit geschaffen, aber nichts Neues hinzugefügt.
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Nach einer weiteren Meinung stellt der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. mit den sich aus dem Europarecht ergebenden Grenzen (neben der Verfassung und den internationalen Verpflichtungen) ein „vereinendes Element“ in einer Rechtsordnung dar, die – wie die italienische – von einer starken Dezentralisierung geprägt ist:[50] Deshalb sei diese Norm im Rahmen einer Verfassungsreform eingefügt worden, die die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen der Regionen und der Gebietskörperschaften bemerkenswert ausgedehnt hat. Dieser Meinung kann man jedoch nur zum Teil zustimmen. Es ist richtig, dass der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. u.a. die europäische Rechtsordnung als vereinendes Element innerhalb der italienischen Rechtsordnung bezeichnet. Man muss aber davon ausgehen, dass sich eine derartige Funktion der aus dem Europarecht ergebenden Bindungen – auch wenn sie im Rahmen einer Rechtsordnung mit deutlich abgegrenzten Regional- und Lokalkompetenzen deutlicher wird als früher – schon vor der Verfassungsnovelle in einem System, das auch schon bedeutende Regional- und Lokalkompetenzen enthielt, durchgesetzt hatte und dass sie deshalb durch den neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. nur bestätigt und ausdrücklich anerkannt worden ist.[51]
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Einige Autoren interpretieren den neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. als eine Norm, die endlich die monistische Lehre des EuGH vom Verhältnis zwischen der nationalen und der europäischen Rechtsordnung übernimmt und die bisherige dualistische Auffassung des Verfassungsgerichts überwindet.[52] Nach dieser Meinung ist es inzwischen offensichtlich, dass das Gemeinschaftsrecht und das nationale Recht Teile eines einzigen Rechtssystems sind, in dem ersteres Vorrang genießt. Wenn man dieser Meinung folgt, würde damit aber auch die „controlimiti“-Lehre aufgegeben, die keine Grundlage mehr in einem System hätte, das ohne Grenzen den Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht akzeptiert. Jedoch findet sich kein eindeutiger Hinweis in der neuen Fassung des Art. 117 Abs. 1 Cost., aus dem die Aufgabe der dualistischen Lehre unmissverständlich abgeleitet werden könnte.[53] Darüber hinaus setzt die Annahme der monistischen Lehre, mit dem damit verbundenen Verzicht auf die „controlimiti“-Lehre, eine sehr weitgehende Homogenität in Bezug auf den Umfang des Grundrechtsschutzes und die Inhalte der Grundprinzipien der beiden Rechtsordnungen voraus, die noch nicht ganz erreicht sein dürfte.[54] Es ist daher wahrscheinlich, dass das Fehlen eindeutiger Anhaltspunkte im Verfassungstext, der, wie erwähnt, nur die Schranken für die nationale Gesetzgebung, aber nicht das Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander anspricht, der Corte costituzionale abermals die Möglichkeit gibt, in bewährter italienischer Weise die Rolle des Schiedsrichters bei der Festlegung der zukünftigen Beziehungen zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht zu spielen, was entweder in die monistische Richtung gehen kann, die einige Autoren schon vor der Verfassungsänderung angestrebt hatten, oder weiterhin im dualistischen System verbleibt. Wenn die dualistische Lehre also in Zukunft vom Verfassungsgericht aufgegeben werden sollte,[55] ist das nicht unbedingt als eine Folge der Verfassungsnovelle zu verstehen.
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Im Ergebnis sind die Funktionen von Art. 11 und 117 Abs. 1 Cost. unterschiedlich. Art. 11 Cost. hat die bisherigen Beschränkungen der nationalen Souveranität ermöglicht und erlaubt weitere zukünftige Beschränkungen (natürlich nur, wenn die dort vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt werden): Die Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht werden daher auch weiterhin Teil der nationalen Rechtsordnung auf der Grundlage von Art. 11 Cost. Art. 117 Abs. 1 Cost. spielt hingegen die Rolle des Hüters dieser Verpflichtungen gegenüber der staatlichen und regionalen Gesetzgebung. Die konkrete Folge der förmlichen Anerkennung und ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Garantie der sich aus dem Europarecht ergebenden Bindungen in Art. 117 Abs. 1 Cost. liegt darin, dass Fragen der Verfassungsmäßigkeit von mit Gemeinschaftsrecht in Widerspruch stehenden Gesetzen, die noch in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts fallen (vgl. oben, Rn. 31), nunmehr auf die Verletzung von Art. 117 Abs. 1 Cost. und nicht mehr die Verletzung von Art. 11 gestützt werden müssen.[56] Außerdem spielt der neue Art. 117 Abs. 1 Cost. eine klärende Rolle in Bezug auf einige weitere Aspekte: 1) die Erforderlichkeit eines verfassungsändernden Gesetzes für den Austritt aus der EU und 2) die jetzt ausdrückliche Anerkennung der vereinenden Rolle der europäischen Verpflichtungen. Last but not least kommt dem neuen Art. 117 Abs. 1 Cost. wesentliche politische Bedeutung zu, da mit ihm zum ersten Mal ausdrücklich die Anerkennung des europäischen Integrationsprozesses in der Verfassung niederlegt ist.
5. Grundfragen der italienischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union
a) Der Machtverlust des nationalen Gesetzgebers
aa) Der Machtverlust des nationalen Parlaments
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Mit der Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische Ebene ist ein beträchtlicher Machtverlust des nationalen Parlaments einhergegangen. Ein derartiges Phänomen hat erhebliche Auswirkungen auf die Demokratiestruktur innerhalb der nationalen Rechtsordnung, weil die nationale Regierung auf Grund der zentralen Rolle des Rats in der Architektur der europäischen Institutionen auf Kosten des Parlaments deutlich an Macht gewonnen hat. Das Parlament behält natürlich in einer parlamentarischen Demokratie – wie der italienischen – die Möglichkeit, die politische Verantwortung der Regierung in Bezug auf ihre Stellungnahmen in den europäischen Institutionen bzw. Organen geltend zu machen; die Frage ist aber zunächst, wie das Parlament in den europäischen Angelegenheiten ex ante – d.h. im Vorfeld des europäischen Entscheidungsprozesses – eine angemessene Rolle spielen kann.
(1) Beteiligung am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft („fase ascendente“)
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Die Antwort des Parlaments auf diese Frage war nicht – wie z.B. in Deutschland (vgl. Art. 23 Abs. 2 und 3 GG) – eine Verfassungsänderung, sondern der Erlass einfacher Gesetze, nämlich des Gesetzes Fabbri Nr. 183 vom 16.3.1987 und des Gesetzes La Pergola Nr. 86 vom 9.3.1989, die die Beteiligung des Parlaments am Entscheidungsprozess der Gemeinschaft geregelt haben. Die gesamte Materie ist durch das Gesetz Buttiglione Nr. 11 vom 4.2.2005 neu geregelt worden.
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Nach der aktuellen Rechtslage hat die Regierung die Pflicht, die Kammern zu unterrichten über: 1) alle Entwürfe von Rechtsakten der Gemeinschaft und der Europäischen Union, 2) alle Maßnahmen zur Vorbereitung dieser Rechtsakte (einschließlich der Grün- bzw. Weißbücher und der Mitteilungen der EU-Kommission), 3) die Themen auf der Tagesordnung des Rats der Europäischen Union, 4) alle Stellungnahmen, die die Regierung im Europäischen Rat vertreten will, und 5), jedoch nur auf Anfrage der Kammern, die Stellungnahmen, die die Regierung im Rat der Europäischen Union abgeben will.[57] Auf dieser Grundlage haben die Kammern das Recht, Bemerkungen und politische Stellungnahmen zu allen Entwürfen europäischer Akte bzw. allen vorbereitenden Akten abzugeben.[58] In diesem Zusammenhang hat das Gesetz Buttiglione den „Vorbehalt der parlamentarischen Prüfung“ (riserva d’esame parlamentare), die dem britischen „scrutiny reserve“ ähnelt, eingeführt. Danach ist die Regierung verpflichtet, im Rat der Europäischen Union erst nach der Prüfung der entsprechenden Akte durch die Kammern Stellung zu nehmen.[59] Weiter haben die Kammern das Recht, 1) innerhalb von 15 Tagen über die Ergebnisse der einzelnen Sitzungen des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rats[60] und 2) alle 6 Monate über die wichtigsten Themen, die auf europäischer Ebene diskutiert worden sind oder gerade diskutiert werden, von der Regierung unterrichtet zu werden;[61] 3) die Regierung muss darüber hinaus den Kammern einen Jahresbericht vorlegen (bis zum 31. Januar jeden Jahres), der die Gemeinschaftspolitik des vergangenen Jahres und die Politik, die die Regierung im laufenden Jahr verfolgt, darlegt.[62]
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Somit stellt das Gesetz dem Parlament zwar Instrumente zur Wahrnehmung der Beteiligung am Willensbildungsprozess der Gemeinschaft zur Verfügung, die praktische Wahrnehmung der politischen Kontrollfunktion hängt jedoch zweifellos von der Abstimmung der Arbeit der Kammern mit der europäischen Agenda ab.
(2) Das Verhalten nach Erlass des Gemeinschaftsrechts („fase discendente“)
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Italien war bis in die 1980er Jahre hinein mit der Umsetzung der europäischen Richtlinien ständig in Verzug; dasselbe gilt ganz allgemein für die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an das Gemeinschaftsrecht. Dies lag vor allem daran, dass die Regierung die entsprechenden Gesetzentwürfe bzw. im Fall der Ermächtigung die gesetzesvertretenden Verordnungen nur langsam erarbeitete. Hinzu kam weiter die erhebliche Dauer der parlamentarischen Verfahren. Um diesem Missstand abzuhelfen, hat der Gesetzgeber mit den bereits erwähnten Gesetzen Fabbri, La Pergola und letztendlich Buttiglione die gesamte Materie neu geregelt und die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die europäischen Verpflichtungen im Wege eines jährlich zu verabschiedenden Gesetzes (der sog. „legge comunitaria“, „Gemeinschaftsgesetz“) geregelt. Danach verabschiedet das Parlament jedes Jahr ein Gesetz, in dem es alle Normen erlässt, die für die Anpassung der italienischen Rechtsordnung an die aus der Mitgliedschaft in der EU fließenden Verpflichtungen erforderlich sind. Das Instrument des „Gemeinschaftsgesetzes“ hat zwar dazu beigetragen, die jahrelange Verspätung bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht durch Italien zu beenden, es hat aber damit zugleich eine weitere Aushöhlung der Zuständigkeiten des Parlaments zugunsten der Regierung (die den entsprechenden Gesetzentwurf erstellt) nach sich gezogen, da die Umsetzung zahlreicher Gemeinschaftsverpflichtungen in einem einzigen Akt es praktisch unmöglich macht, die einzelnen Aspekte genau zu überprüfen und detailliert zu diskutieren.[63]
bb) Die Metamorphose der Garantiefunktionen: Gesetzesvorbehalt und Legalitätsprinzip
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Die Schwächung des nationalen Gesetzgebers ergibt sich besonders deutlich aus zwei Entscheidungen der Corte costituzionale, in denen ausdrücklich bestätigt wird, dass grundlegende rechtsstaatliche Institute wie der Gesetzesvorbehalt und das Legalitätsprinzip ihre besondere nationale Prägung und ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben. Gemäß Entscheidung Nr. 383 vom 27.11.1998 ist einerseits dem Gesetzesvorhalt bei Fehlen nationaler Gesetze auch durch das Vorliegen von Gemeinschaftsrichtlinien Genüge getan; andererseits ist nach Entscheidung Nr. 425 vom 27.10.1999 das Legalitätsprinzip auch gewahrt, wenn ein bestimmtes Verwaltungshandeln durch Gemeinschaftsnormen begründet und begrenzt wird.[64]
cc) Der Machtverlust der Regionen
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Die Übertragung von nach nationalem Recht den Regionen zustehenden Kompetenzen auf die europäische Ebene beinhaltet – wie in allen föderalen bzw. regionalisierten Mitgliedstaaten der EU – auch einen Machtverlust der Regionen. Auf dieses Problem hat das italienische Parlament mit der Regelung der Beteiligung der Regionen bei der Bildung und Umsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Verfassungsänderung von 2001 bzw. durch einfache Gesetze reagiert, die im Wesentlichen zu folgender Regelung geführt haben:
(1) Die Beteiligung der Regionen am Prozess der Entstehung von Gemeinschaftsrecht
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Nach dem 2001 in die Verfassung eingefügten Art. 117 Abs. 5 Cost. haben die Regionen das Recht, für die in ihre Zuständigkeit fallenden Materien an den Entscheidungen des Rechtsetzungsprozesses der EU teilzunehmen.[65]
(a) Die mittelbare Beteiligung
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Vorab ist zu erwähnen, dass es in Italien keine Kammer der Regionen gibt, die es, wie der deutsche Bundesrat, den Regionen gestattete, unter anderem bei der Setzung von Gemeinschaftsrecht eine bedeutende Rolle zu spielen. Mit Bezug auf in der Gemeinschaft diskutierte Entwürfe und Projekte genießen die Regionen nur weit reichende Informationsrechte gegenüber der Regierung hinsichtlich deren Stellungnahme und der Ergebnisse der Treffen des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rates.[66] Wenn in den europäischen Gremien Entwürfe und Vorschläge beraten werden, die in die Zuständigkeit der Regionen fallen, haben die Regionen das Recht, der Regierung ihre „Bemerkungen“ dazu zu übermitteln.[67] Handelt es sich um Entwürfe von Gemeinschaftsrechtsakten, die Materien der Regionalkompetenzen betreffen, haben die Regionen darüber hinaus die Möglichkeit, in der Konferenz Staat-Regionen Absprachen mit der Regierung herbeizuführen, um die Regierung zu einem bestimmten Verhalten auf europäischer Ebene zu verpflichten.[68] Wenn keine Absprache mit der Regierung zustande kommt, haben die Regionen allerdings keine Möglichkeit, die Regierung auf Gemeinschaftsebene zur Berücksichtigung der Mehrheitsmeinung der Regionen zu verpflichten. Erwähnenswert ist ebenfalls die Rolle der „Gemeinschaftssitzung“ der Konferenz Staat-Regionen, die mindestens alle sechs Monate stattfindet und unter anderem unverbindlich Stellung nimmt zu: 1) den allgemeinen Zielen der Ausarbeitung und Umsetzung der Gemeinschaftsakte im Bereich der Zuständigkeit der Regionen; 2) den Kriterien und Modalitäten zur Beachtung und Durchsetzung der Gemeinschaftsverpflichtungen in Wahrnehmung der regionalen Kompetenzen und 3) den Grundzügen des Entwurfs des „Gemeinschaftsgesetzes“[69].
(b) Die unmittelbare Beteiligung
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Die unmittelbare Beteiligung der Regionen an den Tätigkeiten der europäischen Institutionen ist völlig neu, verglichen mit der Rechtslage vor der Verfassungsnovelle des Jahres 2001. Gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes La Loggia Nr. 131 vom 5.6.2003 nehmen die Regionen im Rahmen der Ermächtigung durch die Regierung an den Beratungen des Rats sowie der Arbeitsgruppen und Ausschüsse von Rat und Kommission teil, wenn es um Materien geht, die im nationalen Bereich in ihre Gesetzgebungskompetenz fallen. Wenn es sich um Bereiche der ausschließlichen regionalen Gesetzgebung nach Art. 117 Abs. 4 Cost. handelt, kann sogar die Leitung der italienischen Delegation dem Präsidenten einer Regionalregierung übertragen werden.
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Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes La Loggia enthält darüber hinaus eine weitere bedeutende Neuerung, die den italienischen Regionen ein Klagerecht vor dem EuGH einräumt. Um zu verhindern, dass die Regionen wegen fehlender Aktivlegitimation für derartige Klagen nicht auf Rechtsakte der Gemeinschaft reagieren können, die zu Unrecht in ihre Gesetzgebungskompetenz eingreifen, ist nun vorgesehen, dass die Regierung auch auf Antrag nur einer Region beschließen kann, vor dem EuGH Rechtsakte der Gemeinschaft anzugreifen, während die Regierung in dem Fall, in dem die absolute Mehrheit der Regionen einen derartigen Antrag stellt, verpflichtet ist zu klagen. Ein weiterer Punkt verdient Erwähnung: Auch die Europäischen Verträge und ihre Änderungen scheinen – nach Art. 117 Abs. 5 Cost. – zu den Gemeinschaftsakten zu gehören, bei deren Ausarbeitung die Regionen beteiligt werden können. Auf diese Beteiligungsmöglichkeit nehmen die Durchführungsgesetze dieser Verfassungsbestimmung jedoch nicht Bezug, die nur die (direkte oder indirekte) Beteiligung der Regionen bei der Setzung von Sekundärrecht regeln. Dies ist von erheblicher Bedeutung: Während die deutschen Länder über den Bundesrat an Entscheidungen über die weitere Übertragung von Hoheitsrechten mitwirken (Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG), verfügen die italienischen Regionen nicht über eine entsprechende Kompetenz, nicht einmal dann, wenn es sich um die Übertragung ihrer eigenen Kompetenzen handelt.
(2) Die Regionen und die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts
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Da die Verfassung diesen Aspekt nicht regelt, war den Regionen noch bis zu Beginn der 1970er Jahre nicht das Recht zugestanden, Gemeinschaftsnormen in ihrem Kompetenzbereich umzusetzen, da – so die Begründung – allein der Staat für die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts der Gemeinschaft gegenüber verantwortlich sei und folglich der Staat nicht das Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen Untätigkeit einer oder mehrerer Regionen eingehen könne.[70] Diese strikte Haltung wurde später gelockert. Die Zuständigkeit der Regionen zur Umsetzung von Gemeinschaftsnormen wurde durch einfaches Gesetz zunächst in einer gesetzesvertretenden Verordnung von 1977 anerkannt,[71] und dann im Gesetz Nr. 86 von 1989, das in diesem Punkt durch das Gesetz Nr. 128 vom 24.4.1998 geändert wurde. Erst durch die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 hat die Regionalkompetenz zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht ausdrücklich Anerkennung in der Verfassung gefunden. Art. 117 Abs. 5 Cost. sieht nun vor, dass die Regionen innerhalb der nationalen Rechtsordnung für die Anwendung und Durchführung der in ihre Zuständigkeiten fallenden Gemeinschaftsakte sorgen.[72] Nach der Verfassungsänderung des Jahres 2001 kann der Staat, der weiterhin allein für Untätigkeit gegenüber der EU verantwortlich ist, anstelle der Regionen und Gebietskörperschaften handeln, wenn diese ihrerseits untätig bleiben (siehe die neu eingefügten Art. 117 Abs. 5 und 120 Abs. 2 Cost.[73]).
(3) Die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Beziehungen zur Europäischen Union
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Die Verfassungsnovelle des Jahres 2001 hat den Regionen eine Gesetzgebungskompetenz zur Regelung ihrer Beziehungen zur EU eingeräumt (siehe Art. 117 Abs. 3 Cost.). Es handelt sich um eine konkurrierende Zuständigkeit. Der staatliche Gesetzgeber ist also in diesem Bereich nur befugt, wesentliche Grundsätze für die Gesetzgebung der Regionen zu erlassen. Der Staat verfügt hingegen weiterhin über die ausschließliche Kompetenz zur Regelung der Beziehungen des Staates zur EU (siehe Art. 117 Abs. 2 lit. a Cost.).