Handbuch Ius Publicum Europaeum

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a) Die Debatte um die Vereinbarkeit mit der dauernden Neutralität

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Die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur dauernden Neutralität beruht auf dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität vom 26.10.1955.[37] Völkerrechtlich verbindlich wurde der Neutralitätsstatus durch die Notifikation dieses Gesetzes an die übrigen Staaten, mit denen Österreich in diplomatischen Beziehungen stand.[38] Der Neutralitätsstatus definiert sich inhaltlich demnach nicht nur nach dem Bundesverfassungsgesetz, sondern darüber hinaus völkerrechtlich über die Haager Übereinkommen betreffend den Land- und den Seekrieg.[39]

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Diese verfassungs- und völkerrechtliche Verpflichtung bildete lange Zeit das Haupthindernis für eine Annäherung Österreichs an den europäischen Integrationsprozess.[40] In der rechtswissenschaftlichen Lehre gab es bis in die achtziger Jahre kaum einen Vertreter, der eine Mitgliedschaft bei den EG nicht für neutralitätsrechtlich bedenklich erachtet hätte.[41] Die Bedenken beruhten im Wesentlichen auf der Supranationalität der EG. Es wurde befürchtet, dass Österreich zur Durchführung inhaltlich neutralitätswidriger Beschlüsse gezwungen sein könnte.[42] Der Beitrittsantrag an die EG im Jahr 1989 enthielt daher noch einen Neutralitätsvorbehalt.[43] Die Kommission sah die Mitgliedschaft eines neutralen Staates in der EG zwar als grundsätzlich möglich an, verwies jedoch auf Probleme, wenn Österreich sich – unter Berufung auf seinen Neutralitätsstatus – veranlasst sähe, sich systematisch europäischen Maßnahmen zu widersetzen. Sie hielt daher eine Neudefinition des Neutralitätsstatus für notwendig.[44]

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Vor dem Hintergrund der Umbrüche im ehemaligen Osten Europas und der Wende von 1990 sowie im Gefolge des Golfkriegs in den Jahren 1990 und 1991 kam es zu einem Wandel des Neutralitätsverständnisses, der mit geänderten Erwartungen der Staatengemeinschaft an dauernd Neutrale begründet wurde.[45] Als Österreich im Jahr 1993 im Gefolge des Maastrichter Vertrags seine Beitrittsverhandlungen zu den Europäischen Gemeinschaften auf solche zur Europäischen Union umstellte, hielt es seinen Neutralitätsvorbehalt nicht mehr aufrecht. Dies erschien – vor dem Hintergrund der Tatsache, dass durch den Vertrag von Maastricht u.a. die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) eingeführt wurde – nicht konsequent.[46]

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Spätestens mit dem Abschluss des Beitrittsvertrages ging man aber offensichtlich davon aus, dass ein Beitritt zur EU durch einen völkergewohnheitsrechtlich bedingten Wandel der Neutralitätsverpflichtung mit derselben vereinbar sei.[47] Österreich hatte im Rahmen einer dem Beitrittsvertrag angefügten Erklärung seine Bereitschaft bekundet, sich „in vollem Umfang und aktiv an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik des EU-Vertrages“ zu beteiligen und die entsprechenden Vertragsbestimmungen und „einschlägigen Erklärungen vollständig und vorbehaltlos“ zu übernehmen. Damit hatte es sich zu einer Absicherung der verfassungsrechtlichen Lage verpflichtet.[48]

b) Die Debatte um eine Gesamtänderung der Verfassung und Volksabstimmung

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Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Debatte stellte sich daneben die Frage, ob die mit dem Beitritt verbundene Übernahme des gemeinschaftlichen Rechtsbestandes in die nationale Rechtsordnung eine so genannte „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ herbeiführen würde. Eine solche Gesamtänderung liegt dann vor, wenn eines der Grundprinzipien bzw. der „Baugesetze“ der Bundesverfassung erheblich eingeschränkt oder gänzlich aufgehoben wird.[49] Bei diesen Grundprinzipien handelt es sich um das demokratische, das bundesstaatliche, das republikanische und das rechtsstaatliche Prinzip sowie das Gewaltenteilungs- und das liberale Prinzip.[50] Nach Art. 44 Abs. 3 B-VG kann eine solche Gesamtänderung nur nach einer „Abstimmung des gesamten Bundesvolkes“ erfolgen. Fraglich war somit, ob durch einen EU-Beitritt die Grundprinzipien gänzlich aufgehoben oder auf eine Weise berührt werden würden, die in eine „Gesamtänderung“ resultiert.[51]

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In der Lehre war die Auffassung vorherrschend, dass die Grundprinzipien durch den EU-Beitritt im Sinne einer „Gesamtänderung“ abgeändert werden würden.[52] Man ging davon aus, dass jedenfalls das demokratische, das bundesstaatliche und das rechtsstaatliche Grundprinzip der Bundesverfassung berührt würden.[53]

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Ein Konflikt des demokratischen Prinzips mit der EU-Mitgliedschaft wurde aufgrund der Übertragung weit reichender Rechtsetzungszuständigkeiten auf die EU gesehen.[54] Dies würde zu einem hohen Maß an Rechtserzeugung durch EU-Organe führen, die vom österreichischen Volk nicht direkt demokratisch legitimiert seien[55] und deren Zusammensetzung zudem mit dem demokratischen Repräsentationszusammenhang der Bundesverfassung in Widerspruch stünde[56]. Darüber hinaus würde durch die unmittelbare Wirksamkeit und den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch das Gesetzgebungsmonopol der staatlichen Legislativorgane durchbrochen.[57]

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Die Beeinträchtigung des bundesstaatlichen Prinzips resultiere ebenfalls aus der Übertragung von Zuständigkeiten der Legislative, aber auch der Exekutive, auf die EU. Die Länder verlören dabei nicht nur durch die Übertragung von Kompetenzen aus ihrem selbständigen Wirkungsbereich,[58] sondern darüber hinaus auch aufgrund des Umstands, dass sie – anders als der Bund – grundsätzlich nicht die Möglichkeit haben würden, an der Rechtsetzung auf EU-Ebene durch ihre Vertreter unmittelbar mitzuwirken.[59]

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Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wurde in der weit reichenden Überlagerung der nationalen Rechtsordnung durch das EU-Recht als beeinträchtigt angesehen, das sich in seiner Regelungstechnik und in seinen Quellen stark vom österreichischen Recht unterscheidet.[60] Durch die Verpflichtung zur unmittelbaren Anwendbarkeit müsse das Gemeinschaftsrecht von den österreichischen Organen bereits dann angewendet werden, wenn es den gemeinschaftsrechtlichen Kriterien der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit – als Voraussetzung für die unmittelbare Anwendbarkeit – entspricht. Diese seien allerdings weniger strikt als die Anforderungen des Verfassungsgerichtshofes an die hinreichende Bestimmtheit von Gesetzen im Sinne des Legalitätsprinzips gemäß Art. 18 B-VG.[61] Darüber hinaus sei das Rechtsstaatsprinzip durch eine Änderung der Stellung der Gerichte – und insbesondere der Höchstgerichte – berührt.[62] Durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts sei allein der EuGH zur Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit und dessen Auslegung berufen. Das europäische Sekundärrecht könne daher von keinem österreichischen Gericht und keiner Verwaltungsbehörde überprüft und aufgehoben werden.[63] Der Verfassungsgerichtshof verliere sein Normprüfungsmonopol,[64] das durch die Verpflichtung der Gerichte und Verwaltungsbehörden zur „Inzidentkontrolle“ von staatlichem Recht am Maßstab des Gemeinschaftsrechts zusätzlich eingeschränkt werde.[65]

c) Die Debatte um das Verfahren des Abschlusses des Beitrittsvertrages

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Während man sich weitgehend einig darüber war, dass der EU-Beitritt zu einer Änderung der Baugesetze und damit zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung führen würde, herrschte Uneinigkeit darüber, in welchem Verfahren diese Gesamtänderung beschlossen werden musste.[66] Der Grund dafür lag in den diesbezüglich unklaren Verfassungsbestimmungen.[67] Die Bestimmung des Art. 50 B-VG zum Verfahren beim Abschluss verfassungsändernder Staatsverträge erklärt nämlich nur die Abs. 1 und 2 des Art. 44 B-VG[68] auf verfassungsändernde oder -ergänzende Staatsverträge für „sinngemäß anwendbar“. Ein Verweis auf die obligatorische Volksabstimmung gemäß Art. 44 Abs. 3 B-VG fehlt dagegen.

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Man sah sich daher vor der Frage, ob ein Staatsvertrag überhaupt ein gesamtänderndes Erzeugungsverfahren durchmachen konnte, d.h. ob in diesem Fall eine Volksabstimmung erforderlich bzw. überhaupt möglich war.[69] In der Lehre wurden drei unterschiedliche Meinungen vertreten:[70] Einerseits bestand die Ansicht, dass Art. 44 Abs. 3 B-VG auf Staatsverträge gar keine Anwendung finden könnte, eine Volksabstimmung daher nicht erforderlich sei.[71] Andererseits wurde angenommen, dass eine Gesamtänderung der Bundesverfassung durch Staatsvertrag schlechthin ausgeschlossen[72] bzw. eben nur durch Verfassungsgesetze möglich wäre.[73] Staatsverträge mit gesamtänderndem Charakter dürften danach nur abgeschlossen werden, wenn zuvor ein gesamtänderndes ermächtigendes Verfassungsgesetz erlassen worden sei.[74] Die dritte Ansicht geht unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 44 Abs. 3 B-VG davon aus, dass eine Gesamtänderung auch durch Staatsverträge möglich ist[75] und wurde auch dem Verfassungsgerichtshof unterstellt.[76]

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Letztlich entschied man sich für den vorherigen Erlass eines Bundesverfassungsgesetzes über den Beitritt.[77] Man wollte vermeiden, dass der gesamte Vertrag und damit auch jene Teile, die nicht als gesamtändernd oder materiell nicht als Verfassungsbestimmungen qualifiziert werden können, Eingang in die österreichische Bundesverfassung finden.[78] Eine exakte Bestimmung der gesamtändernden Teile erschien ohnedies nicht möglich.[79] Der Beitritt sollte nicht auf eine dogmatisch umstrittene Position gestützt werden.[80]

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Das Gesetz musste dabei auf eine Art und Weise formuliert werden, die sowohl den Abschluss des Beitrittsvertrages ohne neuerliche Diskussion über eine Gesamtänderung als auch die Übernahme des europäischen Rechtsbestands in die österreichische Rechtsordnung ermöglichte.[81] Daher entschied man sich für den Erlass eines Verfassungsgesetzes, das den Bundespräsidenten, auf Vorschlag der Bundesregierung und nach Genehmigung des Verfassungsgesetzes durch National- und Bundesrat, zum Abschluss des Beitrittsvertrages ermächtigt. Das Gesetz bezog sich auf den bereits paraphierten – d.h. vollständig ausgehandelten – Vertragstext. Dieses wurde der Volksabstimmung unterworfen. Auf der Grundlage des vom Volk mit einer Mehrheit von 64,5% angenommenen BVG wurde der Beitrittsvertrag abgeschlossen, der in der Folge nur noch vom Nationalrat zu genehmigen war.

2. Nationale Interessen im Kontext der Ratifikationsdebatte

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Mehr als die verfassungs- oder staatsrechtlichen Auswirkungen einer EU-Mitgliedschaft haben die für und gegen einen EU-Beitritt sprechenden nationalen politischen Interessen den Ausschlag für das Abstimmungsverhalten der Österreicher gegeben.[82] Von besonderer Bedeutung waren dabei die künftige Ausgestaltung der nationalen Sicherheitspolitik und die möglichen Auswirkungen auf den Umwelt- und Verbraucherschutz sowie auf die Landwirtschaft.

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Der Neutralitätsstatus Österreichs nahm im Rahmen der politischen Debatte eine prominente Rolle ein. Die Gegner eines EU-Beitritts argumentierten mit der Gefahr des Verlustes der Eigenständigkeit und einer Gefährdung des Neutralitätsstatus.[83] Diese Gefahr wurde vor allem im Zusammenhang mit der GASP gesehen. Auf der anderen Seite wurde gerade die Sicherung des Friedens als einer der Hauptgründe für eine EU-Mitgliedschaft angesehen. Von einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem erhoffte man sich eine europäische Sicherheitsgarantie und Friedensordnung.[84]

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Der Umweltschutz stellte ebenfalls einen kontrovers diskutierten Themenbereich dar.[85] Zwar war man sich weitgehend klar darüber, dass Umweltprobleme einer Zusammenarbeit im internationalen Rahmen bedürften. Allerdings wurde die Ansicht vertreten, dass eine solche Zusammenarbeit nicht unbedingt einen EU-Beitritt erfordere.[86] Es wurde befürchtet, dass Österreich seine im europäischen Vergleich hohen umweltpolitischen Standards im Rahmen der EU nicht würde halten können.[87]

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Ein besonders heikles umweltschutzrechtliches Problem für Österreich war und ist der Transitverkehr in den Alpen.[88] Durch die Verwirklichung des Binnenmarktes sowie die angestrebte Liberalisierung der Verkehrsmärkte im Rahmen der EG wurden weitere Erhöhungen des Verkehrs- und insbesondere des Transitaufkommens befürchtet.[89] Dementsprechend sprach man sich dafür aus, möglichst das gesamte Transitregime, wie es sich aus dem Transitabkommen, das im Rahmen der Teilnahme am EWR abgeschlossen worden war, ergab, beizubehalten[90] oder zumindest die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es trotz langfristig steigendem Güterverkehr zu einem verminderten Güterverkehrsaufkommen auf der Straße kommt[91].

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Daneben war die Kernenergiedebatte ein Thema. Es wurde ein Widerspruch zwischen der Mitgliedschaft in der EAG und dem gesetzlichen Verbot der Energiegewinnung durch Kernspaltung[92] mit der Konsequenz befürchtet, dass das österreichische Gesetz letztlich aufgehoben werden müsste.[93]

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In Bezug auf die verbraucherschutzrechtlichen Normen hatten die Österreicher ähnliche Befürchtungen. Man sah die hohen Standards durch die aus der EU-Mitgliedschaft notwendigerweise resultierenden Anpassungszwänge gefährdet. Entsprechende Einbußen wurden vor allem bei der Produktqualität befürchtet. Auf der anderen Seite wurden die aus einer EU-Mitgliedschaft zu erwartende Erhöhung der angebotenen Waren- und Dienstleistungspalette und daraus resultierende niedrigere Preise positiv bewertet.[94]

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Die Landwirtschaft stellte einen jener Bereiche dar, in denen zweifellos die größten Probleme erwartet wurden.[95] Dennoch wurden auch hier sowohl positive als auch negative Aspekte diskutiert. Dem größeren Absatzmarkt für die Bauern und den EU-Agrarmarktordnungen stand man grundsätzlich positiv gegenüber.[96] Auf der anderen Seite befürchtete man aber gerade aufgrund des vergrößerten Marktes, dass die Agrarpreise an das niedrigere EU-Niveau angepasst werden müssen,[97] woraus ein verstärkter Konkurrenz- und Einkommensdruck für die Landwirte resultieren könnte.[98] Die Probleme schienen zudem durch die besondere Struktur der österreichischen Landwirtschaft verschärft.[99] Diese ist in hohem Maße von bäuerlichen Familienbetrieben von geringerer Größe geprägt bzw. durch besondere geographische und klimatische Bedingungen[100] – etwa Bergbauernbetriebe – gekennzeichnet. Vom Übergang der Regelungskompetenz auf die EU befürchtete man einen Anpassungsdruck, da auf die österreichische landwirtschaftliche Situation naturgemäß weniger Rücksicht genommen werden könnte.[101]

3. Die dogmatischen Grundlagen

a) Art. 9 Abs. 2 B-VG als Grundlage für die Übertragung von (einzelnen) Hoheitsrechten

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Gemäß Art. 9 Abs. 2 B-VG können durch Gesetz oder durch einen Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe übertragen werden. Diese Bestimmung bildet somit zwar eine Grundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten. Wegen ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs konnte sie in Bezug auf den EU-Beitritt aber nicht zur Anwendung gelangen.[102] Sie ist nicht nur auf die Übertragung von Hoheitsrechten „des Bundes“ beschränkt, sondern gestattet diesbezüglich auch nur die Übertragung „einzelner“ Rechte.[103] Eine Übertragung „umfassender Hoheitsbefugnisse“ ist ausgeschlossen.[104] Die Kompetenzen des Bundes, die an die EU abgegeben werden mussten, erschienen deshalb zu umfangreich, als dass man noch von „einzelnen“ Zuständigkeiten hätte sprechen können.[105] Im Übrigen wurden auch Zuständigkeiten der Länder übertragen, so dass Art. 9 Abs. 2 B-VG bereits deswegen unanwendbar war.[106] Die Öffnung der Rechtsordnung für das EU-Recht musste daher durch eine Modifikation der für die Inkorporation von Völkerrecht ins staatliche Recht bestehenden Regelungen erfolgen.[107]

b) Die spezielle verfassungsrechtliche Grundlage des Beitritts-Bundesverfassungsgesetzes

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Verfassungsrechtliche Grundlage für die EU-Mitgliedschaft ist das so genannte EU-Beitritts-BVG.[108] Es hat die verfassungsgesetzlich zuständigen Organe zum Abschluss des Beitrittsvertrages und damit zur Gesamtänderung der Bundesverfassung ermächtigt (Art. I).[109] In Art. II des BVG wurde – abweichend von den allgemeinen Vorgaben für Staatsverträge des Art. 50 B-VG – eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Genehmigung des Beitrittsvertrages geschaffen.[110] Die Zustimmungs-, Anwesenheits- und Mehrheitserfordernisse dieses Genehmigungsverfahrens entsprechen im Wesentlichen den verfassungsrechtlichen Vorgaben für verfassungsändernde Staatsverträge, mit denen in die Zuständigkeit der Länder eingegriffen wird.

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Die gesamtändernden Teile des europäischen Rechtsbestandes sind dem Text des BVG allerdings nicht zu entnehmen. Nach den Verfahrensvorgaben des Art. II EU-Beitritts-BVG konnte davon abgesehen werden, diese Teile des Beitrittsvertrages ausdrücklich als „verfassungsändernd“ zu bezeichnen.[111] In den Erläuterungen wurde dies damit begründet, dass eine genaue Festlegung dieser Elemente des EU-Rechtsbestandes „kaum möglich“ war.[112] Das BVG verweist auf den Beitrittsvertrag und dieser wiederum auf die Gründungsverträge der EU.[113] In der Literatur wurde kritisch von einer „labyrinthartige[n] Verweisungstechnik“ gesprochen,[114] wobei aber zugestanden wurde, dass diese Ungenauigkeit wohl „unvermeidlich“ war. Schließlich seien die Elemente der Gesamtänderung über den gesamten gemeinschaftlichen Rechtsbestand verstreut, und der Gesamtänderungstatbestand selbst erschien auch zu unscharf, als dass ein Versuch einer genaueren Bezeichnung sinnvoll gewesen wäre.[115] Anhaltspunkte für eine detailliertere Festlegung jener Elemente des Beitrittsvertrages, die die Gesamtänderung bewirkt haben, lassen sich daher allein den Materialien zum EU-Beitritts-BVG entnehmen.[116]

c) Konsequenzen für Integrationsschranken?

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Auf die explizite Festlegung so genannter „Integrationsschranken“ im EU-Beitritts-BVG durch die genaue Aufzählung und inhaltliche Darstellung integrationsfester verfassungsrechtlicher Grundprinzipien wurde somit offensichtlich verzichtet.[117] Die österreichische Bundesverfassung enthält demnach keine explizite Struktursicherungsklausel. Die mögliche Einführung einer solchen Bestimmung bildete zwar einen – strittigen – Punkt in der Diskussion im Vorfeld des EU-Beitritts-BVG.[118] Aus politischen Gründen hat man letztlich jedoch davon abgesehen.[119]

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Österreich hat seine Rechtsordnung im Interesse einer reibungslosen Mitwirkung in der EU daher in verhältnismäßig weit reichendem Maß geöffnet.[120] In Bezug auf das Primär- bzw. Sekundärrecht, das mit der Volksabstimmung beim EU-Beitritt legitimiert wurde, bestehen keinerlei verfassungsrechtliche Grenzen.[121] Aus den Materialien zum EU-Beitritts-BVG ergibt sich allerdings, dass die Grundprinzipien der Bundesverfassung den Maßstab einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung künftiger Änderungen des Primärrechts bilden sollen.[122]

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Eine Änderung der durch den Beitritt modifizierten Grundprinzipien bedarf des besonderen Verfahrens einer Volksabstimmung.[123] Diese dient zwar in erster Linie dem Zweck der Bewahrung der nationalstaatlichen Identität.[124] Sie kann jedoch mittelbar auch als Instrument für eine Verhinderung weiterer Integrationsfortschritte auf europäischer Ebene dienen.[125]

4. Konfliktlinien hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft

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Durch die mit der EU-Mitgliedschaft zusammenhängenden Pflichten entstehen Konfliktlinien im Verhältnis zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Den daraus resultierenden Anpassungsanforderungen wurde mit Änderungen des Verfassungsrechts begegnet.[126] Hierbei ist insbesondere auf das so genannte Beitritts-Begleit-BVG[127] zu verweisen, dessen Vorgaben vor allem die Konfliktlinien im Hinblick auf Neutralität, Demokratie und Bundesstaatlichkeit entschärfen sollen.