Loe raamatut: «Martin Luther und Ignatius von Loyola»
Christiane Brendel / Adelheid Wenzelmann
Martin Luther und Ignatius von Loyola
Entdeckung einer spirituellen Verwandtschaft
Ignatianische Impulse
Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ
Band 74
Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.
Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.
Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.
Christiane Brendel
Adelheid Wenzelmann
Martin Luther und Ignatius von Loyola
Entdeckung einer spirituellen Verwandtschaft
echter
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© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter.de Umschlag: Peter Hellmund ISBN 978-3-429-04330-8 (Print) 978-3-429-04897-6 (PDF) 978-3-429-06317-7 (ePub)
eBook-Herstellung und Auslieferung:
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Inhalt
Annäherungen
Sr. Adelheid Wenzelmann
Christiane Brendel
Vorwort
Zwei Biografien
Beten und Meditieren
Zwei Männer des Gebets
Beten lernen
Geistliche Begleitung
Meditation der Heiligen Schrift
Das Vaterunser
Die Psalmen
Fundament und Ziel
Schöpfer und Geschöpf
Frei werden
Danken und loben
Umkehr und Versöhnung
Gewissen
Sünde und Selbsterkenntnis
Gespräch mit dem Gekreuzigten
Beichte
Jesus Christus und Nachfolge
Gott wird Mensch
Nachfolgen
Eins-Sein mit Gott und Christus
Wille Gottes und Gehorsam
Trost und Heiliger Geist
Trostlosigkeit und Anfechtung
Selbstlosigkeit und Demut
Kreuz und Auferstehung
Kreuz Christi und Leiden der Christen
Sterben und Tod
Auferstehung und ewiges Leben
Leben in der Kirche
Kirche
Gemeinschaft der Heiligen
Eucharistie – Abendmahl
Maria
Glauben im Alltag
Arbeit und Segen
Muße und Gelassenheit
Glaube und gute Werke
Krankheit und Gesundheit
Nächstenliebe und Barmherzigkeit
Schöpfung und Lebensfreude
Singen und Musik
Nachwort
Dank
Textnachweise
Literatur in Auswahl
Anmerkungen
Annäherungen
Auf den Spuren des Ignatius in Rom
Januar 2010. Freisemester in Rom. Ich besuche die Jesuitenkirche Il Gesu. Es ist halb sechs Uhr abends. Über einen Lautsprecher ertönt Chormusik. Scheinwerfer beleuchten den großen Altar über dem Grab des Ignatius. Die schöne barocke Kirche erstrahlt in hellem Licht. Texte von Ignatius werden in italienischer Sprache gelesen. Zum Schluss zieht man eine Leinwand mit dem Bild des Ignatius nach unten und seine Gestalt wird als silberne Statue sichtbar. Übersät mit einer Fülle von Edelsteinen, hoch aufgerichtet, den Blick zum Himmel.
Ich trete näher heran und schaue mir die marmornen Gestalten im unteren Teil des Altares an. Zwei allegorische Frauengestalten mit einer Fackel und einem Kreuz in der Hand stürzen elende Gestalten mit verzerrtem Gesicht zu Boden. Kleine Engel helfen dabei. Neben den zu Boden geworfenen Gestalten liegen Bücher. Ein Engel reißt eifrig Seiten aus einem Buch, auf dessen Rücken ich bei der hellen Ausleuchtung den Namen Martin Luther entziffern kann. Auf dem Buchrücken zweier anderer Bücher kann ich Johannes Calvin und Huldreich Zwingli erkennen. Die Bücher der Reformatoren sollen vernichtet werden: Ignatius, der triumphale Kämpfer für den rechten Glauben. Auf der Postkarte zu dem Altar steht: »Der Glaube schlägt die Ketzerei nieder«.
Ich spüre an diesem Grabmal die Wucht des Kampfes zwischen Reformation und Gegenreformation. Was hat man auf beiden Seiten einander angetan, hat sich bekämpft, verteufelt und im Namen Gottes sogar getötet. Heute würde niemand mehr solche Werke in Auftrag geben. Welche Entwicklungen haben wir inzwischen durchgemacht! Mich erfüllt eine große Dankbarkeit für die andere ökumenische Situation, in der wir heute leben.
Als ich meinem geistlichen Begleiter, einem Jesuiten, betroffen von der Entdeckung des Grabmals erzähle, schreibt er mir: »Die Zerstörung der Lutherbücher am Ignatius-Altar … ist für mich immer ein Grund für Nachdenklichkeit, Scham und das Knüpfen aufrechter Beziehungen, die helfen, die Spaltung zu überwinden. Wegmeißeln wird man das am Marmor wohl nicht, aber es gibt ja Gott sei Dank andere Weisen der Revision, z.B. die Art, wie der Orden … sich heute um Ökumene bemüht.«
Eine eindrückliche Weise der Revision erleben wir als Communität in der Zusammenarbeit mit Jesuiten im Kloster Wülfinghausen, südlich von Hannover. Ausgebildet in katholischen Kursen für Exerzitienbegleitung und geistliche Begleitung,1 war die Wiederbelebung dieses alten Augustinerinnenklosters der Klosterkammer Hannover von Anfang an von ökumenischer Weite geprägt.
Inzwischen werden in unserer evangelischen Kirche Exerzitien im Alltag in vielen Gemeinden angeboten – oft ökumenisch verantwortet. Einzelexerzitien gehören zum Kursprogramm etlicher Einkehrhäuser unserer Kirche, besonders im Umfeld der evangelischen Communitäten. In einigen Landeskirchen werden seit einigen Jahren Ausbildungskurse für geistliche Begleitung angeboten.
Noch in meiner Jugend wurden Jesuiten und »Gegenreformation« in einem Atemzug genannt; die Jesuiten – der antiprotestantische Orden im Dienst des Papstes.
Durch die Wiederentdeckung der geistlichen Begleitung aus der ignatianischen Spiritualität hat ein fruchtbarer ökumenischer Austausch begonnen. Es ist ein Netz geistlicher Freundschaft zwischen evangelischen und katholischen Christen entstanden. Neue Räume geschwisterlicher Zusammenarbeit haben sich eröffnet, die für die Kirchen fruchtbar werden.
Sr. Adelheid Wenzelmann
Eine lutherische Pfarrerin begegnet den ignatianischen Exerzitien in einer evangelischen Communität
Im Sommer 2007 begann ich die berufsbegleitende Fortbildung »Geistliche Begleitung« im Kloster Wülfinghausen. Sie lockte mich, weil ich meine seelsorgerliche Arbeit in der Gemeinde ausbauen und vertiefen wollte.
Von Anfang an war in diesem Kurs und an diesem Ort nahezu alles ökumenisch: katholische und evangelische Referentinnen und Supervisoren, die Stundengebete der Communität, die sich liturgisch aus beiden Traditionen speisen, sowie eine theologisch gebildete und menschliche Weite, die mich von Anfang an faszinierte.
In Vorträgen, Diskussionen und Übungen haben wir im Laufe von zwei Jahren Traditionen geistlicher Begleitung bei unseren Müttern und Vätern im Glauben aufgespürt und von ihnen wertvolle Anregungen für unsere eigene pastorale und seelsorgerliche Arbeit bekommen.
Das Herzstück der Fortbildung: die neuntägigen Exerzitien in der Mitte der Kurszeit. Kompetent angeleitet und liebevoll begleitet von den Schwestern und Kursleitern, machten wir uns auf die Reise in die Stille. Hörendes Verweilen vor Gott, betendes Betrachten biblischer Texte und gemeinsame abendliche Feiern des Abendmahls. Dabei habe ich noch einmal neu das Staunen gelernt.
Im Mitleben des klösterlichen Rhythmus’ von »ora et labora«, bei der Arbeit im Klostergarten genauso wie im Mitfeiern der Stundengebete, spürte ich den Segen der Unterbrechung.
Und ich bin reicher geworden um die kostbare Erfahrung, selbst begleitet zu werden im Zurückschauen auf gegangene Lebens- und Glaubenswege ebenso wie auf den gegenwärtigen Spuren meiner Sehnsucht.
Viel habe ich in dieser Zeit und im Fortgang des Kurses über ignatianische Spiritualität und ihre heutige Vermittlung erfahren. Zugleich ist mir klar geworden, wie sehr Martin Luther – nicht zuletzt durch seine monastische Prägung – selbst ein leidenschaftlicher Beter und Gebetslehrer war. Was er uns an spirituellen Schätzen hinterlassen hat, lohnt sich jenseits konfessioneller Dogmatik wieder neu zu entdecken.
Manchmal frage ich mich, was geschehen wäre, wenn Luther und Ignatius einander zu Lebzeiten begegnet wären. Welcher Dialog wäre wohl zwischen ihnen entstanden? Bei ihrem Temperament hätten die beiden über manche Themen gewiss streiten können. Aber vermutlich hätten sie auch festgestellt, dass es im Blick auf ihr geistliches Leben und auch auf ihr seelsorgliches Anliegen viele Berührungspunkte gab.
Über diese Berührungspunkte können die beiden in diesem Buch miteinander in ein »fiktives Gespräch« kommen.
Christiane Brendel
Vorwort
Die Motivation für dieses Buch ist die ökumenische Erfahrung der letzten Jahrzehnte. Anlass für dieses Buch zu Ignatius von Loyola und Martin Luther ist das Reformationsjubiläum 2017, das dazu einlädt, sich mit Luther und seiner Botschaft neu zu befassen.
Von der Erfahrung der Exerzitien und den Gebetsanregungen des Ignatius her gewinnen wir einen neuen Blick auf vergessene Schätze der Praxis Pietatis bei Luther. Zeit seines Lebens hat er – in der Tradition der Augustinereremiten ausgebildet – das Beten geübt. Im betenden Umgang mit der Heiligen Schrift ist ihm die Erfahrung der Rechtfertigung »allein aus Gnade« geschenkt worden.
In diesem Buch unternehmen wir den Versuch, vor allem Themen aus dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola in Beziehung zu setzen zu Aussagen und Erfahrungen Martin Luthers. Es ging uns darum, »Fundstücke« zusammenzutragen, die das eigene geistliche Leben inspirieren können. Dabei orientierten wir uns an dem, was beide Gebetslehrer verbindet und wo sich ihre Auffassungen berühren.
Es ist uns bewusst, dass Ignatius und Luther hinsichtlich der Bedeutung von Bibel, Tradition, Autorität, Amt, Kirche und Sakramente zu unterschiedlichen Bewertungen gelangt sind. Ignatius war ein Praktiker, der die Lehre der katholischen Kirche nie grundsätzlich infrage stellte. Luther war gezwungen, seine neue Lehre im Disput zu verteidigen. Dies führte, auch im Verlauf der weiteren Kirchengeschichte, zu konfessionellen Zuspitzungen und Verhärtungen. Sie wurden und werden wissenschaftlich erforscht, beschrieben und diskutiert, sind aber nicht Gegenstand dieses Buches.
Luther hielt als Professor Vorlesungen, verfasste Bücher und Schriften, schrieb Briefe und predigte regelmäßig in der Stadtkirche in Wittenberg. Die Weimarer Ausgabe seiner Schriften umfasst mehr als 120 Bände.
Ignatius schrieb das Exerzitienbuch, diktierte in den letzten Jahren auf Bitten seiner Brüder seine Autobiographie, den sogenannten »Pilgerbericht«, erarbeitete die Satzungen des Ordens und schrieb Tausende von Briefen.
Dieses Buch will anregen, die Worte und Gedanken der beiden Gebetslehrer in den Alltag mitzunehmen. Beide wollten den Menschen helfen, ins Gespräch mit Gott zu finden und ein selbstständiges geistliches Leben zu führen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit den gesammelten Zitaten umzugehen:
Ich kann mir für einen Tag oder für mehrere Tage einen Ignatius- oder einen Luthertext auswählen, der mich besonders anspricht. Was löst das Zitat in mir aus? Wie kommt das angesprochene Thema in meinem Leben vor? Wie habe ich es erlebt, und wie würde ich es ausdrücken? Meine Erfahrungen und Eindrücke lassen sich auch in einem »geistlichen Tagebuch« festhalten. Ich kann mich darüber mit einem Freund oder einer Freundin austauschen und sie in meine geistliche Begleitung einbringen. Oder in einen Gesprächskreis, am besten in ökumenischer Zusammensetzung. Im gemeinsamen Gespräch werden die konzentrierten Zitate noch einmal flüssig und können sich mit Erfahrungen verbinden oder neue Erfahrungen auslösen.
Bei der Reihenfolge der Themen haben wir uns in etwa an den Aufbau des Exerzitienbuches angelehnt. Einige Hinweise zum Beten, die auch über das Exerzitienbuch verteilt sind, wurden an den Anfang genommen. Die Texte bauen inhaltlich nicht unmittelbar aufeinander auf, sodass es möglich ist, nach Lust und Neigung an einer Stelle aufzuschlagen: lesen, betrachten, meditieren, über manches staunen und sich an anderem reiben.
Wir würden uns freuen, wenn dieses Buch neben einem »Lesebuch« auch ein »Lebebuch« werden könnte.
Sr. Adelheid Wenzelmann und Christiane Brendel
Zwei Biografien
Martin Luther und Ignatius von Loyola lebten in einer Zeit, in der die gesellschaftliche und religiöse Einheit des christlichen Mittelalters zerbrach. Es begann ein intensives Fragen nach dem Glauben des Einzelnen. Luther beginnt seine Auslegung des ersten Glaubensartikels: Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat … Ignatius ist bei den Exerzitien vor allem wichtig, dass er selber, der Schöpfer und Herr sich seiner ihm hingegebenen Seele mitteile.1 Eine Tendenz zum Individuellen hatte sich schon in der Bewegung der »Devotio moderna« gezeigt, von der beide Persönlichkeiten beeinflusst waren.2
Luther und Ignatius sind sich weder begegnet noch kannten sie die Schriften voneinander. Ignatius hat von Luther und von der von ihm ausgehenden Reformation gehört. Jesuiten der ersten Generation und Lutheraner trafen sich bei Religionsgesprächen.
Später wurden Martin Luther und Ignatius von Loyola zu Exponenten der jeweiligen Konfession stilisiert: Symbole von Reformation und Gegenreformation.
Viele geistliche Anliegen waren ihnen jedoch gemeinsam: Beide Persönlichkeiten waren leidenschaftliche Beter mit mystischen Erfahrungen. Sie erlebten nach einem langwierigen schmerzlichen Suchprozess eine starke Erfahrung der Gnade. Beide wurden verfolgt. Wichtig war ihnen die Reform der Kirche sowie die Erneuerung und gute Ausbildung der Pfarrer. Große Seelsorger waren sie, was besonders in ihren Briefen zum Ausdruck kommt. Im Mittelpunkt stand bei beiden ein persönlicher Glaube, erwachsen aus der Liebe zu Christus und zur Heiligen Schrift.
Martin Luther
Martin Luther wurde am 10. November 1483 als Sohn eines Bergbauunternehmers geboren. Nach dem Besuch der Schule in Magdeburg und der Lateinschule in Eisenach begann er 1501 das Grundstudium der sogenannten »Freien Künste« in Erfurt, um sich dann dem Jurastudium zu widmen.
Am 2. Juli 1505 geriet der 21jährige bei Stotternheim in der Nähe von Erfurt in ein heftiges Gewitter. In Todesangst gelobte er, Mönch zu werden, wenn er am Leben bliebe. Gegen den Willen seines Vaters trat er in das Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. Dieser Schritt hatte ihn wohl länger beschäftigt. Er war wie viele Menschen seiner Zeit umgetrieben von der Frage: Wie kann der sündige Mensch vor den strengen Forderungen Gottes bestehen? Die angefochtenen Christen suchten viele gute Werke anzuhäufen oder Ablässe zu erwerben, um von Sündenstrafen frei zu werden.
1531 formulierte Luther das rückblickend so: Ich wurde von Kindheit auf so gewöhnt, daß ich erblassen und erschrecken musste, wenn ich den Namen Christi auch nur nennen hörte: denn ich war nicht anders unterrichtet, als daß ich ihn für einen strengen und zornigen Richter hielt.3
Luther führte ein strenges Mönchsleben im Geist spätmittelalterlicher Frömmigkeit. Diese war geprägt durch die Erfahrung des allgegenwärtigen Todes, die Erwartung des nahen Weltenendes und die Furcht vor dem kommenden Richter Christus. Das Klosterleben galt damals als der bessere Weg zur Erlangung des Heils. Doch was Luther suchte, fand er nicht. Er geriet in einen Teufelskreis von Selbstüberforderung und immer größerer Ungewissheit und begann – wie er selbst sagte – Gott zu hassen: Ich war sehr fromm im Mönchtum, und war doch traurig, weil ich dachte, Gott wäre mir nicht gnädig.4
Als Bruder Martin wurde er 1506 zu den Gelübden zugelassen, 1507 zum Priester geweiht. 1512 erwarb er seinen Doktortitel in Wittenberg, wo er bis zu seinem Tod als Theologieprofessor wirkte.
Durch den Einfluss der deutschen Mystik und nicht zuletzt durch seinen Ordensoberen, den begnadeten Seelsorger Johannes von Staupitz, bahnte sich die reformatorische Erkenntnis an: Martin Luther begriff, dass das Heil des Menschen sich nicht auf dessen Werke oder auf fromme Leistung gründet, sondern Gottes Gerechtigkeit vielmehr eine schenkende, befreiende ist. Von dieser Entdeckung sagte er Jahre später:
Da erbarmte sich Gott meiner. Da fühlte ich mich ganz und gar neu geboren, und durch offene Türen trat ich in das Paradies selbst ein.5 Luther erkannte, dass der Mensch in Jesus Christus alles von Gott empfängt. Das verwandelte sein Leben.
Die Erfahrung der Gnade brachte eine neue Dynamik in Luthers Theologie, in die Auseinandersetzungen mit der Kirche und in sein persönliches Leben.
Er veröffentlichte am 31. Oktober 1517 in Wittenberg 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses. In den nächsten Jahren folgten zahlreiche Schriften in deutscher Sprache zu Fragen des kirchlichen Lebens. Und er forderte eine Reform der Kirche. Am 3. Januar 1521 wurde Luther exkommuniziert. Beim Reichstag zu Worms im April 1521 verweigerte er den Widerruf seiner Lehre mit den Worten: Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Heiligen Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde, … so bin ich überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Gott helfe mir, Amen!6 Darauf verhängte der Kaiser die Reichsacht über ihn und erklärte ihn für vogelfrei. Auf ihn wartete jetzt wie auf alle Ketzer der Scheiterhaufen.
Luthers Landesherr Friedrich der Weise schützte jedoch seinen Theologieprofessor, indem er ihn einige Monate auf der Wartburg bei Eisenach als Junker Jörg versteckte. Dort übersetzte Luther das Neue Testament ins Deutsche.
1521 kehrte er nach Wittenberg zurück. Am 13. Juni 1525 heiratete Martin Luther die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Dem Ehepaar wurden sechs Kinder geboren. Die Familie lebte mit den Verwandten, den Angestellten und den Studenten im ehemaligen Kloster in Wittenberg.
Martin Luther wollte keine neue Kirche gründen, auch keine »lutherische«, sondern dabei helfen, die Christenheit zu ihrem Ursprung zurückzuführen. Wiederholt fleht er seine Anhänger an, man solle über meinen Namen schweigen und sich nicht lutherisch, sondern Christen heißen. Was ist Luther? Ist doch die Lehre nicht mein … Wie käme denn ich armer stinkender Madensack dazu, daß man die Kinder Christi mit meinem heillosen Namen nennen sollte? … Ich bin und will keines Meister sein. Ich habe mit der Gemeinde die einzige Lehre Christi gemeinsam, der allein unser Meister ist.7
Trotz vieler gesundheitlicher Beeinträchtigungen arbeitete Luther unermüdlich an der theologischen und kirchlichen Gestaltung der Reform aus Gottes Wort heraus.
1546 reiste Martin Luther in seine Geburtsstadt Eisleben, um Erbstreitigkeiten der Mansfelder Grafen zu schlichten. Zwei Tage vor seinem Tod kündigte er – nun frei von der Angst vor dem Tod und der Hölle – mit seinem derben Humor an, er wolle sich in den Sarg legen und den Maden einen feisten Doktor zu essen geben.8
Er starb dort am 18. Februar mit 62 Jahren und wurde drei Tage später in der Schlosskirche in Wittenberg beerdigt. Auf seinem Schreibtisch fand man einen Zettel mit den Worten: Wir sind Bettler, das ist wahr.9
Ignatius von Loyola
Ignatius von Loyola wurde 1491 als 13. Kind auf Schloss Loyola im spanischen Baskenland geboren. Die Familie von Loyola war ein altes Rittergeschlecht, stolz und kriegerisch. Meist standen die Loyolas im Dienste der Könige von Kastilien.
Die Mutter des Ignatius starb kurz nach der Geburt ihres jüngsten Kindes. Ignatius wurde einer Amme übergeben. Im Alter von 13–17 Jahren war er Page an dem Hof eines gebildeten Diplomaten, wo er das Schreiben lernte, auch Einblicke in Verwaltung und Rechtswesen bekam. Ignatius war ein lebenslustiger, ein aggressivkämpferischer und waffengeübter Mann. Auf Kleidung legte er großen Wert. Erotische Abenteuer gehörten zum Alltag der Höflinge. Ignatius selbst beginnt seine Autobiografie, den Pilgerbericht, so: Bis zum Alter von 26 Jahren war er ein den Eitelkeiten der Welt ergebener Mensch und vergnügte sich hauptsächlich an Waffenübungen, mit einem großen und eitlen Verlangen, Ehre zu gewinnen.10
Im Mai 1521, mit 30 Jahren, nahm Ignatius an einem Kriegszug gegen ein großes französisches Heer teil im Kampf um die Stadt Pamplona. Durch eine Kanonenkugel wurde sein Bein schwer verletzt. Seine ritterliche Karriere war dahin.
Ignatius wurde im Haus seines Bruders in Loyola gepflegt. Monatelang blieb er an das Bett gebunden. Die Erfahrungen dieser Zeit brachten eine Wende in seinem Leben. Da sich im Hause keine Ritterromane befanden, brachte man ihm die Legenda aurea, eine Sammlung von Heiligenlegenden des Jacobus de Voragine, und die vier Bücher der Vita Christi des Kartäusers Ludolph von Sachsen.
Träume über eine weltliche Karriere ließen ihn leer zurück mit einem faden Geschmack. Wenn er dagegen das Leben der Heiligen las, erfüllte ihn ein tiefer Trost und Frieden. Dieser Unterschied bestimmte sein Denken, und es entstanden die ersten Aufzeichnungen zu den späteren »Geistlichen Übungen«.
Er begann nun ein Leben als Pilger und legte im Benediktinerkloster Montserrat eine Lebensbeichte ab. Dort hinterließ er sein Ritterschwert und damit seine militärische Vergangenheit und verschenkte seine vornehme Kleidung. In einem Sackgewand führte er nun das Leben eines Büßers.
Zehn Monate blieb er 1523 in dem nahegelegenen Manresa, betete täglich sieben Stunden, fastete und ließ sich verwahrlosen als Kampf gegen seine Eitelkeit. Dort durchlebte er eine Zeit schwerer Anfechtungen, Einsamkeit, Taubheit der Seele, mit verzweifelter depressiver Grundstimmung und mit Selbstmordgedanken. Dann die große Veränderung, die er im Pilgerbericht beschreibt: Er hielt es für gewiß, daß Gott unser Herr ihn um seiner Barmherzigkeit willen hatte befreien wollen.11
Diese Erfahrung löste bei Ignatius eine Suchbewegung aus, wie er Gott am besten dienen könne. Er unternahm 1523 eine Pilgerreise ins Heilige Land, durfte aber nicht dort bleiben. So entschloss er sich zu studieren, um den Seelen helfen zu können. Er begann mit 33 Jahren ein Theologiestudium, um Priester in Spanien zu werden. Weil er nebenher andere geistlich unterwies, wurde er insgesamt acht Mal von der Inquisition verhaftet und ins Gefängnis gebracht, jedoch immer wieder freigesprochen. Zeitweise wurde er verdächtigt, zu den Lutheranern zu gehören.
Seine Studien setzte er in Paris fort, sammelte dort Freunde um sich, denen er Exerzitien gab. Sie wurden Freunde im Herrn, wie das einer seiner Gefährten später nannte, und fühlten sich zum gemeinsamen Dienst an den Menschen gerufen. Am 15. August 1534 (Ignatius war 43 Jahre alt) feierten er und sechs Gefährten eine Messe in einer kleinen Kapelle auf dem MontmartreHügel. Sie gelobten Armut, Keuschheit und Gehorsam und wollten miteinander nach Jerusalem fahren. Falls das nicht möglich sein sollte, wollten sie sich in Rom dem Papst zur Verfügung stellen, in der Überzeugung, dass dieser am besten wisse, wo er sie brauchen könne.
Nachdem die Reise ins Heilige Land nicht möglich war, gingen 1538 alle Gefährten nach Rom. Noch vor der Stadt hatte Ignatius eine Vision, die ihm seine Pläne bestätigte: Er weiß sich dem kreuztragenden Jesus zugesellt. Juan de Polanco, der langjährige Sekretär des Ignatius, berichtet, dass der Name »Gesellschaft Jesu« von den ersten Gefährten schon angenommen wurde, bevor sie nach Rom kamen, weil sie untereinander kein Haupt hatten und keinen anderen Oberen als Jesus Christus, dem allein sie zu dienen wünschten.12
Am 27. September 1540 bestätigte der Papst einen Vorentwurf der Satzungen, den die ersten Gefährten erarbeitet hatten – das Gründungsdatum des Jesuitenordens.
Von Rom aus leitete Ignatius 16 Jahre seinen Orden. Er wuchs zu seinen Lebzeiten auf 1000 Jesuiten an, die in 12 Ordensprovinzen auf vier Kontinenten wirkten.
In den ersten Monaten des Jahres 1556 ging es Ignatius gesundheitlich zunehmend schlechter. Am Morgen des 31. Juli 1556 starb er allein im Alter von 65 Jahren. Der Krankenpfleger im Nebenzimmer hörte immer wieder: Ay Dios! Ay Dios! Ach Gott. Ach Gott! Sein Sekretär Polanco schreibt, Ignatius habe den Tod nicht gefürchtet, ihn vielmehr herbeigesehnt, »um in der himmlischen Heimat seinen Schöpfer und Herrn zu schauen und zu preisen«13.