Loe raamatut: «Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück)»

Font:

Adolph Freiherr von Knigge

Über den Umgang mit Menschen

Impressum

ISBN 978-3-940621-23-8

Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1878 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags.

Digitalisierung: Vergangenheitsverlag. Bearbeitung: Dr. Alexander Schug

Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind.

Orthografie und Zeichensetzung sind behutsam an den heutigen Gebrauch angepasst worden.

© Vergangenheitsverlag, 2010 – www.vergangenheitsverlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Einleitendes Essay: Knigge – das Original und ein großes Missverständnis

Jeder kennt den Namen Knigge – kaum einer weiß jedoch, was sich genau dahinter verbirgt. Mit 'dem Knigge' verbindet sich im allgemeinen eine Gattungsbezeichnung für alle mögliche Benimm-, Etikette-, Ratgeber- und Lebenshilfe-Literatur. Vom Sex-Knigge bis zum Web-2.0-Knigge gibt es heute alle möglichen und unmöglichen Ratgeber auf dem Büchermarkt. Diese Literatur lebt von dem Bedürfnis vieler Menschen, sich „richtig“ zu benehmen und möglichst nicht durch „falsches“ Verhalten aufzufallen. Meist werden in solcher Ratgeberliteratur Tipps gegeben, wie man isst, wie man Konversation betreibt usw. Die moderne Knigge-Literatur spielt mit den Ängsten vieler Menschen, aus der Rolle zu fallen und sich „daneben zu benehmen“.

Der originale Knigge, 1752 auf dem Gut Bredenbeck bei Hannover geboren, stand erhaben über solchen Kleinigkeiten und wollte etwas ganz anderes als bloß formal gut erzogene Menschen. Das ursprüngliche Werk – sozusagen die Mutter aller Benimmbücher – heißt "Ueber den Umgang mit Menschen", sein Autor in der ersten Auflage von 1788 noch Adolph Freiherr von Knigge. Bis zu seinem Tod im Jahr 1796 hat er fünf Auflagen erlebt und im Zuge der Französischen Revolution das 'von' vor seinem Namen gestrichen. „Über den Umgang mit Menschen“ besteht aus drei Teilen, die ihrerseits in 26 Kapitel unterteilt sind, die jeweils mit einer gesonderten Einleitung beginnen. Die drei Kapitel des ersten Teils können als Einführung betrachtet werden. Es handelt sich um „Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen“, „Über den Umgang mit sich selbst“ sowie „Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmungen des Geistes und Herzens“. Die zwölf Kapitel des zweiten Teils erweitern den Horizont unter anderem auf „Eltern, Kinder und Blutsverwandte“, „Eheleute“, „Verliebte“, „Hauswirte, Nachbarn“, „das Verhältnis zwischen Wirt und Gast“ oder auch „das Verhältnis zwischen Wohltätern und denen, welche Wohltaten empfangen“. Abgeschlossen wird das Werk mit Anmerkungen „über die Art, mit Tieren umzugehn“ sowie „über das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Leser“. Das Buch wurde bis heute millionenfach gelesen und gilt als einer der großen Sachbuchklassiker der Literaturgeschichte. „Über den Umgang mit Menschen“ war schon zu Knigges Lebenszeit ein Erfolg. Als Knigge 1796 starb, wurde dessen Buch wiederholt von Herausgebern umgeschrieben und in neuer Gestalt publiziert. Im Laufe der Zeit wurde es so immer mehr zu einer Anstandsfibel. Der moderne Knigge war geboren – und damit zahlreiche Missverständnisse.

Was passiert ist? Gucken wir genauer hin: Knigge war ein Autor der deutschen Aufklärung des 18. Jahrhunderts und war zu seiner Zeit einer der meist gelesenen Aufklärungs- und Unterhaltungsschriftsteller. Neben "Ueber den Umgang mit Menschen" hat er Romane, Gedichte, Satiren geschrieben, komponiert und musiziert, Theaterstücke verfasst, war als Regisseur wie Schauspieler aktiv, und hat zahlreiche Übersetzungen und Rezensionen zu Papier gebracht.

In der Einleitung zu "Ueber den Umgang mit Menschen" gab Knigge ausdrücklich an, dass er kein "Complimentir-Buch" schreiben wollte. Vielmehr wandte er sich gerade gegen jegliches steife, konventionelle, bloß äußere Regelwerk der Etikette. So riet er zwar, "dass man bey Tische den abgeleckten Löffel, womit man gegessen, nicht wieder vor sich hinlegen" und einen benutzten Zahnstocher nicht weiterreichen soll; "dass, wenn man mit jemand in Einem Bette schlafen muss – (Zitat Knigge: "Ich kenne nichts eckelhafteres und unanständigers, als zu Zwey unter derselben Decke zu liegen") -, man dem anderen möglichst wenig Ungemächlichkeit verursachen dürfe. Aber all das verstand sich für Knigge von selbst und war eine Frage der guten Kinderstube.

Knigge wollte seinen Lesern "Bruchstücke, vielleicht nicht zu verwerfende Materialien, Stoff zu weiterm Nachdenken" liefern. Er riet nicht zu ehernen Verhaltensnormen aus einem festen Moralsystem, sondern beschrieb "Resultate aus den Erfahrungen", gesammelt "unter Menschen aller Arten und Stände". Grundlage der angewandten Menschenkenntnis, die auch als Anleitung zur Selbsthilfe zu verstehen ist, waren vor allem die Erfahrungen, die der Autor in den 1770er Jahren an deutschen Fürstenhöfen sowie in den 1780er Jahren als Cheforganisator des Illuminatenordens gemacht hatte. Knigge präsentierte Probleme und Lösungen für den "Umgange mit Menschen aller Gattung" angesichts der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Denn Deutschland existierte damals nicht, war in zahlreiche Kleinstaaten zerfallen, unterschiedliche Staatsverfassungen, Nationalcharaktere und Stände, in "eine so große Mannigfaltigkeit des Conversationstons, der Erziehungsart, der Religions- und andrer Meinungen" zersplittert.

Angesichts dieser Ausgangslage war Knigges Umgangsbuch als eine pragmatische Anleitung auch unter widrigen Bedingungen gedacht. Unter diesen Bedingungen verstand er auch, dass sich die damaligen feudalen Gesellschaften in einem dramatischen Auflösungsprozess befanden. Das Großereignis der Zeit war die französische Revolution 1789, die nur ein Jahr nach der Erstpublikation von Knigges Hauptwerk alle Regeln des Umgangs zwischen den Menschen, dem Oben und Unten, Aristokraten und einfachen Leuten über den Haufen warf – und langsam aber sicher in den Jahren zuvor heraufgezogen war. Wo sich Gesellschaften derart verändern, ist es nicht verwunderlich, dass man sich neue Gedanken über das Miteinander macht. Im Grunde ist Knigges Buch deshalb eine frühe soziologische Beschreibung der sozialen Regelwerke in einer Zeit des Umbruchs und der sozialen Desintegration.

Dabei ging es Knigge nicht nur um politische Ereignisse, sondern um ein grundlegenderes Phänomen, das Antrieb der Aufklärung des 18. Jahrhunderts war: Die Entdeckung des eigenen Ichs. Wo Menschen nicht mehr ganz so feste Statuszuschreibungen als Handwerker, Bauer, Aristokrat erleben, sind sie zunehmend auf sich selbst geworfen zu entscheiden, wer sie sind und welchen Platz sie in der Gesellschaft haben. Ganz praktisch betrachtet wirft diese Entwicklung auch die Frage auf, wie die Menschen dann noch miteinander kommunizieren.

Aber – und das stand für Knigge fest – der Mensch braucht trotz aller gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen Konventionen für sein Verhalten. Und so entwarf er ein Gebäude von praktischen Höflichkeits- und Anstandsregeln: für die Freundschaft, für die Beziehung zwischen den Geschlechtern, zwischen Angehörigen verschiedener Stände und Generationen. Knigges Lehren propagierten Vernunft – das große Schlagwort seiner Zeit. Erstaunlich modern war seine fast psychologische Perspektive auf das Leben mit sich selbst: „Sei dir selber ein angenehmer Gesellschafter. Mache dir keine Langeweile, das heißt: Sei nie ganz müßig. Lerne dich selbst nicht zu sehr auswendig, sondern sammle aus Büchern und Menschen neue Ideen. Der langweiligste Gesellschafter für sich selber ist man ohne Zweifel dann, wenn man mit seinem Herzen, mit seinem Gewissen in nachteiliger Abrechnung steht.“

Knigge war ein moderner Denker seiner Zeit, ein Revolutionär in Gedanken, der die großen Umwälzungen auf der Ebene persönlichen Verhaltens untersuchte und beispielsweise riet:

Der einzelne habe sich zwar mit den noch geltenden höfischen "Übereinstimmungs-Gesetzen im Umgange" bekannt zu machen, ohne jedoch seine "innere Würde" und die "Eigenthümlichkeit des Characters" zu verleugnen. Von Würde und eigenem Charakter eines jeden Menschen zu sprechen, war für damalige Verhältnisse neu, vielleicht revolutionär. Auf jeden Fall war eine solche Perspektive auf die Menschen ein Angriff auf die feudalen Herrschaftsverhältnisse, in denen Individualität keine Rolle spielte, zumindest nicht für die Untergebenen der Feudalherren.

Knigges Empfehlungen zur "Kunst des Umgangs mit Menschen" lassen sich insgesamt beschreiben als eine Synthese aus aristokratisch-höfischen und bürgerlichen Lebensauffassungen und Umgangsformen, die zwar heftige polemisch-antifeudalistische Tendenzen enthält, aber ein modernes bürgerliches Selbstbewusstsein vorstellt. Knigge als eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertritt als Repräsentant der deutschen Aufklärung dabei auch deren Dialektik: Das Programm der 'relativen Aufklärung' meint bei Knigge weniger Auflehnung im Großen als Resignation im Kleinen: "Die beste Aufklärung des Verstandes ist die, welche uns lehrt, mit unsrer Lage zufrieden und in unsern Verhältnissen brauchbar, nützlich und zweckmäßig tätig zu sein."

Wer so argumentiert, war kein wirklicher Umstürzler der Verhältnisse, vielmehr wird in seiner Argumentation deutlich, dass er ausgleichend und moderierend tätig sein wollte. So argumentierte er in seinem Hauptwerk im Kapitel "Ueber den Umgang mit den Großen der Erde, Fürsten, Vornehmen und Reichen", dass man auf damaliger verfassungsrechtlicher Grundlage bleiben müsse. Er weist seine Leser darauf hin, dass jene, "was sie sind und was sie haben, nur durch Übereinkunft des Volks sind und haben; dass man ihnen diese Vorrechte wieder nehmen kann, wenn sie Missbrauch davon machen; [...] endlich, dass in diesen Zeiten der Aufklärung bald kein Mensch mehr daran glauben wird, dass ein Einziger [...] ein angeerbtes Recht haben könne, hundert tausend weisern und bessern Menschen das Fell über die Ohren zu ziehn".

Knigges „Ueber den Umgang mit Menschen“ ist ein Zeitdokument, das vor allem auch als historische Quelle gelesen werden sollte. Gehen Sie mit Knigge also auf eine Zeit- und Entdeckungsreise ins 18. Jahrhundert, in der die „normalen“ Menschen anfangen, sich selbst als Akteure zu verstehen, die in den vorgefundenen und sich ändernden Verhältnissen sich orientieren, sprich neu „benehmen“ müssen.

Theatervorstellung der Literaturbrauerei: Knigge in einer absurd-komischen Bearbeitung

Literatur plus Theateraufführung bietet diese Sonderedition des „Knigge“. Das in dieser Edition verfügbare Theatererlebnis ist eine Aufzeichnung der Aufführung von „Knigge. Über den Umgang mit Menschen“ mit Reimund Groß (Schauspieler) und Hartwig Nickola (Kontrabass) in der Regie von Annette von Klier. Das Stück adaptiert den klassischen Stoff und nimmt die Rezeptionsgeschichte dieses Klassikers aufs Korn. Jeder kennt heute den „Knigge“. Den Business-Knigge, den Kaffee-Knigge, Chat-Knigge, Sex-Knigge. In dem Theaterstück geht es aber vor allem um eins: Der Knigge ist nicht mehr, was er einmal war. Der verstorbene Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796) ereifert sich, dass Generationen von Herausgebern sein Werk bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben haben. Er wollte einen verantwortungsvollen, von Respekt und Wohlwollen geprägten Umgang der Menschen miteinander. Völlig desinteressiert war er selbst an Ratschlägen, wie man etwa Rot- zu Weißweingläsern auf dem gedeckten Tisch richtig platziert, oder wie man beim One-Night-Stand die Etikette bewahrt. Jetzt kehrt der gepeinigte Geist aus dem Jenseits zurück in die materielle Welt, um festzustellen, dass sich die Menschen seit seiner Zeit um keinen Deut verbessert haben: randalierende Jugendliche in U-Bahnen, hetzende Politiker in Parlamenten, sektenhafte Verfechter selbst auferlegter Benimmregeln. Wenn Knigge nun zurückkehrt, um seine Texte eigenhändig vorzutragen, bekommt er zur sinnlichen Unterstützung seines Vortrages einen Musiker zur Seite gestellt. Knigge selbst war ja zu Lebzeiten ein formidabler Komponist. Jetzt muss er sich auf der Bühne des 21. Jahrhunderts mit einem Kontrabassisten Namens Brenner herumschlagen, der weit weniger am humanistischen Anliegen des Freiherrn interessiert ist, als viel mehr an der in Aussicht gestellten Gage. Und die Musik, die er seinem imposanten Instrumente entlockt, bewirkt mitunter Eigenwilliges bei dem Freiherrn. So dürfen wir denn gespannt sein, wie sich der Umgang dieser beiden Menschen miteinander gestaltet...

Die Literaturbrauerei ist ein mobiles Sprechtheater, das literarische Texte aus vergangenen Zeiten ins Heute überträgt. Annette von Klier (Regie), Reimund Groß (Schauspieler) und Hartwig Nickola (Kontrabass) schicken die Zuschauer mit rezitierten Texten auf eine innere Zeitreise, führen sie in die Welt, die hinter den Worten liegt, und vermitteln ein sinnliches Gefühl für die Schönheit der Sprache. Um diese Texte nicht nur intellektuell sondern auch sinnlich erlebbar zumachen, legt „Die Literaturbrauerei“ ihr Hauptaugenmerk auf die inneren Vorgänge in den Texten und arbeitet gern mit Musikern zusammen. Die literarische Sprache bleibt die des Autors, die auf einem neu gewebten musikalischen Klangteppich serviert wird. So entstehen atmosphärisch sehr dichte und intensive Vorstellungen, die die Zuschauer auf eine innere Zeitreise in die Welt hinter den Worten mitnehmen und ihnen ein Gefühl für die Schönheit der Sprache vermitteln. Im Mittelpunkt der Aufführungen stehen immer die Texte. Deren Auswahl, dramaturgische Bearbeitung und Vortrag übernimmt Reimund Groß, Regie und Produktion liegen in den Händen von Annette von Klier. Entscheiden wir uns für einen Text, so beschäftigen wir uns intensiv mit Autor und Zeitumständen, verzichten aber bewusst auf jedes theoretische Konzept, sondern verlassen uns in der Arbeit auf unser Gefühl. Darsteller, Musiker und Regisseurin finden so in einem gemeinsamen Prozess die jeweilige Form des Abends. So lassen wir uns vom Verlauf der gemeinsamen Arbeit zum Ergebnis führen und können mit Fug und Recht behaupten: Der Abend hat so werden wollen.

Mehr Informationen zur Literaturbrauerei finden Sie hier: www.die-literaturbrauerei.de

Alexander Schug

Theatervorstellung der Literaturbrauerei: Knigge in einer absurd-komischen Bearbeitung (Länge: ca. 10 Minuten)

Vorrede zu dieser dritten Auflage

Die gütige, nachsichtsvolle Aufnahme, deren das Publikum in und außer Deutschland dies Buch würdigt, übertrifft sehr meine Erwartung. Der schnelle Absatz der ersten beiden Auflagen; die vorteilhaften Urteile einsichtsvoller Kunstrichter; die Auszüge, welche der Herr Prediger Fest und andre daraus gemacht haben, und endlich die Übersetzungen desselben – das alles fordert mich auf, keine Mühe zu sparen, nach und nach das Fehlerhafte darin auszumerzen, und durch nötige Zusätze sowie durch Verbesserung der Schreibart meinem Werke mehr Vollkommenheit zu verschaffen.

Aufmerksame Leser werden finden, welche große Veränderungen, sowohl was die Anordnung, als was den Inhalt selbst betrifft, ich bei dieser dritten Auflage, wenn man sie gegen die ersten beiden hält, vorgenommen habe. Ich bin dabei neben meiner eigenen Überzeugung der Zurechtweisung würdiger Männer gefolgt. Unter diese zähle ich, wie billig, mit Dankbarkeit auch den Herrn Rezensenten im siebendundachtzigsten Bande der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, dessen milde, aber verständige und ernsthafte Winke ich größtenteils zu meinem Vorteile genützt habe.

Über unweisen, nicht reiflich durchgedachten Tadel hingegen habe ich mich hinausgesetzt. Ohne der verachtenswerten Beschuldigung des salzburgischen Herrn Kritikers Erwähnung zu tun, will ich nur des Vorwurfs der den deutschen Schriftstellern so eignen, zu großen Vollständigkeit gedenken, womit der undeutsche Herr Rezensent in der Allgemeinen Literatur-Zeitung mich beehrt. Ich werde mich bestreben, dieses Vorwurfs in vollem Maß würdig zu werden. Hat mein Buch einigen Wert, so bestimmt gewiss eben diese möglichste Vollständigkeit einen großen Teil desselben, und jedermann wird zum Wohltäter an mir werden, der mir jetzt anzeigt, über welche Verhältnisse und Lagen im menschlichen Leben ich noch Bemerkungen und Vorschriften zu liefern versäumt habe.

Man hat gegen den Titel dieses Werks die Erinnerung gemacht: dass er nur Regeln des Umgangs ankündigte, da hingegen das Buch selbst fast über alle Teile der Sittenlehre sich ausdehnte. Billige Richter haben indessen eingesehen, wie schwer dies zu vermeiden war. Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen. Sollte man an meinem Buche das tadeln dürfen, dass es mehr leistet, als der Titel verspricht, so könnte man dem Übel auf einmal abhelfen, wenn man diesem Werke etwa die Überschrift gäbe: »Vorschriften, wie der Mensch sich zu verhalten hat, um in dieser Welt und in Gesellschaft mit andern Menschen glücklich und vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich und froh zu machen.« Allein dieser Titel kommt mir ebenso geschwätzig als prahlerisch vor. Man verzeihe mir's also, dass ich es damit beim alten gelassen habe!

Andre haben hier Vorschriften für junge Leute vermisst, die als Studenten, Offiziere usf. in die Welt treten. – Vorschriften, wie diese sich gegen andre junge Leute gleichen Standes zu betragen hätten. Der Herr Rezensent in den Würzburger gelehrten Anzeigen hat dagegen sehr vernünftig angemerkt, dass, wenn ich so hätte in das Detail gehn wollen, ich vielleicht in zehn Bänden meinen Gegenstand nicht würde erschöpft haben, und dass ich mich sehr vielfach hätte wiederholen müssen. Ich füge noch hinzu, dass unter jungen Leuten, die noch keinen festen Charakter haben, die Mannigfaltigkeit der Sonderbarkeiten, welche sie in ihrer Art sich zu betragen zeigen, zwar unendlich groß, aber auch zugleich so unwichtig scheint, dass ein Jüngling, dem es ernst ist, sich für die Welt zu bilden, auf diese weiter keine Rücksicht zu nehmen braucht, wenn er sich, im Umgange mit Menschen von gleichem Alter, so vorsichtig, ordentlich und redlich beträgt, als die Vorschriften dazu in diesem Buche, sowohl im allgemeinen, als nach den verschiedenen Stimmungen und Verhältnissen unter allen Gattungen von Menschen, angegeben werden.

Hannover, im Januar 1790.

Vorrede zu den ersten beiden Auflagen

Der Gegenstand dieses Buchs kommt mir groß und wichtig vor, und irre ich nicht, so ist der Gedanke, in einem eignen Werke Vorschriften für den Umgang mit allen Klassen von Menschen zu geben, noch neu. Eben dieser Umstand aber und dass mir in Deutschland, soviel ich weiß, niemand vorgearbeitet hat, muss einen Teil der Unvollkommenheiten meiner Arbeit entschuldigen. Es ist ein weites Feld vollständig und gründlich zu bearbeiten, vielleicht für einen Menschen und gewiss für meine Kräfte zu groß. Kann aber das in magnis voluisse aliquid Verdienst geben, so darf ich einigen Anspruch auf den Dank des Publikums machen, um so mehr, wenn etwa meine Arbeit bei einem größern Menschenkenner und feinern Philosophen einst die Lust erwecken sollte, etwas Vollkommneres hierüber zu liefern.

Vielleicht wird man mir Weitschweifigkeit vorwerfen und mich beschuldigen, ich hätte Räsonnements eingemischt, die nicht eigentlich zu den Regeln über den Umgang mit Menschen gehören; allein es ist hier schwer, die wahre Grenzlinie zu finden. Wenn ich zum Beispiel lehren will, wie vertraute Freunde im Umgange miteinander sich betragen sollen, so scheint es mir sehr passend, erst etwas über die Wahl eines Freundes und über die Grenzen freundschaftlicher Vertraulichkeit zu sagen, und wenn ich über das Betragen im geselligen Leben in manchen Klassen von Menschen rede und zeige, wie man ihrer Schwächen schonen soll, so stehen philosophische Bemerkungen über diese Schwächen selbst und über deren Quellen nicht am unrechten Ort.

Übrigens habe ich dies Buch nicht flüchtig hingeschrieben, wie wohl andre meiner Schriften, sondern lange an den Materialien dazu gesammelt. – Es enthält Resultate aus meinem ziemlich unruhigen Leben unter Menschen mancher Art. Bei dem veränderlichen und leichtfertigen Geschmacke des deutschen Publikums und der übertriebenen Nachsicht, mit welcher dasselbe unbedeutende Romane, leere Journale, platte Schauspiele und nichtswürdige Anekdotensammlungen aufnimmt, möchte es zwar kaum einer Entschuldigung bedürfen, wenn man diesen größern Teil des Publikums nicht so sehr respektierte, dass man streng gewissenhaft in Wahl und Ausfeilung der Produkte wäre, welche man in die gelehrte Welt schickt. Schriftstellerei ist in jetzigen Zeiten nicht viel mehr als Gespräch mit der Lesewelt; in freundschaftlichen Unterredungen wiegt man aber nicht jedes Wort ab. Der müßige Haufen will ohne Unterlass etwas Neues hören; ernsthafte, wichtige Werke werden von den Buchhändlern nicht halb so gern in Verlag genommen und vom Publikum nicht halb so eifrig gelesen als jene Modeware; wenn man sich nun herablässt, die Wahrheiten, die man zu sagen hat, wenigstens in ein solches Gewand zu hüllen, wie es der große Haufen gern sieht, so läuft wohl freilich je zuweilen ein unnützes Wort mit unter, und das ist vielleicht auch mein Fall gewesen. Doch will ich offenherzig genug sein, noch etwas zur Entschuldigung meiner bisherigen Vielschreiberei anzuführen.

Niemand kann lebhafter als ich selbst fühlen, welcher Ausfeilung meine zuerst herausgegebenen Schriften noch bedurft hätten, um irgendeinen Grad von Vollkommenheit zu erreichen. Indessen wurden sie und werden noch immer häufiger gelesen und öfter aufgelegt, als sie es verdienen. Der Verleger bat um mehr Ware von der Art, machte mir vorteilhafte Bedingungen, und ich wies den Erwerb nicht von mir. Ich schäme mich dieses Geständnisses nicht: Wer nur irgend weiß, auf welche Weise mein Vermögen eine lange Reihe von Jahren hindurch, sehr ohne meine Schuld, ist verwaltet worden, der wird mir das gern verzeihen, und wer mit meiner häuslichen Lebensart bekannt ist, muss mir das Zeugnis geben, dass ich das Gewonnene auf keine unedle Art verwendet habe.

Nicht immer habe ich mich vor meinen Schriften genannt; zuweilen hat man mich als Verfasser von Büchern angegeben, die ich nicht einmal gelesen hatte. Das hat mich bis jetzt wenig bekümmert; anders aber handelt der Mann, der in fremden Provinzen lebt, ohne an den Staat geknüpft zu sein, dem es desfalls weniger ängstlich um seinen bürgerlichen und gelehrten Ruf zu tun ist, und anders der, welcher in seinem Vaterlande wohnt, und dem die Achtung, auch des Geringsten unter seinen Mitbürgern, nicht gleichgültig sein darf. Nach achtzehnjähriger Abwesenheit befinde ich mich nun wieder in dem letztern Falle. Ich würde fürchten, man möchte das Unkraut, das ich hergäbe, dem vaterländischen Boden zur Last legen, auf welchem es gewachsen wäre, wenn ich fortführe, so schnell zu arbeiten; ich würde fürchten, mein liebes Vaterland zu beschimpfen, in welchem gottlob der Haufen elender Scribler noch nicht so groß ist als in den mehrsten andern Provinzen Deutschlands. Was ich also hier liefre und etwa ferner liefern werde (wenn ich je noch außer diesem Werke etwas schreiben sollte), muss wenigstens keine lose Ware sein, und nicht leicht werde ich wieder etwas drucken lassen, ohne meinen Namen davorzusetzen.

Es hat nicht Unzufriedenheit mit meinem Herrn Verleger in Frankfurt am Main, sondern andre Rücksichten haben mich bewogen, dies Buch einer hiesigen Buchhandlung in Verlag zu geben; vielmehr muss ich dem Herrn Andreä das Zeugnis geben, dass er sich jederzeit sehr billig, redlich und freundschaftlich gegen mich betragen hat.

Einige meiner Schriften sind in Wien und Leipzig nachgedruckt worden; sollte einer von der berüchtigten Zunft etwa auch auf dies Büchelchen eine korsarische Unternehmung von der Art wagen wollen, so dient demselben zur Nachricht, dass alle Vorkehrungen getroffen sind, den Schaden eines solchen Diebstahls auf den Räuber selbst fallen zu machen.

Hannover im Jänner 1788.