Loe raamatut: «Das Netz ist politisch – Teil I»

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Das Netz ist politisch – Teil I

Das Netz ist politisch – Teil I von Adrienne Fichter wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.

© 2020 – CC-BY-NC-ND (Werk), CC-BY-SA (Texte)

Autorin: Adrienne Fichter Verlag & Produktion: buch & netz (buchundnetz.com) Umschlaggestaltung: buch & netz (buchundnetz.com) ISBN: 978-3-03805-302-6 (Print – Hardcover) 978-3-03805-301-9 (Print – Softcover) 978-3-03805-345-3 (PDF) 978-3-03805-346-0 (ePub) 978-3-03805-347-7 (mobi/Kindle) Version: 0.86-20201214

Die Texte wurden ursprünglich im digitalen Magazin «Republik» publiziert.

Dieses Werk ist als buch & netz Online-Buch und als eBook in verschiedenen Formaten, sowie als gedrucktes Buch verfügbar. Weitere Informationen finden Sie unter der URL: https://buchundnetz.com/werke/das-netz-ist-politisch-teil-1.

Inhalt

  Editorial

  Es brodelt in der Youtube-Hölle

  Warum Island keine eigene Verfassung hat. Eine nordische Saga

  Der Jäger der missbrauchten Daten

  Das heikle Geschäft mit der Demokratie

  Europa vs. Big Tech

  Das Märchen des unfähigen Staates

  Margrethe die Grosse

  Der Spion im Schulzimmer

  360°-Überwachung «made in Turkey» - jedes Gesicht in Sekunden identifiziert

  Der kalte Tech-Krieg

  Wie sich die ETH den USA unterwirft

  «Made in Switzerland» wird zum löchrigen Käse

  Die Digitalisierung ist politisch

  «Die Zahl der Todesfälle haben wir aus Wikipedia entnommen»

  Die pragmatischen Puristen

  Wie die Pandemie die EU-Digitalpolitik entzaubert

  Frage[1] hat Youtube-Chefin Susan Wojcicki geschmerzt: «Mutter, stimmt es, dass es biologische Gründe gibt, weshalb es weniger Frauen in Führungspositionen von Tech-Unternehmen gibt?»

Ihre Tochter hatte das Manifest von James Damore[2] gelesen. Der Google-Ingenieur versuchte darin, mit biologischen Argumenten zu erklären, weshalb Frauen weniger geeignet für Spitzenjobs seien als Männer.

Das Memo stiess im liberalen Silicon Valley auf viel Kritik. Google-Chef Sundar Pichai distanzierte sich, Wojcicki schrieb im Magazin «Forbes» eine vernichtende Kritik. Damore wurde im August 2017 geschasst, der progressive Frieden im Silicon Valley wiederhergestellt.

Doch Wojcicki blendete etwas Entscheidendes aus: welche Rolle ihre eigene Plattform Youtube – ein Tochterunternehmen von Google – bei der Bildung von Damores kruden Weltanschauungen spielte. Der damals 28-jährige Harvard-Absolvent verschlang nach eigenen Angaben[3] alle Videos von Jordan Peterson, einem umstrittenen kanadischen Psychologieprofessor, der berühmt ist für seine Anti-Transgender-Ansichten. So geriet Damore immer tiefer in den Sog von dessen pseudowissenschaftlichem Biologismus, Chauvinismus und Antifeminismus.

Klick-Müll bestrafen

Brandredner wie Jordan Peterson gibt es viele auf Youtube. Die Plattform wurde in den letzten Jahren immer populärer unter Konservativen und Rechtsextremen.

Der Grund dafür ist der Empfehlungsalgorithmus. Dieser präsentiert uns ein tägliches, individualisiertes Menü, und zwar aufgrund dessen, was wir früher gesucht haben, was uns jetzt interessieren könnte und was wir künftig wahrscheinlich suchen werden.

Dabei werden die Empfehlungen immer extremer[4]: Wer sich für Vegetarismus interessiert, erhält am nächsten Tag Veganismus-Empfehlungen. Wer sich Tipps für regelmässiges Jogging holt, bekommt später Marathonläufe angepriesen.

Die Konsequenz[5]: Wer nur Youtube konsumiert, glaubt nach einigen Wochen, Michelle Obama sei in Wirklichkeit ein Mann, die Erde flach, der Klimawandel inexistent und etliche Schulmassaker in den USA bloss «Inszenierungen».

Algorithmusoptimierung 2012

Das war nicht immer so. Das Geburtsdatum[6] für den heutigen Empfehlungsalgorithmus ist der 10. August 2012. Seit diesem Tag entscheidet im Besonderen die Verweildauer, ob ein Video in die Empfehlungsleiste befördert wird, und nicht mehr die Anzahl Aufrufe.

Damit soll Klick-Müll abgestraft werden, also Videos, die uns mit effekthascherischen Titeln und Vorschaubildern zwar zum Anschauen verleiten, die Erwartungen der Zuschauerin aber nicht erfüllen. Youtube wollte damit eigentlich auf Qualität setzen.

Der Schritt hat sich aus kommerzieller Sicht[7] ausbezahlt: Seit dieser Zäsur verbringt der durchschnittliche Zuschauer heute zehnmal so viele Stunden auf Youtube als zuvor. Der Konzern behauptet, das liege fast ausschliesslich[8] an den Empfehlungen auf der Seitenliste.

Extreme Videos machen süchtig

Aber offensichtlich haben die Youtube-Ingenieure einen zentralen sozialpsychologischen Befund unterschätzt: Menschen, denen immer extremere Meinungen und Behauptungen präsentiert[9] werden, verweilen länger auf den Seiten des Portals und schauen sich noch mehr Videos an. Wer den Youtube-Kosmos also einmal betreten hat, der bleibt. Und gerät dadurch in Parallelwelten wie der frühere Google-Mitarbeiter Damore.

Seit der Algorithmusänderung haben scharfe Kommentatoren und Laien ein leichtes Spiel, weil – wie übrigens auch auf Facebook – eine künstliche Intelligenz bei ihrer Selektion nach «Relevanz» nicht zwischen Verschwörungstheorie und faktenbasiertem Qualitätsjournalismus unterscheidet.

Gleichbehandlung aller Kanäle

Heute tummeln sich auf Youtube, der wichtigsten Informationsquelle für US-Teenager[10], die verschiedensten Akteure: Schönheitsbloggerinnen, Game-Spieler, Veranstalter von Wissenschaftsshows und auch etablierte Medien. Das Auswahlverfahren für die Empfehlungen ist höchst demokratisch. Jeder Kanal – unabhängig, ob er Schönheitstipps oder Dokumentarfilme zeigt – ist gleich viel wert, alle stehen im Wettbewerb zueinander.

Doch diese Gleichbehandlung hat zur Folge, dass man sich schon nach einigen Wochen in einer Parallelwelt jenseits des Faktischen wiederfindet.

Wenn man beispielsweise nach politischen Themen sucht, bekommt man von der Suchmaschine keinen ausgewogenen Medienspiegel vorgeschlagen, sondern die neuesten Videos von Alt-Right-Kommentatoren wie dem berühmten mittlerweile gesperrten Infowars-Kanal von Alex Jones. Oder Inhalte von Next News Network, einer auf den ersten Blick seriös aussehenden rechtspopulistischen Gerüchteschleuder.

Beide machen zuverlässig Stimmung für US-Präsident Donald Trump und diskreditieren liberale Entscheidungsträger wie zum Beispiel jüngst den kanadischen Premierminister Justin Trudeau.

Wenn Sie auf Youtube im Suchfenster «Justin Trudeau» eingeben[11], sehen Sie mit grosser Wahrscheinlichkeit als Erstes ein Video des rechten Verschwörungstheoretikers Paul Joseph Watson mit dem Titel «Justin Trudeau Is a Complete Idiot».

Watson kommentiert eine Szene, in der Trudeau eine junge Frau ermahnt, von «peoplekind» und nicht von «mankind» zu sprechen, mit einer Geste, als ob er sich eine Pistole in den Mund halten würde. Dann rechnet er ab mit Trudeaus Political Correctness und lässt sich aus über die Symbolik seiner bunten Socken.