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Loe raamatut: «Der Pastor von Ashbourn», lehekülg 30

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VIII.
Eine Thür muß offen oder verschlossen sein

So schwach ich auch noch war, so beeilte ich mich dennoch, gleich am folgenden Tage den Brief Jenny’s zu beantworten.

Ich erzählte ihr von meinem Unwohlsein, aber ohne ihr die Ursache desselben zu sagen. – Denken Sie sich, mein lieber Petrus, wenn die Sorge, in welche mich diese ganze alberne Geschichte von der grauen Dame versetzt, auf mich, der ich ein Mann voller Kraft und Muth bin, den Einfluß hat, mich krank zu machen, welchen Einfluß sie auf Jenny hätte haben können, welche den Ereignissen, da sie nur eine Frau ist, nicht die gleiche Kraft, den gleichen Muth als ich hätte entgegenstellen können.

Es ist die Pflicht des Mannes und des Philosophen. Rücksicht auf den schwächeren Körper und den untergeordneteren Geist zu nehmen.

Deshalb entschloß ich mich, vor der Rückkehr Jenny’s einen Besuch in dem Zimmer der grauen Dame zu machen.

Da Jenny bereits seit zwölf bis vierzehn Tagen abgereist war, und jeden Augenblick zurückkehren konnte, so ließ ich, sobald ich aufzubleiben vermochte, den Maurer kommen.

Dieser Mann glaubte ohne Zweifel, daß es sich um einen neuen Anfall des hitzigen Fiebers handelte, und kam mit einem Bündel Stricke in der Hand und seinen Handlanger zur Seite, um unter dessen Beistand mich mit Leichtigkeit, wenn es nöthig wäre, auf mein Bett zu binden.

Er fand mich in einem Sessel sitzend und neben dem Feuer vor Frost schlotternd.

Die Eröffnung des Zimmers der grauen Dame war bei mir eine dermaßen fixe Idee, daß ich, um sie auszuführen, nicht einmal meine Genesung abwarten wollte.

Der Maurer machte die Thür halb auf und trat auf den Zehen ein, indem er alle Arten von Vorsichtsmaßregeln traf.

Da ich ahnte, was sich in seinem Geiste zutrug, so beruhigte ich ihn über seine Befürchtungen.

Hierauf erklärte ich ihm, wie ich wünschte, daß er sein früheres Werk zerstöre, das heißt, daß er die Thür wieder aufbreche.

Aber er schüttelte den Kopf, indem er sagte:

– Herr Bemrode, wenn Sie mir Ihren Gehalt für ein halbes Jahr und sogar für ein ganzes Jahr gäben, so würde ich doch das nicht thun.

Ich bestand darauf, aber vergebens.

Er gab seinem Handlanger einen Wink, ihm zu folgen, und entfernte sich, indem er nochmals wiederholte:

– O! nein, zuverlässig nicht für hundert Pfund . . . nicht für zweihundert Pfund Sterling! . . . Ich halte zu sehr auf das Heil meiner Seele! . . . Das Geld ist gut, aber es wiegt die ewige Verdammniß nicht auf. . . Leben Sie wohl, Herr Bemrode!

Hierauf an der Thür angelangt, rief er noch ein Mal aus:

– Leben Sie wohl, Herr Bemrode! dann verschloß er die Thür wieder und entfernte sich, indem er sich umblickte, als ob er gefürchtet hätte, daß die graue Dame ihm folgte.

Die Verzagtheit dieses Mannes brachte auf mich die Wirkung hervor, die sie natürlicher Weise hervorbringen mußte, das heißt, daß sie meinen Muth steigerte. Ich betrachtete mich als einen sehr beherzten Mann, weil ich eine Handlung ausführen wollte, an welche Einer meines Gleichen nicht ein Mal zu denken wagte.

Ich ward dadurch nur um so mehr in meinem Vorhaben ermuthigt. Ich dachte nun an den Bergmann, der die graue Dame gesehen, sie verfolgt, sie beschworen hatte; sein Muth hatte zu jener Zeit die Bewunderung des ganzen Dorfes erregt, und ich muß sagen, daß auch ich diesen Muth aufrichtig bewundert hatte, als ich mich in jener Nacht vor dem Tage meiner Erkrankung dessen erinnerte, was dieser Mann gethan hatte, während ich nicht wagte, mich umzuwenden, nicht wagte, Feuer anzuschlagen und Schlag Mitternacht meine Nase unter meine Deck steckte.

Dieser Mann schien mir daher ein würdiger Gefährte bei diesem gewagten Unternehmen und ich ließ ihn bitten, zu mir zu kommen.

Er war nicht zu Haus, und arbeitete in dem Bergwerke.

Da aber glücklicher Weise der folgende Tag ein Sonntag war, so mußte er an demselben Abende in seine Wohnung zurückkehren.

Die sechs anderen Tage der Woche schlief er in dem Bergwerke.

Am Abend um sieben Uhr kehrte er nach Haus zurück.

Um acht Uhr klopfte er an die Thür des Pfarrhauses, indem er sich nur die Zeit genommen hatte, zu Nacht zu essen.

Ich habe die Menschen hinlänglich studirt, mein lieber Petrus, um zu wissen, welcher Unterschied selbst bei den stärksten Naturen zwischen einem leeren Magen und einem vollen Magen besteht. In der Hoffnung, daß ich ein weit muthigeres Herz finden würde, als es bei einem leeren Magen der Fall gewesen wäre, wünschte ich mir daher Glück, mit einem vollen Magen zu thun zu haben.

In der That, er trat mit lächelndem Munde in mein Zimmer.

– Nun denn! Vertrauen, dachte ich, ich habe meinen Mann gefunden.

Aber bei den ersten Worten, die ich ihm über mein Vorhaben sagte, antwortete er mir kopfschüttelnd:

– Herr Bemrode, wenn Sie mir Ihren Gehalt für ein Jahr und sogar für zwei gäben, so würde ich doch das nicht thun, was Sie von mir verlangen. . . Nein, nicht für zweihundert Pfund Sterling, nicht für vierhundert!

– Warum das? fragte ich ihn.

– Warum das? Sie fragen mich warum das? Ei, weil die graue Dame in ihrem Zimmer sein könnte!

– ’Nun, weiter? … Ist sie nicht eine alte Bekanntschaft von Ihnen,?

– Ohne Zweifel.

– Haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie sie einst des Nachts gesehen hätten?

– Ja, gewiß, aber grade weil ich sie gesehen habe, mag ich sie nicht wiedersehen.

– Es scheint mir indessen, daß Ihnen durch ihre Erscheinung kein Unglück zugestoßen ist?

– Herr Bemrode, ich suchte sie, nicht. Wenn sie mir erschienen ist, so kam das daher, weil sie beschlossen hatte, mir zu erscheinen; das gefiel ihr so, und meine Kühnheit war nicht bei dem Schauspiele betheiligt, dem ich beiwohnte. Sie sehen indessen, daß durch ihren einmaligen Anblick und dadurch, daß ich sie unvorsichtig verfolgt, voll Vermessenheit beschworen habe, die Hälfte meiner Haare weiß geworden ist! . . . Herr Bemrode, möge der grauen Dame nachlaufen, wer will, ich werde es nicht thun, ich schwöre es Ihnen. Man darf Gott nicht versuchen, Herr Bemrode!

Und indem er sich auf seinen Absätzen drehte, entfernte er sich, indem er wiederholte:

– Das heißt, daß ich nicht für fünfhundert Pfund Sterling, nicht für tausend thun würde, was Sie von mir verlangen. . . . Leben Sie wohl. Herr Bemrode!

– Ah! bei Gott! sagte ich mir, es scheint, daß ich mit gewaltigen Memmen zu thun habe. Gut! ich will darum nicht mit Schande bestehen; ich werde das allein ausführen, was sie nicht mit mir zu thun wagen.

Und ich schickte hin, um die Hacke des Maurers holen zu lassen.

Aber er verweigerte sie mir, indem er sich wohl dachte, zu welchem Gebrauche ich sie haben wollte.

Nun sandte ich nach der Haue des Bergmannes, aber er antwortete:

– Ich danke, ich weiß, was Herr Bemrode mit ihr machen will!

Sie werden begreifen, mein lieber Petrus, wie sehr alle diese Weigerungen mich in meinen eigenen Augen erhoben, und wie ich von der Höhe meines Stolzes auf alle diese Leute herabblickte!

Ich begann selbst in allen Winkeln des Pfarrhauses zu suchen, und fand endlich einen Meißel, einen Hammer und ein Brecheisen.

Mehr hatte ich nicht nöthig. um das Werk auszuführen.

Indeß beschloß ich, sobald ich diese Gegenstände in Händen hatte, noch ein oder zwei Tage zu warten, damit meine Kräfte gehörig zurückgekehrt wären.

Ich habe vergessen. Ihnen zu sagen, daß ich aus Furcht vor neuen Krisen des Nachts den Gatten meiner Aufwärterin in meinem Zimmer schlafen ließ.

Sobald der Tag angebrochen war, schickte ich ihn fort.

Vielleicht auch, – ich muß es Ihnen gestehen, da ich die Verpflichtung übernommen, Ihnen Alles zu gestehen, – vielleicht auch war es mir nicht unlieb, mir- diesen Gesellschafter und diesen Verbündeten gegen die graue Dame grade in dem Augenblicke zu geben, wo ich ein so schreckliches Unternehmen gegen sie vorbereitete.

Sie wissen, in welchem Grade ich sie während des Tages verachtete.

Diese Verachtung bewirkte, daß ich eines Morgens mein Brecheisen, meinen Meißel und meinen Hammer nahm, und mit dem festen Entschlusse, das Aufbrechen zu beginnen, in dm zweiten Stock hinaufging.

Dieser verwünschte zweite Stock war verteufelt dunkel, und brachte jedes Mal einen sonderbaren Eindruck auf mich hervor, wenn ich ihn betrat.

Mein auf dem Vorplatze des ersten Stockes fest gefaßter Entschluß wankte bei jeder Stufe, die ich hinaufging, und strauchelte zuletzt immer auf der letzten.

Ich nahm nun meine Zuflucht zu meiner gewöhnlichen Stärkung: ich machte die Thür des Speichers und die der Waschkammer auf, und mittelst dieser beiden Oeffnungen wurde es hell aus dem Vorplatze.

Außerdem hörte ich Mary in dem Hause hin und her gehen. Ich rief ihr zu, das Pfarrhaus nicht zu verlassen, ohne mich davon zu benachrichtigen.

Durch das Versprechen beruhigt, das sie mir gab, machte ich mich dann an das Werk.

Anfangs, ich muß es Ihnen gestehen, mein lieber Petrus, schlug ich nachlässig eben so oft neben den Meißel, als darauf; aber endlich wurde meine Hand fest, meine Schläge wurden kräftiger und sicherer, die ersten Bruchstücke der Mauer flogen davon. Ich erhitzte mich an der Arbeit, und verwandte zuletzt jenen fieberhaften Eifer darauf, den der Mensch auf jedes Zerstörungswerk verwendet. In weniger als einer Viertelstunde war die Mauer gänzlich durchbrochen und ich fühlte auf der anderen Seite der Backsteine die Thür.

Nun nahm ich meine Zuflucht zu dem Brecheisen; ich steckte es in die von dem Meißel gemachte Oeffnung, und indem ich von innen nach außen drückte, gelang es. mir. einige Backsteine anfangs zu erschüttern und nachher auszubrechen.

Durch diese Oeffnung erblickte ich einen Theil der Thür.

Es war eine alte Thür von Eichenholz mit kupfernen Nägeln; das Eichenholz war wurmstichig, die Nägel waren von dem Grünspan verzehrt.

Man hätte gemeint, es sei die Thür eines unterirdischen Ganges, eines Kerkers, eines Gefängnisses, kurz irgend eines schrecklichen Ortes.

Ich gestehe, daß ich bei dem Erblicken dieser Thür schauderte.

– Mary, rief ich, sind Sie immer noch da?

– Ja, mein Herr, antwortete sie mir.

– Was machen Sie?

– Das Frühstück des Herrn.

– Verlassen Sie es nicht!

– Ich werde mich wohl davor hüten. . . . Ich soll wohl die Milch überkochen lassen?

Sie haben keinen Begriff, mein lieber Petrus, wie wenig bei gewissen Umständen hinreicht, um uns das Herz wieder zu starken. Was mich anbetrifft, so weiß ich, daß dieses kleine Gespräch, so kurz und so unbedeutend es auch sein mochte, mir außerordentlich wohl that. Bei der Gewißheit, daß meine Milch nicht überkochen konnte, da Mary darüber wachte, fühlte ich mich von Neuem voller Muth. und begab mich wieder mit mehr Eifer als jemals an die Arbeit. In einem Augenblicke war das untere Drittel der Thür, trotz dem Widerstande des Kalkes, frei gemacht, – und dieser Widerstand war groß, denn mein Freund, der Maurer, hatte seine Sache gewissenhaft gemacht.

Ich hatte aus Neugierde angefangen, ich fuhr aus Stolz fort.

– Ah! sagte ich mir bei jedem Backsteine, den ich ausspringen ließ, ah! ein Maurer, dessen Geschäft es ist, niederzureißen, ein Bergmann, dessen Geschäft es ist, auszugraben, wagen weder auszugraben noch niederzureißen! Sie haben Furcht, die Memmen! und ich, ein Geistlicher, gebe ihnen das Beispiel des Muthes! Wahrlich, das ist schimpflich für sie! – Freilich ist es zu gleicher Zeit sehr ruhmwürdig für mich! – wie Schade, daß eine solche, in einem armen kleinen Dorf« des Fürstenthums Wallis bekannte und geschätzte Handlung der Unerschrockenheit der Welt unbekannt bleibt! Nehmen Sie einen größeren Schauplatz an, nehmen Sie zu meiner Verfügung gestellte Mittel der Bekanntmachung an, und in einigen Tagen beschäftigt sich halb England nur noch mit mir. Man sagt: »Wissen Sie, was der tapfere, der muthige, der heldenmüthige Bemrode gethan hat? wissen Sie es? – Nein. – Wohlan! hören Sie, was er gethan hat. …«

Unglücklicher Weise hörte ich grade in diesem Augenblicke die Thür des Pfarrhauses verschließen.

– Mary! rief ich aus, Mary! wo gehen Sie hin? Ich hatte Ihnen verboten, auszugehen.

Niemand antwortete mir.

Ich ging eilig hinunter.

Mein Frühstück war bereit, und Mary war einfach und allein ausgegangen, um Zucker bei dem Gewürzkrämer zu holen.

Ich folgte ihr mit den Augen auf ihrem Gange, der nur einen Augenblick dauerte; ich sah sie in den Laden des Krämers treten und mit der Colonialwaare versehen, welche sie geholt hatte, nach dem Pfarrhause zurückkehren.

Das führte mich dazu, mich selbst zu fragen, warum es in den Colonieen keine Sagen wie die gäbe, mit deren Bekämpfung ich beschäftigt war, und ich antwortete mir mit einer Richtigkeit, die, wie ich glaube, Sie überraschen wird, daß es in Jamaica, auf Sanct Domingo, in der Havannah, auf der Insel Bourbon und auf der Insel Moritz, unter diesem schönen reinen Himmel, mit dieser Sonne ohne Wolken, diesem Monde ohne Schleier, dieser Erde ohne Nebel, dieser Schöpfung mit deutlich ausgeschnittenen Umrissen, dieser klaren Atmosphäre, diesen blauen Formen, keine Zufluchtsstätte für die armen Schatten gäbe. Was würde ein Gespenst in diesen heißen, des Nachts fast eben so als am Tage glühenden Gegenden ohne den geringsten kleinen Nebel machen? Wohin sich flüchten? Es würde zehn Minuten nachdem es gewagt hätte, aus der Erde hervorzugehen, gewittert, umstellt, ertappt werden! Alle diese Phantome unserer Einbildungskraft bedürfen der dicken und nebeligen Atmosphäre des Nordens; der alten Thürme an dem Ufer der Seen, des in dem Schilfe pfeifenden Nachtwindes, der Ausdünstungen eines feuchten Bodens, des hohen grünen Grases der Kirchhöfe, der schlüpfrigen Steinplatten der Klöster, des beweglichen Grabsteins, den der Regen ausbricht, den las Moos zernagt, den der Aberglaube aufhebt. – Deshalb haben sich, wie jene besiegten Völkerschaften, welche zurückweichen und allmählich vor dem Sieger verschwinden, deshalb haben sich die Geister, die Phantome, die Gespenster unter die Leute des Nordens, in die finsteren Wälder Deutschlands, in die alten Schlösser Schwedens, in die hohen Berge Schottlands, in die dunklen Thäler der Provinz Wallis und in jene großen Ebenen Irlands geflüchtet, welche grüne Seen scheinen.

Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß ich sehr zufrieden mit der Auslegung war.

Geben Sie zu, mein lieber Petrus, daß die Lösung des Problemes in der That höchst sinnreich ist. und daß, um sie so klar und so bestimmt zu geben, wie ich sie Ihnen gebe, diese Klarheit des Verstandes, diese Richtigkeit der Ideen nöthig ist, die ich selbst unter den schwersten Sorgen, selbst unter den größten Gefahren behalte.

Diese sehr natürliche Zufriedenheit mit mir selbst führte mich zu dem Gedanken, daß es ein schönes Werk sein würde, die abergläubischen Sagen der verschiedenen Völker je nach ihrem Klima und nach ihrer Breite geändert, von den Aegyptem bis auf unsere Tage zu schildern.

Das wäre ganz einfach die poetische Geschichte der Welt.

– Warum sollte ich diese poetische Geschichte nicht schreiben, die bei weitem merkwürdiger, bei Weitem pittoresker, bei weitem philosophischer ist, als die Universalgeschichte Bossuets? Warum sollte ich sie nicht schreiben? rief ich aus, statt dieser nutzlosen und trockenen Chronik der Gallo-Kymris, die am Ende niemals etwas Anderes als die eines kleinen Volkes sein wird, das geboren worden, gelebt hat, und in untergeordneten Verhältnissen erloschen ist, sei es nun, daß es in entfernten Zeiten zu den drei oder vierhundert Völkerstämmen Galliens gehört, oder daß es sich mit den Picten Cäsar’s, den Sachsen Harold’s oder den Normannen Wilhelm’s vereinigt hat.

Und von einem plötzlichen Gedanken erleuchtet, eilte ich in mein Arbeitszimmer, zerriß die Seite, auf welcher folgende Worte geschrieben standen: »Geschichte der Gallo-Kymris, mit neuen Nachforschungen über ihren Ursprung, ihre Sitten, ihre Sprache, ihre Wanderungen, ihren Kampf während fünf Jahrhunderten gegen Großbritannien und ihren Verfall in dem letzten Jahrhundert,« und ich schrieb auf die folgende Seite: »Abergläubige Geschichte der ganzen Welt, oder Geschichte der Gespenster, der Phantome, der Nachtgeister, der Unholdinnen, der Schatten, der Geister, der Erscheinungen, der Vampyre und der Eulen, seit Homer bis auf den Vater Griffet.«

IX.
Die Eröffnung der Thür

– Ah! ah! ah! sagte Mary, als sie nach Haus kam, Sie sind es, Herr Bemrode. . . . Gut! es ist nicht der Mühe werth, sich an die Arbeit zu begeben; Sie werden frühstücken.

– Warum, fragte ich sie. indem ich aufstand und sie mit strenger Miene ansah, warum sind Sie trotz meines Verbots ausgegangen, Frau?

– Ausgegangen trotz Ihres Verbots? wiederholte Mary ganz erstaunt. Heißt es etwa ausgehen, wenn man über den Platz zu dem Gewürzkrämer geht?

– Gleichviel, sobald Sie sich entfernten, mußten Sie es mir sagen.

– Ah! bei meiner Treue, Herr Bemrode, ich habe Sie so beschäftigt mit Ihrem Einreißen gesehen, daß ich Sie darum nicht habe stören wollen.

– Es ist gut, ich lasse es Ihnen dieses Mal hingehen; aber da Madame Bemrode jeden Augenblick ankommen kann, so werden Sie sogleich das mittlere Zimmer zurechtmachen.

– Auf der Stelle, Herr Bemrode, während Sie frühstücken. . . . Wenn Sie wieder hinaufgehen, so wird es geschehen sein.

– Nicht doch, nicht doch! rief ich aus. Während meines Frühstücks bedienen Sie mich. . . . Sie wissen, daß der Arzt anempfohlen hat, mich so wenig als möglich allein zu lassen.

– Ah! als Sie das hitzige Fieber hatten; aber jetzt, wo Sie es nicht mehr haben . . .

– Es kann wiederkommen . . . Unvorsichtige!

– Aber. Herr Bemrode, wenn Sie mich den ganzen Tag über behalten, so wäre es billig, meinen Lohn zu verdoppeln. . . . Sie scheinen meinen Gatten alle Nacht bei sich zu behalten, Sie müßten mich davon benachrichtigen.

– Ihr Gatte wird Ihnen bei der Rückkehr der Madame Bemrode zurückgegeben werden, meine Tochter, antwortete ich, indem ich mich besänftigte, und es wird Ihnen eine hinlängliche Entschädigung für die Störung ausgezahlt werden, die ich in Ihrem Leben veranlaßt habe.

– Ah! wenn Sie so billig sind, so giebt es nichts mehr dagegen zu. sagen, als sich zu Ihren Befehlen zu stellen, Herr Bemrode.

– Sie haben meine Befehle erhalten, sagte ich majestätisch.

Und ich frühstückte weit stärker, als ich es seit meiner Krankheit noch gethan hatte, zuvörderst weil die zurückkehrende Gesundheit den Appetit zurückbrachte, dann ferner. weil ich für das Werk, das mir zu beendigen übrig blieb, noch neue Kräfte sammeln mußte.

Ein gutes Glas Wein schloß das Mahl, und ließ mit einer angenehmen Wärme neuen Muth in meinen Adern kreisen.

Was Mary anbetrifft, so schien sie so zufrieden mit dem Versprechen, das ich ihr gegeben hatte, daß sie ein altes galisches Lied singend hinaufging, ohne sich um die Arbeit zu bekümmern, die ich in dem ersten Stocke ausführte.

Ich, im Bewußtsein meines Vorhabens, ging weit ernster und weit bedachtsamer hinauf.

Der Vorplatz war wieder dunkel geworden; ohne Zweifel hatte der Wind in meiner Abwesenheit die beiden Thüren zugeschlagen.

Ich hatte den Muth, sie wieder aufzumachen.

Freilich hörte ich Mary immer noch ihr Lied singen.

Ich nahm mein Brecheisen wieder und fuhr fort. Backsteine ausspringen zu lassen. Nach Verlauf einer halben Stunde war die Thür gänzlich frei gemacht.

– Mary! rief ich.

– Ja! mein Herr! sagte die gute Frau, indem sie auf den Vorplatz herbeieilte.

– Mary, sagte ich, kennen Sie etwa zufällig in dem Hause irgend einen alten Schlüssel, der die Thür des mittleren Zimmers aufschließen kann?

– Wie, des mittleren Zimmers?

– Ja . . . des Zimmers der grauen Dame.

– Jesus mein Gott^M,. Mary, die Hände faltend aus, Sie würden es wagen, diese Thür aufzumachen, Herr Bemrode?

– Warum nicht? antwortete ich, indem ich mich wieder aufrichtete.

– Ei, in der That, sagte Mary, warum nicht . . . da die graue Dame nur des Nachts erscheint, und dabei auch nur in der Nacht von dem Sanct Gertrudis- auf den Sanct Michaelstag? . . . Warten Sie, Herr Bemrode, ich will Schlüssel suchen und Ihnen alle, die ich finde, herbeibringen.

Und sie ging hinunter, um Alles zu holen, was es an Schlüsseln im Hause gab.

– Mary! rief ich ihr zu, Mary! kommen Sie herauf, statt hinunter zu gehen.

Aber sie hörte nicht darauf, obgleich sie mich verstand, denn sie antwortete, während sie sich entfernte, sehr richtig:

– Da Sie Schlüssel verlangen. Herr Bemrode. so muß ich sie Ihnen wohl holen.

Ich hätte gleichfalls hinuntergehen, und mich mit der Aufsuchung derselben beschäftigen können; aber ich begnügte mich damit, einige Stufen hinabzuschreiten und sie zu erwarten. Fünf Minuten nachher kam sie mit einem Dutzend Schlüssel zurück.

– Hier, sagte sie. – O! mein Gott! welche Verheerung Sie angerichtet haben!

– Sie sehen, Mary, sagte ich ganz stolz, ich habe gethan, was weder der Maurer, noch der Bergmann hier zu unternehmen gewagt haben.

– O! weil Sie ein unterrichteter Mann sind, Herr Bemrode, und Sie an alle diese Albernheiten nicht glauben . . . Das ist gut für uns arme Leute aus dem Volke.

Mein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß ich durch meine vermeintliche Ungläubigkeit den ganzen Ruhm meines Muthes verlieren sollte.

War es wohl der Mühe werth, mich durch meine Kühnheit gänzlich über das Alltägliche erhoben zu haben, und kein anderes Verdienst dadurch zu erlangen, als das, für einen Freigeist zu gelten?

Ich strebte nicht nach dem Rufe eines Freigeistes, sondern nach dem eines muthigen Herzens.

– Mary, sagte ich ernst, wie mir scheint, sprechen Sie mit großer Leichtfertigkeit über die geheimnißvollen Probleme des Grabes und über die dunkeln Geheimnisse der Ewigkeit. Statt diesen Aberglauben an Erscheinungen zu zerstören, bestätigen die profane und die heilige Geschichte ihn durch Beispiele. Nach Aeschylus’ Aussage ward Orestes von dem Schatten seines Vaters verfolgt, der ihm befahl, ihn zu rächen; nach Herodot’s Aussage kam Ninus aus seinem Grabe hervor um, Semiramis seinen Tod vorzuwerfen; die Bibel erzählt, daß auf Samuels Beschwörung das Gespenst der Wahrsagerin von Endor Saul erschien; Plutarch versichert, daß bei Sardes das Gespenst Cäsar’s sich vor Brutus aufrichtete und ihn benachrichtigte, daß er ihn bei Philippi wiedersehen würde; die Erscheinung des Vaters Hamlet’s ist eine von dem göttlichen Shakespeare bestätigte Nationalsage; man behauptet, daß während der Nacht vor der Schlacht von Bosworth Richard III. einen Theil seiner Opfer wiedersah, deren blutige Schatten zurückkehrten, um ihn zu verfluchen und ihm seinen Tod zu verkünden; endlich behaupten glaubwürdige Leute, wie die Nachbarin und der Bergmann, die graue Dame gesehen zu haben. . . . Meinem großen Muthe müssen Sie daher die Ehre des Entschlusses zuschreiben, den ich gefaßt habe, und nicht meinem Unglauben.

Mary blickte mich voller Bewunderung an.

– Ist das zum Erstaunen! wie Sie das Alles sagen, Herr Bemrode! . . . Sie sagen es so schön, daß ich jetzt eben so wenig Furcht habe, als Sie! . . . Versuchen Sie doch alle diese Schlüssel, Herr Bemrode. Ah! ich bin ein wenig neugierig, was sich im Zimmer dieser Hexe von grauen Dame befindet! – Hier ist ein Schlüssel, der mir aussieht, als ob er in das Schloß paßte.

Indem sie diese Worte sagte, reichte sie mir den Schlüssel.

Ich nahm ihn.

– Da! sagte sie, versuchen Sie ihn geschwind.

Ich näherte ihn dem Schlosse.

Aber, ich muß es sagen, mein lieber Petrus, wie groß mein Muth auch war, es gelang ihm nicht, meine Gemüthsbewegung gänzlich zu mäßigen. Mein hoher Verstand gebot vergebens dem Körper; die Seele wollte vergebens den Stoff beherrschen, der Stoff zitterte.

Mary bemerkte diese unwillkürliche Aufregung.

– Ah! das ist sonderbar, sagte sie, wie Sie zittern!

– Ich glaube, meine liebe Mary, sagte ich zu ihr, daß ich wieder einen Fieberanfall habe.

– Es ist in der That seltsam . . . abgesehen davon, daß Ihnen das Wasser von der Stirn läuft . . . Trocknen Sie sich ab, Herr Bemrode, und geben Sie mir diesen Schlüssel . . . ich will ihn versuchen.

Und da mein Zittern fortfuhr, und meine Zähne anfingen zu klappern, sagte Mary:

– O! das ist wirklich das Fieber. Wollen Sie zu Bett gehen, Herr Bemrode? Ich werde mich bemühen, die Thür ganz allein aufzumachen und Ihnen dann sagen, was sich in dem Zimmer befindet.

Dieser Vorschlag brachte mich wieder zur Besinnung, ich schämte mich, daß er mir von einer Frau gemacht war.

– Es ist wahr, ich habe das Fieber, antwortete ich, es ist wahr, daß ich schlottere, daß ich zittere, daß meine Zähne klappern . . . Aber nur der Leib, den die Krankheit schüttelt, ist so aufgeregt, die unsterbliche Seele schwebt über all diesen Armseligkeiten. . . . Meine Seele verleiht mir die Kraft, hier zu bleiben. . . . Versuchen Sie Ihre Schlüssel, Mary, und wenn einer von ihnen in die Thür paßt, so schließen Sie auf. . . So stark das Fieber auch sein möge, ich werde stärker als dasselbe sein!

Mary blickte mich voller Erstaunen an, sie begriff diese hohe Würde nicht.

Aber da der Befehl, den ich ihr gab, vollkommen klar war, so versuchte sie zuerst einen Schlüssel, den ich ihr andeutete, nachher alle anderen, ohne daß ein einziger sich nur in dem Schlosse drehen konnte.

– Ach! sagte Mary, als der letzte widerstanden hatte, welches Unglück! Ich hatte so große Lust zu sehen, was es in diesem verwünschten Zimmer giebt!

Bei diesem Worte, mein lieber Petrus, bemerkte ich den Unterschied, den die Aenderung eines Beiwortes in dem Ausdrucke und in der Bedeutung eines Satzes herbeiführt.

Ich hätte an Mary’s Stelle gesagt: dieses verfluchte Zimmer! und dieser Ausdruck wurde schrecklich und war der Sache angemessen.

Da die gute Frau ohne Zweifel kein so feines Gefühl besaß, um wie ich zu empfinden, so sagte sie: dieses verwünschte Zimmer und nun hörte der Ausdruck auf, dramatisch zu sein und wurde fast lächerlich.

Ich dachte darüber nach, und im Nachdenken fühlte ich mein Fieber sich beruhigen, als Mary, nachdem sie verdrießlich um sich geblickt hatte, plötzlich ausrief:

– Aber Sie haben ja da etwas Besseres als einen Schlüssel, Herr Bemrode. einen Hammer, einen Meißel und ein Brecheisen . . . Gut! da Sie eine Mauer durchbrochen haben, so werden Sie wohl eine Thür sprengen können.

– Ah! ah! sagte ich zu ihr, ja. es ist wahr. . . . Ich habe da einen Hammer, einen Meißel und ein Brecheisen. . . .

– Gut! warten Sie . . . wissen Sie etwa nicht, wie man eine Thür sprengt?

– Nein . . . doch . . . aber . . .

– Nichts ist einfacher: Sie stecken die Spitze Ihres Brecheisens zwischen die Mauer und das Schloß, dann drücken Sie, und . . .

– Ah! ich drücke? . . .

– Ja . . . Sehen Sie, Herr Bemrode, raffen Sie das Brecheisen wieder auf.

– Gut . . . ich verstehe . . .

Ich raffte das Brecheisen wieder auf; aber ich vermag Ihnen nicht zu sagen, mein lieber Petrus, – es war ohne Zweifel eine Wirkung des Fiebers, – wie schwer es mir zu sein schien.

Ich versuchte, es an den angedeuteten Ort zu stecken, es gelang mir sogar; aber die Anstrengung hatte mich ohne Zweifel erschöpft, denn ich vermochte nicht, die Thür zu erschüttern.

Der Wahrheit gemäß möchte ich nicht zu sagen wagen, daß ich alle meine Kräfte anwandte. Als es darauf ankam, auszuführen, wovon ich so lange geträumt hatte, schien es mir, als ob ich eine Art von Ruchlosigkeit beginge.

Mary bemerkte die Schwäche, mit der ich handelte.

– Ah! Herr Bemrode, äußerte sie, ich hatte sehr Recht, Ihnen zu sagen, daß Sie krank wären; wahrlich, Sie sind nicht stärker, als ein Kind. . . . Warten Sie, warten Sie!

Und indem sie das Ende des Brecheisens ergriff, drückte sie, wie sie gesagt hatte, aber so derb und kräftig, daß die Thür bei dem ersten Drucke krachte, bei dem zweiten wankte und bei dem dritten aufging.

Ein doppelter, zu gleicher Zeit ausgestoßener Schrei entschlüpfte uns Beiden, so daß ich nicht zu sagen vermöchte, mein lieber Petrus, ob es Mary war, welche den Schreckensschrei ausstieß, und ich den Freudenschrei, oder vielmehr ob nicht Mary im Gegentheile den Freudenschrei, und ich den Schreckensschrei hören ließ.

Uebrigens, – eine sonderbare Wirkung des von der plötzlichen Oeffnung verursachten Gegenstoßes! – Mary blieb nach vorn geneigt, als ob sie auf die Nase, und ich zurückgeworfen, als ob ich auf den Rücken fallen wollte.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
10 detsember 2019
Objętość:
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Õiguste omanik:
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