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Loe raamatut: «Der Pastor von Ashbourn», lehekülg 6

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VIII.
Hoc

Indem Sie mich so ungeduldig sehen, mich an meine Probepredigt zu machen, lieber Petrus, müssen Sie sich wohl denken, daß mir für diese Predigt eine jener vortrefflichen Ideen gekommen war, die sich des Menschen von Erfindungsgabe bemächtigen, und die ihm keine Ruhe mehr lassen, bis er mit ihnen fertig geworden ist.

Diese Idee war ganz in dem Geschmacke, und ich möchte fast sagen, in der Mode der Zeit.

Es war eine Art von evangelischer Charade, die bestimmt war, die drei großen Tugenden Christi hervortreten zu lassen.

Das Losungswort der Charade war die lateinische Sylbe Hoc, die aus drei Buchstaben besteht, welche die Anfangsbuchstaben dreier Worte bilden, die meiner Predigt zum Texte dienten: Humilitas, 0bedientia, Castias.

Zuverlässig ist uns das erhabenste Beispiel der Demuth, des Gehorsams und der Keuschheit von Christus gegeben worden:

Der Demuth, – indem er als der Sohn eines armen Zimmermannes auf die Welt kam, und zum Orte seiner Geburt eine Krippe, und zu Bewohnern dieser Krippe einen Esel und einen Ochsen wählte;

Des Gehorsams, – indem er die Befehle seines Vaters Punkt für Punkt befolgte und ergeben, ruhig, barmherzig zu diesem schrecklichen, schimpflichen, ehrlosen Tode ging, der die Welt erlösen sollte;

Der Keuschheit, – indem er die dreißig Jahre seines Lebens zurücklegte, ohne daß irgend einer jener Flecken, die aus den menschlichen Leidenschaften entspringen, das weiße Gewand des Knaben oder den Mantel des Mannes besudelt hat.

Außerdem habe ich nicht nöthig Ihnen zu sagen, mein lieber Petrus, daß, wenn man seine Bedeutung ein wenig anders auslegt, das Wort Hoc sagen will: Hier, da.

Was machte, daß meine Predigt sich durch folgende Worte auslegen ließ:

»Demuth, Gehorsam, Züchtigkeit, – darin liegt das Heil.«

Ich zweifle, daß jemals ein Prediger einen schöneren Text gefunden hat, und ich forderte im Stillen, und sogar laut den Neffen des Rectors heraus, einen ähnlichen zu finden!

Aber, als der Stoff gefunden, blieb noch die Form übrig.

Obgleich ich, wie ich gesagt habe, die Feder am selben Abende ergriffen hatte, blieb ich doch lange die Feder über das Papier haltend, bevor ich das erste Wort schrieb.

In der That, in welche Form einen so herrlichen Stoff kleiden?

Ich kannte die Menschen hinlänglich, um zu wissen, daß man alle Herrschaft über sie ausübt, sei es nun, wenn man sie rührt, oder sei es, wenn man sie in Erstaunen versetzt.

Die Herrschaft würde weit größer und die Wirkung eine doppelte sein, wenn ich sie zugleich rührte und in Erstaunen versetzte.

Es gab bei der Ausführung dieses Planes eine große Klippe zu vermeiden, besonders Leuten gegenüber, die gegen mich eingenommen sein mußten.

Wenn ich eine einfache und gänzlich ihrer Fassungskraft angemessene Predigt machte, so würden sie sich selbst sagen: »Ah! meiner Treue, ein schönes Wunder! der erste beste unter uns würde es eben so gut machen!«

Wenn ich eine gelehrte und gekünstelte Predigt machte, so waren sie im Stande, nichts davon zu verstehen.

Nachdem ich die Sache reiflich überlegt, ist hier das, was ich beschloß:

Ich beschloß die einfachen Theile meiner Predigt in hochtrabenden Ausdrücken zu schreiben, und die hochtrabenden Theile in einfachen Ausdrücken. Das war eine große Arbeit, die nicht leicht war, ich bürge Ihnen dafür. Endlich kam ich damit zu Stande.

Am Sonnabend Morgen war meine Predigt beendigt, und, wie ich mich dazu verpflichtet hatte, befand ich mich für den folgenden Tag vollkommen bereit.

Ich bat nun meinen Wirth, den Kupferschmied, zu mir in mein Zimmer zu kommen. Ich wollte ihm meine Predigt vorlesen, und ich fürchtete, daß in dem Laden seine Aufmerksamkeit durch die Ankunft irgend eines Kunden gestört werden möchte.

Auf mein erstes Ansuchen kam der wackere Mann herauf, und da er mich mit feurigem Auge und vergnügtem Gesichte sah, sagte er:

– Ah! ah! lieber Herr Bemrode, es scheint, daß unsere Predigt fertig ist?

– Ja, mein Wirth, ja, antwortete ich, indem ich mir die Hände rieb.

– Und daß Sie damit zufrieden sind?

– Entzückt!

– Um so besser! um so besser! lieber Herr Bemrode.

– Aber es ist nicht genug, daß ich entzückt darüber bin, sie muß Sie auch entzücken.

Mein Wirth begann zu lachen.

– Daß sie mich auch entzückt? wiederholte er. Und was liegt einem Manne von Ihrem Verdienste an der Billigung oder Mißbilligung eines armen Unwissenden wie ich? …

– Es liegt mir viel daran, mein lieber Wirth, denn mehr als ein Mal habe ich Gelegenheit gehabt, die Richtigkeit Ihres Urtheiles zu erkennen.

– Herr Bemrode, erlauben Sie mir, Sie selbst an die Anekdote zu erinnern, die Sie mir in Bezug auf einen berühmten griechischen Maler und einen armen atheniensischen Schuster erzählt haben: »Schuster, bleib bei Deinem Leisten!«

– Wohlan! es sei, mein lieber Wirth, sagte ich zu ihm, bleiben Sie in den Schranken, welche sie selbst Ihrer Fassungskraft stellen zu müssen glauben; aber in diesen Schranken da rathen Sie mir.

Mein Wirth machte ein Zeichen, welches zu sagen schien: »Da Sie es durchaus wollen, so sprechen Sie.«

Und er setzte sich.

– Mein lieber Wirth, sagte ich zu ihm, es giebt zwei Sachen in der Predigt, die Sie hören werden: es giebt den Stoff, und es giebt die Form.

– Erklären Sie mir zuvörderst, lieber Herr Bemrode, was diese beiden Sachen sind, denn ich möchte Ihnen keine Meinung über sie aussprechen, ohne sie gehörig zu verstehen.

– Das ist leicht, mein lieber Wirth, und um Ihnen die Darstellung fühlbar zu machen, will ich einen aus Ihrem eigenen Handwerke gezogenen Vergleich anwenden: der Stoff ist das Kupfer, aus welchem Sie Ihre Kasserole machen; die Form ist die Rundung, welche Sie ihm geben.

– Ich verstehe, sagte mein Wirth. Sie können jetzt anfangen, Herr Bemrode, ich höre.

Ich fing in der That an, indem ich ihm meinen Text erklärte und ihm Alles das zeigte, was dieser Stoff Sinnreiches hätte. Hierauf fuhr ich fort, indem ich nach meinen besten Kräften das zeigte, was die Form Gelehrtes und Angenehmes hätte.

Mein Wirth hörte mich bis an das Ende an, ohne ein Wort auszusprechen; nur kratzte er sich von Zeit zu Zeit sanft hinter dem Ohre, was mir zeigte, daß er meine Predigt nicht durchaus bewunderte.

Als ich geendigt hatte, fuhr er fort zu schweigen, aber er kratzte sich ein wenig stärker hinter dem Ohre.

– Nun denn? fragte ich ihn mit einer gewissen Ungeduld, deren ich nicht Herr war.

– Nun denn! Herr Bemrode, antwortete er mir, ich soll Ihnen also meine Meinung zuvörderst über den Stoff Ihrer Predigt, über das Kupfer sagen, aus dem sie gemacht ist, nicht wahr?

– Ja, mein lieber Freund, sagte ich mit selbstgefälliger Miene zu ihm, Sie müssen mit dem Stoffe anfangen, dann werden Sie zu den Nebenumständen übergehen.

– Was den Stoff anbelangt, begann er wieder, so rührt das ohne Zweifel von meiner Unwissenheit des Lateinischen her, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich ihn ein wenig gesucht, sogar kindisch, und demzufolge der Erhabenheit und der Heiligkeit des Gegenstandes unwürdig finde.

– Mein lieber Wirth, antwortete ich ihm, nichts ist Klein, nichts ist Groß; aus den kleinsten Dingen kann ein großer Verstand erhabene Lehren ziehen, eben so als ein mittelmäßiger Verstand aus den erhabensten Dingen nur Schwäche und Alltäglichkeit ziehen wird . . . Sehen wir daher, was Sie aus meinem Texte gezogen haben; das ist, glauben Sie mir, die Hauptsache.

– Zuverlässig, lieber Herr Bemrode, haben Sie herrliche Dinge daraus gezogen; aber erlauben Sie mir indessen, Ihnen über die Form einen aus meinem Handwerke, wie Sie sagen, gezogenen Vergleich zu machen . . .

– Machen Sie, mein lieber Wirth, machen Sie, erwiederte ich, indem ich nun auch lächelte; ich bin in Wahrheit neugierig, Ihren Vergleich zu hören.

– Hier ist er. Sie wissen, Herr Bemrode, daß es Kasserole von Kupfer und Kasserole von Silber giebt?

– Ja, mein lieber Wirth, ich weiß das, antwortete ich, obgleich ich weit öfter aus dem einen, als aus dem andern gegessen habe.

– Sie wissen auch, daß man die silbernen Kasserole vergoldet, während man sich damit begnügt, die von Kupfer zu verzinnen.

– Vollkommen.

– Wohlan! lieber Herr Bemrode, es scheint mir, daß Sie ganz das Gegentheil gethan haben; es scheint mir, daß Sie in Ihrer Predigt das Silber verzinnt und das Kupfer vergoldet haben.

– Das ist es, mein lieber Wirth, das ist es gerade, rief ich ganz vergnügt aus, und Sie haben meinen Gedanken errathen . . . Ah! Sie sind in der That ein Mann von Verstand und ein vorzüglicher Roth! Umarmen Sie mich, mein lieber Wirth, umarmen Sie mich. . . Der Neffe des Rectors ist überwunden, und ich bin Pastor des Dorfes Ashbourn!

Aber er erheiterte sich nicht, und indem er den Kopf schüttelte, sagte er:

– Nehmen Sie sich in Acht, Herr Bemrode, nehmen Sie sich in Acht; ich habe bemerkt, daß Alles das, was Sie mit Ihrem Herzen machten, vortrefflich war, während Alles das, was Sie mit Ihrem Kopfe machen, schlecht ausschlägt . . . Nun denn! ich fürchte etwas, nämlich, daß Sie diese Predigt da wieder bei Weitem mehr mit Ihrem Kopfe, als mit Ihrem Herzen gemacht haben . . .

Ich war genöthigt, in meinem Innern einzugestehen, daß etwas Wahres in dem lag, was mein Wirth da sagte; aber meine Predigt war gemacht, ich fand sie nach meinem Geschmacke, und ich beschloß, sie so zu halten wie sie war.

Ich konnte, wie das erste Mal, zu Fuß nach Ashbourn gehen; – eine Strecke von sieben Meilen ist nicht sehr entsetzlich für dreiundzwanzigjährige Beine; – aber ich war jetzt so sicher, zu meiner Pfarre ernannt zu werden, daß ich nicht zögerte, mir den Luxus einer Carriole zu gewähren. Wäre außerdem dieser wie ein Bettler oder ein Landstreicher zu Fuß ankommende Pastor nicht sehr armselig in den Augen meiner zukünftigen Gemeinde, während diese aus der Stadt kommende Carriole ein gutes Ansehen hatte, und bei dem Candidaten einen gewissen Wohlstand andeutete. Nun aber liegt es leider, wie man weiß, in den Gewohnheiten der Menschen, besonders dem etwas anzubieten, der Nichts nöthig hat: da man also glauben würde, daß ich meine Pfarrstelle nicht nöthig hätte, so würde man sie mir ohne allen Zweifel anbieten.

Demzufolge ließ ich einen Miethkutscher kommen, der mir ein Pferd, einen Korbwagen und einen Kutscher für die Summe von fünf Schillingen gab.

Für diese Summe sollte er mich noch zurückfahren, wenn ich am folgenden Tage zurückkehrte; aber die Summe sollte sich auf sieben Schillinge belaufen, wenn meine Rückkehr erst am Montage stattfände.

Um elf Uhr Morgens machten wir uns auf den Weg. Mein Wirth, der Kupferschmied, stand unter seiner Thür; er wünschte mir glückliche Reise, aber er enthielt sich, mir einen glücklichen Erfolg zu wünschen, dann sah ich ihn ein letztes Mal den Kopf schütteln und in seinen Laden zurückkehren.

Diese Beharrlichkeit der Meinung bei einem Manne, dessen gesunden Verstand ich kannte, fing an, mich zu erschüttern. Ich nahm meine Predigt aus der Tasche, befahl meinem Kutscher, den Sommerweg der Straße einzuschlagen, um seiner Carriole und mir so viel Stöße als möglich zu ersparen, und begann mein Meisterstück wieder durchzulesen.

Ich muß sagen, daß, je weiter ich auf meiner Reise kam, und je mehr ich mich in meine Predigt vertiefte, desto mehr war ich genöthigt, mir selbst zugestehen, daß ich mich ein wenig sehr von einer Laune des Witzes hatte fortreißen lassen, die mich wohl zu dem Paradoxen hätte führen können; aber da der paradoxe, obgleich unbestreitbar falsche Witz, wenn er gut behandelt ist, einer der glänzendsten Witze ist, und es außer Zweifel war, daß meine Predigt in dem Stoffe und in der Form wundervoll ausgearbeitet war, so fuhr ich fort, mir zu sagen, daß sie durch den Glanz, mit dem sie bekleidet war, verblenden würde, wenn sie nicht rührte.

Nach Verlauf von drei Stunden des Fahrens fing ich an, jene Zeichen zu erkennen, welche die Annäherung eines Dorfes andeuten. Von Zeit zu Zeit erhoben sich an dem Rande des Weges, wie über ein Armeecorps wachende Vorposten aufgestellt, kleine weiße Häuser zwischen zwei Gärten; – vorn, ein Garten für die Blumen, ein ganz blendender und ganz von Nelken, Rosen und Jasmin duftender Garten; hinten ein Garten für die Früchte, an deren Bäumen die neuen Früchte anfingen, sich zu bilden, welche der folgende Monat vergolden und reifen sollte; vor den Thüren dieser Häuser, – zwischen Hühnern, die ihre Küchlein führten, Hunden, die im Schatten umherlagen, und Katzen, die in der Sonne blinzelten – wälzten sich rosige, blonde und halb nackte schöne Kinder. Das ganze reizende Schauspiel der lachenden und fruchtbaren Natur öffnete mein Herz sanften und zärtlichen Gefühlen. Ich ertheilte im Vorüberfahren und im Geiste aus dem Innern der Carriole meinen Segen diesen Häusern, diesen Blumen, diesen Früchten, diesen Hühnern, diesen Hunden, diesen Katzen, diesen Kindern, dieser ganzen beseelten und lebendigen Natur, die nach sechstausend Jahren des Bestehens frisch und jung war, wie als ob der Schöpfer sie am Tage vorher aus seinen Händen hätte fallen lassen. Ich sagte mir: »O mein Gott! Du allein weißt in diesem Augenblicke, und ich werde es bald mit Dir wissen, wie viele glückliche oder unglückliche Wesen diese bescheidenen Hütten enthalten, die in Mitte von Blumen blühen, die in Mitte von Früchten wachsen; ich werde es wie Du wissen, denn wenn Du ihr Gott bist, so werde ich ihr Pastor sein, das heißt der von der Vorsehung zwischen sie und Dich, o mein Gott, gestellte Vermittler! Dann verspreche ich Dir, Herr, alle meine Sorgfalt, alle meinen Eifer, alle meinen Verstand darauf zu verwenden, den Einen zu zeigen, wie man das Glück verdient, den Andern, wie man den Schmerz erträgt. Hier, mein Gott? – wenn Deine Weisheit zuläßt, daß ich zu diesem heiligen Amte berufen werde, – hier werde ich die Hände mit den Händen und die Herzen mit den Herzen verbinden; hier werde ich die kleinen Kinder in dem Augenblicke empfangen, wo sie nackend und indem sie ihren ersten Schmerzesschrei ausstoßen, in das Leben eintreten; hier werde ich sie aus dem Schooße ihrer irdischen Mutter in den Schooß der Kirche, ihrer himmlischen Mutter, übergehen lassen; hier werde ich die Jugend unterrichten und sie lehren, Dich zu preisen, mein Gott! Hier werde ich dem Alter die Augen schließen und es lehren, Dich für das Gute wie für das Böse, für das Vergnügen wie für den Schmerz zu segnen!«

Und indem ich das sagte, wurde mein Herz von einer so außerordentlichen Rührung beklommen, daß Thränen aus meinen Augen flossen, und daß ich, indem ich die Arme gen Himmel erhob, meine Predigt aus meinen Händen fallen ließ.

– Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr, sagte der Kutscher zu mir, Sie verlieren Ihr Heft Papier.

Diese Worte riefen mich wieder zu dem Irdischen zurück, ohne mich indessen gänzlich aus meinem Entzücken zu erwecken; ich raffte meine Predigt wieder auf, und warf die Augen auf die ersten Zeilen . . .

O, mein lieber Petrus! wie ich, bevor ich auf die Hälfte der ersten Seite gekommen, der Meinung meines Wirthes, des Kupferschmieds war! Diese süßen Thränen, welche ich vergoß, fühlte ich in dem Maße in meinen Augen versiegen, als ich meine Prosa las; diese Begeisterung, welche mir das Herz klopfen ließ, fühlte ich in dem Maße in meiner Brust erlöschen, als ich in meiner Predigt weiter kam. Ich sah endlich diesen Text als das, was er war, das heißt, ein wahres Wortspiel; diese Form erschien mir in ihrer wahren Ansicht, das heißt falsch, schwülstig, erbärmlich! Ich versuchte weiterzugehen, es war mir unmöglich. Ich fragte mich, wie man dieser reichen Natur und dieser blühenden Menschheit gegenüber, Wirkung in Zusammensetzungen von Worten oder Spielen der Gedanken und des Witzes suchen könnte. Ich erröthete selbst über diese Treibhausberedtsamkeit, verglichen mit den einfachen, aber reinen Gedanken, welche mir die Gegenstände so eben eingeflößt, die ich vor Augen hatte. Ich rief aus: »O Ihr, die Ihr von mir das Wort des Herzens erwartet, beruhigt Euch, meine Brüder! ich werde Euch nicht das Gift des Verstandes bringen! Und wenn ich, morgen Euch gegenüber angekommen, Euch nur die Worte sagen sollte: »O meine Brüder! lobet den Herrn und liebt Euch unter einander!« nein, ich werde Euch nicht diese lügnerische und alberne Predigt halten, die mein Wirth, der Kupferschmied, dieser Arme an Geist, der so reich an Herz ist, so richtiger Weise verachtet hat.

Und da wir gerade in diesem Augenblicke die ersten Häuser des Dorfes erreichten, so zerriß ich meine Predigt, und indem ich die Stücke aus der Carriole warf, so fand ich ein Vergnügen daran zu sehen, wie der Wind sie verwehte und in die Vergessenheit fortführte.

IX.
Wie Witwe

Die Carriole hielt vor der Thür der Madame Snart. Bei dem Rollen der Räder erschien meine ehemalige Protectorin auf der Schwelle; sie war schwarz gekleidet, und ihre gerötheten Augen und ihre durchfurchten Wangen bezeugten das Vorüberkommen von Thränen, wie auf der Oberfläche der Erde nach einem Gewitter die ausgehöhlte Schlucht das Vorüberkommen eines Waldstromes anzeigt.

Und dennoch fühlte man unter diesem entstellten Gesichte ein ruhiges Herz und ein reines Gewissen. Sie lächelte mir traurig zu, und indem sie mich willkommen hieß, sagte sie zu mir:

– Herr Bemrode, ich erwartete Sie. Ich weiß, was Sie herführt, und wünsche, daß dieses Haus, in welchem ich Sie vor drei Monaten empfangen habe, und in welchem ich Sie heute empfange, das Ihrige wird.

Dieser Wunsch war mit so vieler Einfachheit und einer so sympathetischen Stimme ausgesprochen, daß kein Zweifel über seine Aufrichtigkeit zu erheben war.

Ich stieg aus und dankte ihr; dann, während der Kutscher das Pferd in den Stall führte und die Carriole unter den Schoppen schob, sagte sie zu mir:

– Kommen Sie, lieber Herr Bemrode; das erste Mal, wo Sie mir die Artigkeit erzeigt haben, zu uns zu kommen, war ich in meinem Hause, und Sie waren unser Gast; heute, wo Sie Aussichten zu haben scheinen, der Nachfolger meines armen Gatten zu werden, sind Sie in Ihrem Hause, und ich bin Ihre Dienerin … Kommen Sie, ich will Sie das Pfarrhaus in allen seinen Theilen sehen lassen.

Und auf der Stelle ließ sie mich, indem sie mir vorausging, den Hof überschreiten, den Garten besuchen, in die Keller hinunter, auf den Speicher hinauf gehen, und indem Sie mich in dieses Zimmer zurückführte, in welchem bei dem ersten Male, wo ich gekommen war, der würdige Herr Snart auf einem Kanapee lag, in der Erwartung des kalten und letzten Bettes im Grabe, sagte sie zu mir:

– Das ist Ihre zukünftige Wohnung, denn ich habe die Hoffnung, daß die Pfarre Ihnen gegeben werden wird, lieber Herr Bemrode. Ich habe in ihr fünfundzwanzig Jahre glücklich mit dem Manne gelebt, den der Herr zu sich gerufen hat, und mit dem er mich, wie ich hoffe, in seiner Barmherzigkeit bald wieder vereinigen wird . . .

– Fünfundzwanzig Jahre! rief ich aus; aber das ist ein ganzes Leben . . . Sagen Sie mir, wie schwer es Ihnen werden muß, ein so lange von Ihnen bewohntes Haus zu verlassen! . . .

– Indem er es zuerst verließ, lieber Herr Bemrode, hat der Mann, der hier fünfundzwanzig Jahre mit mir zugebracht hatte, das Signal zum Aufbruche gegeben. Sicher, wie ich bin, irgend eines Tages mich wieder mit ihm im Himmel zu vereinigen, liegt mir wenig an dem Orte, wo ich den Augenblick der Wiedervereinigung erwarten werde. . . Aber folgen Sie mir hierher, sagte sie zu mir, es bleibt Ihnen ein letztes Zimmer zu besuchen übrig.

Sie ging voraus, wie sie es bis dahin gethan hatte, und führte mich in ein Schlafzimmer.

– Sie sind jung, begann sie wieder, und im Alter, eine Gefährtin zu haben. Nehmen Sie diese Gefährtin, sittsam, liebend, von einem dem Ihrigen gleichen Stande; nehmen Sie dieselbe aus Liebe, wie Herr Snart mich genommen hat, und nicht aus Berechnung . . . und Ihre fünfundzwanzig Jahre der Wonne und der Glückseligkeit werden verfließen, wie die unsrigen verflossen sind.

Ich blickte diese würdige Frau mit einem mit Achtung gemischten Erstaunen an. – Fünfundzwanzig Jahre der Wonne und der Glückseligkeit! Niemals hat weder bei den Alten, noch bei den Neueren ein menschliches Wesen seinem Gott für fünfundzwanzig Jahre des Glückes danken können.

– Liebe Frau, fragte ich sie, sind Sie denn während fünfundzwanzig Jahren wahrhaft glücklich gewesen?. . . Hat während fünfundzwanzig Jahren – das heißt während einer längeren Dauer der Zeit, als die, welche ich bereits auf der Erde zugebracht habe – keine Betrübniß, kein Schmerz, keine Thräne diese Wonne und diese Glückseligkeit verfinstert, für welche Sie so eben Gott danken?

Indem ich mich nun nach diesen mit einer einfachen Papiertapete bedeckten Wänden kehrte, rief ich aus:

– O gesegnete Mauern! die ihr ein solches Wunder habt geschehen sehen, möchtet ihr eines Tages mein Haupt beschirmen können, wie ihr das dieser beiden Gatten beschirmt habt, und möchte ich späterhin sagen können, wie mir heute diese in Trauer gekleidete Wittwe sagt: »Habe Dank, mein Gott! für diese fünfundzwanzig Jahre des Glücks, ohne Störung und ohne Wolke, welche Du Deinem Diener bewilligt hast!«

Madame Snart lächelte, und indem sie schwermüthig den Kopf schüttelte, sagte sie zu mir:

– Lieber Herr Bemrode, es wäre nicht die Wahrheit, wenn Sie darunter verständen, daß diese lange Periode meines Lebens, wie Sie so eben sagten, ungestört und ungetrübt verflossen sei . . . Nur, da nach meiner Meinung das wahre Unglück in der Schuld und in der Sünde liegt, so sage ich, daß Gott uns gestattet hat, fünfundzwanzig Jahre in der Reinheit der Seele und der Heiterkeit des Gewissens zu leben . . . Ein Glück ohne Störung und ohne Wolke! O nein! im Gegentheil, und ich hoffe, daß meine Schmerzen mir angerechnet werden! . . . Nein! . . . Hier habe ich sehr gelitten; hier habe ich gar viele Thränen vergossen . . . und wenn das Herz bräche, lieber Herr Bemrode, hier würde mein Herz gebrochen sein; denn hier hat die Wittwe nicht allein ihren Gatten verloren, sondern die Mutter hat auch noch ihre Kinder sterben sehen! . . . Ich hatte drei Töchter, lieber Herr, drei Engel auf Erden, drei Engel im Himmel, jung, schön, rein! Der Thautropfen, welcher am Morgen an der Spitze des Weidenblattes zittert, war nicht klarer als ihr Blick; der blaue Maihimmel war nicht reiner als ihr Herz. Eines Tages kam eine Mutter mit ihrem kranken Kinde in ihren Armen, auf der Schwelle des Pfarrhauses, um Almosen zu bitten; die jüngste unserer drei Töchter drückte ein Geldstück in die fieberhafte Hand des Kindes; das Kind hatte die Blattern: meine Tochter brachte den Tod für sich und für ihre Schwestern zurück . . . Sehen Sie, dort . . . dort, Herr Bemrode, unter diesen Ringen, welche an der Decke die Vorhänge von drei Betten zurückhielten, dort war in fünf Tagen Alles vorbei . . . Ich war Mutter von drei Kindern; nach Verlauf von fünf Tagen war ich keine Mutter mehr. Drei kalte und gefühllose Leichen hatten nach einander meine geliebten Kinder ersetzt! Die letzte, welche starb, war die älteste; weit stärker, kämpfte sie länger . . . Sie war vor Kurzem fünfzehn Jahre alt geworden. Sie starb, indem sie zu mir sagte, »Sei ruhig, Mutter, ich sehe bereits im Himmel und sehe noch auf der Erde . . . Auf der Erde bist Du, welche weint, aber im Himmel sitzen meine beiden Schwestern zur Rechten Gottes und sie machen mir ein Zeichen, daß es neben ihnen einen Platz für mich giebt . . . Sei ruhig, meine Mutter, wir werden den Herrn für Dich und für unseren Vater bitten, und wir werden uns dort oben wiedersehen. Dort oben ist die wahre Heimath. Der Mensch ist nur ein Fremdling auf der Erde!« Und nach diesen Worten verschied das arme Kind oder schlief vielmehr ein, denn einen ganzen Tag lang wollte ich nicht glauben, daß sie gestorben wäre, indem ich bei ihr wachte und zu den Besuchenden sagte: » Geht leise! macht keinen Lärm« . . . so ruhig und lächelnd war ihr Gesicht geblieben! Endlich verließ sie als die Letzte dieses Zimmer, wie ihre beiden Schwestern es bereits verlassen hatten . . . Dieses Zimmer, das so viele Todte gesehen und so vieles Schluchzen gehört hat! Dieses Zimmer ist daher auch das einzige des ganzen Hauses, das ich bedauern werde.

– O, liebe Madame Snart, flüsterte ich leise; o, möge Gott mich beschützen, und ich verspreche Ihnen, daß Sie es nicht bedauern werden.

– Ja, fuhr sie fort, ohne mich zu verstehen, ja, ich werde es bedauern, denn dort in diesem Zimmer, an der Wand, sind nicht allein die drei Plätze, an welche ihre drei Betten, weiß wie jungfräuliche Schleier, gelehnt waren, sondern ich sehe auch noch durch das Fenster dieses Zimmers die Bäume, welche ihr Vater an dem Tage der Geburt einer jeden von ihnen gepflanzt hatte. . . Ach, armer Vater! als er sie pflanzte, hatte er nicht bedacht, daß die Trauerweiden Kirchhofsbäume, Schmuck der Gräber sind! Welcher Vater oder welche Mutter vermag in der That auch zu glauben, wenn er sein neugeborenes Kind umarmt, daß dieses Kind eines Tages sterben würde? . . . O doch, doch, Herr Bemrode! ich habe sehr gelitten, fuhr die arme Wittwe fort, indem sie in Schluchzen ausbrach; denn ich habe zugleich alles das gelitten, was eine Gattin, und alles das, was eine Mutter leiden können! . . . Jetzt stehe ich allein auf der Welt; Gott wird mich nach seinem Gefallen zu sich nehmen, ich erwarte seinen Willen . . .

Und sie erhob ihren Blick voller Glauben und Ergebung gen Himmel, indem sie wieder stumm wurde, während Thränen langsam über ihre Wangen rollten.

Ohne mir Rechenschaft von dem abzulegen, was ich empfand, fühlte ich meine Knie sich beugen, und ich befand mich in Anbetung neben dieser neuen Schmerzensmutter.

Ich ergriff eine ihrer Hände und küßte sie.

– Nein, sagte ich zu ihr, nein, Sie stehen nicht allein auf der Welt; nein, Sie haben nicht alle Ihre Kinder verloren! denn es bleibt Ihnen ein Sohn, ein Sohn, der Sie ehren und achten wird, meine Mutter, als ob er die Frucht Ihres Leibes und der Säugling ihrer Milch gewesen wäre. . . Nein, nein, Sie werden dieses Zimmer nicht verlassen; Gott wird mich begeistern, Gott wird mich beredtsam machen, Gott wird mir den Sieg verleihen, wäre es auch nur zu Gunsten Ihrer Verdienste, meine Mutter, wäre es auch nur, um Ihnen zu erlauben, nach Ihrer Reihe die Augen in diesem Zimmer zu schließen, in welchem alle die gestorben sind, die Sie liebten . . . Nein, Sie werden dieses Zimmer nicht verlassen, Sie werden jeden Abend Ihr dreifaches Gebet an der Stelle verrichten, welche die drei Betten einnahmen, und am Morgen werden Sie beim Erwachen durch das Fenster noch jene drei Weiden sehen, zu Bäumen der Trauer gewordene Bäume der Freude . . . Meine Mutter, möge das Haus mein sein, und das Haus wird Ihnen gehören, und ich werde immer nur Ihr Gast sein, wie an jenem Abend, wo ich, ohne zu wissen, was dieses Haus an Tugenden, Verdiensten und Schmerzen enthielte, gekommen bin, Sie um Gastfreundschaft zu bitten. Nur wenn das Unglück auch mich erreicht, wenn ich mein Herz brechen fühle, wenn Gott die Hand von mir zurückzieht, dann lassen Sie mich in dieses Zimmer kommen, meine Mutter, um mich dort leiden zu lehren, wo Sie so viel gelitten haben.

Sie blickte mich einen Augenblick lang erstaunt an, als ob sie nicht an das zu glauben vermochte, was ich ihr sagte; hierauf hob sie mich auf, ohne ein einziges Wort aussprechen zu können, und schlang schluchzend ihre Arme um meinen Hals. – Das Schluchzen gab ihr die Sprache wieder.

– Oh! mein Sohn! mein Sohn! sagte sie, sei tausend Mal gesegnet. Du suchtest eine Mutter, wie ich ein Kind suchte; Gott hat uns einander in die Arme geführt; was Gott thut, das ist wohlgethan . . . Mein Sohn, ich verlasse Dich nicht mehr. Hier bleibe ich bei Dir; anderswohin folge ich Dir, denn, mein geliebtes Kind, Du darfst Dir keine zu großen Hoffnungen machen: der Kampf wird schwer sein.

– Oh! sein Sie unbesorgt, meine Mutter, ich habe es Ihnen gesagt, Gott wird mich begeistern.

– Ja, rechnen Sie auf Gott, aber rechnen Sie nicht zu sehr auf sich . . . Erinnern Sie sich Ihres ersten Besuches in diesem Dorfe . . .

– Ich war ein Narr, ein Hochmüthiger: Gott hat mich bestraft; dann komme ich, wie Sie wissen, mit der Protection des Rectors.

– Enttäuschen Sie sich, im Gegentheile, rief die würdige Frau lebhaft aus . . . Sie werden sehen! Sie werden sehen! . . . Weil sein Neffe, ein Mensch von wenig Verdienst, sich um diese Pfarrstelle bewarb, hat er sie ihm nicht ohne Weiteres geben wollen, aus Furcht, der Parteilichkeit gegen die Seinigen beschuldigt zu werden … Er hat Sie hierher gesandt, Ihre Probepredigt zu halten, damit kein Anderer käme, der den Sieg über diesen Neffen davon trüge, und das wegen seiner Unwissenheit auf eine leichte Weise… während Sie…

Sie unterbrach sich erröthend.

– Endigen Sie, gute Mutter, sagte ich mit einem Lächeln zu ihr.

Dann, da sie fortfuhr zu schweigen, so sagte ich zu ihr:

– So sprechen Sie doch, gute Mutter… Sie wollen nicht?. . . Ich glaubte, daß eine Mutter kein Geheimniß für ihr Kind hätte; ich irrte mich: die meinige zögert, denn ihr Sohn ist ein Hochmüthiger. . . Wohlan! geliebte Mutter, um mich für diesen Hochmuth zu bestrafen, will ich Ihnen helfen. – Während ich, nicht wahr, noch weniger Verdienst habe, als dieser Neffe? . . .

– Er hat es geglaubt; er hat sich geirrt.

– Und Jedermann hat es glauben können, Sie zuerst, meine geliebte Mutter.

– O! er irrte sich . . . ich irrte mich gleichfalls . . . Wir irrten uns Alle, und das war erlaubt, mein armes Kind, fügte Madame Snart leise und in ihrem sanftesten Tone hinzu, denn die Predigt, die Sie gehalten haben…

– War sehr abscheulich, nicht wahr!… aber fürchten Sie nichts, es wird mit dieser da nicht eben so sein.

– Und über was predigen Sie am Sonntage, mein lieber Sohn?

– Ich weiß es noch nicht, meine Mutter.

– Wie! Ihre Predigt ist nicht gemacht?

– Sie war es . . . ich habe sie am Eingange des Dorfes zerrissen.

– Und warum das?

– Weil sie vielleicht noch weit schlechter war als die erste.

– Das ist viel, daß Sie das bemerkt haben, bevor Sie sie gehalten.

– Und dem wird von nun an mit allen meinen Predigten so sein, meine Mutter; denn, wenn ich sie mit meinem Verstande mache, den ich für falsch zu halten anfange, so werde ich sie mit meinem Herzen beurtheilen, welches, wie ich hoffe, rechtschaffen und gut ist.

– Wohlan! sagte sie, gehen Sie in Ihr Zimmer hinauf; es ist das, in welchem während fünf und zwanzig Jahren ein würdiger Pastor seine Predigten verfaßt hat. Es waren vielleicht keine Muster der Beredtsamkeit, aber es waren Ermahnungen zu einer Frömmigkeit, zu einer Mildthätigkeit, zu einer Bruderliebe, zu denen er das Beispiel gab. Die einfachen und guten Leute dieses Dorfes liebten ihn, weil sie ihn einfach und gut wie sie fanden. Streben Sie nicht danach, Besseres als er zu machen: es eben so gut zu machen wird für Ihr Glück und ihr Heil hinreichen.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
10 detsember 2019
Objętość:
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