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Die beiden Dianen

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»Der Herzog von Guise,« antwortete Gabriel, »ist bis jetzt der Vertraute und erhabene Genosse von Allem dem gewesen, was ich unternommen habe. Ich weiß, daß ich ohne ihn nichts gethan hätte, er weiß aber auch, daß er ohne mich nichts gethan hätte. Er, er allein kann und muß dem König bezeugen, welchen Antheil ich an dieser neuen Eroberung genommen. Ich habe um so mehr Grund von ihm diesen Akt der Gerechtigkeit zu erwarten, als er sich vor kurzem zum zweiten Male feierlich gegen mich anheischig gemacht hat, mir diese Zeugschaft zu leisten. Sogleich werde ich Herrn von Guise an sein Versprechen erinnern, von ihm einen Brief an Seine Majestät verlangen, sodann, da meine Gegenwart hier nicht mehr nothwendig ist, auf der Stelle nach Paris abreisen . . .«

Während Gabriel noch lebhaft sprach, und Diana, das Auge glänzend von Hoffnung, zuhörte, öffnete sich die Thüre und Jean Peuquoy erschien ganz bestürzt und entstellt.

»Nun! was gibt es?« fragte Gabriel unruhig, »geht es schlimmer mit Martin-Guerre?«

»Nein, Herr Vicomte,« antwortete Jean Peuquoy.«Durch meine Sorge in unser Haus gebracht, ist Martin-Guerre schon durch Meister Ambroise Paré untersucht worden. Obgleich die Amputation des Beines als nothwendig erachtet wird, glaubt doch Meister Paré versichern zu können, Euer muthiger Diener werde die Operation überleben.«

»Eine vortreffliche Kunde!« sprach Gabriel. »Ambroise Paré, ist ohne Zweifel noch bei ihm?«

»Gnädiger Herr,« erwiderte der Bürger traurig, »er ist genöthigt gewesen, ihn wegen eines anderen bedeutenderen, verzweifelteren Verwundeten zu verlassen.«

»Wer ist dies denn?« fragte Gabriel die Farbe wechselnd. »Der Marschall Strozzi? Herr von Nevers?«

»Der Herzog von Guise, der in diesem Augenblick stirbt,« antwortete Jean Peuquoy.

Gabriel und Diana stießen gleichzeitig einen Schrei des Schmerzes aus.

»Und ich sagte, wir berühren das Ziel unserer Leiden!« sprach nach kurzem Schweigen Frau von Castro. »Oh! mein Gott! mein Gott! mein Gott!«

»Ruft nicht Gott an, Madame,« sagte Gabriel mit einem schwermüthigen Lächeln. »Gott ist gerecht und straft mit Recht meine Selbstsucht. Ich hatte Calais nur meinem Vater und Euch zu Liebe genommen. Nach Gottes Willen hätte ich es nur für Frankreich nehmen sollen.«

XIII.
Der Balafré

Nichtsdestoweniger war noch nicht jede Hoffnung für Gabriel und Diana verloren, da der Herzog von Guise im Ganzen noch athmete. Die Unglücklichen hängen sich an die unsicherste Chance, wie die Schiffbrüchigen an irgend ein schwimmendes Brett. Der Vicomte d’Ermès verließ Diana, um selbst zu sehen, wie weit der Schlag ging, der sie in dem Augenblick getroffen, da das Unglück für sie von seiner Strenge nachzulassen schien.

Jean Peuquoy, der ihn begleitete, erzählte ihm unterwegs, was vorgefallen war.

Von den meuterischen Bürgern aufgefordert, sich vor der von Lord Wentworth festgestellten Stunde zu ergeben, schickte Lord Derby Parlamentäre zu dem Herzog von Guise, um über die Capitulation zu unterhandeln.

Der Kampf dauerte indessen, noch erbitterter in seinen letzten Anstrengungen durch den Zorn der Besiegten und die Ungeduld der Sieger, an mehreren Punkten fort.

Franz von Lothringen, ein eben so unerschütterlicher Soldat als geschickter General, zeigte sich an dem Ort, wo das Gefecht am heißesten und gefahrvollsten zu sein schien.

Dies war eine schon halb genommene Bresche, jenseits eines ganz gefüllten Grabens.

Zu Pferde und dem von allen Seiten gegen ihn gerichteteten Geschoß ausgesetzt, feuerte der Herzog von Guise ruhig die Seinigen durch das Beispiel und das Wort an.

Plötzlich erblickte er über der Bresche die weiße Fahne der Parlamentäre.

Ein stolzes Lächeln schwebte über sein edles Antlitz, denn dies war die entschiedene Einweihung seines Sieges, den er so auf sich zukommen sah.

»Haltet ein!« rief er mitten unter dem Getöse denjenigen, welche ihn umgaben, zu. »Calais ergibt sich. Nieder die Waffen!«

Er hob das Visir seines Helmes auf und trieb sein Pferd, die Augen auf diese Fahne, das Signal seines Triumphes und des Friedens, gerichtet, einige Schritte vorwärts.

Es fing an dunkel zu werden, und der Tumult hatte noch nicht aufgehört.

Ein englischer Krieger, der wahrscheinlich weder die Parlamentäre gesehen, noch den Ruf des Herzogs von Guise unter dem Lärmen gehört hatte, fiel dem Pferd in die Zügel und machte es zurückweichen, und als der Herzog in der Zerstreuung, ohne nur nach dem Hinderniß zu schauen, das ihn aushielt, seinem Pferde die Sporen gab, um weiter zu kommen, stieß ihm der Krieger seine Lanze in den Kopf.

»Man hat mir nicht sagen können,« fuhr Jean Peuquoy fort, »man hat mir nicht sagen können, an welcher Stelle des Gesichtes der Herr Herzog von Guise getroffen wurde, doch es unterliegt keinem Zweifel, die Wunde ist furchtbar. Das Holz der Lanze zerbrach und das Eisen blieb in der Wunde stecken. Ohne ein Wort zu sprechen fiel der Herzog, die Stirne vorwärts, auf den Sattelknopf. Es scheint, der Engländer der den unseligen Schlag geführt hatte, wurde von den wüthenden Franzosen in Stücke gehauen. Doch dies rettete Herrn von Guise nicht. Ach! man hat ihn als todt vom Platze getragen, und er ist seitdem noch nicht wieder zum Bewußtsein gekommen.«

»Somit gehört Calais nicht einmal uns?« fragte Gabriel.

»Oh! doch wohl,« antwortete Jean Peuquoy, »der Herr Herzog von Nevers hat die Parlamentäre empfangen, und als Gebieter die vorteilhaften Bedingungen auferlegt. Doch der Gewinn einer solchen Stadt wird Frankreich kaum für den Verlust eines solchen Helden entschädigen.«

»Mein Gott! Ihr betrachtet ihn schon als gestorben?« sagte Gabriel schauernd.

»Leider! leider!« war Alles, was der Weber den Kopf schüttelnd erwiderte.

»Und wohin führt Ihr mich? Ihr wißt also wohin man ihn gebracht hat.«

»In die Wachstube des neuen Schlosses, sagte zu Meister Ambroise Paré der Mann, der uns das Unselige meldete. Meister Paré lief sogleich dahin. Pierre zeigte ihm den Weg, und ich eilte zu Euch. um Euch zu benachrichtigen. Ich ahnte, daß dies für Euch von Wichtigkeit wäre, und daß Ihr unter diesen Umständen ohne Zweifel etwas zu thun hättet.«

»Ich habe nur zu verzweifeln wie die Anderen und mehr als die Anderen,« sprach der Vicomte d’Ermès. »Aber,« fügte er bei, »so viel die Nacht die Gegenstände zu unterscheiden erlaubt, däucht mir, wir nähern uns.«

»Hier ist in der That das neue Schloß,« sagte Jean Peuquoy.

Bürger und Soldaten, eine ungeheure, gedrängte, bewegte, murmelnde Masse belagerte die Zugänge der Wachtstube, wohin man den Herzog von Guise gebracht hatte. Die Fragen, die Vermuthungen und die Anmerkungen kreisten in den unruhigen Gruppen wie ein Windhauch zwischen den sonoren Zweigen eines Waldes.

Der Vicomte d’Ermès und Jean Peuquoy hatten große Mühe, durch diese ganze Menge zu dringen und bis zu den Stufen der Wachtstube zu gelangen, deren Zugänge eine Abtheilung Pikeniere und Hellebardiere besetzt hielt. Einige von ihnen hatten brennende Fackeln in den Händen, welche ihren röthlichen Schimmer auf die beweglichen Massen des Volkes warfen.

Gabriel zitterte, als er bei diesem unsicheren Lichte Ambroise Paré gewahrte, der düster, unbeweglich die Stirne gefaltet, unten an den Stufen stand und krampfhaft mit seinen gekreuzten Armen seine bewegte Brust preßte. Thränen des Schmerzes und der Entrüstung funkelten in seinem schönen Auge.

Hinter ihm stand Pierre Peuquoy eben so düster und eben so niedergeschlagen als er.

»Ihr hier; Meister Paré!« rief Gabriel. »Was macht Ihr denn da? Hat der Herr Herzog von Guise noch einen Lebenshauch, so ist Euer Platz an seiner Seite.«

»Ei, das müßt Ihr mir nicht sagen, Herr d’Ermès!« erwiderte lebhaft der Wundarzt, als er die Augen aufschlagend Gabriel erkannte. »Sagt es, wenn Ihr Ansehen bei ihnen habt, diesen einfältigen Wachen.«

»Wie! sie verweigern Euch den Eintritt« fragte Gabriel.

»Ohne etwas hören zu wollen,« sprach Ambroise Paré. »Oh! wenn man bedenkt, daß Gott ein so kostbares Dasein von so elenden Fatalitäten abhängen läßt!«

»Wir haben Anfangs gebeten,« sagte Pierre Peuquoy dazwischen tretend, »dann haben wir gedroht. Sie erwiderten unsere Bitten mit Gelächter, unsere Drohungen mit Stößen. Meister Ambroise Paré, der den Eingang erzwingen wollte, ist mit Gewalt zurückgestoßen und, glaube ich, von dem Schafte einer Hellebarde getroffen worden.«

»Das ist ganz einfach!« versetzte Ambroise Paré, mit Bitterkeit, »ich habe weder eine goldene Halskette, noch Sporen; ich besitze nichts als einen raschen Blick und eine sichere Hand.«

»Wartet,« sprach Gabriel, »ich werde Euch wohl Eintritt verschaffen.«

Er schritt auf die Stufen des Wachthauses zu. Aber ein Pikenier versperrte ihm, obgleich sich bei seinem Anblick verbeugend, den Weg.

»Verzeiht,« sagte er ehrfurchtsvoll, »wir haben Befehl erhalten, Niemand hineinzulassen, wer es auch sein mag.«

»Bursche!« versetzte Gabriel, der sich jedoch noch mäßigte, »ist Dein Befehl für den Vicomte d’Ermès, Kapitän bei den Leibwachen Seiner Majestät und Freund von Herrn von Guise? Wo ist Dein Chef, daß ich mit ihm sprechen kann?«

»Gnädiger Herr, er bewacht die innere Thüre,« antwortete demüthig der Pikenier.

»Ich gehe zu ihm,« sprach mit gebieterischem Tone der Vicomte d’Ermès. »Komm, Meister Paré, folgt mir.«

»Gnädiger, geht hinein, da Ihr es verlangt,« sagte der Soldat. »Aber dieser darf nicht vorbei.«

»Und warum?« fragte Gabriel. »Warum soll der Wundarzt nicht zum Verwundeten gehen?«

»Alle Chirurgen und Aerzte,« erwiderte der Piekenier, »wenigstens diejenigen, welche anerkannt und patentiert sind, hat man zu dem durchlauchtigen Herrn Herzog gerufen. Es fehlt nicht einer, wie man uns sagt.«

»Das ist es gerade, was mich erschreckt,« versetzte Ambroise Paré mit spöttischer Verachtung.

 

»Dieser hat kein Patent in der Tasche,« fuhr der Soldat fort. »Ich kenne ihn wohl . . . es ist wahr, er hat mehr als einen im Lager gerettet; doch er ist nicht für die Herzöge gemacht.«

»Nicht so viele Phrasen!« rief Gabriel, ungeduldig mit dem Fuße stampfend. »Ich will, daß Meister Paré mit mir eingelassen wird.«

»Unmöglich, Herr Vicomte.«

»Ich habe gesagt: »Ich will!« Bursche!«

»Bedenkt, daß mir der Befehl Euch ungehorsam zu sein gebietet.«

»Ah!« rief Ambroise Paré, mit schmerzlichen: Ausdruck, »der Herzog stirbt vielleicht während dieses lächerlichen Streites.«

Dieser Ruf würde jedes Bedenken von Gabriel beseitigt haben, hätte der ungestüme junge Mann in einem solchen Augenblick noch zögern können.

»Ihr wollt also durchaus, Euch als Engländer behandle?« rief er den Hellebardieren zu. »Desto schlimmer für Euch! das Leben von Herrn von Guise ist wohl zwanzig Existenzen wie die Eurige werth. Wir wollen sehen, ob es Eure Piken wagen, meinen Degen zu berühren.«

Seine Klinge flammte aus der Scheide gezogen wie ein Blitz, und Ambroise Paré nach sich ziehend, stieg er, den Degen hoch, die Stufen des Wachthauses hinauf.

Es lag so viel Drohung in seinem Blick und in seiner Haltung, es lag so viel Ruhe und Macht in dem Blick und der Haltung des Wundarztes, dann hatten die Person und der Wille eines Edelmanns in jener rohen Zeit eine solche Zaubergewalt, daß die Wachen unterwürfig auf die Seite traten und ihre Waffen senkten . . . weniger vor dem Eisen, als vor dem Namen des Vicomte d’Ermès.

»Ei! laßt sie!« rief eine Stimme im Volk. »Sie haben wahrhaftig das Aussehen, als wären sie von Gott gesandt, um den Herzog von Guise zu retten.«

Gabriel und Ambroise Paré gelangten ohne weiteren Widerstand vor die Thüre der Wachtstube.

In der engen Hausfluhr, die vor dem großen Saale kam, war noch der Lieutenant der Soldaten, welche außen Wache hielten, mit drei oder vier Mann. Doch ohne anzuhalten, sprach der Vicomte d’Ermès mit einer Stimme, welche keinen Widerspruch duldete: »Ich bringe dem Herrn Herzog einen neuen Wundarzt.«

Der Lieutenant verbeugte sich und ließ sie ohne Einwendung vorüber.

Gabriel und Ambroise Paré traten ein.

Die Aufmerksamkeit Aller war zu lebhaft und zu grausam anderweitig in Anspruch genommen, als daß man auf ihre Ankunft Acht gegeben hätte.

Das Schauspiel, welches sich ihnen bot, war in der That schrecklich, herzzerreißend.

Mitten im Saal lag der Herzog von Guise, auf einem Feldbett immer noch unbeweglich und bewußtlos, das Antlitz mit Blut übergossen, ausgestreckt.

Sein Gesicht war durch und durch zerrissen; das Eisen der Lanze, nachdem es die Wange unter dem rechten Auge durchbohrt hatte, war bis in das Genick unter dem linken Ohr gedrungen, und der zerbrochene Stumpf stand einen halben Fuß aus dem so zerschmetterten Kopf hervor. Die Wunde war furchtbar anzuschauen.

Bestürzt inmitten der allgemeinen Trostlosigkeit, waren um das Bett her zehn bis zwölf Aerzte und Wundärzte versammelt.

Aber sie handelten nicht, sie schauten nur und sprachen.

In dem Augenblick, wo Gabriel mit Ambroise Paré eintrat, sagte einer derselben mit lauter Stimme:

»Nachdem wir uns in Einklang gesetzt haben, sehen wir uns in der schmerzlichen Notwendigkeit, zuzugestehen, daß der Herzog von Guise tödtlich, ohne Hoffnung und ohne Rettungsmittel, getroffen ist; denn um eine Chance der Rettung zu haben, müßte man diesen Lanzenstumpf aus dem Kopfe ziehen, und ihn herausziehen hieße den gnädigsten Herrn sicher tödten.«

»Ihr wollt ihn also lieber sterben lassen!« rief kühn hinter den Zuschauern der ersten Reihe Ambroise Paré, der von fern mit einem Blick den in der That beinahe verzweifelten Zustand des erhabenen Verwundeten, beurtheilt hatte.

Der Wundarzt, welcher gesprochen, hob den Kopf empor, um seinen kecken Unterbrecher zu suchen, und als er ihn nicht sah, entgegnete er:

»Welcher Vermessene würde es wagen, seine Hände an dieses ehrwürdige Antlitz zu legen, wer würde sich der Gefahr bloßstellen, einem solchen Sterbenden den Rest zu geben?«

»Ich,« antwortete Ambroise Paré, die Stirne hoch, in den Kreis der Wundärzte tretend.

Und ohne sich weiter um seine Umgebung und um das Gemurmel des Erstaunens zu bekümmern, das seine Worte erregt hatten, beugte er sich über den Herzog, um seine Wunde mehr von Nahem zu betrachten.

»Ah! es ist Meister Ambroise Paré!« sagte mit Verachtung der Oberwundarzt, als er den Wahnsinnigen erkannte, der eine von der seinigen abweichende Ansicht auszusprechen wagte. »Meister Ambroise Paré vergißt, daß er nicht die Ehre hat, zur Zahl der Wundärzte des Herzogs von Guise zu gehören.«

»Sagt vielmehr, ich sei sein einziger Wundarzt, da ihn seine gewöhnlichen Wundärzte aufgeben,« entgegnete Ambroise Paré. »Uebrigens hatte der Herzog von Guise vor wenigen Tagen, als mir eine Operation unter seinen Augen gelang, die Gnade, zu mir zu sagen, und zwar sehr im Ernste, wenn auch nicht officiell, daß er fortan meine Dienste in Anspruch nehme. Der Herr Vicomte d’Ermès, der hier anwesend ist, kann es bezeugen.«

»Ich erkläre, daß dies die Wahrheit ist,« sprach Gabriel.

Ambroise Paré war schon wieder zu dem scheinbar entseelten Körper des Herzogs zurückgekehrt und untersuchte von Neuem die Wunde.

»Nun?« fragte der Oberwundarzt mit einem ironischen Lächeln, »besteht Ihr, nachdem Ihr die Sache geprüft habt, noch darauf das Eisen aus der Wunde ziehen zu wollen?«

»Nachdem ich geprüft habe, bestehe ich darauf,« erwiderte Ambroise Paré entschlossen.

»Und welcher wunderbaren Instrumente gedenkt Ihr Euch zu bedienen?«

»Meiner Hände.«

»Ich protestiere feierlich gegen die Entheiligung des Todeskampfes,« rief der wüthende Wundarzt.

»Und wir protestieren mit Euch,« riefen beipflichtend alle seine Collegen.

»Habt Ihr ein Mittel, den Prinzen zu retten?« fragte Ambroise Paré.

»Nein, die Sache ist unmöglich,« sagten Alle.

»Er ist also mir überlassen,« sprach Ambroise Paré, und streckte die Hand über dem Körper aus, als wollte er davon Besitz ergreifen.

»Und wir ziehen uns zurück,« versetzte der Oberwundarzt, der wirklich die Seinigen eine rückgängige Bewegung machen ließ.

»Aber was wollt Ihr denn thun?« fragte man Ambroise von allen Seiten.

»Der Herzog ist für alle todt,« antwortete er, »ich will handeln, als wenn er todt wäre.«

Bei diesen Worten legte er sein Wamms ab und schlug seine Aermel zurück.

»Solche Versuche an dem durchlauchtigen Herrn Herzog machen, tamquam in anima vivi!« sagte ein alter Wundarzt; dem dieses Verfahren ein Aergerniß bereitete.

»Ei!« entgegnete Amboise, ohne den Verwundeten mit den Augen zu verlassen, »ich will in der Tat nicht wie einen Menschen, nicht einmal wie eine niederträchtige Seele, sondern wie eine Sache behandeln. Schaut!«

Kühn setzte er den Fuß auf die Brust des Herzogs.«

Ein Gemurmel, gemischt aus Angst, Zweifel und Drohungen, durchlief die Versammlung.

»Nehmt Euch in Acht, Meister!« sagte Herr von Nevers, die Schulter von Ambroise Paré berührend.

»Nehmt Euch in Acht. Wenn es Euch mißlingt, stehe ich Euch nicht für den Zorn der Freunde und Diener des Herzogs.«

»Ah!« machte Ambroise Paré, mit einem traurigen Lächeln sich umwendend.

»Ihr wagt Euren Kopf!« sagte ein Anderer. Ambroise Paré schaute zum Himmel empor und sprach dann mit schwermüthigem Ernste:

»Es sei, ich werde meinen Kopf wagen und diesen zu retten suchen. Aber man lasse mich wenigstens in Ruhe,« fügte er mit einem stolzen Blick bei.

Alle traten mit einer gewissen Ehrfurcht vor der Herrschaft des Genies aus die Seite.

Man hörte in der feierlichen Stille nur noch keuchendes Athemholen.

Ambroise Paré setzte das linke Knie auf die Brust des Herzogs, faßte dann nur mit seinen Nägeln, wie er es gesagt hatte, den Lanzenstumpf und erschütterte ihn Anfangs sachte, und dann immer stärker.

Der Herzog bebte wie unter einem furchtbaren Schmerz.

Die Angst hatte über alle Stirnen der Anwesenden dieselbe Blässe verbreitet.

Ambroise Paré hielt selbst einen Augenblick wie erschrocken inne. Der Angstschweiß befeuchtete seine Stirne. Sogleich aber schritt er wieder zum Werk.

Nach einer Minute, welche länger währte, als eine Stunde, kam das Eisen endlich aus der Wunde.

Ambroise Paré warf es lebhaft fern von sich, und beugte sich rasch über die gähnende Wunde.

Als er sich wieder erhob, erleuchtete ein Blitz der Freude sein Antlitz. Bald aber wurde er wieder ernst; er fiel auf die Kniee,« faltete die Hände gegen Gott, und eine Thräne des Glückes floß langsam über seine Wange.

Dieser Augenblick war erhaben. Ohne daß der große Wundarzt sprach, begriff man, daß er eine Hoffnung hatte. Die Diener des Herzogs weinten heiße Thränen; Andere küßten hinten das Kleid von Ambroise Paré.

Aber man schwieg, man erwartete sein erstes Wort. Endlich sprach er mit ernstem, obgleich bewegten Ton:

»Ich stehe nun für das Leben des durchlauchtigsten Herrn Herzogs von Guise.«

* * *

Eine Stunde nachher hatte der Herzog von Guise in der That das Bewußtsein und die Sprache wieder erlangt.

Ambroise Paré verband vollends die Wunde und Gabriel stand an der Seite des Bettes, in das der Wundarzt seinen erhabenen Kunden hatte bringen lassen.

»Gabriel,« sagte der Herzog, »ich verdanke Euch also nicht nur die Einnahme von Calais, sondern auch das Leben, da Ihr, beinahe mit Gewalt, Meister Paré zu mir geführt habt.«

»Ja, gnädigster Herr,« sprach Amboise, »ohne Herrn d’Ermès ließen sie mich nicht einmal in Eure Nähe kommen.«

»Oh! meine zwei Retter« rief Franz von Lothringen.

»Sprecht nicht so viel, ich bitte Euch,« versetzte der Wundarzt.

»Gut, ich schweige, doch noch ein Wort, ein einziges Wort.«

»Was wollt Ihr, gnädigster Herr?«

»Glaubt Ihr, daß die Folgen dieser furchtbaren Wunde weder meiner Gesundheit, noch meinem Geiste nachtheilig sein werden?« fragte der Herzog.

»Ich bin dessen sicher, gnädigster Herr,« antwortete Amboise. »Doch es wird Euch eine Narbe, eine Balafré11 bleiben.«

»Eine Narbe!« rief der Herzog, »oh! das ist nichts, das schmückt eines Kriegers Antlitz, und der Beiname Balafré würde mir nicht übel gefallen.«

Man weiß, daß die Zeitgenossen und die Nachwelt der Ansicht des Herzogs von Guise gewesen sind, der fortan der Balafré von seinem Jahrhundert und von der Geschichte genannt wurde.

XIV.
Theilweise Entwickelung

Wir sind am 8. Januar, am Tage, nachdem Gabriel d’Ermès dem König von Frankreich seine schönste verlorene Stadt Calais, und seinen größten in Gefahr schwebenden Feldherrn, den Herzog von Guise, zurückgegeben hat.

Doch es handelt sich hier nicht mehr um diese Fragen, von denen die Zukunft der Nationen abhängt, es handelt sich ganz einfach um bürgerliche Interessen und Familienangelegenheiten. Von der Bresche vor Calais und von dem Schmerzenslager von Franz von Lothringen gehen wir in die untere Stube des Hauses der Peuquoy.

Hierhin, um Ermattung zu vermeiden, hatte Jean Peuquoy Martin-Guerre bringen lassen; hier hatte am Abend vorher Ambroise Paré mit seinem gewöhnlichen Glück an dem braven Stallmeister die für nöthig erachtete Amputation vorgenommen.

So war das, was bis jetzt noch Hoffnung gewesen, Gewißheit geworden; Martin-Guerre würde allerdings ein Krüppel bleiben, doch er würde leben.

Das Bedauern, oder besser gesagt, die Gewissensbisse von Pierre Peuquoy, als er von Jean die Wahrheit erfuhr, zu schildern wäre unmöglich. Dieses strenge, aber redliche Gemüth sollte sich nie einen so grausamen Mißgriff vergeben. Der rechtschaffene Waffenschmied beschwor jeden Augenblick Martin-Guerre, Alles, was er besaß, Arm und Herz, Gut und Leben, von ihm zu fordern oder anzunehmen.

Doch man weiß, daß Martin-Guerre nicht den Ausdruck dieser Reue abgewartet hatte, um Pierre Peuquoy zu verzeihen und, was noch mehr ist, sein Verfahren zu billigen.

Sie standen also aufs Beste mit einander, und man wird nun nicht mehr staunen. wenn man bei Martin-Guerre, der fortan zur Familie gehörte, einen häuslichen Rath dem ähnlich stattfinden sieht, welchem wir schon bei der Beschießung beigewohnt haben.

Der Vicomte d’Ermès, der an demselben Abend nach Paris abreiste, nahm auch an dieser Berathung Antheil, die im Ganzen weniger peinlich für seine muthigen Verbündeten von Risbank war, als die vorhergehende.

 

Die Wiederherstellung, welche die Ehre der Peuquoy zu verlangen hatte, konnte in der That fortan nicht mehr als unmöglich betrachtet werden. Der wahre Martin-Guerre war verheirathet, doch nichts bewies, daß, es der Verführer von Babette ebenfalls war. Man hatte nur den Schuldigen aufzufinden. Das Antlitz von Pierre Peuquoy drückte auch mehr Heiterkeit und Ruhe aus. Das von Jean war im Gegentheil ziemlich traurig, und Babette schien ihrerseits sehr niedergeschlagen.

Gabriel beobachtete Alle stillschweigend und Martin-Guerre war auf seinem Leidensbette ausgestreckt trostlos, daß er nichts Anderes für seine neuen Freunde thun konnte, als ihnen eine sehr schwankende und unsichere Auskunft über die Person seines Sosie zu geben.

Pierre und Jean Peuquoy kamen in diesem Augenblick von Herrn von Guise zurück. Der Herzog hatte nicht länger zögern wollen, den braven patriotischen Bürgern für den glorreichen und wirksamen Antheil zu danken, den sie an der Zurückgabe der Stadt genommen. Gabriel hatte sie aus sein ausdrückliches Verlangen zu ihm geführt.

Pierre Peuquoy erzählte ganz stolz und freudig Babette die Einzelheiten dieser Vorstellung.

»Ja, meine Schwester,« sagte er, »als Herr d’Ermès dem Herzog von Guise unsere Mitwirkung bei dem Allem in sicherlich zu schmeichelhaften und zu sehr übertriebenen Ausdrücken mitgetheilt hatte, ließ sich dieser große Mann herab, Jean und mir seine Zufriedenheit mit einem Wohlwollen und einer Güte auszudrücken, die ich meines Theils nie aus dem Gedächtniß verlieren werde, sollte ich auch hundert Jahre leben. Doch besonders freute und rührte es mich, als er beifügte, er wünsche seinerseits auch uns nützlich zu sein, und mich dann fragte, worin er uns dienen könnte. Du kennst mich, Babette, ich bin nicht eigennützig. Doch weißt Du, welchen Dienst ich mir von ihm zu erbitten gedenke?«

»In der That, nein, mein Bruder.«

»Nun wohl, meine Schwester, sobald wir denjenigen gefunden, welcher Dich so unwürdig getäuscht, und wir werden ihn finden, dessen sei sicher! bitte ich Herrn von Guise, mich mit seinem Ansehen zu unterstützen, daß Deine Ehre wiederhergestellt wird. Wir haben weder Macht, noch Reichthum durch uns selbst, und eine solche Unterstützung wird uns vielleicht nothwendig sein, um Gerechtigkeit zu erlangen.«

»Und wenn Euch sogar mit dieser Unterstützung die Gerechtigkeit entgeht, Vetter?« fragte Jean.

»Mit Hilfe dieses Armes würde mir wenigstens die Rache nicht entgehen,« erwiderte Pierre voll Energie. »Und dennoch,« fuhr er, die Stimme dämpfend und einen schüchternen Blick auf Martin-Guerre werfend, fort, »dennoch muß ich gestehen, daß es mir bis jetzt mit der Gewalt schlecht gelungen ist.«

Er schwieg und blieb eine Minute nachdenkend. Als er aus dieser träumerischen Zerstreuung wieder erwachte, sah er zu seinem Erstaunen, daß Babette weinte.

»Nun, was gibt es denn, Schwester?« fragte er.

»Ah! ich bin sehr unglücklich!« rief Babette schluchzend.

»Unglücklich! und warum? Die Zukunft erheitert sich, wie mir scheint.«

»Sie verdüstert sich,« erwiderte sie.

»Nein, Alles wird gut gehen, sei unbesorgt,« sprach Pierre Peuquoy. »Zwischen einer milden Genugthuung und einer furchtbaren Strafe vermöchte man nicht zu zögern. Dein Liebhaber wird zu Dir zurückkehren, Du wirst seine Frau sein . . .«

»Und wenn ich ihn als Gatten ausschlage?« rief Babette.

Jean Peuquoy konnte eine freudige Bewegung, welche Gabriel nicht entging, nicht zurückdrängen.

»Ihn ausschlagen?« versetzte Pierre im höchsten Maße erstaunt. »Aber Du liebtest ihn!«

»Ich liebte denjenigen, welcher litt, welcher mich zu lieben schien und mir Achtung und Zärtlichkeit bewies. Doch den, welcher mich hintergangen, belogen hat, welcher mich verläßt, denjenigen, welcher, um mein armes Herz in seine Falle zu locken, die Sprache, den Namen und vielleicht die Kleider eines Andern angenommen, ah! den hasse und verachte ich.«

»Doch wenn er Dich heirathen würde?« versetzte Pierre Peuquoy.

»Er würde mich heirathen,« erwiderte Babette, »weil er dazu gezwungen wäre, oder weil er auf die Gunst des Herzogs von Guise hoffte. Er würde mir seinen Namen aus Furcht oder aus Habgier geben. Nein! nein! nun will ich meinerseits nichts mehr von ihm! Mein guter Bruder, habe Mitleid,« rief Babette in Thränen zerfließend, »zwinge mich nicht, denjenigen zu heirathen, welchen Du selbst einen Elenden, einen Feigen nanntest.«

»Babette, denke an Deine ehrlose Stirne!«

»Lieber will ich einen Augenblick über meine Liebe, als mein ganzes Leben über meinen Gatten zu erröthen haben.«

»Babette, denke an Dein vaterloses Kind!«

»Ich glaube, es ist besser für dieses Kind, seinen Vater zu verlieren, der es hassen würde, als seine Mutter, die es anbeten wird. Heirathet sie diesen Menschen, so wird seine Mutter sicherlich vor Scham und Kummer sterben.«

»Babette, Du verschließest also Dein Ohr für meine Vorstellungen und Bitten?«

»Ich flehe Deine brüderliche Liebe und Dein Mitleid an.«

»Nun wohl,« sprach Pierte Peuquoy, »meine brüderliche Liebe und mein Mitleid werden Dir mit Schmerz, aber mit Festigkeit antworten. Da es vor Allem nothwendig ist, Babette, daß Du von Anderen und von Dir selbst geachtet lebst, da ich Dich lieber unglücklich, als entehrt sehen wollte, in Betracht, daß Du entehrt zweifach unglücklich wärest, so will ich, Dein Bruder, das Haupt Deiner Familie, ich will, Du verstehst mich wohl? daß Du, wenn er damit einstimmt, denjenigen heirathest, welcher Dich in’s Verderben gebracht hat und Dir allein wirklich die Ehre, die er Dir genommen, zurückgeben kann. Das Gesetz und die Religion bewaffnen mich Dir gegenüber mit einem Ansehen, von dem ich im Falle der Noth Gebrauch machen werde, das sage ich Dir zum Voraus, um Dich zu dem zu zwingen, was ich als Deine Pflicht gegen Gott, gegen Deine Familie, gegen Dein Kind und gegen Dich selbst halte.«

»Du verurtheilst mich zum Tod mein Bruder,« rief Babette mit bebender Stimme, »gut, ich füge mich, da dies mein Loos, meine Strafe ist, da Niemand für mich in’s Mittel tritt . . .«

So sprechend schaute sie Gabriel und Jean Peuquoy an, welche Beide schwiegen, dieser, weil er litt, jener, weil er beobachten wollte.

Doch bei dem unmittelbaren Anrufen von Babette vermochte Jean nicht an sich zu halten, und indem er sich an sie wandte, aber mit seinen Worten auf Pierre abzielte, sprach er mit einer ironischen Bitterkeit, welche jedoch nicht in seinem Charakter lag:

»Wer soll für Euch in das Mittel treten, Babette? Ist das, was Euer Bruder fordert, nicht völlig gerecht und weise? Ist seine Art, die Dinge anzusehen, nicht in der That bewunderungswürdig! Ihm liegt hauptsächlich die Ehre seiner Familie und die Deinige am Herzen, und was thut er, um diese Ehre zu beschützen? Er zwingt Dich, einen Betrüger zu heirathen. Das ist wunderbar! Es läßt sich nicht leugnen, ist dieser Elende einmal in die Familie eingetreten, so wird er sie ohne Zweifel durch sein Benehmen entehren. Es ist gewiß, daß der hier gegenwärtige Herr Vicomte d’Ermès nicht verfehlen wird, von ihm im Namen Von Martin-Guerre eine strenge Rechenschaft über eine schändliche Unterschiebung der Person zu fordern, was Euch, Babette, wohl als Frau eines abscheulichen Namensdiebes vor die Gerichte führen dürfte. Doch gleichviel! Ihr werdet ihm nicht minder unter dem gesetzlichsten Titel angehören, Euer Kind wird nicht minder der anerkannte, erwiesene Sohn des falschen Martin-Guerre sein. Ihr sterbt vielleicht vor Scham als seine Frau, doch Euer Ruf als Mädchen bleibt unbefleckt in den Augen Aller.«

Jean Peuquoy drückte sich mit einer Wärme und einer Entrüstung aus, welche selbst Babette in Erstaunen setzte.

»Ich erkenne Euch nicht mehr,« sagte Pierre voll Verwunderung. »Ihr sprecht so gemäßigt, so ruhig? . . .«

»Weil ich ruhig und gemäßigt bin,« erwiderte Jean, »weil ich die Lage besser durchschaue, in die Ihr uns heute unbedachtsam bringen wollt.«

»Glaubt Ihr denn,« erwiderte Pierre Peuquoy, »ich würde die Ehrlosigkeit leichter hinnehmen, als die Schande meiner Schwester? Nein, finden wir den Verführer von Babette, so hoffe ich, daß sein Betrug im Ganzen nur uns und Martin-Guerre Nachtheil gebracht hat, und in diesem Falle rechne ich auf die Ergebenheit des vortrefflichen Martin, daß er von einer Klage absteht, welche zugleich Unschuldige und den Schuldigen treffen würde.«

»Oh!« rief Martin-Guerre von seinem Bette aus, »ich habe kein rachgieriges Gemüth und will nicht den Tod des Sünders. Er bezahle Euch seine Schuld, und er ist quitt gegen mich.«

11Schmarre im Gesicht.