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Die beiden Dianen

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

XXVI.
Das Requisitorium eines Verbrechers gegen sich selbst

Man begreift, daß Arnauld du Thill in dieser Nacht wenig schlief. Er blieb, die Augen weit aufgesperrt auf seinem Strohlager ausgestreckt und beschäftigte sich damit, daß er den Werth seiner Chancen berechnete, seinen Plan ordnete und seine Mittel zusammenstellte.

Sein Vorhaben, noch ein letztes Mal die Stelle des armen Martin-Guerre einzunehmen, war allerdings verwegen, mußte aber gerade durch diese Verwegenheit gelingen.

Sollte sich Arnauld, wenn ihn der Zufall so wunderbar bediente, durch seine eigene Kühnheit verrathen lassen?

Nein, er hatte schnell seinen Entschluß gefaßt und gedachte bei zukünftigen Zwischenfällen und unvorhergesehenen Umständen je auf die entsprechende Weise zu Werke zu gehen.

Als es Tag war, betrachtete er seine Kleidung; er fand sie tadellos und war bemüht, den Gang, die Haltung und die Stellungen wieder zu nehmen, wie er sie einst bei Martin-Guerre studiert hatte. Die Nachahmung war vollkommen, wenn er nicht etwa die gutmüthige Miene seiner Sosie übertrieb. Es ist nicht zu leugnen, dieser elende Bursche wäre ein vortrefflicher Komödiant geworden.

Gegen acht Uhr Morgens drehte sich die Thüre seines Gefängnisses auf ihren Angeln.

Arnauld bewältigte ein Beben und gab sich ein gleichgültiges, ruhiges Aussehen.

Der Gefangenenwärter vom vorhergehenden Tage erschien wieder und führte den Grafen von Montgommery ein.

»Teufel! jetzt kommt die Krise!« sagte Arnauld du Thill zu sich selbst. »Halten wir fest!«

Er erwartete voll Angst das erste Wort, das aus dem Munde des Grafen ihm in’s Gesicht kommen sollte.

»Guten Morgen, mein armer Martin-Guerre,« sagte Gabriel.«

Arnauld du Thill athmete. Der Graf von Montgommery hatte ihm, als er ihn Martin nannte, wohl ins Gesicht geschaut. Das Quiproquo fing wieder an und Arnauld war gerettet.

»Guten Morgen, mein guter, theurer Herr,« sagte er zu Gabriel mit überschwänglicher Dankbarkeit, die nicht ganz geheuchelt war.

Er wagte es, beizufügen:

»Nun, was gibt es Neues, gnädiger Herr?«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Spruch diesen Morgen gefällt werden,« erwiderte Gabriel.

»Endlich. Gott sei gelobt!« rief Arnauld. »Ich muß gestehen, es drängt mich, die Sache einmal beendigt zu sehen. Und nicht wahr, gnädiger Herr, es ist nicht zu zweifeln, es ist nichts zu befürchten? das gute Recht wird siegen.«

»Ich hoffe es,« sprach Gabriel, indem er Arnauld noch fester anschaute. »Dieser schändliche Arnauld du Thill ist bei den verzweifelten Mitteln.«

»Wahrhaftig? Und was machinirt er denn noch?« fragte Arnauld.

»Solltest Du es glauben?« sagte Gabriel, »der Verräther versucht es noch einmal, die Quiproquo von früher zu wiederholen.«

»Ist es möglich!« rief Arnauld, die Arme zum Himmel erhebend. »Gerechter Gott! und wie dies?«

»Er ist so frech, zu behaupten, gestern nach der Gerichtsverhandlung haben sich die Wärter getäuscht, man habe ihn in das Gefängniß von Arnauld und Dich in das seinige geführt.«

»Kann das sein!« sprach Arnauld mit einer schönen Bewegung des Erstaunens und der Entrüstung? »Und worauf gründet der Unglückliche diese freche Behauptung?«

»Höre,« sagte Gabriel. »Er wurde eben so wenig als Du gestern sogleich in seinen Kerker geführt. Das Tribunal hätte während seiner Berathung den einen oder den andern noch einmal zu befragen sich veranlaßt sehen können; die Wächter ließen ihn also in der Hausflur, wie sie Dich im Hofe gelassen hatten. Er schwört nun, dies sei die Ursache des Irrthums, man habe sonst immer Arnauld in der Hausflur und ihn im Hofe gelassen. Die Gefangenenwärter haben sodann, als sie ihren Gefangenen geholt, seiner Behauptung nach natürlich den einen mit dem andern verwechselt. Was diese Wärter betrifft, so sind es dieselben, welche Euch Beide geführt haben und diese menschlichen Maschinen kennen nur den Gefangenen ohne die Person zu unterscheiden. Auf diese erbärmlichen Gründe stützt er sein neues Vorgehen. Und er weint, und er schreit, und er verlangt nach mir und will mich sehen.«

»Habt Ihr ihn wirklich gesehen, gnädiger Herr?« fragte Arnauld rasch.

»Meine Treue, nein,« antwortete Gabriel. »Ich habe bange vor seinen Ränken und Listen. Er wäre fähig, mich zu verführen und abermals zu täuschen, der Bursche ist so gescheit und so verwegen!«

»Ah! der gnädige Herr vertheidigt ihn nun,« versetzte Arnauld du Thill, Unzufriedenheit heuchelnd.

»Ich vertheidige ihn nicht, Martin! Doch gestehen wir, daß es ein an Mitteln reicher Kopf ist, und wenn er nur die Hälfte seiner Geschicklichkeit zum Guten angewendet hätte . . . .«

»Es ist ein Schändlicher!« rief Arnauld voll Heftigkeit.

»Wie Du ihn heute schmähst!« versetzte Gabriel. »Ich dachte, als ich hierherkam, ich muß es gestehen, im Ganzen habe er keines Menschen Tod verursacht; wenn er in einigen Stunden verurtheilt sei, so werde man ihn sicherlich, ehe acht Tage vergehen, aufhängen, die Todesstrafe sei, vielleicht zu hart, zu übermäßig für seine Verbrechen, und wir könnten, wenn Du wolltest, um Begnadigung für ihn bitten.«

»Um Begnadigung für ihn bitten!« wiederholte Arnauld etwas unentschlossen.

»Ja, ich weiß wohl, das fordert einige Ueberlegung,« sprach Gabriel. »Doch überlege es Dir, Martin, was sagst Du dazu?«

Das Kinn in der Hand und sich an der Wange kratzend, blieb Arnauld du Thill einige Sekunden nachdenkend und ohne zu antworten; endlich faßte er seinen Entschluß und sprach mit festem Tone:

»Nein! nein! keine Gnade! keine Gnade! das ist besser.«

»Oh! oh!« versetzte Gabriel, »ich wußte nicht, daß Du so unversöhnlich bist, und noch gestern beklagtest Du den Betrüger und hättest ihn gern gerettet.«

»Gestern! gestern!« erwiderte Arnauld, »gestern hatte er uns noch nicht diesen letzten Streich gespielt, der meiner Meinung nach noch viel abscheulicher ist, als alle andere.«

»Du hast Recht. Es ist also entschieden Deine Meinung, daß der Schuldige sterbe?«

»Mein Gott,« erwiderte Arnauld du Thill mit einer gottseligen Miene, »Ihr wißt, gnädiger Herr, in welchem Grade die Gewaltsamkeit, die Rathe und Bluturtheile meiner Natur widerstreben. Mein Inneres wird von Schmerzen zerrissen, daß ich mich gezwungen sehe, eine so grausame Nothwendigkeit hinzunehmen. Doch es ist eine Nothwendigkeit. Bedenkt, gnädiger Herr, daß mein Dasein, so lange dieser mir so ähnliche Mensch lebt, nicht ruhig sein kann. Der letzte freche Streich, den er in diesem Augenblick wagt, beweist uns, daß er unverbesserlich ist. Steckt man ihn ins Gefängniß, so wird er entweichen; verbannt man ihn, so wird er zurückkehren! und so müßte ich immer unruhig, gepeinigt leben, ich müßte unablässig bereit sein, ihn wiedererscheinen und abermals eine Störung in mein Leben bringen zu sehen. Meine Freunde, meine Frau werden nie sicher sein, daß sie es mit mir zu thun haben. Es wird beständig ein Mißtrauen obwalten. Man wird stets neue Conflicte, neue Streitigkeiten zu erwarten haben. Ich werde mich nie im Besitze meiner selbst nennen können. Ich muß also mit Schmerz, mit Verzweiflung, gnädiger Herr, meinem Charakter Zwang anthun! Allerdings werde ich den Rest meiner Tage traurig sein, weil ich den Tod eines Menschen verursacht habe, doch es muß geschehen! Der heutige Betrug hebt meine letzten Bedenken. Arnauld du Thill sterbe! ich füge mich darein.«

»Es sei, er wird sterben,«r sagte Gabriel, »nämlich er wird sterben, wenn man ihn verurtheilt. Denn im Ganzen ist der Spruch noch nicht gefällt.«

»Wie? die Sache ist nicht gewiß?« fragte Arnauld.

»Wahrscheinlich, ja; gewiß, nein;« antwortete Gabriel, »Dieser Teufel Arnauld hat gestern an die Richter eine so feine, so schlaue, so überzeugende Rede gehalten!«

»Ich doppelter Dummkopf, der ich war!« dachte Arnauld du Thill.

»Während Du, Martin,« fuhr Gabriel fort, »Du, der Du mir so eben mit großer Beredsamkeit und bewunderungswürdiger Sicherheit die Nothwendigkeit des Todes von Arnauld bewiesen hast, gestern, wie Du Dich erinnern wirst, nicht ein einziges Beweismittel, nicht eine einzige Thatsache für den Sieg der Wahrheit finden konntest. Du bist, so sehr ich in Dich drang, verlegen und beinahe stumm geblieben. Man hatte jedoch eingewilligt, Dich von den Vertheidigungsmitteln Deines Gegners zu unterrichten, Du aber wußtest nichts zu sagen, um sie zurückzuschieben.«

»Gnädiger Herr,« versetzte Arnauld, »in Eurer Gegenwart ist es mir behaglich, fühle ich mich wohl, während mich alle diese versammelten Richter einschüchtern. Dabei muß ich Euch gestehen, daß ich auf mein gutes Recht zählte. Es kam mir vor, als müßte das Gericht besser für mich plaidiren als ich selbst. Doch so darf man sich nicht vor diesen Rechtsgelehrten benehmen. Ich sehe es ein, sie wollen Worte haben. Ah! wenn sich dies wieder beginnen ließe und sie mich noch einmal hören wollten! . . .«

»Nun, was würdest Du thun, Martin?«

»Ei! ich würde mich ein wenig zusammenraffen und sprechen. Es ist nicht so schwer, alle Beweismittel und Behauptungen von diesem Arnauld du Thill auf nichts zurückzuführen.«

»Oh! es ist auch nicht so leicht!« entgegnete Gabriel.

»Verzeiht, gnädiger Herr, ich sah die Mängel seiner lügenhaften Behauptungen so klar, als er sie selbst sehen mußte, und wenn ich minder furchtsam gewesen wäre, wenn es mir nicht an Worten gefehlt hätte, so würde ich zu den Richtern gesagt haben . . .«

»Was würdest Du gesagt haben? Sprich.«

»Was ich gesagt hätte?« versetzte Arnauld, »das ist ganz einfach, gnädiger Herr, hört!«

Hiernach begann Arnauld du Thill seine Rede vom vorhergehenden Tage vom Anfang bis zum Ende zu widerlegen. Er entwirrte die Ereignisse und Täuschungen der doppelten Existenz von Martin-Guerre und Arnauld mit um so größerer Leichtigkeit als er sie mit eigener Hand verwirrt hatte. Der Graf von Montgommery hatte in dem Geiste der Richter einige Punkte dunkel gelassen, die er selbst sich nicht erklären konnte. Arnauld du Thill setzte sie ihm mit einer wunderbaren Klarheit auseinander. Er zeigte ihm endlich die zwei Lebensgänge des ehrlichen Mannes und des Schuftes so augenscheinlich getrennt und unterschieden in ihrer Verwirrung, als das mit Wasser vermischte Oel.

 

»Du hast also in Paris auch Erkundigungen eingezogen?« fragte Gabriel.

»Ganz gewiß, gnädiger Herr,« antwortete Arnauld, »und ich könnte im Falle der Noth Beweise für das liefern, was ich behaupte. Ich gerathe nicht leicht in Bewegung, doch wenn man mich bis in meine letzten Verschanzungen zurückdrängt, weiß ich kräftige Ausfälle zu machen.«

»Arnauld du Thill hat sich auf das Zeugnis von Herrn von Montmorency berufen, und Du antwortest nicht hierauf.«

»Sicherlich antworte ich darauf, gnädiger Herr. Dieser Arnauld du Thill ist allerdings im Dienste des Connétable gewesen, doch es war ein schmählicher Dienst. Er mußte etwas wie ein Spion sein, und gerade hieraus erklärt es sich, wie und warum er sich an Eure Person anhing, um Euch zu beobachten und zu folgen. Aber wenn man solche Leute auch gebraucht, so bekennt man sich doch nicht zu ihnen. Glaubt Ihr, Herr von Montmorency wolle die Verantwortlichkeit für die Handlungen seines Emissärs übernehmen? Nein! nein! in die Enge getrieben, würde es Arnauld du Thill nicht wagen, sich wirklich an den Connétable zu wenden, und wenn er es in der Verzweiflung auch thäte, müßte es nur zu seiner Schande ausfallen und Herr von Montmorency würde ihn verleugnen. Ich fasse also die Vorgänge und das Ergebniß kurz zusammen.«

In dieser klaren, logischen Zusammenfassung zerstörte Arnauld vollends Stück für Stück das betrügerische Gebäude, das er so geschickt am vorhergehenden Tag aufgebaut hatte.

Mit dieser Leichtigkeit in der Beweisführung und dieser Flüssigkeit im Ausdruck wäre Arnauld du Thill ein ausgezeichneter Advokat geworden . . . er hatte das Unglück, dreihundert Jahre zu früh auf die Welt zu kommen. Beklagen wir seinen Schatten!

»Ich hoffe, daß dies Alles unwiderlegbar ist,« sagte er zu Gabriel, als er geendigt hatte. »Wie schade, daß die Richter mich nicht mehr hören können oder daß sie mich nicht gehört haben.«

»Sie haben Dich gehört,« sagte Gabriel.

»Wie?«

»Schau.«

Die Thüre des Kerkers öffnete sich und Arnauld sah, ganz erstaunt und etwas erschrocken, unbeweglich und ernst auf der Schwelle den Präsidenten des Tribunals und zwei von den Richtern stehen.

»Was soll das bedeuten?« fragte Arnauld du Thill, indem er sich an Gabriel wandte.

»Das soll bedeuten,« antwortete Herr von Montgommery, »daß ich der Schüchternheit meines armen Martin-Guerre mißtraute, und daß ich wollte, seine Richter könnten, ohne daß er es wüßte, seine unwiderlegbare Vertheidigungsrede vernehmen, die sie nun auch so eben gehört haben.«

»Vortrefflich,« versetzte Arnauld du Thill wieder athmend. »Ich danke Euch tausendmal, gnädiger Herr.«

Dann wandte er sich an die Richter und sprach in einem Tone, den er furchtsam zu machen suchte:

»Darf ich glauben, darf ich hoffen, daß meine Rede wirklich das gute Recht meiner Sache für die erleuchteten Geister herausgestellt hat, die in diesem Augenblick Gebieter über mein Schicksal sind?«

»Ja,« sprach der Präsident des Tribunals, »die Beweise, die man uns geliefert, haben uns überzeugt.«

»Ah!« machte Arnauld du Thill triumphierend.

»Doch,« versetzte der Präsident, »andere, nicht minder sichere Beweise erlauben uns, zu bestätigen, daß gestern eine Verwechselung bei der Abführung der beiden Gefangenen stattgefunden hat; daß Martin-Guerre in Euer Gefängniß, Arnauld du Thill, geführt worden ist, und daß Ihr zu dieser Stunde das seinige inne habt.«

»Was? . . . Wie?« stammelte Arnauld wie vom Blitze getroffen. »Gnädiger Herr, was sagt Ihr hierzu?« sprach er, sich an Gabriel"wendend.

–»Ich sage, daß ich es wußte,« antwortete Gabriel mit strengem Ton. »Ich wiederhole Euch, Arnauld, ich wollte durch Euch selbst die Beweise der Unschuld von Martin und Eurer Schuld herausstellen lassen. Ihr habt mich zu einer Rolle, die mir widerstrebte, gezwungen, Unglücklicher! doch Eure Unverschämtheit machte mir begreiflich, daß man, wenn man sich in einen Kampf mit Eures Gleichen einlässt, Eure Waffen anwenden muß, und daß man die Betrüger nur durch den Betrug besiegen kann. Ihr habt mir indessen nichts zu thun übrig gelassen: Ihr habt Euch so sehr beeilt, Eure eigene Sache zu verrathen, daß Eure Feigheit ganz allein in die Falle gegangen ist.«

»In die Falle gegangen?« wiederholte Arnauld. »Man hat also eine Falle gestellt? Täuscht Euch indessen nicht, gnädiger Herr, es ist unleugbar Euer Martin, den Ihr in mir verlaßt!«

»Fahrt nicht länger fort, Arnauld du Thill,« entgegnete der Präsident. »Der Irrthum ist von dem Tribunal combinirt und befohlen worden. Ihr seid ohne die Möglichkeit eines Umschlags entlarvt, sage ich Euch.«

»Doch da Ihr zugesteht, daß ein Irrthum obgewaltet habe,« rief der unverschämte Arnauld, »wer gibt Euch die Versicherung, Herr Präsident, daß nicht auch ein Irrthum im Vollzug Eurer Befehle vorgefallen ist?«

»Das Zeugniß der Wachen und der Gefangenwärter,« antwortete der Präsident.

»Sie täuschen sich,« sagte Arnauld du Thill, »ich bin Martin-Guerre, der Stallmeisters von Herrn von Montgommery; ich werde mich nicht so verurtheilen lassen! Confrontirt mich mit Eurem andern Gefangenen, und wenn wir neben einander stehen, wählt, unterscheidet Arnauld du Thill von Martin-Guerre, den Schuldigen vom unschuldigen! Als ob nicht schon genug Verwirrung, in dieser ganzen Sache wäre, habt Ihr neue Verwirrung hinzugefügt. Euer Gewissen wird Euch hindern, Euch herauszuziehen. Bis zum Ende und trotz aller, werde ich rufen: »Ich bin Martin-Guerre!« Und ich fordere, wer es auch sein mag und wie es auch mag alle Welt heraus, mich Lügen zu strafen und mir zu widersprechen.«

Die Richter und Gabriel schüttelten den Kopf und lächelten ernst und traurig in Gegenwart dieser schamlosen Hartnäckigkeit.

»Ich wiederhole, Arnauld du Thill,« sprach der Präsident, »es ist keine Verwechselung zwischen Euch und Martin-Guerre mehr möglich.«

»Und warum?« sagte Arnauld, »woran erkennt man ihn? Welches Merkmal unterscheidet uns?«

»Ihr sollt es erfahren, Elender,« sprach Gabriel voll Entrüstung.

Er machte ein Zeichen, und Martin-Guerre erschien auf der Schwelle des Gefängnisses.

Martin-Guerre ohne Mantel! Martin-Guerre mit einem hölzernen Bein!

»Martin, mein braver Stallmeister,« sagte Gabriel zu Arnauld, »Martin, der in Noyon dem Galgen entkam, an den Ihr ihn hattet hängen lassen, ist bei Calais einer gerechten Rache nicht entgangen, welche einer Eurer Schändlichkeiten zugedacht war; er wurde in einen Abgrund gestürzt und man mußte ihm dieses Bein abnehmen, das wenigstens durch den geheimnißvollen Willen der Vorsehung, welche auch da noch, wo sie grausam zu sein scheint, gerecht ist, nun dazu dient, eine Verschiedenheit zwischen dem Verfolger und dem Opfer herauszustellen. Die hier gegenwärtigen Richter setzen sich nicht mehr der Gefahr aus, sich zu täuschen, und können fortan den Verbrecher an Unverschämtheit und den Unschuldigen an seiner Wunde erkennen.«

Bleich, niedergeschmettert unter dem furchtbaren Worte und dem vernichtenden Blicke von Gabriel, versuchte Arnauld du Thill nicht mehr, sich zu vertheidigen, zu leugnen: der Anblick des verstümmelten Martin-Guerre machte zum Voraus alle seine Lügen zunichte.

Er sank schwerfällig wie eine träge Masse zu Boden und murmelte:

»Ich bin verloren! ich bin verloren!«

Zwölftes bis sechzehntes Bändchen

I.
Gerechtigkeit!

Arnauld du Thill war wirklich verloren. Das Tribunal schritt sogleich zur Berathung, und nach Verlauf einer Viertelstunde wurde der Angeklagte vorgerufen, um folgenden Spruch zu hören, den wir wörtlich den Registern jener Zeit entnehmen:

Nach Erwägung des Verhörs von Arnauld du Thill, genannt Sancette, sich selbst nennend Martin-Guerre, Gefangenem in der Conciergerie von Rieux;

Nach Erwägung der Angaben von den verschiedenen Zeugen, von Martin-Guerre, von Bertrande de Rolles, von Carbon Barreau u.s.w. . . . und besonders der Angabe des Herrn Grafen von Montgommery;

Nach Erwägung der Geständnisse des Gefangenen selbst, welcher, nachdem er vergebens zu leugnen gesucht, am Ende sein Verbrechen selbst bekannte;

Aus welchen Verhören, Angaben und Geständnissen hervorgeht:

Daß der genannte Arnauld du Thill schuldig und überwiesen ist des Betrugs, der Fälschung, der Namens- und Vornamenssupposition, des Ehebruchs, des Raubes, des Diebstahls und anderer Vergehen;

Hat der Gerichtshof geurtheilt und verurtheilt den genannten Arnauld du Thill:

Erstens, ehrenhafte Buße zu thun vor der Kirche des Ortes Artigues auf den Knieen, im Hemd, barhaupt und mit bloßen Füßen, den Strang um den Hals und eine brennende Wachskerze in den Händen;

Sodann, öffentlich Gott, den König und das Gericht, sowie die Eheleute Martin-Guerre und Bertrande de Rolles um Verzeihung zu bitten;

Wonach der genannte Arnauld du Thill dem Scharfrichter übergeben werden soll, welcher ihn durch die Straßen und an den gewöhnlichen Orten von Artigues umhergehen lassen und, immer den Strang um den Hals, vor das Haus des genannten Martin-Guerre führen wird;

Schließlich soll genannte Arnauld du Thill an einen Galgen, der zu diesem Behufe zu errichten ist, gehenkt und erdrosselt und sein Körper hernach verbrannt werden;

Dabei hat der Gerichtshof den genannten Martin-Guerre und die genannte Bertrande de Rolles von jeder Procedur freigesprochen, und übergibt den genannten Arnauld du Thill dem Richter von Artigues, um gegenwärtigen Spruch nach Form und Inhalt in Vollzug zu bringen.

So gegeben im Gerichte zu Rieux, den zwölften Tag des Juni 1558 . . . . .

Arnauld hörte diesen Spruch, den er vorhergesehen, mit einer finstern Miene an. Er wiederholte jedoch seine Geständnisse, erkannte die Gerechtigkeit des Urtheils und offenbarte einige Reue.

»Ich flehe die Gnade Gottes und die Verzeihung der Menschen an und bin geneigt, mich meiner Strafe als Christ zu unterziehen,« sagte er.

Martin-Guerre, der bei der Gerichtssitzung gegenwärtig war, gab einen neuen Beweis von seiner Identität, indem er bei den vielleicht heuchlerischen Worten seines Feindes in Thränen zerfloß.«

Er überwand sogar seine gewöhnliche Schüchternheit und fragte den Präsidenten, ob es kein Mittel gebe; die Begnadigung von Arnauld du Thill zu erlangen, welchem er seines Theils von ganzem Herzen die Vergangenheit verzeihe.

Aber man antwortete dem guten Martin-Guerre, der König allein habe das Recht, zu begnadigen; bei einem so exceptionellen und so auffallenden Verbrechen aber würde er sicherlich die Gnade verweigern, wenn es, selbst das Gericht übernähme, ein Gesuch in dieser Hinsicht an ihn einzureichen.

»Ja,« murmelte Gabriel in seinem Geist, »ja, der König würde sich weigern zu begnadigen, und dennoch hätte er es für sich selbst so sehr nöthig, daß ihm Gnade gewährt würde! Doch er hätte Recht, wenn er unbeugsam bliebe; keine Gnade! nie Gnade! Gerechtigkeit!«

Martin-Guerre dachte ohne Zweifel nicht wie sein Herr; denn in dem Bedürfniß, das er fühlte, zu verzeihen, öffnete er sogleich der zerknirschten, reumüthigen Bertrande seine Arme.

Bertrande hatte nicht einmal nöthig, die Bitten und Versprechungen zu wiederholen, welche sie durch eine letzte, aber nützliche Täuschung an den Fälscher Arnauld du Thill, im Glauben, sie spreche mit ihrem Manne, gerichtet hatte. Martin-Guerre ließ ihr nicht Zeit, abermals ihre Irrthümer und Schwächen zu beklagen. Er schnitt ihr kurz das Wort mit einem kräftigen Kuß ab und führte sie triumphierend und freudig in das kleine glückliche Haus in Artigues, das er so lange nicht mehr gesehen hatte.

* * *

Vor eben demselben, Hause, das nun wieder in die Hände seines rechtmäßigen Eigenthümers übergegangen war, wurde an Arnauld du Thill acht Tage nach seiner Verurtheilung, dem Spruche gemäß die Strafe vollzogen, die seine Verbrechen so gut verdient hatten.

Von zwanzig Stunden in der Runde kam man herbei, um der Hinrichtung beizuwohnen, und die Straßen des armseligen Fleckens Artigues waren an diesem Tag volkreicher, als die der Hauptstadt.

Es ist nicht zu leugnen, der Schuldige zeigte einen gewissen Muth in seinen letzten Augenblicken, und krönte wenigstens durch ein musterhaftes Ende sein unwürdiges Dasein.

Als der Henker dem Gebrauche gemäß dreimal dem Volke zugerufen hatte: »Es ist Gerechtigkeit geschehen!« waren, während sich die Menge langsam, stillschweigend und voll Schrecken zurückzog, in dem Hause des Opfers ein Mann, der betete und eine Frau, welche weinte, Martin-Guerre und Bertrande de Rolles.

 
* * *

Die heimathliche Luft, der Anblick der Orte, wo er seine Jugend zugebracht, die Liebe der Verwandten und der alten Freunde, und besonders die Bemühungen von Bertrande de Rolles hatten in wenigen Tagen die Sorgen auf der Stirne von Martin-Guerre bis auf die Spur zerstreut.

Eines Abends, in demselben Monat Juli, saß er nach einem glücklichen ruhigen Tag vor seiner Thüre unter der Laube. Seine Frau war im Innern von einigen Haushaltungsgeschäften in Anspruch genommen. Doch Martin hörte sie hin- und hergehen, er war also nicht allein, und er betrachtete zu seiner Rechten die Sonne, welche in ihrem ganzen Glanze untergehend für den kommenden Morgen einen so heitern Tag versprach, als der abgelaufene gewesen war.

Martin-Guerre sah dem zu Folge einen Cavalier nicht, welcher von seiner Rechten kam und sich ihm geräuschlos näherte.

Dieser Cavalier blieb einen Augenblick stehen und betrachtete mit einem ernsten Lächeln die stumme, ruhige Beschauung von Martin.

Dann streckte er die Hand nach ihm aus und berührte seine Schulter, ohne etwas zu sagen.

Martin-Guerre wandte sich rasch um, fuhr mit der Hand an seine Mütze, stand auf und rief ganz erschüttert:

»Wie, Ihr seid es, gnädiger Herr? Verzeiht, ich hatte Euch nicht kommen sehen.«

»Entschuldige Dich nicht, mein braver Martin,« erwiderte Gabriel (denn er war es), »ich bin nicht gekommen, um Deine Ruhe zu stören, sondern um mich derselben zu versichern.«

»Oh! gut, da braucht mich der gnädige Herr nur anzuschauen,« sagte Martin.

»Das habe ich auch gethan, Martin,« erwiderte Gabriel. »Du bist also glücklich?«

»Oh! glücklicher als die Schwalbe in der Luft oder der Fisch im Wasser.«

»Das ist ganz einfach,« versetzte Gabriel, »Du hast in Deinem Hause vor Allem den Ueberfluß und die Ruhe gefunden.«

»Ja,« sprach Martin-Guerre, »das ist ohne Zweifel eine von den Ursachen meiner Zufriedenheit. Ich bin vielleicht genug in der Welt herumgelaufen, ich habe genug Schlachten gesehen, genug gemacht, genug gefastet, genug auf hunderterlei Art gelitten, um ein wenig berechtigt zu sein, ein paar Tage mit Vergnügen auszuruhen, nicht wahr, gnädiger Herr? Was den Ueberfluß betrifft,« fuhr er fort, indem er einen ernsteren Ton annahm, »so habe ich in der That das Haus reich und zu reich gefunden. Dieses Geld gehört nicht mir, und ich will es nicht berühren. Arnauld du Thill hat es gebracht und ich gedenke es denjenigen zurückzugeben, welche ein Recht darauf haben. Der erste und stärkere Theil davon kommt Euch zu, gnädiger Herr, denn er ist von Eurem Lösegeld in Calais unterschlagen. Die Summe ist bei Seite gelegt und bereit, an Euch zurückgegeben zu werden. Was das Uebrige betrifft, mag es Arnauld genommen oder, empfangen haben, gleichviel! diese Thaler müssen die Finger beschmutzen. Meister Carbon Barreau, der Ehrenmann, dachte wie ich, und da er zu leben hat, so schlägt er die unwürdige Erbschaft seines Neffen aus. Die Gerichtskosten sind bezahlt und es wird folglich den Armen der Gegend dieser Rest zukommen.«

»Aber da mußt Du nicht viel besitzen, mein armer Martin?«

»Verzeiht, gnädiger Herr,« antwortete der Stallmeister. »Man hat nicht so lange einem so großmüthigen Herrn, wie Ihr seid, gedient, ohne daß etwas übrig geblieben ist. Ich habe von Paris in meiner Tasche eine ziemlich beträchtliche Summe mitgebracht. Ueberdies besaß die Familie von Bertrande Vermögen und hat ihr einiges Erbgut hinterlassen. Kurz, wir werden die Wohlhabenderen der Gegend sein, wenn ich unsere Schulden bezahlt und unsere Wiedererstattungen gemacht habe.«

»Unter diesen Wiedererstattungen, Martin, wirst Du hoffentlich als von mir kommend nicht ausschlagen, was Du, wenn es von Arnauld käme, ausgeschlagen würdest. Ich bitte Dich, mein treuer Diener, zum Andenken und als Belohnung die Summe zu behalten, von der Du sagst, sie gehöre mir.«

»Wie, gnädiger Herr!« rief Martin-Guerre, »mir ein Geschenk von dieser Größe!«

»Stille!« erwiderte Gabriel, »glaubst Du, ich wolle Deine Ergebenheit bezahlen? werde ich nicht immer Dein Schuldner sein? Sei nicht stolz gegen mich, Martin, und sprich mir nicht mehr hiervon. Es ist abgemacht, daß Du das Wenige, was ich Dir biete, annimmst; in der That minder Dir zu Liebe, als mir zu Liebe; denn Du bedarfst wie Du gesagt hast, des Geldes nicht, um reich und geachtet in Deiner Heimath zu leben, und das ist es nicht, was Dein Glück bedeutend vermehren wird. Dein Glück, Du gibst Dir vielleicht nicht getreulich Rechenschaft davon, doch nicht wahr, es muß hauptsächlich in Deiner Rückkehr an die Orte bestehen, die Dich als Kind und als jungen Menschen gesehen haben?«

»Das ist wahr, gnädiger Herr. Ich fühle mich behaglich, seit dem ich hier bin, einzig und allein, weil ich hier bin. Ich betrachte mit Freude und Rührung Häuser, Bäume, Wege, die ein Fremder nicht einmal bemerken muß. Man athmet offenbar nur in der Luft gut, die man am ersten Tage seines Lebens eingeathmet hat!«

»Und Deine Freunde, Martin?« fragte Gabriel. »Ich komme, um mich selbst aller Gegenstände Deines Glückes zu versichern. Hast Du Deine Freunde wiedergefunden?«

»Ach! gnädiger Herr, einige waren gestorben,« sagte Martin, »doch ich habe noch eine gute Anzahl von Jugendgespielen getroffen, und Alle lieben mich wie in der Vergangenheit. Auch sie erkennen mit Freuden meine Aufrichtigkeit, mein freundschaftliches Benehmen, meine Ergebenheit. Bei Gott! sie schämen sich, daß sie mich mit Arnauld du Thill verwechseln konnten, der ihnen, wie es scheint, Proben eines von dem meinigen sehr verschiedenen Charakters gegeben hatte. Einige derselben hatten sich sogar mit dem falschen Martin-Guerre wegen seines schlimmen Benehmens entzweit. Man muß sehen, wie stolz und zufrieden diese sind! Kurz, sie wetteifern, mich mit Beweisen der Achtung und Zuneigung zu überhäufen, wahrscheinlich um die verlorene Zeit wieder einzubringen, und da wir gerade an den Gegenständen meiner Freude sind, gnädiger Herr, so muß ich Euch versichern, daß dieser ein gar süßer ist.«

»Ich glaube Dir, mein guter Martin, ich glaube Dir,« sprach Gabriel. »Doch unter den verschiedenen Zuneigungen, die Dich umgeben, erwähnst Du nicht der Deiner Frau?«

»Ah! meiner Frau?« versetzte Martin-Guerre, indem er sich mit verlegener Miene hinter dem Ohr kratzte.

»Allerdings, Deiner Frau,« sagte Gabriel unruhig. »Wie! plagt Dich Bertrande immer noch wie früher? Hat sich ihre Laune nicht gebessert? Ist sie immer noch undankbar gegen Deine Güte und gegen das Schicksal, das ihr einen so zärtlichen und so rechtschaffenen Mann gegeben hat? Wie! wird sie Dich abermals durch ihr zänkisches, streitsüchtiges Wesen zwingen, Deine Heimath und Deine theuren Gewohnheiten zu verlassen?«

»Ei! ganz im Gegentheil, gnädigster Herr,« sprach Martin-Guerre, »sie fesselt mich nur zu sehr an diese Gewohnheiten und an diese Gegend! Sie pflegt mich, sie schmeichelt mir, sie küßt mich. Keine Launen, keine Widerspänstigkeit mehr! Nun wohl, ja! sie ist von einer Sanftheit und von einem Gleichmuth, welche kein Ziel finden. Ich habe nicht sobald den Mund geöffnet, als sie forteilt. Sie erwartet meine Wünsche nicht, sie kommt ihnen zuvor. Das ist bewunderungswürdig! und da ich von Natur auch nicht herrschsüchtig und tyrannisch, sondern vielmehr leicht umgänglich und sanftmüthig bin, so führen wir ein wahres Honigleben und bilden die einträchtigste Ehe, die sich finden läßt.«

»Das gefällt mir!« sagte Gabriel, »Du hast mich Anfangs beinahe erschreckt.«

»Gnädiger Herr,« versetzte Martin, »es macht mich ein wenig verlegen, verwirrt, ich muß es sagen, wenn man diesen Gegenstand zur Sprache bringt. Das Gefühl, das ich in meinem Herzen finde, wenn ich mich darüber befrage, ist ziemlich seltsam und beschämt mich ein wenig. Doch nicht wahr, gegen Euch, gnädiger Herr, kann ich mich ganz aufrichtig und unumwunden ausdrücken?«

»Sicherlich,« antwortete Gabriel.