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Die Mohicaner von Paris

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Einen Augenblick früher in Kenntniß gesetzt, hätte sie ihn mündlich unterrichten können, denn er habe sie soeben im Sprachzimmer verlassen.

Da Herr Loredan von Valgeneuse in Versailles wohnte, oder vielmehr hier ein Absteigequartier hatte, so bedachte indessen Susanne, daß es Zeit genug, ihm nach dem Abgange von Mina zu schreiben.

Uebrigens kam in diesem Augenblick das Mädchen zurück und warf sich mit aller Kraft in die Arme seiner Freundin.

Inder Furcht. auch nur einen Anschein von einer Thräne im Augenwinkel von Mina glänzen zu sehen, verkündigte ihr Justin. sie könne, statt Abschied zu nehmen, ihrer Freundin auf Wiedersehen sagen: Fräulein Susanne und Madame Desmarets, das war der Name der Vorsteherin der Pension. – werden ihnen die Ehre erweisen, den andern Tag mit ihnen zuzubringen.

Von da an hatten die Augen von Mina nicht einmal mehr nötig, abgewischt zu werden: sie trockneten sich von selbst; sie sprang vor Freude, umarmte Susanne, umarmte Madame Desmarets.

Dann wandte sie sich gegen die geliebte Familie um und rief:

»Hier bin ich . . . ich bin bereit.«

Man sagte sich zum letzten Male aus Wiedersehen; Madame Desmarets und Susanne versprachen, pünktlich zu sein; die fünf Reisenden stiegen in den Wagen und schlugen wieder den Weg nach Paris ein, während Susanne in ihr Zimmer zurückkehrte und an ihren Bruder schrieb:

»Hinter Dir ist die Familie angekommen; sie nimmt Mina mit. Ich glaube, daß morgen etwas Außerordentliches in der Rue Saint-Jacques vorgehen wird. Wir sind eingeladen, Madame Desmarets und ich, den Tag bei ihnen zuzubringen; willst Du Dich über die Ereignisse auf dem Laufenden erhalten, so richte es so ein, daß Du Madame und mich in Deiner Caleche fährst.

»Deine Schwester die Dich liebt.
»S. von V.«

XXVII
Der Heirathsantrag

Wie es Justin gehofft, verließ seine theure kleine Mina die Pension und sollte nach Hause zurückkehren, ohne daß der Schatten eines Bedauerns über ihre Stirne zu ziehen das Recht hatte.

Sie war weht ein wenig besorgt, wie ihre aristokratische Freundin den Steig des Faubourg Saint-Jacques, den Hof des Apothekers, den finsteren Eingang der Wohnung und alle diese Mahle, wenn nicht des Elends. doch wenigstens der Armuth, ansehen würde, die sie nur bemerkte, indem sie dachte, eine Andere könnte sie bemerken.

Mina war indessen besorgt, aber sie schämte sich nicht: sie hätte diese armselige Wohnung mit Freunden nicht gegen einen Palast mit Fremden vertauscht; über dies glaubte sie ihrer Susanne so sicher zu sein, wie ihrer selbst und sie sagte sich, in welchem Stande sie eine Freundin hätte, und so gering auch dieser Stand sein möchte, sie würde sich immer erfreut und geehrt fühlen, von ihr empfangen zu werden.

Die Reise schien Jedermann kurz, besonders aber Mina, welche nicht einmal bemerkte, daß es eine Reise war; ihre Hand in der von Justin, den Kopf bald in die Ecke des Wagens zurückgelehnt, bald auf die Schulter des jungen Mannes gestützt, machte sie einen von den goldenen Träumen, wie man sie nur von fünfzehn bis achtzehn Jahren macht.

Wie groß auch die Neugierde der Einwohner der Vorstadt war, sie hatte nicht gegen eine so weit vorgerückte Stunde Stand halten können: von sieben Uhr an war Jeder, je nach seiner mehr oder minder großen Beharrlichkeit, in sein Hans zurückgekehrt, und die letzte Thüre hatte sich hinter dem letzten Nachbar geschlossen. – dessen Rückzug die Straße völlig verödet ließ, wie sie das Schließen seiner Thüre finster lassen sollte, – als man das ungewohnte Geräusch des Rollens von einem Wagen hörte, der vor der Thüre des Apothekers anhielt.

Der Apotheker, welcher noch nicht zu Bette gegangen war, – weniger, um gewissenhaft den Auftrag von Herrn Müller zu erfüllen, als um den Pflichten seines Gewerbes zu gehorchen. – der Apotheker, sagen wir, hatte kaum gehört, daß der Wagen anhielt, als er die Thüre wieder öffnete und, seine Nachbarn erkennend, den Schlüssel Herrn Müller mit der Bemerkung übergab, der Priester, den er erwarte, habe sich nicht gezeigt.

»Welcher Priester?« fragte das Mädchen.

»Ein mir befreundeter Priester,« antwortete Herr Müller, der vielleicht zum ersten Male, jedoch entschuldigt durch die Absicht, log.

Der brave Mann log aus einem guten Beweggründe.

Man schickte den Fiacre weg, und während ihn Herr Müller bezahlte, flüsterte er ihm ein paar Worte zu, welche keine andere waren, als die:

»Seien Sie morgen Vormittag auf den Schlag zehn Uhr hier.«

»Man wird da sein, Herr,« antwortete der Fiacre.

»Sie bestellen den Fiacre, lieber Papa Müller?« fragte Mina.

»Ja, mein Kind; ich habe Euch morgen eine kleine Spazierfahrt machen zu lassen.«

»Du bist dabei, Bruder Justin?« fragte Mina.

»Ich glaube wohl!« erwiderte Justin.

»Oh! dann, welch ein Glück!« rief Mina.

Und sie hüpfte in das Haus hinein, und sagte guten Morgen jedem Geräthe der Wohnung der Rue Sainte-Jacques, wie sie Lebewohl jedem Geräthe des Pensionats von Versailles gesagt hatte.

Man legte sich erst um Mitternacht zu Bette und, ganz außerordentlicher Weise! blieb Madame Corby bis zu dieser Stunde auf, was, so lange Mina und sogar Müller sich erinnern konnten, nie geschehen war.

Um Mitternacht trennte man sich.

Justin, gab dem Mädchen seinen letzten väterlichen Kuß auf die Stirne; der Kuß am anderen Tage sollte ein Gattenkuß sein.

Müller wünschte Jedermann gute Nacht; er hatte nicht die geringste Lust, sich zu entfernen, und er behauptete, wenn Geiger da wären, würde er mit Schwester Céleste tanzen.

Die arme Schwester Céleste! sie lächelte traurig: sie hatte nie getanzt.

Die zwei Männer gingen in das Zimmer von Justin hinab und plauderten hier noch eine Stunde.

Dann entfernte sich Müller.

Justin nahm sein Violoncell aus seinem Kasten, schloß es zwischen seine Knien und spielte, mit seinem Bogen zwei Zoll über den Saiten streichend, in Gedanken eines der heitersten Motive von Il Matrimonio segreto, das er mit den übertriebensten Phantasien schmückte.

Um drei Uhr entschloß er sich endlich, zu Bette zu gehen, doch er war zu glücklich und folglich zu sehr aufgeregt, um ernstlich zu schlafen; überdies hätte er, ernstlich schlafend, das Gefühl seines Glückes verloren.

Man hätte glauben sollen, er entschlafe nur in der Hand haltend, was ihn zum Erwachen zurückführen wie der Taucher das Seil hält, das ihn, wenn er in der Tiefe des Wassers erstickt, an die Oberfläche des Meeres zurückbringen soll.

Um sechs Uhr war er aus den Beinen.

Er begriff die Langsamkeit der Zeit nicht; die Pendeluhr ging zu spät, die große Feder der Sonne war zerbrochen, der Tag würde nie kommen!

Der Tag kam um halb acht Uhr, wie er im Hofe kam; es war hier in Wahrheit nie er, sondern nur ein Namensleiher.

Justin ging zur Hausthüre, um hinauszuschauen.

Was wollte er dort sehen?

Er wußte es selbst nicht; es gibt.Augenblicke, wo man die Thüre öffnet, als ob man Jemand erwartete.

Er erwartete das Glück.

Das Glück, das so selten kommt, wenn man ihm die Thüre zum Voraus öffnet!

Es waren schon Buden offen; es waren schon Nachbarn auf der Schwelle ihrer Hausthüre.

Mehrere Personen machten Justin Zeichen.

Der Bäcker gegenüber, ein dicker Handwerksmann mit mehligem Gesichte und prallem Bauche, rief ihm zu:

»He! es ist also heute, Nachbar?«

Justin ging wieder hinein und schritt zu seiner Toilette. Sie sollte ihm eine Stunde nehmen.

Er hatte lackierte Schuhe, durchbrochene seidene Strümpfe, einen schwarzen Frack und schwarze Beinkleider, eine weiße Weste und eine weiße Halsbinde.

Er glättete seine schönen blonden Haare, welche auf seinen Hals herabfielen und ihm nach der Behauptung von Müller, das deutsche Aussehen gaben, das so sehr dem alten Professor gefiel, weil es seinen Zögling Weber ähnlich machte.

Gegen acht Uhr hörte er Geräusch über seinem Kopfe.

Es waren die zwei Mädchen, welche aufstanden.

Wenn wir sagen die zwei Mädchen, so nehmen wir die Mitte des Alters von Mina und von Céleste.

Mina zählte sechzehn Jahre, Céleste sechsundzwanzig.

Das war eine Mitte von einundzwanzig Jahren.

Nachdem Mina erwacht, sollten die ihr für diesen feierlichen Tag vorbehaltenen Ueberraschungen beginnen.

Während das Mädchen seine erste Toilette machte, ging Schwester Céleste hinaus und holte aus dem Zimmer des zukünftigen Ehepaars den ganzen weißen Putz mit Ausnahme des Kranzes von Orangentblüthen.

Plötzlich, als sie sich umwandte sah Mina auf ihrem Bette ausgebreitet den Unterrock von weißem Taffet, das Mousselinkleid mit Spitzen und die seidenen Strümpfe.

Am Fuße des Bettes standen weiße Atlaßschuhe.

Mina schaute alle diese Gegenstände mit Erstaunen an.«

»Für wen das?« fragte sie.

»Ei, für Dich, Schwesterchen.«

»Sammle ich zufällig heute Almosen?« sagte Mina lächelnd.

»Nein, Du bist bei der Hochzeit.«

Mina schaute Schwester Céleste ganz verwundert an.

»Wer heirathet denn?« fragte sie.

»Das ist ein Geheimnis!«

»Ein Geheimnis?«

»Ja.«

»Ah! sage es mir!« verfehle das Kind. mit seinen hübschen Händen die Wangen der alten Jungfer streichelnd.

»Du wirst das Justin fragen,« erwiderte diese.

»Oh! Justin!« rief Mina, »wie lange habe ich ihn nicht gesehen! Wo ist er denn?«

»Er wartet, bis Du angekleidet bist.«

»Ah! dann will ich mich rasch ankleiden.«

Und von Céleste unterstützt, kleidete sich Mina in einem Nu an.

Was in der Regel am meisten Zeit bei der Toilette der Frauen braucht, ist der Kopfputz.

Doch ihre Haare kräuselten sich von Natur.

 

Ein Kammstrich genügte, um sie in dicken Locken um ihre Finger zu rollen.

Fünf bis sechs Locken fielen so auf jeder Seite ihrer Wangen herab, rollten auf ihre Schultern, verloren sich in ihrer Brust und Alles war geschehen.

»Nun bin ich angekleidet, Schwester Céleste,« sagte Mina. »Wo ist Justin?«

»Komm!« erwiderte Céleste.

Um aus der kleinen Wohnung wegzugehen, mußte man das Zimmer von Madame Corby durchschreiten.

Die Blinde erkannte den Tritt von Mina.

Madame Corby, während sie Mina küßte, griff mit der Hand nach ihrem Kopfe; es war, als suchte sie Etwas

Dieses Etwas fehlte.

»Sie hat Justin noch nicht gesehen?« fragte die Mutter.

»Nein, Justin erwartet sie.«

»So gehe,« sprach Madame Corby; »es gibt Augenblicke, wo einem das Warten so lange dünkt.«

Schwester Céleste öffnete die Thüre; Mina wollte hinabgehen.

»Nein,« sagte Schwester Céleste, »hier!«

»Sie öffnete die Thüre gegenüber.«

Es war die des von uns geschilderten hübschen Brautgemachs.

Justin stand mitten im Zimmer und hielt in der Hand, was dem Putze von Mina fehlte, was Madame Corby auf der Stirne der Waise gesucht hatte: den Orangenblüthenkranz.

Mina begriff Alles.

Sie gab einen Freudenschrei von sich, erbleichte und streckte die Hände aus als wollte sie eine Stütze suchen.

Die Stütze war da.

Justin machte nur einen Sprung und empfing, sie in seinen Armen.

Sodann, während er seine Lippen auf die von Mina drückte, setzte er ihr den Orangenblüthenkranz auf die Stirne.

So, in einem kleinen erstickten Schrei, warb Justin um die Hand von Mina, und antwortete Mina, sie willige ein, Justin zu heirathen.

Fünf Minuten nachher war Mina zu den Füßen von Madame Corby, welche, nachdem sie den Kopf des Kindes betastet und das, was sie zehn Minuten vorher vergebens gesucht, darauf gefunden hatte, ihre zitternde Hand emporhob und sprach:

»Im Namen alles Glückes, das ich Dir verdanke, segne ich Dich, mein Kind!«

In diesem Augenblick erschienen drei Personen an der Thüre.

Das waren einmal Madame Desmarets und Susanne von Valgeneuse; sodann, hinter diesen Damen, erblickte man den Kopf des Professors, der sich auf den Fußspitzen erhob, um zu sehen, wie die Sache stand.

Plötzlich fühlte sich der gute Professor um den Leib gefaßt, beinahe erstickt.

Es war Justin, der ihn umarmte.

»Nun?« fragte der brave Mann.

»Sie liebt mich!« rief Justin

»Als Schwester!« sagte Müller lachend.

»Als Schwester, als Braut, als Frau, als Gattin!

Sie liebt mich, theurer Herr Müller! oh! ich bin der Glücklichste der Menschen!«

Justin hatte Recht. in diesem Augenblick berührte er jenen Culminationspunkt, welchen zu erreichen so wenig Menschen gestattet ist.

Er berührte den Gipfel des Glücks.

Es bahnte sich indessen ein kleiner Groom, bekleidet mit einem schwarzen Rock und einer weißen Hose, Umschlagstiefel an den Beinen und einen Hut mit Borte und schwarzer Cocarde auf dem Kopfe, einen Weg zwischen den Personen dieser Scene durch und kam bis zu Susanne von Valgeneuse, der er ein zusammengerolltes Papierchen und einen Bleistift überreichte.

»Von Herrn Loredan,« sagte englisch der Groom; »er bittet um Antwort.«

Susanne entrollte das Papierchen und sah nichts als ein ungeheures Fragezeichen.

Sie begriff und schrieb unter dieses Fragezeichen folgende paar Zeilen:

»Mina heirathet! Sie nimmt ihren großen Einfaltspinsel von einem Schulmeister zum Manne.

»Bezahle Deiner Liebe den Lohn und gib ihr den Abschied . . . mit dem Vorbehalte, sie später wieder in Deinen Dienst zu nehmen.

»S. von V.«

»Hier Dick. Bring dies Deinem Herrn,« sagte sie;«es ist die Antwort.«

Justin hatte Alles gesehen, doch ohne Etwas zu errathen.

Es durchzog indessen eine Art von Ahnung einen unbekannten Unglücks wie ein Schauer seine Adern.

Er ging ans Fenster um zu schauen, wem dieses Billet übergeben würde.

Ein schöner, eleganter junger Mann wartete vor der Thüre in einer Caleche.

Das war ohne Zweifel Herr Loredan von Valgeneuse.

Als er den Tritt des Groom hörte, wandte er sich um; Justin konnte sein Gefecht sehen.

Es war derselbe junge Mann, der am Fronleichnamsfeste Mina auf eine so seltsame Weise angeschaut hatte, daß der Schulmeister die erste Schlange der Eifersucht in sein Herz beißen gefühlt.

Der kleine Groom übergab das Billet dem jungen Manne; er las es und winkte ihm, wieder seinen Platz neben dem Kutscher einzunehmen.

Der Knabe saß noch nicht auf dem Bock, als der Wagen im Galopp abging.

XXVIII
Der Pfarrer der Bouille

Während diese Dinge im kleinen Hause der Rue du Faubourg Saint-Jacques vorgingen, stieg ein wackerer Mann von einem Priester, siebzig bis zweiundsiebzig Jahre alt, unter Demonstrationen der Neugierde und der Freude, nach deren Ursache er sich vergebens fragte, die Straße hinauf

Die Bewohner des Faubourg Saint-Jacques. Welche, auf die Aussage der Apothekerin, seit dem Morgen des vorhergehenden Tages einen Priester erwarteten, hatten nicht sobald die Soutane und den Dreispitz des Abbé Ducornet, – so hieß der Pfarrer der Bouille. – erscheinen sehen, als sie einander, die Näheren mit dem Worte, die Entfernteren mit der Geberde, sagten: »Da ist der Priester!«

Und da man nach einem so langen Warten nicht mehr auf ihn rechnete, so brachte, wie gesagt. Seine Erscheinung den lebhaftesten Eindruck hervor.

Jeder näherte sich ihm; neun umgab ihn, und er ging mit einem Gefolge.

Und da es schien. als schaute er nach rechts und nach links, um sich in der Straße zu orientieren, so sagte eine Frau Base, indem sie sich verneigte, zu ihm:

»Guten Morgen, Herr Pfarrer!«

»Guten Morgen., meine liebe Frau!« erwiderte der würdige Abbé.

Und da er sah, daß er bei No. 300 der Rue Saint-Jacques war, statt bei No. 20 des Faubourg zu sein, so ging er weiter.

»Der Herr Pfarrer kommt vielleicht wegen einer Hochzeit?« fragte die Base.

»Bei meiner Treue, ja!« versetzte der Pfarrer, indem er stehen blieb.

»Wegen der Hochzeit von Nr. 20?« sagte eine Andere.

»Ganz richtig!« antwortete der Pfarrer, ganz verwundert.

Und als er die Glocke von Saint-Jacques halb zehn schlagen hörte, ging er abermals weiter.

»Wegen der Hochzeit von Herrn Justin?« sagte eine dritte Base.

»Mit der kleinen Mina, deren. Vormund Sie sind?« sagte eine Vierte.

Der Pfarrer schaute die Basen mit einer immer mehr erstaunten Miene an.

»Laßt doch den brauen Mann in Ruhe, Weibervolk!« rief ein Küfer, der ein Faß bereifte; »Ihr seht wohl, daß er Eile hat.«

»Ja, in der That. ich habe Eile!« sprach der gute Priester. »Es ist sehr weit, der Faubourg Saint-Jacques. Hätte ich gewußt, daß es so weit ist, so würde ich einen Wagen genommen haben.«

»Ah! Bah! Sie sind an Ort und Stelle, Herr Abbé, es ist nur noch ein Schritt.«

»Ei! es ist dort wo Sie einen gelben Fiacre stehen sehen,« sagte eine von den Frauen.

»Vorhin,« sprach eine Andere. »vorhin war auch ein unbedeckter Wagen da, mit einem schönen jungen Manne darin, einem gepuderten Kutscher auf dem Bocke und einem kleinen Diener, der nicht größer war, als eine Amsel; doch es scheint, dieser Wagen gehörte nicht zur Hochzeit: er ist wieder weggefahren.«

»Ich sehe keinen Fiacre,« sagte der Pfarrer, der abermals stehen blieb und sich einen Lichtschirm aus einer Hand machte.

Oh! seien Sie unbesorgt, Sie werden sich nicht verirren; überdies begleiten wir Sie bis zur Thüre, Herr Pfarrer.«

»He! Babolin!lauf doch voraus und sage Herrn Justin, er möge nicht ungeduldig werden, der Pfarrer, den er erwarte, komme so eben.«

Der Junge; welchen man mit dem Namen Babolin bezeichnete, und der derselbe war, den wir schon zweimal haben erscheinen sehen, nahm seinen Lauf durch die Straße hinauf und sang dabei aus eine Melodie von seiner Erfindung:

Eh! oui, je vas lui dire, lui dire, lui dire . . .

Eh! oui, je vas lui dire, lui dire, tout de même!9

Der Dialogs und sogar der Trialog nahm seinen Fortgang.

Sie sind nie bei den Justin gewesen, Herr Pfarrer?«

»Nein, meine guten Freunde. ich bin nie in Paris gewesen.«

»Ei! woher sind Sie denn?«

»Von der Bouille.«

»Von der Bouille? Wo ist das?« fragte eine Stimme.

»Nieder-Seine!« antwortete eine andere Stimme, von der später Herr Prudhomme seinen Baßton entlehnen sollte.

»In der That, Nieder-Seine.« versetzte der Abbé Ducornet. »Es.ist eine reizende Gegend, die man das Versailles von Rouen nennt.«

»Oh! Sie werden sie gut logiert finden!«

»Und besonders gut meublirt! Seit drei Wochen hat man nichts Anderes gethan. als Meubles vorüber getragen.«

»Und Meubles, daß König Karl X. keine schönere in den Tuilerien hat!«

»Er ist also reich, dieser gute Herr Justin?«

»Reich?. . . . Reich wie eine Kirchenmaus.«

»Nun, wie macht er es denn?«

»Es gibt Leute, welche verbrauchen, was sie haben, und Andere, welche sogar verbrauchen, was sie nicht haben,« sagte ein Perrückenmacher.

»Gut. Wirst Du nicht etwa Schlimmes vom armen Schulmeister reden, weil er sich selbst rasiert?«

»Ja, der rasiert sich gut! Vor drei Wochen hatte er am Kinn einen Einschnitt von einem halben Zoll!«

»Ei!« versetzte ein Straßenjunge, ein vertrauter Freund von Babolin, »sein Kinn gehört ihm, er kann damit machen, was er will; Niemand hat etwas zu sagen; würde er Pflückerbsen darein pflanzen, so wäre das sein Recht!«

»Ah!« sagte der Abbé, »ich sehe den gelben Fiacre.«

»Ich glaube wohl, daß Sie ihn sehen!« versetzte der Straßenjunge; »er ist so groß wie das Wallfischgerippe im Jardin des Plantes, nur ist er reicher an gemalt.«

»Kommen, Sie geschwinde, Herr Pfarrer!« rief Babolin, der seine Sendung vollzogen hatte; »man wartet nur auf Sie.

»Ah! versetzte der Pfarrer, »wenn man nur noch auf mich wartet: ich komme.«

Und der wackere Priester strengte sich an und befand sich wirklich nach fünf Minuten neben dem gelben Fiacre und der Hausthüre gegenüber.

»Gleichviel,« murmelte er,«es ist noch größer als die Bouille, und sogar als Rouen, dieses Paris.«

Justin und Mina erwarteten ihn bei der Thüre.

Als er diese zwei schönen jungen Leute sah, blieb der Priester stehen und lächelte

»Ah!« sprach er. »mein Gott, Du hast sie in Wahrheit für einander geschaffen!«

Mina lief auf ihn zu und fiel ihm um den Hals, wie zur Zeit, wo der gute Pfarrer die Mutter Boivin besuchte, und sie acht Jahre alt war.

Er umarmte sie und schob sie dann zurück, um sie anzuschauen.

In diesem schönen Mädchen, das nahe daran eine Frau zu werden, würde er nie das Kind erkannt haben, welches er sechs Jahre vorher nach Paris mit seinem weißen Kleide, seinen azurnen Halbstiefelchen und seinem blauen Gürtel expediert hatte.

Doch er erkannte sie an ihrer freundlichen Liebkosung.

Man hatte noch fünf Minuten zu warten, ehe man zur Kirche ging.

»Kommen Sie herauf, Herr Pfarrer!« sagten gleichzeitig Justin und Mina.

Der Pfarrer stieg die Treppe hinauf. Mina ließ ihn in das Brautgemach eintreten, wo Mutter Corby, Schwester Céleste, Madame Desmarets, Fräulein Susanne von Valgeneuse und der alte Professor waren.

»Unser lieber Pfarrer von der Bouille, Mama Corby.« sagte Mina; »der Abbé Ducornet. Madame.«

»Ja, ja,« sprach der Abbé ganz freudig, »und er bringt die Mitgift seiner Mündel.«

»Wie! die Mitgift seiner Mündel?«

»Ja wohl! Denken Sie sich, vor drei Tagen erhalte ich eilten recommandirten Brief mit dem Stempel von Deutschland. und in diesem Briefe eine Anweisung von zehntausend achthundert Franken auf die Herren Leclerc und Louis, Banquiers in Rouen.«

»Und dann?« fragte Justin mit bebender Stimme.

»Warten Sie! ich verfahre nach der Ordnung, es ist die Anweisung, was ich zuerst eröffnet von der Anweisung spreche ich zuerst.«

»Ja, wir hören.«

Madame Corby erbleichte sichtbar.

Die anderen Personen schienen an der kaum angefangenen Erzählung des guten Priesters ein relatives Interesse zu nehmen, aber, selbst Mina, noch nichts von dem zu sehen, was vielleicht schon an Justin und seiner Mutter zu erscheinen anfing.

 

»Bei der Anweisung war ein Brief,« fuhr der Pfarrer der Bauille fort.

»Ein Brief?« murmelte Justin.

»Ein Brief?« wiederholte Madame Corby.

»Ah! Ah! ein Brief!« sagte der Professor nicht minder bewegt, als Justin und Madame Corby.

»Hier ist dieser Brief,« sprach der Abbé.

Und er entfaltete einen Brief, der wirklich einen fremden Stempel an sich trug und las:

»Mein lieber Abbé,

»Eure Reise, die ich so tief in Indien gemacht habe, daß meine Verbindungen mit Frankreich unterbrochen wurden, ist die Ursache, warum Sie seit Jahren keine Nachricht mehr von mir erhielten; doch ich kenne Sie, ich kenne Sie würdige Frau Boivin. der ich, mein Kind anvertraut: Mina wird darum nicht gelitten haben.

»Heute nach Europa zurückgekehrt und in Wien durch unerläßliche Geschäfte aufgehalten. welche noch einige Zeit dauern können. beeile ich mich. Ihnen durch einen Wechsel des Hauses Arnstein und Eskeles auf das Hans Leclerc und Louis in Rouen die Summe von zehntausend achthundert Franken zu schicken, mit denen ich gegen Sie im Rückstand bin.

»Sie werden fortan regelmäßig, bis zu meiner Rückkehr deren Datum ich Ihnen nicht genau bestimmen kann, die als Kostgeld für meine Tochter versprochenen zwölfhundert Franken erhalten.

»Wien. am 21. Januar 1827.

»Der Vater von Mina.«

Bei diesen letzten Worten, während Mina freudig in die Hände klatschend ausrief: »Oh! Welch ein Glück, Justin! Papa lebt noch!« schaute Justin seine Mutter an, und als er sah, daß sie bleich war wie eine Todte, stieß er einen Schrei aus.

»Meine Mutter! meine Mutter!« sagte Justin

Die Blinde stand auf und ging mit ausgestreckten Armen auf ihren Sohn zu: die Stimme hatte sie geleitet.

»Du begreifst, nicht wahr, mein Sohn,« sprach sie »Du begreifst?«

Justin antwortete nicht, er schluchzte.

Mina schaute diese seltsame Scene an, ohne etwas davon zu verstehen.«

»Aber was haben Sie denn, Mama Corby?« fragte sie, »aber was hast Du denn, Bruder Justin?«

»Du begreifst, nicht wahr, mein liebes armes Kind,« fuhr die Mutter fort, »Du begreifst. daß Du Mina arm und eine Waise heirathen konntest?«

»Mein Gott!« rief Mina. die zu errathen anfing.

»Du begreifst aber auch, daß Du Mina nicht heirathen kannst, da sie reich und von einem Vater abhängig ist?«

»Meine Mutter. meine Mutter!« rief Justin, »haben Sie Mitleid mit mir!«

»Das wäre ein Diebstahl, mein Sohn!« sprach die Blinde, die Hand zum Himmel erhebend, als wollte sie Gott beschwören, »und wenn Du zweifelst, so appelliere ich an Allem was von redlichen Leuten hier ist, und es sind hoffentlich nur redliche Leute hier.«

Justin sank vor seiner Mutter aus die Kniee:

»Ah! Du begreifst mich, da Da nun auf den Knieen liegst,« sagte die Blinde.«

Dann streckte sie die Hände über ihm aus, warf den Kopf zurück, als hätte sie den Himmel sehen können und sprach:

»Mein Sohn. ich segne Dich für den Schmerz wie ich Dich für die Freude gesegnet, und ich werde wie ich hoffe. Deine geliebte Mutter im Unglück sein wie ich es in der Glückseligkeit gewesen wäre.«

»Oh! meine Mutter! meine Mutter!« rief Justin »mit Ihnen, mit Ihrer Unterstützung, mit Ihrem Muthe werde ich das thun; doch ohne Sie, oh! ohne Sie wäre ich, glaube ich, ein unredlicher Mensch gewesen!«

»Es ist gut, mein Kind! – Umarme mich, Céleste.«

Céleste näherte sich

»Führe mich zu meinem Stuhle zurück.« sagte sie leiser; ich fühle. Daß mich die Kraft verläßt.«

»Mein Gott! was gibt es denn?« fragte Mina.«

»Es gibt, es ist. . . . Mina,« erwiderte Justin in ein Schluchzen ausbrechend, » . . . bis zu dem Tage, wo Dein Vater seine Einwilligung geben wird, – und wahrscheinlich wird er sie nie geben, – können wir nur Bruder und Schwester für einander sein.«

Mina stieß einen Schrei aus.

»Oh!« rief sie, »mit welchem Rechte macht mein Vater, der mich seit sechzehn Jahren verlassen hat, heute Ansprüche auf mich? Er behalte sein Gelde er lasse mir mein Glück! er lasse mir meinen armen Justin! nicht als Bruder, sondern, mein Gott! verzeihe mir, als Gatten! . . . Justin . . . oh! . . . Justin! Justin. mein Geliebter! Herbei! Herbei! verlasse mich nicht!«

Und mit einem legten Schmerzensschrei fiel das Mädchen ohnmächtig in die Arme von Justin.

Eine Stunde nachher reiste Mina, in Thränen zerfließend, eine Hand in der Hand ihrer Freundin Susanne und den Kopf auf die Schulter von Madame Desmarets gestützt, nach Versailles ab.

Ehe sie in den Wagen,stieg, hatte Susanne Zeit gefunden, mit Bleistift ein also abgefaßtes Billet zu schreiben, das sie einem Commissionär übergab:

»Die Heirath ist fehlgeschlagen! Es scheint, Mina ist reich und die Tochter von irgend Jemand.

»Wir kehren mit der schönen Trostlosen nach Versailles zurück.

»Morgens um elf Uhr.

»S. von VB.«
9Ja, ich will es ihm sagen u.s.w.