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Die Mohicaner von Paris

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»Ja,« sehr materialistisch in der Form: die Prinzessin von Vanvres wird Dir ein Wort hiervon sagen können.«

»So daß? . . . «

»Ja, ad eventum . . . Doch um festinare ad eventum zu können, muß man die Einzelheiten beendigen. Ludovic wird Dich besuchen; Ihr seid Nachbarn, ich habe ihm deine Adresse gegeben.«

»Oh! ewiger Wiederkäuer, welche Beziehung findet zwischen Ludovic . . . «

»Und Carmelite statt?«

»Das frage ich Dich.«

»Warte, ich will es Dir sagen! . . . Den ist ein wahrer Erwürger der Entwickelungen! Wenn Du Theseus gewesen wärest, hättest Du wohl die Erzählung von Theramen beim zehnten Verse abgeschnitten? Und Du hättest nie erfahren, daß die Welle, die das Ungeheuer gebracht, vor Schrecken zurückgewichen war; Du hättest, nicht erfahren, daß der Leib des genannten Ungeheuers mit gelblichen Schuppen bedeckt, daß sein Kreuz sich in gekrümmtem umgeschlagenen Falten bog, lauter Einzelheiten vom größten Interesse für einen Vater! Was Teufel! wenn einem Vater sein Sohn von einem Ungeheuer gefressen worden ist; so ist es das Wenigste, daß er weiß, von welchem Ungeheuer, und ist das Ungeheuer schön, so hat er den Trost, sich zusagen: ›Mein Sohn ist von einem Ungeheuer gefressen worden, doch das Ungeheuer, das ihn gefressen, ist ein schönes Ungeheuer.›

»Du weißt, daß ich Dich höre?«

»Das ist Deine Pflicht! Doch ich habe Mitleid mit Dir und kürze ab. Welche Beziehung zwischen Ludovic und Carmelite stattfinde? Ich will es Dir sagen. Ich traf also Ludovic beim Ausgange der Oper.«

»Du hast mir das schon gesagt.«

»Ich wiederhole es Dir. Man begegnet nicht einem Freunde, Du begreifst das wohl? Einem Freunde aus dem Collége, den man seit drei Jahren nicht gesehen, ohne das Bedürfniß zu fühlen, sich einander die Episoden seiner Jugend noch einmal zu erzählen. Ich trat folglich mit Ludovic ins Cafe der Oper ein; es handelte sich darum, der Erzählung Körper zu geben: das ist ein Detail, das ich Dir erklären muß . . . «

»Uebergehe das Detail.«

»Ja, weil Dir das Detail zur Schande gereicht-nicht wahr, Egoist?«

»Also das Detail?«

»Höre. Du hast mich vorgestern fasten lassen, Scheinheiliger!«

»Ich?«

»Ein Montag! Allerdings, ohne es zu vermuthen; ich mache Dir auch keinen Vorwurf, ich constatire ganz einfach. Da Du mich ohne Dein Wissen hattest fasten lassen, in Betracht, daß Du frisches Schweinefleisch verlangt, und man uns harte Eier vorsetzte, – eine Metarmorphose der Du mit Deiner gewöhnlichen Zerstreuung keine Aufmerksamkeit schenktest, – so glaubte ich meine Kräfte dadurch wiederherstellen zu müssen, daß ich ein Huhn in Gesellschaft unseren Freundes Ludovic speiste. War das Huhn nur ein Vorwand, um zu plaudern, oder die Conversation nur ein Vorwand, um das Huhn zu essen? Ich weiß es nicht. Ich muß Dir indessen sagen, daß die Conversation unendlich viel länger wahrte, als das Huhn, und daß es gegen drei Uhr Morgens war, als ich die Mauern unseres Klosters wieder erreichte. Den Himmel anschauend, – eher im Müssiggange, als um zu wissen, wie das Wetter am andern Tage sein werde, – erblickte ich durch das Fenster unserer Nachbarin die bleiche Helle der Arbeitslampe, und es geschah in einem reinen Gefühle der Menschlichkeit, daß ich mich, zwei Tage nachher, nämlich heute, als ich sie mit einem Päckchen in der Hand ausgehen sah, jener Nachtwache erinnerte und Marie Jeanne befragte . . . Du weißt nun Alles, was Marie Jeanne geantwortet hat. Armes Mädchen!«

»Ja, armes Mädchen! Du hast Recht, Camille, und noch ärmer, als Du glaubst; denn sie hat keinen Verwandten, auf dieser Welt, keinen Freund, keine Zuneigung!«

»Das ist ja erschrecklich!« rief Camille. »Und, wie! Du ihr Nachbar seit fünf bis sechs Monaten, seit einem Jahre vielleicht, hast nicht ihre Bekanntschaft zu machen gesucht?«

»Doch,« erwiderte seufzend der Bretagner; »ich habe mehrere Male mit ihr geplaudert . . . «

Und Colombau war vielleicht in diesem Augenblicke im Begriffe, seinem Freunde Alles zu sagen, hätte dieser nicht sein Vertrauen durch eine von jenen Phrasen zurückgedrängt, welche Colombau, wenn er eben nachgeben wollte, unablässig wieder in den Vertheidigungsstand versetzten.

»Ah! Geheimnisvoller Bretagner!« rief Camille, »Du hast mit ihr geplaudert, und Du hast mir nicht ein Wort von dieser Plauderei gesagt. Du willst also die Redlichkeit, deren Privilegium Deine Race an sich gerissen hat, lügen machen, unter dem Vorwande, sie habe einen harten Kopf und eine viereckige Stirne? In der That, Deine Verschwiegenheit in Betreff der Prinzessin von Vanvres hätte mich müssen bestimmen, auf meiner Hut zu sein. Ich verzeihe Dir nur unter einer Bedingung: daß Du mir sogleich diese Pastorale in allen ihren Einzelheiten erzählst, und zwar, ohne die rhetorischen Blumen zu sparen; ganz das Gegentheil von Dir in dieser Hinsicht, liebe ich die langen Erzählungen . . . Ich nehme eine Cigarre, ich zünde sie an, und ich höre Dich. Sprich, Colombau, Du sprichst so gut!«

»Ich versichere Dir, Camille,« erwiderte Colombau verlegen, »es ist in unseren Plaudereien nichts für Dich Interessantes gewesen.«

»Ah! hierbei fasse ich Dich, Bursche!i«

»Wie so?«

»Sagen, es sei nicht interessant für mich, heißt das nicht mit hierunter verstehen, es sei interessant für Dicht? Ich bitte Dich, mir die Nuance von Interesse zu schildern, welche diese Conversation für Deinen Geist, für Deine Einhildungskraft oder für Dein Herz gehabt hat; mit einem Wort, ich wiederhole Dir in Beziehung auf Carmelite, was ich Dir hinsichtlich der Prinzessin von Vanvres gesagt habe; obgleich es mir, dessen sei sicher, nie eingefallen ist, unsere Nachbarin in dieselbe Kategorie zu setzen, wie meine Prinzessin . . . Diese schöne Person, welche die Nächte damit zubringt, daß sie Hemden für die Klöster und die Hospititler macht, interessiert sie Dich besonders? . . . Antworte mir, Colombau! Colombau, antworte mir!«

So unmittelbar von seinem Freunde aufgefordert streckte Colombau die Hand gegen ihn aus, berührte mit dieser Hand sein Knie und sprach mit sanftem, ernstem Tone:

»Höre, Camille, ich will Dir Alles erzählen; aber,um Gottes willen, behandle mein vertrauliches Geständniß nicht mit Deinem gewöhnlichen Leichtsinne, und bewahre mein Geheimnis wie ich es selbst bewahrt haben würde, hätte ich nicht geglaubt einen Winkel meines Herzens vor Dir verbergen, wäre ein Verrath an unserer Freundschaft.«

Hiernach begann Colombau wieder für Camille die umständliche Erzählung, die er schon Bruder Dominique gemacht hatte.

»Und was hat Bruder Dominique gesagt,« fragte Camille als sein Freund zu sprechen aufgehört.

Colombau wiederholte-dem jungen Creolen, welche Ermutigungen ihm der Mönch gegeben.«

»Ah! Gut!« rief Camille« »das ist der Geistliche meiner Träume! wäre ich der Sohn eines Geistlichen, ich wollte nicht, daß mein Vater von einem anderen Holze als dieser. Er hat sehr wohl daran gethan, Dich zu ermuthigen, der Bruder Dominique, obschon Du offenherzig gesprochen, mir nicht aussiehst, als bedürftest Du sehr der Ermutigung; Feuer an entzündetes Werg legen schien mir immer eine müßige Arbeit zu sein. Was mich ärgert, ist, daß ich das nicht errathen habe; ich hätte es doch nach den kindischen Reden, die Du in den ersten Tagen nach meiner Ankunft führtest, und nach der Hartnäckigkeit, mit der Du dieses Quartier nicht verlassen wolltest, vermuthen müssen. Ah! Du hast wohl daran gethan, mich hiervon in Kenntniß zusetzen; es war Zeit: morgen rückte ich ins Feld. Doch von diesem Augenblicke an ist dies vorbei; die Geliebte meines Wirthes ist wie die Frau von Cäsar: sie darf nicht einmal beargwohnt sein! Verlaß Dich auf meine Discretion und sage mir, wie Du zu handeln gedenkst . . . Dein Gang zum Ziele scheint mir, erlaube mir, Dir dies zu bemerken, im umgekehrten Verhältniß des Ganges Deiner Leidenschaft abzunehmen; Du betest ungeheuer an, doch Du rückst nicht vor.«

»Was Du vorrücken?« fragte Colombau fast erschrocken.

»Ei ich nenne vorrücken Alles, was nicht zurückweichen heißt, und ich nenne zurückweichen den Rückzug, den Du seit einem Monat, daß ich hier bin, operiert hast. Ah! ich bedenke Eines . . . Ich Dummkopf, ich Einfaltspinsel, der ich bin! Oh!ich gerupfter Vogel! meine Gegenwart beengt Dich, theurer Freund! Schon morgen befreie ich dich davon.«

»Camille, Camille, mein Freund, überlegst Du wohl!«

Es war der Löwe im Jardin des Plantes, der in seinem Käfig dieses bellenden Pommers bedurfte.

»Gewiß überlege ich, Colombau: ich will der Glückseligkeit meines einzigen Freundes keine Fesseln entgegensetzen.«

»Du fesselst mich durchaus nicht, Camille.«

»Oh! ich thue dies übermäßig, und schon morgen suche ich mir eine Junggesellenwohnung.«

»Ja, das ist es,« sprach Colombau traurig, »Du willst mich verlassen; Du bist meiner Nachbarschaft müde; unsere Freundschaft ist Dir beschwerlich!«

»Ah! Colombau, mein Freund, nun sprichst Du Albernheiten!«

»Nun wohl, es sei, geh; doch ich werde mit Dir gehen.«

»Dann lauf zum Hauseigenthümer, und wenn meine Gegenwart Dir nicht unangenehm ist . . . «

»Kind! rief der treffliche Bretagner.

»Nun wohl, so schließe in unserer Beider Namen einen Beitrag von drei, sechs, neun, . . . vorausgesetzt, ich wiederhole es Dir, daß . . . «

»Camille, unterbrach Colombau, »ich liebe Carmelite von ganzer Seele, doch wenn Du mir sagtest: ›Colombau, meine Besitzungen in Amerika sind in Brand gesteckt worden, ich bin zu Grund gerichtet, ich muß mir ein neues Vermögen schaffen; sieh meine Arme: sie sind schwach! Ich brauche Deine beiden kräftigen Arme, Sohn der alten Bretagne!»Camille, ich würde auf der Stelle gehen, ohne Bedauern, ohne Schmerz, ohne einen Blick zurückzuwerfen, ohne nur zu seufzen über diese Hälfte meines Lebens, die ich hier ließe.«

»Gut! gut! Gut! das ist abgemacht; ich weiß, daß Du es thun würdest, wie Du es sagst.«

 

Der Bretagner lächelte traurig und sprach:

»Allerdings würde ich es thun.«

»Nun, laß hören: wohin wird Dich diese Liebe noch führen?«

»Wahrscheinlich zur Heirath.«

»Ho! Ho! mit einem kleinen Mädchen, das Hemden für die Klöster und die Hospitäler macht, Du, der Vicomte von Penhoël, der Du aus der Zeit von Robert dem Starken stammst?«

»Es ist die Tochter eines Kapitäns, eines Officiers der Ehrenlegion.«

»Ja, Kanonenadel . . . Gleichviel! wenn das Dir zusagt, wenn es Deinem Vater zusagt, so kann Niemand etwas dagegen haben.«

»Mein Vater wird Alles für das Glück seines einzigen Sohnes thun.«

»Warum nimmst Du dann die Besprechungen nicht in Angriff?«

»Ei! mein lieber Camille,« ich weiß vor Allem nicht, ob mich Carmelite liebt.«

»Und dann willst Du, ehe Du Dich auf den dornenvollen Pfad wirfst, den man die Ehe nennt, den Wohlgeruch der blühenden Wiesen der Liebe athmen; gut; das ist eine Anwandlung von Sinnlichkeit, die ich begreife, ein Raffinement der Wollust, das ich schätzte; mittlerweile wirst Du aber, wie ich hoffe, das arme Geschöpf nicht die Augen sich bei dieser Spinnenarbeit zu Grunde richten lassen.«

»Welches Mittel habe ich, um es anders zu machen, Camille? bin ich reich genug, um ihr zu Hilfe zu kommen? wäre ich Millionär, würde sie das Anerbieten einer Unterstützung annehmen, was wäre die Form, unter der ich es verkleiden wollte?«

»Sie wird eine Unterstützung nicht annehmen, doch sie wird Arbeit annehmen.«

»Wie soll ich ihr Arbeit verschaffen?«

»Oh! wie schwerfällig bist Du, Freund!«

»Erkläre mir das; Du machst mich vor Ungeduld sterben!«

»Einer meiner Freunde von den Colonien hat mich beauftragt, ihm sechs Dutzend Hemden, halb von holländischer Leinwand, halb von Batist zu schicken; ich habe den Stoff dieser Tage gekauft, und man bringt ihn mir heute Abend oder morgen. Der Freunds der mir diesen Auftrag gibt, hat im Durchschnitt den Preis von jedem Hemd zu fünfundzwanzig Franken bestimmt; man braucht für ein Männerhemd drei Mètres fünfundzwanzig Centimes Stoff: nehmen wir die Leinwand zu fünf Franken an, so macht das sechzehn Franken fünfundzwanzig Centimes für das Hemd; es bleiben also acht Franken fünfundsiebzig Centimes für die Facon. Nun wohl, wir geben diese Hemden der Nachbarin zu machen: es scheint, sie arbeitet wie eine Fee; sie wird acht Franken fünfundsiebzig Centimes für das Hemd verdienen, statt eines Franks . . . Ist das klar?«

»Sie wird das nicht annehmen,« erwiderte Colombau den Kopf schüttelnd.

»Wie, sie wird es nicht annehmen?i«

»Sie wird glauben, es sei nur ein sinnreiches Mittel, um ihr zu Hilfe zu kommen; sie kennt den Preis der Arbeit, und ist die Rede von der fabelhaften Ziffer, die Du nennst, so wird sie es ausschlagen.«

»Oh! was für ein halsstarriger Bretagner bist Du! Wie sollte sie sich weigern, für ihre Arbeit den Preis anzunehmen, den man mich in einem großen Verfertigungsmagazine bezahlen läßt? Was Teufels, ich werde ihr meine Rechnungen zeigen!«

»Auf diese Art scheint mir die Sache annehmbar, und ich danke Dir aufrichtig, daß Du die Idee gehabt hast.«

»Nun, so schlage es ihr heute Abend vor.«

»Ich werde daran denken.«

»Denke zugleich daran, daß Hemden nähen kein Gewerbe ist. Ich bin in der Welt umhergelaufen und habe zuweilen, – das wird Dich lachen machen, – ich habe zuweilen, ein Widerspiel von vielen Anderen, welche schauen, ohne zu sehen, gesehen, ohne zu schauen . . . Ich habe gesehen, daß die Zeit nicht fern ist, wo die Maschinen in einer Stunde die Nadelarbeit verrichten werden, welche hundert Frauen nicht in einer Woche verrichten. Schau die indischen Kaschemire an: ein ganzes Dorf arbeitet sechs Monate, um einen Shawl zumachen, den die Lyoner Werkstühle in zwölf Stunden verfertigen . . . Nun, man muß Carmelite ein anderes Gewerbe suchen, welchen, im Falle der Herr Graf von Penhoël seinem Herrn Sohne nicht erlauben sollte, eine Hemdenmacherin zu heirathen, wenigstens erlaubt, daß das arme Mädchen nicht Hungers stirbt.«

Colombau schaute Camille mit Augen voll von Thränen an.

»Ich habe Dich nie so ernst, so gut, und so richtig urtheilend gesehen, Camille! ich danke Dir; denn es ist Deine Freundschaft für mich, was Dich beseelt und leitet.«

Doch ohne bei diesen liebevollen Schmeicheleien zu verweilen, fragte Camille:

»Hast Du mir nicht gesagt, sie liebe die Musik?«

Leidenschaftlich! sie ist sogar eine gute Tonkünstlerin, wie ich glaube.«

»Hast Du sie singen oder spielen hören?«

»Nie; die Arme hat kein Klavier.«

»Sie wird eines haben.«

»Wie so?«

»Ich weiß es nicht; doch ich sage Dir, sie wird eines haben.«

»Du willst augenblicklich zu weit gehen, Camille.«

»Ich werde nicht weit gehen, um ein Klavier für sie zu finden: es wird das Deinige sein.«

»Wie, das meinige?«

»Allerdings.«

»Mein Klavier ist aber ein alter Kasten.«

»Ich weiß es wohl, und gerade deshalb.«

»Du wirst ihr ein schlechtes Klavier geben? Pfui doch!«

»Oh! wie einfältig bist Du, lieber Freund!«

»Ich danke Dir.«

»Nein, das ist ein Freundschaftswort. Doch begreifst Du, ich habe Dir hundertmal gesagt, ich könne Dein Klavier nicht leiden, sein Ton sei zu hoch für mich . . . Was für eine Stimme hat sie?«

»Eine Altstimme.«

»Gut so! Du hast eine Barytonstimme. Wir werden Dein Klavier vertauschen; ich lege fünfhundert Franken darauf: Ihr habt ein vortreffliches Klavier! Ist ein Klavier nicht wie ein Regenschirm? Ein einziges genügt für zwei und sogar für drei.«

»Aber, Camille . . . «

»Es ist schon geschehen: das Klavier ist gekauft; Morgen wird es hier sein.«

»Du täuschst mich, Camille!«

»Es ist wie ich Dir zu sagen die Ehre habe. Ich wollte Dir diese Ueberraschung an Deinem Namenstage bereiten, weil aber Dein Namenstag vorüber ist, so habe ich sie auf Deinen Geburtstag verschoben; nur da Dein Geburtstag noch nicht gekommen ist, und es mich langweilt, auf einem für mich zu hohen Klavier zu spielen, gebe ich Dir den Gegenstand morgen, das heißt am Geburtstage Deines Vaters, Deines Oheims, Deiner Tante oder eines Deiner Vetter . . . Was Teufels muß wohl Jemand von Deiner Familie morgen geboren sein!i«

»Oh! Camille!« rief der Bretagner, Dank, mein Freund! Dank!«

XLIV
La Gemma di Parigi

Trotz des Umfangs des Buches, das wir veröffentlichen, und des Vergnügens, das ein Autor immer in der Analyse des Charakters seiner Personen findet, entspricht es nicht unserem Plane, Tag für Tag das Leben unserer drei jungen Leute zu verfolgen, was wir gethan haben würden, hätten wir ihre Geschichte abgesondert herausgegeben, was wir aber nicht wagen wollen, sobald diese Geschichte nur eine Episode des großen Ganzen ist, das wir der Neugierde unserer Leser überliefern.

Wir sagen also nur, daß Camille seine Entwürfe ausführte, wie er sie Colombau auseinandergesetzt hatte.

Carmelite, welche keine Einwendung gegen die Belohung ihrer Arbeit zu machen hatte, als sie den übermäßigen Betrag der Rechnungen von Camille sah, nahm das Anerbieten des jungen Mannes an, und von diesem Tage, da der Vermittler, dieser Blutegel, der sich von der Substanz des Erzeugers und des Käufers mästet, beseitigt war, trat der Wohlstand in das Haus ein; nur machte Carmelite mehr Schwierigkeiten in Betreff des neu gekauften Klaviers, das von der Wohnung der zwei Freunde in die ihrige, versetzt werden sollte. Doch bedrängt von Colombau, für den sie eine mit Ehrfurcht gemischte Zuneigung hegte, entschloß sie sich, ihre Thüre dem melodischen Gaste zu öffnen.

Mehr noch: sie willigte ein, Lectionen im Gesange zu nehmen, welche ihr die zwei jungen Leute abwechselnd zu geben sich anheischig machten.

Die schwierigsten Stücke entzifferte Carmelite mit dem ersten Blicke, und sie führte dieselben glänzend aus; ihr Fingersatz war elegant; ihre Unwissenheit in der Musik kam aber wenigstens ihrer Unwissenheit in der Liebe gleich.

Sie spielte, ohne genau den Werth dessen, was sie spielte, zu kennen, und das ist, – man erlaube einen Augenblick einem Profanen, sich in eine Sache zu mischen die ihn nichts angeht, – das ist das große Laster der musikalischen Bildung, welche die Mädchen in den Pensionats erhalten. Man füllt den Kopf der Zöglinge mit einer abscheulichen Musik unter dem Vorwande, das sei die leichte Musik. So sei der Professor unglücklicher Weise mit einer von jenen Stimmen begabt, die man«Salonstimmen nennt, – was klar eine für das Theater unmögliche Stimme bezeichnet, – er habe überdies das endemische Fieber der Sänger, das darin besteht, daß man selbst Romanzen komponiert, als wäre es genügend, irgend eine Stimme zu haben, um Musiker zu sein; nun, dieser Professor wird allen den jungen Köpfen Fantasien von einem fast zweideutigen Geschmacke eingießen; singt er nicht, so ist die Gefahr ungefähr dieselbe: statt seiner Romanzen wird er seine Quadrillen, seine Walzer, seine Galoppe, seine Fantasien, seine Variationen, seine Capricen auferlegen, – traurige Capricen! einfältige Variationen!

Um Gottes willen! meine Damen Pensionsvorsteherinnen, verlangen Sie doch von Ihren Professoren, daß sie die Musik lehren, die sie gelernt haben, und nicht die, welche Sie machen! Wie! Sie haben die unübertrefflichen Werke der großen Meister, der riesigen Genies, die man Hayden, Händel, Gluck, Mozart, Weber und Beethoven nennt, und Sie genehmigen die Gavotten dieser Herren?

Man sollte glauben, das sei unmöglich!

Durchaus nicht: die Sache geschieht im Gegentheil alle Tage.

Die arme Carmelite mit allen ihren natürlichen Anlagen war sie so: hatte Ihr immer nur Musik dritten oder vierten Ranges in die Hände gegeben, und sie wußte nichts von allen zaubern der wahren Musik.

Sie empfing auch die ersten Worte der zwei jungen Leute über diesen Gegenstand mit Begeisterung.

Das war ganz einfach eine Offenbarung.

Nur entspann sich ein Streit zwischen den zwei Freunden.

Ernst wie ein Deutscher, überdies ein Schüler von Müller, fand Colombau die ganze Formel seiner Gedanken und seiner Träumereien in der deutschen Musik.

Lebhaft und leicht wie ein Neapolitaner, begriff und bewunderte Carmelite nur die Italienische Musik.

Zwischen ihren Geschmacksrichtungen in der Musik war gerade der Unterschied, der zwischen ihren Charakteren stattfand.

Tausend Diskussionen erhoben sich unter ihnen in Betreff der musikalischen Bildung von Carmelite.

»Die deutsche Musik,« sagte Colombau, »das sind die menschlichen Leidenschaften in Musik gesetzt.«

»Die italienische Musik,« sagte Camille, »das ist die Träumerei in den Gesang gebracht.«

»Die deutsche Musik ist tief und traurig wie der im Schatten seiner Tannen und seiner Felsen fließende Rhein,« sagte Colombau.

»Die italienische Musik ist heiter und azurblau wie das Mittelländische Meer im Schatten der Oleander,« sagte Camille.

Der Kampf würde ewig gewährt haben, hätte der vernünftige Bretagner nicht einen Waffenstillstand vorgeschlagen.

Colombau erbot sich, das Mädchen gleichzeitig die Musik von Beethoven und von Cimarosa, von Mozart und von Rossini, von Weber und von Bellini studieren zu lassen.

Die zwei Straßen waren verschiedene, führten aber auf einem Umwege zu demselben Ziele. Man fing also an, und Carmelite erhielt Lectionen von beiden Freunden.

Nach Verlauf von drei Monaten war sie im Stande, ein Terzett ausgezeichnet mit ihnen zu singen.

Von diesem Tage an war das Glück in das Haus eingezogen, wie drei Monate vorher der Wohlstand durch dieselbe Thüre und auf demselben Wege eingezogen war.

Man kam fast alle Abende im kleinen Salon des, Mädchens zusammen, – Camille, der erfindsame Mensch,hatte eines Tage die Idee gehabt, die Tapete in Abwesenheit von Carmelite erneuern zu lassen, um der Waise so viel als möglich das grausame Andenken an das Zimmer, wo ihre Mutter gestorben, zu ersparen; man brachte hier zwischen sieben und zwölf Uhr köstliche Abende zu, welche so rasch verlaufen zu sehen man ganz erstaunt war.

Begabt mit einer Barytonstimme von wunderbarem Umfange, sang Colombau bald ein Stück von Weber oder Mozart, bald eine Arie von Méhnl oder Grétry.

Camille hatte eine Tenorstimme von engelischer Milde, Reinheit und Lieblichkeit. Sang er die bekannte Arie von Joseph, so hatte sein Ausdruck eine solche Zartheit, eine so tiefe Traurigkeit, daß weder Colombau, noch das Mädchen ihn bin zum Ende hören konnten, ohne sich ihre Augen von Thränen befeuchten.

Carmelite wagte es nicht, allein zu singen; sie hatte hatte bis dahin ihre Stimme, und zwar schüchtern, nur in Duetten mit dem Einen oder dem Andern der zwei Freunde oder in Terzetten mit Beiden hören lassen.

 

Es war eine Stimme von bedeutendent Umfang und außerordentlicher Stärke; bei gewissen Melodien in Moll kamen aus diesem Kindermunde Noten ergreifend wie die Thöne einer Trompete bei einem Todtenmarsche.

In anderen Augenblicken schluchzte diese Stimme wie die Töne eines Violoncells.

Dann waren wieder die Noten, welche daraus hervorgingen, sanft wie die Thöne einer Kristallflöte oder die Klänge des Hautbois.

Die zwei Freunde hörten sie mit Entzücken an, und Camille, der sonst nicht einen Tag in der Oper fehlte, hatte keinen Fuß mehr dahin gesetzt, seitdem er das gehört hatte, was er die Perle von Paris, la gemma di Parigi, nannte. Beide waren erstaunt über die Fortschritte, welche Carmelite von Stunde zu Stunde machte.

Eines Abends waren sie wie verblüfft, als sie Carmelite die ganze Partitur von Don Juan, die sie ihr erst den Tag vorher gegeben,« singen hörten. Sie besaß in der That ein wunderbaren Gedächtnis: es war für sie hinreichend, ein Stück ein einzigen Mal zu hören, um es eine Viertelstunde nachher Note für Note zu wiederholen.

Colombau hatte eine ganze Sammlung von deutscher Musik: doch in ein paar Monaten war sie erschöpft. Dann übernahm es Camille, für die Bedürfnisse der philharmonischen Gesellschaft zu sorgen; er durchstörte alle Magazine und wählte mit Recht Stücke von seinen Lieblingsmeistern, welche Colombau aber Werke aus den Zeiten des verdorbenen Lateins nannte.

Carmelite verschlang mit fieberhaftem Eifer alle Partituren, und nach und nach schmückte sich ihr Kopf mit den Hauptwerken aller großen Meister; und da sie über dem Gesange das Spiel nicht vernachlässigte, so war sie nach einiger Zeit eine Tonkünstlerin von ausgezeichnetem Wisse und Talent geworden.

Die Abende vergingen so damit, daß man einander singen hörte; das war die Hauptbeschäftigung; dann, nach jedem Stücke, kam ein witziger Einfall von Camille, ein unwiderstehlicher Einfall, der seine Zuhörer wie tolle Kinder lachen machte.

Oder war es auch ein Reiseabenteuer, ein piquantes oder verwegenes Abenteuer, doch immer züchtig erzählt.

Eines setzte Colombau besonders in Erstaunen: daß dieser gleichgültige Reisende, welcher für ihn Italien, Griechenland, Kleinasien als ein Zugvogel, der nichts gesehen, nichts behalten, nichts begriffen, besucht hatte, seitdem er Carmelite seine Reisen erzählte, zugleich als Gelehrter, als Maler und als Dichter gereift war. Bald erzählte er seine Forschungen unter Ruinen; bald seine Spaziergänge im Mondscheine am Ufer der großen Seen; seine Lagerungen in der Wüste oder in den Urwäldern; und dann war es ein neuer Camille, ein unbekannter Camille mit Erzählungen voller Farbe, Leidenschaft, Begeisterung und Treuherzigkeit.

Colombau war ganz verwundert über die Metamorphose; sein Freund erschien ihm in einem blendenden Glanze. Das war nicht mehr der leichtsinnige, windige, sorglose, prahlerische Junge: es war ein reizender Cavalier, der zugleich die Eigenschaften und die Distinktion des Mannes der Gesellschaft, das Ungestüm, die Leidenschaft und das Abenteuerliche des Künstlers vereinigte.

Wer hatte dieses Wunder bewirkt? Colombau wußte es nicht; auch fiel es ihm nicht ein, sich das zu fragen.

Wir aber, meine Leser, die wir neugieriger sind als der Bretagner, suchen wir mit einander, woher diese Veränderung im Geiste und in den Manieren von Camilles von Rozan kam wie er sich zuweilen selbst halb im Scherze, halb stolz nannte.

Die Ursache dieser Veränderung ist nicht schwer zu finden.

Haben Sie einen Pfauen allein auf der scharfen Kante eines Daches spazieren geh sehen? Es kann nichts Schöneres, zugleich aber auch nichts so Trauriges und besonders in seine Person so Vernarrtes geben! Nur, wenn er eine Pfauin erblickt, hebt er sogleich seinen Fächer von Diamanten, Perlen und Rubinen empor.

Nun wohl, die Diamanten, die Perlen und die Rubine, mit denen die Erzählungen von Camille besäet waren, strahlten auf diese Art unter den Blicken des Mädchens.

Er schlag das Rad, wie eine triviale, aber ausdrucksvolle Phrase sagt.

Würde er zwanzig Jahre mit Colombau gelebt haben, er hätte der Freundschaft nicht die Ehre erwiesen, für sie einen von den Edelsteinen seines reichen Schmuckkästchens auszulegen.

Doch für den Geheimnisvollem unbekannten Gott, der unsichtbar über dem Haupte der Mädchen schwebt, hatte Camille nicht genug Schätze der Schönheit, des Geistes und der Einbildungskraft.

Es ist mit zwei alten Freunden wie mit dem Manne und der Frau; sie halten sich nicht für verbunden, sich für einander in Unkosten zu setzen; doch es erscheine ein Dritter, und auf der Stelle wird das Gespräch funkelnd werden, wie das von zwei Stummen, welche plötzlich die Sprache wiederfinden.

Der ehrliche Colombau schrieb die frühere Schweigsamkeit und die gegenwärtige Zungenfertigkeit von Camille keiner andern Ursache, als dem ungleichen und launenhaften Charakter des jungen Mannes zu.

Für Carmelite, welche, in der strengen Pension von Sanct-Denis erzogen, sodann Krankenwärterin ihrer Mutter und Zeuge von ihrem Tode geworden war, hatte die Traurigkeit bis dahin den wahren Grund ihres Lebens gebildet, und der ernste Bretagner setzte ohne sein Wissen und sogar ohne Wissen des Mädchens die wohlthätigen, aber betrübenden Lectionen des Pensionats fort.

Würde in diesem Augenblicke gerade zu ihrem Herzen gehend eine unmittelbare Aufforderung sie gefragt haben, welchen von den zwei jungen Leuten sie am meisten liebe, sie hätte unzweifelhaft, ohne Zögern, mit natürlichem Instinkt, in einer unwiderstehlichen Hinreißung, Colombau bezeichnet.

Weit entfernt, sie zurückzustoßen, zog sie sein ernster Charakter an; sie begegneten einander jeden Augenblick in den Schätzungen, die sie über alle Gegenstände hegten.

Camille aber hatte einen dem von Carmelite ganz entgegengesetzten Charakter: seine Lebhaftigkeiten beunruhigten sie; sein Leichtsinn war ihr anstößig; sie war immer bereit, ihn als ältere Schwester wie einen Schüler auszuzanken, denn ihre kräftige entschlossene Natur hatte ihr über Camille ein wenig von der Herrschaft gegeben, welche Colombau schon im Collége über seinen amerikanischen Mitschüler gewonnen. Sie hatte für ihn vielmehr die Sorgsamkeit, die man für die Kinder hegt, als die Zärtlichkeit, welche man für einen jungen Mann empfindet.

Wenn sie arbeitete oder allein sein wollte, und Camille trat unversehens ein, war sie nicht verlegen, ihm zu sagen: »Gehen Sie, Sie belästigen mich.«

Nie hätte sie es gewagt, ein solches Wort zu Colombau zu sprechen.

Colombau belästigte sie übrigens auch nie.

Eine Folge hiervon war, daß Carmelite selbst sich über ihre Gefühle täuschte; sie hielt allmählich die Vertraulichkeit, die sich zwischen ihr und Camille gründete, für eine größere Lebhaftigkeit der Zuneigung; sie hielt für Furcht die ehrerbietige, aber tiefe Liebe, die sie mit Colombau verband.

Colombau schien sie zurückzuhalten; Camille schien sie fortzureißen.

Sie wurde von Colombau geliebt; sie wurde von Camille verführt.

Wie erschaut die Kindheit das Leben, wenn nicht als ein Gewinde von Blumen, deren schönste die glänzendste ist? wie erschaut ein junges Mädchen das Leben, wenn nicht als ein gelobtes Land, wo sie den Kranz ihrer Träume soll entblättern können.

Das Leben mit Colombau, das war das Studium und die Arbeit jedes Tages; das Leben mit Camille, das war eine ewige Reise durch das buntscheckige Land der Phantasie.

Betaut Carmelite am Abend Lust, ein Musikstück zu lernen, von dem man gesprochen, so sagte Colombau zu ihr:

»Morgen sollen Sie es haben.«

Aber Camille, rasch im Befriedigen der Wünsche Anderen, wie er mit aller Hitze die seinen befriedigte, Camille, und war es Mitternacht, fiel der Regen in Strömen, waren die Musikmagazine geschlossen und die Herausgeber eingeschlafen, Camille, der sich nichts um den Regen und die Stunde bekümmerte, Camille, der zu Fuße durch ganz Paris lief, machte Lärm vor der Thüre des Händlers, bis dieser, angelockt durch den übertriebenen Preis, den der junge Mann in Betracht der späten Stunde bot, zu öffnen sich entschloß.