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Die Mohicaner von Paris

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Eines Tags, im Luxembourg, hatte Carmelite, übrigens ziemlich unbestimmte, den Wunsch, ein paar Blüthen von einem rothblümigen Kastanienbanme zu besitzen, kundgegeben.

»Ich kenne einen Baumgärtner, der in der Rue de la Santé wohnt,« sagte Colombau; »bei Ihrer Rückkehr, liebe Carmelite, sollen Sie einen ganzen Arm voll von diesen Blumen haben.«

Aber, behende wie eine Katze, war Camille trotz der gerechten Vorwürfe von Colombau, der ihn daran erinnerte, daß sie in einem öffentlichen Garten waren, schon auf den Baum geklettert, hatte-einen ganzen Ast von dem rothblütigen Kastanienbaume abgebrochen, und war, ohne von einem Aufseher bemerkt worden zu sein, wieder herabgestiegen, denn bei ihm fand eine Art von Bündnis zwischen dem Glücke und der Keckheit statt; ein Chiromantist, der die Hand von Camille studiert hätte, würde gewiß vom Mareberge bis auf Faustgelenke die Glückslinie gerade, fest, ohne irgend eine Abweichung erkannt und verfolgt haben.

Es war in der That unmöglich, zugleich verwegener und glücklicher als Camille zu sein.

Diese Handlungen und andere ähnliche, welche sich bei jedem Anlaß und jeden Augenblick wiederholten, flößten Carmelite eine große Zuneigung für den jungen Mann ein, eine Zuneigung, an der ebenso wohl das Erstaunen als die Bewunderung Theil hatten.

Colombau gewahrte an mehreren Symptomen, welche Anziehungskraft der Creole auf das Mädchen übte.

Das ist sehr natürlich sagte er zu sich selbst, ohne sich Anfangs um diese Anziehungskraft zu bekümmern; »er hat die Schönheit, die Heiterkeit, die Anmuth, den Glanz; ich, ich habe nur die Traurigkeit und die Stärke.«

Dann, allmählich, in der Redlichkeit seines Gemüthes, – und wie er so dachte, wurde seine Stirne düsterer und sein Herz beklommener, – allmählich legte er sich:

»Mein Gott! Du hast mich mit vier und zwanzig Jahren ernst gemacht wie einen Greis! Welch ein trauriger Gefährte werde ich für ein Mädchen sein, dessen Begierden alle den meinigen antipathisch sind. Und dennoch,« fügte er zweifelnd bei . . . »Alles sagt mir, ich sei fähig, das Glück von Carmelite zu machen, und ich werde die Kraft und die Macht dazu haben, wenn ich den Wunsch und den Willen habe!«

Dann schaute er sie an, wie sie schön, jung, lächelnd ganz nahe beisammen saßen, und es dünkte ihm, die zwei Jugendglorien, welche ihre Stirne umschlossen, bilden nur eine, und es sei dies eine Liebesglorie.

Hierbei schüttelte er den Kopf, und bleich, im Schatten stehend, während Camille und Carmelite von Licht strahlten, sprach er:

»Vergebene möchte ich mich täuschen; diese zwei jungen Leute lieben sich, und das ist gerecht und billig. Und dennoch hatte hatte ich eine andere Existenz für Carmelite geträumt . . . Theure Carmelite! ich hätte eine hohe stolze Dame aus ihr gemacht! Camille sieht besser als ich: er wird eine glückliche Frau aus ihr machen!«

Und von dieser Stunde an beschloß Colombau, trotz des schmerzlichsten Bedauerns, trotz der Traurigkeit, die sich seiner jeden Tag mehr bemächtigte, völlige Selbstverleugnung zu üben und Carmelite mit den Schätzen zu bereichern, die er angehäuft hatte.

»Eines Abends, als Camille und Carmelite mit entzückender Stimme, auf einander gestützt, die Haare flatternd, den Athem vermengt, ein Liebesduett gesungen, in welchem alle Saiten jener menschlichen Leidenschaft, die beinahe die himmlische Octave berührt, vibriert hatten, legte Colombau. in sein Zimmer zurückkehrend, die Hand auf die Schulter von Camille und sprach, die Augen voller Thränen die Brust voller Seufzer, aber mit ruhigem Tone:

»Camille, Du liebst Carmelite!«

»Ich?« rief Camille erröthend. »Ich schwöre Dir . . . «

»Schwöre nicht, Camille, und höre mich an,« Sprach Colombau. »Du liebst Carmelite vielleicht ohne daß Du es weißt, doch Du liebst sie tief, wenn nicht auf dieselbe Weise, doch wenigstens eben so sehr; als ich sie liebte.«

»Aber Carmelite?« versetzte Camille.

»Ich habe Carmelite nicht gefragt,« erwiderte Colombau. »Wozu? Nein, ich weiß hinreichend, was der Zustand ihres Herzens ist! Ich gestehe, zu Eurer Beider Lobe, daß der Kampf lange gedauert hat, und daß Ihr gewisser Maßen unwillkürlich zu einander hingezogen worden seid. Vernimm also, was mein Plan ist . . . «

»Nein! Nein!« rief Camille, »es ist an mir, Dir meinen Plan zu sagen, Colombau. Es ist lange genug, daß ich von Dir empfange, ohne Dir zu geben, daß ich von Dir Deine Hingebungen annehme, ohne sie Dir erwidern zu können! Du hast vielleicht Recht; ja ich bin auf dem Punkte, Carmelite zu lieben, zum Verräther an unserer Freundschaft zu werden; doch von dieser Liebe, das schwöre ich Dir, Colombau, habe ich ihr nie ein Wort gesagt, und bis zu diesem Momente, bis zu dieser Stunde, wo Du sie aus der Tiefe meines Herzens reißest, um sie mir vor meine Augen zu legen, habe ich sie vor mir selbst verborgen . . . Das ist der erste Fehler, den ich gegen Dich begangen; aber, ich wiederhole es Dir, über den so sanften Abhang der Freundschaft zu Drei hingleitend, vermuthete ich nicht, ich gehe gerade auf die Liebe zu. Du siehst es für mich: Dank Dir! Du sagst es mir: desto bessert es ist noch Zeit! Ja, ja, theurer Colombau, ich war aus dem Punkte Carmelite zu lieben, und diese Liebe macht mir Grauen, als ob Carmelite die Frau meines Bruders wäre. »Ich habe also, Dich hörend, mein Herz sondierend, den Abgrund erschauend, einen äußersten Entschluß gefaßt: ich reise schon heute Abend ab.«

»Camille!«

»Ich reise . . . ich will zwischen meine Wünsche und meine Leidenschaft eine unübersteigbare Schranke setzen; ich werde über das Meer ziehen und im Herzen Schottlands oder Englands leben; doch ich verlasse Paris, doch ich verlasse Carmelite, doch ich verlasse Dich!« rief Camille.

Und er zerfloß in Thränen und warf sich auf sein Canapé.

Colombau blieb stehen fest wie der Fels seines Strandes, an dem sich seit sechstausend Jahren des Meeres Wogen brechen.

»Ich danke Dir für Deine edle Absicht!« sagte er; »ich weiß Dir dafür Dank wie für das grüßte Opfer, das Du mir bringen kannst; doch es ist zu spät, Camille!«

»Wie, zu spät?« versetzte der Creole, sein ganz in Thränen gebadetes Haupt erhebend.

»Ja, zu spät!« erwiderte Colombau.,Besäße ich den Egoismus, Deine Aufopferung anzunehmen: würde ich nun aus dem Herzen von Carmelite die Liebe reißen, die sie für Dich hegt?«

»Carmelite liebt mich? Du bist dessen sicher?« rief Camille aufspringend.

Colombau schaute den jungen Mann an, dessen Gesicht sich wie unter den Strahlen der Augustsonne getrocknet hatte.

»Ja, sie liebt Dich,« antwortete er.

Camille begriff, was alles Selbstsüchtiges in dem Blitze der Freude lag, der durch seine Augen aus seiner Seele gezuckt hatte.

»Ich werde also reisen,« sagte er: »weit von den Augen, weit vom Herzen.«

»Ihr werdet Euch nicht trennen,« entgegnete Colombau, »oder vielmehr, ich werde Euch nicht trennen. Ich müsste sehr feig sein, wenn ich eitle Liebe nicht zu bezähmen wüßte, welche das Unglück eines Bruders und einer Schwester machen würde.«

Colombau! Colombau! rief der Creole, als er sah, wie sein Freund sich gegen sich selbst anstrengte.

»Bekümmere Dich nicht um mich; die Ferien kommen in einigen Tagen: ich werde reisen.«

»Nie!«

»Ich werde reisen, so wahr als ich es Dir sage. Nur,« fügte der Bretagner mit zitternder Stimme bei, »nur versprich mir Eines, Camille!«

»Was?«

»Du versprichst mir, das Glück von Carmelite zu machen?«

»Colombau!« rief der Creole, seinem Freunde in die Arme fallend.

»Da schwörst mir, sie zu achten so lange sie nicht Deine Frau sein wird?«

»Vor Gott!« schwor Camille feierlich.

»Nun wohl,« sagte Colombau, die Augen abwischend, »ich werde meine Reise nur einige Tage beschleunigen; denn Du begreifst wohl, Camille? So stark ich sein mag, ich bin von zu frischem Datum resigniert, um unaufhörlich das Schauspiel Eures Glückes vor den Augen haben zu können . . . Ich würde Euch betrüben wie ein Vorwurf! Ich werde also schon morgen reisen; und meine-Verzweiflung wird das Gute haben, daß sie meinem armen Vater ein paar Tage des Glückes mehr gibt.!«

»Oh! Colombau,« sprach Camille, den edlen Bretagner umarmend, »oh! Colombau, wie schwach und elend bin ich gegen Dich! Verzeih mir, daß ich Dich zu diesem ewigen Opfer Deines Glückes verurtheilte; aber Du siehst, mein lieber, mein verehrter Colombau, ich täuschte Dich, als ich Dir sagte, ich werde reisen; ich wäre nicht gereist: ich hätte mich getödtet!«

»Unglücklicher!« rief Colombau. »Ich werde reisen, und ich werde mich nicht tödten: ich habe einen Vater!«

Dann, mit ruhigerem Tone:

»Und dennoch . . . nicht wahr, Du begreifst, daß man für eine Frau, die man liebt, stirbt?«

»Ich begreife wenigstens nicht, daß man ohne sie lebt.«

»Du hast Recht,« erwiderte Colombau; »zuweilen sind mir diese Gedanken selbst gekommen.«

»Dir, Colombau?« versetzte Camille erschrocken, denn diese Werte hatten in dem Munde des düsteren Bretagners eine ganz andere Bedeutung, als in dem des sorglosen Creolen.

»Mir, Camille, ja! . . . Doch beruhige Dich,« sprach Colombau.

»Ja, Du sagtest es, Du hast einen Vater!«

»Auch habe ich Euch Beide, meine guten Freunde, und ich würde befürchten, einen Gewissensbiß bei Euch zu hinterlassen! Gehe also in Dein Zimmer! ich bin ruhig; ich habe nun nur noch einen Wunsch: meinen Vater wiedersehen!«

Als ihn sodann der junge Mann, ungeduldig, allein zu sein, düster und trostlos wie ein durch den Dezemberwind seines Blätterwerks beraubter Baum zurückgelassen hatte, murmelte Colombau:

»Mein Vater! Oh! ich hätte mich nie von Dir trennen müssen!«

XLV
Abreise

Die Abreise von Colombau war von ihm auf den Abend des folgenden Tages festgesetzt worden.

Es war für den jungen Mann eine grausame Minute, die Minute, wo er diese Abreise Caruseltte ankündigen mußte.

 

Carmelite saß und flickte, als Colombau, von Camille gefolgt, bei ihr eintrat.

Sie schaute empor, lächelte den zwei Freunden zu, reichte ihnen die Hand und setzte dann ihre Stickerei fort.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein.

Die Brust der zwei Freunde war beklommen, um nicht mehr athmen zu können; ein sanften reiner Athem kam aus der dritten Brust hervor.

In dem Augenblicke, wo Carmelite die Freunde nach der Ursache ihres Stillschweigens fragen wollte, sagte der Bretagner mit seinem schwermüthigen Tone:

»Carmelite, ich reise.«

Carmelite bebte und hob rasch das Haupt empor.

»Wie, Sie reisen?« fragte sie.

»Ja.«

»Und wohin gehen Sie?«

»Nach der Bretagne.«

»Nach der Bretagne? Warum nach der Bretagne, einen Monat, ehe die Ferien beginnen?«

»Es muß sein, Carmelite.«

Das Mädchen schaute ihn starr an und wiederholte: »Es muß sein?«

Der junge Mann raffte alle seine Kräfte zusammen, um eine am Tage vorher vorbereitete Lüge auszusprechen.

»Mein Vater will es,« sagte er.

Doch die ehrlichen Lippen von Colombau boten sich so schlecht zu Verkleidung der Wahrheit, daß er diese vier Worte mehr stammelte, als aussprach.

»Sie reisen! Und ich?! versetzte das Mädchen mit einem erhabenen Egoismus.

Colombau wurde bleich wie der Tod: sein Herz war nahe daran, still zu stehen.

Camille fühlte im Gegentheil, daß eine Flamme über sein Gesicht zog, und daß sein Herz immer rascher schlug.

»Sie wissen, Carmelite,« sagte Colombau: »die menschliche Sprache hat ein Wort, an dem sich alle unsere Wünsche, alle unsere Hoffnungen brechen: Es muß sein!«

Colombau hatte diese Worte mit einer solchen Entschlossenheit gesprochen, daß Carmelite das Haupt neigte, als wären sie durch den Mund des Schicksals selbst gesprochen worden.

»Doch die zwei Freunde sahen, stille Thränen aus ihren Augen auf ihre Stickerei fallen.

Da entspann sich ein furchtbarer Kampf im Herzen des Bretagners . . . Camille folgte auf dem Gesichte von Colombau allen Fortschritten seines inneren Schmerzes; Colombau sollte vielleicht eben unterliegen, Carmelite zu Füßen fallen und ihr Alles sagen, da sprach Camille, die Hand auf die Schulter von Colombau legend:

»Lieber Colombau, um des Himmels willen, reise nicht!«

Dieses Flehen verlieh Colombau wieder seinen ganzen Muth.

»Es muß sein,« sagte er zu Camille, wie er zu Carmelite gesagt hatte.

Camille wußte wohl, was er flehend that, und welche Macht seine Stimme über das Herz seines Freundes hatte.

Diese drei Worte welche Carmelite nicht genügt hatten, genügten übrigens Camille.

Camille schwieg: die Wirkung, die er hatte hervorbringen wollen, war hervorgebracht.

Es folgte ein trauriger Abend auf die Erklärung von Colombau.

Erst in dem Augenblicke, wo sie sich verlassen sollten, sahen die jungen Leute klar in sich selbst.

Colombau begriff, welche unwiderstehliche, tiefe, unbegränzte Liebe er für Carmelite hegte. Wäre er genötigt gewesen, diese Liebe aus seiner Brust zu reißen, er würde sich ebenso wohl das Herz ausgerissen haben.

Doch diese Liebe, – seiner sicher, wie er es war, und nicht befürchtend, es werde je bei ihm dahin kommen, daß er seinen Freund verrathe, – er konnte sie wenigstens bewahren als einen Schutz von Thränen und Schmerzen.

Carmelite ihrerseits begriff, welche heftige Zuneigung sie für Colombau hegte.

Hatte sie sich aber in ihren einsamen Nächten, unter ihren Mädchenträumen, von Angesicht zu Angesicht dieser Zuneigung gegenüber befunden und in der Naivität ihrer Seele an die Heirath gedacht, welche in ihren Augen die Folge jeder lebhaften Zuneigung sein mußte, dann hatte sie sich gefragt, ob der Vater von Colombau, – ein alter, wahrscheinlich von den Vorurtheilen seiner Kaste angesteckter Edelmanm – je dazu einwilligen würde, daß sein Sohn eine Waise ohne Vermögen und ohne Namen heirathe.

Ihr Vater war allerdings als Kapiteln und auf dem Schlachtfelde gestorben, doch in der Zeit, zu der wir gekommen sind, hatte die Restauration zwischen dem Schwerte, das Napoleon gedient, und dem, welches Ludwig XVIII. gedient, eine solche Demarcationslinie gezogen, daß nichts Erstaunliches, selbst für Carmelite, darin lag, daß der Graf von Penhoël nicht zu der Heirath seines Sohnes mit der Tochter des Kapitäns Gervais einwilligte.

Der erste Gedanke der Carmelite kam, war, der Vater von Colombau habe erfahren, in welchem vertraulichen Verhältniß die drei jungen Leute lebten, und er rufe Colombau zurück, damit dasselbe aufhöre.

Der Stolz von Carmelite empörte sich, sie machte keine Fragen mehr.

Es war ein trauriger Tag, diese letzten Stunden, welche die drei Freunde mit einander zubrachten, Stunden, in denen mehrere Male die Rede auf den Lippen stockte und die Thränen auf den Augen fielen.

Doch während dieser äußersten Stunden verrieth nicht ein Wort, nicht ein Blick des strengen Bretagners die verzehrende Leidenschaft, die er in seiner Brust verbarg.

Wie der junge Spartaner, ließ er sich mit einem Lächeln auf den Lippen die Eingeweide zerreißen.

Dieses Lächeln war freilich das der Traurigkeit.

Es erschien die Stunde der Abreise; Colombau sagte Carmelite durch einen auf die bleichen feuchten Wangen des Mädchens gedrückten freundschaftlichen Kuß Lebewohl; dann entfernte er sich, von Camille fortgezogen.

Camille führte Colombau bis zur Diligence.

Hier Colombau seinen Freund zum letzten Male beiseit und ließ ihn schwören, er werde Carmelite als bestimmt, seine Frau zu werden, und bis sie seine Frau sei, achten.

Dann kam Camille nach dem Hause der Rue Saint-Jacques zurück, wo er das Mädchen ganz in Thränen fand.

Hieß es nicht in der That das Herz von Carmelite brechen, das letzte Band zerreißen das sie noch an ihrem Leben von einst festhielt? Die Freundschaft von Colombau, entstanden aus der Hingebung und der Dankbarkeit am Bette ihrer todten Mutter, hatte ihr als Uebergang zwischen der Vergangenheit und der Zukunft gedient; diese Abreise riß aus dem Herzen der Waise letzten Fetzen ihrer Kindheit! Fortan allein in der Welt, – denn Colombau hatte nicht gesagt, wann er zurückkommen werde, – nur vermögend, Freundschaft und Schutz von Camille, das heißt, von einem jungen Manne zu verlangen, dessen Leichtsinn und Zerstreuungsucht ihr, verglichen mit der ernsten Zärtlichkeit von Colombau, in ihrer erschrecklichen Wahrheit erschienen, – hatte sie eine von jenen tiefen Traurigkeiten erfaßt, welche an die Verzweiflung grenzen und sie fühlte sich nun vereinzelt, verloren in dieser unbekannten Wüste, die man die Welt nennt, ohne Zuneigung, ohne Stärke, ohne Stütze!

Sie weinte also, die Arme, bitter und reichlich, als Camille kam.

Bei dem Geräusche, das der Creole zurückkehrend machte, schaute Carmelite nur empor, um zu sehen, ob Colombau nicht zufällig mit ihm zurückgekehrt sei.

Als sie ihn allein sah, ließ sie ihren Kopf wieder auf ihre Brust fallen.

Camille blieb einen Augenblick stillschweigend auf der Thürschwelle stehen; er war weniger, als er glaubte-im Herzen des Mädchens vorgerückt.

Er begriff auch, daß er nicht von sich, sondern vom Bretagner sprechen mußte.

»Ich komme,« sagte er, um Ihnen von Colombau die Versicherung seiner tiefen Freundschaft zu bringen.«

»Was für eine Freundschaft ist das?« fragte Carmelite mit einer düsteren Miene; »Eine Freundschaft, die sich nach Belieben knüpft und löst. Würde ich nicht, wenn ich hätte abreisen müssen, meine Freunde, sobald mein Reiseplan gefaßt war, davon unterrichtet haben? und hätte ich ihn, nachdem er gefaßt war, so schnell und so grausam ausgeführt?«

Arme Carmelite! sie vergaß oder gab sich den Anschein, als vergäße sie, was ihr Colombau vom Briefe seines Vaters gesagt hatte.

Camille sah ein, was im Herzen des Mädchens vorging, und auch, welchen Nutzen er aus dieser vorgeblichen Opposition des Vaters von Colombau ziehen konnte; doch durch einen Brief von Colombau, wenn Camille sich auf dieses Motiv stützte, konnte er auf der That der Lüge ertappt werden, und Camille wußte, das rechtschaffende Herz der Waise würde ihm Alles vergeben, die Lüge ausgenommen.

Er beschloß also, sich in der Nähe der Wahrheit zu halten.

»Glauben Sie mir, liebe Carmelite,« sagte er, »nur ein sehr wichtiger Beweggrund konnte Colombau bestimmen, abzureisen.«

»Was ist aber dieser wichtige Beweggrund?« fragte Carmelite, »mir das Geständniß desselben verweigern, heißt das nicht mir sagen, er sei beleidigend für mich?«

Camille schwieg.

»Was ist es? sprechen Sie!« fügte Carmelite mit einer gewissen Ungeduld bei.«

»Ich kann nicht, Carmelite.«

»Sie müssen, Camille, wenn Sie einen Werth darauflegen, daß meine Freundschaft für Colombau bleibt, was sie ist, aufrichtig und stark; Sie müssen, und es ist Ihnen nicht erlaubt, mich Ihren Freund beargwohnen zu lassen: es ist Ihre Pflicht, ihn zu rechtfertigen, da ich ihn anklage.«

»Ich weiß, ich weiß Alles dies, Carmelite!« rief Camille; »fragen Sie mich aber nicht, warum Colombau abgereist ist . . . Ihnen zu Liebe, mir zu Liebe, uns Allen zu Liebe, fragen Sie mich das nicht!«

»Ich frage Sie es im Gegentheil gebieterisch,« erwiderte das Mädchen; »ist es ein Kummer, den er mir ersparen will, so sprechen Sie, denn kein Kummer kann für mich größer sein, als der einer verrathenen Freundschaft. Erklären Sie sich also im Namen der Redlichkeit!«

»Sie wollen es, Carmelite?« sagte Camille, der sich den Anschein gab, als wiche er der Gewalt.

»Ich fordere es.«

»Nun denn, er ist abgereist . . . «

Camille hielt inne, als weigerte sich seine Zunge ihr zu gehorchen.

»Sprechen Sie! sprechen Sie!«

»Nun, Colombau ist abgereist weil . . . «

»Weil . . . «

»Weil . . . « wiederholte zögernd der junge Mann.

»Nun?«

»Oh! es ist so schwer zu sagen, Carmelite!«

»Es ist also nicht die Wahrheit?«

»Es ist die reine Wahrheit.«

»Dann sagen Sie sie rasch und dreist.«

»Colombau ist abgereist . . . Colombau ist abgereist . . . weil ich Sie liebe!«

Er hatte Recht, zu zögern, der geschickte Creole, ehe er das ich aussprach.

Es lag ein tiefer Abgrund in diesem Fürwort, so kurz es war. Hätte Camille, statt zu sagen: »Ich liebe Sie!« gesagt: »Colombau ist abgereist weil er sie liebt,« so stand Camille Colombau nicht nach.

Hätte Camille gesagt: »Weil Colombau Sie liebt, und ich Sie auch liebe,« so stellte er Carmelite mit der ganzen Wahlfreiheit zwischen diese doppelte Liebe.

Carmelite ermaß mit einem Blicke die aufopfernde Hingebung des Bretagners, welcher abgereist war, den Egoismus des Creolen, der geblieben war.

Haben wir, wir sagen nicht den Charakter, sondern das Temperament von Camille wohl analysiert, so weiß der Leser schon, daß, nicht um eine Leidenschaft, sondern um eine einfache Laune zu befriedigen, Camille vor keinem Hinderniß zurückgewichen wäre, konnte nun das Hinderniß durch die List umgangen, konnte es um durch den Muth über den Haufen geworfen werden; er ging immer auf sein Ziel zu, gerade, wenn er konnte, schräge, wenn er es nur auf eine schräge Art zu erreichen vermochte. Sinnlich vor Allem, war es die Heftigkeit der Begierden und nicht die Tiefe der Verdorbenheit, was ihn eine schlimme Handlung zu begehen veranlassen konnte; hatte diese schlimme Handlung ein böses Resultat, so war er fähig zu heftigen Gewissensbissen, welche aber um so weniger dauerhaft, als die Reizbarkeit seiner Nerven seinen Gewissensbissen eine übertriebene Energie verlieh. Und dennoch, so sittenlos Camille instinktartig sein mochte, das letzte Opfer seines Freundes, den er so eben ihn geleitend umarmt hatte, war seinem Geiste noch so gegenwärtig, daß er trotz dieser tiefen Sittenverderbtheit, zögerte ihn so schnell zu verrathen.

Er antwortete also Carmelite eine halbe Wahrheit, indem er ihr erwiderte: »Colombau ist abgereist, weil ich Sie liebe!«

So antwortend war er nur halb Verräther.

Colombau hatte seinen Freund nicht reisen lassen; wäre aber dieser Freund ohne ihn davon in Kenntniß zu setzen oder wider seinen Willen gereist, so würde gesagt haben: »Camille ist abgereist, weil er Sie liebt; Camille ist mehr werth als ich, da ich nicht den Muth gehabt habe, abzureisen.

Die Ursache der Abreise von Colombau, auf diese Art Carmelite eröffnet, brachte auch auf sie die Wirkung eines Donnerstreichs hervor,

Sie schaute Camille starr an, so starr, daß dieser erröthete und die Augen niederschlug.

»Camille, Sie lügen!« sagte sie; »nicht Ihretwegen ist Colombau abgereist.«

»Camille erhob das Haupt.

 

Diese Anschuldigung war nicht diese, welche er befurchtete.

»Einzig und allein, meinetwegen,« antwortete er.

»Was konnte denn Colombau die Liebe machen, die Sie für mich zu haben behaupten?« fragte daa Mädchen.

»Er hatte bange, Sie zu lieben,« erwiderte der Creole.

»Guter Colombau!« murmelte Carmelite.

Dann wandte sie sich an Camille und sprach:

»Lassen Sie mich allein, mein Freund; es ist für mich Bedürfnis, zu weinen und zu beten.«

»Camille nahm die Hand des Mädchens und küßte sie ehrerbietig; eine Thräne fiel aus seinen Augen auf die Hand von Carmelite.

Welche Quelle hatte diese Thräne geliefert? War es die Dankbarkeit, die Scham oder der Gewissensbiß?

Carmelite erkundigte sich nicht hiernach: für sie war eine Thräne eine Thräne, das heißt eine Perle, die der Schmerz, sich darein versenkend, aus dem tiefen Ocean holt, den man das Herz nennt.

Camille ging in seine Wohnung zurück und war ganz erstaunt, sein Zimmer erleuchtet zu finden.

Er war noch mehr erstaunt, als er eine Frau in seinem Zimmer sah.

Diese Frau war die Prinzessin von Vanvres, welche von der nahe bevorstehenden Abreise von Colombau unterrichtet, die Wäsche brachte, die sie von ihm hatte.

Nur hätte sich die schöne Chante-Lilas, – man erinnert sich, daß dies der Name der Prinzessin von Vanvres war, – um eine Viertelstunde verspätet.

Da sie aber die Wäsche irgend Jemand übergeben wollte, so hatte sie die Rückkehr von Camille abgewartet.

Camille war, wie man weiß, erst zurückgekommen, nachdem ihn Carmelite gebeten, sie allein zu lassen, so daß es in dem Augenblicke, wo Camille in sein Zimmer kam, halb elf Uhr sein mochte.

Das war sehr spät, um allein nach Vanvres zurückzukehren.

Camille bot der Prinzessin das Zimmer seines Freunden Colombau an.

Die Prinzessin machte einige Schwierigkeiten, doch auf die Versicherung, es sei ein Riegel an der Verbindungsthür, nahm sie an.

War nun ein Riegel da oder war keiner da? blieb der Riegel vorgeschoben oder gezogen? Das werden wir wahrscheinlich beim ersten Zusammentreffen des verführerischen Camille und der schönen Chante-Lilas errathen.