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Die Mohicaner von Paris

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LVI
Die Nachtigallenbrut

Während dieser Zeit schrieb Carmelite folgenden Brief an ihre drei Freundinnen von Saint-Denis:

An Regina, an Lydia, an Fragola.

Gott befohlen, meine Schwestern!

»Wir hatten uns in Saint-Denis geschworen, wie verschieden auch unsere Lage in der Welt sein möchte, unser ganzes Leben hindurch, wie dies unsere Gewohnheit in der Pension war, uns zu lieben, und zu vertheidigen und und zu dienen; es war verabredet, daß im Falle einer Gefahr Jede auf den Ruf der Andern kommen sollte, an welchem Orte und in welcher Entfernung sie sich auch fände.

»Nun wohl, ich halte meinen Schwur: ich rufe Euch; haltet den Euren: kommt!

»Kommt und küßt zum letzten Male die eiskalte Stirne von derjenigen, die hienieden Eure Freundin war! Kommt! mein letzter Seufzer wird zu Euch fliegen und Euch sagen: ›Ich erwarte Euch!«

»Indem ich diese Welt verlasse, bin ich Euch indessen ein Bekenntniß über diese plötzliche Abreise schuldig.

»Meine Schwestern ich wäre Eurer unwürdig, wenn ich, meine Uebel für heilbar haltend, Euch nicht gerufen hätte, um sie zu heilen, aber, ach! die Wunde war tödtlich, und Eure dreifache Zärtlichkeit hatte nur die Blumen unserer Freundschaft darauf werfen können.

»Beklaget aber nicht, daß ich vom Leben scheide, o meine Schwestern, und beneidet vielmehr meinen Tod; denn ich sterbe, wie Andere leben, mit Freude, mit Entzücken, mit Glück!

»Ich liebe! – und wenn Ihr je geliebt habt, so werdet Ihr den Sinn dieser Wortes begreifen. Liebt Ihr heute noch nicht, so werdet Ihr ihn morgen begreifen. – Ich liebe den Mann meiner Wahl, meines Geschmacks, meiner Träume; ich habe in einem menschlichen Geschöpfe alle Reichthümer der Schönheit, der Güte, der Tugend vereinigt gefunden, mit denen Jede von uns den Helden schmückt, den sie heirathen sollt!

»Da ich ihn in dieser Welt nicht heirathen kann, so verlobe ich mich mit ihm heute Abend und heirathe ihn in der andern.

»Wir werden heute Nacht sterben, weine Schwestern, und kommt Ihr morgen frühzeitig, ehe der Tod Zeit gehabt hat, seine Veilchen auf unsere Wangen zu entblättern, so werdet Ihr das schönste Brautpaar sehen, das die Erde je getragen.

»Vergießet aber keine Thräne auf seine Stirne, störet seinen Schlaf nicht durch Eure Seufzer, denn es werden auch nie Seelen von Verlobten strahlender, reiner zum Himmel aufgestiegen sein.

»Gott befohlen, meine Schwestern!

»Ich beklage einzig und allein, daß ich Euch nicht alle Drei, bevor ich sterbe, umarmen konntet doch was für mich die Bitterkeit dieses Kummers mildert, ist der Gedanke, ich hätte Euren Thränen vielleicht nicht widerstehen können, und Eure so zärtliche, so ergebene Zuneigung hätte mich wieder Geschmack am Leben fassen lassen, während mir das Sterben eine unbeschreibliche Glückseligkeit bereitet.

»Beklaget mich also nicht; gedenkt aber zuweilen meiner, wenn Ihr am Abend, in einer heiteren Nacht, beim Scheine des Mondes, dieses melancholischen Freundes der Todten, Worte ohne Folge murmelnd, auf den Arm des Mannes, den Ihr liebt, gestützt, lustwandelt.

»Saget Euch, daß ich – die ich Euch, über den Rand der silberbefransten Wolken geneigt, zuschauen werde, – daß ich auch göttliche Stunden in den Frühlingsnächten, auf die ersten Liebesworte lauschend, die Ersten Wohlgerüche der Rosen einathmend, zugebracht habe.

»Gedenket meiner, wenn Ihr, allein und ihn erwartend, bei jedem Geräusche eines Wagens, der anhält, einer Thüre; die sich schließt, um das Fieber der Abwesenheit zu besänftigen, hingeht und in seinem Zimmer umherstört, die Bücher, die Pariere, die Gegenstände, die er berührt hat, küßt; sagt Euch, ich habe am Abend auch die Blätter der Baumgänge geküßt, durch die er am Morgen gekommen.

»Gott befohlen, meine Schwestern!

»Die Thränen treten mir in die Augen bei dem Gedanken, daß ich Euch verlassen soll; doch das Lächeln kommt mir auf die Lippen bei dem Gedanken daß ich ihm folgen werde.

»Seid glücklich!

»Ihr verdient Alle das Glück, das Eure Kindheit Euch versprach. Ich weiß nicht, warum Ihr mich so innig geliebt habt: ich war nicht würdig, Eine der Eurigen zu sein.

»Ihr seid heiter und sorglos: ich war ernst und nachdenkend; Ihr suchtet mich auf dem einsamen Fußpfade aus, wo ich spazieren ging; und Ihr zoget mich an der Hand zum Geräusche und zu den Spielen fort; doch ich verunstaltete Euer reizendes Trio, denn Ihr erinnert Euch, daß die Frau Obervorsteherin, als sie Euch eines Tags mit verschlungenen Armen sah, Euch die drei Grazien, nannte, worauf der Abbé streng entgegnete: ›Madame, Sie müßten eher sagen: die drei Tugenden.««

»Und das war die Wahrheit.«

»Regina war der Glaube; Lydia war die Hoffnung; Fragola war die Liebe.«

»Gott befohlen, mein Glaube! Gott befohlen, meine Hoffnung! Gott befohlen, meine Liebe! Gott befohlen meine Schwestern!

»Meine Abwesenheit diene dazu, daß Ihr Euch einander noch enger anschließt; liebt Euch noch mehr, wenn es möglich ist: nur die Liebe ist gut auf dieser Welt! suchet von der Liebe zu leben, die mich sterben machte ich vermöchte Euch keine überschwänglichere Glückseligkeit zu wünschen.

»Ich vermache Euch mein einziges Gut auf Erden, meinen einzigen Schatz meinen weißen Rosenstock, wenn er nicht etwa mit uns stirbt; Ihr werdet ihn eine nach der andern pflegen, Ihr werdet die Blumen davon aufbewahren, und am 15. Mai, an meinem Geburtstage, entblättert Ihr sie gemeinschaftlich auf meinem Grabe.

»So habe ich, in einer Frühlingsnacht; alle meine Freuden auf dieser Welt entblättert.

»Ihr werdet mir Verzeihung bei der Frau Obervorsteherin erlangen. Sie nannte mich, erinnert Ihr Euch dessen? ihren schönen rosenfarbigen Vogel; Ihr werdet ihr sagen, das Blei des Jägers fürchtend, sei ihr schöner rosenfarbiger Vogel zu den azurblauen Wäldern aufgestiegen.

»Ihr werdet bei mir diesen Brief finden; unter Eurer Adresse wird eine Symphonie darauf gelegt sein, die ich componirt habe.

»Ich glaube, ich hatte eine große Künstlerin werden können.

»Dieses Musikstück ist Euch Dreien gewidmet, denn ich dachte an Euch, indem ich es schrieb.

Es ist betitelte Die Nachtigallenbrut.

»An einem Tage in diesem Sommer sah ich vom Baume ein Nest von Nachtigallen fallen, die das Gewitter erstickt hattet – es gibt einen Blitz für die Vögel, wie für die Menschen – Das ist der Gegenstand meiner Symphonie, die Ihr zum Andenken an mich studieren und spielen werdet.

»Arme Vögelchen! sie sind das Bild der Illusionen, die ich mir mein ganzes Leben gewünscht habe, und die, kaum erschlossen, immer wieder gestorben sind.

»Zum letzten Male Gott befohlen, meine Schwestern, denn unwillkürlich, ich fühle es, befeuchten sich meine Augen mit Thränen, und fielen diese Thränen auf meinen Brief, so würden sie die Worte des Glückes, die ich geschrieben, verwischen.

»Gott befohlen, meine Schwestern!

»Carmelite.«

Nachdem sie diesen Brief beendigt hatte, schrieb sie drei andere, in denen sie einfach ihre drei Freundinnen auf den andern Morgen um sieben Uhr zusammenbeschied.

Dann rief sie die Gärtnerin und fragte diese:

»Wird heute die Postbrieflade noch einmal geleert?«

»Ja, Mademoiselle,« antwortete Nanette; »wenn Sie sich ein wenig beeilen, so werden Ihre Briefe heute um vier Uhr abgehen.«

»Und um wie viel Uhr werden sie in Paris ausgetheilt?«

»Um neun Uhr Abends, Mademoiselle.«

»Dann ist es gut . . . Nehmen Sie diese drei Briefe und werfen Sie dieselben auf die dieselben auf die Post.«

»Ja, Mademoiselle . . . Hat Mademoiselle sonst nichts mehr zu befehlen?«

»Nein; warum?«

»Es ist heute Fastnacht.«

»Ein Festtag,« versetzte Carmelite lächelnd.

»Ja, Mademoiselle, und wir haben uns zu fünf oder sechs verabredet, nach Paris zu gehen, wo wir uns einer großen Maskerade der Wäscherinnen von Vanvres anschließen werden, und wenn Mademoiselle nichts mehr braucht . . . «

»Nein, Sie können nach Paris gehen.«

»Ich danke, Mademoiselle.«

»Um wie viel Uhr werden Sie zurückkommen?«

»Um elf Uhr, vielleicht spätere es ist wohl möglich, daß man tanzt.«

Carmelite lächelte aufs Neue.«

»Unterhalten Sie sich gut, und kommen Sie zurück wann Sie wollen,« sagte sie, »wir werden Ihrer nicht bedürfen.«

Carmelite bedurfte in der That nicht nur der Gärtnerin nicht, sondern dieser Abgang entsprach sogar ihren Absichten.

Colombau und sie sollten ganz allein im Hause sein, und der Gedanke dieser Einsamkeit war es, was das Mädchen lächeln machte.

Die Gärtnerin entfernte sich, und gegen vier Uhr Abends dachten die jungen Leute, da sie sich allein fühlten, nur noch an die Vorbereitungen zu ihrem Tode.

Von diesem Augenblicke an verschwand die Welt für sie; sie gingen wohl noch einige Minuten unter den schwarzen, ihrer Blätter beraubten Bäumen im Garten umher, doch sie gingen wie die Schatten von sich selbst.

Die Blätter und die dürren Zweige, die sie mit den Füßen traten, diese Bäume mit den entfleischten Armen, dieser graue Himmel, den die Sonne vergebens zu durchdringen suchte, die Glocke des Weilers, welche melancholisch die Stunden schlug, der monotone Lärm der Faschingstrompete, die von Zeit zu Zeit traurig in der Ferne ertönte, Alles;Geräusch und Stille, Einsamkeit und Erinnerung an die Welt, Alles bereitete sie zur langen Ruhe vor, Alles lud sie zum Tode ein.

Sie gingen wieder ins Haus hinauf, und außer dem Zimmer von Camille, das seit seiner Abreise geschlossen geblieben war, besuchten sie alle Räume, um einen letzten Abschied von ihnen zu nehmen.

 

Als sie in das Zimmer von Carmelite kamen, öffnete diese das Fenster, nahm Colombau beim Arme und sagte zu ihm:

»Ich war an diesem Platze am Tage der Abreise von Camille; erst von diesem Tage an begriff ich den Umfang des Hasses, den ich gegen ihn hatte, durch die Größe der Liebe, die ich für Sie hegte; von diesem Tage an, Colombau, habe ich mit dem Leben gebrochen und mit dem Tode einen Vertrag geschlossen. Doch von diesem Augenblicke an, – verzeihen Sie mir Colombau! – ist mir auch der selbstsüchtige Wunsch gekommen, mit Ihnen zu sterben!«

Colombau preßte das Mädchen an sein Herz und rief:

»Dank! Dank!«

Dann trugen sie den Rosenstock fort, den der Gefährte ihres Todeskampfes sein sollte.

Auf der Schwelle blieb aber Carmelite stehen und sagte zu dem jungen Manne:

»Hier habe ich zum ersten Male die Offenbarung Ihrer Liebe erhalten . . . Oh! wie widerstand ich während einer halben Stunde, die Sie dageblieben sind, in jener glückseligen Nacht, meiner Begierde, mich in Ihre Arme zu werfen!«

Sodann, nach dem Fenster im Gange deutend:

»Von diesem Fenster aus sah ich Ihre Lampe wachen, und ich blieb da, bis Ihre Lampe erloschen war.«

Sie gingen die Treppe hinab, Carmelite lächelnd, der junge Mann seufzend.

»Wie oft,« sprach Carmelite, »bin ich in der Finsternis, nicht das Geräusch meiner Tritte, wohl aber das Pochen meines Herzens hörend, hinabgegangen! Sehen Sie, dort jener Allee folgte ich, und oft im Sommer, wenn Sie bei geschlossenen Vorhängen, aber offenem Fenster schliefen, legte ich, leicht wie ein Schatten, mein Ohr an die Läden, um Ihren Athem zu belauschen. Fast immer war Ihr Schlaf bewegt von einem bösen Traume, und ich war dann, die Arme ausgestreckt, die Brust keuchend, nahe daran, zu Ihnen zu sagen: ›Oeffne mir, Colombau, ich bin der Engel der rosigen Träume.‹ Erzählen Sie mir, was Ihren Traum störte, mein schöner Freund.«

Und sie bot ihre Stirne dem reinen, klaren Kasse des jungen Mannes.

Dann traten Beide, Carmelite zuerst, Colombau hinter ihr, in den Pavillon ein.

Colombau schloß die Thüre mit dem Schlüssel und dem Riegel.

LVII
To die, to sleep. 26

Colombau legte den Schlüssel auf den Kamin.

Das Schlafzimmer des jungen Mannes hatte sich in eine wahre Kapelle verwandelt.

Alles, was es an erschlossenen Blumen in dein kleinen Gewächshause gab, dessen Scheiben in der Sonne in einem Winkel des Gartens glänzten, wenn sich die Sonne zufällig zeigte, war von Carmelite in Contribution gesetzt worden.

Carmelite hatte die Fenster durch Vorhänge von weißer Mousseline verborgen; sie hatte auf, und hierauf, wie auf den Kamin, uns das Geéridon und jedes Meuble mit Blumen gefüllte Vasen gestellt.

Alles, was ihr von Blumen noch dieser Vertheilung geblieben war, hatte sie uns den Boden entblättert.

Man hätte glauben sollen, sie seien schon in die Gruft hinabgestiegen.

Sie setzten sich auf das Sopha und sprechen ungefähr eine Stunde mit einander.

Nachdem es Nacht geworden war, zündeten sie sodann die Lampe an, Als hätte Carmelite bange gehabt, dieser Tod zu Zwei könnte ihr entgehen, mochte sie jede Minute eine Bewegung, um aufzusteigen und die Kohle zu holen, welche im Ankleidecabinet, neben dem Zimmer, auf einem Rechand aufgehäuft lag.

Bei jeder Bewegung hielt sie Colombau zurück; in dem Augenblicke, wo er sie zu sehen aufhören sollte, hatte er sie nicht genug gesehen: er wollte sie noch mehr sehen.

Gegen neun Uhr Abends kam Carmelite ans den Gedanken, sich ans Klavier zu setzen und zu singen . . . Im Alterthum wenn die Schwäne sangen, ließen sie auch ihre Stimme in der Stunde des Todes hören.

Nie waren der Schrei des Schmerzes, nie die Hymne der Freude durch einen solchen Gesang wiedergegeben worden! nie hatte die Stimme von Carmelite, deren Umfang von der tiefsten Saite bis zu der höchsten ging, solche Wunder vollbracht. Gott gab ihr, wie es schien, um von der Welt, die sie verließ, Abschied zu nehmen, um die zu begrüßen, in welche sie eintrat, Töne der Klage und der Glückseligkeit, denen jener gefallenen Engel ähnlich, welche, nach einer langen Verbannung auf die Erde, durch die unendliche Barmherzigkeit des Herrn nach dem Himmel, ihrem ersten, ihrem einzigen, ihrem wahren Vaterlande, zurückberufen sind.

Endlich müde, die Raume ohne Grenzen zu durchlaufen, wo die Wirklichkeit schwebt, wo der Traum sich verirrt, erlosch die Stimme wie ein melodischer Seufzer, der lange noch, nachdem er erloschen, im Herzen des jungen Mannes vibrierte.

Colombau hatte sich Carmelite genähert, so daß diese, als die Sterbeimprovisation vollendet war, ihren Kopf aus seine Schultern und ihre beiden Hände in seine Hände fallen ließ.

Das Klavier war wieder stumm geworden, wie ein Leichnam, dessen Seele entflogen ist.

Es herrschte in der Dunkelheit ein langes Stillschweigen nur unterbrochen durch den vermischten Athem der zwei jungen Leute.

Plötzlich schlug die Pendeluhr.

Jedes zählte für sich die Klänge des Erzes.

»Elf Uhr!« sagten Beide.

Carmelite fügte bei:

»Freund, es ist Zeit.«

Colombau stand auf, zündete zwei Kerzen an, ließ eine davon Carmelite und ging mit der andern in das Cabinet, wo die Kohle lag.

»Wohin gehst Du?« fragte Carmelite.

»Du sollst wohl sterben,« erwiderte Colombau, »doch ich will nicht, daß Du leidest.«

Carmelite begriff, daß es sich um eine Fürsorge handelte, und ließ Colombau machen.

Als er aber die Thüre wieder schließen wollte, sagte sie:

»Nein, mein Freund; entfernen Sie sich von mir, doch ich will Sie immer sehen.«

Colombau ließ die Thüre offen.

Seine Absicht war, zum Voraus den Rechaud im anstoßenden Cabinet anzuzünden, so daß die ersten großen Dämpfe der Kohle entströmen könnten, und daß sich nichts mehr davon losmache, als die feinen Miasmen, welche bis zum Gehirn dringen und den Tod ohne; Schmerz geben.

So viel Maßregeln Carmelite genommen hatte, nur Thüren und Fenster zu verstopfen, eben so sehr war Colombau besorgt, Alles zu öffnen, damit die äußere Luft die ersten Kohlenausströmungen entführe.

Carmelite schaute ihm mit einem unbeschreiblichen Lächeln zu.

Die Hände des Mädchens waren auf eine natürliche Weise zum Klaviere zurückgekehrt, wie noch junge Vögel zu ihrem Neste zurückkehren.

Sie schweiften unbestimmt, aber harmonisch auf den Tasten umher; das Instrument, welches ein Stöhnen hatte hören lassen; das man für einen letzten Seufzer gehalten, schien wieder zu erwachen und gegen den Tod zu kämpfen, indem es, wie es der Sterbende im letzten Delirium heim Todeskampfe thut, unterbrochene Worte ohne Folge von sich gab.

Carmelite verlor Colombau, wie sie es ihm gesagt hatte, nicht aus dem Blicke.

Während ihre schauernden Finger über das Elfenbein und das Ebenholz hinirrten, während ihr zerstreuter Fuß instinctartig das Pedal suchte und drückte, betrachtete ihr auf Colombau geheftetes Auge die Schritte der Flamme, welche mit einem röthlichen Reflexe die Stirne des jungen Mannes, der auf dem Boden kniete und das tödtliche Feuer anblies, beleuchteten.

Nichts deutete auf ihrem Gesichte auch nur die schwächste Gemüthsbewegung an.

Sie hatten die Stärke und die Ruhe der den Dingen dieser Welt fremden Leute; sie gehörten nicht mehr der Erde an; der Donner konnte rollen, das Hans konnte einstürzen: sie wären unempfindlich geblieben.

Ihre Leiber waren schon todt, und ihre Seelen allein wechselten noch Worte unter sich.

Die Seele von Colombau, die sich wie eine Blume unter dem Hauche des Mädchens öffnete, sprach:

»O mein Leben! o meine Liebes ich habe die Freuden ohne Beimischung, die Du mir zu dieser Stunde gibst, nicht verdient! Ich gestehe meine Schwäche in diesem äußersten Augenblick. Carmelite meine vielgeliebte Carmelite! ich habe nicht einen Tag; nicht eine Minute, nicht eine Secunde zugebracht, ohne an Dich zu denken. Du fragtest mich vorhin, Engel der rosigen Träume, was meinen Schlaf bewegt habe: es war Dein holdes Fantom, das sich auf mein Kopfkissen stützte und sich gegen mich neigend mir die Stirne mit dem Ende seiner Haare liebkoste; andere Male war es der anmuthige Zug der jungen Mädchen, deren Gesicht ich aus den Gemälden, in den Gebetbüchern, in den Handschriften der vergangenen Jahrhunderte gesehen hatte: alle diese Mädchen, Warst Du! immer Du! die Einen hatten Deine Blicke; die Andern Dein Lächeln; Alle sangen mit Deiner Stimme; und ihr Gesang sagte: ›Kommt mir uns, mein Bruder, der Mensch ist nicht gemacht für ein einsames, ödes Leben; liebst Du, Sohn der wilden Ufer, das Geräusch des Oceans der Menschen nicht, so kennen wir abgelegene Winkel, anbetungswürdige Oasen, wo die Bäche ewig murmeln, wo die Vögel die ganze Nacht singen!‹ Oh! wie oft meine vielgeliebte Carmelite, bin ich plötzlich aufgewacht bei dieser Stimme, die ich für die Deinige hielt, und ich streckte die Hände aus und glaubte Dich anzufassen; da erschienen aber an dem Platze stehend, wo ich Dich gesehen, die Gespenster meines Gewissens, die mich festhielten und vernichtet, keuchend; gebrochen auf mein fieberhaftes Bett zurückwarfen . . . Brauche ich Dir zu sagen, was meine Nächte beunruhigte? weiß ich nicht, was die Deinen beunruhigte? O meine Geliebte! ich liebe Dich mit allen Mächten meines Seins, und ich existiere nur seitdem ich Dich geliebt habe! Was ist die Wissenschaft? was ist der Ruf? was ist der Ruhm gegen die Liebe, die ich für Dich hege? Hat mich die Wissenschaft leben gemacht? hatten der Ruf und der Ruhm einen Schlag meinem Pulse, ein Klopfen meinem Herzen beigefügt? Nein, ich habe wirklich nur von der Stunde an gelebt, wo ich wußte, daß ich sterben sollte . . . O meine vielgeliebte Carmelite; ich möchte mir gern die Brust öffnen, um Dir mein Herz bloß zu zeigen: die Worte drücken die Leidenschaften, oder vielmehr die Leidenschaft, die in mir kocht, schlecht aus. Ich habe nur eine einzige Frau vor Dir auf dieser Weit geliebt; sie hatte Deine Schönheit, Deine Anmuth, Deine Stärke; sie hielt mich umfangen, wie Du mich hältst; ich schlang beide Arme um ihren Hals, ich küßte ihr die Augen, um die Thränen zu verhindern, hervorzukommen, und ich sagte ihr: ›Stirb nicht! stirb nicht!‹ denn sie war, wie wir, an den Pforten des Todes; und sie ihrerseits umarmte mich zärtlich und sprach zu mir: »Du wirst eine andere Frau als mich auf dieser Welt finden, eine Frau die Dich zärtlicher umarmen wird als ich; gesegnet sei die Frau, welche die reine Stirne meines Sohnes küssen wird!‹ Nun wohl, dieses theure, anbetungswürdige, angebetete Wesen, diese erste Frau, die ich geliebt, meine Mutter, ich habe sie um Deinetwillen vergessen, oder vielmehr, ich liebe Dich mit derselben frommen Liebe, o meine Freundin, o meine Schwester! Carmelite, Carmelite! . . . «

»Wie schön bist Du, mein Geliebter!« flüsterte sie; »wir schön bist Du!«

In der That, nie vielleicht war das schöne, edle Gesicht des Bretagners edler und schöner gewesen, als beim Scheine dieser Flamme, welche zugleich die Heiterkeit des Entschlusses gemischt mit der sanften Melancholie des Beklagens erleuchtete.

Die Kohle brauchte ungefähr eine Viertelstunde, um sich zu entzünden; sodann, als die zu dichten Dämpfe davon entwichen waren, schloß Colombau das Fenster des Cabinets wieder und brachte, beschienen von dem röthlichen Reflex, den Rechaud mitten ins Zimmer.

Wonach er zurückkehrte, um die Thüre des Cabinets zu schließen.

Carmelite stand auf, und während das Klavier einen Seufzer von sich gab, der diesmal gewiß der letzte war, ging sie dem jungen Manne entgegen.

Colombau war bleich und fast wankend: er hatte die ersten Dampfe absorbiert, mit denen er Carmelite hatte verschonen wollen.

Beide setzten sich mit verschlungenen Armen auf das Canapé: hier hatten sie zu sterben beschlossen.

Sie waren hier seit einigen Minuten, Auge in Auge, ihren letzten Blick beim Scheine der aus dem Kamine stehenden Lampe verschlingend, als es Mitternacht schlug.

Ein leichter Schauer war die einzige Aufmerksamkeit, welche die zwei jungen Leute dem Geräusche der entfliehenden Stunde schenkten.

In der That, was lag ihnen am Gange der Zeit, ihnen, welche schon einen Fuß in der Ewigkeit hatten!

Wer in dieses Zimmer eingetreten wäre und die zwei jungen Leute, so keusch einander umschlingend und ihre süßesten Blicke, ihre leise ausgesprochenen Namen austauschend gesehen hätte, würde sie für zwei Verlobte, die von Liebe plauderten und tausend Pläne für die Zukunft bildeten, gehalten haben.

 

Und die Seele des Mädchens antwortete, während der Leib keusch mit seinen glühenden Lippen die Stirne des jungen Mannes küßte.

»Der Segen Deiner Mutter senkt sich auf Dein Haupt herab, o Colombau! nie wird ein reinerer Kuß über einer makelloseren Stirne geschwebt haben! Ich auch, o meine Liebe, o mein Leben, o mein Tod! ich habe auch nicht eine Stunde zugebracht, ohne an Dich zu denken; denn ich habe Dich geliebt seit dem Tage, wo ich Dich kennen lernte, und wäre ich nicht von einem schlimmen Hauche geblendet worden, – ich hätte Dir gern alle Glückseligkeit geben mögen, die der Mensch auf Erden träumen kann! Doch diese irdische Liebe hätte ohne Zweifel nicht genügt, um unsere glühenden Zärtlichkeiten zu sättigen; für eine göttliche Liebe bedarf es himmlischer Hochzeitsfeste; und darum werfen wir unsere irdischen Hüllen ab, damit unsere Seelen, von der Last ihrer Leiber befreit, sich in den reinen Regionen verbinden können . . . Vor Gott, zu dem wir, uns an der Hand haltend, aufzusteigen im Begriffe sind, schwöre ich Dir, o Colombau, daß ich Dich durch den Raum, durch die unbekannten Welten lieben werde! Sollte ich, über die Schwelle dieser Welt schreitend, mit Dir in den brennenden Ofen, den die katholische Religion ihren Verdammten verheißt, getaucht werden, – der ewige Schmerz wird mir mit Dir süßer sein, als alle Glückseligkeiten hienieden . . . Ich schwöre Dir, Dich zu lieben unter den Flammen den Ofens! Sollte ich in einen tiefen Abgrund versenkt werden, wohin Dein Blick, Deine Stimme, Dein Athem nicht gelangen können mein Geist wird den Schlund erleuchten. Ich werde Dich fühlen, ich werde Dich sehen, ich werde Dich hören, denn ich schwöre Dir, Dich zu lieben in den Tiefen des Abgrundes! . . . Ich betrachte mich von diesen Stunde an als enge mit Dir verbunden, als unauflöslich an Dich gefesselt; keine menschliche Macht vermöchte uns in diesem Augenblicke zu scheiden, keine göttliche Macht vermöchte uns alsbald zu trennen; denn, – Du hast es mir oft gesagt, mein geliebter Colombau! —dieser rächende Gott, vor dem die Menschen erschrecken, ist nichts Anderes, als die große Seele der Welt, mit der sich unsere Seelen vermengen und vereinigen, wie, wenn der Abend gekommen ist, die Strahlen der Sonne wieder zu ihrem Herde aufsteigen. Küsse mich also, mein Colombau, und unsere Seelen mögen sich vereinigen wie unsere Lippen, um rascher zum leuchtenden Aufenthalte emporzusteigen! . . . Schon sehe ich alle Gegenstände, die mich umgeben, nur durch einen Nebel; die Augen meinen Leibes verdunkeln sich allmählich; doch mir scheint; mit den Augen der Seele sehe ich die Sterne funkeln, deren Kreis sich öffnet, um uns durchzulassen . . . Gott befohlen, mein vielgeliebter! Gott befohlen Alles, was ich aus dieser Welt liebe. Alles was ich in der andern lieben werde; Gott befohlen! schließe mich in Deine Arme, damit wir mit einander entfliegen . . . Ich höre in mir Tausende von süßen Stimmen singen, die mir Deinen holden Namen wiederholen . . . Colombau! Colombau! nie ist eine Seele jungfräulicher als die Deine zum Himmel ausgestiegen! Gott befohlen, meine Liebe, mein Leben! . . . Gott befohlen, mein Colombau!«

Einen Augenblick schwiegen die zwei Seelen wie eingeschlummert.

Die athembare Luft des Zimmers belud sich nach und nach mit Kohlensäure; die Kerze war nur noch eine bleiche Flamme, ein verwischter Schein.

Die Flamme des Rechaud tanzte wie ein Irrlicht, sich in den erschwerten Blicken der zwei jungen Leute mit allen Farben des Prisma nuancirend.

Große Schweißtropfen fielen in Perlen auf den Körper von Carmelite, veilchenblaue Tinten liefen über ihr Gesicht hin.

Colombau machte eine äußerste Anstrengung; nahm sie in seine Arme und trug sie, schwankend wie ein Trunkener, hastig auf das Bett, fiel an seinem Fuße nieder, stand wieder auf und sich anklammernd vermochte er wieder seinen Platz bei ihr einzunehmen.

Ihre letzten Kräfte im Dienste der Schamhaftigkeit verwendend, schlug Carmelite während dieser Zeit den Untertheil ihres Kleides nieder, das sich aufhebend, den Knöchel ihres Fußes sehen ließ.

Als sie dies gethan hatte, fühlte sie den Arm von Colombau, der sie an sich zog.

»Ja, mein Bräutigam,« murmelte sie, »hier bin ich.«

Und die zwei jungen Leute fanden sich zum ersten Male die Hände in den Händen, die Haare in den Haaren, die Lippen auf den Lippen.

Da erst wechselten sie ihren ersten Liebeskuß.

Man hätte glauben sollen, die Scham und die Keuschheit, diese zwei göttlichen Schwestern, umarmen sich unter dem Blicke der Jungfräulichkeit, ihrer Mutter.

Colombau verlor seine Kräfte zuerst.

Er unterbrach sich mitten in einem Kusse, ein eiskalter Schweiß überlief seinen ganzen Körper: er versuchte es, sich aufs Neue am Halse von Carmelite anzuklammern; doch seine Kehle war durch eine eiserne Hand zusammengeschnürt, seine Zunge war träge und er vermochte kaum die letzten Worte zu murmeln: »Komm . . . komm . . . komm!«

Und sein Kopf fiel leblos ans die Brust von Carmelite, welche trotz des Brausens ihrer Schläfe, des Klingens ihrer Ohren, den letzten Ruf ihres Geliebten gehört hatte, und, da sie diesen vielgeliebten Kopf sich schwer auf ihre Brust niedersenken fühlte, schauerte und einen schwachen Schrei ausstieß.

Es ist eine von der Medizin notorisch anerkannte Thatsache, welche auch alle Statistiken beweisen; ohne daß indeß die Wissenschaft den Grund davon angeben kann: dem Selbstmorde eines Mannes und eines Weibes ist es in der Regel der Mann; der zuerst unterliegt.

Wir bestätigen das Factum vor unsern Lesern erkläre es, wer kann.

Colombau unterlag also zuerst.

Carmelite, als sie begriff, ihr Geliebter habe den letzten Seufzer ausgehaucht, öffnete die Augen wieder, schien einen Moment ihre Kräfte wieder zu erlangen und fand Stimme genug, um noch mit allen Saiten ihres Herzens zu rufen:

Colombau! Colombau!« Dann zog sie an ihre Lippen die Stirne des jungen Mannes, raffte Alles zusammen, was ihr an Leben blieb, küßte ihn zum letzten Male und sprach:

»Hier bin ich! hier bin ich!«

Und ihr Kopf fiel zu dem ihres Geliebten.

Es schlug eben ein Uhr.

26Sterben, schlafen.