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Die Mohicaner von Paris

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LX
Um das Bett von Carmelite und beim Bette von Colombau

Morgens um neun Uhr hielt der Wagen, in dem Herr Jackal, Salvator und Jean Robert saßen, vor der Thüre des Hauses an, wo die von uns so eben erzählten schrecklichen Ereignisse vorgefallen waren.

Drei andere Wagen standen schon vor dieser Thüre, ein Fiacre, eine kleine bürgerliche Caleche und ein großer mit Wappen verzierter Wagen.

»Sie sind alle Drei da,« murmelte Salvator.

Herr Jackal wechselte leise ein paar Worte mit einem schwarz gekleideten Manne, der sich bei der Thüre aufhielt.

Der schwarz gekleidete Mann bestieg ein an einer Schranke, ein paar Schritte von da, angebundenes Pferd und ritt im Galopp weg.

»Ich beschäftige mich mit Ihrem Schulmeister,« sagte Herr Jackal zu Salvator und zu Jean Robert.

Salvator antwortete durch einen stummen Dank mit dem Kopfe und trat in den Gang ein.

Kaum hatte er hier drei Schritte gemacht, als ein ans dem Ruheplatze des ersten Stockes liegender Hund die Stufen herabsprang und seine Pfoten auf die Schultern von Salvator legte.

»Ja, mein Hund, ja, Roland! Ja, sie ist da, ich weiß es . . . Auf, zeige uns den Weg, Roland!« .

Der Hund stieg zuerst hinauf und blieb vor der Thüre des Zimmers von Carmelite stehen.

Herr Jackal als ein Mann, der das Recht hat, überall einzudringen, öffnete diese Thüre und trat ein, gefolgt von Salvator und von Jean Robert.

Da bot sich ein Gemälde von tiefer Poesie den Blicken des Polizeibeamten und der zwei jungen Leute.

Man stelle sich um das Bett auf dem Carmelite, noch erstarrt, aber außer Gefahr, ausgestreckt lag, drei Mädchen knieend und betend vor; – drei Mädchen gleich an Alter, gleich an Schönheit, und alle Drei gekleidet, wie Carmelite selbst gekleidet war, das heißt mit einer eigenthümlichen Tracht, welche natürlich hier ihre Beschreibung findet.

Diese Tracht war die der Kostschülerinnen von Saint-Denis. Sie bestand aus einem Kleide von feiner schwarzer Sarsche, mit großem, ausgestofftem Rocke und geschlossenem Leibe, auf den ein weißer, gesattelter Kragen niedergeschlagen war; die Aermel der Kleider weit und herabhängend, wie die Aermel der Nonnen; ein großes wollenes Band, das sich um beide Schultern wand, umgürtete die Taille, auf dem Rücken einen Winkel bildend, dessen Base am Gürtel, dessert Spitze an den Schultern war; dieser handbreite Gürtel war mit Wolle von sechs Farben gestickt: grün, veilchenblau, aurorfarbig, blau, weiß und nacaratfarbig. Es war ein halb weltliches, halb religiöses Costume; eine Frau der Welt hätte in ihrem Anzuge nicht diese Strenge verwalten lassen; eine Nonne würde diesen glänzenden, alle Farben des Regenbogens reflektierenden Gürtel nicht getragen haben. Das ist, wie gesagt, die Tracht der Kostschülerinnen von Saint-Denis, wenn sie in das eintreten, was man die Ausbildungscasse nennt.

Jean Robert erkannte mit dem ersten Blicke Fragola, und er schaute Salvator an, um sie ihm zu bezeichnen; doch dieser hatte sie schon gesehen und war sogar von ihr gesehen worden: er legte seinen Finger auf seinen Mund, um Jean Robert Stillschweigen zu empfehlen.

Plötzlich wichen die zwei Freunde erschrocken zurück, es hatte ihnen geschienen, der Körper mache eine Bewegung, und sie wußten nicht, daß Carmelite durch Ludovic gerettet worden war.

»Ah! Ah!« sagte Herr Jackal mit der Gleichgültigkeit deren solche Schauspiele gewöhnten Leute, »sie ist also nicht todt?«

»Nein, mein Herr,« antwortete die größte von den jungen Frauenspersonen, diejenige, welche durch den Wuchs und sogar durch die Schönheit den Anderen zu gebieten schien.

Jean Robert wandte sich um: der Klang dieser Stimme war ihm nicht unbekannt.

Er erkannte Fräulein Regina von Lamothe-Houdan.

»Doch der junge Mann?« fragte Herr Jackal, »Man hofft noch,« antwortete Regina: »es ist ein junger Arzt bei ihm; Und so lange er ihn nicht aufgegeben hat, wird nichts verloren sein.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre; und knien großen Erstaunen von Jean Robert und Salvator trat Ludovic ein. Er hatte seinen ganzen Faschingsputz abgelegt und einen Mann zu Pferde abgeschickt, um in seiner Wohnung einen vollständigen Anzug zu holen..

»Nun?« fragten alle Stimmen.

Ludovic schüttelte den Kopf.

»Der Mönch ist bei ihm,« erwiderte er; »ich, was mich betrifft, habe nichts mehr dort zu thun.«

Dann, als man auf Carmelite deutete, welche immer noch stumm da lag, und deren Augen, wenn sie sich aufthaten, nicht zu sehen schienen, sprach Ludovic:

»Oh! armes Kind! . . . laßt sie in ihrer Unwissenheit: sie wird immer noch zu früh ins Leben zurückkehren!«

»Meine Herren, es sagte Jackal zu Salvator und zu Jean Robert, »wir sind nur zufälliger Weise hier; ich glaube also, es wäre gut, die Kranke mit ihren Freundinnen und dem Arzte zu lassen, so rasch als möglich das Protokoll zu machen, und nach Versailles abzugehen.«

Jean Robert und Salvator verbeugten sich zum Zeichen der Beistimmung.

Fragola stand auf und sagte ein paar Worte Salvator ins Ohr; dieser nickte bejahend mit dem Kopfe.

Wonach der Commissionär und der Dichter hinter Herrn Jackal hinausgingen, wie sie eingetreten waren.

Alles war im unteren Zimmer bereit, um die Erzählung des Ereignisses zu schreiben.

Die Thüre des Flurganges stand offen, und durch die Scheiben der Fenster des Pavillon sah man die Kerzen brennen.

»Wollen Sie ein paar Tropfen Weihwasser sprengen und ein Gebet für diesen armen Leib verrichten?« fragte Salvator den Dichter.

Jean Robert machte ein Zeichen der Einwilligung, und während Herr Jackal, um sich Ideen zu geben, die Nase mit Tabak vollstopfte, gingen Beide nach dem Pavillon.

Colombau lag auf seinem Bette: über seinen Kopf geworfen, deutete das Tuch durch seine Falten jene strenge Form an, welche die Hand des Todes den Leichnam gibt.

Ein schöner Dominicanermönch saß oben am Bette, sein Buch offen auf seinem Schooße; er hatte aber den Kopf zurückgeworfen, und indeß er Todtengebete sprach, entfielen stille Thränen seinen Augen.

Als er die zwei jungen Leute sah, welche mit entblößtem und gesenktem Haupte eintreten, stand der Mönch auf; sein Blick richtete sich abwechselnd auf Jean Robert und auf Salvator; doch die zwei Gesichter waren ihm offenbar unbekannt.

Der Eindruck, den Salvator beim Anblicke des Mönches empfand, war hiervon ganz verschieden: als er Dominique erblickte, blieb der junge Mann stehen und ließ beinahe einen Freudenschrei, jedoch gemäßigt durch die Ehrfurcht, entschlüpfen.

Bei diesem Schrei wandte sich der Mönch um; doch ein neuer, von ihm auf Salvator geworfener Blick lehrte ihn nicht mehr, als der erste, und abgesehen von dieser natürlichen Bewegung des Erstaunens, blieb er unempfindlich.

Salvator ging aber auf ihn zu und sprach:

»Mein Vater, ohne es zu vermuthen, haben Sie das Leben dem Manne gerettet, der vor Ihnen steht; und dieser Mann, der Sie nie gesehen, der Ihnen nie seitdem begegnet ist, hat Ihnen eine tiefe Dankbarkeit geweiht. Ihre Hand, mein Vater! . . . «

Der Mönch reichte seine Hand dem jungen Manne, der, so sehr sich auch Dominique anstrengte, sie zurückzuziehen, diese Hand ehrerbietig küßte.«

»Hören Sie mich nun an, mein Vater.« sprach Salvator. »Ich weiß nicht, ob Sie meiner eines Tags bedürfen werden; doch bei der heiligsten Sache, die je existiert hat, beim Leibe des Ehrenmannes; der so eben den Geist aufgegeben, schwört ich Ihnen, das Leben, das ich Ihnen verdanke, gehört Ihnen.«

»Mein Herr;« erwiderte ernst der Mönch, »ich nehme dies an, obschon ich nicht weiß, wann und wo ich Ihnen den Dienst, von dem Sie reden, habe leisten können. Die Menschen sind Brüder und in diese Welt gestellt, um sich einander zu unterstützen: bedarf ich Ihrer, so werde ich zu Ihnen geben. Ihr Name und Ihre Adresse?«

Salvator ging an den Schreibtisch von Colombaus schrieb seinen Namen und seine Adresse auf ein Papier und reichte dieses dem Mönche.

Der Dominikaner legte das Papier zusammengefaltet in sein Gebetbuch, nahm wieder seinen Platz oben am Bette von Colombau ein und setzte seine Gebete fort.

Die zwei jungen Leute ergriffen nach einander den in Weihwasser getauchten Buchszweig und besprengten damit das Tuch, das den Leichnam von Colombau bedeckte; dann knieten Beide am Fuße des Bettes nieder und verrichteten im Geiste ein inbrünstiges Gebet.

Während sie beteten, trat ein Mann bekleidet mit einer Livree ein, welche andeutete, daß er Diener in einem reichen bürgerlichen Hause war.

»Mein Herr,« sagte er zu dem Mönche, »ich glaube Sie sind derjenige, weichen ich suche.«

»Was wollen Sie von mir, mein Freund?« fragte Dominique.

»Mein Gebieter stirbt, und da der Pfarrer von Vanvres abwesend ist, so läßt er Sie inständig bitten, zu kommen und seine Beichte zu hören.«

»Ei!,« erwiderte der Mönch, »ich bin der Gemeinde fremd; dieser junge Manns bei dem ich Gebete spreche, war mein Freund, auf den Brief, den er mir geschrieben, den ich aber leider zu spät empfangen habe, bin ich gekommen.«

»Mein Herr,« versetzte der Diener, »diese Eigenschaft eines Fremden ist, glaube ich, gerade das, was mein Herrn wünschen lässt, daß Sie ihm beistehen mögen . . . Es geht sehr schlecht bei ihm, und Herr Pilloy, der Wundarzt, hat ihm, von ihm selbst befragt, geantwortet, wenn er seine Vorsichtsmaßregeln nehmen wolle, so habe er keine Zeit zu verlieren.«

Der Mönch seufzte und schaute den unbeweglichen Leichnam an, dessen Form durch das Tuch sichtbar war.

»Mein Herr,« fuhr Jener fort, »mein Gebieter hat mir befohlen, Sie im Namen Gottes, dessen Diener Sie sind, zu beschwören, Sie mögen in aller Eile zu ihm kommen.«

»Ich hätte gern diesen armen Leib nicht verlassen mögen,« sprach der Mönch.

»Mein Vater,« sagte Salvator, »mir scheint, Sie sind Ihre Tröstungen den Lebenden schuldig, ehe Sie Ihre Gebete den Todten schuldig sind.«

 

»Und dann;« fügte Jean Robert bei; »wenn Sie wünschen, daß eine fromme und bei dem großen Unglück, das Ihnen begegnet, mitfühlende Seele hier bleibe, so bin ich da.«

»Mein Herr,« fragte drängend der Diener, »was soll ich meinem Gebieter sagen?«

»Sagen Sie ihm, mein Freund, ich folge Ihnen.«

»Oh! Dankt!«

»Nach wem habe ich zu fragen?«

»Nach Herrn Gèrard.«

»Seine Straße? seine Nummer?«

»Oh! mein Herr, die erste Person, bei der Sie sich erkundigen, wird Ihnen das Haus zeigen: mein armer Herr ist die Vorsehung der Gegend.«

»Gehen Sie,« sprach der Mönch.

Der Diener ging rasch ab.

»Sie versprechen mir, bis zu meiner Rückkehr hier zu bleiben?« fragte Dominique Jean Robert.

»Mein Vater,« erwiderte der Dichter, »Sie werden mich wiederfinden, wie Sie mich verlassen haben: am Fuße dieses Bettes.«

»Und wenn Sie mir etwas besonders zu empfehlen hätten,« sprach Salvator, »so würde ich mich bemühen, Sie nach meinen besten Kräften zu ersetzen.«

»Ich nehme Ihr Anerbieten an, mein Herr; Sie wissen, daß Sie mir gesagt haben, ich könne über Sie verfügen!«

»Thun Sie es.«

»Colombau hat mich beauftragt, darüber zu wachen, daß sein Leib beim Leibe derjenigen, welche er liebte, bestattet werde; die Vorsehung hat erlaubt, daß es nur eine Leiche gab; statt zwei: ich kann also den Wunsch meines Freundes nicht erfüllen. Mehr noch: dieser Leichnam muß so viel als möglich den Augen der armen Carmelite entzogen werden; ich habe daher beschlossen, heute noch um vier Uhr, nach der Bretagne abzureisen . . . Es ist ein Vater dort: er hat ein Recht auf den Leib seines Sohnes und auf meine Tröstungen.«

»Um vier Uhr, mein Vater, wird Sie am Ende des Dorfes der Leichnam, in einen eichenen Sarg eingeschlossen, nach Erfüllung aller Formalitäten, in einer Postchaise erwarten. Sie brauchen nur Ihren Platz neben demselben zu nehmen und abzureisen.«

»Ich bin arm,« sagte der Mönch, »und ich habe nur eine Summe bei mir, welche kaum hinreichend für meine persönliche Reise; wie kann ich . . . «

»Seien Sie unbesorgt, mein Vater,« unterbrach Salvatore »die Reisekosten werden bei der Rückkehr bezahlt sein.«

Der Mönch näherte sich dem Bette, hob das Tuch auf, küßte Colombau auf die Stirne und ging ab.

Fünf Minuten nachher trat Herr Jackal ein.

Er ging auf die zwei jungen Leute zu, stützte sich auf stille gespreizten Beine, schaukelte sich einen Augenblick, mit den Händen in seinen Taschen, wandte sich dann besonders an Jean Robert und fragte den jungen Mann:

»Sie sind Dichter?«

»Das beißt, man behauptet, ich sei es.«

»Als Dichter,« fuhr der Polizeimann fort, »glauben Sie an die Vorsehung, nicht wahr.«

»Ja, mein Herr, ich habe den Muth, dies zu gestehen.«

»Sie brauchen in der That Muth!« sprach Herr Jackal, indem er seine Tabaksdose aus der Tasche zog und mit Wuth ein paar Prisen schlürfte.

»Ja welcher Hinsicht sagen Sie mir das?«

»In Betreff dieses Briefes.«

Und er zog aus seiner Tasche einen Brief, den er Jean Robert zeigte, ohne ihm denselben zu geben.

»Was für ein Brief ist dies?« fragte Jean Robert.

»Das ist ein Brief, der gestern Abend angekommen,« sagte Herr Jackal, »auf welchen man die zwei Worte sehr pressant zu schreiben besorgt gewesen war, den der Briefträger am Ende des Dorfes der Gärtnerin Nanette übergeben hat, den die Gärtnerin Nanette mit nach Paris genommen, und der, wenn er gestern Abend von denjenigen, an welche er adressiert war, gelesen worden wäre, zwei Glückliche gemacht hätte, statt einen Todten und eine Verzweifelte zu machen! Lesen Sie!«

Und er gab den Brief Jean Robert.

Dieser entfaltete ihn und las:

»Mein lieber Colombau, meine theure Carmelite,

»Nicht wahr, Ihr werdet sehr zufrieden, sehr glücklich sein, wenn Ihr diesen Brief von Eurem Freunde Camille Rozan ankommen seht, statt ihn selbst ankommen zu sehen?

»Ich höre Euch ausrufen: ›Oh! dieser gute, dieser – vortreffliche Camille!‹

»Vernehmet, meine Theuersten, was mir einer meiner Landsleute schreibt, mit dem ich zur Zeit von meinem Heirathsprojecte mit Ihnen, Carmelite sprach:

›Mein lieber Rozan, Deine zwei Freunde leben wie Turteltauben, ohne sich einen Augenblick er verlassen; sie lieben sich nicht nur, sondern, ich sage mehr, sie betete sich an.

›Ich glaube, Du würdest sie durch Deine Rückkehr sehr betrüben.

›Zeige Dich groß wie Alexander, der Apelles seine Geliebte Kampaspe abtrat.

›Ich werde nicht sagen: Tritt Colombau Deine Geliebte Carmelite ab; doch ich sage; Trenne nicht zwei Herzen, die der Himmel für einander geschaffen hat!

»Das schreibt mir mein Landsmann, mein lieber Colombau.

»Hierbei ist aber Eines, was ich schon wußte, mein Freunde daß Du Carmelite liebtest, es ist dann Eines, was ich nun weiß: daß Carmelite Dich liebt; es ist endlich ein Drittes, was Du mir gesagt hast, und was ich glaube: daß Du eher sterben, als zum Verräther an dem Eide, den Du mir geschworen, werden würdest, an dem Eide, über Carmelite wie über eine Schwester zu wachen.

»Du sollst nicht sterben, mein armer Freund, und darum gebe ich Dir Dein Wort zurück, wie das von Carmelite.

»Sei also glücklich, Colombau! und wenn Dir Dein Opfer drückend gewesen ist, so empfange dafür den größten Lohn, den ich Dir bieten kann; denn in dem Augenblicke, wo ich mich für immer von ihr trennen soll, fühle ich die ganze Liebe, die ich noch für Carmelite hegte.

»Da es für mich Bedürfniß ist, diese Liebe zu ersticken und zwischen mein Herz und das ihrige eine unübersteigbare Schranke zu setzen, so habe ich mich auch gestern Abend verheirathet, und ich schreibe Euch diesen Morgen aus dem Hochzeitgemache.

»Gott befohlen also, mein theurer Colombau! Gott befohlen, meine theure Carmelite! Ich wünsche Euch alles Glück, das Ihr verdient, indem ich in Demuth meine Schwäche gestehe, ich würde sagen, meine Schlechtigkeit, wüßte ich nicht, daß diese Nachricht Euch Beide, besonders Carmelite, mit Freude erfüllen wird.

»Euer Freund

»Camille Rozan.«

»Nun,« fragte Herr Jackal während er den Brief wieder zurücknahm, »was sagen Sie hierzu, Herr Jean Robert?«

»Ich sage, das ist herzzerreißend!« antwortete der junge Mann.

»Und Sie glauben immer nach an die Vorsehung?«

»Ich glaube daran.«

»Die Vorsehung; Herr Jean Robert,« versetzte Herr Jackal, seine Nase mit Tabak vollstopfend, »soll ich Ihnen sagen, was das ist?«

»Sie werden mir ein Vergnügen machen, in Betracht, daß ich mit Zuversicht daran glaube.«

Nun wohl, mein lieber Herr, die Vorsehung, das ist eine gut gemachte Polizei.! . . . Lassen Sie uns in Versailles sehen, ob wir die Braut des Schulmeisters wiederfinden.«

Und wenn nun der Leser zufällig laut die Frage an uns machen würde, welche Jean Robert leise an Salvator in dem Augenblicke richtete, wo er, getreu seinem versprechen, den Cammissionär der Rue aux Fers und den Mann der Rue de Jerusalem nach Versailles abgehen ließ und selbst bei der Leiche von Colombau blieb; wenn zufällig, sagen wir der Leser uns fragte: »Wie konnte Herr Jackal um halb acht Uhr Morgens von den im Bas-Meudon von Mitternacht bis um fünf Uhr Morgens vorgefallenen Ereignissen unterrichtet sein?« so würden wir antworten:

Es bestand zu jener Zeit ein sinnreiches Institut, das man das schwarze Cabinet nannte. Dieses schwarze Cabinet war ein Ort, wo ein Dutzend Angestellte sich insgeheim damit beschäftigten, die auf die Post gegebenen Briefe zu entsiegeln, und diese Briefe vor den Personen zu lesen, an die sie adressiert waren.

Heute gibt es kein schwarzes Cabinet mehre die Sache wird am hellen Tage getrieben.

Herr Jackal, – in Betracht der Gerüchte, welche über eine dreifache, republikanische, orleanistische und napoleonistische, Verschwörung im Umlaufe waren, – verachtete es seit einigen Monaten nicht, in seinen verlorenen Augenblicken das Geschäft eines einfachen Angestellten zu besorgen. Herr Jackal hatte dem zu Folge die Nacht mit dem Entsiegeln und Lesen von Briefen zugebracht.

Der Brief von Colombau an Dominique war ihm in die Hände gefallen. Es geschah dies ungefähr Morgens um halb fünf Uhr.

Herr Jackal hatte sogleich einen Mann zu Pferde steigen lassen und ihm befohlen, mit verhängten Zügeln nach dem Bas-Meudon zu reiten. Herr Jackal, – welcher behauptete, die Vorsehung sei eine gut gemachte Polizei, – Herr Jackal hoffte, sein Mann werde zeitig genug ankommen: sein Mann kam einen Augenblick, nachdem man in den Pavillon von Colombau eingedrungen, und folglich zu spät an.

Unter dem Tumulte schenkte man diesem Agenten keine Aufmerksamkeit. Er sah einen an Fräulein Regina von Lamothe-Houdan, an Frau Lydie von Marande und an Mademoiselle Fragola Pouroy adressierten Brief: er nahm diesen Brief und brachte ihn Herrn Jackal; dieser las ihn, wie er den an Dominique adressierten Brief gelesen hatte, befahl dann seinem Manne, ein frischen Pferd zu besteigen und den Brief wieder an den Platz zu legen, wo er ihn genommen hatte.

Dies hatte der Bote von Herrn Jackal eben gethan, als die zwei jungen Leute den Letzteren mit einem schwarz gekleideten Manne sprechen sahen, dessen Pferd an die Thüre einer Scheune angebunden war; was Herr Jackal leise diesem Manne sagte, ist, er könne sich schlafen legen, und der Polizeipräfect werde erfahren, mit welcher Geschwindigkeit und welcher Intelligenz er seine Sendung erfüllt habe.

LXI
Ein Dorfphilanthrop

Wir haben den Bruder Dominique abgehen sehen; zum Bette von Herrn Gèrard berufen, suchte er den würdigen Mann auf, dessen verzweifelter Zustand das ganze Dorf und seine Umgegend in die tiefste Unruhe versetzte.

Herr Gèrard war ein Philanthrop in der vollen Bedeutung des Wortes.

Geben wir unsern Lesern einige Auskunft über Herrn Gèrard, das heißt, theilen wir mit, was man von ihm erzählte.

Herr Gèrard war der reichste Einwohner von Vanvres und der Umgegend, das blieb unbestritten; Niemand kannte den Belauf seiner Einkünfte, so ungeheuer waren diese, und fragte man einen Bauern über diesen Gegenstand, so antwortete er unabänderlich:

»Herr Gèrard?«

»Ja, Herr Gèrard.«

»Sie fragen mich, ob er reich sei?«

»Das frage ich Euch.«

»Herr Gèrard hat so viel, Geld, daß er die Summe nicht weiß.«

»Er bewohnte einst, wie man sagte, ein herrliches; Gut bei Fnutainebleau; das er in Verfall gerathen ließ; wegen der Unglücksfälle, die ihn dort betroffen. Vormund von zwei reizenden Kindern, sah er diese eines Tags beide verschwinden, ohne daß er je Nachricht über sie zu erhalten vermochte; der Geliebte einer Frau, die er anbetete, fand er an einem andern Tage, als er nach Hause kam, diese Frau von einem Neufundlandshunde erwürgt, der wahrscheinlich, ohne daß man es bemerkte, wüthend geworden war.

Diese Reihenfolge entsetzlicher Unglücksfälle, welche wahrscheinlich jedem Andern, als ihm, einen Abscheu gegen das Menschengeschlecht beigebracht hätte, steigerte im Gegentheil seine Christentugenden, die er bis zur erhabensten Nächstenliebe und zur aufopferndsten Hingebung übte, und die ihn zum Beispiele der Philanthropen und zum Idole der Bevölkerung machten.

Er war um das Jahr 1821 oder 1822 nach Vanvres gekommen, in der Absicht sich hier niederzulassen. Er hatte mehrere verfügbare Häuser besichtigt, ohne zu finden, das ihm zusagte; endlich hatte er sich für das bestimmt, welches er bewohnte. Anfangs hatte man sich geweigert, es ihm zu geben; Herr Gèrard hatte aber einen so vortheilhaften Preis geboten, daß der Eigenthümer, obgleich er es für sich selbst gebaut, ihm das Haus abgetreten hatte.

Von da an bewohnte Herr Gèrard, wie gesagt, dieses Haus, in welchem er zugleich wie ein Heiliger und wie ein Fürst lebte; wie ein Heiliger, wegen seines regelmäßigen sittlichen Betragen; wie ein Fürst, wegen der Almosen, die er um sich her spendete. Von einer Ankunft an war in der That Vanvres auf einen Weg des Wohlergehens gelangt, der es bald dazu führen mußte, daß es eines der blühendsten Dörfchen in der Umgegend den Paris wurdet von arm und dürftig, wie sie gewesen, wurden die Einwohner allmählich wohlhabend; Einige galten sogar für reich, und diesen, – wohl verstanden relativen, – Reichthum, der bei den am besten Betheiligten noch nicht die goldene Mittelmäßigkeit des lateinischen Dichters erreichte, hatte man ganz Herrn Gèrard zu verdanken.

Die Folge hiervon war, daß es keine Hütte in Vanvres gab, wo der Name dieses würdigen Mannes nicht verehrt und gesegnet wurde; nie hätte man von ihm gesprochen, ohne irgend ein charakteristisches Epitheton beizufügen: es war der gute, der vortreffliche, der redliche, der tugendhafte, der wohlthätige Herr Gèrard!

 

War die Ernte schlecht, hatte der Mangel an Sonne das Getreide zu reifen verhindert, hatte das Uebermaß der Hitze das Korn in der Aehre verdorrt, hatte der Hagel den Roggen und den Hafer niedergeworfen, hatten die Regen im Frühling die Saat faulen gemacht, schaute ein trostloser Bauer, auf den Stiel seiner unnützen Sense oder feines müßigen Spatens gestützt, mit Verzweiflung sein Feld, das einzige Vermögen seines Weibes und seiner Kinder an, das durch eine der Geißeln, gegen welche alle Kräfte des Menschen machtlos sind, verwüstet worden, – und Herr Gèrard kam dann auf seinem Pferde oder in seinem Cabriolet vorüber, so stieg Herr Gèrard sogleich ab, ging auf den Bauern zu, plauderte vertraulich mit ihm, tröstete, ermutigte ihn, und fügte seinen Tröstungen, seinen Ermutigungen ein mehr oder minder bedeutendes Gelddarlehen bei, das immer, nicht nach den Bürgschaften, die der Bauer bieten konnte, sondern nach den Verlusten, die er erlitten, nach den Bedürfnissen, die er hatte, abgemessen war, und zwar ohne Interesse von irgend einer Art. Eingen, deren Ruf gut war, hatte er sogar, wie man sagte, ohne Schein geliehen.

Man erzählte von ihm Züge, wie folgende zum Beispiel:.

Ein Zimmermann, der am Dache seines Hauses arbeitete, fiel von einem Gerüste herab und brach sich das Bein. Statt ihn ins Spital zu schicken, wie es im vorhergehenden Jahre der Maire von Vanvres, der doch für einen der wohlthätigsten Menschen galt, bei einem ähnlichen Falle hatte thun lassen, nahm Herr Gèrard bei sich nicht nur den verwundeten Zimmermann, sondern auch sein Weib und seine Kinder auf, ließ den Wundarzt von Meudon, Herrn Pilloy, rufen, empfahl ihm den armen Kranken zur besten Pflege und versprach ihm Bezahlung wie für einen Fürsten. Die Genesung dauerte drei Monate, und während dieser Zeit blieben der Zimmermann, behandelt mit einer Sorgfalt und Aufmerksamkeit, als ob er ein Bruder gewesen wäre, sowie sein Weib und seine Kinder, genährt, als ob sie zur Familie gehört hätten, bei Herrn Gèrard. aus dessen Hause sie nur, zahlreiche Zeichen seiner Wohlthätigkeit mitnehmend, weggingen.

Später versank ein armer Schenkwirth, Vater von fünf Kindern, der seine Frau und seine älteste Tochter verloren, in eine entsetzliche Niedergeschlagenheit, ließ, trotz den Ermunterungen und Rathschläge der Nachbarn, ab von jeder Sorge für sein Gewerbe, vernachlässigte seine wichtigsten Geschäfte, und blieb gleichgültig dabei, daß sein Haus jede Kundschaft und jeden Credit verlor; ein Gläubiger, der für feinen Nächsten durchaus nicht die Liebe hegte, wie Herr Gèrard, ließ das Hausgerät des armen Mannes verkümmern, und der Verkauf desselben sollte die vier übrigen Kinder auf die Straße setzen und auf das Betteln anweisen. Da erst trat der Schenkwirth, der nun den ganzen Umfang seines Unglückes begriff; aus seiner Vernichtung hervor, und am Tage des Verlaufs, als er den Gerichtsdiener sah, der seine ersten Geräthschaften versteigern ließ, fiel er seinen Kindern um den Hals, bat sie um Verzeihung wegen seiner Feigheit, und bot sein Leben demjenigen, welcher ihm die Mittel geben wollte, daß er sein Gewerbe wieder aufnehmen und seinen Verbindlichkeiten Genüge leisten könnte. In diesem Augenblicke kam Herr Gèrard vorüber. Er gesellte sich der Gruppe bei, welche halb aus Käufern, halb aus Zuschauern, herbeigezogen durch die verzweiflungsvolle Scene, bestand; er rief den Gerichtsdiener und fragte ihn, um welche Summe das armselige Mobiliar verkauft werden sollte; und als der Gerichtsdiener antwortete, für achtzehnhundert Franken, da zog Herr Gèrard sogleich ans seiner Tasche drei Tausendfrankenbillets, von denen, wie er erklärte, achtzehnhundert Franken zu Bezahlung der Schuld des Schenkwirthes und zwölfhundert dazu bestimmt waren, daß er sein Gewerbe wieder aufnehmen könnte. Da warf sich der unglückliche Vater seinem Wohlthäter zu Füßen und bedeckte seine Hände mit Thränen der Dankbarkeit unter dem Zujauchzen aller Anwesenden.

An einem andern Tage fand eine Bäuerin, die im Walde von Meudon Holz machte, ein Knäblein den sechs Monaten, das, im dürren Laube liegend, schrie und weinte; die Frau nahm das Kind in ihre Arme, trug es nach Vanvres und zeigte es den entrüsteten Einwohnern; – denn die Regung des Gemüthes der Menge ist immer erhaben beim Anblicke eines verlassenen Kindes; – es war ein allgemeiner Fluch, der wie ein Feuerregen auf das Haupt der Mutter niederfallen sollte! – Man trug das arme, Kind auf die Mairie. Die Mairie müßte das natürliche Domicil, das Vaterhaus jeder Waise sein; doch der Maire antwortete, es liegen der Gemeinde schon zu viel Kinder zur Last, und was ihn persönlich betreffe, so werde er, während er sich die Freude versage, Kinder nach seinem Bilde zu erzeugen, sich nicht damit belustigen, daß er sich ein nach dem Bilde eines Unbekannten geschaffenes Kind aufbürde. Auf diese Antwort erhob; sich ein einstimmiger Schrei aus der Menge: »Zum guten Herrn Gèrard! zum redlichen Herrn Gèrard! zum tugendhafte Herrn Gèrard!« Und die Menge stürzte nach dem Hause des Philanthropen mit dem Rufe: »Ein Kind! ein Kind!« Herr Gèrard ging in seinem Garten auf und ab, als der Ruf an sein Ohr traf; bei Annäherung des Geräusches errieth er, diese Menge, deren Geschrei er hörte, komme zu ihm; ohne Zweifel brachten aber die Worte: »Ein Kind! ein Kind!« auf seine Nerven eine schmerzliche Empfindung hervor, denn die Menge fand ihn auf einer Bank in seinem Garten sitzend, ganz bleich und zitternd. Als er jedoch erfuhr, es sei von einem Kinde von sechs Monaten die Rede, da gewann seine gewöhnliche Güte, welche einen Augenblick einem unbeschreiblichen Gefühle des Schreckens Platz gemacht hatte, alsbald die Oberhand: er ließ eine Amme holen, kam mit ihr wegen des Preises für die Nahrung der Waise überein. und erklärte, man habe sich nicht mehr mit der Sorge für das arme kleine Wesen zu beschäftigen, da diese Sorge für die Zukunft seine Sache sei; nur wünsche er, daß das Kind fern von ihm aufgezogen werde, weil der Verlust von zwei geliebten Mündeln, den er erlitten, eine Wunde in seinem Herzen zurückgelassen habe, die der Anblick eines Kindes unablässig bluten machen würde. Und die Amme nahm die Waise mit, für deren Existenz Herr Gèrard auf das Großmüthigste Sorge trug.

Kurz mit der einfachen Erzählung der mit einander verknüpften Tage von Herrn Gèrard hätte man eine Fortsetzung zu dem Buche: die Moral in Thätigkeit, machen können.

Die ganze Gegend hätte ihm eine Steine errichten müssen, denn die ganze Gegend verdankte ihm etwas; die Gemeinde verdankte ihm einen Brunnen auf dem öffentlichen Platze; die Krautgärtner verdankten ihm einen Querweg; um den sie seit zwanzig Jahren nachsuchten; die Kirche verdankte ihm heilige Gefäße und ein Meisterbild; die Dorfbewohner verdankten ihm drei bis vier von ihm, in Folge eines Brandes, neu gebaute Häuser und die neu gepflasterte große Straße des Dorfes.

Und Alles dies abgesehen von dem, was ihm die Bauern privatim schuldig waren; hiervon zeugten der Zimmermann, der Schenkwirth und zwanzig Andere, welchen er ähnliche Dienste geleistet, deren monotone Aufzählung, so erbaulich sie gewiß wäre, ermüdend für unsere Leser würde, hätten wir nicht die Gewissenhaftigkeit, sie ihnen zu ersparen.

Mit einem Worte; Herr Gèrard war zugleich der rechtschaffene Mann nach dem Sinne des Evangeliums und nach dem Sinne der Gesellschaft: er beobachtete die Gebote Gottes und der Kirche mit einer bewunderungswürdigen Treue; das Dorf betete ihn an, und die Dankbarkeit, die es für seinen Wohlthäter bezeigte, hatte etwas von der Ergebenheit des Hundes für seinen Herrn; eine Folge hiervon war, daß man um ihn Wache hielt wie um ein Mitglied der königlichen Familie, und daß selbst ein Mitglied der königlichen Familie schlecht angekommen wäre, hätte es nicht die Verehrung dieser fanatischen Dorfbewohner getheilt.

Der Mönch Dominique den Einige von ihnen auf der Straße trafen und nach Vanvres begleiteten, begriff auch nach denn was sie ihm von den Tugenden von Herrn Gèrard erzählt halten, die Bestürzung, die in den Gesichtern der Bauern ausgedrückt war, welche auf der Schwelle ihrer Thüren oder auf der Straße standen, wie man es bei den öffentlichen Calamitäten thut, um mehr im Bereiche der Neuigkeiten zu sein.