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Die Mohicaner von Paris

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Als er diese allgemeine Trostlosigkeit sah, fragte Bruder Dominique einen von seinen Begleitern, was für eine Krankheit es sei, die Herrn Gèrard zum Grabe führe.

»Es ist ein Fluß auf der Brust,« antwortete derjenige, an welchen er sich wandte.

»Ja,« sprach ein Anderer, »und es ist eine gute Handlung, was den Tod des lieben armen Mannes verursachen wird.«

Und nun erzählten die Bauern Dominique um die Wette, vierzehn Tage vorher habe Herr Gèrard, als er durch den Park gegangen, Nothschreie gehört, welche vom großen Bassin hergekommen. Er hatte sich in aller Hast noch dieser Seite gewandt. Ein paar Kinder waren am Rande des Bassin und riefen um Hilfe, ohne daß sie es wagten einem ihrer Kameraden, der ins Wasser gefallen, beizustehen: dieser Knabe hatte sich vorgebeugt, um ein papiernes Schiff, das zu weit vom Rande entfernt gewesen, an sich zu ziehen, er hatte das Gleichgewicht verloren, und man sah im Brudeln des Wassers den Ort, wo er sich zerarbeitete. Herr Gèrard war rasch gelaufen, und von seiner Stirne strömte der Schweiß; dessen ungeachtet zögerte er nicht einen Augenblick und warf sich ins Wasser, um den Knaben herauszuziehen; er brachte ihn auch wirklich unversehrt ans Ufer; er aber, der arme Herr Gèrard! Kam, triefend von Wasser, schnatternd vom Scheitel bis zu den Zehen, in einem erbärmlichen Zustande nach Hause, und obgleich er die Kleider wechselte, obgleich er ein großes Feuer anzünden ließ und sich rasch in ein wohl gewärmtes Bett legte, ergriff ihn doch das Fieber noch an demselben Tage und verließ ihn seitdem nicht mehr.

Am Morgen sagte Herr Pilloy, er stehe nicht für seinen Kranken, und er erklärte mit aller möglichen Schonung dem armen Herrn Gèrard, wenn er Verfügungen zu treffen habe, so bleibe ihm hierfür nur die gerade nothwendiger Zeit.

Herr Gèrard, der sich wahrscheinlich nicht für so krank hielt wurde ohnmächtig bei dieser erschrecklichen Kunde, – welche doch für einen frommen Mann immer minder furchtbar als für irgend einen Anderen hätte sein sollen, – und als er wieder zum Bewußtsein kam, verlangte er auf der Stelle einen Priester.

Man lief zum Pfarrer von Meudon; doch der Pfarrer von Meudon war, um das heilige Abendmahl zu reichen, in ein benachbartes Dorf gegangen, wie unsere Leser wissen.

Da sagte man dem Sterbenden, in Ermangelung des Pfarrers von Meudon könne er sich an einen Priester wenden, den man für fremd halte, und der in das Dorf, herbeigerufen durch den Tod von einem seiner Freunde, welcher sich durch Kohledampf getödtet, gekommen sei. Herr Gèrard schickte sogleich seinen Kammerdiener zu Dominique mit dem Befehle, so lange in den Priester zu dringen, bis er zu kommen einwillige.

Man hat gesehen, wie der Dominicaner das Bett des Todten verließ, um sich an das des Sterbenden zu begeben.

Der Priester, ein edles Herz, wie sich kaum ein zweites finden ließ, fähig, alle Hingebungen zu begreifen, war übrigens tief gerührt von der Erzählung aller der guten Handlungen, die man ihm mitgetheilt; er beschleunigte seine Schritte und kam, den Mund voll von tröstlichen Worten, die Hände voll von Segnungen an.

Man hatte ihm die Wahrheit gesagt, als matt ihm sagte. er werde nicht nötig haben das Haus zu suchen: sobald die Bewohner von Vanvres ihn erblickten, streckten sich alle Hände in der Richtung des Hauses von Herrn Gèrard aus.

»Oh! Herr,« murmelten die alten Weiber, »Sie werden eine fromme Beichte hören, und Sie können dem guten Herrn Gèrard wohl zum Voraus die Absolution geben.«

Bruder Dominique grüßte diese ganze Menge, bei der er die so seltene Tugend fand, welche man die Dankbarkeit nennt, trat in das bezeichnete Haus ein, – dessen Thüre, wie die einer Kirche, am Tage offen blieb und so respectirt war, daß sie auch bei Nacht hätte offen bleiben können, – und fand, rasch die zur Wohnung von Herrn Gèrard führende Treppe hinaufsteigend, auf der letzten Stufe den Kammerdiener, der ihn in Bas-Meudon aufgesucht und voranlaufend seinem Herrn die nahe Ankunft des Trösters verkündigt hatte.

Diese Ankündigung, welche jeden Andern beruhigt hätte, schien im Gegentheile die Aufregung des frommen Mannes zu verdoppeln, und in der Erwartung von Dominique stieß er Seufzer aus, die den Diener dergestalt erschreckten, daß er statt im Zimmer seines Herrn mit der Krankenwärterin zu bleiben, welche unempfindlich in einem großen weichen Lehnstuhle saß, den Dominicaner auf der Treppe erwartete.

Der Priester trat in das Zimmer ein.

LXII
Die Beichte

»Mein Herr,« meldete der Kammerdiener, »der Mann, den Sie erwarten, ist da.«

Der Sterbende machte eine ungestüme Bewegung, als ob er durch den ganzen Leib schauerte; und es entschlüpfte ihm ein schmerzlicher Seufzer.

.

Darm sprach er mit einer dumpfen Stimme:

»Lassen Sie ihn eintreten.«

Bruder Dominique trat hinzu, und sein Blick tauchte voll Theilnahme; voll Ehrfurcht sogar in die Tiefe des Alcovens.

Das Gefühl, das ihn für denjenigen ergriffen hatte, welcher ihn rufen ließ, war nach dem, was er von ihm gehört, ein Gefühl der Bewunderung gemischt mit Dankbarkeit. So jung Dominique war, so hatte er doch so viele schlechte Menschen gesehen, daß er einem Manne dafür, daß er gut, dankbar war.

Auf dem durch das fieberhafte Wachen des Sterbenden zerknitterten Kopfkissen erblickte er sodann das abgemagerte, entfärbte, leichenartige Gesicht von demjenigen, welchen die ganze Gegend einstimmig den guten Herrn Gèrard nannte.

Er bebte, so sehr war dieses Gesicht von dem verschieden, was er zu sehen erwartete.

Herr Gèrard seinerseits sah Dominique mit seiner schönen und strengen, Frankreich fremden Tracht wie eine Erscheinung von Zurbaran oder Lesueur und grüßte ihn mit dem Kopfe nickend.

Dann sagte er mit einer matten Stimme, indem er sich an die Krankenwärterin wandte:

»Marianne.«

Marianne stand schläfrig und schwerfällig auf, näherte sich mit jenem den Somnambulen eigenthümlichen schwankenden Gange und fragte:

»Wie befinden Sie sich, lieber Herr?«

»Schlecht, sehr schlecht, Marianne.«

»Brauchen Sie etwas?«

»Gebe Sie mir zu trinken, Marianne,und lassen- Sie mich mit diesem Herrn allein.«

Die Krankenwärterin reichte Herrn Gèrard eine Tasse Tisane, welche durch ihre Stellung über einer Nachtlampe lau erhalten wurde. Herr Gèrard traut einen Theil davon, fiel dann wieder, erschöpft der Anstrengung, die er gemacht, auf das Kopfkissen und gab mit einer zitternden Hand die Tasse der Krankenwärterin zurück.

Diese nahm das Gefäß, und als sie sah, daß drei Viertel der Flüssigkeit darin geblieben waren, sagte sie, indem sie den Trank Herrn Gèrard mit einer Bewegung darbot, die der Gattung angehört und aus jeder von diesen Lohndienerinnen eine Art von Henker macht; der beauftragt ist, seinem Kranken die Tortur des warmen Wassers zu geben:

»Trinken Sie, lieber Herr.«

»Ich danke, Marianne, ich danke,« erwiderte Herr Gèrard, die Hand der Krankenwärterin zurückschiebend; »ich bitte Sie nur, die Vorhänge zuzuziehen und und allein zu lassen . . . Die Helle thut mir weh!«

Marianne zog die Vorhänge zu, und sogleich wurde es, – abgesehen von dem schwachen Scheine, den die Nachtlampe verbreitete, – dunkel im Zimmer.

Während der kurzen-Zeit, welche zwischen seinem Eintritte bis zu dem Momente verlaufen war, wo das Schließen der Vorhänge ihm den Anblick vom Gesichte des Kranken entzogen, hatte der Priester seine Augen auf dieses Gesicht geheftet, das ihm, wie gesagt, so entfernt nicht die Physiognomie bot, welche er zu; finden erwartete.

Bruder Dominique war ganz besondere mit jener Macht physiognomischer Forschung begabt, welche die Priester und die Aerzte besitzen.

Nach dem; was man ihm von Herrn Gèrard erzählt, hatte sich Bruder Dominique ein mit den hohen Eigenschaften, die er rühmen horte, im Einklange stehendes Gesicht vorgestellt.

Er erwartete einen Mann zu sehen mit einer breiten Stirne, dem Sitze der erhabenen Instincte; mit offenen, hervorstehenden Augen, einem Zeichen von Wohlwollen; mit gerader Nase, einem Zeichen von Festigkeit; mit ein wenig dicken Lippen, einem Zeichen von Nächstenliebe.

Was das Alter betrifft, so hatte er nicht hiernach gefragt, und er bekümmerte sich nichts darum: es schien ihm, die Guten seien schön, und da jedes Alter, selbst das Greisenalter, seine Schönheit habe, so werde Herr Gèrard die Schönheit seines Alters besitzen.

Beim Anblicke von Herrn Gèrard war aber Alles Täuschung für den Priester gewesen; hiervon dieses Beben, das er nicht hatte bemeistern können, und diese Starrheit des Blickes, welche in den Geist des Beichtigers selbst die geringsten Zuge vom Gesichte des Sterbenden eingegraben hatte.

Dieser war ein Mann von fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, mit niedriger, schmaler Stirne, obgleich der vorne kahle Schädel sich wenigstens scheinbar durch den Mangel an Haaren hätte ausbreiten müssen; die kleinen, tief liegenden, trüb grauen Augen verschwanden von Zeit zu Zeit unter blinzelnden und, sei es durch die gegenwärtige Schlaflosigkeit, sei es durch frühere Excesse, gerötheten Augenlidern; die dicken ergrauenden Brauen, aus deren Mitte gerade, starre Haare gar zu unverhältnißmäßig verstanden, verbanden sich in der Linie der Nase und bildeten über den Augen einen Bogen von übertriebener Ausdehnung; die Nase, war dünn, schneident; der Mund groß mit flachen, bleichen Lippen; was dieses Gesicht mit der zurücklaufenden Stirne viel mehr einem Geierskopfe, als einem menschlichen Gesichte ähnlich machte.

Welche Veränderung, welche Entstellung auch die Krankheit im Gesichte des Sterbenden hervorgebracht hatte, es war leicht, dasselbe wiederherzustellen; und stellte man es wieder her und gab thut den Ausdruck der Gesundheit, so mußte ein Phosiognomiker betroffen sein von der Gemeinheit der Seele und der Niederträchtigkeit des Herzens, welche das Gesamtwesen dieser Physiognomie entschleierte.

 

Was besonders darin herrschte, das war, – hinter; einer gewissen Grausamkeit so gemein wie die des Thieres, von dem wir gesagt haben, Herr Gèrard gleiche ihm, – eine erbärmliche Botmäßigkeit, eine sonderbare Nachgiebigkeit gegen die Willensäußerungen eines Wesens, welches es auch sein mochte, wenn dieses Wesen sich nur in physischer und moralischer Hinsicht überlegen offenbarte: es war eine Art von natürlicher Disposition, sich der Sklaverei zu unterziehen, unter welcher Form sie sich auch bot. Man fühlte, daß es genügte, – wenn nicht etwa seine thierischen und egoistischen Instinkte im Spiele waren, – die Hand über der Stirne dieses Menschen auszustrecken, um ihn den Kopf beugen zu machen.

Er war gewiß nicht häßlicher als ein Anderer; doch seine Häßlichkeit war ihm eigenthümlich, ganz eigen, sui generis, wenn man so sagen darf. Sie drückte in diesem Augenblicke die Angst auf die zurückstoßendste Weise aus.

Der Anblick eines Sterbenden ist gewöhnlich aus mehr als einem Grunde rührend, und am goldenen Faden des Gedankens führt er gerade zu Gott!i Nun wohl, der Anblick dieses Menschen, obgleich man ihn im Todeskampfe begriffen; dem Grabe nahe sah, erweckte, statt Theilnahme zu erregen, nur einen unüberwindlichen Widerwillen. War es ein Biedermann, wofür ihn die öffentliche Stimme erklärte, so mußte man an Allem verzweifeln, denn gestattete Gott, daß die ehrlichen Leute eine solche Maske trügen, an welchem Merkmale sollte man dann die Bösen erkennen?

Der schöne Priester war auch, wie gesagt, erstaunt vor diesem sichtbaren Bilde der Gemeinheit, vor diesem abscheulichen Typus der Niederträchtigkeit stehen geblieben.

Bei diesem Anblicke faltete sich die Stirne von ihm, dem redlichen Manne, der auf seinem Antlitz den Reflex der edlen und männlichen Tugenden seines Herzens zu tragen glaubte, und er legte sich voll Entmuthigung an das Bett dieses Menschen und ließ seinen Kopf ans seine Brust fallen.

In dieser Stellung schien er entfernt nicht einer Seele mit weißen Flügeln die Hand zu reichen, sondern vielmehr den Herrn zu bitten, er möge ihm die Kraft verleihen, die Beichte eines Bösen zu hören und Satan eine zum Voraus verdammte Seele streitig zu machen.

Da übrigens der Sterbende, statt mit ihm zu sprechen, sich darauf beschränkte, daß er seufzte und weinte, so war es Bruder Dominique, der zuerst das Wort nahm.

»Sie haben nach mir verlangt?« sagte er zu Herrn Gèrard.

»Ja,« antwortete dieser.

»Ich höre Sie.«

Der Sterbende schaute den Priester mit einer Unruhe an, welche aus seinen Augen, die man für erloschen gehalten hätte, eine doppelte Flamme springen machte.

»Sie sind sehr jung, mein Bruder!« bemerkte er.

Der Priester stand, einer ersten Bewegung des Widerwillens nachgebend, auf.

Doch der Sterbende streckte rasch eine fleischlose Hand aus seinem Bette hervor, hielt ihn an seinem Rocke zurück und versetzte:

»Nein, bleiben Sie! . . . Ich wollte sagen, in Ihrem Alter haben Sie vielleicht nicht genug über die düstere Seite des Lebens nachgesonnen, um auf die Fragen zu antworten, die ich an Sie zu machen habe.«

»Was kann ich Ihnen sagen?« erwiderte der Priester; »befragen Sie den Glauben, so werde ich mit dem Glauben antworten; befragen Sie den Geist, so werde ich mit dem Geiste zu antworten suchen.«

Während eines Augenblicks der Stille, der nun eintrat, blieb der Priester stehen.«

»Setzen Sie sich, mein Vater,« sprach der Sterbende im Tone der Bitte.

Dominique setzte sich auf seinen Stuhl.

»Mein Vater.« sprach Herr Gèrard, »ich bitte Sie nun um des Himmels willen, ärgern Sie sich nicht über die Fragen, die ich an Sie machen werde, und versprechen Sie mir besonders, mich nicht zu verlassen, bevor Sie meine ganze Beichte empfangen haben . . . Es wird genug sein, wenn ein solches Geheimnis in einem einzigen Herzen verwahrt ist.«

»Reden Sie.«

»Sie kennen besser als ich die Dogmen der Kirche, zu der Sie gehören, mein Vater . . . «

Herr Gèrard hielt inne.«

Dann nach einem kurzen Zögern:

»Mein Vater, glauben Sie an ein anderes Leben?«

Der Priester schaute den Sterbenden mit einem Ausdrucke an, der an die Verachtung grenzte.

»Wenn ich nicht an, ein anderes Leben glaubte,« erwiderte er, »würde ich dann wohl das Kleid, das ich trage, angethan haben?«

Herr Gèrard stieß einen Seufzer aus; der Dominicaner hatte ihm in der That den Beweis vom Umfange seines Glaubens gegeben.

»Ja, ich begreife,« sagte er; »doch glauben Sie, mein Vater, in diesem andern Leben finde der Mensch die Belohnung seiner Tugenden und die Bestrafung seiner Verbrechen?

»Wozu würde es sonst nützen?«

»Und glauben Sie, mein Vater, die Beichte sei durchaus nothwendig für die Vergebung unserer Sünden, und die Verzeihung Gottes könne auf ein schuldiges Haupt nur durch die Vermittelung seines Dieners herabsteigen?«

»Die Kirche versichert uns das, mein Herr.«

»Mir schien,« sagte der Sterbende, »im Falle einer vollkommenen Zerknirschung . . . «

»Ja, allerdings,« antwortete der Priester mit einem offenbaren Widerwillen gegen die Fortsetzung dieser theologischen Erörterung; »allerdings, in Abwesenheit eines Dieners des Herrn; kann die vollkommene Zerknirschung die Absolution ersetzen.«

»So daß der Mensch, der die vollkommene Zerknirschung hat . . . «

Der Priester schaute den Sterbenden an.

»Der hat . . . oder der zu haben glaubt?«

Herr Gèrard schwieg.

»Welcher Sünder kann sich rühmen, er habe die vollkommene Zerknirschung?« fragte der Dominicaner; »welcher Schuldige kann versichern, seine Reue sei von Furcht, seine Gewissensbisse seien von Angst frei? welcher Sterbende kann sagen: »Wenn mir Gott die Tage, die er mir zählt, die Stunden, die er mir nimmt, wiedergeben wollte, so würden diese Stunden, diese Tage dazu angewendet, um das Böse, das ich gethan, wieder gut zu machen?‹

»Ich! Ich!« rief der Sterbende, »ich kann das sagen.«

Dann bedürfen Sie meiner nicht,« sprach der Priester.

Und er stand zum zweiten Male auf.

Doch durch eine Bewegung so rasch wie der Gedanke hielt die abgezehrte Hand von Herrn Gèrard die Robe des Mönches fest, während seine Stimme murmelte:

»Nein, nein, bleiben Sie, mein Vater! . . . Ich belüge mich selbst: es ist nicht die Reue, es sind nicht die Gewissensbisse, was mich zu sprechen bestimmt; es ist die Angst! und ich habe die Verzeihung der Menschen nötigt ehe ich der Gegenwart Gottes die Stirne biete! Bleiben Sie also, mein Vater, ich flehe Sie an!«

»Dominique setzte sich wieder, und er sagte mit einer Art von Resignation:

»Ich bin hier, um nach Ihrem Willen zu thun, und nicht nach dem meinen; sonst, Gott ist mein Zeuge, würde ich mich auf der Stelle entfernen. Sie reden von Angst; nun wohl, ich weiß nicht, warum, doch die Angst, die ich empfinde, Sie zu hören, ist beinahe der gleich, welche Sie zu mir zu sprechen zögern macht.«

»Mein Vater,« fragte der Kranke, »denken Sie auch, ich sei dem Tode so nahe, als man sagt?«

Das müssen Sie den Arzt und nicht mich fragen., mein Bruder,« antwortete der Priester.

»Mir scheint, ich habe noch Kräfte, und ich kann warten, mein Vater,« sprach zögernd der Kranke.

»Könnten Sie nicht morgen wiederkommen . . . oder heute Abend?«

»Sie können vielleicht warten; doch ich ich kann nicht wiederkommen; ich habe eine traurige und fromme Pflicht zu erfüllen, und ich werde in zwei Stunden nach der Bretagne abreisen.«

»Ah! Sie reisen ab . . . Sie verlassen Paris in zwei Stunden?«

»Ja!«

»Auf lange?«

»Auf so lange, als es Gott gefällt! ich gehe um einen Vater über den Tod seines Sohnes zu trösten.«

»Dann ist es besser, daß es sich so verhält,« murmelte der Kranke. »Ja, Gott selbst schickt Sie . . . Sie reisen ab? Nicht wahr, Sie reisen gewiß ab?«

»Wenn nicht Gott gestatten daß der Todte, den ich begleite, daß des Leichnam, den ich nach seiner Heimath bringe, zum Leben zurückkehrt, so reise ich ganz gewiß.«

»Und Sie sind sicher, daß dieses Wunder unmöglich ist?«

Dem Mönche ward das Herz entsetzlich beklommen, die grauenvollen Bangigkeiten und die Zögerungen dieses Menschen, die sich so offenbarten, verursachten ihm einen unsäglichen Widerwillen.

»Ach! Ja,« sagte er, »ich bin dessen sicher.«

Und der gute Priester strich mit seinem Taschentuche über seine Augen, um die Thränen, die ihnen entfloßen, zu trocknen, glücklich, sich gewisser Maßen in seinen eigenen Schmerz zu flüchten, um der selbstsüchtigen Angst dieses Menschen zu entfliehen, der ohne diese Thränen wahrzunehmen, murmelte:

»Ja, ja, das ist besser . . . Er reist in zwei Stunden ab, er verläßt die Gegend, er wird vielleicht nie mehr dahin zurückkommen . . . während der Pfarrer von Meudon hier bleibt!«

Dann machte er eine äußerste Anstrengung und sagte:

»Hören Sie mich an, mein Vaters ich will Ihnen Alles erzählen.«

Und der Sterbende ließ mit einem Seufzer seinen Kopf in seine Hände fallen und schien sich zu sammeln.

Der Mönch stützte sich mit dem Ellbogen auf den Arm des Lehnstuhls, in welchem er saß.

Anfangs durch das Schließen der Vorhänge in eine relative Dunkelheit getaucht, hatte sich das Zimmer allmählich erhellt, oder die Augen des Mönches hatten sich vielmehr an diese Dunkelheit gewöhnt, dem die bleichen Scheine der Alabasterlampe einen Geheimnisvollen, fantastischen Charakter verliehen.

In dieser Finsternis gesehen, erschien der Schädel den Sterbenden noch knochiger, noch bleicher, noch blässer, noch mehr seines Haares beraubt; so gesehen, erschien sein Gesicht noch bleifarbiger, noch a; so gesehen, erschien sein Gesicht noch bleifarbiger, noch abgezehrter, noch leichenartiger; seine Physiognomie noch gemeiner, noch verworfener.

Er begann mit schwacher Stimme, beständig seinen Kopf in seinen Händen haltend; und bei den ersten Worten der seltsamen Beichte; auf die er horchte, ohne zu wissen, was er hören sollte, rückte der Mönch seinen Stuhl vom Bette zurück, als befürchtete er die Berührung dieser Stimme; als wollte er die Befleckung, durch sie vermeiden!

LXIII
Gèrard Tardieu

Diese ersten Worte hatten indessen nichts, was nicht ganz natürlich, und konnten aus jedem Munde stammen.

»Ich wurde Wittwer mit dreißig Jahren,« sagte der Sterbende, »und meine erste Ehe hatte mir so viel Kummer verursacht, daß ich geschworen, nie eine zweite einzugehen. Ich hatte keinen andern Verwandten auf der Welt, als einen älteren Bruder, der das Land 1795 verließ und sich in Toulon auf einem Fahrzeuge einschiffte, das nach Brasilien unter Segel ging. Das Waffenhandwerk widerstrebte ihm; die Landwirthschaft war ihm antipathisch, und davor, daß er Handel in einem Laden treiben sollte, hatte er ein Entsetzen; er träumte von Fahrten, Reisen, Abenteuern, und die fernen Länder waren für ihn eben so viel gelobte Länder.

»Unter allen diesen Ländern war Brasilien das, welchem er den Vorzug gab; er schiffte sich also nach Rio Janeiro ein und nahm nichts als ein kleines Gepäck mit, dessen Werth sich sicherlich nicht auf tausend Thaler belief. Ich empfing von ihm nur drei Briefe: den ersten im Jahr 1801: er sagte mir in diesem Briefe, er habe Glück gemacht, und lud mich ein, zu ihm zu kommen: ich hatte ein Grauen vor dem Meere und schlug es aus. 1806 erhielt ich den zweiten Brief: er schrieb mir, er habe Alles verloren, und ich habe wohl daran gethan, daß ich in Frankreich geblieben. Elf Jahre lang hörte ich nichts mehr von ihm, und ich erhielt weder unmittelbar, noch mittelbar irgend eine Nachricht. Im Jahre 1817 schrieb er mir abermals: das war das dritte Mai seit seiner Abreise, und es waren zwei und zwanzig Jahre vergangen, seitdem er abgereist! Er hatte sich wieder ein Vermögen im Betrage von mehreren Millionen gemachte er war verheirathet und Vater von zwei Kindern; er kündigte mir seine nahe bevorstehende Rückkehr an und hatte wie er mir sagte, keinen innigeren Wunsch nun, da er Millionär war, als Frankreich wiederzusehen und hier mit mir zu leben.

»In der That, im Monat Juni 1917, kam er in Paris an, und ich empfing von ihm ein paar Zeilen, in denen er mich einlud, mich in aller Eile zu ihm zu begeben. Er hatte seine Frau auf der Überfahrt verloren; er war in Verzweiflung, und meine brüderliche Freundschaft allein konnte seinen Kummer mildern. Ich hegte selbst ein großes Verlangen, meinen Bruder wiederzusehen, für den ich, trotz seiner Abwesenheit und meines Alters, die zärtliche Zuneigung des jungen Mannes bewahrt hatte. Bei Empfang des Briefes beschloß ich also, abzureisen, und ich nahm Abschied von meinen guten Freunden in Vic-Dessos . . . «

 

Bei diesem Namen richtete der Mönch den Kopf auf und sagte:

»Vic-Dessos! Sie wohnten in Vic-Dessos; in der Ariége?«

»Dort bin ich geboren,« antwortete der Sterbende; »ich habe dieses Dorf nur verlassen, um mich nach Paris zu begeben, und gefiele es dem Himmel, ich hätte es nie; verlassen! . . . «

Der Mönch heftete auf den Sterbenden einen neugierigen Blick, der nicht von einer gewissen Besorgniß frei zu sein schiene doch dieser fuhr fort, ohne die, übrigens fast unmerkbare, Bewegung wahrzunehmen, die der Mönch nicht hatte unterdrücken können:

»Ich kam in Paris nach einer Reise von acht Tagen an und fand meinen Bruder dergestalt verändert, daß ich ihn nicht wiedererkannte; er dagegen erkannte wich sogleich und umarmte mich mit einem innigen Ergusse, der mir zu dieser Stunde noch die Thränen in die Augen treten macht . . . Es wäre für mich eine entsetzliche Marter, ewig auf meinen Wangen den Eindruck dieser zwei so zärtlichen Küsse zu fühlen.«

Der Sterbende strich mit seinem Taschentuche über seine mit Schweiß bedeckte Stirne und schien sich, auf einige Augenblicke in seine Erinnerungen zu versenken.

Dominique betrachtete ihn während dieser Zeit mit einer wachsenden Neugierde; es war sichtbar, daß er Lust hatte, ihn anzureden, ihn zu befragen, während ihm eine innere Stimme sagte, er sollte nichts thun oder wenigstens noch warten.

Herr Gèrard bat den Mönch, ihm einen Flacon zu geben, der auf dem Nachttische stand, und nachdem er mehrere Male von den flüchtigen Salzen, die der Flacon enthielt, eingeathmet hatte, fuhr er fort:

»Der arme Jacques war so bleich, so mager so entstellt, wie ich es in diesem Augenblicke bin; man hätte glauben sollen, er habe, wie ich zu dieser Stunde, nur noch einen Schritt zu machen, um an die Pforte seines Grabes zu klopfen . . . Er erzählte mir den Tod seiner Frau mit einem Schluchzen, das von seinem Schmerze zeugte; dann ließ er seine Kinder rufen, um mir in ihnen Alles zu zeigen; was ihm von ihr blieb. Man brachte sie: es waren zwei bewunderungswürdig schöne Kinder; das ältere, der Knabe, blond, frisch und rosig, wie es seine Mutter gewesen; das Mädchen, braun, mit bleichem Teint, mit herrlichen Brauen, Wimpern und schwarzen Augen. Das Mädchen besonders war reizend mit seinen von der Sonne Brasiliens wie die Weintrauben unseres Landes vergoldeten Wangen. Das Mädchen war vier Jahre alt und hieß Leonie; der kleine Knabe war sechs und hieß Viktor.

»Seltsame Erscheinung, der ich mich zu dieser Stunde erst erinnere! Beide schienen erschrocken bei meinem Anblick und weigerten sich, mich zu küssen. Jacques mochte ihnen immerhin wiederholen: ›Es ist ja mein Bruder! es ist ja Euer Oheim!‹ das Mädchen fing an zu weinen und der Knabe entfloh in den Garten. Der Vater suchte sie bei mir zu entschuldigen. Armee Jacques! Er betete seine Kinder an, oder vielmehr, seine Liebe für sie ging bis zum Wahnsinne; er konnte sie nicht anschauen, ohne zu weinen, so sehr erinnerten sie ihn an seine Frau, der Knabe durch seine Züge, das Mädchen durch den Charakter. Eine Folge hiervon war, daß ihm diese Kinder, trotz der ungeheuren Liede, die er für sie hatte, beinahe ebenso viel Kummer als Freude verursachten, und daß er, wenn er sie zu lange anschaute, mit erstickter Stimme zu ihrer Gouvernante sagte: »Nimm sie fort, Gertrud!«

»Ich hegte eine große Zärtlichkeit für meinen Bruder: sein Zustand beunruhigte mich ernstlich. Außer diesem Schmerze, der seine Gesundheit völlig untergrub, – von dem ihn aber mit der Zeit die Liebe seiner Kinder und meine Sorgsamkeit hätten heilen können, – war er in einer gewissen Epoche des Jahres, gegen den Herbst;einem Sumpffieber preisgegeben; dieses hatte ihn auf einer Reise, die er nach Mexico gemacht, befallen; er hatte sich nie davon befreien können, und seit seiner Rückkehr nach Frankreich ergriff es ihn mit neuer Stärke. Wir zogen die besten Aerzte von Paris zu Rathe; ihre Wissenschaft scheiterte, an dieser Vergiftung der Lunge, und das Resultat der Consultationen war, daß man meinen Bruder aufforderte, auf dem Lande zu leben; – dies ist das, was man denjenigen verordnet, welchen man nichts mehr zu verordnen weiß. Ich sah, so zu sagen, auf dem Gesichte von Jacques die Spur, die jeder Tag darauf zurückließ; am Abend war er bleicher und schwächer als am Morgen, am Morgen als am Abend vorher . . . Ich forschte nach einem Landhause, und eines Tages, als ich von Fontainebleau zurückkam, sah ich, bei der Cour-de-France, ungefähr fünf Meilen von Paris, einen Anschlagzettel; auf weichem der Verkauf eines in Viry liegenden großen Landhauses angezeigt war . . . «

»In Viry sur Orge?« unterbrach der Priester mit derselben Betonung, mit der er gesagt hatte: »In Vic-Dessos,« und dabei schaute er den Sterbenden mit einem immer mehr fragenden Blicke an.

»Ja, in Viry sur-Orge.« wiederholte Herr Gèrard. »Kennen Sie diese Gegend?«

»Dadurch, daß ich davon sprechen hörte, ja . . . doch ich habe nie in dieser Gegend gewohnt, und ich habe sie auch nicht einmal gesehen,« antwortete der Priester mit einer leicht bebenden Stimme.

Doch der Kranke war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um auf die zu achten, welche seine Erzählung im Geiste oder in den Erinnerungen seines Zuhörers erwecken konnte.

Er fuhr fort:

»Viry-sur-Orge liegt ungefähr eine Viertelmeile von dem Orte, wo ich mich befand: ich wandte mich nach diesem Dörfchen, daß mir ein Bauer bezeichnete, und nach einer Viertelstunde befand ich mich vor dem Hause oder dem Schlosse, das später mir gehören sollte.«

Nun wischte der Priester mit seinem Taschentuche über seine Stirne: man hätte glauben sollen, jene Periode der Erzählung des Kranken mache in seinen Augen jene seltsamen Scheine glänzen, die man im Traume sieht, und mit deren Hilfe man vergebens ein in die Vergangenheit gestürztes Ereigniß wieder aufzubauen sucht.

»Man kam zu dem Hause durch eine lange Lindenalle; hatte man das Vorzimmer und den Speisesaal durchschritten, so befand man sich, jenseits, auf einer ungeheuren Freitreppe, von der aus man ein wahrhaft feenartiges Gemälde vor den Augen hatte.

Es war ein Park umgeben von hundertjährigen Eichen, welche sich in einem schönen, tiefen Bassin reflektierten, das bei Nacht ein großer silberner Spiegel zu sein schien; die Ränder dieses kleinen Sees waren bedeckt mit Binsen, Erlen und Schilfrohr; Nympheen breiteten sich auf seiner Oberfläche aus, und die zehn die zwölf Morgen, die ihm als Rahmen dienten, waren mit bepflanzt mit Blumen von allen Arten, von allen Ländern, von allen Farben, von allen Wohlgerüchen: auf fünfhundert Schritte vom Schlosse war die Luft mit Wohlgerüchen erfüllt, wie es die Atmosphäre auf zwei Meilen von der Stadt Grasse ist. Diese Wohnung war sicherlich die eines großen Liebhabers der Natur; denn man sah hier alle vegetabilische Wunder der Schöpfung vereinigt . . . »Oh! mein Gott!« murmelte der Kranke, »wenn ich nun daran denke, scheint es mir, man hätte sehr glücklich in einem solchen Paradiese leben können.

»Ich besichtigte das Haus; das Innere war würdig des Aeußeren. Es war, im Ganzen; ein altes Schloß meublirt von oben bis unten im modernen Geschmacke, reich, elegant und zugleich comfortable . . . Es wurde mir gezeigt von einer Frau, die im Dienste des Mannes, dem es gehört, gewesen war. Da die Erben des Eigenthümers zahlreich, so ließ man das Schloß verkaufen, um alle Interessen auszugleichen.

»Die Frau, welche mir bei dieser Besichtigung als Führerin diente, hatte dem Verstorbenen keine sehr bestimmte Eigenschaft: sie betitelte sich seine Vertraute; und man behauptete in der Gegend, sie habe baares Geld geerbt, das in dem Augenblicke, wo der Herr starb, im Hause sein mochte. Es war eine Frau von dreißig Jahren, groß, stark, und an ihrem baskischen Accente erkannte man, leicht, daß sie aus unserer Heimath war; sie hatte im Blicke, in der Tournure, in den Manieren etwas Männliches, was mir von Anfang an widerstrebte. Aus meinem Accente erkannte sie mich auch als einen Nachbar des baskischen Landes, und sich ans unsere Landsmannschaft stützend, empfahl sie sich mir für den Fall, daß ich das Schloß, entweder in meinem Namen oder im Namen einer andern Person, kaufen würde, wobei sie sich erbot, im Hause unter dem Titel, den sie vorher gehabt, und sogar, in Ermanglung von Besserem, als Kammerfrau oder als Köchin zu bleiben.