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Die Mohicaner von Paris

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ich ging immer weiter nach dem Schlosse. Hier, griff ein anderes Geräusch mein Ohr an; in diesem Schlosse, aus dem man so eben eine Leiche weggebracht, wo der Hund wehklagte, wo der Mensch noch die Augen trocknete, sang eine Frauenstimme! – Diese Stimme war die von Orsola.

Entrüstet und in der Absicht, ihr Stillschweigen zu gebieten, näherte ich mich dem Speisezimmer, aus dem die Stimme zu kommen schien. Durch die halb geöffnete Thüre sah ich Orsola: sie richtete das Frühstück in Abwesenheit Aller zu und sang dabei im baskischen Patois folgendes Lied unserer Heimath; – ein gottloses, cynisches, in einem solchen Augenblicke empörendes Lied:

 
Le bonheur est fait pour les dieux,
Qui laissent le plaisir aux hommes;
Bèénissons ceux qui vont aux cieux,
Mais consolons le coeur de ceux
Qui restent au monde vù nous sommes!27
 

»Mein Vater, ich vermöchte Ihnen nicht auszudrücken, welchen tiefen Widerwillen mir gegen die Frau,« die es sang, dieses lustige, materialistische, in einem Todtenhause ertönende Lied einflößte. Ich wünschte auch, daß Orsola wisse, ich habe sie gehört.

›Orsola,‹ sagte ich zu ihr, »Sie können den Tisch abräumen; ich habe keinen Hunger.‹

»Und ich ging in mein Zimmer hinauf und schloß mich ein, Orsola schwieg; doch der Hund stöhnte den ganzen Tag und die ganze folgende Nacht; sein Geheul hörte erst in dem Augenblicke auf wo der Wagen, der die Kinder zurückbrachte, in den Hof des Schlosses einfuhr.«

LXV
Orsola

»Nachdem mein Bruder todt,« fuhr Herr Gèrard fort, »war ich das Haupt der Familie und der Verwalter des Vermögens der Kinder des Verstorbenen. Anfangs fühlte ich mich sehr in Verlegenheit: ich hatte nie mehr als zwölf bis fünfzehnhundert Franken Einkünfte gehabt, welche von einem kleinen väterlichen Erbgute herrührten; gingen beträchtliche Summen in Banquebillets durch meine Hände, so erfaßten mich unbekannte Schauer; sah ich Goldsäcke auf einen Tisch umgestürzt; so bekam ich den Schwindel, nur waren diese Empfindungen ganz körperlich und hatten nichts Verbrecherisches. Ich hegte keine andere Wünsche, als die, welche in dem Kreise, wo ich gewöhnlich lebte, sich erschlossen hatten.

»Herr Sarranti begann die Erziehung der Kinder, gab mir einige Rathschläge über die Verwendung und die Anlage der Einkünfte, und die ersten Tage vertiefen in vollkommener Ruhe.

»Die zwei einzigen Frauen, welche im Hause wohnten, waren Gertrud und Orsola; Gertrud, die, nachdem sie mit zwanzig Jahren die Amme meiner Schwägerin gewesen, und sie in ihren Armen hatte sterben sehen, mit fünf und vierzig die Gouvernante ihrer Kinder geworden war; Orsola, die sich, wie Sie wissen, im Hause impaironisirt und mit dem Titel Vertraute geschmückt hatte. Ich habe Ihnen gesagt, mein Vater, welchen Eindruck des Widerwillens diese Frau auf mich hervorzubringen angefangen. Warnen dies? Abgesehen von dem Liede, das ich sie an jenem Tage der Beerdigung meines Bruders hatte singen hören, hätte ich es nicht zu sagen gewußt. Nicht als ob sie an sich etwas Zurückstoßendes gehabt hätte: im Gegentheile, sie war schön. Nur mußte man es bemerken; doch sobald man es bemerkt, kamen die Blicke, die sie Anfange gleichgültig hatten vorübergehen lassen, zu ihr zurück, und hatten sie einmal diese unselige Richtung genommen, so konnten sie dieselbe nicht mehr verlassen! Anfangs; als ich sie zum ersten Male sah, war sie in ein düsteres Costume gekleidet, das ihre äußeren Vorzüge durchaus nicht geltend machte; ihre Haare waren unter einer Art von Witwenhaube verborgen; ihr übriger Anzug war, nicht ganz der einer Frau vom gemeinen Volke, doch der einer Bürgerin, welche auf jeden Gedanken der Coquetterie verzichtet hat. Das Einzige, was ich an ihr, bemerkt, waren ziemlich schöne Augen, sehr weiße Zähne und Lippen, deren lebhaftes, fast blutiges Roth mir besonders aufgefallen. Doch seit dem Tode meines Bruders, allmählich und Woche für Woche, hatte sie, so zu sagen, eine Schönheit ins Licht gesetzt, das waren zuerst herrliche Haare, blau durch ihre tiefe Schwärze, deren reiche Reserve sie unter ihrer Haube hervorgezogen, und aus denen sie sich glänzende Flechten gemacht hatte; es war ein Hals vergoldet wie die Aehre im Monat Juli, den sie von einem geschlossenen Kragen befreit; es war eine Taille biegsam und geschmeidig wie die Birke unserer Wälder, die sie in ein Trauerkleid von schwarzem Taffet gehüllt; es war ein spanischer Fuß, besser als dies, ein baskischer Fuß, den sie des Pantoffels, der ihn bekleidet, entledigt und aufs Neue eingekerkert hatte, diesmal aber in einen Schuh mit flatternden Bändern; es war eine doppelte Reihe von weißen Zähnen, die sie, selbst ohne zu lächeln, zeigte, als wären ihre Lippen zu kurz und gerundet gewesen, um sich zusammenzufügen; es waren endlich reizende Worte gesprochen im Patois unserer Gebirge, mit einem metallischen baskischen Accente, die mir, wenn sie mich anredete, was übrigens selten geschah, ein Echo der Heimath zu sein schienen.

»Alle diese successiven Veränderungen bewerkstelligten sich in weniger als drei Monaten, zur großen Verwunderung aller Genossen des Hauses, welche unter jener Puppe von Bure den glänzenden Nachtfalter nicht vermutheten, der daraus ausgekrochen. Für wen machte übrigens Orsola diesen Toilettenaufwand? Das ließ sich unmöglich sagen: sie sprach nie mit Jemand, wenn sie nicht, die Bedürfnisse des Hauses dazu nötigten, und sie hielt sich in ihrem Zimmer die ganze Zeit auf, die sie nicht in den aristokratischen Regionen des Hauses beschäftigt war. Das geschah für sie ohne Zweifel! Diese unschuldige Coquetterie mißfiel wahrscheinlich ihrem früheren Herrn, und sie wollte sich nach und nach versichern, ob ihr neuer Gebieter so streng sei wie der alte. Ihr neuer Gebieter, das war ich! . . .

»Lassen Sie mich Ihnen alle Verführungen dieser Frau sagen, der ich das erste Mal, als ich sie gesehen, vierzig Jahre gegeben hätte, und die, sowie sie ihr altes Costume abstreifte, mit demselben auch die Jahre abzustreifen schien, so daß ich ihr im Verlaufe von drei Monaten kaum dreißig würde gegeben haben. Das ist meine einzige Entschuldigung bei der schändlichen Gewalt, die diese abscheuliche Creatur am Ende über mich erlangte.

»Ich hatte, wie gesagt, meine Frau sehr jung und nach traurigen Jahren des Ehestandes verloren. Begabt mit einer ziemlich kräftigen Constitution und mit dem Temperamente eines Südländers, hatten bei mir die Leidenschaften momentan einschlafen können, doch sie mußten unfehlbar früher oder später wiedererwachen. Mehrere Male hatte ich mich dabei erkannt, daß ich diese Frau im vorübergehen anschaute; mehrere Male, in ihrer Abwesenheit, war ich erstaunt, daß ich an sie dachte . . . Orsola aber schien für mich keine andere Aufmerksamkeit zu haben, als die ehrerbietige Botmäßigkeit, mit der sich der Untergeordnete gegen seinen Herrn benimmt. Sie hatte sich den Dienst von meinem Zimmer und von dem von Herrn Sarranti vorbehalten; sie war besorgt, hier vorzugsweise während des Frühstücks oder des Mittagessens einzutreten, und verrieth ihre Gegenwart nur durch jene Aufmerksamkeiten, an welchen man bei dem, der sie hat, die persönliche Gewohnheit der übermäßigsten Reinlichteit erkennt. Wir kamen regelmäßig in unsere Zimmer Abends um neun Uhr zurück, und um zehn Uhr war im Allgemeinen Jedermann eingeschlafen.

»Eines Abends, als ich Banque- und Verwaltungsrechnungen durchzusehen hatte; – das war im Dezember 1818— unterrichtete ich Orsola von meinem Wunsche, meine Arbeit ziemlich lang in die Nacht hinein fortzusetzen, und bat sie, einen Holzvorrath in mein Zimmer heraufbringen zu lassen. Sie brachte ihn selbst, als sie kam, um die Bettdecke umzuschlagen; sobald das Holz niedergelegt und das Bett zugerichtet war, ging sie wieder ab, indem sie mich in ihrem Patois fragte:

›Hat der Herr nichts mehr nötig?‹

›Nein,‹ erwiderte ich, meinen Blick von ihr abwendend; denn ich hatte bange, mein Blick könnte sich auf sie heftend, und meinem Herzen einen Blitz von der seltsamen unkeuscher Gier, die sie in mir erweckte, hervorspringen machen.

»Sie ging hinaus, zog sachte die Thüre hinter sich zu, und ich hörte sie die Treppe hinabsteigen und in ihr Zimmer eintreten, das unter dem meinigen lag. Ich blieb nachdenkend, ohne darauf zu achten, daß nach und nach das Feuer erlosch und ich fing erst an es an der Kälte wahrzunehmen, die sich meiner langsam bemächtigte.

»Vergebens gedachte ich an diesem Abend zu arbeiten, alle meine Gedanken waren anderswo. Ich wollte im Schlafe die Versuchungen fliehen, die mich bestürmten; ich warf einen Arm voll Holz auf mein Feuer, legte mich zu Bette, löschte das Licht und versuchte es einzuschlafen . . . Ich entschlief in der That.

»Es war ungefähr eine Stunde verlaufen, seitdem ich die Augen geschlossen, als ich, durch den Rauch des Athems beraubt, erwachte: das Feuer hatte im Kamine ohne Zweifel in Folge der zu großen Menge Holz, die ich hineingeworfen, um sich gegriffen; der Wind trieb den Rauch in mein Zimmer zurück, und dieser Rauch erstickte mich. Ich sprang aus meinem Bette und schrie:

»Zu Hilfe! Feuer!‹

›Es kam aber Niemand. Ich wollte nach der Gesindetreppe laufen, als ich am Ende des Corridors Orsola, mit aufgelösten Haaren, bekleidet mit einem Gewande, das nichts Anderes war, als ein langes Nachthemd, mit bloßen Füßen und ihren Leuchter in der Hand, erblickte. Sie war herrlich so und glich einer der Erscheinungen, wie sie nach der Erzählung in den alten Schlössern oder in den verfallenen Klöstern existieren. Es war in diesem Weibe in der That etwas von der Burgfrau und von der Aebtissin, besonders aber etwas Dämonisches! Sodann, als ob die Entfernung, welche zwischen mir und ihr lag, sie verhinderte, zu bemerken, in welcher unzüchtigen Unordnung sie sich befand, sagte sie:

 

›Sie haben um Hilfe gerufen, und ich bin herbeigelaufen. Was gibt es?‹

›Ich schaute sie verwundert an.

›Es brennt!‹ stammelte ich, es brennt!‹

›Wo?‹

›In meinem Zimmer!‹

»Sie stürzte hinein, ohne sich um den Rauch zu bekümmern.

›Ah!‹ sagte sie, ›das ist nichts.‹

›Wie! das ist nichts?‹

›Nein, es ist ein Kaminfeuer, und die Kamine sind von Backstein. Wollen Sie mir helfen, mein Herr? Wir werden das Feuer auslöschen.‹

›Ei! lassen Sie uns, um es auszulöschen Leute rufen!‹

›Das ist unnötig,‹ erwiderte sie; ›wir Beide werden es wohl auslöschen, und ich kann es sogar allein löschen, wenn Sie sich nicht damit befassen wollen.‹

»Diese Kaltblütigkeit dünkte mir bewundernswerth; ich, der Mann, das heißt, das vorgeblich starke Geschöpf, hatte Angst, sie, die Frau, das heißt, das vermeintlich schwache Geschöpf, beruhigte mich!

»Ich rief nicht. In der Stimmung des Geistes, in der ich mich zu Bette gelegt, war die Erscheinung, die zu mir kam, die, welche ich heraufbeschworen. Sie trat übrigens, wie gesagt, kühn in mein Zimmer ein, riß das Fenster auf, um den Rauch zu zerstreuen, nahm die Leilacken von meinem Bette, tauchte sie in das Waschbecken, hielt diese befeuchteten Tücher vor die Oeffnung des Herdes, und fing so den Luftstrom völlig auf; dann brachte sie, das Tuch mit einer regelmäßigen Bewegung einziehend, den leeren Raum hervor und machte von den oberen Regionen die Rußlagen, die sich entzündet hatten, herabfallen.

Eine halbe Stunde genügte für diese ganze Operation, bei der ich ihr allerdings half, jedoch mehr in meinem Geiste in Anspruch genommen von diesen schwarzen Haaren, von diesen weißen Füßen, von diesen runden Schultern, welche durch ihr Nachtgewand durchschienen, als von dem Brande, der übrigens völlig besiegt war. Nach einer weiteren halben Stunde war der Fußboden mit dem Schwamme abgewischt, das Zimmer sauber, das Bett wieder gemacht, und dieser fantastische Geschöpf, das ein den Elementen gebietender Dämon zu sein schien, verschwunden.

Die Nacht, die auf dieses Ereigniß folgte, war eine von den grausamsten, die ich in meinem Leben zubrachte! . . .

»Ich war übrigens entschlossen, diese Kaltblütigkeit, und diese aufopfernde Ergebenheit zu belohnen. Am andern Morgen, nach dem Frühstücke, zur Stunde, wo ich wußte, daß sie mit dem Aufräumen meines Zimmers beschäftigt war, ging ich hinauf und näherte mich ihr, die an nichts mehr zu denken schien; ich stattete ihr meinen Dank ab und reichte ihr eine zwanzig Louis d’or enthaltende Börse. Sie aber nahm meinen Dank in Demuth an und wies die Börse stolz zurück. Ich drang in sie; da antwortete sie einfach und ohne Affectation:

›Herr, ich habe nur meine Pflicht gethan!‹

»Ich dachte, die Summe sei vielleicht nicht stark genug, um sie zu reizen, und das ich das letzte Wort bei dieser Uneigennützigkeit haben wollte, so nahm ich alles Geld, das sich in meiner Tasche fand, fügte es dem bei, was in der Börse war, und bot ihr aufs Neue diese Börse an, doch mit nicht mehr Erfolg. Ich fragte sie nach dem Grunde ihrer Weigerung.

›Es gibt einen ersten Grund, den ich Ihnen von Anfang gesagt habe, und der der mächtigere ist,‹ antwortete sie: ›ich habe nur meine Pflicht gethan, und wer nur seine Pflicht thut, hat kein Recht auf eine Belohnung; sodann,‹ fügte sie lächelnd bei, ›sodann gibt es einen zweiten Grund . . . ‹

›Dieser ist?‹ fragte ich.

›Daß ich beziehungsweise so reich bin, als Sie, mein Herr.‹

›Wie so?‹

›Mein früherer Herr hat mir dreißigtausend Franken Kapital, das heißt eine Rente von fünfzehnhundert Livres hinterlassen. Ich brauche nur in das Savines-Thal zurückkehren, woher ich bin, und ich werde mit meinen fünfzehnhundert Franken leben wie eine Königin.««

›Warum haben Sie aber dann einen so geringen Lohn verlangt, als ich Sie aufforderte, Ihren Preis zu machen?‹ fragte ich.

›Abermals aus zwei Gründen,‹ erwiderte sie: ›weil ich seit zehn Jahren im Hause war und ein großen Verlangen hegte, es nicht zu verlassen.‹

›Das ist der erste. Und der zweite?‹

›Der zweite!‹ sagte sie leicht erröthend; ›der zweite ist, weil ich mich mit dem ersten Blicke zu Ihnen hingezogen gefühlt hatte, und es mir gefiel, in Ihren Dienst zu treten.‹

»Ich steckte meine Börse wieder in die Tasche, ganz beschämt, eine solche Erhabenheit der Gefühle bei einer Frau zu finden, die ich bis dahin immer als eine Dienerin betrachtet hatte.

Orsola,‹ sprach ich zu ihr, ›von morgen an werden Sie eine Frauenperson nehmen, weiche hier das thun soll, was Sie gewöhnlich thaten, und Sie werden sich darauf beschränken, daß Sie die Dienstboten beaufsichtigen!‹

›Warum wollen Sie mich eines Vergnügend da durch berauben, mein Herr, daß Sie mich verhindern, Sie zu bedienen? ist das Ihre Art, mich zu belohnen?‹

»Sie sagte diese paar Worte mit dem natürlichsten Tone.

›Wohl, es sei,‹ antwortete ich, ›Sie werden fortfahren, mich zu bedienen, da Sie behaupten, dieser Dienst sei ein Vergnügen für Sie; doch Sie sollen nur mich allein bedienen. Jean wird sich mit Herrn Sarranti beschäftigen.‹

›Nun, meinetwegen!‹ erwiderte sie; ›ich nehme das an; es wird mir gestattet seine um so mehr für; Sie Sorge tragen zu können.‹

»Hiernach, da mein Zimmer in Ordnung gebracht! war, ging sie einfach und würdig ab, ohne zu vermuthen, oder wenigstens, ohne daß sie den Anschein hatte, als vermuthete sie, daß sie mich ganz erstaunt über ihr Zartgefühl zurückließ, wie sie mich ein an der Mal ganz erstaunt über ihre Schönheit zurückgelassen hatte.

»Von diesem Tage an war das Loos meines Lebens entschieden, und ich gehörte dieser Frau. Sie ihrerseits, als sie sah, daß ich sie, statt ihr fortwährend Befehle zu geben, wie man es bei einer Dienerin thut, mit Aufmerksamkeiten umgab, wurde zurückhaltender, sowie ich ehrerbietiger wurde. Sie hatte, seitdem sie im Hause war, frei, offen und keck gesprochen und mich in ihrem Patois angeredet, so oft sich die Gelegenheit dazu bot; nun sprach sie kaum mit mir, und immer in der dritten Person; schüchtern, beinahe furchtsam geworden, zitterte sie beim ersten Worte, erröthete sie bei der ersten Geberde. Hatte sie Kenntniß von der Begierde, die sie mir einflößte, und stellte sie sich, als wußte sie nichts davon? Zu jener Zeit wäre es mir unmöglich gewesen, es zu sagen; seitdem konnte ich sehen, welche wunderbare Komödiantin diese Frau war, und mit welcher Kunst sie auf ihr Ziel zuschritt!

»Der Kampf dauerte ungefähr drei Monate.

»Während dieses Zwischenraumes kam mein Namenstag, und Gertrud hatte den Gedanken, eine Feierlichkeit daraus zu machen. Am Abend wurden die Kinder mit mächtigen Sträußen zum Dessert gebracht; hinter den Kindern war Sarranti, der mir die Hand reichte; dann kamen Jean und der Gärtner, um mir auch ihre Glückwünsche auszusprechen. Ich küßte alle Welt, Kinder und große Personen, Professor und Dienstboten, und zwar, weil ich dachte, Orsola werde auch erscheinen, und ich werde sie küssen wie die Anderen. Sie trat zuletzt ein, und ich gab einen Schrei von mir, als ich sie erblickte.

»Sie war gekleidet in ihre Tracht einer Gebirgsbewohnerin, mit dem rothen Halstuche um den Kopf, den Leib von schwarzem Sammet mit Gold, – etwas Entzückendes zwischen dem Mädchen von Arles und der römischen Bäuerin! Sie sagte mir ein paar Worte in ihrem Patois, um mir lange Tage und die Erfüllung Alles dessen, was wein Herz begehre, zu wünschen. Ich blieb stumm, denn ich fand nichts zu antworten und vermochte nur die Arme gegen sie auszustrecken, um sie zu küssen; doch statt mir ihre Wangen zu reichen, neigte sie das Haupt und bot mir ihre Stirne, erröthend wie ein Mädchen, indeß ihre Hand in meiner Hand zitterte.

»Niemand im Hause liebte Orsola, mich ausgenommen, der ich vielleicht mehr lüstern nach ihr war; als daß ich sie liebte; trotz der geringen Sympathie, die sie einflößte, war es indessen nur ein Schrei, um dieser reichen Schönheit, der die Nationaltracht allen Reiz der Originalität verlieh, Lob zu spenden. Ich fühlte mich so sehr beunruhigt, daß ich in mein Zimmer hinaufging, damit man meine Aufregung nicht wahrnehme.

»Ich war seit einigen Augenblicken hier, ohne ein anderes Licht, als den Restes des Feuers, das im Kamine brannte, als ich den Tritt von Orsola erkannte, die sich meinem Zimmer näherte, und da sich meine Thüre öffnete, sah ich sie erscheinen in ihrer reizenden Tracht, beleuchtet von der Kerze, die sie in der Hand hielt.

»Ich saß in einem Fauteuil keuchend auf den Arm des Stuhles gestützt, in der Stellung des Menschen oder des Thieres, das loszustürzen bereit ist.

»Sie sah mich und machte eine Bewegung, als ob sie mich nicht hier zu finden erwartete; doch nach dieser ersten der Verwunderung entschlüpften Bewegung schritt sie nach meinem Bette und nahm wie gewöhnlich die Decke ab . . . Da stand ich auf, und entschlossen, Alles zu wagen, ging ich mit offenen Armen, schwankend wie ein Trunkener auf sie zu und rief mit dem ganzen Wahnsinne meiner tollen Leidenschaft:

Orsola! Orsola! wie schön bist Du! . . . ‹

»Erwartete sie diesen Augenblick? war sie wirklich überrascht? Das wurde mir nie bekannt. Ich weiß nur, daß sie einen schwachen Schrei von sich gab, daß sie ihre Kerze fallen ließ, und daß wir uns in der Dunkelheit befanden.

»O mein Vater! mein Vater!« murmelte der Kranke, »von diesem Augenblicke fing mein verbrecherisches Leben an! von diesem Augenblicke zog sich Gott von mir zurück, und ich gehörte dem Teufel! . . . «

Herr Gèrard fiel wie verscheidend auf sein Kopfkissen zurück, und der Dominicaner der befürchtete, diese Beichte, welche so langsam zu der Stelle kam, die ihn interessirte, könnte ihm entgehen, zögerte diesmal nicht, dem Sterbenden einen zweiten Löffel voll von dem Elixier zu geben, das schon seine Kräfte wiederbelebt hatte.

LXVI
Der Besitz

Der Trank entwickelte seine Thätigkeit ein wenig langsamer als das erste Mal, war aber nichtsdestoweniger wirksam.

Nach einer Minute der Betäubung kam der Kranke wieder zu Sinnen; er machte eine Anstrengung und fuhr dann in folgenden Worten fort:

»Von diesem Augenblicke übte Orsola über mein ganzes Wesen eine solche Zaubermacht, daß ich allmählich die Herrschaft über mich verlor, und nach Verlauf von einigen Wochen gehörte ich ihr mit Leib und Seele.

»Vermöge dieses ungeheuren, mit einer wunderbaren Geschicklichkeit gelenkten Einflusses fand ich mich bald hingerissen, ihr zu gehorchen, nachdem ich schon seit einiger Zeit die Gewohnheit, ihr zu befehlen, verloren. Hätte ich nur das Bewußtsein dieser Schmach gehabt! wäre mir nur ein einziges Mal der Gedanke gekommen, die Maschen des Netzes in das ich eingehüllt war, zu zernagen. Doch nein, die Maschen dieses Netzes schienen mir von Gold zu sein, und die Gewißheit, in der ich war, frei darin zu leben, benahm mir sogar das Verlangen, ihm zu entkommen.

»So lebte ich beinahe zwei Jahre in diesem Bagno, das mir ein Palast schien, in dieser Hölle, die mir ein Eden dünkte, und ich verlor nach und nach in den Berauschungen, in die mich diese Frau versenkte, Alles, was der Himmel von redlichen Ideen, von tugendhaften Neigungen in mich gelegt hatte. Hätte ich gesehen, wohin sie mich führen wollte, so würde ich vielleicht widerstanden haben; doch ich schritt, die Hand auf den Augen, fort, und hatte weder mehr das Bewußtsein von dem Wege, dem ich folgte, noch von dem Ziele, nach dem man mich fortzog.

»Ich hatte wohl von Zeit zu Zeit und, so zu sagen, instinctmäßig einige Rückkehren, die mich etwas wie einen Nothschrei ausstoßen machten, einige Ueberreste von Ehrbarkeit, die mein Schamgefühl eine Einwendung machen ließen; Orsola hatte aber unwiderstehliche Tröstungen, für diese vorübergehenden Gemüthsunruhen, Geheimnisvolle Einschläferungen für dieses Erwachen des Gewissens. Ich stand mit einem Worte unter diesem mächtigen, unbesiegbarem geheimen Zauber, den, wie das Alterthum sagt, die Unglücklichen erduldetem welche in die Gewalt der Zauberin Circe fielen.

»Diese Frau war in der That eine Zauberin in der Kunst zu lieben; sie wußte aus ihren Schmeicheleien Liebesträume zu machen, in denen man unablässig neugeborene Kräfte wiederfand. Aus welchen Pflanzen setzte sie ihre Tränke zusammen? welche Worte sprach sie darüber? an welchem Tage des Monats, in welcher Stunde der Nacht, unter Anrufung von welcher unzüchtigen Gottheit bereitete sie dieselben? das weiß ich nicht; was ich aber weiß ist, daß ich sie mit Wonne erschöpfte. Und was dabei besondern gefährlich war, ist. daß sie meiner Sklaverei das Aeußere der Macht, meiner Schwäche den Anschein der Stärke gab. Von ihr regiert, war ich in meinen Augen der starke Mann meinen eigenen Willens geblieben. Es war ihre höchste Kunst, mich wollen zu machen, was sie wollte, so daß sie befehlend das Ansehen hatte, als gehorchte sie.

 

»Als ich bis zu diesem Punkte gekommen war, versuchte sie, um mich nicht von Anfang an ein Joch fühlen zu lassen, das ein Ueberrest von Menschenwürde mich wahrscheinlich abzuschütteln bewogen hätte, sie versuchte, sage ich, ihre Gewalt bei Dingen ohne Belang; sie hatte übertriebene Hartnäckigkeiten für die Befriedigung von unbedeutenden Launen. Sie verlangte mit Zweifel lachend, stellte ihr Gesuch selbst als unannehmbar und monstruös dar, gab sich das Ansehen, als begriffe sie nicht, wie ich gewisse Fantasien unterschreiben, mich in gewisse Willen fügen könne, während mir, vermöge der Zögerungen, mit denen sie diese Willen, diese Fantasien umgeben hatte, dieselben, statt mir exorbitant zu scheinen, äußerst natürlich schienen; kurz; es war eine von ihren Taktiken, – und zwar nicht die ungeschickteste, – alle Wichtigkeit der Form zu geben, um den Fond zu verringern. Sie versicherte sich während dieser zwei Jahre ihrer Herrschaft über mich, und nach Ablauf dieser Zeit fing sie an sich unumschränkte Gebieterin meines Willens zu fühlen.

»Zuweilen indessen, da ich mich allmählich von der wollüstigen Schlange umwunden sah, fragte ich mich, was ihr Zweck sein, und ihr Zweck schien mir dann zu sein, früher oder später meine Frau zu werden; doch ich muß sagen, dieser Gedanke erschreckte mich nicht im Mindesten. Wer war ich denn, um mich für mehr als sie zu halten? Ein Bauer aus unseren Bergen, wie sie eine Bäuerin derselben war. Ich war reicher als sie; doch ein Zufall, ein Unglück hatte mich reicher gemacht; sie war aber schöner als ich, und Gott hatte sie schöner gemacht. Sodann, wenn ich als Mitgift das Vermögen brachte, brachte sie nicht das Glück, das Vergnügen, die Wollust? und ich war dahin gekommen, daß ich die Wollust als den einzigen Zweck des Daseins, als das einzige Gut der Schöpfung betrachtete! im Ganzen war es also sie, welche gab, und ich, der empfing.

»Sobald ich das Ziel ihrer Wünsche erschaut zu haben glaubte, und mir dieses Ziel nicht übertrieben schien, überließ ich ihr, wie ich ihr den materiellen Theil meines Wesens überlassen hatte, auch den denkenden Theil desselben. Ich erzählte ihr von dem vielfachen Verdrusse, den mir meine erste Ehe bereitet hatte, ein Verdruß, an dem sie lebhaften Antheil zu nehmen schien, doch ohne diese Gelegenheit zu ergreifen, um mir zu sagen, eine zweite glücklichere Ehe könne ihn vergessen machen. Diese Verleugnung verlieh mir Muth: ich war es also, den sie liebte, ich allein, und nicht das Vermögen, das ich ihr bieten konnte, und nicht die Stellung, die ich ihr geben konnte? Ich ließ sie in mein ganzes Leben eintreten; ich gab ihr den halben Antheil an meinen kostbarsten Interessen; ich machte sie zur Verwahrerin meiner theuersten Hoffnungen. Ich sah, ich dachte, ich sprach, ich athmete nur durch sie! Ich war es nun, der sie ahnen ließ, der ihr zu verstehen gab, sie könne Alles von mir fordern; doch sie schien weder zu wünschen, nach zu begreifen, was ich für den Gegenstand ihres Trachtens gehalten hatte.

»Es sollte indessen ein Tag kommen, wo sie ihre Macht versuchen und ihren Willen energisch offenbaren würde.

»Dieser Tag kam.«

»Wir hatten zum Gärtner einen Greis, Vater und Großvater von einem Dutzend Kinder, der die Gärten des Schlosses vielleicht seit dreißig bis vierzig Jahren kultivierte. Anfänglich wußte ich nicht, was Orsola gegen ihn reizte; ich sah es später ein . . . Sie fing damit an, daß sie mir Schlimmes von diesem armen Manne sagte, den Jeder liebte, sie ausgenommen; es verging nach ihrer Angabe kein Tag, an dem er ihr nicht eine unangenehme Bemerkung machte, eine unverschämte Antwort gab; endlich nach einer Woche der Klagen, schloß sie damit, daß sie seine Entlassung von mir forderte. Die Sache schien mir so ungerecht, daß ich zu widerstehen suchte, indem ich ihr entgegnete, Niemand habe sich über diesen Mann zu beklagen, und es gebe keinen Vorwand, um ihn wegzuschicken; es wäre überdies unmenschlich, einen Greis fortzujagen, der seit vierzig Jahren da sei. Sie bestand auf ihrem Verlangen mit einer Hartnäckigkeit, welche so sehr außer ihren Gewohnheiten, daß ich darüber erstaunt war; doch auf meine wiederholte Weigerung schloß sie sich in ihr Zimmer ein, aus dem sie zwei Tage lang nicht herausging, und während dieser, zwei Tage durfte ich auch nicht, trotz meines Bittens und Flehens, in dieses Zimmer eintreten. Sodann, nach tausend Kämpfen, die ich gegen mich selbst bestand, da ich eine längere Entbehrung derjenigen, welche der materiellen Seite meines Lebens nothwendig geworden war, nicht aushalten konnte, beschloß ich feiger Weise, mich in der Nacht zu Orsola zu begeben und ihr Verlangen zu bewilligen.

›Ah! das ist ein Glück!‹ sagte sie einfach zu mir, ohne mir nur für das Opfer, das ich ihr brachte, zu danken, und ohne den Anschein zu haben, als hätte sie einen Sieg davongetragen.

»Am andern Tage ließ ich dem Gärtner bedeuten, er habe seine Lohnrechnungen in Ordnung zu bringen, und das Schloß zu verlassen. Der arme Mann, als er diese Kunde erfuhr, die er durchaus nicht erwartete, fiel auf eine Rasenbank und murmelt:

›Ah! mein Gott ich glaubte meine Tage hier zu beschließen!‹

»Und er zerfloß in Tränen.

»Victor und Leonie, die den Schmetterlingen nachliefen, sahen den Greis weinen und fragten ihn nach der Ursache seiner Thränen . . . Sie liebten den Vater Vincent ungemein: dieser wackere Mann legte für sie schöne Raupen zurück, deren Verwandlungen ihnen Herr Sarranti erklärte; er versah ihre Angeln mit Köder, wenn sie im großen Bassin fischten; er gab ihnen die ersten reifen Erdbeeren seiner Rabatten, die ersten reifen Früchte seiner Spaliere . . . Die Kinder gingen zu Herrn Sarranti und erzählten ihm, ich jage ihren guten Freund Vincent weg; Herr Sarranti befragte selbst den Greis und fand ihn in einer tiefen Trostlosigkeit.

›Nur die Diebe und die Uebelthäter jagt man weg,‹ sagte der arme Mann, ›und ich habe nie gestohlen; ich habe nie irgend Jemand etwas Böses angethan.‹

»Dann fügte er bei:

›Ah! ich werde darüber vor Schaam sterben!‹

»Herr Sarranti hielt den Fall für bedeutend genug, um zu mir zu kommen, obschon er gewöhnlich allen Einzelheiten des Hausen völlig fremd blieb. Zu seiner großen Verwunderung gab ich der Sache eine Wichtigkeit, die sie nicht zu haben schien.

›Ah!‹ sprach er zu mir, ›haben Sie ernste Gründe, um so zu handeln, so thun sie wohl, mein lieber Herr Gèrard; dann müssen Sie aber diese Gründe laut sagen, sie öffentlich kund thun. Sie, der Sie ein Mann von Verstand sind, dürfen nicht als ein Mann den Leidenschaft erscheinen; Sie, der Sie ein billiger Mann sind, dürfen nicht als ein ungerechter Mann erscheinen.‹

»Und nach diesen Worten, da er glaubte, es sei nicht nötig, mehr zu sagen, ging er weg. Er hatte Recht, dies zu denken; mein Gewissen war sehr beunruhigt, mein Herz voller Vorwürfe; da ich mich bereit fühlte, eine so schreiende Ungerechtigkeit zu begehen. Ich stieg also zu Orsola hinauf, theilte ihr die Bemerkungen von Herrn Sarranti mit und sagte ihr von der Schaam, die mich erfülle.

›Gut!‹ erwiderte sie, ›ich glaubte, Sie haben ein Wort: Sie haben keines; denken wir nicht mehr hieran.‹

›Aber, mein liebes Kind,‹ entgegnete ich, ›Jedermann wird mich tadeln, daß ich, um einer Deiner Launen zu gehorchen, eine so schlimme Handlung begangen habe!‹

›Wer wird Sie tadeln? Herr Sarranti? Was liegt Ihnen an der Meinung dieses Menschen, der man weiß nicht woher kommt, man weiß nicht was complotiert? . . . Oh! ich sagte es Ihnen wohl hundertmal, Sie haben nur gegen mich Energie und Willen!‹

»Es war eine von den Taktiken von Orsola, mir unablässig zu wiederholen, ich unterziehe mich der Gewalt von Jedermann und entgehe nur ihrem Willen allein. Ueberzeugt, ich vollbringe einen Art des freisten Willens, übergab ich nach einer Viertelstunde dem Gärtner selbst die Summe, die man ihm schuldig war, nebst einem Monat von seinem Lohne, und forderte ihn auf, das Schloß unmittelbar zu verlassen. Der arme Greis stand auf, schaute mich einen Augenblick an, um zu wissen, ob wirklich ich es sei, der ihm einen solchen Befehl gebe, und sagte, diesmal mit trockenen Augen, indem er den Lohn, den man ihm schuldig war, nahm, aber den Monat Gratification liegen ließ:

27Das Glück ist gemacht für die Götter, die den Menschen das Vergnügen überlassen; segnen wir diejenigen, welche in den Himmel gehen, trösten wir aber das Herz derjenigen, welche auf der Welt bleiben, wo wir sind.