Tasuta

Die Mohicaner von Paris

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Wir waren ungefähr mitten auf dem Teiche, als ich einen entsetzlichen Schrei hörte. Ich erkannte die Stimme von Leonie. Zu gleicher Zeit erscholl das Gebell von Brasil in der Nacht: er hatte ohne Zweifel auch von seiner Nische, wo er zurückgehalten wurde, wie ich diesen Schrei gehört und erkannt.

»Zwei weitere Schreie, noch herzzerreißender als der erste, machten sich ein paar Secunden von einander hörbar.

»Ich scheute den kleinen Victor an: er war sehr bleich.

»Mein Oheim, mein Oheim,‹ sagte er, ›man tödtet meine Schwester!‹

»Dann rief er: ›Leonie! Leonie!‹

›Willst Du wohl schweigen; Unglücklicher!‹ sagte ich.

›Leonie! Leonie!‹ rief fortwährend der Knabe.

»Ich ging mit ausgestreckter Hand, mit flammendem Blicke auf ihn zu; er war dergestalt erschrocken über den Ausdruck meinen Gesichtes, daß er sich besann, ob er sich nicht ins Wasser werfen sollte; – der Arme konnte nicht schwimmen, er fiel, die Hände faltend, aus die Kniee und rief:

›Oh!, mein guter Oheim, laß mich nicht sterben! Ich liebe Dich so sehr, ich liebe Dich von ganzem Herzen, mein Oheim! Oh! ich habe nie einem Menschen etwas zu Leide gethan!‹

»Ich hatte ihn beim Kragen seiner Jacke gepackt.

›Mein Oheim, mein Oheim, haben Sie Mitleid mit ihrem kleinen Victor! . . . Zu Hilfe! Herbei! zu Hilfe!‹

»Die Stimme stockte: meine Hand hatte wie ein eiserner Ring den Hals des Knaben umschlossen. Ich war vom Schwindel erfaßt und hatte das Selbstbewußtsein verloren.

›Nein, nein,‹ sagte ich, ›Du bist verurtheilt; Du mußt sterben!‹

»Er hörte es, denn er raffte alle seine Kräfte zusammen, um mir zu entkommen.

»In diesem Augenblicke verbarg sich der Mond hinter einer Wolke, und ich befand mich in der Finsternis; überdies schloß ich die Augen, um nicht zu, sehen.

»Ich hob den Knaben bis über meinen Kopf empor, und, als sollte sein Gewicht nicht genügen, um ihn unter dem Wasser verschwinden zu machen, schleuderte ich ihn mit meiner ganzen Kraft in den Teich!

»Das Wasser brudelte, öffnete sich wie ein Schlund und schloß sich wieder.


»Ich warf mich auf die Ruder, um das Ufer zu erreichen, doch in dem Momente, wo ich eines mit jeder von meinen Händen ergriff, erschien der Knabe, der sich entsetzlich zerarbeitete, wieder . . . Was soll ich Ihnen sagen, mein Vater?« rief schluchzend der Sterbende; »ich war trunken, ich war wüthend, ich war wahnsinnig! . . . . Ich hab das Ruder auf . . . «

»Oh! Elender!« rief Bruder Dominique, indem er aufstand, als hätte er, ein einfacher Zuhörer, nicht die Kraft gehabt, mehr zu vernehmen.

»Ja, ja, ich Elender, ich Schändlicher, arme Knabe sank diesmal unter, um nicht wiederzuerscheinen, und nie der Mond hinter der Wolke hervorkam, beleuchtete er die bleiche Stirne eines Mörders!«

Der Mönch war auf die Kniee gefallen und betete, die Stirne an den Marmor des Kamins angelehnt.

Es herrschte eine grauenvolle Stille in diesem Zimmer. Diese Stille wurde unterbrochen durch eine Art von Röcheln, das aus der Kehle des Kranken kam.

»Ich sterbe, frommer Vater! ich sterbe!« seufzte er; »und ich habe ihnen doch noch für die Ehre Ihres Vaters auf dieser Welt, für mein Heil in jener so viele Dinge zu sagen!«

LXX
Die Nacht des 19. August

Der Mönch stand bei diesem Angstschrei rasch auf, kam zum Bette zurück, schob seinen rechten Arm unter dem Kopfe des Sterbenden durch und ließ ihn Salze einathmen.

Es wäre schwierig gewesen, zu sagen, welcher der Bleichere war, der Priester oder der Sterbende.

Die Schwäche dauerte lange und ging fast bis zur Ohnmacht. Dann, endlich, bedeutete Herr Gèrard durch ein Zeichen, er glaube, er könne fortfahren, und der Dominicaner nahm wieder Platz oben Bette.

»Ich sprang vom Nachen auf den Grasplatz und lief nach Hause. Geschrei des Kindes, Gebell des Hundes, Alles hatte aufgehört.

»Er hatte mir geschienen, das Geschrei komme aus einem der unteren Räume.

Ich rief Orsola Anfangs mit furchtsamem Tone, sodann lauter und endlich mit der ganzen Kraft meiner Stimme: Niemand antwortete mir. Es kam mir sodann der Gedanke, Leonie zu rufen; doch ich wagte es nicht, aus Angst, einen Schatten heraufzubeschwören!

»Ich hatte kein Licht und stieg im Finstern tappend hinab . . . Ein Überrest von Feuer brannte in der Küche, und so schwach der Schein, den es von sich gab, es ließ sich doch leicht sehen, daß Alles in Ordnung und nichts hier vorgefallen war. Von der Küche ging ich in die Küchenstube und rief dabei fortwährend Orsola: Niemand antwortete. Mir schien indessen, es sei doch von hier das Geschrei gekommen.

»Es fiel mir ein kleiner Speiseteller ein, der hinter der Kuchenstube lag, und in dem ich noch nachsehen wußte; ich versuchte es, die Thüre aufzudrücken, doch ich hatte gegen ein Hinderniß zu kämpfen. Abermals rief ich Orsola: keine Antwort.

»Eines fiel mir indessen auf: beim Mondscheine sah ich das Fensterwerk des Speisetellers ganz zerbrochen; dieses Fensterwerk ging auf den Garten. Zu gleicher Zeit stieß ich mit dem Fuße an etwas. Ich blickte mich und fühlte einen auf der Erde liegenden Körper; nach der lauen Feuchtigkeit der Platte zu urtheilen, schien es mir, dieser Körper schwimme im Blute . . . Ich betastete: das war nicht der Körper eines Kindes . . . Was war es denn? Ich ging rückwärts bis zur Thüre, dann durchschritt ich die Küchenstube und trat wieder in die Küche ein; ich zündete eine Kerze an und kam, zum Voraus erschrocken über das, was ich sehen sollte, zu dem Leichname zurück.

»Was war denn vorgefallen? Dieser Leichnam war der von Orsola! dieses Blut, in dem er schwamm, war ihr Blut! es lief aus einem entsetzlichen Bisse hervor, der die Halspulsader geöffnet und durch den Blutfluß fast augenblicklich den Tod zur Folge gehabt hatte. Ein langes Küchenmesser lag bei der Todten und schien ihrer Hand entschlüpft zu sein.

»Meine erste Bewegung war, daß ich glaubte, ich sei wahnwitzig geworden, ich sei einer entsetzlichen Sinnestäuschung preisgegeben! . . . Doch nein, Alles war Wirklichkeit: es fand sich hier eine Leiche, es fand sich Blut, und dieses Blut und diese Leiche waren das Blut und die Leiche von Orsola.

»Ich erinnerte mich nun des Geschrei vom Kinde, des Gebelles vom Hunde, und es ward ein erschreckliches Licht in meinem Geiste. Ich ging an das zerbrochene Fenster und hatte keinen Zweifel mehr. Folgendes war vorgefallen; – das schien mir wenigstens klar wie das Tageslicht.

»Orsola hatte, ins Haus zurückkehrend, ein Messer ergriffen und freiwillig oder mit Gewalt, Leonie in den Speisekeller geführt, Hier wollte sie das Mädchen tödten; erschrocken, rief es um Hilfe, schrie es: das war das Geschrei, das ich gehört hatte, und woraus das Geheul den Brasil antwortete. Der Hund liebte das Kind unendlich, wie ich schon gesagt habe: – er begriff, daß seine kleine Freundin in Todesgefahr war: ohne Zweifel machte er eine furchtbare Anstrengung, und es gelang ihm, seine Kette zu zerbrechen; sobald sie gebrochen, machte er nur einen Sprung von seiner Nische zum Fenster, und mit einem wüthenden Satze fiel er in den Speisekeller ein und stürzte Orsola an den Hals. Seine eisernen Kinnbacken öffneten die Gurgel von dieser und zwangen sie, zugleich das Kind und das Messer loszulassen.

»Was war nun aus dem Kinde und aus dem Hunde geworden? Sie waren weder das eine, noch der andere mehr da. Man mußte sie um jeden Preis wieder auffinden.

»Der Anblick der Leiche den Orsola hatte mich mit Schrecken und Zorn erfüllt; ich ging durch die äußere Thüre des Speisekellers, welche offen geblieben, hinaus. Durch diese Thüre war ohne Zweifel Leonie entflohen. Ich beschloß, ihr sogleich nachzusetzen; traf ich sie, so verlangte meine eigene Sicherheit, daß ich sie tödtete, wie ich ihren Bruder getödtet hatte . . . «

Der Mönch schauerte.

»Was wollen Sie, mein Vater?« sprach der Sterbende; »das ist die verhängnisvolle Verzahnung des Verbrechens! der Mörder ist in einer eisernen Hund, und er muß tödten, einzig und allein, weil er getödtet hat.

»Ich eilte zuerst in die Hauptallee des Parkes mit meiner Flinte in der Hand, durchforschte die Finsternis mit meinen Blicken, lief dahin; wo ich Geräusch hörte, und hielt jeden Mondstrahl, der durch das Blätterwerk drang, für das weiße Kleid des Kindes. In diesem Augenblicke war ich wahnsinnig, trunken vor Wuth, berauscht von Blut. Bei jedem Getöse, das ich hörte, hielt ich an, legte mein Gewehr an meine Schulter, rief Brasil und schrie:

›Bist Du es, Leonie?‹

»Doch es antwortete nichts; Alles blieb ruhig und düster; der Park war still wie das Grab, leer und leblos wie das Nichts.

»Plötzlich befand ich mich am Rande des Teiches. Ich blieb erschrocken stehen; meine Haare sträubten sich auf meinem Haupte, ich stieß einen Schrei aus, der nichts Menschlichen hatte, und nahen meinen Lauf in entgegengesetzter Richtung . . . Es war in der That mehr ein Laufen, als ein Gehen, ein rascher fieberhafter, ungeordneter Lauf, bei welchem ich, würde ich das Ziel erschaut haben, Alles niedergeworfen hätte, was mir in den Weg gekommen wäre.

»Nichts! . . . Fast eine Stunde irrte ich so von Allee zu Allee, von Gebüsche zu Gebüsche, von Baum zu Baum; keine Spur, kein Anzeichen; Alles war still, öde. Ich hatte einen Augenblick den Gedanken, mein Gewehr loszuschießen, so sehr schien mir dieses Stillschweigen der Bruder des Todes zu sein!

Erschöpft, sterbend, in Schweiß gebadet, verlor ich endlich jede Hoffnung, die Spur des Kindes und des Hundes zu entdecken; ich befand mich wieder vor dem Schlosse, am Fuße der Freitreppe, hundert Schritte vom Teiche . . . Dieses finstere, kalte, unbewegliche Wasser erschreckte mich: ich wandte die Augen ab; doch unwillkürlich kehrten meine Blicke immer wieder auf dieselbe Seite zurück. Ich sah am Ufer, im Schilfrohre, die Barke, einem großen gestrandeten Fische ähnlich, und auf dem Rasen das Ruder . . . Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen und trat ins Haus ein.

 

»Ich wagte es nicht, zur Leiche von Orsola hinabzusteigen und kehrte in mein Zimmer zurück; die Fenster standen weit offen: sie gingen auf den Teich . . . Alles ging auf diesen elenden Teich! Ich trat an die Fenster, um die Läden zu schließen; doch in dem Augenblicke, wo ich mich hinausneigte, um sie an mich zu ziehen, blieb ich versteinert; – ein Thier streifte um den Teich, mit der Nase auf der Erde, als verfolgte es eine Spur-; es war Brasil! Was suchte er denn?

»Er vollführte, immer laufend, einen vollkommenen Kreis: sodann blieb er bei dem Orte stehen, wo wir, Viktor und ich, in den Nachen gestiegen waren, hob den Kopf empor, zog die Luft ein« schaute nach allen Seiten, gab ein klägliches Geheul von sich und sprang ins Wasser . . . Entsetzlich er folgte schwimmend demselben Wege, dem die Barke gefolgt war; man hätte glauben sollen, der Sog sei sichtbar geblieben, und er folge diesem Soge. Au der Stelle angelangt, wo ich das Kind ins Wasser geschleudert hatte, drehte er sich eilten Augenblick um sich selbst; dann tauchte er unter.

»Ich hatte alle Evolutionen des Hundes mit starrem Auge, mit stockendem Athem beobachtet; ich hatte Momentan zu leben aufgehört.

»Das Wasser wirbelte über der Stelle, wo der Hund untergetaucht wart zweimal erschien sein Kopf an der Oberfläche des Wassers, und ich hörte ihn geräuschvoll athmen; das dritte Mal hielt er in seinem Rachen einen formlosen Gegenstand, den er schwimmend nach dem Ufer fortzog; so erreichte er den Rasen und stieg, immer den Gegenstand anziehend, den abschüssigen Rand hinauf. Oh! wie gräßlich! dieser Gegenstand, den er so fortzog und nach unerhörten Anstrengungen auf das Ufer zu schleppen vermochte, war die Leiche des kleinen Knaben! . . . «

»Entsetzen!« murmelte der Mönch.

»Oh! sprechen Sie,« rief der Sterbende, »begreifen Sie was bei diesem Anblicke in mir vorging? Wie am Tage des jüngsten Gerichtes gab der Abgrund seine Todten zurück! . . . Ich stieß ein Wuthgeschrei aus, nahm wieder meine Flinte und sprang zu vier und vier die Treppe hinab. Warum rollte ich nicht über die Stufen? warum zerschmetterte ich nicht die Stirne auf den Platten der Hausflur? ich weiß es nicht. Ich erreichte die Freitreppe. Eine dichte Baumgruppe entzog mir den Anblick des Hundes und des Kindes; ich ging in der Richtung der Baumgruppe, um so nahe als möglich zu dem Thiere zu kommen, ohne von ihm gesehen zu werden. Bei der Baumgruppe angelangt, war ich nur noch dreißig Schritte vom Hunde: er schleppte den Leichnam nach der dem Schlosse entgegengesetzten Seite.

»Ich dachte an die Bresche. Ah! ohne Zweifel war Leonie durch diese Bresche entflohen: durch diese Bresche wollte der Hund den Leichnam fortschleppen. Hätte es der Zufall nicht gefügt, daß ich gesehen, was vorgefallen, so verrieth dieser elende Hund Alles.

In dem Augenblicke, wo ich jenseits der Baumgruppe erschien, witterte er mich. Da ließ er das Kind los und drehte gegen mich seinen blutigen Rachen und seine Flammenaugen, welche wie Kohlen funkelten.

»Ich ergriff den Augenblick, wo er zögerte, ob er das Kind weiter gegen die Bresche fortschleppen oder auf mich losflitzen solltet ich zielte mit der Sorgfalt eines Menschen, der um sein Leben spielt, und drückte los. Tier Hund bog sich auf seinen vier Beinen und drang, ein langes, unheimliches Geheul ausstoßend, in das Gehölze ein. Ich eilte ihm nach, in der Hoffnung, ihn einzuholen und ihm mit einem zweiten Schusse den Garaus zu machen. Er war grausam getroffene denn beim Mondscheine sah ich eine Blutspur auf dem Rasen. Ich folgte dieser Spur, so lange ich auf einem freiere Boden war, als ich aber in das Gehölze gelangte, verlor ich sie.

»Nichtsdestoweniger lief ich bis zur Bresche. Durch diese Bresche hatte er hinausgehen müssen; durch diese Bresche war in jedem Falle Leonie weggegangen: ein Fetzen von ihrem Halskragen hing an einem wilden Rosenstocke. Was war aus ihr geworden. Schon über eine Stunde war sie durch die Mauer entflohen; die Straße von Fontainebleau nach Paris lief kaum auf eine Viertelmeile vorüber. Wer würde mir sagen, nach welcher Seite sie sich gewendet? ob sie Jemand begegnet? wohin sie geführt worden war? Sodann; wenn man, während ich außerhalb der Mauern suchte, ins Schloß hineinkäme und den Leichnam von Victor fände! Wichtig vor Allem war es, diesen Leichnam verschwinden zu machen.

»In diesem Augenblicke kamen bei mir wieder die Selbsterhaltungsgedanken. Warum war ich so wahnsinnig gewesen, den Leichnam im Teiche zu lassen? wußte ich nicht, daß nach Verlauf einer gewissen Zeit die Ertrunkenen wieder auf das Wasser kommen? Es war im Ganzen ein Glück daß Brasil den Knaben aus dem Teiche gezogen und auf den Grasplatz geschleppt hattet ich wollte ihn an einem abgelegenen Orte des Parkes begraben, und jede Spur des Verbrechens würde verschwinden.

»Ich lehrte in den Pakt zurück, nachdem ich von den Dornen den erwähnten Fetzen vom Halskragen abgerissen hatte, und schlug in aller Hast den Weg nach dem Teiche ein. Während ich lief, hatte ich einen entsetzlichen Gedanken, einen Gedanken, der mir den Schwindel gab. ›Finde ich den Leichnam nicht mehr am Ufer, wo ihn suchen?«« sprach ich zu mir selbst. Zum Glücke war er da . . . Zum Glück! begreifen Sie? es ist gräßlich,« was ich Ihnen da sage!«

»Oh! Ja, ja, gräßlich!« murmelte der Priester, der bei dieser Erzählung seine Haare sich auf seinem Haupte sträuben fühlte.

Der Sterbende fuhr fort:

»Um den Knaben zu begraben, brauchte ich einen Spaten; doch ich hatte zu viel gelitten während der paar Augenblicke, die ich mich von dem Leichname entfernt, um mich aufs Neue davon zu entfernen. Ich hing das Gewehr über meinen Rücken, ich lud den Knaben auf einen von meinen Armen und ging bis zu dem Schuppen, wo der Vater Vincent sein Gärtnergeräth einschloß, um hier einen Spaten zu holen. Ich fand das Werkzeug, das ich suchte, Das kleine Gebäude war im Küchengarten; so weit als möglich vom Küchengarten entfernt, am ödesten Orte des Parkes sollte ich den Knaben beerdigen. Ich schritt aufs Neue über den Grasplaß hin und sah beim Mondscheine die häßliche Silhouette eines Mannes sich ausstrecken, der unter seinem Arme den Leichnam eines Kindes trug: seine Beine baumelten vorwärts, sein Kopf hing rückwärts.

»Ich beschleunigte meine Lauf und drang in das Gehölze ein. Die Reise, die ich in der Ewigkeit vom Tage meines Todes bis zu dem des jüngsten Gerichtes machen werde, wird nicht erschrecklicher für mich sein, als dieser nächtliche Lauf durch die Finsternis, welche die großen Bäume verbreiteten! Meine Beine zitterten; ich leuchte und war manchmal genötigt, meinen Marsch zu hemmen, um Athem zu schöpfen.

»Plötzlich fühlte ich mich angehalten, Ich wollte meinen Lauf fortsetzen, doch ich wurde zurückgezogen. Es erfaßte mich ein Schauer, meine Beine bogen sich unter mir; der Schwindel mit seinem Gefolge von Gespenstern zog vor meinen Augen vorüber; ich fühlte mich dem Sterben nahe!

»Endlich machte ich eine Anstrengung, und ich hatte den Muth, zurückzuschauen, die blonden Locken des Knaben hatten sich mit einem gebrochenen Aste verschlungen, das war das Hinderniß. Alles dies hatte nur eine Secunde gedauert, doch während dieser Secunde hatte ich über meinem Haupte das Messer der Guillotine funkeln sehen! Ich schlug ein entsetzliches Gelächter auf; ich gab dem Leichname eine Erschütterung, ein Theil der Haare blieb am Aste; doch ich ging weiter.

Ich glaubte endlich den Ort gefunden zu haben: der mir zusagte: es war unter einer Dickung, ein paar Schritte von einer Rasenbank, auf die ich mich vielleicht in den vier Jahren, seitdem ich das Schloß bewohnte, nicht zweimal gesetzt hatte. Es fand sich hier zwischen den Stämmen von Eichen ein Raum von ungefähr drei Fuß im Durchmesser; senkrecht die Erde ausgrabend, konnte ich in einer oder anderthalb Stunden fertig sein. Ich schritt zum Werke.

»Welche Stunde, mein Vater, welche Stunde brachte ich mit dem Bereiten dieses Grabes zu! . . . Es war ungefähr zwei Uhr Morgens, als, als ich anfing; das ist der Augenblick, wo im Monat August die ersten Schauer der Natur, die Vögel auf den Bäumen, das Rothwild in den Gebüschen erwachen. Beim geringsten Geräusche wandte ich mich um, im Glauben, ich höre Tritte; das Wasser rieselte von meinem Gesichte; mein Athem drang pfeifend aus meiner Brust hervor. Ich fühlte den Tag kommen!

»Endlich war das finstere Werk beendigt. Ich legte den Leib des Kindes in dieses Loch, das keine vier Fuß Tiefe hatte; dann ließ ich die Erde darauf rollen, die ich am Rande des Grabes angehäuft hatte, und trat sie mit den Füßen, damit der Boden keine Erhöhung biete; und da nicht alle Erde Raum fand, wegen des Platzes den der Leichnam eingenommen, so streute ich den Rest in der Gegend umher. Wonach ich hundert Schritte von da eine große Mooslage holte, die ich, zum Grabe zurückkehrend, auf die Stelle legte, wo die Erde frisch; aufgewühlt worden war. Vermöge dieser Vorsichtsmaßregel, blieb keine Spur mehr von der grässlichen Arbeit.

»Es war Zeit! als ich eben geendigt hatte, öffnete die Sonne die Wolken, und auf dem Gipfel einer Eiche, deren Aeste sich über meinem Haupte ausstreckten, sang eine Nachtigall.«

LXXI
Ende der Beichte

»Die Sonne;das Licht brachten die zwei erschrecklichen Gespenster des Tages: die Erinnerung und die Ueberlegung! Ich sah die Sonne mit der Angst des Verurtheilten kommen, der am Morgen in sein Gefängniß den Kerkermeister eintreten sieht, welcher beauftragt ist, ihm die Stunde der Hinrichtung anzukündigen.

»Es handelte sich darum, einen Entschluß zu fassen; doch Alles in mir war Angst. Ungewißheit, Chaos, und ich hätte nicht die Geistesgegenwart gehabt, um zwei Rechtfertigungsmittel zu kombinieren, wäre nicht fast Alles zum Voraus von Orsola geordnet gewesen; selbst der Tod von dieser warf auf alle Ereignisse der unseligen Nacht eine noch größere Unbestimmtheit und entfernte von mir den Verdachte meine Anbetung für diese Creatur war sprichwörtlich: man konnte mich also nicht beargwohnen, ich habe zu ihrem Tode beigetragen. Ueberdies wurde der Hund, den man irgendwo todt fände, ein Beweis sein, daß ich, da ich nicht zeitig genug gekommen, um ihr beizustehen, sie gerächt habe,

»Ich hatte an mir keine Spur von dem fürchterlichen Zeugen, den nichts verschwinden machte – das Blut! Mit einigen Anstrengungen der Vernunft gelang es mir auch, wieder ein wenig Ruhe zu gewinnen.

»Nur, was mich mit Angst erfüllte, das war die Flucht von Leonie; angenommen aber, Leonie werde sprechen, so konnte sie nur Orsola anklagen, und Orsola war todt.

»Ich ging in mein Zimmer hinauf, ich vermischte alle Spuren von der Orgie des vorhergehenden Tages, ich verschluckte mit einem Zuge, was in der Flasche blieb, ich brachte meinen Anzug wieder in Ordnung, und lief in aller Eile zum Maire des Dorfes. Das war ein wackerer Mann, ein schlichter Bauer, ein Arbeiter, wie ich es auch gewesen, ein Mann, dem diese Gemeinschaft der Arbeiten unserer Jugend eine große Sympathie für mich; ein tiefes Zutrauen zu mir eingeflößt hatte. Ich trug ihm die Fabel vor, welche Orsola und ich in Bereitschaft gehalten hatten, nämlich die zwei Kinder seien verschwunden, und ihre Flucht falle so sehr mit der Abreise von Herrn Sarranti und dem Diebstahle der am Tage vorher vom Notar zurückgehalten und aus meinem erbrochenen Secretär geraubten hunderttausend Thaler zusammen, daß ich keinen Anstand nehme, ihn diesen Diebstables und diesen Mordes zu beschuldigen.«

»Armer Vater,« murmelte Dominique, die Augen und die Hände zum Himmel erhebend.

»Ja; doch da der Himmel mich bestraft,« rief der Sterbende, da ich ihm selbst die Reinheit zurückgebe, die ich getrübt habe, so müssen Sie mir verzeihen, mein Vater! denn wie soll mir Gott verzeihen, wenn Sie mir nicht verzeihen?«

»Fahren Sie fort,« sprach der Mönch.

»Meine verspätete Anzeige erklärte ich aus folgende Art. – Ich war am Tage vorher erst sehr spät nach Hause gekommen. Im Glauben, Jedermann habe sich zu Bette gelegt, war ich unmittelbar in mein Zimmer hinaufgegangen und hatte mich selbst niedergelegt. Am Morgen war ich mit Tagesanbruch erwachte da ich kein Geräusch im Hause gehört, war ich u mein Cabinet durchschreitend, hatte ich die Schublade meinen Secretärs erbrochen gesehen; ich war in dann Zimmer von Orsola gegangen und hatte es verlassen gefunden; ich hatte mich in die Zimmer der Kinder begeben: sie waren leer; ich hatte gerufen, Niemand hatte geantwortet! Ich war die Treppe hinabgestiegen,ich hatte gesucht, und endlich im Speisekeller den Leichnam von Orsola in seinem Blute gebadet gefunden! Die Art der Wunde hatte mir keinen Zweifel über ihre Todesart gelassen: sie war erwürgt worden. Ich hatte sodann auf dem Grasplatze liegend den Hund bemerkt, der seine Kette zerbrochen, und in einer ersten Bewegung, in einer von den Bewegungen, die den Menschen außer sich bringen, hatte ich meine Flinte ergriffen und Brasil eine Kugel zugesandt, woraus dieser verwundet im Gehölze verschwunden war.«

 

»Der Maire glaubte an diese Fabel; er sagte meine Zögerungen, meine Wiederholungen, meine Blässe auf Rechnung meines Schreckens; er gab mir auf seine Weise, alle mögliche Tröstungen, ließ durch seinen Adjuncten die competenten Behörden von dem, was vorgefallen, in Kenntniß setzen und ging mit mir ins Schloß zurück.

»»Ich hatte mich wohl gehütet, zu sagen, nach welcher Grenze Herr Sarranti entflohen, ich hegte, wie Sie begreifen, nur einen Wunsche daß er aus Frankreich entkommen könne.

»Ich schloß mich in mein Zimmer ein, überließ das Schloß den Nachforschungen der Justiz, und bat nur meinen Freund, den Maire von Viry, zu bewirken, daß man meinen Schmerz so viel als möglich schone. Der wackere Mann übernahm Alles und hielt mir Wort; sodann traf am Tage die Nachricht von der entdeckten Verschwörung ein: da ich hierauf gerechnet hatte, so kam mir diese Nachricht zu Hilfe. Als man erfuhr, Herr Sarranti sei einer der fanatischsten Agenten der Bonapartistischen Partei, da verfehlten die Blätter der Regierung nicht, diese Beschuldigung den Morden und des Diebstahls aufzugreifen, um sie der ganzen Partei an den Kopf zu werfen. Die Polizei wäre sogar, – angenommen, sie hegte einige Zweifel, – in Verzweiflung gewesen, hätte sie den wahren Schuldigen entdeckt: man war 1820 glücklich, die Bonapartisten mit dem Namen Mörder und Diebe zu brandmarken, wie man sie 1815 mit dem Namen Räuber gebrandmarkt hatte; und es war für die Regierung eine Wonne, daß sie eine solche Anklage auf dem Haupte einen Mannes, der von St. Helena kam und mit dem Kaiser in vertrautem Umgange gelebt hatte, konnte lasten lassen.

»Ich hatte also keine wirklich ernste Furcht; aller Verdacht umging den Schuldigen, um den Unschuldigen zu verfolgen, und so unschuldig er war, ich bezweifle, daß sich Ihr Vater, wäre er verhaftet worden, dem Schaffot hätte entziehen können . . . « .

Der Priester stand auf; er war bleich wie die Leilacken des Sterbenden. Der Gedanke, sein Pater fallend als das Opfer einer falschen Anklage und mit allem Anscheine der Schuldhaftigkeit, erschreckte ihn, um wahnsinnig zu werden.

»Oh! ich wußte wohl, daß er nicht schuldig war!« sagte er; »und dennoch hätte ich ihn sterben sehen, ohne ihn retten zu können! . . . Oh! mein Herr, Sie sind sehr . . . «

Er hielt inne; er wollte sagen: »Sehr niederträchtig!«

Der Sterbende beugte das Haupt; was er verlangte, war, es möge sich dieser Schmerz im Menschen in Worten ausathmen, damit im Sohne nur noch die Barmherzigkeit des Priesters bleibe.

»Aber,« fuhr der Mönch fort, »trotz des Geständnisses, das Sie mir machen, mein Herr, wird nichts destoweniger eine entsetzliche Anklage ewig auf dem Haupte meinen Vaters lasten.«

»Bist ich nicht nahe daran, zu sterben?« stammelte der Kranke.

»Nach Ihrem Tode wird es mir also erlaubt sein, Alles zu offenbaren?« rief Dominique.

»Alles, mein Herr! Pries ich nicht deshalb die Vorsehung; daß sie Sie an mein Bett geführt?«

»Ah!« sprach der Priester athmend, »mein Vater! mein armer Vater! Wissen Sie, mein Herr, daß er, hätte er die Anklage gekannt, welche auf ihm lastete, auf die Gefahr, hierbei seinen Kopf zu verlieren, zurückgekommen wäre, um seine Unschuld zu betheuern?«

»Ja, mein Vater . . . Nun, sobald ich todt bin, werden Sie ihm schreiben, und er kann zurückkommen, doch um des Himmels willens werfen Sie nicht die Angst und die Verzweiflung auf die paar Stunden, die mir noch zu leben bleiben!«

Der Priester antwortete durch ein Zeichen, um den Sterbenden zu beruhigen.

»Lassen Sie mich Ihnen ein Geständniß machen,« fuhr der Sterbende fort, »Seit den sieben Jahren, daß das Verbrechen begangen worden, – nicht wahr, ich muß von einer abscheulichen Natur sein? – habe ich nicht einen Augenblick das Gefühl des reinen, isolierten Gewissesbisses gehabt. Nein, nein, mit dem Gewissensbisse allein hätte ich geschlafen, ruhig, glücklich vielleicht gelebt; doch die Furcht vor den Gerichten, die Angst vor der Strafe, das ist es, was meine Tage beunruhigt, meine Nächte gequält hat! . . . Oh! wie oft bin ich in meinen Träumen vor einem Tribunal erschienen! wie oft habe ich, trotz meiner Bitten, meiner Thränen, meiner Ableugnungen das Wort Mörder ertönen hören! wie oft habe ich auf meinem schauernden Halse die Kälte der Scheere gefühlt, die meine Haare abschnitt, und gebebt bei den Stößen den unseligen Karrens! wie oft habe ich, in der Perspective am Horizont, das Eisen der häßlichen Guillotine funkeln sehen!«

»Unglücklicher!« sprach der Priester, diesen Menschen, das lebendige Bild der Angst anschauend, der, man fühlte es, aus Angst grausam werden konnte.

»Darum habe ich mich von Viry verbannt; darum habe ich meinen Aufenthalt in Vanvres genommen; darum thue ich das Gute . . . «

Der Priester wandte sich bei diesen letzten Worten lebhaft um.

»Ja, ja, mein Vater,« sprach der Sterbeende, »das Almosen ist ein Mantel, mit dem ich mich bedecke, damit man die Blutflecken auf meinen Kleidern nicht sieht! wer würde es nun wagen, mich aus der Mitte dieses Geleites von guten Handlungen zu holen, welche um mich her wachen?«

»Derjenige, welcher kommt!« sprach Dominique, seinen Finger zum Himmel erhebend; – »Gott.«

»Ja, ich weiß es,« erwiderte der Sterbende, »derjenige, dessen man sich erinnert, wenn man sterben soll; derjenige, welcher das Blut durch den Mantel, das Gesicht durch die Maske sieht! Doch bei diesem, mein Vater, werde ich zwei mächtige Vermittler haben: meine Furcht und Ihre Unschuld!

Der Unglückliche wagte es nicht, zu sagen seine Gewissensbisse.

»Es ist gut!« sprach der Priesters »vollenden Sie.«

»Ich habe nur noch ein paar Worte beizufügen, mein Vater. Wie ich Ihnen gesagt habe, war nicht meine einzige Besorgniß, aber meine Hauptbesorgniß das Verschwinden von Leonie. Ich ging auf die Polizeipräfectur, ich that alle erdenkliche Schritte und ließ alle thun: nie erhielt ich Nachricht von dem Kinde.

»Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, nach Vic-Dessos zurückzukehren; dort hatte jedoch Herr Sarranti gewohnt, dort hatte man mich arm gekannt, und aus Neid konnte man zu den Quellen meines Vermögens zurückgehen: ich verzichtete also hierauf.

»Ich reiste; ich brachte ein Jahr in Italien zu, ein Jahr in Flandern; doch bei jedem Sonnenaufgange, der mich an die erschreckliche Morgenröthe vom 20. August erinnerte, fragte ich mich, ob man nicht in diesem Augenblicke in Frankreich irgend ein Anzeichen entdecke, das sich möglich in der Fremde gegen mich erheben werde. Ich kehrte nach Frankreich zurück; ich besuchte Burgund, sodann die Auvergne.

»Eines Tages hörte ich in einer Hütte, wo ich um Gastfreundschaft gebeten hatte, meine Wirthe das Leben einen Biedermanns in seinen kleinsten Einzelheiten erzählen. Es handelte sich um einen Edelmann aus der Gegend von Issoire, der sich in Folge eines ziemlich wichtigen Streites duelliert und seinen besten Freund getödtet hatte. Von diesem Tage an hatte er sein Schloß, seine Pachthöfe, seine Güter, seine Herden verkauft; er hatte sodann seine Habe unter die Armen vertheilt und den nützlichen Arbeiten und lobeswerthen Handlungen das Vergessen dieses unwillkührlichen Mordes gefordert; nur that er es aus Gewissensbissen . . . Ich sagte aber zu mir selbst: ›Müßte ein Mensch, der ein wirkliches Verbrechen, einen wahren Mord begangen hätte, nicht dem Verdachte dadurch entgehen, daß er sich einen Ruf ähnlich dem, welchen sich dieser Edelmann erworben, verschaffen würde? Thun wir also aus Vorsicht, aus Egoismus, aus Angst, was er durch Gewissensbisse angetrieben thut.‹