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Die Mohicaner von Paris

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»Nun wohl, lieber Herr Jackal, es kann geschehen,« daß Conrad nicht todt ist; daß er folglich, um wiederzuerscheinen, nicht den Tag der ewigen Auferstehung abwartet und daß ihm der Herr Marquis von Valgeneuse anderswo, als im Thale Josaphat begegnet . . . Gott befohlen, lieber Herr Jackal!«

Und den Wagenschlag schließend, ließ Salvator Herrn Jackal so betäubt zurück, daß er es war, der, statt des Polizeimanns, sagen mußte:

»Kutscher, Rue de Jerusalem!«

LXXVII
Die feindlichen Collégen

Während Herr Jackal, seine Nase mit Tabak vollstopfend, in der Absicht, seine Idee aufzuklären und etwas von dem Räthsel zu begreifen, das ihm Salvator, indem er sich entfernte, zugeworfen hatte, im starken Galopp seiner Pferde nach Paris zurückkehrte, suchte Salvator Jean Robert wieder im Leichenhause auf.

Das war gerade in dem Augenblicke, wo Carmelite allmählich wieder zu Verstande kam und ihre drei Freundinnen, die sie nicht einen Moment verlassen, sich der schmerzlichen Aufgabe unterzogen, ihr die Unglückskunde zu eröffnen.

Dominique war seit einer Viertelstunde, den Leib von Colombau mit sich führend, nach Penhoël abgegangen.

Ludovic, nachdem er eine strenge Verordnung hinterlassen und am andern Tage wiederzukommen versprochen, kehrte seinerseits nach der Rue Notre-Dame-des-Champs, wo er wohnte, zurück.

Jean Robert endlich erwartete Salvator, um sich mit ihm nach Paris zu begeben.

Folgen wir der von unseren Personen, mir welcher für den Augenblick das größte Interesse verknüpft sein soll, nämlich Ludovic; wir werden zu den Anderen später zurückkommen.

Ludovic, dessen Kopf ein wenig durch den Tag und die Nacht, die er zugebracht, beschwert war, beschloß, zu Fuße nach Paris zu gehen.

Der Weg vom Bas-Meudon nach der Rue Notre-Dame-des-Champs, wenn man durch Vanvres geht, ist nur eine Promenade.

Ludovic kehrte also spazierend zurück und durchschritt das Dorf Vanvres, als er vor einem Hause, in das wir schon einen unserer Helden geführt haben, etwa fünfzig knieende Personen, Männer, Weiber und Kinder, erblickte, alle betend, die Thränen in den Augen, daß ein Wunder das Leben dem guten, dem redlichen, dem wohlhabenden Herrn Gèrard wiedergebe, dem der Pfarrer vom Bas-Meudon, von seinem Gange nach Bellevue zurückgekehrt, das Abendmahl reichte.

Bei diesem ziemlich seltenen Schauspiele blieb Ludovic stehen, näherte sich der Gruppe, die ihm die trostloseste zu sein schien, und fragte:

»Warum weint Ihr, meine Freunde?«

»Ach!« antwortete eine Stimme, »wir weinen um den Vater der ganzen Gegend.«

Ludovic erinnerte sich, daß man wirklich den Abbé Dominique geholt hatte, um die Beichte einen Sterbenden zu hören.

»Ah! ja,« sagte er »Ihr beweint Herrn Gèrard!«

»Den Freund der Unglücklichen, den Wohlthäter der Armen.«

»Ist er gestorben?« fragte Ludovic.

»Nein; doch in Folge einer Unterredung, die dieser würdige Mann mit einem Mönche gehabt, fühlte er sich so geschwächt, daß man nach dem Abendmahle geschickt hat, und daß ihn in diesem Augenblicke der Herr Pfarrer von Meudon mit dem Sterbesakramente versieht.«

»Ach!« riefen im Chore die Dorfbewohner, Seufzen und Schluchzen verdoppelnd.

Ludovic war, unter seiner Skeptikermaske, mit einer weiblichen Empfindsamkeit begabt; die aufrichtigen Thränen gingen ihm gerade zum Herzen, und zogen unmerklich seine Thränen an.

»Wie alt ist denn der Kranke!« fragte er.

»Kaum fünfzig Jahre, Herr,« antwortete ein Bauer.

»Ah!« sagte ein Anderer, »es ist wahrlich keine Barmherzigkeit vom guten Gott, daß er ihn und so jung nimmt, während es so viele böse Leute gibt, die er auf der Erde lässt.«

»In der That,« sprach Ludovic, »fünfzig Jahre, das ist kein Alter, um zu sterben, besonders, wenn man beklagt wird, wie das bei Herrn Gèrard der Fall zu sein scheint.«

Sodann, nachdem er einen Augenblick unschlüssig; gewesen, fügte er bei:

»Kann man den Kranken sehen?«

»Sollten Sie zufällig Arzt sein?« fragten alle Anwesenden.

»Ja,« antwortete Ludovic.

»Arzt von Paris?«

Ludovic lächelte.

»Arzt von Paris.«

»Oh! dann treten Sie geschwinde ein,« sprach ein; alter Bauer.

»Der Himmel schickt Sie,« sagte ein Weib.

Und zu gleicher Zeit umringten ihn die Bauern, die Einen ihn bittend, die Andern ihn fortschiebend, so daß er sich fast ins Haue getragen sah.

Außer den auf der Straße knieenden Personen waren Leute in der Hausflur, auf der Treppe, im Vorzimmer, sogar im Schlafzimmer des Sterbenden.

Doch bei den Worten: »Er ist ein Arzt von Paris! es ist ein Arzt von Paris!« trat Jeder aus die Seite, um Ludovic vorbeigehen zu lassen.

Der Sterbende hatte soeben communicirt, und das Glöckchen ertönte verkündigend, das heilige Werk sei vollbracht.

Ludovic verbeugte sich wie die Anderen, so wenig gläubig er war, als der Priester vorüberkam, dem der Kirchendiener und Chorknaben voranschritten, und fremde Personen folgten, welche in einer frommen Absicht ihre Gebete mit denen der Kirche vermengt hatten.

Alb er sodann den Kopf wieder aufrichtete, fand er sich, er, der Dritte, im Zimmer des Sterbenden.

Die zwei anderen Personen waren Herr Gèrard, der völlig vernichtet, auf seinem Bette mit dem Tode zu ringen schien, und ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, mit grauen Haaren und grauem Schnurrbarte, an seinem Knopfloche das Kreuz der Ehrenlegion tragend, welcher, auf das Bett gestützt, mit einem wirklichen Interesse den beinahe sichtbaren Fortschritten des Todes auf dem Gesichte des Sterbenden zu folgen schien.

Als sich die zwei Männer einander gegenüberstanden, fingen sie damit an, daß sie sich anschauten, Jeder von ihnen wahrscheinlich, um zu wissen, mit wem er es zu thun hatte; sodann, da ihn diese forschende Beschauung für seinen Theil durchaus nichts gelehrt hatte, trat Ludovic näher hinzu, und sagte mit der Höflichkeit einen jungen Mannen einem Manne gegenüber, der noch einmal so alt ist als er:

»Der Herr ist wohl der Bruder des Kranken?«

»Nein, mein Herr,« antwortete der Mann mit dem grauen Schnurrbarte, indem er Ludovic fortwährend aufmerksam betrachtete; »ich bin sein Arzt. Und Sie?«

»Ich, mein Herr,« sprach Ludovic sich verbeugend, »ich habe die Ehre, Ihr College zu sein.«

Der Mann mit dem grauen Schnurrbarte faltete leicht die Stirne und erwiderte.«

»Ja, soweit ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren der College von einem Manne sein rann, der zehn Jahre seines Lebens auf den Schlachtfeldern und fünfzehn Jahre am Krankenbette zugebracht hat«

»Verzeihen Sie, mein Herr,« versetzte Ludovic, »ich sehe, daß ich die Ehre habe, mit Herrn Pilloy zu sprechen.«

Der Arzt richtete sich hoch auf und fragte:

»Wer hat Ihnen meinen Namen gesagt, mein Herr!«

»Ich habe ihn auf eine sehr einfache Art erfahren, und er war begleitet von den größten Lobeserhebungen. Der Zufall führte mich zu zwei unglücklichen Leuten, die sich im Bas-Meudon mittelst Kohlendampfes getödtet haben; ich forderte sogleich den Beistand einen Collegen, man nannte Ihren Namen, ich schickte zu Ihnen; bei Ihnen antwortete man, Sie seien am Bette von Herrn Gèrard.«

»Und Ihre Erstickten?« fragte der militärische Arzt ein wenig besänftigt durch die Höflichkeit den jungen Mannes.

»Ich konnte nur einen Theil retten, mein Herr; wären Sie da gewesen, so hätten wir vielleicht Beide gerettet.«

»Und dann,« sprach Herr Pilloy, »da Sie sich am Orte befanden und erfuhren, es sei ein Kranker im Hause, traten Sie ein?«

»Ich würde mir eine solche Unschicklichkeit nicht erlaubt haben, da ich wußte, daß Sie bei Herrn Gèrard waren, hätten mich nicht die braven Leute, welche vor der Thüre weinen, gleichsam dazu gezwungen. Der äußerste Schmerz ist leichtgläubig, wie Sie wissen, mein Herr; verzeihen Sie ihnen, und wenn Sie ihnen verziehen haben, verzeihen Sie mir ebenfalls.«

»Ei! ich habe weder diesen Leuten, noch Ihnen etwas zu verzeihen, mein Herr: Sie sind willkommen, und zwei Räthe sind immer mehr werth als einer. Leider,« fügte er die Stimme dämpfend bei, »leider würden, wie ich glaube, alle Räthe der Welt hier nichts mehr fruchten.«

Und noch leiser sagte der Militärarzt:

»Das ist ein verlorener Mann!«

So leise er gesprochen hatte, der Kranke hörte, was der gute Herr Pilloy sagte, und gab einen Seufzer von sich.

»St!« machte Ludovic.

»Warum st!« fragte der Wundarzt.

»Weil das Gehör der letzte Sinn ist, der ins uns fortlebt, und der Kranke Sie gehört hat.«

Herr Pilloy schüttelte den Kopf, wie ein Mensch, der zweifelt.

»Es ist also,« fragte Ludovic, sich ans Ohr von Herrn Pilloy neigend, »es ist also keine Hoffnung mehr?«

»Das heißt,« antwortete der Militärarzt, »in zwei Stunden wird er todt sein.«

Ludovic legte eine Hand auf den Arm von Herrn Pilloy und deutete mit der andern auf den Kranken, der sich in seinem Bette bewegte.

Herr Pilloy machte ein Zeichen mit dem Kopfe, welches bedeutete: »Oh! Er mag sich immerhin bewegen, er wird dennoch sterben!«

Sodann seine Pantomime durch das Wort ersetzend:

»Heute Morgen hatte ich noch die Hoffnung, ihn achtundvierzig Stunden zu erhalten; ich weiß aber nicht, welcher Einfaltspinsel ihm den Gedanken, zu beichten, in den Kopf gesetzt hat, was ganz unnötig war, da ich ihn kenne, seitdem er in Vanvres wohnt, und er ein unbescholtener Mann ist. – Er blieb drei Stunden mit einem Mönche eingeschlossen, und Sie sehen nun, in welchem Zustande ihn der fromme Mann zurückgegeben hat! Ah! die Priester, die Mönche, die Pfaffen, die Jesuiten!« murmelte der alte Soldat, »und wenn man bedenkt, daß der Kaiser, dem wir so gute Dinge verdanken, uns Alles dies wiedergegeben hat!«

»Von welcher Krankheit ist Herr Gèrard befallen?« fragte Ludovic.

»Ei! von der gewöhnlichen Krankheit, bei Gott.« erwiderte Herr Pilloy, die Achseln zuckend, als gäbe es auf der Welt nur eine Art von Krankheit.

 

Bei den Worten: Von der gewöhnlichen Krankheit, lächelte Ludovic, er hatte einen Schüler von Beaussais erkannt, der die Lectionen dieses großen Meisters verständig zur Anwendung brachte.

Als er aber sodann bedachte, daß das Dasein eines Menschen, das Gott für einen so kurzen Zeitraum gibt, und für die Ewigkeit wieder nimmt, zuweilen den Händen eines Ignoranten, oder, was noch schlimmer, eines Fanatikers überlassen ist, da verschwand sein Lächeln; er zuckte unbemerkbar die Achseln, und schaute den alten Wundarzt mit der Miene eines Mannes an, der auf seiner Hut ist.

»Unter der gewöhnlichen Krankheit verstehen Sie ohne Zweifel eine Magenentzündung?«

»Natürlich,« antwortete der Wundarzt; »man kann sich bei Gott! hierin nicht täuschen. Sehen Sie nur selbst.«

Von seinem Collegen ermächtigt, näherte sich Ludovic dem Bette.

Der Kranke schien in einem Zustande völliger Erschlaffung zu sein; sein Athem war geräuschvoll schwer, beklommen; wenn er athmete, hob sich seine Brust ganz empor, wie beim Röcheln.

Ludovic studierte das Gesicht, ging vom Allgemeinen zu den Theilen, vom Ganzen zu den Einzelheiten über.

Das Gesicht war bleich und von einer gelblichen Färbung; die Extremitäten waren feucht und kalt; ein klebriger Schweiß war auf dem ganzen Gesichte verbreitet, und perlte besonders an der Wurzel der Haare.

Nach diesen äußeren Symptomen urtheilte Ludovic, die Krankheit sei in der That bedenklich: er sah aber den Kranken nicht in dem absolut verzweifelten Zustand, wie sein College.

»Sie leiden sehr, mein Herr?« fragte er.

Bei dieser Frage, gemacht von einer neuen Stimme, welche Herrn Gèrard eine verlorene Hoffnung wiederzugeben schien, öffnete dieser die Augen und wandte den Kopf gegen den Sprecher um, der mit ihm sprach.

Ludovic war erstaunt über die Vitalität, welche noch im Auge des Sterbenden herrschte, eine Vitalität, welche in keinem Verhältniß zu dem scheinbaren Verfalle seiner Kräfte stand; das Weiße des Auges war gelb: die Gesichtszüge waren entstellt; das Gesicht erschien todt; doch das Auge, oder vielmehr das Herz des Auges, war nicht so todt, als das Gesicht. Es war in diesem Auge noch Kraft und Leben.

»Wollen Sie mir Ihre Zunge zeigen,« sagte Ludovic.

Herr Gèrard zeigte seine Zunge; sie hatte eine weißgelbe, ins Gräuliche fallende Farbe, war belegt, und das in ihrem ganzen Umfange, doch sie hatte nicht die schmale Spitze, wie die der Schlangen; sodann war sie weder fast blutig an ihrer Extremität, nach roth an ihren Rändern, wie es die Zunge bei der Magenentzündung ist.

Bis dahin war Ludovic im Zweifel gewesen, von diesem Augenblicke an trat er in die Gewißheit ein.

Durch eine unwilkürliche, beinahe maschinenmäßige Bewegung wandte sich auch sein Blick vom Kranken auf den Wundarzt, und zwar mit einem Ausdrucke, in welchem man sich nicht täuschen konnte.

Dieser Ausdruck wollte klar besagen: »Ei! Sie sehen wohl, daß es nicht die Magenentzündung ist.«

Der alte Miltärarzt schien, in seinem Selbstvertrauen, weder die Bewegung noch den Blick von Ludovic zu bemerken.

Diese Gleichgültigkeit eines Collegen, der wenigstens die Erfahrung des Alters und der Praxis vor ihm voraus haben mußte, erschütterte den jungen Mann in seiner Ueberzeugung.

Es blieb ihm, eine letzte Untersuchung anzustellen.

Er hob das Betttuch des Kranken in die Höhe, entblößte seine abgezehrte Brust, legte seine Hand auf, drückte sachte, langsam, doch immer mehr darauf, so daß der Druck ziemlich stark wurde.

Als er sodann sah, daß Herr Gèrard den Schmerz durch kein Zeichen verriet, fragte er:

»Leiden Sie?«

»Nein,« antwortete Herr Gèrard mit schwacher Stimme.

»Wie!« sagte Ludovic, »wenn ich so darauf drücke, leiden Sie nicht?«

»Ich athme schwerer, doch ich empfinde keinen Schmerz.«

Ludovic wandte sich aufs Neue gegen seinen Collegen um und sagte ihm zum zweiten Male mir den Augen: »Ei! Sie sehen wohl, daß es nicht die Magenentzündung ist.«

Der alte Wundarzt schien die Pantomime von Ludovic eben so wenig das zweite Mal, als das erste Mal zu begreifen.

Ludovic lächelte.

Er war überzeugt, daß man Herrn Gèrard an einer Krankheit behandelt hatte, an welcher er nicht litt.

Was für eine Krankheit hatte er nun?

Ludovic kreuzte die Arme und schaute den Kranken starr an; als er sodann den Kopf sinken ließ, als wollte er tiefer überlegte, erblickte er unter dem Kissen des Kranken nicht nur das Taschentuch, mit dem er sich das Gesicht abwischte, sondern auch das, in welches er spuckte.

Man hätte glauben sollen, das Taschentuch sei von Rost befleckt; was diese Flecken hervorbrachte, war eine Art von blutigem Schleim.

Ludovic war der Krankheit auf der Spur.

Da hob er zum zweiten Male dass Betttuch des Kranken auf, doch diesmal statt mit der Hand auf den Magen zu drücken, hielt er sein Ohr an die Brust, und zwar zum großen Erstaunen des alten Wundarztes, der diese neue Art von Auscultation nicht kannte, und dessen Gesicht einen Ausdruck von Erstaunen und Neugierde annahm, der gleichbedeutend mit der Frage sein mochte: »Aber was Teufels machen Sie denn da, mein lieber College?«

Nun war es Ludovic, der der Pantomime des alten Wundarztes keine Aufmerksamkeit schenkte. Er schien befriedigt durch die Geräusche, die er in der Brust des gesagten gehört hatte, denn er richtete triumphierend den Kopf auf.

Er wußte mit Sicherheit, was er fortan vom Zustande des Patienten zu halten hatte; und kannte die Krankheit, welche zu bekämpfen war; er hatte nur noch den Puls zu untersuchen; er bat Herrn Gèrard, ihm die Hand zu geben: der Kranke gehorchte maschinenmäßig.

Der Puls hatte nicht seine ganze Stärke verloren; er widerstand unter dem Finger und war sehr schnell, das heißt er that über hundert Schläge in der Minute; er war endlich allerdings unregelmäßig, dies jedoch sehr leicht.

Das war ungefähr so, wie es Ludovic zu finden hoffte.

Nachdem er seine Untersuchung geschlossen hatte, endigte der junge Doktor da, wo er hatte anfangen sollen, aber wie ein Mensch, der an das Ufer eines Flusses kommt, wo man: »zu Hilfe!« ruft, war er zuerst untergetaucht.

Er wandte sich gegen Herrn Pilloy um und fragte ihn, wie lange die Krankheit daure, was ihre verschiedenen Phasen gewesen seien, welchen Ursachen er sie zuschreibe.

Der alte Arzt erzählte nun das Eintauchen von Herrn Gèrard in das Bassin des Schlosses, und die traurigen Folgen, welche dieses Eintauchen, durch das einem Kinde das Leben gerettet werden sollte; für den Retter gehabt habe; er antwortete sodann auf die anderen Fragen seines Collegen, und als er geendigt, fragte er selbst mit einer spöttischen Miene:

»Nun, mein Herr?«

»Nun, ich habe die Ehre, Ihnen für Ihre Gefälligkeit zu danken, mein Herr,« erwiderte Ludovic, »ich weiß, was ich wissen wollte.«

»Und was wissen Sie?«

»Ich weiß, von welcher Krankheit der Patient befallen ist.«

»Gut! das war nicht schwer zu wissen, da ich damit angefangen habe, daß ich Ihnen sagte, es sei eine Magenentzündung.«

»Ja; aber gerade hierin weichen unsere Meinungen von einander ab.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Wäre es Ihnen gefällig, in das anstoßende Zimmer zu gehen, mein lieber College, Ich glaube, wir ermüden den Kranken.«

»Oh! mein Herr, um des Himmels willen, gehen Sie nicht!« sagte Herr Gèrard. alle seine Kräfte zusammenraffend, um diesen Wunsch auszudrücken.

»Seien Sie ruhig, mein Freund.« erwiderte Herr Pilloy, welcher glaubte, die Bitte sei an ihn gerichtet; »ich habe Ihnen versprochen, Sie nicht zu verlassen, und ich werde mein Wort halten.«

Und die zwei Aerzte schickten sich an, aus dem Zimmer wegzugehen.

Auf der Schwelle der Thüre begegneten sie der Krankenwärterin.

»Meine gute Frau,« sagte Ludovic, »wir werden in fünf Minuten zurückkehren; verlangt der Kranke in unserer Abwesenheit etwas, so geben Sie ihm durchaus nichts!«

Marianne wandte sich gegen Herrn Pilloy, als wollte sie von ihm erfahren, ob sie diesem Befehle gehorchen sollte.

»Ei!« antwortete dieser, »der Herr behauptet ja, er werde den Kranken gesund machen!«

Er erwartete, Ludovic werde laut aufschreien; doch zu seinem großen Erstaunen erwiderte Ludovic nichts: er begnügte sich damit, daß er auf die Seite trat, um Herrn Pilloy mit der Ehrerbietung, die der Jüngere dem Aelteren schuldig ist, vorbeigehen zu lassen.

LXXVIII
Wo Ludovic die Verantwortlichkeit übernimmt

Die zwei Aerzte blieben im Vorzimmer.

Man konnte unmöglich ein lebendigeres Bild von Routine und der Wissenschaft sehen.

»Wollen Sie mir nun die Freundschaft erweisen, mir zu sagen, mein junger Freund, warum Sie mich hierher geführt haben?« fragte Herr Pilloy.

»Ei!« antwortete Ludovic, »einmal um den Kranken nicht durch eine Discussion zu ermüden.«

»Gut! das ist ja ein todter Mann!«

»Ein Grund mehr, wenn das Ihre Ansicht ist, sie nicht vor ihm auszudrücken.«

»Ah! mein Herr,« sagte der ehemalige Oberwundarzt, »glauben Sie denn, die Männer unserer Generation seien Weichlinge, wie es die der Ihrigen sind? Ich war dabei, und ich diente Lorrey als Gehilfe, als er dem brauen Montebello beide Beine abnahm; es fand eine Diskussion von fünf Minuten statt, ob man die Operation an ihm machen sollte, oder ob man ihn sollte sterben lassen, ohne ihn mehr zu quälen; stellen Sie sich etwa vor, man habe sich vor ihm verborgen? Nein, mein Herr, er nahm Theil an der Diskussion, als hätte es sich um einen Fremden gehandelt, und ich höre ihn noch mit einer Stimme so fest, als hätte er gerufen: Vorwärts! zu uns sagen: ›Schneidet, alle Teufel! Schneidet!«

»Es ist möglich, mein Herr, daß man, wenn man auf einem Schlachtfelde, unter fünfzehn bis zwanzigtausend Verwundeten operiert, nicht Zeit hat, alle die Zartheiten zu beobachten, welche unserer Generation den Titel Generation von Weichlingen verschaffen, doch wir sind hier auf keinem Schlachtfelde; Herr Gèrard ist kein Marschall von Frankreich, wie der brave Montebello; er ist ein durch seine Lage sehr niedergeschlagener Mann, der, wenigstens wie es mir geschienen, gewaltig Angst vor dem Sterben hat, und bei dem die betroffene Einbildungskraft, dünkt mir, noch nachtheiliger wirken kann, als die Krankheit.«

»Ah! was die Krankheit betrifft, – Sie sagten mir, Sie seien nicht derselben Ansicht wie ich!«

»Ueber die Krankheit, das ist wahr.«

»Und was ist Ihre Ansicht?«

»Sie begehen einen Irrthum, mein Herr, daß Sie Herrn Gèrard an einer Magenentzündung behandeln!«

»Ich hätte mich geirrt?«

»Ja, indem Sie annehmen, ich wiederhole es, Herr Gèrard sei von einer Magenentzündung befallen.«

»Ich nehme aber nicht an, ich versichere!«

»Nun wohl, ich glaube, daß der Kranke von einem andern Uebel befallen ist, als an dem, was Sie versichern.«

»Sie behaupten also, mein Herr?«

»Ich behaupte auch nicht, ich versichere!«

»Sie versichern, Herr Gèrard? .!«

»Leide nicht an einer Magenentzündung; das ist das dritte Mal, daß ich die Ehre habe, es Ihnen zu wiederholen.«

»Aber was Teufels hat er denn, wenn er keine Magenentzündung hat?« rief ganz verwundert der alte Wundarzt.

»Er hat ganz einfach eine Lungenentzündung,« antwortete Ludovic kalt.

»Eine Lungenentzündung? Ah! Sie nennen das eine Lungenentzündung?«

»Nichts Anderes.«

»Dann versicherte Sie vielleicht auch, Sie werden ihn da herausziehen.«

»Ah! was das betrifft, mein Herr, das versichere ich nicht; ich begnüge mich, es zu hoffen.«

»Und darf man das souveraine Mittel kennen, das Sie anwenden werden?«

»Ich will darüber nachdenken, lieber College vorausgesetzt, Sie geben mir die Erlaubniß hierzu.«

»Wie! Sie bitten mich um Erlaubniß, meinen ältesten Freund zu retten?«

»Ich bitte Sie nur Erlaubniß, einen Kranken zu behandeln, der Ihnen gehört?«

»Ich gebe sie Ihnen hundertmal, tausendmal! gefiele es Gott, daß dies etwas nützen würde; wollen Sie aber meine Ansicht hören, so sage ich Ihnen, ich bezweifle, daß der arme Bursche die morgige Sonne sieht.«

»Ich will also das Unmögliche versuchen,« erwiderte Ludovic, immer dieselbe Artigkeit und dieselbe; Ehrerbietung gegen einen Arzt beobachtend, der der Aeltere von Beiden durch das Recht der Geburt, wenn nicht der Wissenschaft war.

»Das Unmögliche, das ist das richtige Wort,« sagte der alte Wundarzt, der diese Ehrerbietung von Ludovic nicht begriff, welche er für Unschlüssigkeit hielt.

»Was haben Sie nun bis jetzt gethan, mein ehrenwerther College?« fragte Ludovic der Form wegen.

 

»Ich habe zwei Aderlässe vorgenommen, Blutegel auf den Magen gesetzt, und den Kranken einer absoluten Diät unterworfen.

Ein Lächeln schwebte über die Lippen von Ludovic, viel mehr erzeugt durch das Mitleid, das ihm der Kranke einflößte, als durch die Ironie, die ihm dieses Universalmittel einflößen mußte, das so sehr in der Mode zu jener Zeit: die Blutegel und die Diät, dieser andere Blutegel des Magens.«

Die zwei Aerzte waren so weit in ihrer Erörterung, als einige Bauern, ungeduldig, das Wunder zu erfahren, das die Gegenwart eines zweiten Arztes hatte bewirken sollen, in das Vorzimmer des Philanthropen von Vanvres eindrangen.

»Nun,« riefen alle zugleich, geht es besser? ist er gerettet?«

Der alte Militärarzt, der daran gewöhnt war, sich dieselben Worte in die Ohren schreien zu hören, so oft er aus dem Hause des ehrlichen Herrn Gèrard wegging, glaubte wieder, sie seien an ihn gerichtet.

Aber ach! ist die Welle veränderlich, ist das Weib noch veränderlicher, als die Welle, so gibt es etwas, was noch tausendmal veränderlicher ist, als die Welle und das Weib zugleich: das ist die Menge.

Einer von den Bauern, der am meisten Ludovic angetrieben, in das Haus des gemeinschaftlichen Wohlthäters einzutreten, antwortete auch grober Weise dem alten Arzte, als dieser sagte: »Wir werden thun, was wir thun können, meine Freunde, seid ruhig.«

»Nicht Sie fragen wir das.«

Ohne Zweifel machte sodann der würdige Herr Pilloy; der unserem berühmten Freunde Lorrey beide Beine des braven Montebello hatte abnehmen helfen, über die Menge, dieselbe Bemerkung wie wir; nur machte er sie eine Secunde zu spät. Er entschuldigte sich auch dadurch, daß er die Stirne faltete, und in seinem Innern den gottlosen Wunsch that, als möchte die prahlerische Wissenschaft des jungen Arztes in Betreff des Kranken eine eklatante Niederlage erleiden, damit er die Summe der Geringschätzung zu theilen habe, welche die Dorfbewohner nun gegen ihn äußerten.

Ein anderer Bauer wandte sich unmittelbar an Ludovic, und sagte, indem er zugleich die Frage stellte und die Antwort gab:

»Nun, wie haben Sie ihn gefunden? nicht wahr, es sieht sehr schlimm bei ihm?«

»Nicht wahr, es ist keine Hoffnung mehr, mein Herr?« fragte ein Zweiter.

»Nicht wahr, er wird nicht davon kommen, mein Herr?« sagte ein Dritter.

»Meine Freunde,« antwortete Ludovic, »so lange der Kranke nicht todt ist, muß man Vertrauen haben nicht zu der Kunst der Aerzte, sondern zu der Natur, und Gott sei Dankt Herr Gèrard ist nicht todt!«

Die Menge ließ ein Hurrah ertönen.

»Sie werden ihn retten?« fragten zwanzig Stimmen.

»Ich werde alle meine Kräfte aufbieten,« antwortete Ludovic.

»Oh! retten Sie ihn! retten Sie ihn, mein Herr,« rief man ihm von allen Seiten zu.

Auf dieses Geschrei öffnete Marianne halb die Thüre des Zimmers.

»Was geht denn vor?« fragte der Kranke, den dieser ganze Tumult schmerzlich ergriff, »kann man mich denn nicht ruhig sterben lassen?«

»Oh! Herr,« sagte die wackere Frau, »es ist nicht mehr vom Sterben die Rede.«

»Wie!« rief der Kranke, »es ist nicht mehr vom Sterben die Rede?«

Und seine Augen, die man für erloschen gehalten hätte, schleuderten eine doppelte Flamme.

»Nein, Herr, der junge Arzt, der vorhin gekommen ist, sagte den Bauern, er werde Sie vielleicht retten.«

»Ach! vielleicht!« versetzte der Kranke, während er den Kopf wieder auf sein Kissen sinken ließ. »In jedem Falle, Marianne, entferne er sich nicht! oh! Um des Himmels willen, er entferne sich nicht«

Dann blieb er, gelähmt durch diese Anstrengung, unbeweglich, und scheinbar nur durch eine Art von Pfeifen lebend, das sein Hauch aus der Brust gehend hervorbrachte.

»Meine Herren, meine Herren,« sagte die Krankenwärterin, »Herr Gèrard ist ohnmächtig, man sollte glauben, er verscheide.«

»Ludovic ging rasch hinein, nahm die Hand und fühlte den Puls.

»Es ist nichts.« sagte er, »nur eine durch die Aufregung verursachte Ohnmacht. Muth, mein Herr!« rief er dem Kranken zu.

Dieser stieß einen Seufzer aus.

Marianne hatte alle Mühe der Welt, die Menge von einem Einfalle ins Zimmer abzuhalten.e Arzt zu seinem jüngeren Collegen, »ohne Zweifel werden Sie sich nicht darauf beschränken, daß Sie zu dem Kranken sagen: ›Muth!‹ Sie werden ihm etwas verordnen.«

»Geben Sie mir Papier

»Mein Herr,« sprach der alt, eine Feder und Tinte,« sagte Ludovic zu der Krankenwärterin, ich will eine Verordnung schreiben.«

Alle wetteiferten, so rasch als möglich die verlangten Gegenstände zu finden.

Der Kranke, der auf das Wort vielleicht die einen Augenblick gefaßte Hoffnung wieder verloren hatte, zerarbeitete sich in seinem Bette, faltete die Hände und drückte durch seine Gebärden klarer, als er es durch setzte Worte gethan, die Bitte aus: »Im Namen des Herrn, laßt Mich doch ruhig sterben!«

Niemand achtete aber auf den grausamen Tod, den man ihm auferlegte, so sehr hegte Jedermann das Verlangen, ihm das Leben zu erhalten.

Ludovic suchte einen Platz, wo er die Verordnung, schreiben könnte, doch alle Meubles waren überladen von Flaschen, Töpfen, Gläsern, Tellern, Unterschaalen aller Art.

Die Bauern, als sie die Verlegenheit des jungen Mannes bemerkten, boten ihm die Einen ihren Rücken, die Andern ihren Schooß an.

Ludovic fand einen passenden Rücken und bediente sich desselben als eines Tisches, um die Verordnung zu schreiben. »Lassen Sie das holen;« sagte er zur Krankenwärterin.

Er hatte nicht so bald sein Verlangen ausgesprochen, als die Verordnung, seinen Händen entrissen, in die von vier bis fünf Anwesenden überging, die sich um das Vergnügen, Herrn Gèrard nützlich zu sein, stritten.

Ein Hinkender bemächtigte sich endlich des kostbaren Papiers und knappte so schnell er konnte fort.

»Meine gute Frau,« sagte Ludovic zu der Krankenwärterin, »Sie werden alle halbe Stunden Herrn Gèrard einen halben Löffel voll von dem Tranke geben, den man Ihnen bringen wird; Sie verstehen? nicht öfter, nicht minder oft als alle halbe Stunden, nicht mehr als einen halben Löffel voll; nur dies kann ihn retten.«

»Alle halbe Stunden, einen halben Löffel voll.« wiederholte die Krankenwärterin.

»Ja, so ist es sehr gut! . . . Ich muß durchaus nach Paris zurückkehren.«

Der Kranke stieß einen Seufzer aus; es schien ihm, der Rest seines Lebens verlasse ihn.

Ludovic hörte diesen Seufzer, eine heiße Bitte des verzweifelten Menschen, und sagte:

»Ich muß nach Paris zurückkehren, doch in drei Stunden komme ich wieder, um zu sehen, welche Wirkung der Trank hervorgebracht hat.«

»Und Sie sind sicher, daß ihn der Trank retten wird?« brummte der alte Arzt.

»Sicher ist nicht das richtige Wort, mein lieber College; besser als irgend Jemand wissen Sie, daß der Mensch nie einer Sache gewiß ist; doch . . . «

Ludovic warf einen Blick auf den Kranken.

»Doch ich hoffe!« sagte er.

Dieses letzte Wort veranlaßte ein neues Hurrah der Freude in der Menge.

Der Kranke raffte seine Kräfte zusammen, richtete sich in seinem Bette auf und sagte:

»Drei Stunden, mein Herr; suchen Sie nicht länger auszubleiben.«

»Ich verspreche es Ihnen, mein Herr.«

»Ich werde die Minuten zählen.« fügte der Kranke bei, während er mit seinem Taschentuche seine von einem Schweiße, welchen man für den der Todesnoth hätte halten können, bedeckte Stirne abwischte.

Nach diesen Worten ging Ludovic mit seinem alten Collegen ab, er bat ihn, zuerst zu passieren, verbeugte sich vor ihm und gab ihm mit einem Worte alle Zeichen der Ehrfurcht, die man einem Aelteren und Höheren schuldig ist.

Ludovic nahm, wie er gesagt hatte, den Weg nach Paris, nur suchte er diesmal ein Cabriolet, einen Fiacre oder dergleichen, um früher zurück zu sein.

Der Militärarzt folgte ihm voll Groll und ohne den Mund aufzuthum.

Ludovic seinerseits glaubte, es sei nicht an ihm zuerst zu sprechen, nicht einmal, um von seinem Collegen Abschied zu nehmen.«

Dieses Stillschweigen hätte sicherlich bis zu ihrer Trennung gedauert, wenn nicht der Hinkende, der zur Apotheker gegangen, bei den zwei Nebenbuhlern angekommen, um ihnen die Zunge zu lösen.

Der Hinkende zeigte Ludovic den Trank, der ihm übergeben worden war.

»Ist es das, Herr?« fragte er.

»Ja, mein Freund,« antwortete Ludovic das Fläschchen anschauend, »nun sage der Krankenwärterin, sie soll Punkt für Punkt meine Vorschrift befolgen.«

Dieses Zusammentreffen diente Herrn Pilloy als Vorwand, nur wieder das Wort zu nehmen: