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Die Mohicaner von Paris

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LXXXI
Eine alte Geschichte, doch immer neu

Als Petrus in sein Atelier zurückkam, schaute er zuerst mit Freude, sodann mit Widerwillen die verschiedenen Bilder an, wo er, aus der Erinnerung, die Tochter des Marschalls von Lamothe-Houdan gemalt hatte.

Nach einer prüfenden Betrachtung von zehn Minuten dünkten ihm in der That diese Portraits so sehr unter dem Modelle, daß er ganz nahe daran war, ein

Auto da Fe daraus zu machen; zum Glücke brachte ihn die Ankunft von Jean Robert von diesem Entschlusse ab.

Jean Robert war ein zu guter Beobachter um nicht zu sehen, es gehe etwas Neues und Außerordentliches im Leben seines Freundes vor; Jean Robert war aber ein sehr discreter junger Mann, der nur einen Fuß auf das Terrain der Neugierde zu setzen wagte und, sich, da er Widerstand fühlte, sogleich zurückzog.

Die jungen Leute, – wenigstens die jungen Leute von Distinction, – sprechen selten unter sich von ihren Geliebten, ihren Liebschaften, und sogar von ihren einfachen Bekanntschaften; jedes zarte Herz liebt den Schatten und das Geheimnis und führt nicht leicht selbst einen vertrauten Freund in das Tabernakel seiner Zuneigungen ein.

Jean Robert verweilte nur so lange, als er es für nötig erachtete, um seinem Besuche einen andern Anschein als den eines Eintritts und eines Abgangs zu

geben; dann ersann er einen Vorwand und entfernte sich wieder, um Petrus einsam sich seiner Gemüthsbewegungen erfreuen zu lassen.

Was waren diese Gemüthsbewegungen? Jean Robert wußte es nicht, doch daran lag ihm wenig: er hatte an dem Lächeln seines Freundes, an seinen halbverschleierten Augen, an seiner stillen Zerstreuung errathen, seine Gemüthsbewegungen seien süßer Art.

Petrus, der nun allein blieb, brachte einen der göttlichen Tage zu, deren Erinnerung der Mensch am Abend seines Lebens nicht ohne vor Freude zu schauern wiederfindet.

Der von jedem Künstler, von jedem nicht dem gewöhnlichen Strome angehörenden jungen Herzen gehätschelte Traum: die Liebe einer Frau, deren Stirne die dreifache Krone der Schönheit, der Größe und der Jugend trägt, —dieser Traum verwirklichte sich für ihn.

Alle Prinzessinnen seiner Träume nahmen eine reelle Form an, verkörperten sich für ihn, verkörperten sich in einer einzigen Frau! Er schloß die Augen und

sah sie aus ihrem Wagen in einer Wolle von Spitzen, Sammet und Hermelin aufsteigen.

Am Abend setzte er sich an sein Klavier; wie alle Maler, betete Petrus die Musik an. Seine Hand wäre zu ungeschickt gewesen, um auf die Leinwand den geringsten Reslex seiner trügerischen Gemüthsbewegungen zu werfen: die Musik allein mit ihrer Zauberstimme, mit ihren Vibrirungen, welche im Himmel geboren werden und sich auf der Erde verbreiten, konnte dem

leidenschaftlichen Aufrufe des jungen Mannes antworten.

Es geschah erst spät in der Nacht, daß er zu Bette zu gehen sich entschloß und entschlief . . . Wir täuschen uns, wenn wir sagen, er sei entschlafen: er wachte mit geschlossenen Augen bis zu dem Momente, wo der Tag kam; er wachte, das ist das richtige Wort, denn eine Stimme hörte nicht auf, seinem Herzen und seinem Ohre den Namen Regina zuzuflüstern.

Er ging schon Morgens um neun Uhr von Hause weg, obgleich die Zusammenkunft erst auf die Mittagsstunde festgesetzt war; doch es wäre ihm unmöglich gewesen, am Platze zu bleiben, und er brachte die drei Stunden, die ihn noch von der bezeichneten Stunde trennten, damit zu, daß er in der Umgegend vom Hotel des Marschalls spazieren ging.

Das, erwähnter Maßen, in der Rue Plumet (heute Rue Oudinot) liegende Hotel Lamothe-Houdan bestand aus einem großen Hauptgebäude, das sich zwischen Hof und Garten erhob, und, – in der Tiefe dieses Gartens, an einem Orte, der eine Vase tausend Meilen von Paris zu sein schien, – aus einem Pavillon enthaltend ein Speisezimmer, einen Salon und ein Boudoir. welche Zimmer in ein riesiges Gewächshaus eingeschlossen waren, das für diese anmuthige Beigabe des Hauptgebäudes eine Blumenmauer bildete.

Die äußere Umschließung bestand, – abgesehen von den Grundmauern des Baues, – aus Glasscheiben, und durch diese Scheiben erblickte man, wie im Jardin des Plantes von Paris, wie im betanischen Garten von Brüssel, wie in den Gewächshäusern des berühmten Gartenfreundes Pan Houtte, tausend exotische Pflanzen, deren Blätter, breit oder spitzig zulaufend, alle aber im Norden und im Westen unbekannt, auf die kleinen Winkel eine höchst pittoreske tropische Farbe warfen.

Rings von Bäumen umgeben, war dieser Pavillon indessen auf einer seiner Seiten sichtbar: das war die Südseite; eine Lichtung zwischen den hohen blätterreichen Kastanienbäumen und Linden erlaubte, ihn durch das Gehägegitter zu erschauen.

Im Boudoir dieses Pavillon, in diesem Garten mit dem Kiststallhimmel der halb Atelier, halb Treibhaus, – denn die schönsten Werke der Kunst, wie die

seltensten Erzeugnisse der Erde fanden sich hier vereinigt, – erwartete Regina Petrus, nicht mit einer der des Jungen Mannes gleichen Ungeduld, aber wenigstens, wir müssen es gestehen, mit einer gewissen Neugierde.

Es lag im aristokratischen Temperamente, von Regina eine rasche Schätzung jeder Erhabenheit; selbst erhaben, hatte sie bei den ersten Worten gefühlt, sie berühre in Petrus einen erhabenen Mann.

Der junge Mann kam zur bestimmten Stunde, weder eine Minute früher, noch eine Minute später, er entsprach streng den Bedingungen der Pünktlichkeit, welche Ludwig XIV. die Höflichkeit der Könige nannte.

Den Fuß in diesen Korb des indischen Archipels setzend, wurde Petrus von einem Schauer der Wonne und der Bewunderung ergriffen.

Von der Schwelle der Thüre aus gesehen, war es in der That ein reizendes Schauspiel für einen Künstler wie Petrus, das Schauspiel, das sich vor seinen

Augen entrolltet der lebhafteste Traum der Einbildungskraft wäre nicht so weit gegangen, als diese überreiche Wirklichkeit.

Es schien, als hätten in der erhabenen Umarmung einer himmlischen Liebe die Kunst und die Natur ihre schönsten Meisterwerke erzeugt.

Hier waren alle Wunder der Kunst; dort waren alle Reichthümer des Bodens; hier unter dem riesigen Farnkraut von Süd-Amerika umarmten sich keusch zwei Liebende von rosenfarbigem Marmor, wie der Amor und die Psyche von Canova; dort unter den Bosquets von afrikanischen Pisangen und Palmen flohen Najaden mit fliegenden Haaren von Clodion.

Da waren zwanzig Stücke in gebrannter Erde von Meistern des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts, von Bouchardon, von Coysevor, ihre röthliche Tinte mit dem florentischen Bronze der Meister des Mittelalters vermischend; da waren unter den rosenartigen Blumen Europas, unter den Magnolien von Nord-Amerika die Grazien von Germain Pilon, die Nymphen von Jean Goujon, die Amoretten von Johann von Bologna, – diesem großen Meister, den Italien uns gestohlen hat und nicht zurückgeben will, obgleich seit dreihundert Jahren sein Schatten den Titel eines Franzosen reclamirt!31 – Da waren endlich hundert Meisterwerke von Erde, von Stein, von Holz, von Marmor, von Bronze, harmonisch in diesem blühenden Urwalde ausgestellt, wo alle Gegenden und alle Länder ein Muster ihrer eigenthümlichen und charakteristischen Vegetation boten, von den Pantoffelschuhblumen und den Passionsblumen Süd-Amerikas, von, den Camelien, den Hortensien, den Basiliken, den Theebäumen bis zu den blauen, weißen und rosenfarbigen Lotus, bis zu den süßen Palmen, bis zu den Dattelbäumen Afrikas; von den Sinnpflanzen, den Feigenbäumen, den Farnbäumen Madagaskars bis zu den Eukalypten, den Epacriden. den Mimosen Oceaniens; – mit einem Worte, es war eine Weltkarte in Blumen!

Regina schien die Schutzgöttin, die allmächtige Fee dieser Wunderwelt zu sein.

Petrus zögerte lange, einzutreten, nachdem der Diener ihn gemeldet hatte, und Regina war genötigt, ihm zuzurufen:

»Ei! so kommen Sie doch herein, mein Herr!«

»Ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein,« erwiderte Petrus: »an der Pforte des Paradieses ist es einem Sterblichen erlaubt, zu zögern.«

Regina stand auf und ließ Petrus in den in ein Atelier verwandelten Salon eintreten; mitten im Salon war eine Staffelei ausgestellt, auf der eine Leinwand ruhte, welche hoch und breit genug, um daraus ein Portrait in natürlicher Größe zu skizzieren.

Auf einem Feldstuhle lagen eine Farbenschachtel und eine Palette.

Das Licht war durch eine geschickte Hand geordnet worden, und Petrus hatte beinahe nichts an der Zurichtung der Vorhänge zu ändern.

»Mein Fräulein,« sagte Petrus, »wollen Sie die Güte haben, sich zu setzen, wohin Sie wollen, und die Stellung zu nehmen, die Ihnen die einfachste und beste zu sein scheint.«

Regina setzte sich und nahm aus eine ganz natürliche Art eine Stellung voll Zartheit, Weichheit und Anmuth.

Petrus ergriff eine Spindelkohle und skizzierte mit einer seltenen Sicherheit der Hand das Ganze des Portraits.

Als er zu den Einzelheiten gekommen war und sah, daß es dem Gesichte von Regina an jener Beseelung des Mundes und der Augen, welche das Leben bildet, fehlen sollte, sagte Petrus:

»Mein Gott, Fräulein, wollen Sie erlauben, daß wir ein wenig plaudern . . . wovon Sie wollen, – von Botanik, von Geographie, von Geschichte, von Musik, – während dieser ersten Sitzung? Ich gestehe, daß ich, obgleich ich die Farbe liebe, ganz der Schule der idealistischen Maler angehöre; träumte ich etwas, hätte ich eine Hoffnung, so wäre es, das Gefühl von Scheffer mit der Farbe von Decamp zu vermählen.

 

Es scheint mir also unmöglich, ein gutes Portrait von einem unbeweglichen Gesichte zu machen; unter unbeweglich verstehe ich ein Gesicht, das die Plauderei nicht belebt. Die Personen, die ihr Portrait malen lassen, geben sich beinahe immer, – Dank sei es dem Stillschweigen, das sie freiwillig beobachten, oder dem, das ein ungeschickter oder schüchterner Maler zu beobachten sie nötigt, – eine gezwungene Miene, welche macht, daß die Freunde sagen: ›Oh! das ist es nicht! Das ist viel zu ernst!‹ oder: ›das ist viel zu alt!‹ Und der Fehler fällt auf den armen Maler zurück, während man bedenken sollte, daß der Maler, mit seinem Modelle nicht bekannt, statt ihm seinen gewöhnlichen Ausdruck zu geben, demselben den Ausdruck des

Augenblicks gegeben hat.«

»Sie haben Recht,« erwiderte Regina, welche diese von Petrus ohne Prätension, und während er die Zugehören des Bildes skizzierte, auseinander gesetzte lange Theorie angehört hatte, »und genügt es Ihnen, um von mir ein gutes Portrait zu machen, mein Gesicht belebt durch die Plauderei zu sehen, welche meine gewöhnliche und die mir theuerste ist, so bitte ich Sie, die Hand auszustrecken und zu klingeln.«

Der Lackei, der ihn eingeführt hatte und, wenn auch unsichtbar, doch im Bereiche des ersten Rufes war, erschien auf der Schwelle.

»Lassen Sie Abeille kommen,« sagte Regina.

Nach fünf Minuten trat ein Kind von zehn bis elf Jahren ein, oder es sprang vielmehr von der Thüre zu den Füßen von Regina.

Für Eindrücke empfänglich wie ein Künstler, und den unwiderstehlichen Einfluß der Schönheit auf gewisse Organisationen erleidend, gab Petrus einen Schrei von sich und rief:

»O! das anbetungswürdige Kind!«

Das Kind, das eingetreten, und das seine Schwester unter dem charakteristischen Namen Abeille32 herbeigerufen hatte, war in der That ein reizendes Mädchen mit einem Gesichte so durchsichtig wie ein Rosenblatt, mit blonden ins Rothe fallenden, rings um ihren Kopf wie ein Büschel Goldknöpfe gelockten Haaren, und von einer so schlanken Taille, das, sie, wie die einer Biene, dem Abbrechen ganz nahe zu sein schien.

Die Stirne der Kleinen troff von Schweiß, obgleich man am Ende des Januars war.

»Du hast mich gerufen, meine Schwester?« fragte sie.

»Ja; wo warst Du denn?« erwiderte Regina.

»Im Fechtsaale, um mit dem Vater zu fechten.«

Ein Lächeln schwebte über die Lippen von Petrus; dieses Wort fechten dünkte ihm das letzte, das aus dem Munde des Kindes kommen sollte.

»Gut! mein Vater ließ Dich wieder Fechtübungen machen! Wahrhaftig, er ist kindischer als Du, Abeille! und ich werde Euch Beide nicht mehr lieben, wenn Ihr mir nicht gehorchen wollt.«

»Ei! Regina, Papa behauptet, Du seist nur durch die Fechtübungen so groß und so, schön geworden, und da ich so groß und so schön werden will, als Du, so sage ich ihm immer: ›Papa, laß mich fechten!‹

»Ja, und ihm ist das ganz lieb! Sieh, nun schwimmst Du im Schweiße, Du bist ganz athemlos . . . Ich werde mich ärgern, Abeille! . . . Begreifen Sie, mein Herr, daß ein großes Mädchen von elf Jahren sein Leben mit Fechten zubringt, wie ein Schüler von Salamanea oder wie ein Heidelberger Student?«

»Abgesehen davon, daß ich, wenn der Frühling wieder kommt, reiten werde.«

»Das ist etwas Anderes.«

»Ja, doch Papa hat mir gesagt, er werde Dir noch in diesem Jahre ein anderes Pferd kaufen, und mir werde er den Emir geben,«

»Ah! ja wohl, wenn der Marschall das thut, so erkläre ich ihn für vollkommen verrückt! – Stellen Sie sich vor, mein Herr, der Emir ist ein Pferd, das Niemand zu reiten wagt.«

»Außer Dir, Regina, die Du ihn über sechs Fuß breite Gräben und über drei Fuß hohe Barrièren setzen lassen.«

»Weil er mich kennt.«

»Nun wohl, er wird mich auch kennen, und will er mich nicht kennen, so werde ich ihm so oft mit Peitschenhieben sagen: ›Ich bin die Schwester von Regina und die Tochter des Marschalls von Lamothe-Houdan,‹ daß er am Ende begreifen wird.«

»Der Emir, mein Fräulein,« sagte Petrus, der eiligst die Belebtheit von Regina benützte, um ihren Kopf zu skizzieren, »ist der Emir nicht ein Rappe mit schöner Mähne und langem Schweife, von arabischer Race mit englischer Kreuzung?«

»Ja, mein Herr,« antwortete lächelnd Regina; »wäre mein Pferd edel genug, um ein Wappen zu haben?«

»Es kommt von einem Lande, mein Fräulein, wo die Hunde und die Falken ihre Genealogie haben: warum sollte er nicht die seinige haben?«

»Ah!« fragte die kleine Abeille halblaut, »dieser Herr ist es, der Dein Portrait macht?«

»Ja,« antwortete Regina in demselben Tone.

»Wird er das meinige nicht auch machen?«

»Sehr gern, mein Fräulein,« sagte lächelnd Petrus, »besonders so gestellt, wie sie es in diesem Augenblicke sind.«

Abeille lag halb und hatte die Ellenbogen aus den Schooß ihrer Schwester gestützt; ihr Kopf voll Leben und Verstand ruhte zwischen ihren beiden Händen, während Regina ihr Gesicht mit einer Resedablüthe streichelte.

»Du hörst, meine Schwester?« fragte Abeille, »der Herr will sehr gern mein Portrait machen.«

»Oh! er wird wohl einige Bedingungen stellen,« erwiderte Regina.

»Welche?«

»Daß Sie vernünftig sein und Ihrer Schwester gehorchen sollen, mein Fräulein.«

»Gut!« versetzte das Mädchen; »ich kenne meine Gebote Gottes auswendig; sie sagen:

»Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren!« sie sagen aber nicht:

»Du sollst Deinen Bruder und Deine Schwester ehren!«

»Oh! ich will Regina von ganzem Herzen lieben, doch ich will ihr nicht gehorchen: ich will nur meinem Vater gehorchen.«

»Ich glaube es wohl!« sagte Regina: »er thut Alles, was Du willst.«

»Sonst würde ich ihm auch nicht gehorchen,« erwiderte lachend die kleine Abeille.

»Ah! Abeille!« rief Regina. »Du machst Dich schlimmer, als Du bist. Setze Dich artig hier zu mir und erzähle uns eine Geschichte.«

Sodann sich an Petrus wendend, fuhr sie fort:

»Stellen Sie sich vor, mein Herr, wenn ich traurig bin, – was mir oft widerfährt, – kommt dieses Kind zu mir und sagt zu mir: ›Du bist traurig, meine Schwester Regina? Nun wohl, ich will Dir eine Geschichte erzählen.‹ Und dann erzählt sie mir in der That Geschichten, die sie, ich weiß nicht woher nimmt, sicherlich aus ihrem tollen Kopfe, aber Geschichten, bei denen ich mich zuweilen zu Tode lache! – Rasch also, eine Geschichte, Abeille!«

»Gern, meine Schwester,« erwiderte die Kleine, indem sie Petrus anschaute, als hätte sie sagen wollen: »Hören Sie diese, Herr Maler!«

Petrus hörte, während er ungeheuer die Skizze des Kopfes von Regina beschleunigte, welche, der Bewegung und der Einfachheit des gewöhnlichen Lebens zurückgegeben, einen entzückenden Ausdruck annahm. Das Mädchen begann.

LXXXII
Die Fee Carita

»Es war einmal eine Prinzessin begabt mit einer außerordentlichen Tugend und einer unvergleichlichen Schönheit. Sie war geboren in Bagdad und lebte unter der Regierung des Kalifen Harun al Raschid. Ihr Vater, einer der ausgezeichnetsten Generale vom Heere des Kalifen, als er seine Tochter heranwachsen und die Zahl der Kriege abnehmen sah, bat er den Kalisen um seine Entlassung, um seine ganze Zeit der Erziehung von Zuleyma zu widmen.

»Zuleyma ist ein persisches Wort, das Königin bedeutet.

»Weit entfernt, dem General die Entlassung zu verweigern, gewährte sie der Kalif, und so sehr es ihm leid that, daß er sich von dem braven Militär trennen sollte, so billigte er doch sein Vorhaben und bot ihm zur Erziehung von Regina . . . Verzeih, Schwesterchen, ich will sagen von Zuleyma; – er bot ihm für die Erziehung von Zuleyma dieselben Lehrer an, welche mit der Erziehung seiner eigenen Tochter betraut gewesen waren.

»Der General zog sich vom Hofe zurück, wo er bis dahin seine Wohnung gehabt hatte, und bewohnte fortan in einer der Vorstädte einen schönen Palast, den er besaß, und der, wie die Rue Plumet, von einem Gürtel blühender Gärten umgeben war.

»Dahin, mitten in ein diesem ähnliches Gewächshaus, kamen die Tanzmeister, die Zeichenmeister, die Gesangslehrer, die Lehrer der Botanik, die Lehrer der Astronomie und sogar der Philosophie; denn es war der Wille des Generals, daß der Geist der Prinzessin mit allen zu jener Zeit bekannten Wissenschaften ausgestattet werde; und ohne ihr zu schmeicheln, darf man wohl sagen: sie benützte den Unterricht ihrer Lehrer so gut, daß sie mit achtzehn Jahren hinsichtlich der Tugend und des Talentes so vollendet war, als in Betreff der Schönheit . . . «

»Abeille,« unterbrach Regina, »Deine Geschichte ist ganz und gar nicht belustigend; erzähle uns eine andere.«

»Es ist möglich, daß meine Geschichte nicht belustigend ist,« erwiderte Abeille, »doch sie hat das Verdienst, wahr zu sein, und die Wahrheit ist das Hauptverdienst einer Geschichte; . . . nicht so, Herr Maler?« fügte das Mädchen, sich an Petrus wendend, bei.

»Ich bin ganz dieser Ansicht, mein Fräulein,« sagte der Künstler, der wohl sah, daß Abeille aus einige Details aus dem Leben von Regina anspielte; »ich wage es auch, Ihr Fräulein Schwester ehrerbietigst zu bitten, sie möge Ihnen erlauben, fortzufahren.«

Die Wangen von Regina nahmen das Roth der Camelien an, welche über ihrem Kopfe blühten.

»Und wenn ich fortfahre,« fragte Abeille, »was werden Sie mir geben?«

»Ich gebe Ihnen Ihr Portrait, mein Fräulein.«

»Wahrhaftig?« rief ganz freudig Abeille, indem sie ihre kleinen Hände an einander schlug.

»Bei meinem Ehrenworte!«

Abeille wandte sich gegen ihre Schwester um und streckte ihre beiden Arme aus eine Weise aus, welche bezeichnete: »Du siehst, Regina, es läßt sich unmöglich anders machen!«

Regina antwortete nicht; doch sie schob langsam ihr Fauteuil drei Schritte zurück, als wollte sie ihre Röthe unter dem Schatten der Bäume dieses Salonwaldes verbergen.

Abeille, da sie sah, daß Regina, wenn sie auch nicht ihre Einwilligung gab, dieselbe doch nicht auf eine entschiedene Art verweigerte, setzte ihre Erzählung fort und sprach statt jedes Ueberganges:

»Ich war bei der vollendeten Schönheit der Prinzessin . . . Doch lassen wir das, der Papa behauptet, die Schönheit vergehe, und nur die Herzensgüte bleibe . . . Die Herzensgüte der Prinzessin war wahrhaft wunderbar! . . . Alle Frauen von Bagdad, wenn sie durch die Straßen der Stadt ging, zeigten sie mit dem Finger ihren Kindern und sagten:

›Das ist die schönste und die mildherzigste Prinzessin, die es je gegeben hat, und die es je geben wird.‹

»Hierdurch erfolgte, daß sie allmählich in der Vorstadt eine solche Berühmtheit erlangte, daß man sie nicht mehr einfach für eine Frau wie die anderen hielt, sondern für eine Fee, welche überall, wohin sie komme. Wunder bewerkstellige, – Diesen tröstend und Jenen heilend, die Bösen gut, die Guten besser machend.

»Es geschah aber eines Tages, daß ein kleiner Savoyard, der sein Brod dadurch verdiente, daß er ein Murmelthier tanzen ließ, vor dem Thore ihres Palastes weinte, weil er es, da er an diesem Tage noch keinen Pfennig eingenommen hatte, nicht wagte, nach Hause zu gehen, aus Furcht, von seinem Herrn geschlagen zu werden.

»Die Prinzessin neigte sich aus dem Fenster und sah die Thränen des kleinen Knaben; rasch ging sie hinab und fragte ihn, was er habe. Sobald der kleine Savoyard sie erblickte, begriff er, daß seine Einnahme gemacht war; er hüpfte vor Freude und Glück und rief:

›Die Fee! Ah! hier ist die Fee!‹

»Dann wiederholte er, Almosen in seiner Sprache fordernd, mehrere Male:

›Carita, Carita, principessa! Carita!‹

»So daß fünf bis sechs Personen, welche den kleinen Knaben gehört hatten und von der Prinzessin nur ihren sterblichen Namen Zuleyma, was Königin bedeutet, kannten, sie mit einem viel schöneren Namen nannten, nämlich die Fee Carita, was bedeutet, die Fee Barmherzigkeit . . . «

Regina unterbrach Abeille zum zweiten Male.

»Mein Herr,« sagte sie, »begreifen Sie, woher diese Kleine alle diese Geschichten nimmt?«

»Ja, Prinzessin,« erwiderte Petrus mit einem Lächeln, »ich begreife das vollkommen, und ich bin weniger als Sie erstaunt über ihre Einbildungskraft, weil ich glaube, daß ihre Einbildungskraft nur Gedächtnis, ist.«

Der Leser begreift ebenfalls, daß die Wangen von Regina sich unter dem Blicke und bei der Antwort von Petrus immer mehr mit Purpur überströmten.

 

Doch ohne aus die Blicke des Einen oder die Röthe der Anderen Acht zu geben, fuhr die kleine Scheherazade fort:

»Kurz, Herr Maler, ich werde es nicht unternehmen, alle die schönen und guten Handlungen zu erzählen, welche beweisen, daß die Fee Carita ihres Namens würdig war; ich will nur noch eine anführen, und meine Schwester Carita . . . nein, Zuleyma . . . nein, Regina; ich irre mich immer! und meine Schwester Regina, welche die Feenmährchen besser als ich kennt, weil sie größer ist und mehr Geist hat, kann Ihnen bezeugen, mein Herr, daß ich nicht ein Wort daran geändert habe.

»Ich habe Ihnen gesagt, der Palast der Prinzessin sei von blühenden Gärten und Promenaden umgeben gewesen, welche rings um die Stadt Bagdad gingen, wie die Boulevards rings um Paris gehen. An allen Sommertagen galoppierte die Prinzessin mit ihrem Vater in den Alleen dieser schönen Promenaden, und wer Beide vorüberreiten sah, mußte sie nothwendig wahrnehmen.«

»Das ist wahr,« sagte Petrus, indem er die Kleine anschaute und ihr mit einem Blicke dankte.

»Ah! Du siehst, meine Schwester, der Herr sagt, es sei wahr! . . . Nun wohl, eines Tages, auf einem ihrer Spazierritte, erblickte die Fee Carita am Rande eines Grabens ein Mädchen von zwölf bis dreizehn Jahren, das, mager, bleich, die Haare ausgelöst und aus seinen Schultern zerstreut, an allen Gliedern zitterte, obgleich an diesem Tage eine große Hitze herrschte und es in voller Sonne stand. Diese Kleine hatte um sich vier bis fünf Hunde, die sie leckten und liebkosten, und auf ihrer bloßen Schulter eine Krähe, die mit den Flügeln schlug; doch es gelang weder der Krähe, noch den Hunden, sie zu zerstreuen, und sie schien, dergestalt litt sie, weder ihnen, noch den Vögeln, welche über ihrem Kopfe sangen, noch den Grillen, die um sie her zirpten, die geringste Aufmerksamkeit zu schenken; nein: sie schnatterte vom Kopfe bis zu den Fußspitzen, und ihre Zähne klapperten an einander, als wäre man mitten im Winter gewesen; und bemerken Sie wohl, man war erst im Monat August des vorigen Jahres . . . Ah! was sage ich denn da?« rief das Kind.

Petrus lächelte.

»In der That,« sagte Regina, »Du siehst wohl, daß Du fabelst, Mädchen: Du sprichst vom Kalifen Harun al Raschid und vom vorigen Jahre! Du behauptest, die Ereignisse tragen sich in Bagdad zu, und Du bringst einen kleinen Savoyarden in Scene! Du bist heute nicht in der Begeisterung, Abeille; laß also Deine Fee Carita: ein andermal wirst Du glücklicher sein.«

»Soll ich aufhören, Herr Maler,« fragte Abeille Petrus, »und sind Sie auch der Meinung meiner Schwester?«

»Oh! durchaus nicht, mein Fräulein,« erwiderte Petrus; »ich halte die Geschichte für sehr interessant, so interessant, daß ich sie zeichne, so wie Sie dieselbe erzählen. Ich habe, mit Ausnahme des Kopfes, das schnatternde Mädchen schon beendigt, und ich fange an die Prinzessin Carita zu skizzieren.«

»Oh! zeigen Sie mir das!« rief Abeille, indem sie rasch von den Füßen von Regina, wo sie saß, aufstand und sich Petrus näherte.

»Nein, nein,« entgegnete Petrus, sein Papier verbergend; »die Zeichnungen sind wie die Mährchen: sie müssen nothwendig vollendet sein, um begriffen zu werden. Vollenden Sie also Ihr Mährchen, mein Fräulein; ich will meine Zeichnung vollenden.«

»Wo war ich?« fragte Abeille.

»Sie waren im Monat August des vorigen Jahres,« antwortete Petrus.

»Ah! wie böse sind Sie, daß Sie mir das vorwerfen, Herr Maler!« versetzte die kleine Abeille mit ihrer artigsten Mundverziehung; »ich habe mich getäuscht, als ich sagte das vorige Jahr, das ist das Ganze, Es konnte nicht im vorigen Jahre sein, da sich die Sache unter dem Kalifen Harun al Raschid zuträgt, und da Jedermann weiß, daß Harun al Raschid, der fünfte Kalis vom Geschlechte der Abassiden, im Jahre 809, fünf Jahre vor Karl dem Großen, gestorben ist.«

Nach dieser hoffärtigen Citation fuhr das Mädchen fort:

»Ich wollte sagen, es habe in Bagdad eine Hitze geherrscht, der ähnlich, welche hier im Monat August aus den äußeren Boulevards, bei der Barrière de Fontainebleau zum Beispiel, herrscht; das ist eine einfache Vergleichung. Man mußte sich also wundern, daß das Mädchen schnatterte, während man es in der Sonne nicht aushalten konnte, so heiß war es; was die Fee Carita sehr wohl bemerkte. Dem zu Folge bat sie ihren Vater, sie vom Pferde steigen zu lassen, damit sie das Mädchen fragen könnte, ob es nicht krank sei.

»Kaum hatte die Fee Carita die arme Kleine angeredet, als diese aus sie ihre großen Augen senkte, welche dem Himmel zugewandt waren.

›Warum,‹ fragte die Prinzessin mit ihrer sanften Stimme, ›warum zitterst Du so, mein Kind? bist Du krank?‹

»Ja, Frau Fee,‹ antwortete die Kleine, welche sogleich errieth, die Prinzessin sei eine Fee.

›Und was fehlt Dir?‹

›Ich habe das Fieber, wie man sagt.‹

›Und warum bist Du, da Du das Fieber hast, nicht in Deinem Bette?‹ sagte die Fee.

›Weil die Hunde noch kränker waren, als ich, wie es scheint, und man mich fortgeschickt hat, um dieselben spazieren zu führen.‹

›Nicht Deine Mutter hat Dich fortgeschickt, um die Hunde spazieren zu führen; Deine Mutter hätte Dir nicht erlaubt, schauernd, wie Du bist, auszugehen.‹

›Es ist in der That nicht meine Mutter, Frau Fee.‹

›Wo ist Deine Mutter?‹

›Ich habe keine mehr!‹

›Und wer gibt Dir Aufenthalt?‹

›Die Brocante.‹

›Wer ist die Brocante?‹

Die Kleine zögerte einen Augenblick; die Fee wiederholte ihre Frage.

›Eine Lumpensammlerin, die mich aufgezogen hat,‹ antwortete das kleine Mädchen.

›Du hast also keinen Verwandten?‹

›Ich bin allein aus der Welt.‹

›Wie! keine Mutter, keinen Vater, keinen Bruder?‹

»Das Mädchen fing an, nicht zu schnattern, sondern zu zittern.

›Nein, nein, nein,‹ sagte es, ›keinen Bruder! keinen Bruder!‹

›Arme Kleine!‹ sprach traurig die Prinzessin; ›und wie heißest Du?‹

›Ich heiße Rose-de-Noël.‹

›In der That, mein Kind, Du hast die krankhafte Farbe der Blume, deren Namen Du trägst.‹

»Das Mädchen machte eine Bewegung mit den Schultern, welche bedeutete: ›Was wollen Sie? . . . ‹

›Wo wohnst Du?‹ fragte die Prinzessin.

›Oh! Frau Fee, in einer der schmutzigsten, garstigsten Gassen von Bagdad.‹

›Ist es sehr weit von hier?‹

›Nein, Frau Fee, ungefähr zehn Minuten Weges.‹

›Nun wohl, ich werde Dich nach Hause führen und sagen, daß man Dich zu Bette bringt; willst Du?‹

›Ich will Alles, was Sie wollen, Frau Fee.‹

Die Kleine versuchte es, aufzustehen; doch sie fiel in den Graben zurück, so schwach war sie.

›Warte,‹ sagte die Fee, ›ich will Dich in meine Arme nehmen.‹

»Und die Prinzessin hob die arme Kleine aus. welche so schwächlich, daß sie nicht schwerer war, als eine große Puppe; sie brachte sie ihrem Vater; dieser nahm sie, setzte sie aus seinen Sattelbogen, und man begab sich aus den Weg, Rose-de-Noël auf dem Sattelbogen von Papa . . . Gut, da irre ich mich wieder! – Rose-de-Noël aus dem Sattelbogen des Papas der Fee, und die Fee zu Pferde, zwei von den kleinen Hunden haltend, welche nicht hätten folgen können; die drei anderen Hunde waren groß und trabten hinter den Pferden; die Krähe flog über dem Kopfe von Rose-de-Noël, welche nur zuweilen:

›Phares! Phares! Phares!‹

zu sagen brauchte.

»Man kam bald in eine Gasse, welche mitten am Tage so schwarz war, daß man hätte glauben können, man sei mitten in der Nacht; und obgleich mein Papa sagt, die Sonne scheine für Jedermann, so hat sie doch sicherlich nie für die Unglücklichen geschienen, welche in dieser Gasse vegetieren.

›Hier!‹ sagte die Kleine, indem sie den Zügel des Pferdes anhielt hier ist die Thüre.‹

»Die Thüre des Stalles, in welchem die Hunde meines Vaters sind, ist entschieden reinlicher, als die Thüre dieses Hauses. Man mußte sich bücken, um einzutreten, wie wenn man in einen Keller hinabsteigt; man mußte umhertappen, um die Treppe zu finden.

»Ein kleiner Knabe, der aus dem Weichsteine saß, und den Rose-de-Noël Babolin nannte, erbot sich, die Pferde zu halten, und die Prinzessin und ihr Vater gelangten endlich oben aus die Treppe, wo die Brocante wohnte.

»So jung und hübsch die Prinzessin, so alt und häßlich war die Brocante; es wäre für einen Fremden nicht schwierig gewesen, zu errathen, welche von Beiden der gute Genius war; die Prinzessin hatte beim ersten Blicke das Ansehen einer Fee; die Brocante brachte sogleich die Wirkung einer Hexe hervor. – Und sie war wohl wirklich eine Hexe, nach einem ungeheuren, aus einem Dreifuße stehenden, eisernen Topfe, in welchem Zauberkräuter kochten, nach einem langen Haselnußstabe, der im Boden befestigt war, mitten unter einem von großen schwarzen Nadeln durchstochenen Kartenspiele, und endlich nach dem Besen zu urtheilen, auf den sie sich erstaunt stützte, als sie den General Rose-de-Noël tragend und die Fee Carita die zwei kleinen Hunde tragend eintreten sah. – Ich rede nicht von den drei andern Hunden und von der Krähe: sie bildeten das Gefolge.

31Johann, Jean, oder Giovanni von Bologna, gewöhnlich G i a m b o l o g n a, genannt, brachte den größten Theil seines Lebens in Bologna zu, war aber in Douay geboren; daher diese Reklamation. Der Uebers.
32Biene.