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Die Mohicaner von Paris

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Bei diesem Aufrufe gab Roland einen Schrei freudiger Beistimmung von sich und legte seine zwei Vorderpfoten auf die Schulter seines Herrn, wie er es bei dessen Ankunft gethan hatte.

»Gut, gut,« sagte Salvator; »Du bist ein schöner, braver Hund, Roland, das weiß man . . . Nieder mit den Pfoten!«

Roland setzte seine Pfoten auf die Erde und legte sich wieder quer vor die Thüre. auf denselben Teppich, wo er lag als ihn Jean Robert zu sich rief.

»Und nun.‹ fragte Salvator, »wollen Sie kommen?«

»Gern; doch ich befürchte unbescheiden zu sein.«

»Warum?«

»Weil Ihre Gefährtin diesen Morgen einen Gang zu machen hat und vielleicht auf Ihre Begleitung rechnete.«

»Nein . . . Sie haben gehört, daß Sie mir antwortete, sie könne mir nicht sagen, wohin sie gehe.«

»Und Sie lassen so Ihre Geliebte an Orte gehen, die sie Ihnen nicht nennen kann?« fragte lachend der Dichter

»Wackerer Dichter, erfahren Sie, daß es keine Liebe da gibt, wo kein Vertrauen ist. Ich liebe Fragola von ganzem Herzen. und ich würde eher meine Mutter beargwöhnen, als daß ich einen Argwohn gegen sie hätte.«

»Gut; doch es ist vielleicht unvorsichtig, allein Morgens um sechs Uhr wegzugehen und mit einem Kutscher aus Paris hinauszufahren.«

»Ja. wenn sie nicht Roland bei sich hätte, doch mit Roland lasse ich sie die Reise um die Weit machen. Ohne zu befürchten, es könnte ihr ein Unglück widerfahren.«

»Dann ist es etwas Anderes.«

Während er sich sodann mit einer gewissen Coquetterie in seinen Mantel hüllte, sprach Jean Robert:

Sagen Sie . . . ich hörte Ihre Gefährtin, von einer ihrer Freundinnen redend, den Namen Regina nennen.«

»Das ist ein ungewöhnlicher Name . . . Ich habe die Tochter eines Marschalls von Frankreich dieses Namens gekannt.«

»Die Tochter des Marschalls von Lamothe-Houdan?« fragte Salvator.

»Ganz richtig.«

»Das ist die Freundin von Fragola . . . Kommen Sie!«

Jean Robert folgte, ohne ein Wort beizufügen, seinem Geheimnisvollen Gefährten.

Er ging von einem Erstaunen zum andern über.

XI
Die Seele und der Leib

Während seines zehn Minuten langen Aufenthaltes im Schlafzimmer hatte Salvator völlig die Kleider gewechselt.

Er war, wie man sich erinnert, in einem Sammetanzug eingetreten und kam heraus mit einem lang haarigen weißen Ueberrock einer bis an den Hals zugeknöpften, übereinander gehenden Weste und einer dunkelfarbigen Hose. Bei dieser Kleidung war es nicht möglich, genau zu sagen, welcher Klasse der Gesellschaft er angehörte: die Art, wie er diese Kleider trüge, die Sprache, die er spräche, würden ihm einen Rang in der Gesellschaft anweisen.

Den Hut auf dem Ohr, war Salvator ein Arbeiter im Sonntagsstaat; den Hut gerade auf dem Kopf, war Salvator ein Mann der Welt im Negligé.

Jean Robert bemerkte Alles: er bemerkte diese fast ungreifbare Nuance.

»Wohin wollen wir gehen?« fragte Salvator, als er sich wieder mir dem Dichter auf der Straße fand, nachdem er die Thüre seines Ganges zugezogen.

»Wohin Sie wollen! Haben Sie mich nicht für diese Nacht übernommen?«

»Thun wir, was die Alten thaten,« versetzte Salvator: »werfen wir eine Feder in die Luft und folgen wir derselben.«

Sie gingen bis mitten auf die Place Saint-André-des-Arcs. Salvator riß ein Stückchen Papier aus einem kleinen Portefeullie. überließ es dem Winde, und dieser trug es in der Richtung der Rue Poupée fort.

Die zwei Freunde folgten dem Papier, das vor ihnen flatterte wie einer von den schönen Nachtschmetterlingen mit den weißen Flügeln; sie kamen in die Rue de la Harpe.

Ein zweites in die Luft geworfenes Papier deutete ihnen den Weg nach der Rue Saint-Jacques an.

Sie gingen vor sich hin, ohne zu wissen, wohin sie gingen; wohin die Plauderei geht, wohin der Traum geht: auf den Zufall, aufs Gerathewohl; sie gingen ohne ein Ziel, ohne eine bestimmte Richtung: wohl Wind und die Wolke in einer schönen Nacht gehen; sie gingen um die Schätze ihres Geistes auszutauschen. um die frischen Blüthen ihrer Seele einzuathmen.

Zwei oder dreimal hatte es Jean Robert versucht das Geheimnis des mysteriösen jungen Mannes zu ergattern, jedes Mal war aber Salvator seinen Fragen entwischt, wie der Fuchs durch eine geschickte Finte dem Windhunde entkommt, der ihn verfolgt. Zu unmittelbar angegriffen, sagte er endlich:

»Was wir suchen, ist ein zu machender Roman, nicht wahr? was ich Ihnen erzählen soll, ist ein beendigter Roman? Ihrem Wunsche nachgeben, hieße rückwärts gehen. Gehen wir vorwärts!«

Jean Robert sah, daß sein Gefährte unbekannt zu bleiben wünschte, und drang nicht weiter in ihn.

Ueberdies wurde der Ideengang der jungen Leute durch einen Zwischenfall gestört.

Mehrere Männer und einige Frauen waren um einen auf dem Pflaster ausgestreckten Menschen versammelt.

»Er ist betrunken,« sagten die Einen.

»Er stirbt,« sagten die Andern.

Der Mensch röchelte.

Salvator durchschnitt die Menge, kniete nieder hob den Kopf des Menschen auf, wandte sich sodann gegen Jean Robert um und sagte:

»Es ist Barthélemy Lelong, der von einer Gehirncongestion getroffen stirbt, wenn ich ihm nicht auf der Stelle zur Ader lasse . . . Es muß in der Gegend ein Apotheker sein: klopfen Sie an die Thüre: die Apotheker sind verpflichtet zu jeder Stunde der Nacht auszustehen.«

»Jeder Robert schaute umher; die zwei jungen Leute waren, ohne daran zu denken, in die Mitte des Faubourg Saint-Jacques, ungefähr auf die Hohe des Cochin-Hospitals gekommen.

Dem Hospital gegenüber las Jean Robert an einer Art von Laden:

Apotheke von Louis Rentaud

Es war ihm wenig am Namen des Apothekers gelegen, wenn nur der Apotheker öffnete. Er klopfte wie ein Mensch, der die Nothwendigkeit der Eile begreiflich machen will.

Nach fünf Minuten ächzte die Thüre auf ihren Angeln. Herr Louis Renaud erschien auf der Schwelle seines Magazins mit einer Barchenthose bekleidet eine baumwollene Mühe auf dem Kopfe, und fragte, was man wolle.

»Halten Sie Binden und ein Waschbecken bereit; es muß einem Menschen der von einer Gehirncongestion bedroht ist. zur Ader gelassen werden.«

Man brachte den armen Zimmermann: er war völlig ohne Bewußtsein.

»Ist ein Arzt da, um den Kranken zu behandeln?« fragte Herr Louis Renaud. »Ich kann nicht zur Ader lassen und bin mehr Kräuterhändler als Apotheter.«

»Bekümmern Sie sich um nichts,« erwiderte Salvator; »ich habe Chirurgie studiert und werde die Operation übernehmen.«

»Ich besitze keine Lancette,« sagte der Apotheker.

»Ich habe mein Besteck bei mir,« versetzte Salvator.

Die Menge füllte das Magazin.

»Meine Herren« rief Salvator, »wollen Sie diesem Menschen nützlich sein?«

»Gewiß, Herr Salvator,« antwortete einer der Anwesenden, indem er dem jungen Manne die Hand reichte.

Salvator nahm die Hand, die sich gegen ihn ausstreckte, und Jean Robert glaubte den Commissionär ein Maurerzeichen mit dem ihm Unbekannten wechseln zu sehen.

Einige Stimmen wiederholten leise:

»Herr Salvator!«

»Nun,« sagte der junge Mann, der mehr als je Jean Robert seinen prädestinierten Namen zu verdienen schien, »während ich diesem Unglücklichen zur Ader lasse, klopft am Hospital an und meldet die Ankunft eines Kranken.«

Drei oder vier Personen entfernten sich, geführt von dem Manne, der mit Salvator gesprochen, und klopften an die Thüre des Hospitals.

Unterstützt von den Zurückgebliebenen nahm mittlerweile der Apotheker dem armen Jean Taureau die Halsbinde ab, entkleidete ihn seines Wammses und zog ihm den Arm aus seinem Hemde.

Die Halsadern waren zum Bersten angeschwollen.

»Muß man den Arm umbinden?« fragte Jean Robert.

»Haben Sie Binden bereit?« fragte Salvator den Apotheker.

»Ich will holen,« erwiderte Louis Renaud.

»Pressen Sie den Arm kräftig über der Ader, Herr Robert; ich hoffe, das wird genügen,« sagte Salvator.

Robert gehorchte; Einer der Anwesenden nahm das Ende des Armes, ein Anderer nahm das Becken, ein Dritter die Lampe.

»Geben Sie wohl auf die Arterie Acht!« sagte Jean Robert ein wenig beunruhigt.

»Ah! seien Sie unbesorgt,« erwiderte Salvator »mehr als elfmal habe ich bei Nacht zur Ader gelassen, ohne ein« anderes Licht, als den Mondschein oder das der Laterne. Solche Unfälle sind gewöhnlich bei diesen armen Teufeln und begegnen ihnen immer, wenn sie aus der Schenke weggehen.«

Er hatte nicht geendigt, als, ehe man seine mit der Lancette bewaffnete Hand sich dein Arme von Barthélemy hatte nähern sehen, das Blut schwarz und schaumig hervorsprang.

»Teufel!« sagte er, den Kopf schüttelnd, »es war Zeit.«

Die Operation war mit der Leichtigkeit und Handfertigkeit eines vollendeten Praktikers gemacht worden.

Barthélemy athmete.

»Wenn er genug Blut verloren hat. werden Sie es sagen,« sprach der Apotheker, der mit einer Binde herbeikam.

»Ah!« erwiderte Salvator, »wir können ihm ohne Nachtheil entziehen: es fehlt ihm nicht daran . . . Lassen Sie fließen!«

Als der Kranke zwei Schälchen Blut verloren hatte, schlug er die Augen auf.

Der erste Blick war trübe, glasig, unverständig; allmählich aber hellte sich sein Auge auf, der göttliche Strahl erschien darin. Der Blick von Barthélemy heftete sich aus den Liebhaber-Wundarzt.

»Oh! gut Herr Salvator,« sagte er, »denn wahrhaftigen Gott! es freut mich, daß ich Sie sehe.«

»Desto besser, mein lieber Barthélemy!« versetzte der junge Mann. »und ich bin auch erfreut, Sie zu sehen. Es fehlte wenig, daß ich dieses Vergnügen nicht mehr gehabt hätte.«

»Ah! ah,« sagte Barthélemy, der allmählich wieder zum Bewußtsein kam; »Sie haben mich also zur Ader gelassen?«

»Ja, ich,« erwiderte Salvator, während sorgfältig seine Lancette abtrocknete, und in sein Besteck schob.

 

»Sie wollten also nicht meinen Tod?«

»Ich? Aus welchem Grunde sollte ich Ihren Tod wollen?«

»Ah! da Sie mich die Treppe hinabwarfen, glaubte ich, man thue das nur, wenn man einen Menschen tödten wolle.«

»Sie sind ein Narr!«

»Nein, ich begreife, daß man die Leute tödtet, die einen in Zorn bringen, und ich habe Sie dadurch in Zorn gebracht. daß ich mich weigerte, das Fenster zu öffnen. Doch nachdem ich es hatte schließen wollen . . . ei! Sie begreifen, da konnte ich es selbst aus Ihren Befehl nicht mehr öffnen, ohne in meinen eigenen Augen entehrt zu sein . . . und dabei halte dieser Muscadin eine so hoffärtige Miene!«

»Dieser Muscadin hat mir so eben Ihnen das Leben retten helfen, Barthélemy; Sie sehen also, daß er Ihnen ebenso wenig als ich gehässig war.«

Barthélemy wandte sich um und sah Jean Robert der ihn lächelnd anschaute.

»Ah! es ist bei meiner Treue wahr!« sagte er.

Jean Robert reichte ihm die Hand und sprach:

»Ohne Groll, mein Freund!«

»Oh!« erwiderte Barthélemy, »ich bin kein Trotzkopf, und sobald Sie mir die Hand bieten . . . «

»Ich hätte gern hiermit angefangen,« sagte der Dichter; »Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß Sie das nicht wollten.«

»Das ist wahr,« versetzte Barthélemy, die Stirne faltend . . . »Ein Mann muß sehr dumm sein, daß er sich so viel Beschwerde macht, weil ein Weib . . . Aber begreifen Sie. Herr Salvator . . . Sie ist abermals mit diesem kleinen Schmächtling von Bobino zurückgekommen. Ich kann doch das Lumpenkerlchen nicht zerbrechen, und darauf zählte sie . . . Ah! sie weiß wohl, was sie thut, die Unglückliche, daß sie keinen Mann annimmt!«

»Stille, beruhigen wir uns Barthélemy.«

»Das ist für Sie leicht zu sagen, für Sie, der Sie ein Engel das gut im Hotels leben, Herr Salvator. Doch Sie verdienen das, in Betracht, daß Sie nur leben, um Guten zu thun; und man müßte von Gott verlassen sein, um Ihnen Böses anzuthun! . . . Gleich viel! so alt ich bin, ich bin ein guter Vater, und ich verdiene nicht, daß man mir meine Tochter entführt! Seit drei Tagen suche ich sie wie ein Narr; sie wird sich irgendwo bei ihrer schuftigen alten Mutter verborgen haben; doch bei ihr kann ich sie unmöglich holen: sie schreite ›Mörder!‹ sobald sie mich erblickt, so daß ich ihr schon zwei Nächte in der Salle Saint-Martin verdanke . . . Oh! ich würde wohl vier, und dann sechs, und dann acht Nächte dort zubringen. um meine Tochter meine kleine Fisine, wiederzusehen . . . Armee Cherub! . . . sie wird an Sommer Johanni zwei Jahre alt sein.«

Und der Coloß fing an, zu weinen wie ein Weib.

»Nun, was sagte ich Ihnen? fragte Salvator Jean Robert, der dieses seltsame Schauspiel neugierig betrachtete.

»Es ist wahr,« erwiderte der Dichter.

»Ah! man wird Dir Deine Tochter zurückgeben,« sprach Salvator.

»Sie werden das thun, Herr Salvator?«

»Wenn ich es Dir verspreche!«

»Ja, Sie haben Recht, und ich habe Unrecht: so bald Sie versprechen, ist es klar, daß Sie halten werden . . . Ah! thun Sie das, Herr Salvator; und wenn es sein muß . . . nun. sehen Sie . . . ich werde Ihnen nicht mehr die Mühe machen, mich die Treppe hinabzuwerfen. Sie sagen mir: ›Jean Taureau, wirf Dich!‹ und ich werde mich von selbst hinabwerfen.«

»Herr Salvator,« sprach zurückkehrend der Mann, der es übernommen hatte, am Hospital anzuklopfen, »es ist gegenüber offen.«

»Nicht für mich, hoffentlich?« versetzte Barthélemy.

»Und für wen denn? fragte Salvator.

»Ah! Ich gehe nicht dahin.«

»Wie Du gehst nicht?«

»Ich liebe das Spital nicht, das Spital, das ist gut für die Bettler, und man ist, Gott sei Dankt noch reich genug, um sich zu Hause verpflegen zu lassen.«

»Ja, nur wird man zu Hause schlecht gepflegt; zu Hause ißt man vor der Zeit, man trinkt vor der Stunde, und wenn man sich zwei oder dreimal zu Hause gepflegt hat, wie Du Dich pflegst so geht man an einem schönen Morgen ins Hospital, um nur bei Nacht wieder herauszukommen . . . Auf, Barthélemy, vorwärts.«

»Ich will nichts vom Spital, sage ich Ihnen.«

»Wohl, es sei! Kehre nach Hause zurück und suche selbst Deine Tochter; Du fängst an mich verdrießlich zu machen.«

»Herr Salvator, ich werde gehen, wohin Sie wollen . . . Herr Salvator, wo ist das Spital? . . . ich verehre das Spital.«

»So ist es gut«

»Doch nicht wahr, Sie werden ihr meine kleine Fisine wieder nehmen?««

»Ich verspreche Dir, ehe drei Tage vergehen, hast Du Nachricht von ihr.«

»Was werde ich aber während dieser drei Tage machen.«

»Du wirst Dich ruhig verhalten.«

»So bald als möglich, nicht wahr, Herr Salvator?«

»Man wird thun, was matt kann. Gehe!«

»Ja, ja, ich gehe, Herr Salvator . . . Ah! das ist drollig! wo sind denn meine Beine? ich kann nicht mehr gehen.«

Salvator winkte; zwei Männer näherten sich Barthélemy; er stützte sich auf sie und sagte, während er wegging:,

»Sie haben mir versprochen, mir spätestens in drei Tagen Nachricht von meiner Tochter zu geben, Herr Salvator; vergessen Sie das nicht.«

Und von der andern Seite der Straße, an der Thüre des Hospitals, die sich hinter ihm schließen sollte, rief der Zimmermann noch einmal:.

»Vergessen Sie nicht meine arme kleine Fisine, Herr Salvator.«

»Sie haben Recht,« sprach Jean Robert, »nicht in der Schenke muß man die Leute sehen.«

XII
Was man im Faubourg Saint-Jacques in der Nacht vom Faschings-Dienstag auf den Aschermittwoch im Hofe einen Apothekers hörte

Die Operation war beendigt, der Kranke im Hospital; die jungen Leute hatten sich nur aus den Weg zu begeben mit dem tröstlichen Gedankens, daß, würde sie nicht die Laune erfaßt haben, Morgens um drei Uhr in den Straßen von Paris umherzulaufen., ein Mensch gestorben wäre, der vielleicht noch dreißig bis vierzig Jahre zu leben hatte.

Ehe sie sich aber wieder auf den Weg begaben, verlangte Salvator von seinem Wirthe Wasser und ein Becken. um seine von Blut befleckten Hände zu waschen.

Das Wasser fand sich im Vorrath, die Waschbecken waren aber selten bei dem würdigen Apotheker; das einzige, das er besaß, enthielt das aus den Adern des Zimmermanns gezogene Blut. und Salvator hatte ihn ermahnt, dieses Blut sorgfältig aufzubewahren, um es dem Doktor zu zeigen, der am andern Morgen seinen Besuch im Hospital machen würde.

Das Verlangen des jungen Mannes erschien also Anfangs als eine Indiscretion.

Der Apotheker schaute rings umher und sagte endlich zu Salvator:

»Ei wenn Sie sich die Hände mit frischem Wasser waschen wollen, gehen Sie in den Hof und waschen Sie sich dieselben am Pumpbrunnen.«

Salvator nahm dies an; es waren auch einige Tropfen Blut auf die Hände von Jean Robert gespritzt: dieser folgte seinem Freunde.

Doch ein äußerst angenehmer Eindruck hielt sie auf der Schwelle der Thüre des Hofes zurück.

Sie schauten sich an

In der That, ihr Erstaunen war groß: sie hörten plötzlich, in dem Augenblick, wo sich die Küchenthüre den Apothekers geöffnet, unter dem Schweigen und der Ruhe dieser heiteren Nacht wie, durch einen Zauber die melodischsten Akkorde erklingen.

Woher kamen diese lieblichen Töne? von welchem Orte? von weichem himmlischen Instrument? Ganz nahe dabei war die hohe Mauer des Klosters. Entführte der Ostwind der Orgel der Kirche diese bezaubernden Accorde, um sie den spärlichen Wanderern der Rue Saint-Jacques zu bringen?

War die heilige Cäcilie selbst vom Himmel in dieses fromme Haus herabgestiegen, um den Aschermittwoch zu feiern?

Erhob sich die Seele einer im Alter der Engel gestorbenen Novize bei den Tönen dieser göttlichen Harfen zum Himmel?

Die Melodie, welche unsere zwei jungen Leute hörten, war weder eine Opernarie, noch das heitere Solo eines vom Maskenballe heimkehrenden Musikers.

Eh war vielleicht ein Psalm. ein Kirchenlied, ein Blatt aus einer alten biblischen Musik gerissen.

Das von Rachel, welche ihre Sühne in Roma beweint und nicht getröstet sein will, weil sie nicht mehr waren.

Das war es; denn wenn man diese Melodie hörte, glaubte man, wie klagende Schatten als heilige Hymnen der Kindheit, als religiöse Melancholien von Sebastian Bach und Palestrina vorüberziehen zu sehen.

Hätte man dieser richtenden Fantasie einen Namen geben müssen, so würde man sie: Resignation, genannt haben.

Kein mehr oder minder ausdrucksvoller Name hätte sich besser geschickt.

Die Melodie nahm zu Gunsten des Musikers ein.

Der Musiker mußte melancholisch und ergeben sein, wie seine Musik; die zwei jungen Leute hatten gleichzeitig diese Idee.

Sie fingen also damit an, daß sie thaten, was sie hier zu thun beabsichtigten. Nämlich, daß sie die Hände waschen, wonach sie den Musiker aufzusuchen fest entschlossen waren

Nachdem die Operation beendigt, brachte ihnen der Apotheker eine Serviette, wogegen ihm Jean Robert, um ihn für die Mühe, die man ihm gemacht, zu entschädigen, ein Fünf-Franken-Stück bot.

Um diesen Preis hätte sich der Apotheker gern dreimal in der Nacht stören lassen

Er verwickelte sich auch in Danksagungen.

Als Jean Robert dies sah, bat er ihn um Erlaubniß, noch einige Augenblicke im Hofe bleiben zu dürfen, um die klagende Melodie zu hören, die sich fortwährend mit der Überfülle der Improvisation verbreitete.

»Bleiben Sie, so lange Sie wollen,« antwortete der Apotheker.

»Doch Sie?« fragte Jean Robert.

»Ah! das belästigt mich in keiner Hinsicht, da ich meine Thüre wieder schließen und mich zu Bette legen werde.«

»Wie werden wir aber hinaus kommen?«

»Die Hausthüre wird bloß mit der Klinke und dem Riegel geschlossen: Sie brauchen nur den Riegel zu ziehen und die Klinke aufzuheben, und Sie sind auf der Straße.«

»Wer wird die Thüre wieder schließen?«

»Ah! bah! die Thüre! ich möchte so viel tausend Livres Einkommen haben, als sie im Jahre offen bleibt.«

»So geht Alles gut« sagte Jean Robert.

»Ja, Alles geht gut,« erwiderte entzückt der Apotheker.

Dann schloß er wieder seine Thüre und ließ die zwei jungen Leute als Herren des Hofes zurück.

Mittlerweile hatte sich Salvator einem Fenster des Erdgeschosses genähert, durch dessen Läden man Licht erblickte.

Offenbar kam aus dem Zimmer, auf das dieses Fenster ging, die Melodie.

Salvator zog die Läden an sich sie waren innen nicht angehakt und gaben nach.

Da erblickten sie durch eine Oeffnung des Vorhangs einen jungen Mann von ungefähr dreißig Jahren, der auf einem ziemlich hohen Tabouret saß und Violoncell spielte.

Obschon ein Musikheft auf einem Pulte, der vor ihm stand, geöffnet war, schien doch der junge Mann seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen nie auf die Blätter zu senken; er schien sogar nicht einmal das Bewußtsein des Stückes, das er spielte, zu haben, seine Haltung war die eines Menschen, der der tiefsten Seelenpein preisgegeben ist; seine Hand führte maschinenmäßig den Bogen, doch seine Gedanken waren anderswo.

Es fand offenbar in ihm ein entsetzlicher Kampf statt, ohne Zweifel der Kampf des Willens gegen den Schmerz, denn von Zeit zu Zeit verdüsterte sich seine Stirne, und während er die traurigsten Accorde aus seinem Instrumente hervorgehen ließ, schloß er die Augen, als ob er, die äußeren Dinge nicht mehr sehend, mit ihnen das Gefühl seines inneren Schmerzes verloren hätte. Endlich schien das Instrument wie ein Mensch im Todeskampfe, einen herzzerreißenden Schrei auszustoßen, und der Bogen entfiel den Händen des Musikers.

War die Seele besiegt, der Mensch weinte!i

Zwei große stille Thränen flossen über seine Wangen.

Der Musiker nahm sein Taschentuch. wischte sich langsam die Augen ab, steckte das Taschentuch wieder ein, neigte sich, hob den Bogen auf, setzte ihn aus die Saiten seines Violoncells und nahm seinen Gesang gerade da wieder auf, wo er ihn unterbrochen hatte.

Das Herz war besiegt; die Seele schwebte über dem Schmerze mit den Flügeln der Stärke.

Die zwei jungen Leute hatten eine tiefe Aufmerksamkeit und ein mächtiges Interesse dem einsamen Drama gewidmet, das vor ihren Augen in Erfüllung gegangen.

»Nun?« sagte Salvator mit fragendem Tone.

»Es ist unglaublich!« erwiderte Jean Robert, eine Thräne trocknend, die am Winkel seines Auges perlte.

»Das ist der Roman, den Sie suchten. mein lieber Dichter; er ist hier in diesem armseligen Hause, in diesem Menschen, der leidet. in diesem Violoncell, das weint.«

»Kennen Sie diesen Menschen?« fragte Jean Robert.

»Ich? Ganz und gar nicht,« antwortete Salvator; »ich weiß seinen Namen nicht; ich habe ihn nie gesehen; doch ich brauche ihn nicht zu kennen, um ihnen zu sagen. daß in ihm eines der düstersten Blätter vom Buche des menschlichen Herzens ist. Der Mann, der seine Thränen abwischt und mit dieser Einfachheit wieder zum Werke schreitet, ist ein starker Mann, das schwöre ich Ihnen, und daß dieser Mann geweint hat muß sein Schmerz ungeheuer sein. Treten wir ein und bitten wir ihn, uns seine Geschichte zu erzählen.«

 

»Was denken Sie?« versetzte Jean Robert. Indem er stehen blieb.

»Ich denke sogar nur hieran.« antwortete Salvator.während er auf die Thüre zuschritt und den Klopfer oder die Glocke suchte.

»Und Sie glauben, fragte Jean Robert, der seinen Gefährten zum zweiten Male zurückhielt. »Sie glauben, dieser Mann werde sein Unglück dem Ersten dem Besten, der ihn darum ersucht, erzählen?«

»Einmal sind wir, nicht die Ersten die Besten, Herr Jean Robert: wir sind . . . ‹

Salvator unterbrach sich. Jean Robert hoffte einen Blitz entschlüpfen zu sehen, mit dessen Hilfe er im vergangenen Leben seines Gefährten lesen oder wenigstens buchstabieren würde.

»Wir sind Philosophen,« fuhr Salvator fort.

»Ah! ja, Philosophe.« versetzte Jean Robert ein wenig verdrießlich.

»Überdies sehen wir weder wie betrunkene Magister, noch wie muthwillige Studenten, noch wie neugierige Spießbürger aus; unser Diplom als ehrliche Leute ist auf unsere Stirne geschrieben. Ich weiß nicht welche Meinung Sie beim ersten Anblick von mir gehabt haben, doch ich bin im Stande, zu behaupten, daß Jeder, der Sie sieht, und wäre es auch nur einmal, bereit sein wird, Ihnen sein Geheimnis zu geben, wie ich Ihnen meine Hand gebe.

Hierbei reichte Salvator dem jungen Manne die Hand, als ein Patent der Redlichkeit einem redlichen Menschen gegeben

»Treten wir also mit hoher Stirne ein; alle Menschen sind Brüder und sich Beistand schuldig, alle Leiden sind Schwestern und sich Hilfe schuldig.«

Diese Worte wurden mit einem Gefühle unbeschreiblicher Schwermuth ausgesprochen.

»Vorwärts also, da Sie es wollen!« sagte Jean Robert.

»Habe ich nicht alle Ihre Bedenklichkeiten gehoben, und haben Sie mir noch eine Einwendung zu machen?«

»Nein, Gleichwohl bin ich nicht so sicher als Sie, daß uns der Musiker günstig aufnehmen wird.«

»Er leidet, also ist es für ihn Bedürfniß. zu klagen, sprach Salvator; »wir werden für ihn providentielle Wesen, Abgesandte Gottes werden. Der verzweifelte Mensch hat nichts zu verlieren, er kann nur gewinnen, daß man seinen Kummer theilt. Treten wir also muthig ein, und bleibt Ihnen ein Schatten von Zaudern, so sage ich Ihnen, daß es nun nicht mehr die Neugierde ist, was mich antreibt, sondern die Pflicht.«

Und ohne die Antwort von Jean Robert abzuwarten, that Salvator, der weder Klopfer noch Glocke gefunden, drei kleine Schläge auf die Weise der Freimaurer an die Thüre.

Während dieser Zeit studierte Jean Robert durch die Scheibe die Wirkung welche diese Unterbrechung auf den Violoncellisten hervorbringen würde.

Dieser stand auf, legte seinen Bogen auf das Tabouret, lehnte sein Instrument an die Wand an und öffnete die Thüre, ohne das geringste Zeichen des Erstaunens von sich gegeben zu haben.

Diese Ruhe war vollkommen im Einklang mit der von Salvator ausgesprochenen Meinung.

Entweder erwartete dieser Mann Jemand. – und wen konnte er erwarten, wenn nicht einen Tröster?

Oder er war genug abgelöst von den Dingen, dieser Welt, daß ihn fortan nicht,. was von der Welt kam, in Erstaunen setzte, und dann mußte er ohne Vergnügen, aber auch ohne Aerger die zwei jungen Leute empfangen.

»Mit wem habe ich die Ehre, zu sprechen?« fragte er, als er Salvator und Jean Robert erblickte.

»Mit unbekannten Freunden,« antwortete Salvator.

Dieses Wort genügte dem Violoncellisten.

»Treten Sie ein,« sagte er, ohne sich mehr um den seltsamen Besuch und die Stunde der Nacht, in der er gemacht wurde, zu bekümmern.

Die beiden jungen Leute folgten ihm; Jean Robert, der zuletzt eintrat, schloß die Thüre hinter sich.

Sie befanden sich nun in eben dem Zimmer, wo sie den Musiker durch die Fensterscheiben gesehen hatten.

Es war ein Zimmer. das durch seine Einfachheit in Erstaunen setzte und entzückte; nicht einmal ein Zimmer, ein Stübchen, jedoch köstlich, reinlich und weiß von oben bis unten; eine wahre Nonnenzelle, was die Spärlichkeit der Meubles betrifft; ein wahrer Mädchenpalast hinsichtlich des zarten, bescheidenen Geschmacks, der ihre Wahl dictirt hatte. Man war, wenn man eintrat ganz erstaunt, einen jungen Mann in diesem Zimmer zu sehen; die Röthe würde Euch zu gleicher Zeit zu Gesichte gestiegen sein, da Euch der Gedanke gekommen wäre, der junge Mann hätte diesem keuschen Neste Gewalt anthun können. War es nicht das Lager eines Kindes, was man hinter diesem Vorhang von weißer Mousseline erschaute? Diese Zwergrosenstöcke, welche in kleinen Kristallgläsern blühten, war das nicht Spielzeug eines Kindes? Welche Hände pflegten diese lieblichen Vögel, die in ihren Kästchen flatterten, wenn nicht die eines zwölfjährigen Mädchens? Entweder war es nicht das Zimmer des Jungen Mannes, oder es wohnte ein Mädchen bei ihm: seine Schwester ohne Zweifel; und dennoch schien nach dem ersten Anblick der Musiker allein zu wohnen.

War es erlaubt, zu denken, eine andere Frau als eine Schwester habe das Recht, in dieses Zimmer einzutreten? Nein.

Das Zimmer war keusch; die Stirne des jungen Mannes klar.

Nie war eine unreine Frau in diesem Zimmer gewesen.

Nie hatte der Schatten eines schlimmen Gedankens die Oberfläche dieser Stirne gerunzelt.

Es fand sich eine Erklärung.

Ja, dieser junge Mann wohnte hier; doch seine Schwester trug Sorge für sein Zimmer, wusch es blänkte es, schmückte es mit seinen Blumen.

Wie konnte man also traurig sein in diesem heitern Winkel?

Von dem Violoncellisten eingeladen, sich zu setzen, wollten die jungen Leute dies nicht thun, bevor sie ihm den Zweck ihres Besuches erklärt hätten.

»Mein Herr,« sprach Salvator. »erlauben Sie mir, eine Frage an Sie zu richten, ehe ich mich bei Ihnen niederlasse. Liegt es in der Macht eines Menschen. das Unglück zu erleichtern, das Sie zu erdulden scheinen?«

Der Violoncellist schaute den, welcher diese philosophische Frage an ihn richtete, mit derselben Ruhe an, von der er einen Beweis gegeben, als er Morgens um drei Uhr, ohne nur zu fragen: »Wer ist da?« seine Thüre geöffnet hatte.

»Nein, mein Herr« erwiderte er einfach.

»Dann entfernen wir uns,« versetzte Salvator. »Lassen Sie uns Ihnen indessen immerhin in Form einer Entschuldigung sagen, warum wir uns Sie zu stören erlaubt haben. Dieser Herr (Salvator deutete mit dem Finger auf Jean Robert), dieser Herr ist im Begriff, ein Buch über die Leiden des Menschen zu machen; er studiert, wann er kann, wo er kann. Als wir in den Hof eintraten, hörten wir Sie; wir näherten uns, und durch die Scheiben dieses Fensters sahen wir Sie weinen.«

Der junge Mann gab einen Seufzer von sich.

Salvator fuhr fort:

»Was auch die Ursache Ihres Schmerzes sein mag, Ihre Thränen haben uns tief bewegt, und wir sind gekommen, um Ihnen unsere Börse anzubieten, wenn Sie dürftig sind, unsern Arm. wenn Sie schwach sind, unser Herz wenn Sie betrübt sind.«

Die Augen des Violoncellisten befeuchteten sich mit Thränen; diesmal waren es aber Thränen der Dankbarkeit.

Es war in den Worten von Salvator, in dem Tone mit dem sie gesagt worden, in der Physiognomie, die sie begleitete, in der ganzen Person des edlen jungen Mannes eine solche Redlichkeit, eine solche Größe, eine so tiefe Zärtlichkeit für seines Gleichen, daß man sich sympathetisch zu ihm hingezogen fühlte.

Hingetrieben durch diese unwiderstehliche Anziehungskraft, reichte ihm der Violoncellist beide Hände, und er sprach:

»Ich beklage diejenigen, welche ihre Wunde vor den Menschen verbergen, besonders, wenn sie blutet! Brüdern seine Wunden zeigen heißt sie dieselben vermeiden lehren. – Setzet Euch, Brüder, und hört mich an.«

Die zwei jungen Leute machten es sich jeder nach seinem Gefallen bequem, das heißt. Jean Robert streckte sich in einem Fauteuil aus, und Salvator lehnte sich stehend an die Wand an.

Der Mann mit dem Violoncell begann.