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Die Mohicaner von Paris

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XIII
Der Zögling und sein Professor

Und nun erlaube uns der Leser, unsere Erzählung an die Stelle von der den Violoncellisten zu setzen; die Erzählung wird vollständiger werden, da wir die Fähigkeit haben, von diesen vortrefflichen Manne, den wir in Scene gebracht, zu sagen, was seine Bescheidenheit ihm selbst zu sagen nie erlauben würde.

Sieben Jahre vor dem Tage, wo sich der Perstyl der riesigen Geschichte geöffnet hat, in welche einzugehen wir uns durchaus nicht gefürchtet, glich das Zimmer, das der Violoncellist bewohnte, und über das die zwei jungen Leute so sehr erstaunt gewesen waren, entfernt nicht dem, welchen wir in seiner reizenden Einfachheit beschrieben haben.

Statt den weißen Mousselinvorhanges, der das Bett umgab und dem Alcoven das Ansehen einer kleinen Kapelle verlieh; statt der auf dem Kantine stehenden Jungfrau von Stuck, die ihre beiden Arme über die Bewohner diesen Zimmern wie einen ewigen Segen ausstreckte; statt der zwei Leuchter mit ihren rosenfarbigen Kerzen, welche wie der Mousseline des Bettes und der Statuette der Jungfrau diesem Aufenthaltsorte einen Duft von Ruhe und Sammlung gaben, war es eine Art von niedriger, geplatteter, enger, kalter, feuchter Stube, ohne wohlriechende Blumen, ohne singende Vögel, Ihm Tapeten.

Die einzigen Zierathen der Wände bestanden in alten Stiche in geätzter Manier die Melancholie von Albrecht Dürer vorstellend, und dem Stiche gegenüber in einem kleinen Spiegel mit gelbem Holzrahmen, über dem zwei Buchszweige im Kreuze angebracht waren; der Hintergrund der Stube war verborgen durch einen großen Vorhang von grüner Sarsche, der mit Nägeln an den Balken der Decke befestigt, bis auf die Platten herabfiel, welche als Fußboden dienten: das war ohne Zweifel ein Schleier von befreundeten Händen vorgezogen, um vor dem Besuche das schmerzliche Schauspiel eines dürftigen Lagers zu verdecken.

Diese Stube war, mit einem Worte, die elendste traurigste Wohnung, die man sich möglicher Weise vorstellen kann; man fühlte sein Herz tief bewegt, wenn man umherschaute, denn man würde vergebens einen einzigen Punkt gesucht haben, wo das Auge angenehm hätte ausruhen können: die Wände schwitzten Nothdurft; die Balken der Stubendecke, die sich unter der Last bogen, welche sie vielleicht seit dreihundert Jahren trugen, drohten Untergang; die Atmosphäre war schwer, verdorben.

Erblickte man die Klappe, die man an der Thüre angebracht hatte, so schauerte man, wie wenn man einen Kerker besucht.«

Es war weniger die Zelle eines strengen Venobiten, als die Kammer eines armen Narren.«

Mit Ausnahme eines alten eichenen Tisches einer schwarz ungemalten hölzernen Tafel, um Demonstrationen mit der Kreide darauf zu machen, eines Pultes, auf dem ein dicker Band, ohne Zweifel die Werke von Händel oder die Psalmen von Marcello enthaltend. lag; mit Ausnahme einer ziemlich langen Bank, auf der acht bis zehn Personen Platz hatten, eines hohen Schemels und eines Strohstuhls, wer das Innere der Stube so kahl als die Wände.

Derjenige, welcher diese Stube bewohnte, war ein armer Schulmeister des Quartier Saint-Jacques.

Zu jener Zeit, nämlich im Jahre 1820, war es ihm durch große Geduld gelungen, eine kleine Kinderschule zu gründen.

Gegen die mäßige Summe von fünf Franken monatlich, die man ihm nicht immer pünktlich bezahlte lehrte er, nach seinem Programm, das Lesen. das Schreiben, die heilige Geschichte und die vier Species des Rechnens, in Wirklichkeit lehrte er aber viel mehr, als sein Programm versprach.

Der Sohn eines armen Pächters der Provinz, war er in einem Alter von zehn Jahren in das Collége Louis-le-Grund geschickt worden; kaum hatte man die Bücher vor ihm geöffnet, da erkannte der verständige Professor, dessen Sorge er anvertraut worden; in dem Knaben ungewöhnliches Geschick und seltene Anlagen.

Dieser Professor, ein bescheidener, wackerer Mann, alt an Jahren, jung an Herz, ein Baum, der in der Sonne der Welt steige getrieben und Früchte getragen hätte, der aber, der warmen Luft und der belebenden Säfte beraubt, hinter den feuchten, bemoosten Mauern seines Collége verkrüppelt war. faßte nach Verlauf eines Jahres Freundschaft für ihn und schloß sich ihm so zärtlich an, als sich nur ein Vater seinem letzten Kinde anschließen könnte.

Er war auch vor dreißig Jahren aus seiner Provinz nach Paris gekommen; gleichsam in fremder Sphäre inmitten dieser Gesellschaft in verjüngtem Maßstabe, die man das Collége nennt, umgeben von Familiensöhnen, reichen jungen Leuten, hatte er, ein armer Knabe, wie sein junger Schüler, in dem er sich wiederaufleben sah, sich mehr als einmal nach dem grünen Fußpfade zurückgesehnt, der nach dem väterlichen Pachthofe führte; mehr als einmal hatte er bittere Thränen bei der Erinnerung an die Freiheit geweint die man in der Luft seiner Heimath athmete, wie sein Zögling endlich, hätte er die Augen geschlossen, um die Vergangenheit zu vergessen, und er hatte sich blindlings auf den rauhen, holprigen Weg der Wissenschaft geworfen, wo der Hellsehendste sich immer an irgend einem unauflösbaren Problem, an einer unbekannten Theorie stößt.

Diese sympathetische Aehnlichkeit der Armuth, des Verstandes und der Vereinzelung gab von Anfang an, wir glauben dies schon gesagt zu haben. dem alten Professor die tiefste Zuneigung für den kleinen Justin. So hieß der Knabe.

Indem er ihm die erstere Tropfen der Wissenschaft einflößte, bemühte er sich. für ihn ihre Bitterkeit zu mildern;; er reichte ihm die Hand in den dichten Gestrüppen, welche die ersten Zugänge des Studiums versperren; er hielt von ihm die scharfen Dornen, die brennenden Nesseln ab; seine Sorgsamkeit scheute keine Mühe. um ihm unter seinen Schritten einen leichten Pfad durch das Dickicht dieses unbekannten Landes zu bahnen.

Justin seinerseits faßte für seinen alten Lehrer eine Zärtlichkeit so reich wie die eines Sohnes. so dankbar und ehrfurchtsvoll wie die eines Schülers.

Sobald die Erholungsstunde geschlagen hatte, durchschritt er, nachdem er Bücher und Hefte in seine Baracke eingeschlossen, wie man im Collége sagt, mit ein paar Sprüngen den Hof, und mochte er nun kein Vergnügen an den Spielen finden, hatte er keinen Freund von seinem Alter, oder war sein einziger Kamerad, sein einziger Freund sein alter Professor, sobald die Erholungsstunde geschlagen hatte, sagen wir, suchte er ihn in seinem Zimmer auf, und nun begann die süßeste Plauderei unter ihnen.

Bald war es die Geschichte, bald waren es die Mythologien oder die Reisen, die den Gegenstand dieses Gespräches bildeten; bald waren es die Werke der alten Dichter oder der großen Künstler, die man die Revue passieren ließ.

Drang plötzlich ein heiterer Sonnenstrahl, etwas wie eine Erinnerung an die Fluren, wie einen Wohlgeruch der Wälder mit sich bringend, ins Zimmer ein, da trieben die Verse von Virgil und Homer, diesen großen Priestern der Natur,, auf ihren Lippen, wie die Blumen im Monat April aus der Erde hervorkommen; der Greis bewunderte die Dichter durch die Natur und ließ den Knaben die Natur durch die Dichter anschauen.

Der Sonntag war es besonders, der im Flügel seines weißen Kleides die süßesten Stunden der Woche brachte.

An der Ecke des Kamins im Winter, in den Wäldern von Versailles, von Meudon und von Montmorency im Sommer war man einen ganzen Tag mit einander zuzubringen berechtigt.

Oh! diesen sechs Tage lang so sehr ersehnten Tag, wie benützte man ihn, indem man eine lange Diskussion über irgend einen streitigen Punkt in Angriff nahm.

An einem Tag war es ein alter Kamerad des Professors, der ihm einen Besuch gemacht, an einem andern Tag war es der Brief von der Familie, den man zehnmal las; kurz es war immer eine lehrreiche oder interessante Plauderei.

Wenn zufällig, – ein Zufall, der sich nicht nur einmal im Jahre wiederholte, – der Lehrer zu einer Feierlichkeit, zu einem offiziellen Mallet zum Obervorsteher oder zu einem hohen Funktionär der Universität gerufen wurde, wohin er Justin nicht mitnehmen konnte. so brachte dieser die Recreationen des Sonntags damit zu, daß er spazieren ging mit einem Knaben seines Alters, der arm und vereinzelt wie er, aber von einer Intelligenz, welche so widerspenstig war, als die seine leicht erfassend.

Es war dies fast der einzige Kamerad, den er im Collége hatte, nicht als wären ihm die an dem Zöglinge widerwärtig gewesen: im Gegentheil, er hätte Jedermann geliebt; doch ery war von Allen verlassen.

Die Ungleichheit des Vermögens trennt schon die Kinder in der Lehranstalt, wie sie die Männer später in der Gesellschaft trennen wird, und die zwei Schüler, deren Schatten man vereinigt sich auf die großen Wände der Pallisade im Recreactionshofe werfen sieht, sind immer zwei Arme oder zwei Reiche.

Eines Tage offenbarte sich der alte Lehrer von Justin diesem unter einer ganz neuen Form.

Längst hatte er ihm eine ebenso angenehme, als unerwartete Ueberraschung vorbehalten. Das Zimmer, das der gute Herr Müller, – dies war der Name des alten Professors, – bewohnte, lag über der Krankenstube; man war also zur äußersten Behutsamkeit genötigt, und der Boden war so dünn, daß man die leichtesten Tritte schallen hörte. Bei seiner Seelengüte hatte der alte Professor bange, die geringste Störung in der Ruhe der Kranken zu verursachen; aus diesem Grunde hatte er darauf Verzichtet, die einzige Leidenschaft, weiche je sein Herz schlagen gemacht, zu befriedigen: er betete die Musik an und spielte Violoncell mit der Wissenschaft und der Liebe eines deutschen Vinloncellisten.

Seit den drei Jahren, die er dieses unglückliche Zimmer bewohnte, – ein Datum, das ungefähr mit dem Eintritt von Justin ins Collége zusammenfiel, – hatte er weder seinen Bogen, noch sein Violoncell berührt, und dennoch wartete er, ohne sich zu beklagen, auf den Augenblick, wo er in dem neuen Zimmer. das man für ihn bestimmte und ihm seit achtzehn Monaten versprach, seine Lieblingsbeschäftigung wieder aufnehmen könnte.

 

Dieser sehnsüchtig erwartete Tag kam endlich.

Es war eine süße Ueberraschung für Justin, als er den in seine neue Wohnung eingesetzten, geliebten Meister die ersten Arcorde dem Violoncell, diesem Instrumente so ernst und schwermüthtig wie eine Klage der Wälder, entlocken hörte.

Justin gerieth in eine tiefe Extase, und so lange Herr Müller spielte, hörte er mit gefalteten Händen zu.

Von diesem Augenblick an ließ Justin nicht eine Minute seinem alten Professor Ruhe, bin er ihm von diesen so lange eingeschlafenen Harmonieschätzen mitgetheilt, welche erwachend alle Fibern seiner Seele in Bewegung gesetzt hatten.

Jeden Tag kam Justin, um seine Lection zu nehmen, das heißt, jeden Tag widmete der junge Mensch der Musik die Zeit, die er vorher der Recreation gewidmet, welche übrigens nie etwas Anderes, als eine unter dem Anscheine des Vergnügens verkleidete Arbeit gewesen war.

Dann entzifferte man die Werke der Meister, man verglich die Alten mit den Neuen, Porpora mit Weber, Bach mit Mozart, Haydn mit Cimarosa; man brandmarkte die Plagiatoren, man machte die Geschichte der Musik seit ihrem Anfange beim Gregorianischen Gesang bis auf Gui von Arezzo und von Gui von Arezzo bis auf unsere Tage; – sodann kam man von der Musik, – jedoch nur in der Art der Episode, – aus die Malerei und die Poesie, diese zwei Schwestern. zurück; kurz, wie der Lehrer einst seinen Zögling auf die grünen Ebenen der Wissenschaft geführt hatte, führte er ihn nun auf die azurblauen Ebenen der Kunst.

Aber diese durch eine sanfte und zugleich geschickte Hand in das Herz des Knaben geworfenen Samen keimten, blühten und trugen Früchte in der Vereinzelung Beider.

Die Vereinzelung hat das Gute, daß sie den Menschen zwingt, die unaussprechliche Zartheit zu begreifen, welche in ihm ist, eine Zartheit, von der er, verloren in dieser egoistischen Gesellschaft. die uns die Hälfte unseres Lebens, raubt, nie etwas müßte; die Vereinzelung gewöhnt den Menschen daran, eine beständige Rückkehr zu sich selbst zu machen: das ist die tägliche Sammlung.

Es ist eine ganze Religion in der Einsamkeit! die Vereinzelung macht die Schlechten gut, die Guten besser. Ja der Stille spricht Gott zum Herzen der Menschen; in der Einsamkeit spricht der Mensch zum Herzen Gottes.

Die Vereinzelung zu zwei ist noch besser, als die alleinige Vereinzelung! die Vereinzelung zu zwei ist ein Traum, ein Feenmährchen.

Das war der Traum des alten Lehrers und seines Zöglings, ein Traum von sieben Jahren, dem sie der Kummer plötzlich entzog.

Eines Morgens, an einem Sonntag im Februar 1814, kam der wöchentliche Brief, der Familienbrief.

Er war schwarz gesiegelt.

Das war nicht die Handschrift des Vaters, das war nicht die Handschrift der Mutter.

War der Vater gestorben? war die Mutter gestorben?

Wenn der Vater oder die Mutter lebte, warum verkündigte nicht der überlebende Theil die erschreckliche Nachricht?

Justin entsiegelte zitternd den Brief.

Das Unglück ging weiter, als die traurige Ahnung hatte vorhersehen können

Die Kosaken hatten die Ernte verwüstet, die Speicher geplündert, den Pachthof in Brand gesteckt; der Mutter, die sich auf das Bett ihrer Tochter geworfen, um sie den Flammen zu entreißen waren, die Augen verbrannt worden.

Die Mutter war blind!

Doch der Vaters warum hatte der Vater nicht geschrieben?

Der Vater, ein alter Soldat der Republik hatte, als er den Umfang seines Unglücks gesehen, den Kopf verloren; er hatte seine Flinte genommen und eine Jagd auf Kosaken angefangen.

Er tödtete neun derselben.

In dem Augenblick aber, wo er auf den zehnten anlegte, ohne zu bemerken, daß er selbst in einen Hinterhalt gefallen war, gingen ein Dutzend Schüsse zugleich los: zwei Kugeln durchbohrten seine Brust; eine dritte zerschmetterte ihm den Schädel!

Er stürzte todt zu Boden.

Der Lehrer theilte den Gram des Schülers; die Thränen des Greises und die des Kindes vermengten sich; aber Thränen und Klagen Vermochten nichts: man mußte sich verlassen.

Justin umarmte seinen zweiten Vater; – der Professor verdiente wohl diesen Namen, denn hatte der junge Mensch vom Ersten das Leben des Körpers empfangen, so hatte er vom Zweiten das Leben der Seele erhalten; und die zwei Freunde trennten sich.

XIV
Der Kampf des Lebens

Der Vater todt, die Mutter blind, die Schwester noch zu jung, um zu arbeiten, das Haus verbrannt, die Ernte vernichtet, – was konnte der arme Justin thun? – Ein Knabe von sechzehn Jahren!

Er schrieb Alles dies seinem alten Professor, und bat ihn um Rath.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten.

Herr Müller rieth Justin lebhaft, nach Paris zurückzukommen. War Paris nicht das Land der Mittel und Quellen?

Ueberdies würde er da seien um ihn mit allen seinen Kräften zu unterstützen.

Der wackere Mann war arm; doch er hatte Niemand auf der Erde, und so war er reich.

Er stellte seinen kleinen Schatz, die Ersparnisse von zehn Jahren, zur Verfügung von Justin, und er lud ihn ein in einem Hause in der Nähe des seinigen abzusteigen.

Es wäre Hochmuth gewesen, dies auszuschlagen; Justin kam nicht einmal ein solcher Gedanke: er nahm an.

Da geschah es, daß er sich in Paris in dem Hause des Faubourg Saint-Jacques, wo Jean Robert und Salvator eingetreten waren, niederließ.

Er nahm sein Quartier in der elenden Stube, von der wir unsern Lesern einen Begriff zu geben versucht haben.

Ein Jahr lang bewarb er sich vergebens auf allen Seiten um Lectionen.

Jeder lachte diesem Professor von fünfzehn und einem halben Jahre ins Gesicht.

Erst im zweiten Jahre erhielt er einige Repetitionen; doch das wenige Geld, das sie eintrugen, genügte entfernt nicht für die Nahrung von drei Personen.

Diese Repetitionen nahmen ihm nur drei Stunden im Tage weg; er suchte, welchen andern Erwerbszweig er betreiben könnte.

Da erfuhr er, die Stelle eines Musiklehrers an einem Pensionat von jungen Mädchen sei erledigt: er präsentierte sich, versehen mit einem Empfehlungsbriefe von Herrn Müller an die Vorsteherin der Anstalt.

Justin wurde mit offenen Armen empfangen.

Der gute alte Meister hatte in seinem Briefe gesagt, man würde ihm einen wahren Dienst erweisen, wenn man seinen Schößling annähme und ihm die erledigte Stelle gäbe. Der junge Mann habe es nötig, fügte er bei.

Die Vorsteherin der Anstalt, welche wußte, daß Herr Müller arm war, dachte, sie werde wohlfeilen Kaufes ihren Zweck erreichen.

Sie bot ihm zwanzig Franken monatlich an.

Der alte Professor, der auf seinen Zögling stolz war, rieth ihm, dies auszuschlagen.

Justin nahm das Gebot an.

Mit diesen zwanzig Franken monatlich und dem Gelde der Repititionen konnte man leben. – allerdings bescheiden, sehr bescheiden leben; doch das materielle Leben war gesichert.

Von dieser Seite hatte man also keine ernste Ursache der Besorgniß: die Vergangenheit war schwarz, die Gegenwart war nur düster.

Wo die Unruhe anfing, das war, wenn man den Namen des theuren Meisters im Hause ausgesprochen hatte.

Und die Stunde schlug nicht ein einziges Mal in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas, ohne daß dieser Namen ausgesprochen wurde.

Man war ihm den von ihm geborgten Schatz schuldig: eine Summe von tausend Franken, eine ungeheure Summe, welche Justin nicht einmal in einem Jahre verdiente; wie sie zurückbezahlen? wie Arbeit finden?

Man bewarb sich überall darum.

Wir wiederholen:die Mutter war blind; die Tochter war fleißig, aber von schwächlicher Gesundheit und fast immer krank.

Ein Holzhändler des Boulevard Mont Parnasse brauchte zweimal wöchentlich einen Buchführer.

Justin begab sich zu ihm.

Sein Anzug, ohne sehr dürftig zu sein, war doch höchst bescheiden; der Holzhändler gab fünfzig Franken seinem Vorgänger, einem Vorstadt-Dandy, der nur kam, wenn er keinen Sou mehr in der Tasche hatte, oder wenn ihm seine Liebesabenteuer Zeit ließen.

Der Holzhändler bot Justin fünf und zwanzig Franken: Justin nahm es an.

Mit der strengsten Sparsamkeit brauchte Justin vier Jahre, um die tausend Franken, die er nötig hatte vollständig zu machen.

Seine Repititionen im Griechischen und Lateinischen, seine Lectionen in der Musik seine Buchführung nahmen ihm nicht mehr als acht Stunden im Tage weg.

Es blieben ihm noch vier Stunden Tag und zwölf Stunden Nacht.

Er suchte neue Schüler und einen neuen Gewerbszweig. Justin fühlte sich zu Allem fähig, gestützt auf die doppelte Pflicht seine Mutter und seine Schwester zu erhalten und dem guten Müller sein Darlehen zurückzubezahlen.

Ein neuer Erwerbszweig war leichter zu finden, als neue Schüler.

Es fand ihn.

»Ein paar Schritte vom Hause, ein wenig weiter oben in der Vorstadt, war eine Typographie, wo eine täglich erscheinende Zeitung gedruckt wurde; der Factor, – ein braver Bursche, der wahrscheinlich zwölf Jahre voraus die Revolution von 1830 kommen fühlte, – brach, ohne Zweifel müde, die Bogen royalistischer Elemente seines Patrons, einen hohen Angestellten im Ministerium, zu corrigieren, – der Factor, sagen wir, brach eines Morgens seine Kette, öffnete seine Flügel und entflog.

Der Eigenthümer den Journale und der Drucker, welche am Abend in Verlegenheit waren, wie sie die Correkturen ihres Blattes sollten besorgen lassen, erfuhren, es wohne in der Nachbarschaft ein junger Mann, der mit den für diese mühsame Arbeit erforderlichen Eigenschaften begabt sei.

Man fragte ihn, ob er diese Stelle annehmen wolle.

Diese Stelle war das gelobte Land für Justin.

Justin war so glücklich, nichts von der Politik zu wissen, mit der sich zu beschäftigen er keine Zeit gehabt; so sehr sein Herz hassen konnte, haßte er die Fremden welche in Frankreich eingefallen waren, die Kosaken, die seinen Pachthof angezündet, die Augen seiner Mutter verbrannt seine Schwester zur Waise gemacht hatten.

Meinung hatte er aber keine, oder vielmehr, das arme, ehrliche Wesen! er hatte nur eine, seine Mutter und seine Schwester ernähren; dies tausend Franken Herrn Müller zurückbezahlen.

Man bemerkte ihm, er müsse zwei Drittel der Nacht arbeiten: er nahm dennoch an.

Als man ihn fragte, wie viel er als Verdienst verlangte, antwortete er: »Was Sie wollen.«

Er trat also um die Mitte des Jahres 1818 als Faktor in diese Druckerei ein.

Ein Jahr nachher, auf den Tag, hatte er seinem alten Lehrer die tausend Franken, die dieser ihm geliehen, zurückbezahlt.

Wieder ein Jahr später hatte er sechshundert Franken erspart.

Welche schöne Träume machte der arme Justin! er sah sich nach Verlauf von vier Jahren mit einer Mitgift von dreitausend Franken für seine Schwester und vierhundert Franken Tür die Hochzeitkosten ausgerüstet.

Aber er! er, was war er? Ein Arbeiter, ein Tagelöhner, eine Mühle, deren Ticktack nur von zwei Uhr bis sechs Uhr Morgens still stand.

Von diesen Menschen sprechend, hat ein frommer Mund gesagt: »Arbeiten ist beten.«

Der Traum von Justin hatte das Schicksal von jedem Traume: er entschwand.

»Justin wurde krank, schwer krank eine Hirnhautentzündung führte ihn in acht Tagen an die Pforte des Grabes.

Ein hitziges Fieber, das sie in ihrem Gefolge hatte fesselte ihn zwei Monate an sein Bett.

Ein russisches Sprichwort sagt: die Mißgeschicke kommen in Truppen.

Dieses russische Sprichwort hat Recht, wie wenn es ein französisches oder ein spanischen wäre.

Sobald der arme Justin krank war, entging ihm Alles.

Die Musiklectionen wurden einem von der Mode begünstigten Pianisten übertragen. der keine nötig hatte; doch er war in der Mode; er kam auch nur, wenn er zu kommen Zeit fand.

Die Buchführung wurde dem Dandy zurückgegeben, der sich gebessert zu haben behauptete.

Das royalistische Blatt hatte Bankerott gemacht; es war getödtet worden durch die Heftigkeit, mit der es die unfindbare Kammer zu unterstützen gesucht.

Da aber ein Factor ohne Zeitung ein Luxus war, den sich der verstorbene Eigenthümer nicht erlauben konnte, so Dunkle das gefallene Journal den Faktor ab.

Es blieben die Repetitionen.

Zum Unglück hatte man die Ferienzeit erreicht, und alle Zöglinge waren abgereist.

Glücklicher Weise aber war der gute Müller da; Müller, die Providenz der armen Familie, der Mann, durch den Gott ersetzt worden war, als Gott, mit dem Sturze eines Reiches beschäftigt, seine Blicke von dem demüthigen, in Brand gesteckten Pachthofe abgewandt hatte.

Man hatte ihm seine tausend Franken zurückgegeben: man konnte ihn wieder darum bitten.

 

Justin machte ihn zum Gegenstand seines ersten Ausgangs, zum Ziele seines ersten Besuches.

Er schleppte sich, noch schwach, indem et sich an den Wänden hielt, zum Professor.

Er fand ihn in seinem Zimmer auf einem kleinen Koffer sitzend, den er so eben geschlossen hatte.

»Ah! bist Du da, Junge!« sagte er, »es freut mich sehr, zu sehen, daß es besser geht.«

»Ja, Herr Müller« erwiderte Justin, »und Sie sehen. mein erster Besuch war Ihnen bestimmt.«

»Ich danke . . . Bei meiner Treue, ich war im Begriff, von Dir Abschied zu nehmen, Dir Lebewohl zu sagen.«

»Wie! Sie reisen also?« fragte Justin mit Besorgniß.

»Ja. mein Freund, ich mache meine große Reise.«

»Welche große Reise?«

»Ich sprach nie mit Dir davon, weil Du, wenn ich davon gesprochen hätte, nicht die tausend Franken, die Du mir zurückgegeben, von mir entlehnt haben würdest.«

»Mein Gott!« murmelte Justin.

»Ich habe Dir gesagt, ich sei von derselben Stadt, wie der berühmte, der große Weber; als Kinder kannten wir uns; als junge Leute liebten wir uns; als Mann habe.ich ihn bewundert! . . . Immer gelobte ich mir, nicht zu sterben, ohne den Autor vom Freischütz und von Oberon wiedergesehen zu haben; durch angestrengte Arbeit, – Du weißt. was das ist! – hatte ich mir tausend Franken erspart, um diese Krone der Freude und des Stolzes meinem Alter aufsetzen zu können; ich war im Begriffe abzureisen, als Du meine armen tausend Franken brauchtest. Ich sagte: ›Bah! wir sind noch jung: Gott wird Weber und mich lange genug leben lassen, daß Justin Zeit hat, mir die tauend Franken, die ich ihm anbieten will, zurückzugeben.‹

»Theurer Herr Müller!««

»Ich habe sie Dir angeboten, mein Kind; Du hast sie genommen; ich sah, wie Du Dich anstrengtes, armer Galerensclave der Ehre, um es dahin zu bringen, daß Du mir das Geld zurückgeben könntest, und ich alter Egoist, der ich Dir hatte sagen müssen: ›Arbeite weniger, Du hast Zeit die Jugend hat Mittel. doch man muß sie schonen!‹ ich sagte Dir nichts von Allem dem mein liebes armes Kind, und ich bitte Dich deshalb um Verzeihung . . . Ich ließ Dich machen; . . . allerdings hörte ich immer wiederholen: ›Der arme Weber ist krank; er hat es auf der Brust und wird es nicht lange treiben!‹ Abgesehen davon, daß in seiner Musik die letzten Seufzer einer entfliehenden Seele waren. In Folge von Entbehrungen hast Du mir die tausend Franken zurückgegeben; Du wirst aber wenigstens zugestehen, daß ich nie hierüber mit Dir sprach.«

»Ach! Herr Müller! . . . «

»Nein. ich schwöre Dir, mein armes Kind, das ist ein Bedürfniß für mich! Kaum hatte ich das Geld in den Händen. als ich mir sagte: ›Gut, das wird für die Ferien sein!‹ Du begreifst? wenn Weber, den ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe, sterben würde! . . . Aber, Gott sei Dank! ich werde ihn zuvor umarmen! . . . Oh! der liebe große Mann! ich habe gestern einen Brief von ihm erhalten; er ist in Dresden beschäftigt, eine deutsche Oper für den König von Sachsen zu componieren. Diesen Morgen habe ich gepackt, meinen Platz nach Straßburg bestellte hier ist mein Schein; heute Abend reise ich ab! Ich wollte zu Dir gehen, um Dich zum Abschied zu umarmt»mein Kind; Du kommst: wir frühstücken mit einander.«

»Ah! Herr Müller,« murmelte Justin mit erstickter Stimme, »ich esse noch nicht.«

»Welch ein Unglück. daß Du nicht mit mir reisen kannst! Nicht wahr, das ist unmöglich?«

»Ganz unmöglich.«

»Ich sehe es ein . . . Deine‹Musikstunden, Deine Repetitionen, Deine doppelte Buchhaltung, Deine Correkturen, Du wirst alles wieder aufnehmen?«

»Ja,« seufzte Justin.

Müller war so freudig gestimmt, daß er diesen Seufzer nicht hörte.

Dieser Seufzer. – so traurig als der letzte Gedanke von Weber, – war doch das Fahre wohl einer äußersten Hoffnung.

Justin hätte nur sagen dürfen: »Ich brauche Ihre tausend Franken, lieber Herr Müller, um nicht mit unvorsichtig raschem Schritte zur Gesundheit zurückzukehren; ich brauche Ihre tausend Franken, um meine Mutter und meine Schwester zu ernähren; Sie werden Weber später sehen, oder Sie werden ihn sogar nicht sehen, aber bleiben Sie guter Herr Müller, bleiben Sie!« Müller hätte vielleicht einen Seufzer so traurig als der, welcher Justin entschlüpfte, ausgestoßen, doch er wäre sicherlich geblieben.

Justin sagte nichts; er umarmte Herrn Müller, nahm von ihm Abschied, ging weinend nach Hause und fiel ganz niedergeschlagen auf sein Bett.

An demselben Tage, um fünf Uhr reiste Müller nach Dresden ab.

Als Müller abgereist war, erschöpfte mau die letzten Mittel.

Wiedergenesend, machte Justin eine neue, Anstrengung, und er ging dahin und dorthin, um sich seine alten Lectionen und neue Lectionen zu erbitten; doch zwei Drittel der Eltern antworteten ihm mit dem philanthropischen Dank: »Sie haben eine zu schlechte Gesundheit!«

Da kam dem jungen Manne, der Alles, fast seinen Muth, seine Hoffnung. seinen Glauben erschöpft hatte, der Gedanke. eine Prirnärschule in dieser armen Vorstadt, welche zu voll an Kindern, zu leer an Mitteln, zu gründen.

Eine wackere Arbeiterin wagte es zuerst, ihm ihren Sohn zu geben; eine Andere, welche im Tagelohn beschäftigt war und den ihrigen nicht behalten konnte, vertraute ihm denselben, mehr um sich seiner zu entledigen, als um ihn die vier Species lernen zu lassen; eine Dritte brachte ihm zwei Schüler zugleich, Zwillinge von sieben Jahren.

Nach Verlauf von sechs Monaten hatte er acht kleine Schüler, von denen die Einen immer blonder, immer frischer, immer rosiger als die Andern. Doch er mußte sie den ganzen Tag behalten, und seine acht Pensionäre trugen ihm monatlich vierzig Franken ein, denn er beschenkte sie, wie wir am Anfange des vorigen Kapitels gesagt haben, für fünf Franken monatlich mit allen Reichthümern den Schreibens, des Lesens und der vier Species.

Das bezahlt man übrigens auch heute noch den armen Schulmeistern dieser verlorenen Quartiere.

Nach zwei Jahren, im Monat Juni 1820, hatte er es zu achtzehn Schülern gebracht, was ihm tausend und achtzig Franken für den Unterhalt seiner Mutter seiner Schwester und von ihm gab, und mit dieser Summe lebten sie alle Drei, da sich das Wort leben streng genommen durch die Paraphrase: Nichts Hungers sterben! übersetzen läßt.

Was Herrn Müller betrifft, – er war nach Dresden gegangen und von dort wieder zurückgekehrt; er hatte Weber gesehen und umarmt; er war seinen ganzen Ferienmonat bei ihm geblieben, und bei seiner Rückkehr hatte er zu Justin gesagt:

»Ich habe bis auf den letzten Sou meine tausend Franken ausgegeben; doch. bei meiner Geige! ich bereue es nicht!«