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Die Mohicaner von Paris

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»Die Zahl der in jedem Jahre begrabenen Körper war in der That so erschrecklich, daß der letzte Todtengräber, Francis Poutrain, für seine Rechnung allein hier neunzigtausend niedergelegt hatte.

»Man ließ sich noch fünf Jahre zum Mitleiden hinsichtlich der Unglücksfälle bewegen, welche diese Fäulniß veranlaßte, und am 9. November 1785 beschloß endlich der Staatsrath die Aushebung des Friedhofes des Innocents.

»Die unter der Ebene von Montsouris, an der Stelle der Tombe-Issoire oder Isouard, – so genannt nach dem Namen eines berüchtigten Räubers, der in der Nachbarschaft hauste, – liegenden alten Steinbrüche schienen durch ihre Nähe bei der Stadt, durch ihren Umfang und ihre Geheimnisvolle Stille ein für die Gründung eines unterirdischen Friedhofes günstiger Ort zu sein.

»Diese Operation fand in drei verschiedenen Epochen statt; vom Monat September 1785 bis zum Monat Mai 1786; vom Monat December 1786 bis zum Monat Februar 1787, und vom Monat August 1787 bis zum Monat Januar 1788.

»Einer Gesundheitsmaßregel verdankt man also die Gründung dieser wunderbaren Stadt, genannt die Katakomben und errichtet zum Andenken an die Voreltern:

Memoriae majorum!

»Als wir, meine Gefährtin und ich, von dort weggingen, priesen wir die Sonne wie die Indianer.

»Ich schaute das Gesicht dieser schönen Person an: es schien mir unmöglich, daß sich nicht irgend eine Gemüthsbewegung beim Weggehen aus dem Innern dieser Grüfte verrathe . . . Nichts! durchaus nichts! Die Stirne hatte ihren ganzen Glanz; das Auge seine ganze Heiterkeit. Der Mund allein drückte etwas aus: eine gewisse Falte, die nicht gewöhnlich bei ihr war, ein Zusammenziehen der Unterlippe enthüllte klar den Gedanken:

›Pfui, es ist häßlich, was wir da gesehen, und ich begreife nicht, daß Liebende einen solchen Altar für ihr Opfer gewählt haben! . . . ‹

Das ist der Bericht von Paul Bocage, ein getreuer Bericht, daraus wollte ich die Hand ins Feuer legen, – denn Paul Bocage hat Augen, um zu sehen, und Ohren, um zu hören.

Nun, da man die Decoration kennt, wollen wir die Personen in Bewegung setzen.

CXXIV
Wo Herr Jackal einzusehen anfängt, daß er sich irrt, und daß der Kaiser nicht todt ist

Der Anblick dieser Oertlichkeiten hatte aus Herrn Jackal einen gewissen nervösen Eindruck hervorgebracht, den er nicht zu bemeistern im Stande gewesen war.

Herr Jackal war, wie gesagt, muthig, und schon bei mehr als einem Umstande hat der Leser seine Beherztheit zu würdigen vermocht; nur gibt es gewisse Bedingungen der Oertlichkeit, der Finsternis, der Atmosphäre, welche mit einem Schauer das Herz der Muthigsten ergreifen.

Der Schauer drang in das Herz von Herrn von Jackal ein; doch das war ein Mann, der in die Ausübung seines Standes jene Eitelkeit der Ausführung und seinen Stolz des Gelingens setzte, wodurch ein Handwerk zu einer Kunst wird. Sodann war Herr Jackal neugierig: er wollte durchaus wissen, wer die Menschen waren, die sich hundert Fuß unter der Erde versammelten, um zu rufen: »Es lebe der Kaiser!«

Indessen, da Herr Jackal den Muth nicht bis zur Verwegenheit trieb, so nahm er vollends alle für seine Sicherheit nothwendigen Vorsichtsmaßregeln, schlich sich in eine Vertiefung, die ihm mehr Schutz zu gewähren schien, als der Schatten des Pfeilers, hinter welchem er sich Anfangs verborgen hatte, ließ für jeden Fall den Dolch, den er immer bei sich trug, in seiner Scheide spielen, und da er an der Geberde des Redners wahrnahm, daß er zu sprechen im Begriffe war, und an den Geberden der Zuschauer, daß sie zu hören sich anschickten, so that er seine Augen und seine Ohren so weit aus, als er sie aufthun konnte.

Gedehnte St! und Bst! ließen sich vernehmen, und der Redner begann mit einer ernsten, sonoren Stimme, so daß Herr Jackal schon bei den ersten Worten erkannte, er werde nicht eine Sylbe von seiner Rede verlieren.

»Brüder,« sprach er, »ich will Euch Rechenschaft über meine Reise nach Wien geben. Ich bin in der vergangenen Nacht eingetroffen, und um Euch eine Kunde von der höchsten Wichtigkeit mitzutheilen, habe ich Euch auf heute Abend durch das Dienstpersonal unseres Chefs zu einer außerordentlichen Versammlung berufen lassen! . . . «

»Eine außerordentliche Versammlung!« murmelte Herr Jackal. »In der That, die Versammlung, die ich vor Augen habe, gleicht keiner anderen, welche ich bis jetzt gesehen.«

»Zwei Männer, deren Namen man nur aussprechen darf, um in Euch Erinnerungen des Ruhmes und der Ergebenheit zu erwecken, der Herr General Lebastard de Premont und Herr Sarranti sind vor zwei Monaten in Wien angekommen . . . «

»Laß doch ein wenig sehen!« sagte Herr Jackal; »mir scheint, ich kenne diese Namen auch! Sarranti, Lebastard de Premont . . . Ah! ja, Sarranti! er ist von Indien zurückgekehrt . . . Wenn der redliche Herr Gerard nicht todt ist, so wird es ihn sehr glücklich machen, Nachricht vom Mörder seiner Neffen zu erhalten! Teufel! das wird interessant.«

Und aus die Gefahr, sich durch das Geräusch des Einathmens zu verrathen, stopfte sich Herr Jackal eine ungeheure Prise Tabak in die Nase.

Der Redner fuhr fort; doch während er sich seiner wollüstigen Beschäftigung überließ, verlor Herr Jackal nicht ein Wort von dem, was Jener sprach.

»Sie haben Beide die Meere durchschifft und sind herbeigekommen, um uns in unseren Plänen zu unterstützen. Der General Lebastard de Premont stellt zur Verfügung der Sache sein ganzes Vermögen, das heißt Millionen, und Herr Sarranti, bekleidet mit dem ganzen Vertrauen des Königs von Rom, ist von diesem beauftragt, seine Flucht zu organisieren.«

Ein Gemurmel der Freude kreiste in der Versammlung.

»Ho! ho!« machte Herr Jackal; »hören wir! hören wir!«

»Vernehmt nun, was beschlossen worden ist, und worüber ich der hohen Venta Mittheilung zu machen beauftragt bin . . . «

»Ah!« sagte Herr Jackal, – der es nicht unterlassen konnte, und war es nur für ihn selbst, auf seine Weise Witz zu machen, – »ich erkläre mir nun, warum es hier so schwarz ist: wir sind mitten in der Köhlerei!83 Ich glaubte, diese Mine sei seit der Affaire von la Rochelle entdeckt! . . . Folgen wir dem Gange!«

»Unser Plan ist,« fuhr der Redner fort, »den Prinzen zu entführen, ihn nach Paris zu bringen, seine Ankunft mit einem Aufstande zu kombinieren. plötzlich seinen so mächtig volksbeliebten Namen auf die Plätze und die Kreuzwege zu werfen und mit diesem Namen alle dem alten französischen Ruhme treu gebliebene Herzen zu empören.«

»O weh!« sagte Herr Jackal, »diese Leute waren also nicht so närrisch, als ich glaubte, da sie: »Es lebe der Kaiser!« riefen.

»Der Prinz wohnt, wie Sie wissen, im Schlosse Schönbrunn, wo er allen Arten von Plackereien von Seiten der österreichischen Polizei ausgesetzt ist . . . «

Ein Gemurmel der Entrüstung durchlief die Versammlung.

»Gut!« sagte Herr Jackal, »nun schmähen Sie die Polizei von Herrn von Metternich! Diese Leute achten doch gar nichts!«

»Er bewohnt den rechten Flügel des Schlosses, genannt der Meldlinger Flügel. Jede nächtliche Annäherung ist ausdrücklich verboten und überdies verhindert: eine Schildwache steht unter den Fenstern des Herzogs, nicht um dem Sohne Napoleons die gebührende Ehre zu erweisen, sondern um den Gefangenen Oesterreichs zu bewachen.«

Etwas wie ein Gebrülle des Zorns erhob sich aus der Gruppe der sechzig Verschwörer.

»Von dieser Seite war es also unmöglich, zu ihm zu gelangen. Meine Brüder. Ihr kennt alle unsere bis heute fruchtlosen Versuche. Es mußte gewisser Maßen der Schatten unseres großen Kaisers über diesem Gefängnisse schweben, um uns die Thüren vom Kerker seines Sohnes zu öffnen . . . «

Es erscholl geräuschvolle Beistimmung.

Der Redner bedeutete durch einen Wink, man möge hören.

»St! Stille!« wiederholte man von allen Seiten.

»Versehen mit einem vom Kaiser selbst gezeichneten Plane, konnte also Herr Sarranti bis zum Erben des großen Mannes gelangen. Nachdem man nun fast einen Monat lang alle Fluchtmittel gesucht hatte, ist man bei folgendem stehen geblieben. Der Herzog hat die Erlaubniß, jeden Tag ein paar Stunden spazieren zu reiten; zuweilen ist es ihm begegnet, daß er erst bei Nacht zurückkam. Es ist mit Herrn Sarranti beschlossen worden, er werde an einem Nachmittag Schönbrunn verlassen, um seinen gewöhnlichen Spazierritt zu machen, und statt zurückzukehren, werde er diesmal mit Herrn Lebastard de Prémont zusammentreffen, der ihn mit Wagen, Pferden und zwanzig wohl bewaffneten Leuten am Fuße des Grünen Berges zu erwarten hätte. Relais werden an der ganzen Straße für den Gesandten von Rundschit-Sing bereit stehen; das Gold wird den Pferden Flügel geben. Der Tag der Flucht ist dem Willen der hohen Venta unterworfen. Herr Lebastard de Premont wird Nachricht hierüber erhalten und sie dem Herzog zukommen lassen; am Tage vor der Flucht wird Herr Sarranti abreisen, um dem Prinzen in Paris wenigstens vierundzwanzig Stunden zuvorzukommen.

»Die Gegenwart von Herrn Sarranti wird also das Signal zu einem Aufstande in Paris und in den bedeutendsten Städten Frankreichs unter dem Volke und in der Armee sein. Das Signal soll dem Prinzen auf folgende Art zugebracht werden . . . «

»Oh!« murmelte Herr Jackal. dergestalt in Anspruch genommen, daß es ihm nicht einfiel, seine Tabaksdose zu ziehen.

»Hört! hört!« riefen die Verschwörer.

Der Redner fuhr fort:

»Zwischen dem Gitterthore von Meidling und dem Grünen Berge ist eine Villa, an deren Fronton als Inschrift das griechische Wort Χαιζε steht. Man ist übereingekommen, der Tag, an welchem der letzte Buchstabe von diesem Worte fehle, würde der Tag der Flucht sein. Sobald die ersten Stationen zurückgelegt sind, wird man sich um nichts mehr zu bekümmern haben: die Relais sind an der ganzen Straße, von Baumgarten bis zur Grenze, ausgestellt. Hegen wir also keine Besorgnis aus dieser Seite; fassen wir nur so rasch als möglich einen Entschluß.

 

»Noch ein paar Monate, und das königliche Kind wird vielleicht die zur Vollführung nothwendigen Kräfte verloren haben: obschon es in diesem Augenblicke eine vortreffliche Gesundheit genießt, trägt es doch aus seiner Stirne die Spuren des Märtyrthums, welches es seit Jahren erduldet.«

Die Verschwörer schienen ihre Aufmerksamkeit zu verdoppeln; Herr Jackal athmete nicht.

»Aus einem der Kreuzwege dieser unterirdischen Gewölbe ist eine Centralventa versammelt,« fuhr der Redner fort. »Ich bitte Euch, noch während wir versammelt sind, einen Abgeordneten an sie zu schicken, um sie von unseren Plänen zu unterrichten. Ein Tag, eine Stunde, eine Minute Verzug kann Alles fehlschlagen machen. Ehe acht Tage vergehen, wird Herr Sarranti ohne Zweifel in Paris sein. Wollet Euch also rasch entscheiden: die Zukunft Frankreichs, die der Welt hängen von dieser Entscheidung ab, da Jeder von uns eine Venta und jede Venta Millionen von Menschen vertritt.«

Alle Mitglieder der Versammlung drängten sich um den Redner, wie Officiere, welche, um die Parole zu empfangen, herbeikommen.

»Teufel! Teufel!« sagte Herr Jackal. »diese Katakomben sind also eine Kohlengrube. Ich gestehe, ich möchte gern hören, was in der Centralventa geschwätzt wird; doch wie ist das zu machen?«

Herr Jackal schaute umher.

»Das Land ist groß, wenn auch nicht lustig . . . Bei meiner Treue, sie haben da ein hübsches Oertchen gewählt, sehr ruhig, sehr abgelegen! Und ich behandelte sie als Narren . . . Ah! man setzt sich wieder: sie haben einen Entschluß gefaßt, wie mir scheint.

Herr Jackal horchte mit einer so tiefen Aufmerksamkeit, daß er so unbeweglich erschien, als der Granitpfeiler, an den er angelehnt war.

Derjenige, welcher zuerst gesprochen, der, den Herr Jackal nicht gehört hatte, und der, aus einem hohen Steine sitzend, der Präsident der Gruppe zu sein schien, die der Zufall dem Polizei-Inspector vor die Augen gebracht hatte, dieser stand allein, winkte dem Redner, – der sich mit den Anderen wieder gesetzt hatte, – zu sich, und sagte ihm leise ein paar Worte, die Herr Jackal zu seinem großen Bedauern nicht hören konnte. Doch die Bewegung, welche sogleich in der Versammlung entstand, machte ihm den Sinn dieser Worte begreiflich.

Der Redner, nachdem er seinen Brüdern durch ein Zeichen mit dem Kopfe gedankt hatte, – was bewies, daß man ihm etwas Wichtiges zugegeben, – nahm in der That eine Fackel und wandte sich nach einer Art von Grotte, wo er alsbald, zur wachsenden Verzweiflung von Herrn Jackal, verschwand.

Dieser Abgang war indessen sehr leicht zu erklären, und Herr Jackal kannte zu gut den Cenbonarismus, um nicht zu begreifen, daß der Redner zum Abgeordneten bei der Centralventa ernannt worden war.

Da aber unsere Leser vielleicht nicht so gut unterrichtet sind als Herr Jackal, so mögen sie uns erlauben, ihnen mit ein paar Worten zu sagen, was die Organisation des Carbonarismus war.

Die Republicaner des Königreichs Neapel unter der Regierung von Murat hatten sich, beseelt von einem gleichen Hasse gegen die Franzosen und gegen König Ferdinand, in die tiefen Schluchten der Abruzzen geflüchtet und einen Bund unter dem Namen Carbonari gebildet.

Im Jahre 1819 nahm der italienische Carbonarismus eine große Entwicklung durch die Verbrüderungen mit den französischen Patrioten. Dieser Zuwachs erregte die Aufmerksamkeit und den Argwohn der Regierung der Restauration,

Ein Factum besonders setzte in Erstaunen.

Der Carbonaro Querini wurde criminell wegen eines Mordversuches verfolgt: bei der Untersuchung zeigte es sich, daß er einen Carbonaro schlagend, der das Geheimnis der Verbindung verrathen zu haben bezichtigt war, nur ein Urtheil der Alta Vendita vollstreckt hatte.

Durch die Behörden von diesem Umstande unterrichtet, ließ- der Justizminister den Lauf des gerichtlichen Verfahrens hemmen. »Eine Untersuchung und zu strenge Maßregeln,« schrieb er, »würde eine Furcht offenbaren, welche solche Gesellschaften nicht unter einer Regierungsform einflößen können, wo die Rechte des Volks anerkannt und gesichert sind.« Der Minister verbarg seinen eigenen Gedanken: der Carbonarismus war damals im Gegentheile der Gegenstand der hartnäckigsten Nachforschungen; doch er befürchtete, mit zu viel Eclat vollzogene gerichtliche Verfolgungen könnten eine Warnung für die zahlreichen Vente von Paris und den Departements sein, behutsamer als je zu Werke zu gehen.

Die Wiege des französischen Carbonarismus war ein Kaffeehaus der Rue Copeau; und seine Stister waren Joubert und Dugier, welche, nach dem Fehlschlagen des Complottes vom 18. August 1820, – in dessen Folge Herr Sarranti Frankreich verlassen hatte. – ihrerseits nach Italien gegangen waren, um dort eine Zuflucht gegen die Polizei der Restauration zu suchen. Während ihres Aufenthaltes in Neapel unter die Carbonari aufgenommen, hatten sie bei ihrer Rückkehr mehrere von ihren Freunden mit der Organisation des neapolitanischen Carbonarismus bekannt gemacht.

Bei einer Zusammenkunst, welche in der Rue Copeau, an der Ecke der Rue de la Clef bei einem Studenten der Medicin Namens Buchez stattfand, und der Herr Rouen der Aeltere, Advocat, die Rechtsstudenten Limperani, Guinard, Sautelet und Cariol, der Student der Medicin Sigond und die zwei Angestellten Bazard und Flottard beiwohnten; – in dieser Zusammenkunft, sagen wir, theilte Dugier die Statuten und Reglements des Carbonarismus mit.

Die an diesem Tage versammelten zehn junge Leute beschlossen, alle die zerstreuten Mitglieder der Verschwörungen, die sich bis dahin gebildet hatten, zu vereinigen und, eine französische Carbonari-Gesellschaft constituirend, einer und derselben Direction zu unterwerfen.

Drei von ihnen, Bazard, – der große Organisator dieser Gesellschaft, – Buchez und Flottard, übernahmen es, in die Reglements des italienischen Carbonarismus die letzten Modificationen zu bringen, welche die Sitten des Landes, wo er eingeführt wurde, nothwendig machten.

Man ging sogleich ans Werk, und Folgendes waren die Hauptdispositionen des Carbonarismus in Frankreich.

Die ganze Gesellschaft bestand aus drei Vente: die hohe Venta, die Centralventa, die besondere Venta. – Die hohe Venta, die oberste, unumschränkte, souveraine, unsichtbare, unbekannte Behörde, war einzig; die Zahl der Centralventa und der besonderen Vente war unbegrenzt.

Jeder Verein von zwanzig Carbonari bildete eine besondere Venta.

Drei besondere Vente fanden sich also vor den Augen von Herrn Jackal versammelt.

Jede von dieser isolierten Vente wählte aus ihrem Schooße einen Präsidenten, einen Censor, einen Secretär-Cassier, der die Beiträge empfing, und einen Abgeordneten.

Der Zweck jeder besonderen Venta war der Umsturz der Monarchie, – ein gemeinschaftlicher Zweck, in welchem der Carbonarismus gegründet worden war. Man bekümmerte sich wenig um das Wiederaufbauen, um das Reconstituiren: die Jesuiten fortjagen, den König fortjagen, das Joch brechen, daraus zielte vor Allem jeder Carbonaro ab, welche Sympathien er auch für diese oder jene Regierungsform haben mochte.

Bonapartisten, Orleanisten, Republicaner fanden sich also vermengt, und hätte Herr Jackal die hundert Augen von Argus gehabt, er würde ohne Zweifel in irgend einem dem der Bonapartisten entgegengesetzten Winkel die Fackeln der Orleanisten und der Republicaner haben strahlen sehen.

Jede besondere Venta hatte, wie gesagt, einen Abgeordneten: dieser von ihr bestellte Abgeordnete bildete die Centralventa.

Die Centralventa bestand, wie die besonderen Vente, aus zwanzig Mitgliedern, welche Mitglieder keine andere waren, als die zwanzig von zwanzig besonderen Vente gewählten Abgeordneten. Die Centralventa war organisiert wie die besonderen Vente: sie wählte ebenfalls einen Präsidenten, einen Censor und einen Abgeordneten.

Der Abgeordnete dieser Venta war zur hohen Venta delegiert, welche aus allen militärischen und parlamentarischen Notabilitäten jener Zeit bestand; sie bildete keinen Verein, und der Abgeordnete der Centralventa wurde immer, nur zu einem von ihren Mitgliedern delegiert.

Die Affiliirten selbst wußten auch beinahe keinen der Namen der Mitglieder der obersten Venta, und man kennt kaum heute mit Sicherheit die Hälfte davon.

Die Bedeutendsten waren: Lafayette, Voyer d’Argenson, Laffitte, Manuel, Buenarotti. Dupont (de l’Eure), von Schonen, Merithou, Barthe, Teste, Baptiste Rouer. Boinvilliers, die zwei Scheffer, Bazard, Couchois-Lemaire, von Corcelles, Jacques Köchlin u. s. w.

Endigen wir mit der Wiederholung, daß die Elemente, aus denen der Carbonarismus bestand, durchaus nicht denselben politischen Doctrinen angehörten. und daß Bürger, Studenten, Künstler, Militäre. Advocaten, obgleich aus verschiedenen Wegen gehend, doch von derselben Sache geleitet wurden, das heißt von einem glühenden Hasse gegen die Bourbonen der älteren Linie.

Wir werden übrigens bemüht sein, sie bei der Arbeit zu zeigen.

Und nun da unsere Leser so gut als Herr Jackal wissen, daß der Redner an die Centralventa als Abgeordneter delegirt worden ist, wollen wir unsere Erzählung wieder ausnehmen.

Nach dem Abgange des Deputirten entstand ein erschrecklicher Lärm; jedes der Mitglieder wollte sprechen. ohne zu warten, bis die Reihe an ihm wäre; die Einen, um sich verständlich zu machen, stießen wilde Schreie aus; die Anderen schwangen ihre Fackeln, als ob es Degen und Säbel gewesen wären; kurz, es war eine entsetzliche Verwirrung, und die Strahlen der geschwungenen Fackeln wurden, sich in tausend verschiedenen Richtungen bewegend, das Bild der verworrenen und divergirenden Gedanken aller Mitglieder dieser Geheimnisvollen Versammlung.

»Ho! ho!« murmelte Herr Jackal, »man sollte glauben, sie seien schon an der Spitze der Regierung: sie verstehen sich nicht mehr.«

Nach Verlauf einer halben Stunde dieses Tumultes sah man in der Tiefe der Grotte, hinter dem Präsidenten, das Licht einer Fackel emportauchen, und der Redner oder vielmehr der Abgeordnete bei der Centralventa erschien.

Er sprach nur ein Wort; doch dieses Wort, wie das quos ego von, Neptun, genügte, um die stürmischen Wogen wieder zur Ruhe zu bringen.

»Einverstanden!« sagte er.

Jedermann klatschte Beifall, und aufs Neue erscholl dreimal der Ruf: »Es lebe der Kaiser!« den Herr Jackal bei seinem Eintritte in die Katakomben gehört hatte.

Nun wurde die Sitzung ausgehoben.

Alsdann stiegen alle Verschwörer nach einander auf den Stein, der dem Präsidenten als Fauteuil gedient hatte, und vertieften sich in die Grotte, wo wir den Redner haben eintreten sehen.

Fünf Minuten nachher herrschten die Stille und die Finsternis, des Todes allein noch unter diesen massenhaften Gewölben.

»Ich glaube, ich habe nichts mehr hier zu thun,« sagte Herr Jackal, den diese Stille und diese Finsternis nicht gerade mit Heiterkeit erfüllten. »Kehren wir aus das feste Land zurück; es wäre nicht guter Ton, unsern Busenfreund Gibassier länger warten zu lassen.«

Und nachdem er sich versichert hatte, daß er ganz allein war, zündete Herr Jackal seinen Wachsstock wieder an und wandte sich nach der Spalte des Brunnens, welche so unvermuthet den geübten Augen des Polizeichefs die aufrührerische Versammlung, bestehend aus Männern, von denen er geglaubt, sie seien verdunstet, verflüchtigt, verschwunden, verrathen hatte.

»He!« rief Herr Jackal, »sind wir immer noch da oben?«

»Ah! Sie sind es,« erwiderte Longue-Avoine; »wir fingen an unruhig zu werden.«

»Ich danke, kluger Ulysses,« sagte Herr Jackal, »Ist das Seil solid?«

»Ja, ja,« antworteten im Chore die Stimmen der fünf bis sechs Agenten, welche die Oeffnung des Brunnens bewachten.

»So zieht!« rief Herr Jackal. der während dieser Zeit den Haken am Ringe seines Gürtels festgemacht hatte.

Sobald dieses letzte Wort gesprochen war, fühlte Herr Jackal, daß man ihn von der Erde mit einer Kraft und einem Willen aushob, wodurch zugleich der Wunsch der Agenten, ihren Ches zu sich zurückzubringen und ihr Verlangen, ihn ohne Unfall zurückzubringen, bezeichnet wurden.

»Ah! es war Zeit!« sagte Herr Jackal, während er den Fuß wieder aus das Pflaster von Seiner Majestät König Karl X. setzte; »eine Viertelstunde später wurde ich von den Ratten zernagt, welche diesen reizenden Ort emaillieren.«

 

Die Agenten drängten sich um Herrn Jackal.

»Es ist gut, es ist gut,« sagte dieser, »ich fühle den Werth Eures Eifers; doch wir haben keine Zeil zu verlieren. Wo ist Gibassier?«

»Im Hotel-Dieu mit Carmagnole, der beauftragt ist, ihn nicht aus dem Gesichte zu verlieren.«

»Gut,« sprach Herr Jackal. »Trage das Seil zu Dir zurück, Longue-Avoine; schließe sorgfältig die Thüre des Brunnens wieder, Maldaplomp, und Ihr Anderen, vorwärts, wenn’s beliebt! . . . In einer halben Stunde Alle Rendez-vous aus der Präfectur.«

Und der kleine Trupp begab sich in der Stille auf den Weg, durch die Rue des Postes und die Rue Saint-Jacques sich nach dem Hotel-Dieu wendend.

Man kam auf der Schwelle des Hospitals gerade in dem Augenblicke an, wo Herr Jackal, geräuschvoll eine Prise Tabak schlürfend, sich folgenden humoristischen Reflexionen überließ.

»Wenn ich bedenke, daß wir, gefiele es mir, Jackal, nicht, gute Ordnung in die Sache zu bringen, wahrscheinlich in der nächsten Woche das Kaiserreich hätten . . . Und diese einfältigen Jesuiten halten sich für die absoluten Herren des Königreichs! Und dieser ehrliche Mann der König, der aus der Erde jagt, indeß man im Begriffe ist, ihn unter dieselbe zu jagen!«

Während dieser Zeit hatte sich das Hotel-Dieu aus das Geräusch der von einem der Agenten gezogenen Klingel geöffnet.

»Es ist gut,« sagte Herr Jackal, indem er seine Brille auf seine Nase niederdrückte, »erwartet mich aus der Präfectur.«

Und der Chef der Sicherheitspolizei trat in das Hospital ein, dessen Thüre man hinter ihm schloß.

Es schlug vier Uhr auf Notre-Dame.

83Carbonart, Köhler, Kohlenbrenner.