Tasuta

Die Mohicaner von Paris

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Was haben Sie Euch aber gethan, diese unglücklichen Diebe? Könnt Ihr sie nicht im Frieden arbeiten lassen? Plagen Sie Euch? beklagen sie sich über das Gesetz gegen die Presse? machen sie Satyren gegen Euch? schreien sie über die Jesuiten? Nein! sie lassen Euch ruhig Euer kleines politisches Ultra machen. Habt Ihr je einen Einzigen bei einem Complott gefunden? Statt ihnen Hilfe und Schutz zu gewähren wie friedlichen, harmlosen Leuten, – statt väterlich die Augen über ihre kleinen Streiche zu schließen, sitzt Ihr ihnen mit aller Erbitterung aus dem Nacken, und das nennt Ihr Polizei machen! Pfui! Herr Jackal. das ist armselige, gemeine Knickerei, das ist die Kindheit der Kunst, das ist die Polizei, wie sie im irdischen Paradiese getrieben wurde, wo man Adam und Eva, wegen eines unglücklichen Apfels verhaftete, statt die Schlange, welche konspirierte, gefänglich einzuziehen. Hören Sie, Herr Jackal, nicht später als vorgestern hat man verhaftet . . . wen? das frage ich Sie: den Engel Gabriel!«

»Ihren Freund? . . . Oh!«

»Das entrüstet Sie . . . «

»Man hat ihn also wiedererkannt?«

»Nicht einmal; er hatte Hunger, der ehrliche Junge, und er trat, der arme Unschuldige, bei einem Bäcker ein, um ein Brod zu verlangen. Der Bäcker war übler Laune, weil man ihn aus der That des Verkaufs mit falschem Gewichte ertappt hatte, und er zu zwölf Franken Buße von der Zuchtpolizei verurtheilt worden war. Er verweigerte brutaler Weise das Brod. das der arme Ausgehungerte von ihm forderte: da nahm er das Brod, biß darein, und trotz des Geschreis des Bäckers hatte er es verzehrt, ehe Ihre Agenten ankamen: die Agenten kamen wirklich, und statt den Bäcker zu verhaften, verhafteten sie Gabriel!«

»Ja,« sagte Herr Jackal, »ich weiß wohl, daß sich Fehler in unserer Gesetzgebung finden; doch mit Ihrem Rathe wird man sie bekämpfen, redlicher Gibassier!«

»Während nun Ihre Agenten dieses abscheuliche Geschäft trieben, wissen Sie was ungefähr hundert Schritte unter ihnen vorging?«

»Man conspirirte, nicht wahr?«

»Und wissen Sie, was das Losungswort der Verschwörung war?«

»Es lebe der Kaiser! Ah! ich sehe wohl, daß der Puits-qui-parle für Sie gesprochen hat, wie für mich, Gibassier. Und welche Consequenzen haben Sie aus diesem Rufe gezogen?«

»Daß wir, ehe ein Monat, drei Wochen, vierzehn Tage vielleicht vergehen, eine andere Regierungsform haben werden.«

»Nun wohl, dieses Geständniß macht, daß ich Ihnen nur noch wenig zu sagen habe!«

»Doch ich, ich habe Ihre Befehle zu erwarten, mein Marschall,« sagte Gibassier, indem er die Geberde eines Officiers machte, der die Hand vor einem Obern an seinen Hut legt.

»Wann werden Sie sich auf Ihren Beinen halten können?«

»Wann es sein muß,« erwiderte Gibassier.

»Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden.«

»Das ist mehr als ich brauche.«

»Morgen früh werden Sie nach Kehl abreisen. Longue-Avoine wird Ihnen Ihre Pässe übergeben. In Kehl werden Sie im Gasthause zur Post absteigen. Ein von Wien kommender Mann wird in einer Postchaise passieren. Achtundvierzig Jahre, schwarze Augen, ergrauender Schnurrbart, bürstenartig geschnittene Haare, Größe fünf Fuß sieben Zoll. Er wird unter irgend einem Namen reisen; sein wahrer Name ist Sarranti. Sobald er vor Ihren Augen erschienen ist, werden Sie ihn nicht mehr aus dem Gesichte verlieren. Die Mittel, das ist Ihre Sache. Bei meiner Rückkehr hierher wünsche ich zu wissen, wo er wohnt, was er thut, was er thun wird. Hier ist eine Anweisung aus tausend Thaler zahlbar in der Rue de Jerusalem. Sie bekommen zwölftausend Franken, wenn Sie glücklich meine Instructionen erfüllen.«

»Ah!« sagte Gibassier, »ich wußte wohl, das Verdienst werde früher oder später belohnt.«

»Was Sie da sagen, ist um so wahrer, Gibassier, als ich, kennete ich ein Verdienst, das größer, als das Ihrige, die Sendung ihm anvertrauen würde, mit der ich Sie betraue. Und nun, mein lieber Gibassier, wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen eine gute Gesundheit und glücklichen Erfolg.«

»Ah! was die gute Gesundheit betrifft, so bin ich schon geheilt. Das Verlangen, Seiner Majestät nützlich zu sein, hat diese wunderbare Cur gemacht. Was den glücklichen Erfolg betrifft, so verlassen Sie sich aus mich.«

In diesem Augenblicke trat Longue-Avoine ein und sprach leise mit Herrn Jackal.

»Sie kennen das Wort von König Dagobert, mein lieber Gibassier,« sagte Herr Jackal: ›So gut auch eine Gesellschaft sein mag, man muß sie am Ende verlassen;‹ doch die Pflicht vor dem Vergnügen, die Tugend vor der Freundschaft. Gott besohlen, und viel Glück!«

Hiernach verließ Herr Jackal rasch Gibassier.

Als er aus den Vorhof von Notre-Dame kam, fand er hier eine Reiseberline bespannt mit vier Pferden nebst zwei reitenden Postillons.

»Bist Du da, Carmagnole?« fragte Herr Jackal, während er den Wagenschlag halb öffnete.

»Ja, Herr Jackal.«

»So bleibe hier.«

»Sie nehmen mich mit nach Wien?«

»Nein, ich lasse Dich unter Weges.«

Alsdann, sich gegen Longue-Avoine umwendend:

»Man hat vorgestern, in der Rue Saint-Jacques, einen Unglücklichen verhaftet, der ein Brod gestohlen hatte; man verwahre ihn mir abgesondert: ich habe bei meiner Rückkehr mit ihm zu sprechen; er antwortet auf den Namen Engel Gabriel.«

Hiernach sprang er in den Wagen, nahm in aller Breite im Fond Platz, während Carmagnole bescheiden aus dem Vordersitze blieb, und rief dem Postillon, der den Wagenschlag schloß, zu:

»Straße nach Belgien! und sechs Franken Trinkgeld!«

»He! hörst Du, Jolibots?« rief der Postillon seinem Kameraden zu; »sechs Franken Trinkgeld!«

»Doch man wird rasch fahren!« fügte Herr Jackal seinen Kopf durch den Schlag steckend bei.

»Daß die Funken davon fliegen,« erwiderte der Postillon, während er sich in den Sattel schwang.

Und der Wagen verschwand in dem Augenblicke, wo die Sonne erschien.

CXXVII
Mignon

Lassen wir Herrn Jackal und Carmagnole in aller Eile auf der Straße nach Deutschland hinfahren; setzen wir zwischen sie und uns die Grenze Frankreichs, und kehren wir nach dem Hause der Rue de l’Quest zurück, vor welchem wir eines Morgens den mit Wappen geschmückten Wagen der Prinzessin von Lamothe-Houdan haben halten sehen.

Machen wir es wie sie, treten wir unter das Gewölbe des Thorweges; doch statt uns hier aufzuhalten, wie sie, steigen wir die drei Stockwerke eines neu gebauten Hauses hinaus, und bleiben wir vor einer mit Nägeln versehenen und wie eine arabische Thüre geschnitzten Thüre stehen.

Handeln wir nun als Freunde, drehen wir den Knopf ohne anzuklopfen, und wir werden uns aus der Schwelle unseres alten Bekannten Petrus Herbel befinden.

Es war ein anbetungswürdiges Atelier, daß Atelier von Petrus; ein Maleratelier vor Allem, doch auch das eines Musikers, eines Dichters, eines Fürsten, denn der große Hause irrt sich, wenn er denkt, die Maler haben das ausschließliche Privilegium der Ateliers. Alles, was denkt. Alles, was componirt, alle Arbeiten des Geistes mit einem Worte fühlten sich schon damals beengt in jenen Rattenfallen, die man Arbeitscabinete nannte. Es scheint, um sich zu seiner wahren Höhe zu erheben, hat der Gedanke, dieser königliche Sklave, wie die großen Adler, Raum und Luft nötig. Es wird aber, wie wir hoffen, eine Zeit kommen, wo die Hauseigenthümer, selbst Leute von Geist geworden, die Wohlthat der Ateliers begreifen und die Miethsleute, die sie nicht begreifen, zwingen werden, dieselben aus Ton zu bewohnen, wenn nicht, weil sie ihnen den Vorzug geben, oder weil sie zum Bedürfnisse geworden sind.

Zu einer Zeit, wo das pittoreske Atelier kaum aus das classische Atelier folgte, konnte das von Petrus als ein Typus der Wohnung eines Raphaels der neuen Schule angesehen werden.

Wir haben übrigens gesagt, daß es ein Atelier war, welches eben sowohl einem Maler, einem Musiker, einem Dichter und einem Prinzen anstehen konnte.

Der Leser ist unser Zeuge, daß wir den Prinzen zuletzt genannt haben, denn der Adel des Genies ist unserer Ansicht nach viel älter, als der des Herrn Grafen von Merode, welcher von Merovig abzustammen behauptet, sogar als der des Herrn Herzogs von Levis, welcher mit der Jungfrau verwandt zu sein betheuert. Wir bestreiten diese zwei Abstammungen nicht; doch der Adel von Shakespeare und von Dante ist nach unserer Meinung viel älter und ehrwürdiger. Der Eine stammt von Homer ab, der Andere von Moses.

Trat man bei Petrus ein, so war man erstaunt, überrascht, entzückt. Alle Sinne bebten, denn alle Sinne waren zugleich ergriffen: das Gehör durch das Seufzen der Orgel; der Geruch durch Benzoe und Aloe, die aus türkischen Räucherpfännchen brannten; das Gesicht durch den Anblick der tausend Gegenstände, welche das Auge nach allen Seiten zogen.

Es waren Betpulte aus dem vierzehnten Jahrhundert mit Schnitzwerk mit Glöckchen, steife Gemälde mit lebhaften Farben, Meisterwerke aus der Regierungszeit von Karl IV.. Ludwig XI, und Ludwig XII., deren Meister man eben so wenig kennt, als man die Architekten und die Bildhauer unserer schönsten Kathedralen kennt; es waren Truhen von, der Renaissance, von Heinrich III. und Ludwig XIII., mit Inkrustationen von Schildpatt, Perlmutter und Elfenbein; es waren Statuetten von den Gräbern der Herzoge von Burgund oder von Berry losgemacht, betende Mönche, schwermüthige heilige Frauen, heilige George und heilige Michaele Drachen bändigend, die Einen angemalt wie die Apostel der Sainte-Chapelle, die Anderen vergoldet wie die Evangelisten von Mont-Real; es waren, am Plafond hängend, holländische Käfige, wie man sie an den Fenstern der Frauen von Miéris sieht, kupferne Lampen mit gebogenen Schnäbeln, wie man in den Stillleben von Gèrard Dow findet; es waren Waffen von allen Arten, von allen Zeiten, von allen Ländern, von den Framea der langhaarigen Könige bis zu den schönen, guten Stutzbüchsen, welche damals aus den Werkstätten von Devisme hervorzugehen anfingen, von der ursprünglichen Mordkeule, dem Bogen und den vergifteten Pfeilen der Wilden von Neu-Seeland, bis zu den Krummsäbeln der türkischen Paschas und den Pistolen mit ciselirten Kolben der arnautischen Soldaten; es waren, mitten unter Allem dem, gehalten von unsichtbaren Fäden, die ihnen das Ansehen gaben, als flögen sie mit eigenen Flügeln, See- und Landvögel von Europa, Africa, America und Asien, von allen Größen und allen Farben, von dem riesigen Albatros, der aus den Wolken aus seine, Beute wie ein Meteorstein niederfällt, bis zum Königsvogel, welcher wie ein vom Winde fortgetragener Karfunkel oder Saphir erscheint; sodann Gypsabgüsse. Reproduction der Meisterwerke von Phidias und Michel Angelo, von Praxiteles und Jean Goujon, nach der Natur geformte Torsos, Büsten von Homer und Chateaubriand, von Sophokles und von Victor Hugo, von Virgil und von Lamartine; an allen Wänden endlich Studien, nach Poussin, Rubens, Velasquez, Rembrandt, Watteau, Greuze, Skizzen von Scheffer, Delacroix, Boulanger und Horace Vernet.

 

Ließ sich das beim Anblicke so vieler Gegenstände erstaunte, sogar unruhige Auge durch das Ohr leiten, und suchte das Instrument und den Musiker, von dem die melodischen Töne und die geschickten Finger das Zimmer mit Wogen von Harmonie erfüllten, so drang der Blick in die Vertiefung eines Fensters mit farbigen Scheiben ein, dessen Ausschnitt als Rahmen für eine Orgel diente, und er verweilte aus einem jungen Manne von achtundzwanzig bis dreißig Jahren, mit bleichem Gesichte, mit melancholischen Zügen, der seine Finger aus den Tasten umherirren ließ und Accorde mit einem trefflichen Gefühle, aber mit einer tiefen Traurigkeit improvisierte.

Dieser Musiker war unser Freund Justin. Seit mehr als einem Monat hat er sich bei Jedermann erkundigt, und trotz der Versprechungen von Salvator hat er nichts erfahren.

Er scheint, um die Musik dazu zu machen, Verse zu erwarten, die ein anderer junger Mann dichtet oder übersetzt. Dieser andere junge Mann mit braunem Teint, mit krausen Haaren, mit verständigem Auge, mit fleischigen, sinnlichen Lippen, ist unser Freund Jean Robert. Er steht und übersetzt zugleich.

Er steht für ein Bild von Petrus und übersetzt Verse von Göthe.

Ihm gegenüber ist ein bewunderungswürdiges Kind von kaum vierzehn Jahren, mit einem von den Fantasiecostumen, die es so gern trägt, Goldzechinen am Halse und aus der Stirne, eine rothe Schärpe um den Leib, in einem Kleide mit goldenen Blumen, und mit reizenden bloßen Füßen. Sammetaugen, Perlzähnen und ebenholzschwarzen, bis aus die Erde fallenden Haaren.

Das ist Rose-de-Noël im Costume von Mianon.

Sie tanzt für ihren Freund Wilhelm Meister den Eiertanz, den sie aus der Straße für ihren ersten Herrn zu tanzen sich geweigert hat.

Wilhelm Meister dichtet, während sie tanzt, schaut sie an, lächelt und kehrt zu seinen Versen zurück.

Wir haben gesagt, Wilhelm Meister sei unser Dichter gewesen.

Neben Rose-de-Noël, auf der Erde liegend, und das schwermüthige Lächeln des Kindes erklärend, ist ein anderer kleiner Mohicaner des guten Gottes, den wir beim Schulmeister und bei Brocante gesehen haben, Babolin in der Tracht eines spanischen Possenreißers. Er vervollständigt das wunderbare Genrebild, das Petrus eben der Leinwand einverleibt, und das, was den Kunstwerth betrifft, zwischen einem Isabey und einem Decamps die Mitte hält.

Petrus ist immer der junge Mann, halb Künstler, halb Aristokrat, mit dem uns bekannten schönen, edlen Gesichte. Nur ist dieses Gesicht mit einem Schleier tiefer Traurigkeit bedeckt, der, statt es zu erheitern, das bittere Lächeln, das zuweilen über seine Lippen schwebt, noch trübseliger macht.

Dieses bittere Lächeln ist der innere, unbekannte Gedanke, der hervortritt; er hat nichts mit dem gemein, was er macht, noch mit dem, was er sagt.

Was er macht, wir wiederholen es, ist ein Gemälde Mignon vorstellend, wie sie vor Wilhelm Meister den Eiertanz tanzt.

Was er sagt, ist:

»Nun, Jean Robert, ist das Lied von Mignon vollendet? Du siehst wohl, daß Justin wartet.«

Woran er denkt, was macht, daß ein bitteres Lächeln auf seinen Lippen sichtbar wird, ist, daß gerade zu dieser Stunde, wo er sein Bild vollendet, an dem er seit drei Monaten arbeitet, wo er Jean Robert fragt: »Hast Du geendigt?« wo er mit einem Batistsacktuche seine Stirne, auf der der Schweiß perlt abwischt, es ist, sagen wir, daß zu eben dieser Stunde die schöne Regina von Lamothe-Houdan den Grafen Rappt in der Saint-Germain-des-Prés-Kirche heirathet.

Es gibt nun, wie Sie sehen, doch eine gewisse Analogie zwischen dem, was vor sich geht, und dem Gemälde, das Petrus macht.

Rose-de-Noël, welche für Mignon steht, ist eine Erinnerung an die schöne Regina, die er mit einer so tiefen Liebe liebt, und die ihm in diesem Augenblicke für immer entgeht. Einen Moment hat sich das düstere Leben der armen kleinen Zigeunerin beim glänzenden Reflexe des Lebens von Regina aufgehellt. Um einen Vorwand zu haben, sich, und wäre es nur mittelbar, mit der Tochter des Marschalls, mit der Frau des Grafen Rappt, – denn Regina wird die Frau seines Nebenbuhlers sein. – zu beschäftigen, hat Petrus diese Rose-de-Noël gesucht, deren Portrait er schon, ohne sie zu kennen, skizziert hatte; er hat sie gefunden und mit Hilfe von Salvator endlich bestimmt, ihm zu stehen.

Und Sie sehen, Rose-de-Noël steht, entzückt über ihr schönes Costume, das ihr Petrus hat machen lassen, und mit ihren großen erstaunten und zugleich entzückten Augen diese zauberhafte Reproduction ihrer Person auf der Leinwand betrachtend.

Man muß auch sagen, kein Maler, kein Dichter, weder Petrus, der ihr Bild reproduzieren wollte, noch Göthe, der es geträumt, Niemand hätte eine Mignon der ähnlich, welche Petrus vor den Augen hatte, sich einbilden und noch weniger formen können.

Stellen Sie sich das elende Kind oder vielmehr die elende Kindheit vor, mit ihren naiven Schönheit, mit ihrer goldenen Sorglosigkeit, und dennoch, durch diese Schönheit und diese Sorglosigkeit, irgend etwas Melancholisches, Träumerisches.

Erinnern Sie sich jener fieberhaften Schönheit, jenes schnatternden in der Barke sitzenden Mädchens von dem schönen Bilde von Hebert, das man die Malaria nennt?

Nein, stellen Sie sich nichts vor, nehmen Sie nichts an; Sie haben die Augen Ihrer Einbildungskraft, und Sie werden besser sehen, als es uns gegeben, ist, Sie sehen zu machen.

Wem glich nun diese Mignon von Petrus?

Das war schwer zu sagen.

Hätte man Rose-de-Noël zu Rathe gezogen, so würde sie, die kleine Zigeunerin des Bildes sehend, sicherlich gesagt haben, die Mignon von Petrus gleiche der Fee Carita oder vielmehr Fräulein von Lamothe-Houdan.

Während, – erklären Sie diese Sache, wie Sie wollen. Leser, – während wenn Regina befragt worden wäre, sie unstreitbar gefunden hätte, diese Mignon gleiche Rose-de-Noël.

Woher kommt dies?

Davon, daß Petrus Rose-de-Noël anschaute und an Regina dachte.

Rose-de-Noël aufschauend und an Regina denkend hatte er aber gesagte »Nun. Jean Robert, das Lied von Mignon, ist es vollendet? Du siehst wohl, daß

Justin wartet.«

»Hier ist es,« erwiderte Jean Robert.

Justin wandte sich halb auf seinem Tabouret um, Petrus ließ seinen Malerstock und seine Palette auf seinen Schoß niedersinken, Rose-de-Noël schaute über

den Schultern dein Jean Robert die durchstrichenen Mückenfüße an, welche die drei Streichen des in Deutschland so populären Liedes von Minoen repräsentierten, und Babolin erhob sich auf seinen Ellenbogen.

»Lies, wir hören,« sagte Petrus.

Jean Robert las:

 
Connais-tu le pays où les citrons fleurissent,
Où l’orange jaunit sous son feuillagee vert,
Où les jours sont de flamme, où les nuits s’attiédisent,
Où règne le printemps où exilant l’hiver?
Ce doux pays où croit le myrte solitaire.
Où le laurier grandit dans un air enbaumé,
Dis moi, le connais-tu? Non. Eh bien, c’set la terre
Où je voux retourner avec toi, bien-aimé!
Connais-tu maison où s’ouvrit ma paupière,
Où ces dieux de granit aui faisaient mon effroi,
En me voyant rentrer, de leurs lèvres de pierre
Murmureront: »Enfant, qu’avit an fait toi?«
Change nuit, comme un phare, en mon rêve etincell
Sa vitre, qui s’allume au couchant entflammé.
Cette maison dis mois, la connais-tu? C’est celle,
Où j’aurais voulu vivre avec toi, bien aimé!
Connais-tu la mantagne où l’valanche brille,
Où la mule chemine en un sentier brumeux,
Où l’antique dragon rampe avec sa famille;
Où bondit sur les rocs le torrent écumeux?
Cette montagne, il faut la franchir dans la nue.
Car c’est de son sommet que le regard charmé
Découvra à l’horizon la terre bien connue
Où je vudrais mourir avec toi, bien aimé! 85
 

»Und Sie werden mich sie singen lehren, nicht wahr?« sprach Rose-de-Noël.

»Allerdings.«

Petrus war im Begriffe, auch etwas zu sagen, als man dreimal in bestimmten Zwischenräumen an die Thüre klopfte.

»Ah!« rief Petrus erbleichend, »das ist Salvator.«

Sodann mit einer Stimme, der er ihre Festigkeit wiederzugeben suchte:

»Herein!«

Man hörte die Stimme von Salvator sagen:

»Lege dich, Roland.«

Hiernach öffnete sich die Thüre, und Salvator erschien in seiner Tracht eines Commissionärs.

Roland blieb auf dem Ruheplatze vor der Thüre liegen.

CXXVIII
Das Rendez-vous

Salvator schritt langsam herbei, und so wie er herbeischritt, erhob sich Petrus unwillkürlich.

»Nun,« fragte Petrus, »ist es vorbei?«

»Ja,« antwortete Salvator.

Petrus wankte.

Salvator ging rascher, als wollte er ihn aufhalten; Petrus sah die Absicht und strengte sich an, zu lächeln.

»unnötig, ich wußte, daß das kommen mußte,« sprach er.

Und er strich noch einmal mit seinem Batistsacktuche über seine feuchte Stirne.

»Ich habe Ihnen etwas zu sagen,« fuhr Salvator mit leiser Stimme fort.

»Mir?« fragte Petrus.

»Ihnen allein.«

»Dann kommen Sie in mein Zimmer.«

»Sind wir Dir lästig, Petrus?« fragte Jean Robert.

»Ei! warum? Ich habe mit Herrn Salvator zu reden und gehe in mein Zimmer; bleibt Ihr hier. Justin hat seine Musik zu machen.«

Und er trat zuerst in sein Zimmer ein, winkte Salvator, ihm zu folgen, und überließ diesem die Sorge, die Thüre wieder zu schließen.

Hier, als wären seine Kräfte nun erschöpft, sank Petrus in einen Lehnstuhl und rief:

»Oh! sie, sie, dieser Engel! die Frau dieses Elenden! es gibt also keine Vorsehung in dieser Welt!«

Salvator schaute einen Augenblick den jungen Mann an, der, den Kopf in seinen Händen, kaum sein Schluchzen zurückzuhalten vermochte und krampfhaft bebte.

Er stand vor ihm, und sein Auge drückte ein tiefes Mitleid aus.

Dieser Mann mußte das Maß aller Leiden dadurch kennen, daß er sie erschöpft hatte.

Dann zog er langsam aus seiner Tasche einen in einem Umschlage von Atlaßpapier fein zusammengelegten Brief, reichte ihn Petrus mit einem gewissen Zögern und sagte:

 

»Nehmen Sie.«

Petrus entfernte seine Hände von seinem Gesichte, schüttelte den Kopf und richtete seine einen Moment verstörten Augen aus Salvator.

»Was ist das?« fragte er.

»Sie sehen es, ein Brief.«

»Ein Brief von wem?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber wo hat man Ihnen denselben übergeben?«

»Gegenüber dem Hotel Lamothe-Houdan.«

»Wer hat Ihnen den Brief gegeben?«

»Eine Kammerfrau, die einen Commissionär suchte und mich dort fand.«

»Dieser Brief ist für mich?«

»Sehen Sie: ›An Herrn Petrus Herbel, Rue de l’Quest.‹

»Geben Sie.«

Petrus nahm lebhaft den Brief aus den Händen von Salvator, warf einen Blick aus die Adresse, wurde bleich wie ein Todter und rief:

»Ihre Handschrift! . . . ein Brief von ihr, an mich . . . heute?«

»Ich vermuthete es,« sagte Salvator.

»Oh! mein Gott! was kann sie mir denn schreiben?«

Salvator deutete aus den Brief mit einer Geberde, welche bedeutete: »Lesen Sie!«

Petrus entsiegelte zitternd den Brief; er enthielt nur zwei Zeilen: mehrere Male versuchte er es, diese zwei Zeilen zu lesen, doch eine Blutwolke verschleierte seine Augen.

Endlich, mit einer heftigen Anstrengung, indem er sich dem Fenster näherte, um aus dem Papiere die letzten Strahlen des Tages, der zu erlöschen anfing, zu concentriren, gelang es ihm, die zwei Zeilen zu lesen.

Ohne Zweifel enthielten sie etwas Seltsames, denn zu zwei verschiedenen Malen sagte er:

»Nein, nein, unmöglich! das kann nicht sein, das ist eine Blendung!«

Endlich ergriff er Salvator beim Arme und sprach:

»Hören Sie, ich werde Ihnen sogleich diesen Brief geben, damit Sie mir sagen, ob ich verrückt oder bei Verstande bin; mittlerweile aber sagen Sie mir die Wahrheit. Hat ein unvorhergesehener Vorfall, den Sie selbst nicht kennen, gemacht, daß die Heirath nicht stattgefunden?«

»Nein,« erwiderte Salvator.

»Sie sind verheirathet?«

»Ja.«

»Sie haben sie gesehen?«

»Ich habe sie gesehen?«

»Am Altar?«

»Am Altar.«

»Sie haben den Priester sie einsegnen hören?«

»Ich habe den Priester sie einsegnen hören! Hießen Sie mich nicht dahin gehen und keine Einzelheit der Ceremonie verlieren, ihnen bis zum Hotel Lamothe-Houdan folgen, und erst bei Nacht zurückkommen, um Ihnen über Alles Bericht zu machen?«

»Das ist wahr, mein Freund, und mit Ihrer bewunderungswürdigen Güte haben Sie eingewilligt.«

»Erzähle ich Ihnen eines Tages meine Geschichte,« erwiderte Salvator mit einem sanften, traurigen Lächeln, »so werden Sie begreifen, daß jeder Mensch, der leidet, über mich wie über einen Bruder verfügen kann.«

»Meinen Dank! . . . Sie haben sie also gesehen?«

»Ja.«

»Immer sehr schön, nicht wahr?«

»Ja, doch sehr bleich; bleicher noch, als Sie vielleicht.«

»Arme Regina!«

»Als sie vor der Kirchthüre aus dem Wagen stieg, bogen sich ihre Kniee unter ihr, und ich glaubte, sie werde fallen; ihr Vater glaubte es auch, denn er trat hinzu, um sie zu unterstützen.«

»Und Herr Rappt?«

»Er trat auch hinzu, doch sie entfernte sich von ihm und warf sich gleichsam in die Arme des Marschalls. Herr Rappt gab der Prinzessin den Arm.«

»Sie haben also ihre Mutter gesehen?«

»Ja, eine seltsame Creatur! noch schön, muß sie einst herrlich gewesen sein; eine sonderbare Blässe, als ob Milch statt Blut in ihren Adern fließen würde, gleichsam sich unter sich selbst biegend, kaum fähig, zu gehen wie die chinesischen Frauen, denen man die Füße gebrochen hat, unruhig und mit den Augen blinzelnd beim Anblicke der Sonne wie ein Nachtvogel.«

»Doch sie, Regina?«

»Nun, dieses Zeichen von Schwäche war das einzige, das ich sie von sich geben sah. Durch eine äußerste Anstrengung ihres Willens ist sie aus der Stelle wieder das Mädchen mit der Selbstbeherrschung geworden, als welches Sie sie kennen;– sie ging mit ziemlich festem Schritte bis zum Chor, wo zwei Armstühle und zwei Kissen von rothem Sammet mit dem Wappen von Lamothe-Houdan des zukünftigen Ehepaares harrten. Der ganze Faubourg Saint-Germain war da; und mitten unter Allem dem ihre drei Freundinnen von Saint-Denis, für diejenige betend, welche der Gebete so sehr bedurfte.«

Petrus ergriff seine Haare mit vollen Händen und sagte:

»Oh! das arme Geschöpf! wie unglücklich wird es sein!«

Alsdann fragte er mit einer Anstrengung:

»Weiter?«

»Hiernach begann die Messe: es war eine feierliche Messe. Der Priester hielt eine lange Rede, während welcher Regina mehrere Male umherschaute; es war, als befürchtete und hoffte sie zugleich, Sie seien da.«

»Was hätte ich dort zu thun gehabt?« fragte Petrus mit einem Seufzer. »Einen Augenblick, – wie die Menschen, welche Opium geraucht oder Haschisch gegessen haben, machte ich einen Traum, einen köstlichen Traum . . . Ich erwachte wieder, und Sie sehe, die Wirklichkeit, mein Freund!«

Petrus stand aus, ging einige Male im Zimmer auf und ab, stellte sich sodann vor Salvator und fragte:

»Doch dieser Brief? ich bitte, mein Freund, wie ist er Ihnen übergeben worden?«

»Während der Rede des Priesters ging ich wieder nach dem Boulevard des Invalides, und ich erwartete die Rückkehr der Neuvermählten; um zwei Uhr kamen sie. Auch hier schaute Regina, indem sie aus dem Wagen stieg, wieder umher . . . Sie waren es, den sie mit den Augen suchte, dessen bin ich sicher; mir aber begegneten ihre Augen . . . Hat sie mich wiedererkannt? es ist wahrscheinlich; mir schien es, sie mache mir ein Zeichen. Vielleicht habe ich mich geirrt . . . «

»Sie glauben, ich sei es, den sie zu sehen gehofft?«

»Sie. – Ich wartete . . . ich wartete eine Stunde, zwei Stunden. Es schlug vier Uhr im Invalidenhause. Da öffnete sich die kleine Thüre neben dem Gitter; eine Kammerfrau kam heraus und schaute umher. Ich war hinter einem Baum verborgen; da ich errieth, daß ich es war, den sie suchte, so zeigte ich mich. Ich täuschte mich nicht; sie zog einen Brief aus der Tasche und sagte rasch: ›Diesen Brief an seine Adresse!‹ dann kehrte sie wieder zurück. Ich las Ihren Namen, und ich eilte herbei.«

»Gut!« sprach Petrus, »wollen Sie nun sehen,

»Wenn Sie mich würdig erachten, Ihre Geheimnisse zu theilen, und wenn Sie mich für fähig halten, Ihnen einen Dienst zu leisten, ja,«

»So lesen Sie, mein Freund, und sagen Sie mir, ob ich schlecht gesehen habe, oder ob ich wahnwitzig bin,« erwiderte Petrus, indem er Salvator den Brief reichte.

Salvator trat ebenfalls ans Fenster, denn der Tag neigte sich immer mehr, und las halblaut:

»Gehen Sie heute Abend von zehn bis elf Uhr vor dem Hotel auf und ab; es wird Sie Jemand abholen und bei mir einführen.

»Ich erwarte Sie.

Regina.«

»Es ist also wirklich so?« wiederholte Petrus, der mit mehr Aufmerksamkeit gehört hatte, als der Verdammte beim Lesen seiner Begnadigung hört.

»Es ist Wort für Wort das. was ich Ihnen gelesen habe, Petrus.«

»Nun wohl, was denken Sie von diesem Rendezvous?«

»Ich denke, es ist etwas Erschreckliches in diesem Hause vorgefallen, daß Regina eines Vertheidigers bedarf, und da sie Sie für ein wackeres Herz und für einen redlichen Mann hält, so hat sie die Augen aus Sie geworfen.«

»Gut,« sagte Petrus, »heute Abend um zehn Uhr werde ich vor ihrem Hotel sein.«

»Brauchen Sie mich?«

»Ich danke, Salvator.«

»Wohl, es sei; doch geben Sie mir ein Versprechen.«

»Welches?«

»Daß Sie keine Waffe mitnehmen wollen . . . «

Petrus überlegte einen Augenblick.

»Sie haben Recht,« sagte er, »ich werde völlig unbewaffnet gehen.« *

»Gut! Ruhe. Klugheit, kaltes Blut!«

»Ich werde haben; thun Sie mir aber einen Gefallen.«

»Sprechen Sie.«

»Nehmen Sie Jean Robert und Justin mit; setzen Sie Babolin und Rose-de-Noël in einen Wagen; es ist für mich Bedürfniß, allein zu sein.«

»Seien Sie unbesorgt, ich übernehme Alles.«’

»Werde ich Sie morgen wiedersehen?«

»Wünschen Sie es?«

»Ja, sehnlichst . . . indessen wohlverstanden: ich werde Ihnen von dem Geheimnisse nur den Theil sagen, über welchen ich verfügen kann.«

»Mein Freund, ein Geheimnis ist immer besser in einem Herzen, als in zwei; bewahren Sie also das Ihrige, wenn Sie können; ein arabisches Sprichwort sagt: ›Das Wort ist Silber, doch das Stillschweigen ist Gold.‹

Und Petrus die Hand drückend, kehrte Salvator ins Atelier gerade in dem Augenblicke zurück, wo Roland, der sich wahrscheinlich über die Abwesenheit seines Herrn langweilte, und da er ihn näher kommen fühlte, eine Art von zärtlichem Winseln von sich gab und an der Thüre des Atelier mit derselben Delikatesse kratzte, mit der ein Hofmann des siebzehnten Jahrhunderts an der Thüre von Ludwig XIV. gekratzt hätte.

85Weit entfernt anzunehmen, es kenne nicht die Mehrzahl der Leser des Belletr. Auslands diese Ballade aus Wilhelm Meister, fügen wir den deutschen Text doch bei, um eine etwaige Vergleichung der Uebersetzung mit dem Original zu erleichtern, D. Uebersetzer. Kennst du da« Land?«o die Zitronen blühn, Im dunkeln Sand die Gold-Orangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl? Dahin! Dahin! Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn. Kennst du das Haus? auf Säulen ruht sein Dach, Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach, Und Marmorbilder stehn und sehn mich an. Was hat man dir, du armes Kind gethan? Kennst du es wohl? Dahin! Dahin! Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn. Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg! In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut; Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth; Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin! Seht unser Weg! o Vater laßt uns ziehn.