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Die Mohicaner von Paris

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CXXIX
Wo sich Jean Robert nicht länger den Kopf zerbricht

In dem Momente, wo Salvator wieder ins Atelier kam, hatte Justin die letzte Note des Liedes von Mignon gefunden: man hatte die Candelaber der Orgel angezündet, und bereit zu singen, drückte der Componist seine Finger aus die Klaviatur und seinen Fuß aus das Pedal.

Doch bei den ersten Akkorden, die der Musiker dem Instrumente entlockte, bei den ersten Noten, die seine Stimme vernehmen ließ, begann Roland, mochte er nun die Musik lieben oder sie hassen, ein Accompagnement von kläglichen Schreien und heftigem Kratzen, daß es unmöglich wurde, einen einzigen Takt zu hören.

»Ei!« sagte Jean Robert, »es ist also nicht Roland vor der Thüre?«

»Doch,« erwiderte Salvator.

»Lassen Sie ihn herein!«

»Ah! ja, lassen Sie ihn herein; ich will ihn sehen,« rief Rose-de-Noël. »Babolin, mach’ Roland die Thüre aus.«

Entzückt, die Bekanntschaft des Hundes von Salvator zu machen, lief Babolin an die Thüre, öffnete und sagte:

»Komm’, Roland.«

Roland hatte diese Einladung nicht nötig; in zwei Sprüngen war er bei Salvator. Doch, plötzlich, statt seinen Herrn zu liebkosen, wozu er sich anzuschicken schien, blieb er stehen und wandte seine Blicke gegen Rose-de-Noël.

»Nun, Roland,« fragte Salvator, »was gibt es denn? . . . Und Du, was hast Du, Rose-de-Noël?«

Diese Frage wurde, wie man sieht, aus halbe Rechnung an den Hund und an das Kind gemacht.

In der That, der Blick des Hundes war seltsam, flammend, gewisser Maßen zauberhaft geworden, und diejenige, aus welcher der Blick von Roland verweilte, heftete ihrerseits aus den Hund ein Paar erstaunte, sonderbare, so zu sagen, stiere Augen, deren Strahl sich mit dem kreuzte, welcher aus den Augen des Thieres hervorsprang.

Zwei Feinde bereit, aus einander loszustürzen, schauen sich nicht mit einem so starren und entflammten Auge an; und dennoch war es nicht der Zorn, es war das Erstaunen, was in den Augen des Hundes glänzte; es war nicht der Haß, es war eine Art von freudiger Furcht, was in den Augen des Mädchens glänzte.

Die Augen des Mädchens schienen zu sagen: »Ah! mein guter Hund, bist du es wirklich?«

»Die Augen des Hundes sagten: »Bist Du es wirklich, Mädchen?«

Sodann, plötzlich, als wäre die Wiedererkennung hinreichend gemacht, und als zweifelte Roland nicht mehr, – in dem Momente, wo Rose-de-Noël die Arme gegen ihn ausstreckte, – sprang er aus sie zu.

Das Kind und der Hund trafen zusammen und rollten aus die Erde, wobei das Kind die Arme um den Hals des Hundes geschlungen hielt.

Obgleich Salvator den sanften Charakter von Roland kannte, glaubte er doch, es sei eine Tollheit, wie sie die Hunde zuweilen haben, und stieß einen Schrei aus, während er zugleich, mit dem Fuße stampfend, mit gebieterischer Stimme Roland zurief:

»Hier, Roland!«

Man weiß, daß Roland seinen Herrn verstand und liebte; man weiß, daß er blindlings ihm gehorchte, der nicht nur sein Herr, sondern auch sein Retter war. Nun wohl, Roland verstand nichts; eröffnete seinen ungeheuren Rachen, als wollte er das Kind verschlingen,

Jean Robert und Justin glaubten, der Hund sei wüthend; Jeder von ihnen sprang nach einer Waffe und stürzte sich auf das Thier.

Rose-de-Noël errieth aber ihre Absicht und rief:

»Oh! thun Sie Brasil nichts zu Leide!«

Niemand konnte diesen Ruf begreifen, Jedermann konnte aber sehen, daß das Mädchen keine Gefahr lief.

Ueberdies hatte sich der Hund zu Rose-de-Noël gelegt und wälzte sich aus ihren Füßen mit dem Geheule der Freude, das Petrus aus seinem Zimmer herauszukommen veranlagte.

»Was gibt es denn?« fragte Petrus.

»Etwas Seltsames,« erwiderte Salvator, »jedoch ohne alle Gefahr.«

»Sehen Sie doch Ihren Hund, Salvator!«

»Ja, ich sehe ihn.«

Er winkte Petrus, zu schweigen, und Jean Robert und Justin, sich zu entfernen.

Babolin nahm seinen Rückzug.

Das Kind und der Hund blieben allein mitten im Atelier.

Sie wetteiferten in freudigen Schreien.

»Ah! mein schöner, mein guter, mein theurer Brasil!« sagte das Mädchen, »du bist es also! du bist also hier! Du hast mich also wiedererkannt? . . . Ich auch, ich erkannte dich auch.wieder!«

Und der Hund seinerseits antwortete durch Schreien, durch Heulen, durch Purzelbäume, welche andeuteten, seine Freude sei nicht kleiner, als die des Kindes.

Es lag zugleich etwas Rührendes und etwas Erschreckliches in dieser Scene,

Plötzlich kam Salvator, der vergebens den Hund mit dem Namen Roland gerufen hatte, aus den Einfall, ihn Brasil zu nennen, wie es das Mädchen gethan.

Brasil wandte sich um.

»Brasil!« wiederholte Salvator.

Brasil war mit einem Sprunge bei seinem Herrn, richtete sich aus den Hinterpfoten aus, legte seine Vorderpfoten aus die Schultern von Salvator, und schüttelte den Kopf mit einem Ausdrucke von Glück, wie man nie geglaubt hätte, daß die Physiognomie eines Hundes ihn offenbaren könne. Dann nahm er Salvator mit den Zähnen bei seiner Sammetjacke und zog ihn zu Rose-de-Noël.

»Brasil! Brasil!« wiederholte das Kind, seine Hände an einander schlagend.

»Ei! Du irrst Dich.« sagte Salvator mit Absicht. »Mein Hund heißt nicht Brasil; er heißt Roland.«

»Ah! ja wohl! sehen Sie nur: komm hierher, Brasil!«

Und abermals verließ der Hund seinen Herrn und sprang zu dem Kinde.

Es blieb kein Zweifel übrig: Rose-de-Noël und Brasil hatten sich gesehen, Rose-de-Noël und Brasil hatten sich gekannt.

Doch wann?

Ohne Zweifel zu der Zeit, welcher sich Rose-de-Noël nie ohne Schrecken errinnerte, und deren Ereignisse aus sie einen so tiefen Eindruck hervorgebracht hatten, daß sie diese Ereignisse selbst Salvator, ihrem besten Freunde, nie hatte erzählen wollen.

Die Neugierde Aller derjenigen, welche dieser Scene beiwohnten, und selbst die von Petrus, so sehr er in seinem Innern von seiner eigenen Lage in Anspruch genommen war, wurde lebhaft erregt.

Jean Robert wollte ein paar Fragen an Rose-de-Noël richten; Salvator ergriff ihn aber bei der Hand und winkte ihm, zu schweigen.

Er erinnerte sich des dem Kinde in seinem Delirium entschlüpften Ausrufes: »Oh! tödten Sie mich nicht, Madame Gèrard!«

Er erinnerte sich, daß Brocante ihm gesagt hatte, sie habe eines Abends Rose-de-Noël querfeldein aus der Höhe des Dorfes Juvisy fliehend gefunden; sie war damals bekleidet mit einem weißen Röckchen, bedeckt mit Blut, das aus einer Wunde floß, welche ihr ein schneidendes Instrument am Halse gemacht hatte.

Er erinnert? sich endlich, indem er die Epochen zusammenstellte, daß er an demselben Tage oder am folgenden, aus der Ebene von Viry jagend, am Rande eines Grabens einen von einer Kugel durchbohrten Hund gefunden, daß er diesen Hund verbunden, geheilt, und, da er nicht wußte, welchen Namen er ihm nach seiner Wiederherstellung geben sollte, mit dem Namen Roland getauft hatte.

Nun hieß also Roland Brasil mit seinem wahren Namen, und Brasil kannte Rose-de-Noël.

Es fragte sich noch, ob ein Zusammenhang zwischen Brasil und dieser Madame Gerard stattfand, welche, wenn man dem Geschrei des Kindes im Delirium Glauben schenkte, Rose-de-Noël hatte tödten wollen.

Alle diese Reflexionen gingen rasch wie der Gedanke durch den Geist von Salvator.

»Wohl, es sei,« sagte er zu Rose-de-Noël, »Roland heißt nicht Roland, er heißt Brasil.«

»Ei! gewiß, heißt er Brasil«

»Ich glaube es. Nun, kannst Du mir sagen, wo Du Brasil gekannt hast?«

»Wo ich Brasil gekannt habe?« erwiderte Rose-de-Noël erbleichend.

»Ja, kannst Du mir das sagen?«

»Nein, nein,« antwortete das Kind immer mehr erbleichend, »nein, ich kann es nicht.«

»Nun wohl,« sagte Salvator, »ich weiß es.«

»Sie wissen es,« rief Rose-de-Noël, indem sie ihre Augen zu einer Größe um das Doppelte ihrer gewöhnlichen Größe aufriß.

»Ja, bei . . . «

»Sagen Sie es nicht, mein Freund Salvator! sagen Sie es nicht!« rief das Kind.

»Bei Madame Gerard.«

Rose-de-Noël stieß einen Schrei aus, wankte und sank beinahe ohnmächtig in die Arme von Salvator.

Brasil gab ein klägliches Geheul von sich.

So kläglich, daß die Anwesenden einen Schauer ihre Adern durchlaufen fühlten.

Die Stirne von Rose-de-Noël war mit Schweiß bedeckt, und ihre Lippen waren bläulich geworden.

Salvator erschrak selbst über die Wirkung, die er hervorgebracht hatte.

»Ah!« sagte er, »man muß diese Kleine mit Babolin in einen Fiacre setzen und sie nach Hause zurückführen. Wer übernimmt das?«

»Ich!« erwiderten gleichzeitig Jean Robert und Justin.

»Ich, ich habe etwas Anderes zu thun.«

»Kann ich mit Ihnen gehen?« fragte Jean Robert Salvator.

»Wohin?«

»Wohin Sie gehen.«

»Nein.«

»Ich glaube indessen, daß etwas wie ein Roman, bei dem, was da vorgefallen, ist.«

»Etwas Besser»als ein Roman, mein Dichter: es ist eine Geschichte, die mir ganz das Aussehen einer entsetzlichen Geschichte hat!«

»Werden wir diese Geschichte erfahren?«

»Es ist wahrscheinlich, da Sie eine Rolle darin spielen.«

»Mein lieber Salvator,« sprach Justin, »vergessen Sie nicht, daß das Herz von einem Ihrer Freunde leidet, und wenn Sie unter Allem dem etwas Neues von meiner armen Mina erfahren . . . «

»Seien Sie unbesorgt, Justin; Sie und Mina, Sie sind in dem Winkel meines Geistes, in welchem ich meine theuersten Freunde verwahre.«

Und er gab Petrus die Hand, während er mit ihm zugleich ein Zeichen des Verständnisses wechselte, nahm Rose-de-Noël in seine Arme, – denn, obgleich halb zu sich gekommen, war das Kind doch außer Stande, zu gehen, – stieg mit ihr die drei Stockwerke hinab, legte sie in einen Fiacre, den Jean Robert holte, und schickte sie unter der Obhut von Babolin und den zwei jungen Leuten nach Hause.

 

»Begreifen Sie etwas von dem, was vorgefallen ist, Justin?« fragte Jean Robert.

»Nein, und Sie?«

»Durchaus nichts. Ich zerbreche mir auch nicht länger den Kopf; ein gutes Geschäft für Brasil!«

Brasil hatte Anfangs mit der kleinen Rose-de-Noël in den Wagen steigen wollen, dann hatte er ihr folgen wollen; jedes Mal hatte ihn aber Salvator zurückgehalten, und, seltsamer Weise, mehr mit dem Raisonnement, wie er einen Menschen zurückgehalten hätte, als mit einem Befehle, einem Commando, einem Fluche, wie man einen Hund zurückhält.

Sodann, als der Wagen, der Rose-de-Noël wegführte, verschwunden war, ging er wieder die Allee de l’Observatoire hinaus und murmelte:

»Komm. Brasil, komm mit mir! Du mußt mir wohl den Mörder dieses Kindes auffinden helfen.«

Und Brasil, als hätte er begriffen, machte keine Miene mehr, dem Wagen seiner kleinen Freundin zu folgen; er begnügte sich damit, daß er den Kopf nach der Seite, wo sie verschwunden war, umdrehte und ein mehr zärtliches, als schmerzliches Geheul an sie richtete.

CXXX
Der Mensch, der seinen Hund kennt und der Mensch, der sein Pferd kennt

Nach zehn Minuten war Salvator, in der Rue Macon, und er öffnete die Thüre des kleinen Speisezimmers, dessen pompejanische Fresken, als er sie zum ersten Male gesehen, Jean Robert so sehr in Erstaunen gesetzt hatten.

An dem Geräusche, das er eintretend machte, an seiner Art, die Thüre des Speisezimmers zu öffnen, erkannte Fragola ohne Zweifel ihren geliebten Salvator. Denn zu gleicher Zeit wie die Thüre des Speisezimmers öffnete sich die Thüre des Schlafzimmers, und die zwei schönen jungen Leute lagen einander in den Armen.

Es war sechs Uhr; das Mittagsbrod wartete.

»Wir werden rasch speisen,« sagte Salvator; »ich habe eine kleine Reise zu machen.«

Fragola ließ am Leibe des jungen Mannes die zwei Arme, mit denen sie seinen Hals umschlungen hatte, hinabgleiten.

»Eine Reise?« sagte sie traurig, aber mit Resignation.

»Ja, sei ruhig, meine Geliebte, sie wird nicht lange dauern. »Morgen bei Tagesanbruch werde ich wieder hier sein.«

»Es fragt sich aber nun, ob sie nicht gefährlich ist.« sagte Fragola.

»Ich glaube Dir dafür stehen zu können, daß sie es nicht ist.«

»Sicherlich?«

»Sicherlich.«

»Dann gibst Du mir Urlaub?«

»Allerdings!«

»Carmelite ist gerade heute nach Paris zurückgekehrt; wir haben ihr, mit Lydia und Regina, eine kleine Wohnung gemiethet, damit sie sich um nichts zu bekümmern hat. Wir ließen alle Meubles vom Pavillon von Colombau dahin bringen. Frau von Marande gibt heute Abend einen großen Ball; Regina heirathet oder hat vielmehr diesen Morgen geheirathet: das wird ein trauriger Abend für Carmelite sein, wenn sie ihn allein zubringt, und mit Deiner Erlaubnis . . . «

Salvator schnitt das Wort auf den Lippen von Fragola ab.

»Werde ich ihr Gesellschaft leisten,« fügte sie lächelnd bei.

»Geh’, mein Kind, geh’!«

Trotz dieser Erlaubniß schloßen sich die Arme von Fragola, die sich wieder um den Hals von Salvator geschlungen hatten, enger, statt sich zu erweitern.

»Du hast noch etwas von mir zu verlangen,« sagte lächelnd der junge Mann.

»Ja.« antwortete Fragola mit ihrem reizenden Kopfe nickend.

»Nun, so sprich.«

»Carmelite ist immer entsetzlich traurig, und mir scheint, wenn ich ihr eine Geschichte erzählen würde, welche eben so traurig ist als die ihrige, trauriger sogar in ihren Anfängen, die aber nichtsdestoweniger mit einer großen Freude geendigt hat, das würde sie trösten.«

»Und welche Geschichte möchtest Du denn gern Deiner armen Freundin erzählen, meine gute Fragola?«

»Die meine.«

»Erzähle, mein Kind,« sagte Salvator, »und während Du sprichst, werden Dich die Engel hören.«

»Ich danke.«

»Und wo wohnt Carmelite?«

»In der Rue de Tournon.«

»Was wird sie machen, das arme Geschöpf?«

»Du weißt, sie hat eine herrliche Stimme.«

»Nun?«

»Sie sagt, nur Eines könne, wenn nicht sie trösten. Doch ihr das Leben erträglich machen.«

»Ja, sie will singen, sie hat Recht! Aus den gebrochenen Herzen kommen die erhabenen Gesänge. Sage ihr, ich übernehme es, für ihren Gesanglehrer besorgt zu sein. Ich kenne den Mann, den sie braucht, und ich habe ihn bei der Hand.«

»Oh! Du, Du bist wie jener Fortunatus, dessen Geschichte Du mir einst erzähltest, und der eine Börse hatte, aus der er einen um den andern alle Gegenstände zog, die er zu haben wünschte.«

»So wünsche etwas, Fragola.«

»Ah! Du weißt wohl, daß ich nur Deine Liebe haben will.«

»Und da Du sie ganz hast . . . «

»So wünsche ich nur Eines: sie zu erhalten.«

Und sich erinnernd, daß ihr Salvator Eile empfohlen hatte, küßte ihn das Mädchen zum letzten Male und ging in die Küche, während er in sein Schlafzimmer eintrat.

Nach zehn Minuten kehrten Beide ins Speisezimmer zurück; Fragola hatte den Tisch in Bereitschaft gesetzt, um Gäste zu empfangen, Salvator hatte eine vollständige Jägertracht angelegt, Jacke, Weste, Beinkleider mit großen Kamaschen und Sammetmütze.

Fragola schaute Salvator mit Erstaunen an.

»Du gehst aus die Jagd?« fragte sie.

»Ja.«

»Ich glaubte, die Jagd sei geschlossen.«

»Sie ist es in der That; doch ich gehe auf eine zu jeder Zeit offene Jagd, aus die Wahrheitsjagd.«

»Salvator,« sprach Fragola, leicht erbleichend, »betrachtete ich es nicht als ein Verbrechen der Vorsehung, wenn Dir ein Unglück begegnete, so hätte ich das seltsame Leben sehend, das Du führst, nicht einen Augenblick Ruhe.«

»Du hast Recht,« sprach Salvator mit einer Feierlichkeit, die man zuweilen an ihm wahrnahm, »ich bin unter dem Schutze des Herrn; Du hast also nichts zu befürchten.«

Und er reichte Fragola die Hand.

Mit dieser Hand wischte sich Fragola eine Thräne ab.

»Nun?« fragte Salvator.

»Ja, ja. ich bin toll, mein Geliebter . . . Uebrigens gibt es Eines, was mich beruhigt: daß Du als Jäger ausgehst und folglich mit Deinem Gewehre . . . «

»Und mit Roland.«

»Oh! dann bin ich ganz ruhig; und zum Beweise, sieh!«

Und das Kind lächelte mit jenem reizenden Lächeln mit den rosigen Lippen und den weißen Zähnen, das nur der Jugend angehört.

Beide setzten sich einander gegenüber zu Tische. In Ermangelung ihrer Hände berührten sich ihre Füße; in Ermangelung von Worten wechselten sie ein Lächeln.

Während des Mahles hegte Salvator ganz besondere Sorge für Roland; es entschlüpfte ihm, daß er ihn Brasil nannte, was den Hund vor Freude springen machte.

»Brasil?« wiederholte Fragola mit einem fragenden Ausdrucke.

»Ja, ich habe Nachricht von der Jugend unseres Freundes erhalten,« sagte lachend Salvator. »Ehe er Roland hieß, hieß er Brasil. Behauptest Du nicht zuweilen, ehe ich mich Salvator genannt, habe ich einen anderen Namen geführt, und ehe ich Commissionär gewesen, sei ich etwas Anderes gewesen? Es ist mit Roland wie mit mir, liebe Fragola. Wie der Herr, so der Hund.«

»Du bist Geheimnisvoll wie ein Roman von Herrn d’Arlincourt.«

»Und Du, Du bist schön und reizend wie eine Heldin von Walter Scott.«

»Werde ich die Geschichte von Roland erfahren?«

»Ei! wenn er sie mir erzählt.«

»Wie, wenn er sie Dir erzählt?«

»Ja, Du weißt, daß ich manchmal mit Roland plaudere.«

»Und ich auch; er versteht mich, und er antwortet mir.«

»Schöner Witz! Du, bist Du nicht ich?«

»Und er hat Dir schon etwas von seiner Geschichte gesagt?« fragte Fragola, welche vor Neugierde starb.

»Er hat mir gesagt, er heiße Brasil. Nicht wahr. Roland, Du hast mir gesagt, Du heißest Brasil?«

Roland drehte sich einige Male um sich selbst, als liefe er seinem Schweife nach, und bellte freudig.

»Erräthst Du, wohin wir gehen, Brasil?« fragte Salvator.

Der Hund brummte.

»Ja, Du erräthst es . . . Werden wir finden, was wir suchen, Brasil?«

Brasil brummte aufs Neue.

»Du bist also bereit, mich zu führen?«

Statt jeder Antwort wandte sich der Hund nach der Thüre, richtete sich aus seinen Hinterpfoten aus, und fing an an der Füllung zu kratzen.

Hätte er Salvator geantwortet: Folge mir! diese zwei Worte wären nicht ausdrucksvoller gewesen.

»Du siehst,« sagte Salvator, »Brasil wartet nur aus mich. Morgen früh, meine Geliebte. Erfülle Deine Sendung als Trösterin. Vielleicht werde ich meine Pflicht als Rächer thun.«

Dieses letzte Wort machte Fragola zum zweiten Male erbleichen; Salvator erkannte aber ihre Furcht nur an einer zärtlicheren Umarmung und an einem ausdrucksvollern Pressen seiner Hand.

In dem Augenblicke, wo Salvator den Fuß aus die Straße setzte, schlug es sieben Uhr aus Notre-Dame.

Salvator wandte sich nach dem Pont Saint-Michel, Brasil ging stolz zwanzig Schritte vor ihm.

Zu jener Zeit, so nahe sie der unsern ist, gab es nur drei Arten, eine Reise von fünf Lieues zu machen: zu Fuße, zu Pferde oder im Wagen.

Man erblickte nur in der Ferne der Civilisation den Rauch der Eisenbahnen.

Zu Fuße nach Juvisy gehen, wäre sicherlich für einen Angestellten eine heilsame Leibesübung gewesen, doch für einen Mann wie Salvator, der die Gewohnheit des Gehens hatte, bot diese Uebung durchaus nichts Ergötzliches.

Es blieb das Pferd oder der Wagen.

Ein Jäger mit seinen Kamaschen, seiner Jagdtasche und seiner Flinte hat immer eine seltsame Tournure zu Pferde, und besonders auf einem Miethpferde; Salvator hatte also nicht einen Augenblick den Gedanken, zu reiten.

Es blieb der Wagen.

Aus der Place du Palais-de-Justice, dem Pfahle gegenüber, wo man die zur Brandmarkung Verurtheilten ausstellte, stationierte eine Art von Kutsche, oder Kuckuk, oder Wagen nach Belieben, ohne Zweifel mit diesem letzten Namen genannt, weil er nur dahin ging, wohin ihn der Wille seines Führers gehen machte.

Die gewöhnliche Bestimmung von diesem war die Cour de France, und mehr als einmal war der Vorübergehende, da er an den Scheiben von einem der Läden, vor dem genannter Kuckuck stationierte, die zwei Worte: Viry Käse, angeklebt sah, versucht gewesen, einen Wagen zu nehmen, welcher nach einem Lande führte, das so guten Käse machte.

In der That, die Käse von Viry, doppelte Sahne, erfreuten sich und erfreuen sich noch bei den wahren Liebhabern eines unbestreitbaren und unbestrittenen Rufes, wie aus den Karten der drei bis vier berühmten Restaurateurs von Paris ersichtlich ist.

Salvator kannte ganz wohl den Wagen, der nach dem beglückten Lande führte; der Führer seinerseits kannte Salvator vollkommen. In Folge hiervon war man über den Preis sehr schnell einig, und gegen die Summe von fünf Franken hatte Salvator das Recht für sich und seinen Hund über den Wagen die ganze Nacht hindurch zu verfügen.

Nachdem diese Anordnung getroffen war, winkte Salvator Roland, und dieser sprang, ohne Umstände zu machen, mit einem Satze in den Wagen und legte sich als wohl gezogener Hund sogleich unter die Banquette.

Salvator stieg nach ihm ein, lehnte sich in eine der Ecken, streckte seine Beine aus, stellte seine Flinte so gut er nur immer konnte, um den zwei vortrefflichen Läusen von Reynette die Erschütterung zu ersparen, und als diese Vorsichtsmaßregeln genommen waren, gab er dem Kutscher den Abschied mit den Worten:

»Wann Sie wollen.«

Das war aber nicht Alles, was der Kutscher wollte: man mußte dem Willen des Führers den des Pferdes beifügen.

Nie aber schien ein Pferd weniger geneigt, den Ermahnungen seines Führers zu gehorchen, als es dieses abgemergelte Thier war, welches von der Vorsehung die Misston erhalten hatte, Salvator zur Aufsuchung des Geheimnisvollen Verbrechens zu führen, über das ihm die Wiedererkennung von Rose-de-Noël Verdacht gegeben hatte.

Endlich, nach einem Kampfe von zehn Minuten, entschloß sich das besiegte Thier, sich aus den Weg zu begeben.

»Ah!« sagte der Kutscher mit der Sicherheit eines Mannes, der sein Roß gründlich kannte, »das ist einer, der, wenn er je zwölftausend Livres Rente bekommt, keinen Kuckuk kaufen wird!«